Neue Hoffnung für Bibianne - Patricia Vandenberg - E-Book

Neue Hoffnung für Bibianne E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Bevor Dr. Daniel Norden einen Hausbesuch bei Bibianne Dirksen machte, blieb er stets noch ein paar Sekunden in seinem Wagen sitzen. Er fühlte sich hilflos, weil er die Grenzen ärztlichen Könnens und Wollens erkennen mußte. Bibianne, neunzehn Jahre alt, war schwer nierengeschädigt und konnte nur durch die Dialyse am Leben erhalten werden. Für Dr. Norden war dies auch wieder ein Beweis, daß man auch mit viel Geld nicht alles kaufen konnte, vor allem nicht die Gesundheit. Es war ein wunderschönes Haus, in dem die Familie Dirksen lebte, und an Geld hatte es ihnen nie gemangelt. Der Generaldirektor Bertil Dirksen konnte wenigstens eines für seine geliebte Tochter tun und eine künstliche Niere mieten. Er hätte auch eine Spenderniere gekauft, aber das war nicht einfach. Dr. Norden stand ständig mit Professor Linde in Verbindung, der Bibianne auch schon klinisch betreut hatte. An diesem noch recht rauhen Frühlingstag wurde Dr. Norden von Effi Dirksen, Bibiannes Mutter, mit sorgenvoller Miene empfangen. Sie war eine schöne Frau, nicht die ins Auge fallende betörende Schönheit, sondern die verinnerlichte. »Unsere Kleine ist heute so deprimiert«, sagte sie leise. Wenn ich doch zaubern könnte, dachte Daniel Norden, aber das konnte er eben nicht. Bibianne saß in ihrem bequemen Lehnstuhl. Am Tag nach der Dialyse ging es ihr sonst eigentlich immer recht ordentlich, aber an diesem Nachmittag blickten ihre Augen traurig. Effi Dirksen war eine kluge Frau.

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Dr. Norden Bestseller – 300 –

Neue Hoffnung für Bibianne

Patricia Vandenberg

Bevor Dr. Daniel Norden einen Hausbesuch bei Bibianne Dirksen machte, blieb er stets noch ein paar Sekunden in seinem Wagen sitzen. Er fühlte sich hilflos, weil er die Grenzen ärztlichen Könnens und Wollens erkennen mußte.

Bibianne, neunzehn Jahre alt, war schwer nierengeschädigt und konnte nur durch die Dialyse am Leben erhalten werden. Für Dr. Norden war dies auch wieder ein Beweis, daß man auch mit viel Geld nicht alles kaufen konnte, vor allem nicht die Gesundheit.

Es war ein wunderschönes Haus, in dem die Familie Dirksen lebte, und an Geld hatte es ihnen nie gemangelt. Der Generaldirektor Bertil Dirksen konnte wenigstens eines für seine geliebte Tochter tun und eine künstliche Niere mieten.

Er hätte auch eine Spenderniere gekauft, aber das war nicht einfach. Dr. Norden stand ständig mit Professor Linde in Verbindung, der Bibianne auch schon klinisch betreut hatte.

An diesem noch recht rauhen Frühlingstag wurde Dr. Norden von Effi Dirksen, Bibiannes Mutter, mit sorgenvoller Miene empfangen.

Sie war eine schöne Frau, nicht die ins Auge fallende betörende Schönheit, sondern die verinnerlichte.

»Unsere Kleine ist heute so deprimiert«, sagte sie leise.

Wenn ich doch zaubern könnte, dachte Daniel Norden, aber das konnte er eben nicht.

Bibianne saß in ihrem bequemen Lehnstuhl. Am Tag nach der Dialyse ging es ihr sonst eigentlich immer recht ordentlich, aber an diesem Nachmittag blickten ihre Augen traurig.

Effi Dirksen war eine kluge Frau. Sie ließ Dr. Norden mit Bibi, wie sie von den Angehörigen genannt wurde, allein, weil sie wußte, daß ihr Kind mit dem Arzt offener sprach, wenn niemand von der Familie dabei war.

