Neuländisch - Andreas Boppart - E-Book

Neuländisch E-Book

Andreas Boppart

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Beschreibung

Gott tickt Neuländisch: Er will uns immer weiter führen, in neues Land, unsere Grenzen sprengen, unseren Horizont erweitern. Doch für viele Christen ist der Glaube etwas rein Statisches. Einmal gefunden, bleibt er mehr oder weniger, wie er ist. Vier Neuland-Bereiche macht Boppi, der beliebte Leiter von Campus für Christus Schweiz, aus: unser Gottesbild, unser Herz, unsere Beziehungen, darunter besonders auch die Einheit der Christen, sowie unsere Interaktion mit dieser Welt. Wenn wir unsere Ängste ablegen und Gottes Neuland-Prinzipien anwenden, werden wir Schätze entdecken und Überraschungen erleben, die uns verändern und zum Staunen bringen.

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ANDREAS BOPPART

NEULÄNDISCH

in die Weite glauben

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22904-2 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5797-1 (lieferbare Buchausgabe)

© 2018 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben, folgenden Ausgaben entnommen:

Neues Testament und Psalmen: Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung.

Copyright © 2009 Genfer Bibelgesellschaft, CH-1204 Genf.

Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

Altes Testament Lutherbibel, revidiert 2017

© 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Weiter wurden verwendet:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006

SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. (NLB)

Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. (ELB)

Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis - Brunnen Basel. (HFA)

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift,

© 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. (EIN)

Gesamtgestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch

Collage Titelbilder: Profil Andreas Boppart: Joel Waldvogel,

Landschaft: Eutah Mizushima, Sternenhimmel: Dino Reichmut

WIDMUNG

Dankbare Umarmungen gehen an Tamara,meine vier Mädels, Angi und Joni, Peter und Silke.Ohne euch gäbe es nicht wirklich vielNeuländisches hier zu lesen.

Mögen die vorliegenden unter viel Schweißentstandenen Zeilen auch dich innerlichaufwühlen, begeistern, herausfordern,inspirieren, bewegen und ab und zu zum Schwitzenbringen – vor allem aber die Sehnsuchtnach einem neuländischen Inneren wecken.

INHALT

Über den Autor

FANTASTISCH – Der Prolog

Muskelmasse

Terra Incognita

1 TRANSFORMATORISCH – Der neuländische Gott

Gott spricht neuländisch

Gott liebt neue Brillen

Gottes Neuland hört nie auf

2 PANISCH – Die Angst vor Neuem

Das sockenfressende Mümmelmonster

Der Angst-Lichtschalter

Die eklige Zahnpasta

Der biblische Horrorthriller

Die angstfreie Zone

3 ELASTISCH – Der Weitmacher

Das Gecko-Phänomen

Die Papierflieger-Botschaft

Die Neuland-Himmelsrichtungen

4 EPISCH – Das Gott-Neuland

Der Klang des »Ich liebe dich!«

Das große Geheimnis

Die Reise Gottes zu dir

Der Asaf-Weg

Der heilige Ort in dir

5 KARDIOLOGISCH – Das Herz-Neuland

Herzensreise

Gottessicht

Ovoausguss

Kindsein

Gottesglaube

Identitätstrip

Altmetall

6 ROMANTISCH – Das Beziehungs-Neuland

Mit Gottes Augen sehen

Das Handtuch halten

Dieselbe Sprache sprechen

Den Beziehungsnerv freilegen

7 IDYLLISCH – Das Einheits-Neuland

Der Schlüssel für Einheit

Der Krieg ist vorbei

8 KÄMPFERISCH – Das Welt-Neuland

Die Friedensstifter-Aufgabe

Das Osterinsel-Drama

9 MAGISCH – Der neuländische Spirit

Versöhn dich mit dir selbst

Bleibe lernbereit

Konzentrier dich auf das Richtige

Durchquer die Wüste

Jag das Unsichtbare

10 STRATEGISCH – Nimm dein Neuland ein

Die Jericho-Geduld

Die Ai-List

Die Sichem-Rutsche

Die Amoriter-Wunder

Die Abhängigkeits-Strategie

11 PRAKTISCH – Schritte ins Neuland

Deck das Dach ab

Mach dein Bett selber

Komm heraus

12 HIMMLISCH – Im Neuland leben

Am Neuland dranbleiben

Sich der Wahrheit verschreiben

Mit dem Horizont-Blick leben

Dem Wasser folgen

FUTURISTISCH – Der Epilog

Eine neuländische Entscheidung

FAKTISCH – Die Anmerkungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

Andreas »Boppi« Boppart ist Missionsleiter von Campus für Christus Schweiz und gefragter Referent. Als Autor von Büchern wie »Unfertig« steht er für authentischen und lebbaren Glauben. Zusammen mit seiner Frau Tamara und seinen vier Töchtern lebt er mit einer weiteren Familie gemeinschaftlich im Kanton Zürich. Er träumt groß, denkt laut und liebt einen weiten Horizont.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

»Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit.« Mit diesem markigen Satz setzte Neil Armstrong am 21. Juli 1969 als erster Mensch einen Fuß auf den Mond. Man mag denken, dass dieser bedeutende Schritt überhaupt nichts mit einem zu tun hat. Und liegt damit völlig daneben. Der Raumfahrt werden eine schier endlose Liste von Erfindungen und Weiterentwicklungen zugeschrieben: Schaumstoff, natürlicher Zusatz für Säuglingsnahrungen, durchsichtige Zahnspangen, Ohr-Fiebermesser, Sonnenbrillengläser, Akkuwerkzeug, Rauchmelder, kratzfeste Gläser, präzise GPS-Systeme, digitale Bildsensoren für Kameras, Flugzeugoptimierungen, Areodynamik-Designs bei LKWs, Dämpfungen bei Gebäuden und Brücken, internationales Rettungssystem etc.1 Vieles davon beeinflusst unseren Alltag direkt oder indirekt.

Wie sähe dein Leben aus, wenn vor dir Menschen nicht immer wieder mutig Neuland betreten hätten? Ohne Entdeckerinnen und Abenteurer würden nicht nur Gewürze in deiner Küche fehlen. Es wäre so ziemlich alles weg, auf dem dein Leben aufbaut und das es so angenehm macht. Wir stehen auf den Schultern von Neuland-Gängerinnen und Neuland-Reisenden der Vergangenheit. Und: Wir selber brauchen immer wieder Neuland!

Ich beobachte bei Menschen zwei Entwicklungsrichtungen, was den persönlichen Glauben betrifft: Entweder wir werden unterwegs durchs Leben »geistlich fitter« oder aber »geistlos bitter«. Mich inspirieren all jene, die mit zunehmendem Alter zu einem tiefen Glauben und einem weiten Herz gefunden und die eine Gelassenheit, eine »Altersgroßzügigkeit« entwickelt haben. In ihnen wummert ein »neuländischer« Spirit, weil sie nie aufgehört haben, Neuland zu betreten.

Es ist heikel, dem Gedanken zu verfallen, dass Gott mit uns, unserer Persönlichkeit und unserem Glauben irgendwann fertig ist. Er hat das Leben als Abenteuer konzipiert, in dem wir an der Seite von Jesus immer wieder von Gott vorbereitetes Neuland entdecken sollen und dürfen.

Dein Glaube gehört nicht in eine sauber abgemessene Box, die du bis zum Lebensende abgeschlossen verstaust, sondern muss sich frei immer weiter entwickeln können.

Wir brauchen mehr denn je diese mutigen Menschen, die aktiv nach diesem weit werdenden Glauben suchen. Die nicht nur nett glauben, sondern herzhaft nachfolgen. Die nicht nur rückwärtsgewandt leben, sondern sich nach vorne orientieren und diese neuländische Art zu denken, zu handeln, zu fühlen und zu glauben, selbst leben und ansteckend weiterverbreiten. »Neuländisch« möchte die abgestumpfte Neugierde stimulieren und die totgelebte Sehnsucht wiederbeleben.

Ich habe das Buch im Bündnerland begonnen und hier in der Region Zürich fertiggeschrieben, wo wir eigentlich nicht hinwollten, Gott uns aber hingeführt hat. Noch immer weint ein Auge über den Wegzug, aber das andere strahlt voller Vorfreude auf das, was Gott mit uns am neuen Ort vorhat. Denn was er für uns vorbereitet hat, ist immer gut – nicht immer einfach und nicht immer angenehm, aber immer gut und richtig. Und weil es sich dermaßen richtig anfühlt, erfüllt mich dieser berühmte und so oft ersehnte innere Friede. Ich bin mitten im Neuland. Prickelnd unangenehm. Aber genau da, wo ich sein möchte, weil ich hier hingehöre. Und weil es meinen neuländischen Geist nährt. Bist du bereit, dich zu bewegen? Bereit für Neuland? »Das Leben ist entweder ein großes Abenteuer oder nichts«, hat die taub-blinde Schriftstellerin Helen Keller festgehalten. Das Abenteuer erwartet dich!

