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Negotius ist ein Buch, das die grundlegenden Dynamiken der Kunst des Verhandelns offenlegt. Dieses Buch ist von einem Praktiker, einem Shadow Negotiator, geschrieben, der über viele Jahre hinweg schwierige Verhandlungsfälle zum Erfolg geführt hat. In diesem Buch öffnet der Experte seine Trickkiste und zeigt nicht nur, wie Verhandlungen vorbereitet und durchgeführt werden, sondern auch, wie das Kräftespiel auf unterschiedlichen Ebenen der Verhandlungswelt funktioniert.
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Seitenzahl: 111
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Verhandlungsmanagement
Die Wirkung von Argumenten
Rangordnung
Motivdeutung
Macht
Innerer Zustand
Die Agenda
Verhandlungsvorbereitung
Trennung von Person und Sachverhalt
Win-win als Wagnis
Umgang mit der Angst bei einer Verhandlung
Verhandeln mit sich selbst
Angst vor Erfolg
Der Wegweiser
Solides Taktieren
Ein mächtiges Instrument
Gewieft verhandeln
Satelliten-Verhandlungen
Multilaterale Verhandlungen
M&A-Verhandlungen
Die höchste Liga der Verhandlungsführung
Verhandeln in Extremsituationen
Schocktherapie!
Macron
Globus ohne Europa
Das mündige Volk
Hinweis: Alle Angaben und Bezeichnungen im Buch beziehen sich auf Angehörige beider Geschlechter. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text vorwiegend lediglich eine Form gewählt.
Der Lebensquell versiegt und wir gewahren mit Schmerz, daß wir nicht bleiben, was wir waren.
Hafez (~1315-~1390), persischer Dichter und Mystiker
Mit dem Verhandeln assoziiert jeder von uns den Moment, in dem wir mit den Verträgen unter dem Arm den Besprechungsraum betreten, die anderen kommen ebenso hinein, es werden Argumente ausgetauscht. Diesen Ausschnitt eines Gesamtprozesses von Interaktionen zwischen Personen sehen wir als Verhandlung an. Das Verhandeln ist natürlich viel mehr. Alle Aktionen, die durchgeführt werden, welche eine Wirkung auf die Entscheidungsfindung der Gegenseite haben, sind ein Teil der Verhandlung. Das Verhandeln beginnt mit dem Händeschütteln oder gar zuvor, weil alles, was von da an unternommen wird, eine Wirkung auf die Entscheidungsfindung des Verhandlungspartners hat. Wann ein Verhandlungspartner angerufen wird, ist oft wichtiger als das, was wir beim Telefonat zu sagen haben. Denn der Zeitpunkt des Anrufes weckt eine Erwartungshaltung beim Gegenüber. Kein Argument der Welt wird den Gesprächspartner dazu bewegen, seine Forderung herunterzuschrauben, wenn er einmal seine Erwartungshaltung den Machtverhältnissen und dem Verhalten der gegnerischen Partei gemäß justiert hat. Rhetorik wird überbewertet. Verhandeln ist viel mehr als rhetorisch gut manövrieren zu können.
Im Kern verhandeln wir, um die Entscheidungsfindung des anderen zu steuern, diese zu lenken. In diesem Zusammenhang werden Argumente ausgetauscht, um Vernunft zu suggerieren. Darüber hinaus existiert bei den meisten die unbewusste Annahme, dass ein Gesprächspartner überzeugt ist, wenn man ihn überredet hat. Dies ist aber selten der Fall. Die Rhetorik hat zwar eine Wirkung. Diese ist aber eingeschränkt und somit nicht ausreichend, um eine Verhandlung zu führen.
Also, was ist das Verhandeln nun? Was umfasst es?
Das Verb "Verhandeln" besteht aus "Ver" und "Handeln". Das Handeln inkludiert natürlich viel mehr als nur das Reden. Wenn man berücksichtigt, dass die Sprache eine psychologische Dimension besitzt und deshalb viel mehr Informationen zu vermitteln hat, als wir meinen, so sagt sie in diesem Fall, dass jedes Handeln ein Teil einer „Ver-Handlung“ ist.
Verhandeln umfasst somit jedes Tauziehen um Motive und Interessen.