»Kummer, Bibi?« fragte Dr. Norden.

Sie nickte. »Alle nehmen Rücksicht auf mich«, erwiderte sie bebend. »Daddy hätte Mami so gern mit nach Stockholm genommen, aber sie wollte mich nicht allein lassen mit Mascha.«

»Ich glaube, daß deine Mami lieber bei dir ist, Bibi«, sagte Dr. Norden.

»Aber Daddy hätte sie auch gern mal wieder bei sich, das spüre ich doch. Es soll sich nicht alles um mich drehen.« Tränen kullerten über ihre Wangen. »Mit mir wird es ja doch nichts Richtiges mehr.«

Ihr schmales Gesichtchen wirkte wie das einer Vierzehnjährigen, die ihren ersten Kummer hatte. Dr. Norden kannte diesen Ausdruck innerer Zerrissenheit, aber bei Bibi handelte es sich nicht um die erste unglückliche Liebe, sondern um ein Leid, das sie seit Jahren tragen mußte.

»Das darfst du nicht sagen, Bibi. Wir finden eine Spenderniere. Professor Linde meint, daß der Erfolg um so größer sein wird, wenn ein junger Mensch wirklich ausgewachsen ist.«

»Ich bin doch zurückgeblieben, darüber täusche ich mich doch nicht hinweg«, sagte Bibi leise.

»Aber der Geist ist dem Lebensalter voraus«, erwiderte Dr. Norden.

»Das nutzt mir auch nichts, wenn ich ihn beruflich nicht verwerten kann. Außerdem bedrückt es mich, daß Björn seine Verlobung gelöst hat. Bestimmt deshalb, weil Isa nichts mit mir zu tun haben wollte.«

»Nun, wenn das der Grund sein sollte, Bibi, ist er gut beraten gewesen, diese Verlobung zu lösen, denn glücklich wäre er mit Isa nicht geworden.«

Er kannte Isa Bürgler, und er hatte sich sowieso gewundert, daß Björn Dirksen mit ihr so lange zusammengeblieben war.

»Björn ist mit Daddy nach Stockholm. Sie besuchen die Großeltern«, sagte Bibi unter Tränen. »Ich werde nie mehr hinkommen zu ihnen.«

»Bestimmt wirst du das. Hab’ nur noch ein bißchen Geduld, Bibi«, sagte Dr. Norden.

Sie sah ihn mit einem trostlosen Blick an. »Zu denken, daß jemand erst sterben muß, damit ich mit seiner Niere weiterleben kann, ist auch nicht schön«, sagte sie leise.

»Das liegt nun mal nicht in unserer Macht, und ich finde es gut, wenn Menschen ihre Organe zu spenden bereit sind, um anderes Leben zu retten und zu erhalten, Bibi.«

»Wenn ich wenigstens wüßte, warum Gott mir diese Strafe auferlegt hat«, sagte sie bebend. »Ich habe nie jemandem etwas zuleide getan.«

»Wie kannst du nur so denken, Bibi?« fragte Dr. Norden bestürzt.

»Isa hat es doch gesagt. Ich habe es gehört. Ich würde schon was getan haben, daß ich so gestraft werde, hat sie gesagt. Sie ist doch so fromm.«

»Das glaube ich nicht, daß sie fromm ist«, sagte Daniel Norden grimmig. »Wann hat sie es gesagt?«

»Als sie mit Björn gestritten hat, und dann hat er gesagt, daß er sie nicht mehr sehen mag. Er war so schrecklich wütend.«

»Mit Recht«, sagte Daniel, und dann legte er seine Hand an Bibis Wange. »Sei nicht mehr traurig, Kleines, es wird alles gut werden.«

»Ich hatte aber einen schrecklichen Traum«, flüsterte sie. »Ich habe geträumt, daß ich gestorben bin.«

»Das bedeutet ein langes Leben, hat man mir einmal gesagt.«

»Und dann hat auch jemand gesagt, daß ich gar nicht tot bin. Aber ich habe doch ein Grab gesehen.«

Ihm war es doch unbehaglich, aber er nahm ihre Hände. »Das war ein Traum, Bibi. Die Wirklichkeit sieht anders aus.«

»Aber auch nicht schön«, sagte sie leise.

