Neubeginn mit Kolibris - Judith Schuh-Eiring - E-Book

Neubeginn mit Kolibris E-Book

Judith Schuh-Eiring

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Beschreibung

Als Johanna nach Beendigung ihres BWLs-Studiums gegen den Willen ihrer Eltern zu ihrer großen Liebe Juan in den südamerikanischen Nebelwald zieht, scheint ihr Leben perfekt. Schnell findet sie eine Anstellung als Mathematiklehrerin an der lokalen Dorfschule und freundet sich mit Schulköchin Maria an. Doch als ihre Beziehung zu Juan scheitert, verliert Johanna nicht nur den Glauben an die Liebe, sondern auch an ihren Lebenstraum. Was soll sie jetzt tun - gehen oder bleiben? Was ist mit ihrer BWL-Karriere? Und mit der Beziehung zu ihren Eltern? Lediglich bei Maria findet Johanna Trost. Als Manuel, ein pensionierter Englischlehrer in ihr Leben tritt, beginnt sich Johannas Perspektive langsam zu verändern. Mit seiner Weisheit und Güte lenkt Manuel Johannas Blick auf das, was im Leben wirklich zählt und Johanna fängt an, ihre Erkenntnisse in einem Glückstagebuch zu notieren. Doch da wäre noch Carlos, Johannas Schüler, der sich nach seinen Eltern sehnt und dessen Geschichte Johanna zu einer halbverfallenen, von Nebelschwaden umwobenen Hacienda führt. Wird sie ihm helfen können?

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Judith Schuh-Eiring

Neubeginn mit Kolibris

Wenn dein Traum zerplatzt……gestattest du dir, noch einmal zu träumen? Neubeginn mit Kolibris – eine Geschichte vom Loslassen und Neuanfangen

Inhaltsverzeichnis

Über die Autorin

Neubeginn mit Kolibris

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

Impressum

Über die Autorin

Dr. phil. Judith Schuh-Eiring ist promovierte Sprach- und Kulturwissenschaftlerin. Sie lebte, forschte und arbeitete während mehrerer Jahre in Ecuador. Die Herzlichkeit der Menschen und die überwältigende Vielfalt der Natur beeindrucken sie bis heute und inspirierten sie neben ihrer Leidenschaft für Persönlichkeitsentwicklung zum Schreiben dieses Romans.

Impressum:

Copyright © 2023 Judith Schuh-Eiring, Wien

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Die in diesem Buch geschilderten Personen und Ereignisse sind fiktiv.

Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin in jeglicher Form reproduziert oder gespeichert werden.

Umschlaggestaltung von: Judith und Thomas Schuh-Eiring

Judith Schuh-Eiring

Neubeginn mit Kolibris

Für Anita, Cris, Katy, Naty, Pauli und Tefa; meine Marias

1. Kapitel

Ihr Blick schweifte aus dem Fenster. Hinter ihrem kleinen Häuschen am Dorfrand lag ihr Garten. Es war einer der wenigen Gärten im Dorf. Eigentlich war es unüblich einen Garten zu besitzen, war doch überall außenherum Natur und wenn man die Natur schon bearbeitete, dann wenigstens, um etwas anzubauen – so schienen es zumindest die meisten anderen Dorfbewohner zu betrachten. Ihr Garten war jedoch kein Nutzgarten, im Gegenteil; er war voller Grün, übersät von weichen Moosen, spitzen Farnen und kleinen Büschen, die das feuchte Klima hier liebten. In der rechten hinteren Ecke stand ein alter Avocadobaum, unter dessen dichten, langen Blättern die Äste kaum mehr zu erkennen waren. Aus der Nähe hätte man die dicken Früchte mit ihrer unebenen dunkelgrünen Oberfläche betrachten können, aus ihrem Küchenfenster verschwammen sie jedoch vor dem Blätterwerk. Am Rande der kleinen Terrasse, die direkt an das Häuschen angrenzte, hatte sie eine Zierpalme gepflanzt. Die nadelartigen Blätter ragten bis zur Mitte des Küchenfensters, bald würde der Topf zu klein werden. Sie fragte sich, ob sie die Palme dann wohl einpflanzen sollte, andererseits war es ihr im Garten wahrscheinlich zu feucht und das vorgezogene Dach des Häuschens schützte sie etwas vor der Nässe. Auch schaffte die Palme eine Art Verbindung zwischen Haus und Garten, zwischen Zivilisation und Dickicht.

Denn ihr Garten glich einem Dschungel, der sich perfekt in die Kulisse des hinter dem Dorf beginnenden Waldes integrierte. Dieses satte Grün hatte sie von Anfang an gemocht, es war so exotisch, so anders als ihr früheres Leben. Und doch hatte sie sich dieser Andersartigkeit nicht vollständig hingeben können, sondern hatte den immensen Drang verspürt, einen Garten anzulegen, ihr eigenes Stück halbwegs domestizierte Wildnis in der Wildnis. War es der Beginn eines Ankommens gewesen, eines sich Niederlassens, die Kreation des Eigenen in der Fremde? Oder drückte dieser Garten vielmehr ihre Hin- und Hergerissenheit aus, ein zwanghafter Versuch, Gegensätze zu vereinen, die eigentlich nicht zusammenpassten? Passte sie hierher? Sie konnte sich die Fragen nicht beantworten, wollte die Antworten vielleicht auch gar nicht wissen.

Am Himmel hingen dicke, feuchte Nebelschwaden, wie es hier so häufig der Fall war. »Dafür ist alles so grün«, versuchte sich Johanna zu trösten. Sie wurde in ihrem Grübeln unterbrochen, als sie hinter sich ein Geräusch vernahm. Coco musste aufgewacht und vom Sofa gesprungen sein. Der weiße, flauschige Kater war ihr treuer Begleiter. Auch er mochte den Garten, am liebsten streunte und schnüffelte er darin herum und jagte den Vögeln hinterher. Die größte Aufmerksamkeit schenkte er den schillernden Kolibris mit ihren langen zarten Schnäbeln, die aber zum Glück (wie sich Johanna insgeheim dachte) zu schnell für ihn waren. Coco, dessen weiße Farbe Johanna beim ersten Anblick an das zarte Fleisch einer grünen großen Kokosnuss erinnert hatte, schmiegte sich an ihr Bein und miaute leise, bis sie sich zu ihm herunterbeugte und ihn auf den Arm nahm. Er begann genüsslich zu schnurren, während Johanna ihn zärtlich hinter den Ohren kraulte und ihren Blick wieder aus dem Fenster schweifen ließ.

Johannas und Cocos Zuhause war eher klein, aber für die beiden genau richtig. Hätte es in England gestanden, hätte man es wohl als Cottage bezeichnet. Es gab drei Zimmer. Das geräumigste war eine Mischung aus Küche, Ess- und Wohnzimmer. Hinter der Küchenzeile befand sich das große Fenster mit Blick in den Garten, durch das Johanna und Coco gedankenverloren starrten. Das Sofa, das den Wohnraum vom Flur abtrennte, war auch in Richtung des Küchenfensters ausgerichtet. Seine Farbe passte zum hiesigen Klima, es war hellgrau, breit und lang genug, damit sich Johanna und Coco darauf kuscheln konnten, und wurde von türkisen – Johannas Lieblingsfarbe – Kissen und einer ebenfalls türkisen, weichen Decke geziert. Zwischen Sofa und Küchenzeile befand sich ein hellbrauner Holztisch mit vier Stühlen, auf dem meistens eine Vase mit frischen Blumen stand.

