Neues aus dem Vorderhaus - Mitzi Irsaj - E-Book

Neues aus dem Vorderhaus E-Book

Mitzi Irsaj

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Beschreibung

Erzählend streift die Münchner Autorin durch ihre Nachbarschaft und berichtet in kleinen, in sich abgeschlossen Geschichten, über alltägliche Begegnungen. Im Mittelpunkt stehen besondere und außergewöhnliche Menschen. Kleine Helden, grantige Alteingesessene, schimpfende Nachbarn und warmherzige Kioskbesitzer. Ihre Geschichten bringen den Leser gleichermaßen zum Lachen, zum Innehalten und zum Nachdenken. Sie alle sind so typisch München, wie der morgendliche Wahnsinn in Bus und Bahn, der unberechenbare Föhn und die Kunst über sich selbst zu lachen. Skurril, ein wenig absurd aber mit ganz viel Herz. Neues aus dem Vorderhaus ist ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Freuen Sie sich auf Herrn Meier, der zur Förderung eines gesunden Schlafes weiter großzügig Walnüsse in die Briefkastenschlitze wirft; auf Paul, der die Frauen des Viertels mit seinem Rhett-Butler-Lächeln noch immer in den Wahnsinn treibt und auf Frau Obst, deren schlechte Laune ungeahnte Ausmaße annimmt. Mitzi Irsaj ist eine Münchner Autorin, Bloggerin und leidenschaftliche Geschichtenerzählerin. Seit Anfang 2015 veröffentlicht sie ihre Erzählungen auf dem gleichnamigen Blog und liest regelmäßig im Rahmen der Lesereihe des Münchener Theaterensembles Südsehen. Im Mai 2017 erschien ihr erstes Buch unter dem Titel "Mitzi aus dem Vorderhaus, 2. Stock". Veranstaltungshinweise und Auftritte sind unter  mitziirsaj.com und suedsehen.de zu finden.

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Mitzi Irsaj

Neues aus dem Vorderhaus

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Neues aus dem Vorderhaus

Neues aus dem Vorderhaus

Inhalt

 Inhalt

Jetzt weiß es auch Paul............................................................................................ 

Männerelend.......................................................................................................... 

Hildes Blumenkohl................................................................................................... 

Feiertag................................................................................................................. 

Jetzt samma beinand............................................................................................. 

Ballett zwischen U1 und U2.................................................................................... 

Ehrlicher Neid........................................................................................................ 

Das Kind hat sich schon übergeben......................................................................... 

Schwindliger Beton................................................................................................ 

Die fette Taube...................................................................................................... 

Ferienpass für Paul................................................................................................. 

Giesinger Tauschgeschäfte..................................................................................... 

Alter egal............................................................................................................... 

Fremde Männerknie.............................................................................................. 

Wahlfreiheit........................................................................................................... 

Anstich.................................................................................................................. 

Herr Krüger wohnt bei Hasso.................................................................................. 

Eine Giesinger Schande.......................................................................................... 

Erste Nacht............................................................................................................ 

Eine Leiche im Hinterhaus....................................................................................... 

Iljana, es brennt..................................................................................................... 

Konzert der anderen Art........................................................................................ 

Nachverhandelt..................................................................................................... 

Ein Rätsel............................................................................................................... 

Mustis Schatz......................................................................................................... 

Unverschämter Frühling......................................................................................... 

Märzproblem......................................................................................................... 

Erbsenfrühling....................................................................................................... 

Im Bmpf wird gegrillt.............................................................................................. 

Parken unter Beobachtung..................................................................................... 

Paul und ich wären fast im Lift gestorben................................................................ 

Friederike vs. Bergwald.......................................................................................... 

Fredi ist tot. Sein Bruder auch................................................................................. 

Leerer Platz............................................................................................................ 

Gespült, aber nicht geschleudert............................................................................ 

Annas Fäden.......................................................................................................... 

Du Depp, Sie Depp, die Deppen.............................................................................. 

Komödie oder Tragödie.......................................................................................... 

Besuch beim Wickerl.............................................................................................. 

Frühling jetzt.......................................................................................................... 

Nein!..................................................................................................................... 