*

Weit entfernt von diesem Haus sagte eine Mutter zu ihrer Tochter: »Du denkst nur an dein Vergnügen, Martina, nicht an die Sorgen, die wir uns um dich machen.«

»Warum macht ihr euch Sorgen?« fragte das bildhübsche Mädchen. »Soll ich hier versauern? In diesem Nest kommt man doch nicht weiter. Wenn ihr mit dem zufrieden seid, was ihr hier verdient, ich bin es nicht.«

Maria Crisanto betrachtete ihre hübsche Tochter mit kummervollen Augen.

»Was willst du denn in München machen, Kind? Dort gibt es doch genug arbeitslose Verkäuferinnen.«

»Denkst du, Mama. Es kommt doch ganz darauf an, wie man aussieht und wie man mit den Leuten umgehen kann, und ich spreche perfekt deutsch. Ich habe das Gastarbeiterimage satt.«

Maria drängten sich Tränen in die Augen. »Aber uns geht es doch gut, Martina. Wir haben hier ein Häuschen. Es geht uns doch besser als manchen Deutschen.«

»Und unser Marco konnte sogar studieren«, spottete Martina. »Wieder die alte Leier, die kenne ich doch. Jedenfalls werde ich mir einen reichen Mann suchen, und hier finde ich den nicht. Ich werde als Fotomodell arbeiten und viel Geld verdienen. Du wirst dich eines Tages noch über meinen Entschluß freuen, Mama.«

Maria Crisanto trocknete ihre Tränen, die über ihre Wangen rannen. »Dann kann ich nur hoffen, daß du anständig bleibst und uns keine Schande machst, Martina«, sagte sie.

»Mach nicht so ein Gesicht, Mama! Ich weiß, was ich will«, sagte Martina. »Und nun, Addio, sag Papa schöne Grüße, wenn er von der Montage zurückkommt. Ich melde mich.«

Sie gab ihrer Mutter einen Kuß, ging hinaus und stieg auf ihr Motorrad.

Martina Crisanto, knapp neunzehn Jahre alt, war wenige Minuten später auf dem Weg nach München. Und Maria, die diese Motorräder sowieso haßte, blieb sorgenvoll allein zurück.

Martina pfiff vor sich hin. Sie fuhr nicht verbissen, sie fuhr auch nicht zu schnell. Als die Türme Münchens schon zu sehen waren, sang sie sogar. Und dann…

Sekunden später schoß von hinten ein Sportwagen heran. Sie sah ihn im Rückspiegel, aber das war auch das letzte, was sie sah, dann krachte es schon fürchterlich, und sie wurde meterweit durch die Luft geschleudert.

Polizei, Sirenen und Rettungswagen beherrschten schon später das Bild. Die Straße war gesperrt. Martina Crisanto wurde zum Großklinikum gefahren. Der Fahrer des Sportwagens, der aus unerfindlichen Gründen die Herrschaft über seinen Wagen verloren hatte, war tot, sein Beifahrer, oder war es eine Beifahrerin, war noch nicht geborgen.

Im Klinikum kämpfte man um das Leben des jungen Mädchens, das mit allerschwersten Kopfverletzungen eingeliefert worden war.

»Oh man ihr ein Überleben wünschen sollte?« fragte der Chirurg leise.