An das Wohnzimmer schloss sich ein kleiner Gang an. Zur linken Seite ging das Schlafzimmer ab, zur rechten Seite das Badezimmer und ein winziges Arbeits- beziehungsweise Gästezimmer. Das Schlafzimmer blickte ebenfalls in den Garten und durch eine Glastür konnte man direkt auf die Terrasse treten. Am Anfang hatte es Johanna etwas gestört, dass man nicht vom Wohnraum auf ins Freie gelangen konnte. Um auf die Terrasse zu kommen, musste man entweder durch das Schlafzimmer gehen oder das Haus verlassen und das Gartentörchen öffnen. Nur Coco sprang durch das Küchenfenster. Inzwischen machte es Johanna jedoch nichts mehr aus, ihre Gäste durch das Schlafzimmer in den Garten zu führen. Ihre Gäste waren ohnehin meist ihre besten Freunde. Im Schlafzimmer standen ein großes Bett, ein Nachtkästchen mit einem Stapel Bücher, gegenüber dem Bett eine Kommode mit Spiegel und an der Wand zum Flur ein großer Schrank. Alles war in dunklem Holz gehalten, was Johanna nicht gefiel. Es war ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Eigentlich hatte sie damals, als klar war, dass sie alleine mit Coco hierbleiben würde, alles weiß anstreichen wollen, allerdings hatte ihr dann die Kraft – oder vielleicht auch der Mut – gefehlt.

Auf der anderen Seite des Gangs lag das Badezimmer mit einer weißen Badewanne, die in einem kleinen Sims endete, auf den Johanna ihre Lieblingssteine arrangierte. Sie mochte Steine und ständig fand sie einen noch schöneren. Neulich hatte sie einen schwarzen Stein in dreieckiger Form und mit abgerundeten Enden entdeckt. Dieser war derzeit ihr Lieblingsstein und lag in der Mitte des Badewannensimses. Meistens nutzte Johanna ihre Badewanne jedoch nicht zum Baden, sondern zum Duschen, da lediglich lauwarmes Wasser aus dem Hahn floss. In seltenen Fällen erwärmte sie Wasser für ein Bad auf dem Herd, was allerdings nicht öfter als zwei oder drei Mal pro Jahr vorkam. Aus dem Wasserhahn am Waschbecken kam, wie auch in der Küche und beim Wasserzugang für die Waschmaschine, nur kaltes Wasser, aber man gewöhnte sich ja an alles... War es Gewöhnung, Resignation oder ein ständiges Abwiegen der Vor- und Nachteile zweier Welten? Wahrscheinlich Letzteres, wenn Johanna ehrlich war. Genauso wie bei ihrem geliebten Garten, der hier eigentlich nicht hinpasste.

Im schmalen letzten Zimmer standen ein heller Holzschreibtisch mit passendem Stuhl, darüber mit Büchern überfüllte Regalbretter und im Anschluss daran ein Bett. Dieses Zimmer benutzte Johanna nur selten. Meistens arbeitete sie am Küchentisch und Übernachtungsgäste gab es fast nie, das hatte sie wohl überschätzt. Wer es sich am häufigsten auf diesem Bett bequem machte, war Coco. Dementsprechend war die dunkelblaue Wolltagesdecke mit seinen weißen Katzenhaaren übersät. Gedankenverloren strich Johanna über den Rücken ihres Katers, der immer noch schnurrend in ihren Armen lag.

Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Als sie die Haustür öffnete, blickte ihre Freundin Maria sie strahlend an: »Ich freue mich schon die ganze Woche darauf, mit dir heute in die Stadt zu fahren.«

Johanna musste lächeln: »Wie geht es dir, Süße? Und wie geht es Cristina?«

Maria strich sich mit der Hand über ihren runden Bauch. »Cristina und mir geht es bestens, fühle mal, heute ist sie ganz aktiv.«

Johanna legte die Hand auf Marias Bauch und konnte Cristinas leichte Tritte spüren. »Der Name Cristina passt zu ihr«, sagte Johanna mit einem Augenzwinkern.

Seit Maria schwanger war, hatten sie und Pedro schon drei Mal den Namen ihrer Tochter geändert. Johanna erwischte sich dabei zu denken, ob sich Marias Freundschaft zu ihr wohl verändern würde, sobald Cristina auf der Welt war und die volle Aufmerksamkeit ihrer Freundin verlangte. Sofort versuchte sie, den Gedanken beiseitezuschieben. Es war egoistisch, so zu denken, natürlich würde Cristina Marias erste Priorität werden und das war auch gut so, Maria und Pedro freuten sich schon so sehr auf ihr Baby.

Nun kam auch Coco angeschlichen und blickte Maria mit großen Augen an. »Ich habe vorhin bereits den Fisch für das Abendessen vorbereitet«, erklärte Maria mit einem entschuldigenden Blick, »wahrscheinlich riecht Coquito das.« Sie streichelte den Kater, während Johanna ihre Jacke und ihre Tasche vom Garderobenhaken nahm.

»Lass uns gehen«, meinte sie zu Maria, »ich freue mich auch schon auf die Zeit mit dir!«

Gemeinsam schlenderten sie die Straße entlang, auf dem Weg zur Bushaltestelle. »Ich brauche neue Schuhe, ich habe das Gefühl, dass alle meine Schuhe unbequem sind«, beschwerte sich Maria. »Nach was möchtest du Ausschau halten, außer den obligatorischen Blumen?«, fragte sie mit einem Lächeln in der Stimme.

»Du kennst mich halt wie niemand sonst«, antwortete Johanna ebenfalls lächelnd. »Ja, auf jeden Fall nach Blumen, heute habe ich Lust auf kräftige Farben!« Johanna kaufte immer Blumen, wenn die beiden in die Stadt fuhren. »Außerdem benötigte ich noch bunten Tonkarton, ich möchte mit den Schülern etwas für das Sommerfest basteln. Vielleicht einen Baum, an den die Kinder Wünsche hängen können.«

Nur wenige Tage nachdem Johanna damals nach Río Blanco gekommen war, hatte sie begonnen, als Mathematiklehrerin an der kleinen Dorfschule zu arbeiten. Eigentlich hatte sie BWL studiert, aber damals war sie einfach nur froh gewesen, sofort einen Job und somit auch die Möglichkeit gefunden zu haben, neue Kontakte zu knüpfen. Schnell hatte sie gemerkt, dass ihr das Unterrichten und die Arbeit mit den Kindern viel Freude bereitete und inzwischen war sie wirklich zufrieden mit ihrem Job, auch wenn sie manchmal immer noch darüber schmunzelte, dass sie anfangs kaum glauben konnte, dass hier anders schriftlich dividiert wurde. Waren das nicht die universellen mathematischen Gesetze? Aber auch in der Mathematik konnte man wohl auf unterschiedliche Art und Weise zum gleichen Ergebnis kommen, wie in der Sprache.