Jetzt weiß es auch Paul

Ob ich noch ganz richtig ticken würde, wollte Paul gestern Abend am Aufzug von mir wissen. Selbst für meinen Nachbarn Paul, für den ein Schnalzen mit der Zunge als adäquate Begrüßung galt, war dieser Gesprächsauftakt ein wenig unfreundlich. Ich schob es auf ein Zuviel an Sonneneinstrahlung und zuckte nur mit den Schultern. Für mein Empfinden tickte ich durchaus richtig – und noch dazu in einem überaus fröhlichen Rhythmus. Ohne auf den möglichen Sonnenstich meines Nachbarn Rücksicht zu nehmen, drückte ich ihm einen Zwanzig-Liter-Sack Erde in die Arme und bat ihn, diesen zu halten, damit ich meine Post aus dem Kasten fischen konnte. Mit einem gemurmelten „Ihr spinnt doch“ erhielt ich meine Erde zurück und sah den vermeintlich Kranken ohne eine weitere Erklärung recht flott die Treppen nach oben sprinten. Wenn es nicht die Sonne war, dann war es sicher ein weibliches Wesen, das Paul die Laune verdorben hatte. Da ich zwar ein weibliches Wesen, mir aber keiner Schuld bewusst war, kümmerte es mich nicht weiter. Als ich am Saftstand vor meiner Wohnung vorbeikam und bei meinem Nachbarsjungen brav 50 Cent für einen lauwarmen Becher abgestandenen Apfelsaft bezahlte, dämmerte mir, warum Paul an meinem Verstand zweifelte. Von seinem Fenster aus hatte er einen guten Blick auf den Laubengang vor meiner Türe, da er aber doch ein ganzes Stück entfernt im Hinterhaus wohnte, bekam er die wirklich wichtigen Dinge erst als einer der Letzten mit. Die guten Neuigkeiten hatten sich noch nicht bis zu ihm herumgesprochen.

Mit einem Glas kühlem Rosé in der Hand setzte ich mich etwas später in die Abendsonne auf die Bank vor meinem Küchenfenster. Barfuß. Neben mir ein vollbehangener Wäscheständer. Meine Wohnungstür ließ ich offen stehen. Wenn Sie sich fast sieben Jahre einen Laubengang mit Frau Obst geteilt hätten, dann wüssten Sie, dass sich das alles so verboten anfühlt, als würden Sie sich nachts nackt in die Waschküche schleichen. Ich winkte Paul, der auf seinem Balkon stand, mit meinen nackten Zehen zu, und er fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Hals. Eine Geste, die mir bewies, dass er erstens wirklich nichts wusste und zweitens Frau Obst genauso gut kannte wie ich. Ein paar Minuten später betrat er den Laubengang und setzte sich neben mich auf die Bank. Auf seine Frage, ob ich ihm ein Glas Rosé anbieten würde, schüttelte ich streng den Kopf und deutete auf den Saftstand des kleinen Ludwigs. Erst müsse er etwas kaufen. In diesen Laubengang verirrten sich so wenige Menschen, dass die, die ihn betraten, unbedingt etwas konsumieren mussten. Zweifelnd betrachtete Paul das rosa Tischchen und den mintgrünen Kinderhocker, auf dem strahlend der Sohn meiner Nachbarin Judith saß. Der machte das Geschäft seines Lebens. Paul bezahlte nämlich mit einem Zehn-Euro-Schein und hatte nicht bedacht, dass Dreijährige nur selten Wechselgeld in der Tasche hatten. Durch die Sonne milde gestimmt, warnte ich Paul vor dem Saft. Ludwig war selbst sein bester Kunde, und in den Saftbechern schwammen Kekskrümel. Man schluckte die Brühe besser nicht. Dafür konnte man sie bedenkenlos in die Margeritenbüsche kippen, die seit gestern Vormittag den Laubengang zierten. Jene Blumen von denen Frau Obst behauptete, sie würden nach Verwesung stinken.