»Sie ist Italienerin, aber sie hat einen Organspenderausweis bei sich«, erklärte der Internist Dr. Roth. »Achtzehn Jahre, sieben Monate, Name Martina Crisanto. Ich werde auf jeden Fall Professor Linde verständigen, falls der Tod eintreten sollte.«

Martina hatte ihre Papiere und ihr Notizbuch bei sich gehabt. Im Fall eines Unfalls sei ihr Bruder Marco Crisanto zu verständigen. Es war eine Adresse in Freimann, und eine Telefonnummer stand auch dabei, auch die Adresse ihrer Eltern in Weidenbach.

Ein junges Leben begann zu verlöschen, und man tat alles, um die Angehörigen zu verständigen.

*

Professor Linde war sofort gekommen. Er wollte alle Werte haben, um sie vergleichen zu können. Kurz zuvor hatte er gerade wieder mit Dr. Norden telefoniert, den er sehr schätzte, und er war den Dirksens freundschaftlich verbunden.

Wie es jetzt aussah, konnte Bibi möglicherweise eine Spenderniere bekommen. Für sie sah es gut aus, wie es für Martina schlecht aussah.

Siebzehn Uhr war es, als Marco Crisanto im Klinikum eintraf, vierundzwanzig Jahre alt und angehender Diplomingenieur. Ein junger Mann, der Respekt einflößte durch seine aufrechte und tapfere Haltung. »Wenn sie nur nicht selber schuld war«, waren seine ersten Worte gewesen, bevor er noch genau von Martinas Zustand informiert werden konnte.

»Nein, sie war nicht selber schuld«, erklärte Dr. Roth, »aber sie wird nicht überleben, ich darf Ihnen das nicht verschweigen.«

Marco verlor alle Farbe. »O Gott, das könnte Mama umbringen«, flüsterte er. »Es wird schon schlimm genug für sie gewesen sein, daß Martina tatsächlich weggegangen ist. Ich muß jetzt erst nachdenken, wie ich es meiner Mutter beibringen soll. Mein Vater ist nämlich auf Montage im Ausland und kommt so bald nicht zurück.«

»Es handelt sich auch darum, daß Ihre Schwester einen Organspenderausweis bei sich trug«, sagte Dr. Roth stockend. »Ich sage das jetzt nicht gern, glauben Sie mir das bitte.«

Marco starrte ihn an. »Ich habe sie doch dazu bewegt«, sagte er. »Ich bin beim Hilfsdienst Und wenn einem schon so etwas passiert, war doch wenigstens nicht alles umsonst.«

»Und Ihre Mutter würde auch einwilligen?«

»Das weiß ich nicht. Aber Martina ist mündig. Wenn es wirklich keine Rettung gibt, hat die Entscheidung allein bei ihr gelegen.«

»Dann darf ich Sie bitten, mit Professor Linde zu sprechen?«

Marco sah ihn offen an. »Darf ich erst meine Schwester sehen? Sie war doch so voller Leben, und sie wollte noch so viel erreichen. Und sie war hübsch.«

Davon war nichts mehr zu sehen, und als Marco einen Blick auf sie geworfen hatte, wandte er sich ab.

»So würde sie nicht weiterleben wollen, wenn es auch möglich wäre«, sagte er tonlos. »Aber Mama darf sie so nicht sehen. Ich bitte Sie inständig darum.«

Dr. Roth befand sich wieder einmal in einer verzwickten Situation. Gerade mit Organspendern gab es manchmal große Probleme, und die Angehörigen wollten einfach nicht akzeptieren, was die Spender bestimmt hatten.

Marco starrte den Arzt an. »Meine Schwester war wirklich sehr hübsch, denken Sie etwa, jetzt würde es noch etwas ausmachen, wenn man ihr unverletzte Organe entnimmt? Oder klingt das etwa brutal?«

»Mir nicht«, erwiderte Dr. Roth. »Es wäre gut, wenn man mit allen Angehörigen so sprechen könnte. Aber es ist da ja auch der Schmerz zu berücksichtigen, den man empfindet.«