Wie viele Synonyme und Redewendungen sie bereits gelernt hatte. Sie war stolz darauf, nicht mehr ihr mühsam angeeignetes Schulbuchspanisch, sondern den lokalen ländlichen Slang zu beherrschen. Dieser war davon geprägt, dass die Dorfbewohner indigene Worte in ihre Sätze einbauten. »Eigentlich spannend«, dachte sich Johanna, »auch hier prallen zwei Welten aufeinander – die angeblich traditionell-indigene und die vermeintlich modern-mestizische, die aus westlicher Sicht jedoch alles andere als modern zu sein scheint; und die beiden Kulturen interagieren und verschmelzen, dafür muss man keine 10.000 Kilometer reisen.« War nicht alles eine Frage der Perspektive? Modern und traditionell, wild und zivilisiert, Heimat und Fremde? Und was bedeutete das für ihr Leben? Konnten ihre zwei Heimaten koexistieren? Eigentlich taten sie das sowieso bereits. Aber vielleicht sollte sie das nicht als ständigen Schmerz empfinden, sondern als Bereicherung, so wie bei ihrem »Bauernspanisch«, wie sie ihren linguistischen Lokalkolorit stolz nannte.

Johanna sah lächelnd zu Maria hinüber, die vergnügt neben ihr zur Bushaltestelle marschierte. Ihr Job als Mathematiklehrerin hatte sie Teil der Dorfgemeinschaft werden lassen und Maria in ihr Leben gebracht. Ihre Freundin war Köchin von Beruf und arbeitete ebenfalls an der Schule von Río Blanco, wo sie dafür sorgte, dass alle Schüler täglich eine warme Mahlzeit bekamen. Manche Kinder stammten aus entlegenen Dörfern und mussten die langen Schulwege zu Fuß zurück-legen. Und Johanna war sich bei einigen Kindern nicht sicher, ob sie, abgesehen von Marias Mittagessen, noch eine weitere Speise am Tag zu essen erhielten.

Maria Gonzales war für Johanna ein Engel, ein Engel mit bräunlichem Teint und schwarzem, lockigem Haar, das ihr bis zur Mitte des Rückens reichte. Sie war kleiner als Johanna, etwas mollig, drei Jahre jünger und ihr Gesicht zierte nicht selten das strahlendste Lächeln, das Johanna je gesehen hatte. Man merkte, dass dieses Lächeln direkt aus dem Herzen kam. Maria war mit ihren Eltern und ihren fünf Geschwistern in Río Blanco aufgewachsen und hatte Johanna nach ihrer Ankunft geholfen, sich in der Schule und im Dorf zurecht zu finden. Obwohl sie am Anfang beide etwas schüchtern gewesen waren, hatte Maria Johanna nach und nach ihren Freundeskreis vorgestellt, der inzwischen auch zu Johannas geworden war und ihr das Einleben erleichtert hatte. Marias und Johannas Freundschaft war immer enger und Marias Eltern und Geschwister für Johanna zu einer zweiten Familie geworden – eine Familie, die sie sich selbst ausgesucht hatte. Marias Mutter freute sich jedes Mal, wenn Johanna bei ihnen aß und mit den Geschwistern, vor allem den beiden Schwestern, verstand sich Johanna bestens. Als es Johanna besonders schlecht gegangen war, hatte sich die gesamte Familie Gonzales liebevoll um sie gekümmert und Johanna fragte sich, ob sie diese Unterstützung jemals zurückgeben konnte, auch wenn sie wusste, dass das niemand von ihr erwartete. Die Herzensgüte der Menschen aus Río Blanco und besonders von Marias Familie und Freunden hatte sie schließlich zum Bleiben bewogen. Und Pedro, Marias Verlobter, war wirklich der perfekte Partner an ihrer Seite. Sie gingen so liebevoll miteinander um und Pedro unterstützte Maria, wo er nur konnte. Bald würden die beiden heiraten und dann zusammenziehen und ihre gemeinsame Familie mit Baby Cristina gründen.

»Ah, ich sehe schon unseren Bus«, rief Maria, und in der Tat erblickte nun auch Johanna das Fahrzeug in der Ferne.

Die beiden Frauen winkten es heran, stiegen ein und bezahlten. Heute war Samstag und es war ziemlich voll. Nur kurze Zeit später kamen mehrere Frauen mit großen Körben hinein und riefen laut »Brombeereis, Erdbeereis«. Maria kaufte zwei Mal Brombeergeschmack und reichte eins Johanna. Obwohl es nicht sonderlich warm war, genoss Johanna das Eis, das in ihrem Mund zu süßem Brombeersaft schmolz. Am Fenster zogen dunkelgrüne Kaffeeplantagen vorbei. Von den langen, gerippten Blättern perlten die letzten Wassertropfen des nächtlichen Regens ab. In Kürze würden überall rote Beeren hängen, die Früchte der Kaffeepflanzen. Schon bald änderte sich das Bild und die ersten Gebäude der Stadt erschienen. Oft waren lediglich die Häuserfronten verputzt und aus den Flachdächern ragten Stahlpfosten, für den Fall, dass irgendwann doch noch ein Stockwerk daraufgesetzt werden sollte. Mabaco war nicht weit von Río Blanco entfernt, nur etwa 20 Minuten mit dem Bus. »Die perfekte Zeitdauer, um ein Eis zu essen«, dachte sich Johanna, einen Gedanken, den sie vermutlich mit den emsigen Verkäuferinnen teilte.

Da sah Johanna bereits die ersten Schuhputzer, deren Stände am Straßenrand aufgebaut waren. Die Ampel schaltete auf Rot und Johanna beobachtete eine Schuhputzerin, die etwa 40 Jahre alt war und vor einem älteren Mann kniete. Dieser saß etwas erhöht, zeitungslesend auf einem Bänkchen vor ihr. Hingabevoll trug sie eine schwarze Creme auf ihr Schwämmchen auf, rieb erst den linken und dann den rechten Schuh damit ein und polierte die Schuhe daraufhin mit einem Tuch, indem sie das Tuch direkt über dem Schuh in schnellem Tempo erst in die eine und dann in die andere Richtung zog. Ihr zuzusehen entspannte Johanna, es war fast meditativ. Als die Ampel auf Grün schaltete und sie weiterfuhren, spürte Johanna Marias Blick auf sich. Sie wandte den Kopf vom Fenster zu Maria und diese lächelte sie an.

»Alles okay, meine Süße? Du wirkst heute so nachdenklich.«

»Alles gut«, antwortete Johanna, »ich bin wohl noch etwas müde«.