Als ich mein Glas mit Wein auffüllte, brachte ich Paul eines mit. Der hellblaue Teppich unter meinen nackten Füßen fühlte sich herrlich an und war auch viel schöner als der hässliche graue Schmutzfänger von Frau Obst. Den hatte ich am Morgen in den Müll geworfen. Ich stieß mit meinem Glas gegen das von Paul und deutete auf die schönen Windspiele aus Glas, die an beiden Enden des Laubengangs von der Decke hingen. Tonlos, aber Regenbogen werfend. Zum bestimmt fünften Mal schüttelte er wortlos den Kopf und lehnte sich dann an die Wand. Lachend schloss er die Augen. „Ich weiß nicht, was die Alte macht, wenn sie das sieht, aber sie wird durchdrehen.“ Er nahm einen Schluck Wein. „Sie verprügelt dich mit dem Besen.“ Er blinzelte zu Ludwig. „Und den Zwerg wirft sie über die Brüstung. Samt Puppenstube.“ „Saftstand“, verbesserte ich ihn, „das ist ein Saftstand“, und schloss ebenfalls die Augen.

Was Paul nicht wusste: Frau Obst wohnt nicht mehr rechts neben mir. Sie wohnt seit zwei Wochen links neben mir und hat somit im Laubengang nichts mehr zu suchen. Wenn Frau Obst jetzt ihre Wohnungstür öffnet, dann blickt sie in das sterile und kalte Treppenhaus. Der sonnige Laubengang, der wie ein weiterer Balkon ist, gehört nun Judith und mir, und eine Glastür trennt uns vom Hausdrachen. Die beiden haben nämlich die Wohnungen gewechselt. Jede wohnt nun in der Eigentumswohnung der anderen, weil der einen die Wohnung zu groß und der anderen die Wohnung zu klein geworden ist. Vor meinem Küchenfenster steht nun nicht mehr Frau Obst, die missbilligend die Wasserflecken auf den Edelstahlarmaturen in meiner Küche begutachtet, sondern es sind freundliche Gesichter, denen der Zustand meiner Küche herzlich egal ist. Seit einigen Tagen winken mir von dort Ludwig oder seine Schwester durch das Fenster zu. Die Kinder spielen im Laubengang, weil dort abends die Sonne scheint. Und genau deshalb hängen wir dort jetzt auch unsere Wäsche auf. Und abends sitzen wir draußen, halten unsere Zehen in die Sommerluft und haben es uns innerhalb kürzester Zeit sehr gemütlich gemacht. Nur das Zähneknirschen von Frau Obst, das durch zwei Türen und eine Wand bis zu uns zu hören ist, stört ein wenig. Ich denke, dass wir uns bald daran gewöhnt haben und es nicht mehr bemerken werden. Auch die Zettel in unseren Briefkästen können wir gut ignorieren. Auf dem heutigen ermahnte uns Frau Obst, dass wir bloß nicht auf die wahnwitzige Idee kommen sollen, im Laubengang zu grillen.

Paul besorgt gerade Grillkohle, und ich werde gleich reingehen, um den Nudelsalat fertig zu machen. Vielleicht übertreiben wir wirklich ein wenig. Obwohl … nein. Wir holen nur sieben Jahre verschwendeter und ungenutzter Abendsonne nach.