Gewiss schließt das Verhandeln kriegerische Handlungen aus, also jede Art von Gewalt austragender Handlung. In manchen Bereichen bleibt aber die Linie zwischen einer Verhandlung und einer kriegerischen Handlung hauchdünn. Zum Beispiel wenn eine Partei, in diesem Fall ein Land, sich dazu entschließt, Soldaten an der Grenze zu positionieren, um das andere Land bei aktuellen Verhandlungen unter Druck zu setzen. Die Positionierung der Soldaten ist in diesem Fall eine Gewaltandrohung auf der Handlungsebene. Solange es nicht zu einem Gewaltausbruch kommt, kann dies analytisch betrachtet als Teil einer Verhandlung betrachtet werden, wenn auch in konkreten Fällen nicht immer empfehlenswert. Aber wir betrachten ja den geschilderten Fall, um Dynamiken zu verstehen. Ob und wann eine solche Aktion durchzuführen und ob sie zweckmäßig wäre, ist eine andere Frage.
Die Verhandlungsführung ist also eine ganzheitliche Kunst, die alle Handlungen, die der Zielerreichung dienen, beinhaltet, ausgenommen kriegerische.
Die nächste Frage, die sich sofort stellt, ist die der Ethik und Moral. Ethik ist in diesem Zusammenhang als eine getrennte, autarke Disziplin anzusehen. Das bedeutet nicht, dass ethisch-moralische Werte nicht berücksichtigt werden sollten. Es bedeutet, dass dies dem Verhandler überlassen ist, nicht dem Verhandlungsmanagement.
Eine Verhandlung aus der ganzheitlichen Perspektive der Handlungen zu führen, öffnet den Blickwinkel für die unendliche Reihe von Möglichkeiten, die anvisiert, geplant und durchgeführt werden können, um ein Verhandlungsziel zu erreichen.
Alle Handlungen, die ein Verhandler in diesem Kontext durchführt, werden nun wichtig. Denn mit eigenen Handlungen senden wir dem Gegenüber nicht nur positive und negative Signale, die seine Erwartungshaltung ändern, sondern adressieren und bedienen auch seine Interessen und Ängste und können ihn somit belohnen und bestrafen, um seine Entscheidung in unserem Sinne zu steuern. Darin liegt die wahre Kunst des Verhandlungsmanagements verborgen. Wer darüber hinaus auch die Machtverhältnisse zu seinen Gunsten ändern kann, hat alles Notwendige unternommen, um die Verhandlung erfolgreich zu führen. Zum Thema "Macht" aber später mehr in einem gesonderten Kapitel.
Der Verhandlungspartner, der mit der Androhung konfrontiert wird, dass ein aktueller Geldzufluss gekürzt wird, wird für unsere Argumente weniger zugänglich sein, als wenn wir die Reihenfolge von Äußerung und Handlung austauschen würden. Das heißt, wenn zuerst der Geldfluss gekürzt wird und erst danach das Gespräch stattfindet, wird dieselbe Person unseren rhetorischen Äußerungen viel mehr Beachtung schenken.
Auch diesem Beispiel soll natürlich nicht in allen Verhandlungsfällen gefolgt werden. Denn die Zweckdienlichkeit der eingesetzten Taktik ist abhängig von der Wertigkeit der Beziehung mit dem Verhandlungspartner und den Machtverhältnissen.
Das erwähnte Beispiel zeigt uns allerdings, wie wichtig eigene Entscheidungen, die in Handlungen münden, sein können und wie somit das Regelwerk funktioniert.
Ein tiefgehendes, klares Verständnis der Verhandlungsdynamiken ist der erste und sehr wichtige Schritt für jeden, der diese Kunst ganzheitlich beherrschen möchte. Es ermöglicht hohe Variabilität und somit auch Effektivität bei allen anstehenden Verhandlungen. Denn alle Folgeschritte basieren darauf.
Alle Handlungen, die vollführt werden, um ein Ziel zu erreichen, sind Teil einer Verhandlung.
Die eigenen Entscheidungen, die in Handlungen münden, sind oft wichtiger als rhetorische Manöver.
Rhetorik und Kommunikation sind nur ein Teilbereich der Verhandlungswelt.
Wie bereits im ersten Kapitel erläutert, ist das Bild, das wir im Allgemeinen mit dem Thema der Verhandlungsführung assoziieren der Moment, wenn zwei Verhandlungspartner mit ihren Verträgen am Tisch sitzen und Argumente austauschen. Gewiss gehört dieses Bild zur Verhandlungswelt. Aber wie einleitend expliziert, ist das Verhandeln eben viel mehr als nur das Unterhandeln von Verträgen. Es ist mehr als das Austauschen von Argumenten.
Jede Art von Tauziehen, das unsere Beweggründe und Interessenfelder tangiert, stellt eine Verhandlung dar.