Der Vormittag in Mabaco verging wie im Flug. Maria fand im dritten Laden einigermaßen bequeme Schuhe – sie gab zu, dass ihre müden Füße vielleicht doch auch an der Schwangerschaft lagen – und Johanna kaufte zwei Bündel Rosen, eines in Sonnengelb und eines in knalligem Pink. Danach gönnten sich die beiden knusprige Käseempanadas und herrlich duftende Nusszimtmuffins, die in ihrem Lieblingscafé gerade frisch aus dem Ofen gekommen waren. Als sie sich schon wieder auf den Weg zurück zum Bus gemacht hatten, blieb Johanna vor einem kleinen Laden stehen, in dessen Schaufenster zwei türkise Armbänder auslagen. Sie waren aus feinen, leuchtenden Glasperlen gearbeitet; das eine Armband bestand aus runden und das andere aus eckigen Perlen. Kurz entschlossen betrat Johanna das Geschäft und kaufte die beiden Schmuckstücke. Sie liebte Armbänder und hatte eigentlich schon mehr als genug. Aber sie entdeckte doch immer noch ein neues, noch schöneres und konnte dann einfach nicht widerstehen, vor allem nicht, wenn es türkis war. Johanna fand, dass Armbänder nicht so auffallend wie Ketten waren, sie aber dennoch jedes Outfit zu etwas Besonderem machten. Das Armband mit den runden Perlen schenkte sie Maria, die sich herzlich bedankte. Das andere streifte sie über ihr eigenes Handgelenk. Als Johanna die Freude über das kleine Geschenk in den Augen ihrer Freundin sah, kam ihr in den Sinn, dass sie eine Überraschungsbabyparty für Maria veranstalten könnte. Sie könnte alle ihre Freunde einladen und jeder könnte ein kleines Geschenk für Maria oder das Baby mitbringen und Maria so mit der Ausstattung helfen. Mit diesem positiven Gedanken und voller Vorfreude stieg sie nach Maria in den Bus, sodass ihre Freundin auf der Rückfahrt am Fenster sitzen konnte. Die gemeinsame Zeit tat Johanna jedes Mal richtig gut. Als sie schließlich etwas erschöpft, aber glücklich die Tür zu ihrem Häuschen aufschloss und nach Coco rief, kam dieser gemütlich angeschlendert, schnurrte sein Frauchen zur Begrüßung an und begann dann neugierig an den Rosen zu schnuppern.

2. Kapitel

Am Montagmorgen schien die Sonne. »Ein perfekter Start in die neue Woche«, dachte sich Johanna. Als sie den Tonkarton für ihre Schüler einpacken wollte, fiel ihr auf, dass sie ganz vergessen hatte, welchen zu kaufen. Na ja, dann würde sie ihn eben bei ihrem nächsten Ausflug in die Stadt mit Maria besorgen oder vielleicht gab es auch mal wieder beim Schreibwarenladen in Río Blanco Tonpapier. Sie warf einen kurzen Blick in den Spiegel über ihrer Kommode, auf der das türkise Armband, das sie am Samstag gekauft hatte, lag. Ihr glattes, hellbraunes Haar trug sie zu einem Zopf zusammengebunden. Johannas Haare waren gerade lang genug, um ihren typischen Pferdeschwanz zu machen, den sie für die Arbeit am angenehmsten fand. Ihre Augen waren ebenfalls hellbraun, fast haselnussfarben. Johanna war Ende 20, mittelgroß – im Vergleich mit den hiesigen Frauen wohl eher groß – und ihr wurde oft gesagt, dass sie zu dünn sei. Wie unterschiedlich die Schönheitsideale doch waren, in ihrer alten Welt wäre sie als völlig normalgewichtig durchgegangen!

Johanna mochte kräftige Farben und trug heute eine weinrote Bluse und eine gelbe eng anliegende Stoffhose. Sie schaute noch ein letztes Mal in den Spiegel, zog ihren Pferdeschwanz fest, schnappte sich ihre Tasche, stricht Coco über den Kopf und verließ das Haus.

Sie ging den zehnminütigen Fußweg zur Schule und genoss die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht, sie waren eine willkommene Seltenheit in Río Blanco. Kurz darauf betrat sie das kleine, etwas baufällige Schulgebäude. Hier wurden etwa 300 Schüler im Alter von 10 bis 17 Jahren unterrichtet.

Als Johanna das spärlich eingerichtete Lehrerzimmer betreten wollte, verließ ein älterer Mann, den sie zuvor noch nie gesehen hatte, den Raum. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte Johanna verwundert.

»Ehrlich gesagt ja, mein Name ist Manuel, ich bin als Kind hier zur Schule gegangen und nun hat es mich nach vielen Jahren in meinen Heimatort zurück verschlagen. Ich habe einen Termin mit der Direktorin. Sie müssen wissen, dass ich als Englischlehrer gearbeitet habe und ich dachte mir, vielleicht kann ich hier ab und zu ein bisschen aushelfen?«

Johanna nickte, lächelte ihn an, stellte sich ebenfalls vor und begleitete Manuel zum Zimmer der Direktorin. »Ich drücke die Daumen, neue Kollegen können wir immer gebrauchen«, sagte sie noch aufmunternd und machte sich dann auf den Weg zu ihrer eigenen Klasse.

Der Vormittag verlief ruhig; dieses Schuljahr hatte Johanna eher jüngere Klassenstufen, was sie persönlich bevorzugte, da das Interesse bei den Kleinen leichter geweckt und aufrechterhalten werden konnte als bei den älteren Schülern. In der Mittagspause ging sie in die Kantine und bekam von Maria einen großen Schöpflöffel Suppe mit einer Einlage aus Kochbananenbällchen auf ihren Teller. Johanna erzählte ihrer Freundin über den Tresen hinweg von der Begegnung mit Manuel, der Maria noch nicht über den Weg gelaufen war.

»Neue Kollegen sind immer gut für unsere Schule«, meinte sie und Johanna stimmte ihr lächelnd zu; genau das Gleiche hatte sie auch gedacht.

»Und vielleicht kann er mir sogar ein bisschen dabei helfen, mein Englisch aufzupolieren«, fügte Maria hinzu.

»Good luck«, sagte Johanna mit einem Augenzwinkern und ging mit ihrem Tablett mit dem übervollen Suppenteller in Richtung eines freien Tisches am Fenster.

Nach der Schule legte Johanna sich mit Coco auf ihr nebelfarbenes Sofa und begann, nachdem sie kurz mit Marias Verlobten Pedro Rücksprache gehalten hatte, Nachrichten an die Freunde von Maria zu versenden, um die Überraschungsbabyparty für Maria und Cristina zu organisieren. Sie lud Marias Geschwister, Eltern, zwei Kollegen, vier Freundinnen und natürlich Pedro für den letzten Samstagnachmittag dieses Monats zu sich ein. Sie wollte einen Kuchen und Muffins backen. Auch wenn Johannas Figur dies nicht vermuten ließ, liebte sie alles was süß war und hatte eine riesige Rezeptsammlung. Insgeheim interessierte sie die Rezeptur der Nusszimtmuffins aus ihrem Lieblingscafé in Mabaco brennend. Aber noch hatte sie sich nicht getraut, danach zu fragen. Dabei wäre es höchst praktisch, ein lokales Rezept in ihrem Repertoire zu haben, denn für die meisten ihrer Kuchen konnte sie die Zutaten hier nicht finden. Ab und zu gab es in Macabo Quark oder Mascarpone, aber wirklich darauf zählen konnte man nicht. Gemahlene Nüsse und Mohn waren noch schwieriger zu finden, ebenso wie Blätterteig oder Krokant. Johanna grübelte darüber nach, dass sie statt einer Erdbeer-Biskuit-Rolle wohl eher einen Mangokuchen machen sollte, aber sie hatte keine Ahnung, wie der schmecken würde. Irgendwie hatte sie sich lange nicht mehr getraut, etwas Neues auszuprobieren. Früher hatte sie das Abenteuer geliebt, jetzt machten ihr Veränderungen Angst. Ihr Häuschen, Coco und der Dschungelgarten waren ihr Rückzugsort, hier fühlte sie sich sicher.

