Neue Autorität in multikulturellen Erziehungskontexten - Angela Eberding - E-Book

Neue Autorität in multikulturellen Erziehungskontexten E-Book

Angela Eberding

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Beschreibung

In der heutigen Zeit bringen es berufliche Mobilität, Freizügigkeit, Flucht und Wanderungen mit sich, dass Menschen mit unterschiedlichen Werten, religiösen Einstellungen, Bräuchen, Erziehungsvorstellungen und Erwartungen zusammen leben, lieben und arbeiten. Diese Vielfalt bedeutet Herausforderungen auf allen Seiten. Eine gelungene interkulturelle Beratung ist getragen von Respekt, Kooperationsbereitschaft, Gleichwertigkeit und Gewaltlosigkeit. Anhand vieler Fallbeispiele zeigt Angela Eberding, wie das Spektrum von Methoden, Handlungsräumen und Problemlösestrategien sowohl für einheimische Professionelle wie für Ratsuchende mit mehr als nur einer kulturellen Wurzel erweitert werden kann. Auf Basis des Konzepts der Neuen Autorität und des Gewaltlosen Widerstandes gibt sie Empfehlungen für professionelles Vorgehen und die Berücksichtigung unterschiedlicher kultureller Werte.

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Leben.Lieben.Arbeiten SYSTEMISCH BERATEN

Herausgegeben vonJochen Schweitzer undArist von Schlippe

Angela Eberding

Neue Autorität in multikulturellen Erziehungskontexten

Mit 5 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Luciano Mortula – LGM/shutterstock.com

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2625-6096

ISBN 978-3-647-99944-9

Inhalt

Zu dieser Buchreihe

Vorwort von Arist von Schlippe

Einleitendes

I Der Kontext

1Kultur

2Stereotype

3Umgang mit Sprachbarrieren

4Haltung

4.1Systemische Haltung

4.2Haltung als Basis interkultureller Kompetenz

4.3Haltung in der Neuen Autorität

II Die systemische Beratung

5Joining

6Genogramm

7Auftragsklärung

8Zirkuläres Fragen

9Spracharme und symbolisch-handlungsorientierte Methoden

9.1Landkarten und Bilder

9.2Papier und Stift

9.3Zeitlinie und andere körperorientierte Methoden

9.4Familienbrett

9.5Kleine Skulpturen und Skulpturelemente

10Fazit und Ausblick

III Am Ende

Literatur

Die Autorin

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwermachen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) betreffen unsere intimen Beziehungen, deren Anfang und deren Ende, Liebe und Hass, Fürsorge und Vernachlässigung, Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten.

Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben, allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick.

Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen Grundlagenwissen (1996/2012) und zum störungsspezifischen Wissen (2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das kontextspezifische Wissen der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind.

Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten.

Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort

Es ist nun schon mehr als zwanzig Jahre her, dass ich Haim Omer kennenlernte und mit ihm seine Idee, Haltung und Praxis des gewaltlosen Widerstands auf die Beratungsarbeit mit Eltern zu übertragen. Ich freue mich, die nach wie vor steigende Resonanz auf diese Überlegungen zu erleben. Sie fallen offenbar bei Menschen auf fruchtbaren Boden, die in irgendeiner Form mit Hilflosigkeit konfrontiert sind – und das sind viele! Ging es anfangs vor allem um Eltern, die sich vor ihren Kindern fürchteten, weitete sich der Ansatz später aus: von der Verbesserung der Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule, über die Unterstützung geschlagener Frauen bis hin zu ganz anderen Bereichen, etwa Führung und Management. Ganz offenbar bieten die Haltung und die sich daraus ableitenden Methoden des gewaltlosen Widerstands die Chance, der Falle des Entweder-oder zwischen der ständigen Steigerung explosiver Spannung oder nicht endender Nachgiebigkeit zu entkommen.