Die Bestimmung des nächsten Urlaubsortes ist eine Verhandlung. Das erörternde Gespräch mit dem Kind, damit es um 8 Uhr abends ins Bett geht, ist eine Verhandlung. Natürlich ist es ebenso eine Verhandlung, wenn wir uns mit dem Vorgesetzten auf eine neue Gehaltsstufe einigen oder mit einem Partnerunternehmen eine Lösung finden, um neue Prozesse zu etablieren.
In all den Verhandlungssituationen sind wir stets bestrebt die Entscheidungsfindung des Verhandlungspartners in unserem Sinne zu lenken. Wir versuchen dies vorrangig mit Argumenten. Unsere unbewusste Annahme ist hierbei: Wenn der Verhandlungspartner überredet ist, dann ist er auch überzeugt. Eine Dynamik, die ebenso im vorherigen Kapitel angeschnitten wurde.
Was passiert aber ganz genau, wenn wir mit dem Verhandlungspartner Argumente austauschen?
Wenn der Verhandlungspartner mit unseren Argumenten konfrontiert wird, erwarten wir von ihm, dass er diese mit seinen logischen Werten vergleicht. Das ist aber nicht das, was in seinem Kopf passiert. Er vergleicht unsere Argumente nicht mit seinen logischen Werten, sondern mit seinem Interesse, und wenn die Argumente dem Interesse nicht dienen, lehnt er sie ab und zahlt den Preis. Er klingt unvernünftig. Das ist ihm aber egal, da er seine Interessen gefährdet sieht. Dann passiert Folgendes: Wir geben uns auf der kommunikativen Ebene viel Mühe, um die Person zu überreden. Dabei haben wir eine Unterredung, einen Wortstreit um die Wahrheit. Wer hat recht? Wer sagt die Wahrheit?
Die Verhandlung findet aber nicht auf der kommunikativen Ebene statt, sondern auf der Ebene von Entscheidungen. Auf dieser Ebene geht es ausschließlich darum, wer die Verhandlung gewinnt, und nicht darum, wer im Recht ist.
Wenn man rhetorisch gewieft ist, kann man bei Bedarf und wenn die Rahmenbedingungen passen eine Drohung oder eine Warnung aussprechen oder andeuten, dass die Interessen des Verhandlungspartners wahrgenommen werden können. Ebenso ist das Tauziehen auf der rhetorischen Ebene dazu dienlich, Informationen zu gewinnen. Aber wenn diese Ansätze alle abgeklopft wurden und keine Chance auf eine Einigung bieten, bleibt nur noch der Wechsel auf die Entscheidungsebene. Nun geht es nicht mehr darum, wer was sagt, sondern darum, wer was tut.
Es wäre denkbar, sofern die Verhandlungskonstellation dies zulässt, eine dritte unabhängige Partei mit hineinzubringen, die zugleich die Entscheidungsgewalt haben sollte – so wie ein Richter im Gerichtssaal. In diesem Fall ist es zweckmäßig, rhetorisch aktiv zu werden, da die richterliche Position selbst mit ihren Interessen von dem Fall nicht betroffen ist und somit die Möglichkeit hat, die Argumente der Parteien in der Tat mit ihren logischen Werten zu vergleichen. Wenn aber derjenige, der Ihre Argumente bewertet, zugleich der Verhandlungspartner ist, ergibt das Argumentieren oft nicht viel Sinn. Denn er wird diese zurückweisen, ohne sie logisch abzuwägen.
Interessanterweise sind die meisten wirtschaftlichen Verhandlungen so gestrickt, dass eine Vis-a-vis-Unterhandlung stattfindet. Selten ist bei solchen Verhandlungen eine dritte, richtende Instanz mit dabei.
In solchen Fällen dient das Gespräch vor allem dazu, Informationen zu gewinnen. Erst wenn die wahren Interessen und Ängste des Verhandlungspartners nachvollzogen wurden, kann man zum Argumentieren übergehen, um dessen Motive rhetorisch zu adressieren. Solange er aber die logisch nachvollziehbaren Argumente ablehnt, ist dies ein Beleg dafür, dass eine Diskrepanz zwischen Logik und Interesse existiert und somit seine wahren Motive noch nicht erkannt wurden. Da heißt es: zurück zur Anfangsposition. Es müssen weitere Informationen gewonnen werden, die Interessen und Ängste des Verhandlungspartners müssen besser durchleuchtet werden, um dann erneut zu versuchen, diese mit passenden Argumenten oder Entscheidungen, was konkret die Planung von Maßnahmen bedeutet, zu adressieren.
Argumente sind bei einem Vis-a-vis-Verhandlungsgespräch nicht besonders wichtig.
Ein Gespräch dient vor allem dazu, Informationen zu gewinnen.