Johanna seufzte. Ihr Blick schweifte mal wieder aus dem Fenster. Draußen war es dunkel. Ihre Armbanduhr verriet, dass es sieben Uhr abends war; im Gegensatz zu ihrer alten Heimat ging die Sonne hier das ganze Jahr über etwa zur gleichen Zeit auf und unter. Sie überlegte, was sie zu Abend essen könnte. Anders als das Backen, bereitete ihr das Kochen keine Freude. Drei Scheiben Brot würden für ihr Abendessen nach der großen Suppenportion von Maria heute Mittag sicherlich genügen. Sie erhob sich vom Sofa, was Coco aufwachen ließ und gemeinsam gingen sie Richtung Kühlschrank beziehungsweise Futternapf.

Es sollte ein paar Tage dauern, bis Johanna Manuel wieder traf. Genau genommen war es am Donnerstag der darauffolgenden Woche, als sich ihre Wege vor der großen Eingangstür zur Schule kreuzten.

»Guten Morgen, Johanna«, lächelte ihr Manuel entgegen, »das Daumendrücken hat geholfen, ich arbeite nun fünf Stunden die Woche als Englischlehrer an der Schule, an der ich damals meine eigene Liebe für die englische Sprache entdeckt habe!«

»Herzlichen Glückwunsch«, antwortete Johanna, ebenfalls mit einem Lächeln und entschied sich Manuel zu duzen, da er fortan ihr Kollege war, »das freut mich sehr für dich, welche Jahrgangsstufe wirst du unterrichten?«

Während Manuel erzählte, dass er sich um die Sprachkenntnisse der älteren Schüler kümmern werde, betrachtete Johanna ihn verstohlen. Manuel war sicher älter als ihre Eltern, aber jünger als ihr Großvater, wahrscheinlich war er Ende sechzig. Er hatte graues, noch ziemlich fülliges Haar, war klein gewachsen und teilte mit den Bewohnern Río Blancos seine typische zimtbraune Hautfarbe. Irgendwie war Manuel ihr auf Anhieb sympathisch, er hatte so eine offene und freundliche Art. Wo mochte er wohl all die Jahre gewesen sein und warum hatte er das Dorf verlassen?

»Die Kinder für das Lesen zu begeistern, ist meine eigentliche Mission, ich habe so viele spannende Bücher, ehrlich gesagt zu viele, also falls du Interesse an englischer Literatur hast, kann ich dir sehr gerne ein paar Bücher ausleihen«, beendete Manuel seinen Satz.

Johanna dachte an den Bücherstapel auf ihrem Nachtkästchen und antwortete Manuel, dass sie wohl eine erste Gemeinsamkeit gefunden hätten und sie sich immer über neuen Lesestoff freue.

»Das ist ja fantastisch«, erwiderte Manuel, »lass uns morgen zusammen in der Kantine zu Mittag essen, da habe ich meine Klasse direkt vor der Mittagspause und kann dir ein paar Bücher zur Auswahl mitbringen.«

Johanna stimmte dem Vorschlag zu und bedankte sich gespannt, was das Mittagessen am nächsten Tag wohl mit sich bringen würde.

Manuel hatte ihr drei Bücher zur Auswahl mitgebracht, einen Krimi, einen historischen Roman und ein Kinderbuch. Johanna griff instinktiv nach dem Kinderbuch, so etwas lag bisher definitiv nicht auf ihrem Nachttisch.

Manuel lächelte ihr zu, sagte mit einem Augenzwinkern »eine exzellente Wahl« und fragte: »Woher kommst du, Johanna?«

Johanna zuckte kurz zusammen. Diese Frage hatte ihr schon lange niemand mehr gestellt. Ihr blasser Teint und ihr hellbraunes Haar ließen unweigerlich darauf schließen, dass sie keine Einheimische war, doch im Dorf kannte längst jeder ihre Geschichte. »Ich komme aus Europa«, antwortete sie und als Manuel sie schweigend anblickte, begann sie zu erzählen.

Vor fünf Jahren war Johanna zum ersten Mal nach Südamerika gekommen. Sie hatte ein Auslandssemester während ihres BWL-Studiums gemacht und dabei Juan kennengelernt. Sie hatten sich sofort ineinander verliebt und fortan hatten sich Johannas Gedanken nur noch darum gedreht, wie sie sich ein gemeinsames Leben mit ihrem Liebsten aufbauen konnte. Schweren Herzens war sie nach dem Semester zurück in die Heimat geflogen und hatte ihr Studium dort zu Ende geführt. Gegen alle Bedenken und Kritik ihrer Familie war sie nach dem Studium kurzerhand zu Juan gezogen. Dieser hatte damals gerade sein Ingenieurstudium beendet und eine Stelle in Mabaco gefunden. Da sie sich die teuren Mieten in der Stadt nicht leisten konnten, hatten sie beschlossen, das Häuschen in Río Blanco zu mieten.

Auf einmal fühlte sich Johanna wie zurückversetzt in diese Zeit. Sie hatte versucht, Juan aus ihrem Gedächtnis zu streichen, aber natürlich war das unmöglich, alles erinnerte sie an ihn, nicht zuletzt die dunklen Möbel im Schlafzimmer, die ihr jeden Tag beim Aufwachen als erstes ins Auge stachen. Eigentlich hatte sie schon damals, als sie Juan kennengelernt hatte, instinktiv gespürt, dass sie sehr verschieden waren. Es war jedoch gerade diese Andersartigkeit, die Exotik, die Leichtigkeit und Zärtlichkeit Juans gewesen, die sie in einen unsäglichen Bann gezogen hatten. Sein fremdes Heimatland, mit seinen bunten Farben, dschungelartigen Pflanzen und betörenden Düften hatte das Übrige getan. Auf einmal war Johanna nicht mehr die fleißige, zielstrebige, pflichtbewusste BWL-Studentin gewesen; auf einmal war sie frei, voller Abenteuer und Mut. Und niemand hatte das nach ihrer Rückkehr nach Europa – nach ihrem Auslandssemester – verstanden. Ja, ihre Freundinnen hatten eine Willkommensparty für sie veranstaltet und alle hatten wissen wollen, wie das Auslandssemester gelaufen war. Johanna hatte sich über das Interesse gefreut und von ihren Erlebnissen berichtet. Aber nach einer Weile war jeder in seinen Studienalltag zurückgekehrt, einen Alltag, der sich für Johanna nicht mehr wie die beruhigende Routine, sondern wie ein blasses Gefängnis aus Unverständnis anfühlte. Sie gehörte hier nicht mehr hin; hatte sie hier jemals hingehört? War sie nicht aufgebrochen, weil ihr Herz unterbewusst nach etwas anderem gesucht hatte, einem Ort, an dem das Leben einfacher und doch intensiver war? Sie fühlte sich so unverstanden und einsam und die Sehnsucht nach Juan schien sie schier zu zerreißen. Irgendwo im Hintergrund sagte ihr Verstand, unterstützt von ihren Eltern, dass es das Beste für die Karriere, für sie selbst und ihre Zukunft sei, ihr Heimatland nicht zu verlassen. Und selbst Juan meinte einmal, ob sie wirklich schon bereit für ein gemeinsames Leben seien. Dieser Satz hatte Johanna damals sehr verletzt. Natürlich waren sie bereit, sie liebten sich doch und sie wollte alles für ihre gemeinsame Zukunft geben. Schließlich war es rational genug gewesen, zurück nach Europa zu fliegen, um ihr Studium dort zu beenden. Es passte doch alles – sogar ihre Namen, die mit den gleichen Initialen begannen und die Übersetzung des jeweils anderen waren, schienen wie füreinander gemacht zu sein. So zog Johanna zu Juan. Und dann passte auf einmal nichts mehr.