Männerelend

Ich könne froh sein, kein Mann zu sein, sagte der geduldigste meiner Freunde mit einem kaum merklichen Augenverdrehen und nahm mir einen Sack Blumenerde aus den Armen. Ächzend warf er ihn über seine Schulter und setzte sich in Bewegung. Wortlos stimmte ich ihm zu. Ich war in der Tat erleichtert. Weniger wegen der zwanzig Liter Erde, die ich auch allein in den dritten Stock bekommen hätte. Wirklich froh, kein Mann zu sein, war ich, weil mir so die Blödheit erspart blieb, den Ehrgeiz zu entwickeln, alle Einkäufe auf einmal durch das Treppenhaus zu schleppen, um nur ja kein zweites Mal gehen zu müssen. Zufrieden mit der Zuteilung meines Geschlechtes trug ich den Rest – ein einzelnes, zartes Tomaten-Pflänzchen – nach oben und sorgte mich um den Puls des schnaubenden Mannes vor mir. Ebenfalls froh, kein Mann zu sein, bin ich, wenn ich mit Freunden auf unserer Hütte bin und das Feuer im Grill angezündet werden muss. Als Frau kann ich mich entspannt nach hinten lehnen und bei einem Glas Rotwein interessiert beobachten, wie sie es ein ums andere Mal versauen. Mein Glas ist meist schon leer, wenn sich die geballte Männlichkeit nach einer halben Stunde trollt und nach Grillanzündern zu suchen beginnt. Während sie fluchend und schimpfend das Haus auf den Kopf stellen, mache ich das Feuer an. Ohne Grillanzünder und ohne viel Tamtam. Vermutlich gelingt mir das nur, weil mir nicht so viel Testosteron an den Fingern klebt. Durch Erfahrung klug geworden, lasse ich sie in dem Glauben, dass Reste ihrer groben Holzscheite in ihrer Abwesenheit ganz zufällig doch noch in Brand geraten sind. Zu Wort melde ich mich nur, wenn einer von ihnen die Flasche Brennspiritus im Schuppen entdeckt. Seit das Krankenhaus im Ort vor zwanzig Jahren geschlossen wurde, bin ich vorsichtig geworden.

Dass ich wirklich froh sei, kein Mann zu sein, teilte ich heute Nachmittag auch meinem Nachbarn Paul mit. Der stand nämlich seit über einer halben Stunde vor den Briefkästen und versuchte einen von ihnen mit einer Nagelfeile, einer Büroklammer und einem Schraubenzieher zu öffnen. Seine aktuelle Freundin hatte den Schlüssel abgebrochen. Ich sah es, als ich vorhin zur Post ging, und fand das Gezeter und die Versicherungen, dass der Schlüssel wohl morsch gewesen war, etwas albern. Ab und zu kann man ruhig zugeben, dass man sich einfach blöd angestellt hat. Paul hätte das sicher nicht überrascht, er kennt sie ja schon. Ich kenne seine Freundin auch. Letzte Woche stand sie im Waschkeller und war kurz vorm Weinen, weil sie sich nicht traute, die Türe des Trockners zu öffnen, da sich, drei Meter entfernt, in der hintersten Ecke des Raumes, eine kleine Spinne befand. Damals wie auch heute bewunderte ich die Geduld meines Nachbarn, der den leicht hysterischen Anfall seiner Geliebten gelassen über sich ergehen ließ. Als ich von der Post zurückkam, war Paul nicht mehr ganz so gelassen. Er fluchte bereits und hatte Schweißperlen auf der Stirn. Schon blöd, dass man als Mann nicht einfach mal den Hausmeister anrufen kann, damit er das Briefkastenschloss auswechselt. So wie ich meinen Nachbarn kenne, hatte er selbst auch schon mit diesem Gedanken gespielt, wurde aber vom bewundernden Blick seiner Freundin daran gehindert. Diese stand neben ihm und versicherte ihm immer wieder, wie schön sie es fände, wenn Männer sich selbst zu helfen wüssten. Man müsse ja nicht für jede Lappalie einen Handwerker rufen. Ich glaube, Paul sah das anders, denn die kleine Ader an seinem Hals schwoll bereits etwas an. Als ich meine Wäsche nach oben holte, stand Paul noch immer vor den Briefkästen, mittlerweile flankiert von einem Gesandten der Studenten-WG aus dem Hinterhaus und Herrn Iwanow. Man diskutierte den Einsatz einer Bohrmaschine.

Als die Herren in ihren jeweiligen Kellern verschwanden, um das schwere Gerät zu holen, nahm ich Pauls Hand. Nicht, um ihm Trost zu spenden, sondern um sie sanft in den Briefkastenschlitz einzuführen.

Mein eigener Schlüssel war vor drei Jahren abgebrochen. Nicht, weil er morsch war, sondern weil ich auf hohen Schuhen stolperte und mich blöd anstellte. Das ist aber egal. Wichtig ist, dass die Briefkastenschlitze in unserem Haus groß genug sind, um problemlos ein via Amazon geschicktes Paket mit der Taschenbuchausgabe von „Krieg und Frieden“ zu schlucken. Auch für Männerhände ist es möglich, die Post herauszufischen, ohne den Briefkasten aufzusperren.