Es ist immens wichtig, die Motive des Verhandlungspartners zuerst zu verstehen, bevor man diese mit Argumenten oder Maßnahmen adressiert.
Jede erfahrene Geschäftsfrau oder jeder erfahrene Geschäftsmann kennt die Situation. Sie hatten ein Gespräch mit einer dominanten Person. Danach stellen Sie fest, dass Sie einige Punkte nicht geäußert haben, obwohl sie Ihnen durch den Kopf gingen. Vielleicht die eine Frage, die zu klären wäre, oder Argumente, die hätten zur Sprache gebracht werden müssen. Im Nachhinein stellen Sie fest, während des gesamten Gespräches Druck im Raum gespürt zu haben. Vielleicht haben Sie diesen sogar direkt wahrgenommen.
Die Realität ist der beste Lehrer, völlig gleich in welchem Umfeld, und die Realität der vorliegenden Situation zeigt Folgendes: Sie haben Entscheidungen getroffen, die zu Ihren Ungunsten waren. Sie haben Fragen, Argumente zurückgehalten, unterdrückt, obwohl diese Ihnen hätten nützlich sein können.
Bei solchen Gesprächen machen wir uns in der Regel im Nachgang Vorwürfe. Wir sind unzufrieden, wütend mit und auf uns selbst und all die Punkte, die wir im Laufe des besagten Gespräches hätten loswerden können, fallen uns im Nachhinein ein. Genauer betrachtet fallen sie uns nicht ein. Sie waren schon die ganze Zeit präsent, aber wir nehmen sie erst jetzt wahr.
Wir Menschen verhandeln nie nur um eine Sache, sondern immer auch um die Beziehung mit dem Gegenüber. Bei der Beziehungsbildung klären wir immer, wo wir und der andere in der Rangordnung stehen. Im oben genannten Beispiel ist es dem Gesprächspartner durch sein dominantes Verhalten gelungen, ein Gefälle in der Beziehung zu Ihnen aufzubauen. Das ist Fakt. Denn der Beleg dafür liegt auf der Hand: die unterdrückten Aussagen bzw. Fragen. Also Entscheidungen, die Sie zu Ihren Ungunsten trafen.
Wie Sie sehen, beeinflusst die Rangordnungsbildung bei uns Menschen die Entscheidungsfindungsebene.
Wenn es einer Person gelingt, sich uns gegenüber in der Rangordnung höher zu positionieren, messen wir ihren Handlungen und Äußerungen, also Entscheidungen, eine höhere Wertigkeit bei. Folglich entfalten ihre Forderungen, Äußerungen und Begründungen eine größere Durchsetzungskraft uns gegenüber, da wir eher bestrebt sind sie anzunehmen. Faktisch positionieren wir diese über unseren eigenen Forderungen und Äußerungen. Zwar ist die Dynamik hierbei nicht ganz so schwarz-weiß, es geht eher um Tendenzen, aber selbst Tendenzen haben eine beträchtliche Wirkung.
Vielleicht haben Sie einmal im sozialen Kontext Konfliktsituationen erlebt, die Sie als belastend empfanden. Zum Beispiel das permanente, persönliche Tauziehen mit einem unliebsamen Kollegen oder die subtile Auseinandersetzung mit einem schwierigen Familienmitglied. Was unter anderem in solchen Momenten oft passiert, ist, dass einem durch den Kopf geht, wie andere Personen, aus dem Bekanntenkreis, die Situation meistern würden. Dabei handelt es sich allerdings nicht um willkürlich ausgewählte Personen, sondern um gewisse Charaktere, denen wir eine Klärung der Problematik zutrauen. Wir denken über ihre Vorgehensweise nach, da wir diese gänzlich oder teilweise nachahmen wollen. Das heißt, wir halten ihre Art und Weise der Entscheidungsfindung und vor allem Konfliktbewältigung nicht nur für richtig, sondern auch für besser als die eigene und möchten diese deshalb als Blaupause für das eigene Vorgehen verwenden. Das ist Rangordnung. Die Personen, die Sie in einem solchen Moment im Kopf haben, haben auf der Beziehungsebene ein Gefälle zu Ihnen gebildet, und zwar zu Ihren Ungunsten. Das ist der Grund, warum Sie deren Vorgehensweise faktisch für besser halten als die eigene. Dabei müssen sie nicht tatsächlich besser manövrieren können als Sie selbst. Es genügt, dass sie ein Gefälle in der Beziehung zu Ihnen aufbauen, dann halten Sie ihre Vorgehensweise für besser als die eigene, eben nachahmenswert.