Nachdem die ersten gemeinsamen Monate wie im Traum vergangen waren – Juan und sie hatten problemlos ihr wunderschönes Häuschen in Río Blanco und Johanna die Stelle an der Dorfschule gefunden – wurden die Dinge kompliziert. Juan musste nicht mehr nur in Mabaco, sondern immer häufiger auch in entfernteren Städten arbeiten und dort übernachten. Johanna fühlte sich nun auch hier einsam und konnte sich nur ihrer neuen Freundin Maria anvertrauen. Mit ihren Eltern und Freunden in der alten Heimat wollte sie nicht über ihre Gefühle sprechen. Sie hätten ihr wohl mit Genugtuung unter die Nase gerieben, dass sie von Anfang an gewusst hatten, dass Johannas Umzug nach Südamerika eine Fehlentscheidung gewesen war. Maria war ihre Rettung gewesen, sie war ein wahrer Goldschatz. Obwohl sie viele Freundinnen hatte, nahm sie sich doch stets Zeit für Johanna und ihre Sorgen. Nach einer Weile erweiterte sich Johannas Freundeskreis und Marias Freundinnen wurden zu ihren eigenen. Ihre anfängliche Angst, womöglich keine Freundinnen in Río Blanco zu finden, war somit unbegründet gewesen. Natürlich hatten die jungen Frauen aus dem Dorf bereits vor ihrer Ankunft eigene Freundschaften gepflegt; doch das bedeutete nicht, dass sie nicht noch Raum für Johanna in ihrem Leben hatten. Die Bewohner Río Blancos zeichneten sich durch eine Herzlichkeit aus, die Johanna davor nicht gekannt hatte. Durch Lucía, eine Freundin von Maria, lernte Johanna Coco kennen. Lucías Katze hatte Jungen bekommen und Johanna hatte Juan davon überzeugt, das kleinste der drei Katzenbabys, den kuscheligen weißen Flauscheball, dem sie den Namen Coco gab, zu adoptieren. Coquito, wie sie ihren Kater zärtlich nannte, wurde zu Johannas treusten Begleiter. Wenn Juan auswärts übernachten musste, durfte Coco bei ihr im Bett schlafen und kuschelte sich gelegentlich am Fußende des Betts als runde Fellkugel zusammen. Meistens legte er sich jedoch direkt neben ihren Kopf, sodass er sie manchmal durch sein leises Schnarchen weckte.

Juan und Johanna entfremdeten sich immer mehr. Während sie ihn auf seinen Reisen schrecklich vermisste, wollte er seine Karriere vorantreiben. Johanna begann über ihre eigene Karriere nachzudenken, der sie in Río Blanco niemals nachgehen könnte und Juan kam mit dem alten Argument, dass er ja von Anfang an gesagt hätte, dass es zu früh für ein gemeinsames Leben gewesen sei. Aber lag es wirklich am Timing? Johanna kamen immer mehr Zweifel. Wenn sie ein gemeinsames Leben aufbauen wollten, wäre das doch auch jetzt möglich, je mehr gemeinsame Jahre, desto besser, oder? Vielleicht wollten sie unterschiedliche Dinge im Leben, ziemlich sicher sogar. Aber nun waren sie doch schon vier Jahre zusammen, hatten sich während ihrer Fernbeziehung in Johannas letztem Studienjahr so unendlich vermisst und sie war extra für ihn hergezogen. Sie hatten ihr gemeinsames Heim eingerichtet und Johanna hatte endlich Freundinnen gefunden… jetzt konnten sie doch nicht aufgeben! Und was sollte sie dann tun? Zurück zu ihren Eltern und Freundinnen nach Europa ziehen, die sie nicht verstanden und die von Anfang an gegen ihr Leben mit Juan gewesen waren? Was wäre dann mit Coco? Sie konnte ihn ja nicht einfach exportieren; eine Rückkehr war ausgeschlossen! Auf einmal empfand Johanna die Exotik ihrer neuen Heimat nicht mehr als Abenteuer und Freiheit, sondern als bedrohliche Fremde, fast als Käfig. Sie hatte das Gefühl, nirgends mehr hinzugehören, nirgends zu Hause zu sein.

Die Auseinandersetzungen mit Juan nahmen zu. Wenn sie sich nicht sahen, vermissten sie sich, wenn sie sich sahen, stritten sie sich. Selten verbanden die beiden glückliche Momente, an die sich Johanna dann jedoch wie an einen Rettungsring klammerte. Die Qual der Fernbeziehung in der Vergangenheit, die von Schmerz geprägte Gegenwart und die Angst vor der Zukunft, die keine gemeinsame Richtung anzunehmen vermochte, lasteten auf ihrer Beziehung. Und doch – jedes Mal, wenn Juan andeutete, sich zu trennen, konnte Johanna den Gedanken nicht ertragen. Ihr Herz war erfüllt von Furcht und tiefer Traurigkeit. Als Maria sie wieder einmal tröstete, bot sie Johanna an, dass sie und Coco eine Zeit lang bei ihr und ihren Eltern leben könnten, um dem Strudel der negativen Gefühle für eine Weile zu entkommen und Klarheit zu gewinnen. In der Zeit, in der sie bei Maria lebte, entschied Johanna schließlich, die Beziehung zu Juan zu beenden. Sie schrieb ihm einen Brief, den sie eines Abends, als sie wusste, dass Juan gerade auf Dienstreise war, weinend unter der Tür ihres gemeinsamen Häuschens durchschob. Im Grunde ihres Herzens hoffte sie, dass Juan den Brief nicht als Ende ihrer Beziehung, sondern als schmerzhaften Aufschrei verstehen würde, als eine letzte Chance, um für ihre Beziehung zu kämpfen. Sie hatte gebetet, dass es doch noch eine gemeinsame Lösung gab. Ihr Verstand, der ihr sagte, dass es aus war und ihr Herz, das diese Tatsache einfach nicht wahrhaben wollte, fanden keinen gemeinsamen Nenner. An dem Morgen, als Johanna am Frühstückstisch von Marias Familie saß, während Maria in den Briefkasten schaute und mit einem Schlüssel in der Hand zu Johanna zurückkam, brach Johannas Welt endgültig zusammen. Juan hatte den Schlüssel zu ihrem gemeinsamen Haus wortlos in den Briefkasten geworfen. Als sie zu ihrem Häuschen rannte und atemlos mit zittrigen Fingern die Eingangstür aufschloss, merkte sie sofort, dass alles anders war. Weinend schleppte sie sich ins Schlafzimmer und öffnete die dunkelbraune Schranktür von Juans Teil des Kleiderschranks. Es war alles leer; Juan war ausgezogen und ihre Beziehung war endgültig beendet.