Das neue Bild von Autorität erleben bis heute viele als befreiend. Es ist ein Bild, das nicht die Vorstellung der »Stärke der Faust« vermittelt, sondern die der »Stärke des Ankers«, der freundlichen Beharrlichkeit. Es geht um die Suche nach einer Form von verbindender Autorität, die auf Beziehung setzt und nicht auf Durchsetzung von Positionen. Viele Eltern in unserem Kulturkreis sind erleichtert, sich damit in ihrer Elternrolle neu erfinden zu können. Es bietet sich ein dritter Weg an zwischen Nachgiebigkeit auf der einen und überkommenen Elternbildern auf der anderen Seite. Und dieser dritte Weg ist offenbar auch für Führungskräfte, Beratende und viele andere ähnlich attraktiv.

Doch wie verhält es sich mit Menschen, die aus anderen kulturellen Kontexten nach Deutschland kommen? Die Frage, wie ein anderes Verständnis von Autorität von ihnen aufgenommen wird und wie es ihnen auf eine angemessene Weise nahegebracht werden kann, wurde bislang nur selten gestellt. Und so schließt dieses Buch angesichts einer großen Zahl von ratsuchenden Menschen aus anderen Kulturkreisen, die sich in den Sprechzimmern von Erziehungsberatungsstellen, Elternsprechtagen, Behörden und medizinischpsychologischen Praxen wiederfinden, eine wichtige Lücke. Es fordert dazu auf, interkulturelle Kompetenz zu entwickeln – ein durchaus ehrgeiziges Vorhaben. Denn die Unterscheidung zwischen dem deutschen Kulturkreis und »anderen« ist ja nur scheinbar einfach. Tatsächlich sind diese anderen ja in sich vielfältig facettiert, sehr unterschiedlich und oft ist viel Hintergrundwissen erforderlich, um angemessene Zugänge zu Personen zu finden, man denke nur an die Frage, in welchen Kulturen es passt, dem anderen – und dann auch noch differenziert nach männlichem oder weiblichen Geschlecht – zur Begrüßung die Hand zu geben und wann nicht.

Kultursensibilität – und dazu lädt dieses Buch ein – bedeutet nun aber nicht, dass Beraterinnen und Berater sich intensiv in jedem Einzelfall über die jeweiligen Herkunftsländer informieren müssen, ehe die Arbeit beginnen kann. Vielmehr geht es darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass unterschiedliche Kulturen ganz unterschiedliche Kulturstandards mit sich führen, dass Kultur zentral ist, um zu verstehen, wie jemand auf die Welt schaut, und dass sie in vieler Hinsicht – und natürlich besonders im persönlichen, familiären Nahbereich – prägend ist. Mit diesem Bewusstsein lässt sich ein fragender Zugang des Nichtwissens verbinden, einer, der nicht von der Selbstverständlichkeit eines gemeinsam geteilten Weltbildes ausgeht, sondern der neugierig und offen dafür ist, dass die Dinge mit einer anderen kulturellen Brille auch ganz anders aussehen können.

Zugleich gehen Beratende in ein Gespräch ja durchaus mit der Idee hinein, dass der Ansatz der Gewaltlosigkeit auch für ein Elternpaar oder eine Familie mit Migrationshintergrund eine Chance darstellen kann, der Hilflosigkeit zu entkommen, ständige, oft gewalttätige häusliche Auseinandersetzungen zu vermeiden und die mit ihnen einhergehende Erosion der Familienbeziehungen aufzuhalten. Die Kunst besteht hier darin, im Wissen um die Bedeutung von Kultur fragend und einladend zugleich tätig zu sein. Es geht darum, Menschen, die etwa aus Kulturen mit traditionell-autoritären Erziehungsstilen stammen, einzuladen, etwas auszuprobieren, ohne es ihnen überzustülpen. Sie brauchen den Respekt vor ihren Kulturstandards, um von dort aus Neuland betreten zu können.

Die vielen Fallbeispiele in diesem mit großer Sachkenntnis und Erfahrung geschriebenen Buch zeigen, dass all die zu lösenden praktischen und methodischen Probleme eine stabile und tragfähige Basis brauchen und das ist die beraterische Haltung. Lassen Sie sich als Leserin und Leser dazu einladen, aufbauend auf dieser Haltung die Methoden der gewaltlosen Beratungsarbeit kennenzulernen, das Wissen um den Umgang mit Kulturdifferenz zu erweitern und damit die Erfahrung zu machen, dass ein neugierig-fragender Zugang zu einer anderen Kultur neue Räume öffnet, und zwar nicht nur für die Betroffenen, sondern auch ganz konkret für das eigene Leben.