»Und den kann einem niemand nehmen. Mein Gott, wir haben uns phantastisch verstanden, Martina und ich, aber wir waren nie sentimental wie meine Eltern. Sie sind Italiener, aber wir sind hier aufgewachsen, und wir wollten nie von hier fort, aber Martina wollte ihre Chance auch wahrnehmen. Und verdammt noch mal, wenn ein Verrückter sie über den Haufen gefahren hat, kann sie doch nichts dafür, das ist unbarmherziges Schicksal. Sie war nie leichtsinnig. Ein Auto konnte sie sich nicht leisten, aber zu einem Motorrad hat sie es gebracht. Es gab ihr Bewegungsfreiheit. Man muß alles richtig verstehen.«

Dann zeigte er dem Arzt ein Foto von Martina, und Dr. Roth, obgleich glücklich verheiratet, hielt den Atem an.

»Wenn sie sterben muß, soll wenigstens einem anderen Menschen geholfen werden«, flüsterte Marco, »so hätte sie es auch gewollt. Wir haben lange darüber diskutiert.«

Dann wurde Marco Crisanto zu Professor Linde geführt.

*

Albrecht Linde, auf seinem Gebiet eine Kapazität, privat ein glücklich verheirateter Mann und Vater von vier Kindern, musterte Marco eingehend.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Crisanto«, sagte er freundlich, »und denken Sie bitte nicht, daß mir solche Gespräche leichtfallen.«

»Das denke ich nicht«, erwiderte Marco leise. »Ich habe meine Schwester auch sehr lieb, und mir wäre wohler, wenn sie überleben würde, aber für Martina wäre es kein Leben. Sie wollte immer unabhängig sein, auch von den Eltern, deshalb wollte sie ja nach München und hier arbeiten. Ich hätte schon auf sie aufgepaßt, aber eigentlich mußte man das gar nicht. Sie wußte genau, was sie wollte.«

»Sie leben schon länger in der Bundesrepublik?« fragte Professor Linde.

»Wir sind hier geboren. Mein Vater gehörte zu den ersten Gastarbeitern, die herkamen. Als Gäste betrachten wir uns schon lange nicht mehr, aber zurück wollen wir auch nicht mehr. Das heißt, ich spreche für meine Eltern. Für Martina und mich war es ja von Anfang an anders. Hier ist unsere Heimat. Wir haben nur fremdklingende Namen.«

»Und Sie studieren hier?«

»Ich bin bald fertig und werde auch eine gute Stellung finden. Aber jetzt geht es um Martina. Hat sie noch eine Chance? Mama würde alles auf sich nehmen.«

»Sie hat keine Chance mehr, nur das Herz schlägt noch.«

»Und welche Organe könnten anderen nutzen?«

»Vor allem die Nieren. Bei Transplantationen muß vieles übereinstimmen, Herr Crisanto, und die Nieren stimmen fast genau mit den Voraussetzungen für ein gleichaltriges Mädchen überein, das schon Monate nur noch durch ständige Dialyse am Leben erhalten wird. Es hätte bald auch keine Chance mehr zu einem normalen Leben, wenn wir nicht eine passende Spenderniere finden würden. Der Vater dieses Mädchens ist so vermögend, daß er auch einen hohen Preis zahlen würde, wenn seine Tochter gerettet werden könnte.«

Marco blickte auf. »Das interessiert mich überhaupt nicht«, sagte er, »und meine Eltern erst recht nicht. Aber sie wissen ja auch nicht, daß es Martinas ehrliche Absicht gewesen ist, andern zu helfen. Sie hat mal zu mir gesagt, daß sie das Gefühl hätte, sie würde nicht alt werden, und dann wolle sie wenigstens noch was Gutes tun. Im Leben wäre sie ja doch nur auf ihren Vorteil bedacht.« Er fuhr sich über die Augen. »Aber bestimmt dachte sie nicht, daß sie so jung sterben muß.«

Professor Linde ging es zu Herzen, was Marco sagte, und es war überhaupt nicht theatralisch ausgesprochen. Monoton und nach innen lauschend, als wolle er Martinas Meinung hören und mitteilen.