Johanna spürte, wie jemand ihre Hand drückte. Sie blickte auf. Es war Manuel. Mit der anderen Hand reichte er ihr ein Taschentuch. Auf einmal merkte Johanna, wie ihr Tränen die Wangen herunterliefen. Sie erinnerte sich, dass sie mit Manuel in der Kantine saß. Peinlich berührt griff sie nach dem Taschentuch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie stammelte, dass sie nun gehen müsse, um den Unterricht für morgen vorzubereiten, steckte das englische Kinderbuch in ihre Tasche, schenkte Manuel ein flüchtiges Lächeln und stand vom Tisch auf. Manuel erwiderte das Lächeln und wünschte ihr ein schönes Wochenende.

»Verdammt, morgen ist schon Samstag«, erinnerte sich Johanna.

Sie wünschte Manuel ebenfalls ein gutes Wochenende und verließ schnellen Schrittes die Kantine.

3. Kapitel

Am nächsten Tag war die Überraschungsfeier für Maria. Johanna hatte unruhig geschlafen und als sie gefühlt endlich in einen tiefen Schlaf versunken war, hatte auch schon ihr Wecker geklingelt. Müde schälte sie sich aus dem Bett und schlurfte in die Küche. Coco war in Höchstform und flitzte durch die Wohnung. Immer wieder schaute er Johanna erwartungsvoll an, bis sie sich erbarmte, einen seiner kleinen Spielbälle in die Hand nahm und ihn Richtung Eingangstür warf. Sofort rannte Coco hinterher und blieb dann neben dem Bällchen sitzen, bis Johanna ebenfalls zum Ball lief, ihn aufhob und erneut warf. Das war Cocos absolutes Lieblingsspiel. Als Johanna zum x-ten Mal den Ball müde aufgehoben und geworfen hatte, musste sie doch in sich hineinlächeln. Coco war eben kein gut erzogener Hund, der brav apportierte, sondern ihr Flauschekater, der sie dazu erzogen hatte, sein Bällchen zu werfen, ihm hinterherzugehen und es einzusammeln. Sie würde Coquito für nichts auf der Welt hergeben.

Sie öffnete das Küchenfenster, damit Coco in den taufeuchten Garten springen konnte und folgte ihm durch die Schlafzimmertür, um etwas von dem Zitronengras abzuschneiden, das in der Mitte ihres Gartens wucherte. Es könnte so schön sein, würde sie nicht immer alles an Juan, an ihre verdammte Vergangenheit erinnern. Die quälenden Fragen, ob sie wohl die richtigen Entscheidung getroffen hatte, hingen wie so oft schwer über ihrem Gemüt. Das gestrige Gespräch mit Manuel hatte wieder alles aufgewühlt, was wollte er überhaupt hier? Sie merkte wie Wut in ihr aufstieg – Wut auf Manuel, auf sich selbst, auf die Nässe und die ganze Welt. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und ging zurück in die Küche, um das Wasser für ihren Zitronengrastee aufzusetzen. Es half ja nichts, heute war die Babyparty für Maria und sie wollte ihrer Freundin einen schönen Nachmittag bescheren. Johanna begann damit die Zutaten für einen Bananenkuchen abzuwiegen. Sie hatte sich überlegt, dass ein Bananenkuchen nicht zu anspruchsvoll für die hiesigen Zutaten und nicht zu exotisch für ihre Backfähigkeiten war und war gespannt, was ihre Gäste wohl dazu sagen würden. Außerdem würde sie ihre berühmten Schokoladenmuffins machen, damit war sie auf der sicheren Seite, denn die schmeckten wirklich jedem. Als sie fertig gebacken hatte, aß sie eine Kleinigkeit zu Mittag und zog sich ein beiges Wollkleid mit kurzen Ärmeln an. Sie stellte die Muffins und den wohlduftenden Kuchen auf den Esstisch. Zwar hatte sie nicht genug Stühle für alle Gäste, aber wenn sich ein paar von ihnen auf der Couch niederließen, sollte es ausreichend Sitzgelegenheiten für alle geben. Da fiel ihr siedend heiß ein, dass sie kein Geschenk für Maria hatte. Schnell lief sie ins Arbeitszimmer und bastelte einen Gutschein zum Babysitten. Sie schnitt ein pinkes Blatt Papier mit einer Zickzackschere zurecht und malte links und rechts vom Wort »Gutschein« einen kleinen Kolibri. Eigentlich war ihr Geschenk perfekt, es würde Maria und Pedro etwas Zeit für sich als Paar geben und sie könnte für Cristina da sein. Kurz ging ihr der Gedanke durch den Kopf, ob sie überhaupt in der Lage wäre, auf ein Baby aufzupassen, aber da klingelte es auch schon an der Haustür.

Es war Lucía. Johanna begrüßte sie mit einer festen Umarmung und Coco drückte sich an Lucía vorbei mit in die Wohnung. Seine wieder mal erfolglose Kolibrijagd im Garten schien für heute beendet zu sein. Der Kater mochte Lucía gerne, wahrscheinlich erinnerte er sich daran, dass er die ersten Wochen seines Lebens bei ihr verbracht hatte. Er rieb sein Köpfen an ihrem Bein, während diese sich ihre Jacke auszog, und begann alsbald zu schnurren.

»Wie geht es dir?«, fragte Johanna.

Lucía lächelte und antwortete, dass so weit alles in Ordnung wäre und sie zur Qualitätsmanagerin befördert worden war. Sie arbeitete in einer der Rosenfabriken, etwas außerhalb von Mabaco, auf der Stadtseite die Río Blanco abgewandt war. Dort hatte sie als Rosenpflückerin begonnen und war seitdem ständig aufgestiegen, erst zur Schichtleiterin und nun zur Qualitätsmanagerin, um die gepflückten Rosen für den Export zu überprüfen. Johanna wusste jedoch, dass es insgeheim Lucías Wunsch war, einen Blumenladen zu besitzen und sie nur darauf wartete, bis sie genug Geld dafür gespart hatte. Johanna gratulierte Lucía zu ihrer Beförderung und nahm sie fest in den Arm. Wenig später trudelten die anderen drei Freundinnen ein – Sara, Carla und Daniela.