Arist von Schlippe

Einleitendes

In dieser Buchreihe geht es um hilfreiche systemische Praxis, in diesem Band um interkulturelle beraterische Settings. Unter beiden Aspekten betrachtet, spielt Sprache eine wichtige Rolle, denn sie schafft Wirklichkeiten: Wenn ein verlassener, gekränkter, gedemütigter Mann seine Partnerin und seine Kinder tötet, nennen wir das – abhängig von der ihm zugeschriebenen kulturellen Herkunft – »Familientragödie« oder »Ehrenmord«. Was für einen Unterschied machen die beiden Begriffe in unserem Kopfkino!

Mir ist es aufgrund meiner Erfahrungen ein Anliegen, sorgfältig mit Worten umzugehen. So mag ich das Wort »man« nicht verwenden. Hinter diesem Wort kann Mann wie Frau die Verantwortung für das eigene Verhalten wunderbar verstecken. Denn gemeint ist meist »ich« oder »wir«. Auch habe ich früh gelernt, dass niemand seine oder ihre Diagnose »ist«. Ich danke hier meinen ehemaligen Kollegen1 im Kinderhospital Osnabrück, für die es weder einen »Diabetiker« noch eine »Asthmatikerin« gibt. Und ich danke meinem Lehrtherapeuten Arist von Schlippe (1999), der eindrücklich berichtet, was es heißt, »der Wurm von Zimmer 23« zu sein (statt der Patient auf Zimmer 23 mit dem entzündeten Blinddarm).

Genauso wenig »ist« niemand sein oder ihr Verhalten, niemand »ist« verhaltensauffällig, auch wenn er oder sie sich in bestimmten Kontexten auffällig verhält. Und auch ein gewalttätiger Mensch »ist« neben seinem Verhalten noch vieles andere. Für mich »ist« auch niemand ein Flüchtling oder eine Migrantin, denn ich möchte keinen Menschen auf die Art seiner Zuwanderung in unser Land reduzieren.

In interkulturellen Settings, also mit mehr als einer Sprache zu leben, zu lieben und zu arbeiten, war und ist für mich eine Herausforderung und gleichzeitig eine Bereicherung. Ich durfte im Rahmen meiner Promotion ein Jahr in der Türkei leben und die Sprache erlernen. Meine systemische Familientherapie-Ausbildung habe ich bei Arist von Schlippe, Gesa Jürgens und Mohammed El Hachimi mit dem Schwerpunkt »Umgang mit multikulturellen Systemen« absolviert. In meinen beruflichen Kontexten (in Krankenhäusern sowie im Rahmen von Supervisionen und Fortbildungen) waren und sind interkulturelle Begegnungen mein Alltag – ich habe Aufträge in der Schweiz, in Liechtenstein und in Österreich. Ich lebe in Nuenen, einem kleinen Dorf bei Eindhoven, mit meinem niederländischen Mann und schlage mich mit den Gemeinheiten und Feinheiten der niederländischen Sprache herum.

Mit diesem Buch möchte ich die Leserinnen und Leser zu Auseinandersetzungen mit Kultur, Sprache, Werten, stereotypen Bildern (mit den eigenen, anderen oder sogar völlig fremden) einladen und zu einer systemischen Haltung zu all dem. Ich werde das Modell der »Neuen Autorität« (s. hierzu z. B. Omer und von Schlippe, 2002, 2004, 2010; Lemme u. Körner, 2018; Körner et al., 2019) kurz vorstellen, da es eine gewaltfreie Alternative zur traditionellen patriarchalischen Autorität bietet und zwischen der eher relational-kollektivistischen Orientierung »der orientalischen« und der eher individualistischen Orientierung der »westlichen Welt« angesiedelt ist (Hofstede, 2001). Im Anschluss beschreibe ich spezifische Interventionen für multikulturelle Kontexte und verdeutliche das bisher Gesagte an zahlreichen Beispielen.

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