»Dann darf ich mit Ihrer Zustimmung rechnen?« fragte er.

»Sie sagten, daß es ein junges Mädchen ist?« fragte Marco.

»Ja, es ist ein junges Mädchen, aber mehr darf ich nicht sagen. Ich bin an die Schweigepflicht gebunden.«

»Aber sie wäre demzufolge doch auch ein bißchen meine Schwester, da ich Martina verlieren werde«, sagte Marco leise. »Und wenn ich nun darauf bestehe?«

»Ich werde mit den Eltern sprechen, Herr Crisanto.«

»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Herr Professor, es wäre doch so tröstlich für uns, wenn wir wüßten, daß ein lieber Mensch durch Martinas Tod weiterleben kann.«

So etwas war Professor Linde wirklich noch nie passiert, und es rührte ihn.

»Ich verstehe Sie«, sagte er, »und ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß es Ihnen und Ihren Eltern ewig gedankt werden wird.«

»Wir wollen dafür kein Geld. Aber ich muß mich jetzt um Mama kümmern. Sie wird verzweifelt sein, wenn sie die Nachricht schon bekommen hat. Wir leben zwar hier, Herr Professor, aber in der Heimat meiner Eltern zählt der Familienzusammenhalt mehr als hier, und das haben wir in die Wiege gelegt bekommen.«

Pauschal gesehen hat er nur zu recht, dachte Professor Linde. Aber darüber jetzt zu diskutieren hatte er keine Zeit. Er wollte mit Dr. Norden telefonieren, denn er sollte der Vermittler sein, wenn es schnell zu einer Transplantation kommen sollte.

Marco hatte mit seiner Mutter telefoniert, die den wirklichen Ernst der Situation scheinbar noch nicht begriff. Sie sagte ihm, daß ein Nachbar sie nach München bringen würde, und sie würden gleich losfahren.

»Es ist Bastian, Martinas Freund«, sagte sie.

»Gut, dann warte ich im Klinikum«, sagte Marco.

»Hast du schon mit Tina gesprochen?« fragte seine Mutter.

»Nein, noch nicht«, erwiderte er. Aber ihm war es bange, wie sie mit den Tatsachen fertig werden würde.

Er lief eine Weile draußen herum. Die Dämmerung sank schon herab. Ihm war flau im Magen, und es fiel ihm ein, daß er seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte.

Er kaufte sich in der Imbißstube im Klinikum ein Brötchen und eine Tasse Kaffee. Sparsam wie er war, riß sogar das schon ein Loch in seinen Geldbeutel.

Er ging wieder zur Station, weil er seine Mutter nicht verpassen wollte, und unten konnte man leicht aneinander vorbeilaufen.

Zufällig hörte er, wie Dr. Roth mit jemand telefonierte. »Es scheint so, als hätten wir jetzt eine Spenderniere für Bibianne Dirksen«, sagte er. »Das würde dich doch freuen, Imke.«

Bibianne Dirksen, dieser Name prägte sich Marco ein. Spenderniere – so genau hatte er tatsächlich noch nicht darüber nachgedacht, was das bedeuten könnte, und nun erlebte er, daß so etwas in der eigenen Familie passierte.

Er hatte lang und breit mit Martina über ihren Plan gesprochen. Er hatte sie vor Gefahren und möglichen Fehlanschlägen gewarnt, aber nie und nimmer hätte er auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet, daß ihr Leben zu Ende sein könnte, bevor sie es in München beginnen könnte.

Es dauerte noch zwei Stunden, bis seine Mutter und Bastian kamen, der allerdings machte schon einen sehr bedrückten Eindruck.

»Es hat ihr ja keiner ausreden können«, sagte er rauh. »Aber das hätte nicht passieren müssen.«

»Ich will Tina sehen«, sagte Maria.

»Das solltest du dir ersparen, Mama«, sagte Marco mit äußerster Beherrschung.

»Ist es so schlimm?« fragte sie schluchzend.