»Mmh, das duftet nach Bananenbrot«, merkte Sara an.

Johanna fühlte sich innerlich sofort erleichtert und war dankbar für Saras Kommentar.

»Du hast aber auch die Schokomuffins gemacht, oder?«, erkundigte sich Daniela.

»Klar«, grinste Johanna.

»Das ist nämlich der eigentliche Grund, warum ich zu Marias Babyparty zugesagt habe«, verkündete Daniela mit einem Augenzwinkern und Carla boxte ihr freundschaftlich in die Seite.

Die fünf nahmen auf dem Sofa Platz und Coco hüpfte sofort auf Lucías Schoß, die ihn zärtlich hinter den Ohren kraulte. Kurz darauf klingelte es erneut an der Tür und Marias und Johannas Kollegen – Mateo und Pablo – trafen ein. Johanna hatte kein enges Verhältnis zu den beiden, mochte sie jedoch gerne und wusste vor allem, dass Maria sich prächtig mit ihnen verstand, da die drei damals zum gleichen Zeitpunkt begonnen hatten, an der Schule zu arbeiten. Mateo unterrichtete Englisch und Pablo war der Hausmeister. Die Geschenke für Maria, Pedro und Cristina begannen sich auf der Küchenanrichte aufzutürmen. Dann kamen Marias Eltern und Geschwister.

»Nun fehlt nur noch der Star des Nachmittags«, sagte Pablo gerade, als sie just in diesem Moment ein Klopfen vernahmen.

Johanna öffnete die Haustür und als Maria und Pedro eintraten, war aus dem Inneren des Häuschens ein lautes »Überraschung« zu hören. Maria blickte über Johannas Schulter ins Wohnzimmer und als sie die Freunde sah, begann sie über beide Mundwinkel hinweg zu strahlen.

In gespielt vorwurfsvollen Ton wandte sie sich an ihren Verlobten und sagte: »Und du hast mir gar nichts von der Party verraten!«

Pedro zuckte mit den Schultern und konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Er liebte es, seine Frau so glücklich zu sehen.

Der Nachmittag verging wie im Flug. Maria und Pedro bekamen Strampler, Windeln, Fläschchen und ein paar Spielsachen für Cristina – sowie einen Gutschein zum Babysitten. Die Stimmung war ausgelassen, alle lobten den Kuchen und die Muffins. Coco lag zusammengerollt auf der Sofalehne und schlief tiefenentspannt; er liebte den Trubel! Als es dunkel wurde, brachen die Gäste nach und nach auf. Am Ende blieben lediglich Johanna, Maria, Pedro und Coco auf der Couch zurück. Pedro betrachtete lächelnd die großzügigen Geschenke und strich Maria gedankenverloren über den Bauch.

Maria schloss die Augen und lehnte sich zurück. »Vielen Dank, Johanna, dass du diesen wunderbaren Nachmittag für uns organisiert hast.«

Johanna schaute zu Maria und erklärte, dass sie das natürlich sehr gerne gemacht habe und sich freue, dass alle so eine gute Zeit gehabt hätten.

Maria öffnete die Augen und blickte ihre Freundin an. »Sag mal, Johanna, was war eigentlich gestern Mittag los? Ich habe dich mit Manuel in der Kantine gesehen und auf einmal bist du total aufgelöst aufgestanden und gegangen. Ich wollte dir hinterher, musste aber noch die Warmhaltebehälter zurückräumen und als ich die Schule verlassen habe, warst du nicht mehr zu sehen. Abends habe ich Pedro davon erzählt und er meinte sofort, dass wir dich morgen Nachmittag besuchen und aufmuntern sollten, was zugegebenermaßen geschickt eingefädelt war. Aber ich nehme an, dass du nicht geweint hast, um meinem Verlobten einen Vorwand für einen Besuch bei dir zu geben, oder?«

Johanna sah zu Maria und sagte eine Weile nichts.

Schließlich sprach sie mit leiser Stimme.

”Ach Maria, es ist nur… ich meine, du weißt schon… ich kann die alte Geschichte ja selbst nicht mehr hören… Die meiste Zeit schaffe ich es, nicht daran zu denken, oder zumindest nicht so intensiv, dass alles wieder hochkommt. Aber Manuel hat mich gefragt, woher ich komme und als er auf meine Kurzantwort geschwiegen hat, habe ich ihm die ganze Geschichte erzählt, von Juan und so. Und dann musste ich an meine Eltern denken, meine Karriere, die niemals eine wurde, was ich hier überhaupt noch mache und wohin ich denn sonst soll. Ich fühle mich manchmal so verloren… ehrlich gesagt fühle ich mich die meiste Zeit ganz verloren.«

Sie strich über Cocos Köpfchen. Sie weinte nicht; eigentlich war es eine ziemliche Überraschung gewesen, dass ihr gestern die Tränen gekommen waren. Anfangs, in den ersten Wochen nach der Trennung, waren ihre Augen kaum trocken geblieben. Aber inzwischen war über ein Jahr seit Juans Auszug vergangen und nun waren es meistens keine Regenwolken mehr, sondern einfach nur schwerer feuchter Nebel, der über ihrem Gemüt hing. Und dieser Nebel war manchmal so dick, dass die Sonne sich anstrengen musste, sich einen Weg durch das große Grau in ihrem Kopf bahnen zu können. »Passend zum Wetter in Río Blanco«, dachte sich Johanna zynisch. Natürlich gab es auch viele glückliche Momente, wie heute Nachmittag oder wenn sie ihre Schüler unterrichtete oder wenn sie mit Maria nach Mabaco fuhr. Aber früher oder später verdichteten sich die Nebelwolken wieder.

»Dann hatte Pedro mit seinem Vorwand für diesen Besuch wohl doch nicht so unrecht«; Maria schaute sie an: »Du weißt, Johanna, mein Elternhaus und Pedros und meine Arme sind immer offen für dich«.

Pedro nickte aufmunternd.

Johanna schaute die beiden an: »Ich danke euch so sehr!« Sie nahmen sich alle drei fest in den Arm. Johanna spüre ein leichtes Treten aus Marias Bauch und lächelte.

Maria blickte ihr in die Augen: »Das Leben geht weiter, Johanna. Und es kann nur vorwärts gelebt werden, auch wenn wir es manchmal erst rückblickend verstehen. Wenn deine Gedanken ständig in der Vergangenheit hängen, wird deine Gegenwart zu deiner Vergangenheit. Du wiederholst ständig das Erlebte. Für deinen Körper macht es keinen Unterschied, ob du das Leid tatsächlich durchlebst oder es dir nur vorstellst; du siehst es, an der physischen Reaktion deiner Tränen und daran, wie unwohl du dich fühlst. Es tut mir so weh, dich traurig zu sehen, Johanna. Ich weiß, du möchtest das jetzt nicht hören, meine Süße, aber so lange du dich nur als Opfer der Umstände siehst – als Opfer von Juan, von vermeintlich verpassten Karrierechancen, vom Wetter – wird sich nichts ändern. Du bist die Schöpferin deines Lebens, erschaffe es!

---ENDE DER LESEPROBE---