MUSKELMASSE

Es gibt ein universelles Lebenskonzept: Was sich nicht bewegt, stirbt. Unser Herzmuskel erinnert uns mit jedem einzelnen Pulsschlag daran. Gerade kürzlich bin ich über einen asketischen Inder gestolpert (also nicht vor der Haustür, sondern online), der über Jahre einen Arm in die Luft streckte, bis dieser tatsächlich abstarb und sich nicht mehr bewegen ließ.2 Unbewegtes stirbt. Wenn in einem System Gleichgewicht herrscht – was biologische Systeme natürlicherweise anstreben – und sich die Moleküle darin nicht mehr bewegen, dann bedeutet das biologisch gesehen den Tod. Auch wir selbst müssen uns immer wieder vorwärtsbewegen. Du könntest dich entscheiden, mit dem Atmen, Essen oder Trinken aufzuhören, aber dein Körper würde das nicht lange mitmachen. Genauso verkümmern auch dein Glaube und dein Geist, wenn du aufhörst, dich zu bewegen. »Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte«, sagte Gustav Heinemann. Zuallererst führt Stillstand zu Rückbildungen.

Auch das Gehirn muss trainiert und immer wieder mit Neuem gefüttert werden. Wenn die Zellen nicht stimuliert werden, bleiben sie nicht einfach auf ihrem Leistungsniveau, sondern bauen sich ab. Die gute Nachricht ist jedoch, dass ein menschliches Gehirn sogar nach einer Beschädigung durch richtige Stimulation wieder expandieren kann. Es ist so angelegt, dass es lernen muss – ein Leben lang. Wenn wir es nicht benutzen, dann nehmen unsere geistigen Fähigkeiten ab. Use it or lose it!3

Meine Kinder haben von der Urgroßmutter eine Holzkuh auf Rädern geerbt – ein Familienerbstück, das schon mehr als ein Jahrhundert auf dem Buckel hat. Die Kuh ist super erhalten und man sieht ihr an, dass mit ihr nur ganz selten gespielt wurde, weil sie so wertvoll war. Meine Kinder hatten auch Freude an der Kuh – aber sie wollten sie nicht nur anschauen, sondern mit ihr herumfahren, was zur Folge hatte, dass der Kuh nach weniger als einer Woche schon ein Fuß und die Glocke fehlten. Ich weiß nicht, was frustrierender ist: Der Gedanke, dass die Spielzeug-Kuh nach über einem Jahrhundert in wenigen Stunden von meinem Nachwuchs verstümmelt wurde, oder die Tatsache, dass dieses Spielzeug wohl über hundert Jahre kaum zum Spielen benutzt worden ist, weil es zu kostbar schien. Wir sollten es mit dem Hirn nicht wie mit dieser Kuh machen: Es ist kein Museumsstück, das schön bleibt, weil man es wegschließt und auf keinen Fall gebraucht. Vielmehr bleibt es gut, gerade weil man es einsetzt und gebraucht. Und mit gebrauchen meine ich vor allem, dass wir dazulernen und Neues ausprobieren – auch im Glauben. Gebrauchen wir den während Wochen oder Monaten nicht, beginnt die »Glaubensmasse« zu schrumpfen. Genau deshalb ist es zentral, dass wir ihn immer wieder anwenden, trainieren und aufbauen. Und das geschieht, indem wir Neuland betreten. Indem wir uns bewusst Situationen aussetzen, in denen wir Gottes Zutun brauchen. Bei der Mystikerin Teresa von Ávila klingt das so: »Ich meine, dass es der Liebe nicht möglich ist, irgendwo stehen zu bleiben. Wer nicht wächst, schrumpft.«

Der Wachstumsgedanke basiert auf dem simplen biblischen Prinzip von Matthäus 25,14-30. Jesus erzählt hier die Geschichte von einem Mann, der auf Reisen ging und seinen Knechten ihren Fähigkeiten entsprechend unterschiedlich hohe Geldbeträge (»Talente Silber«) anvertraute. Zwei davon vermehrten diese in seiner Abwesenheit, während einer sein Talent vergrub, um es bei der Rückkehr seines Chef wieder vorweisen zu können. Dieser lobte die ersten beiden und beschenkte sie; den dritten bezeichnete er als »böse« und »faul« und nahm ihm das eine Talent noch weg.

Jesus spricht hier von Talenten als Gewichtseinheit. Letztlich lässt es sich jedoch auf alle von Gott geschenkten Dinge anwenden. Das können deine Fähigkeiten sein, aber auch dein Charisma oder dein Glauben. Wenn du das, was dir als dein persönliches »Kapital« von Gott geschenkt worden ist, nicht anwendest und vermehrst, dann lebst du an deiner Bestimmung vorbei. Du läufst Gefahr, am Ende genau das zu verlieren, was du vielleicht verzweifelt bewahren wolltest.

Viele Christen bewegen sich glaubensmäßig nicht in Neuland hinein, weil sie entweder denken, dass Glaube etwas Unveränderliches ist, das man sich überstülpt, oder weil sie insgeheim große Angst haben, was das Unbekannte mit ihrem Glauben machen könnte. Neuland kann an unserem Fundament rütteln und uns zwingen, Grundlegendes in unserem Glauben zu überdenken, zu hinterfragen und neu zu sortieren. Aus Angst vor dieser unsicheren und vielleicht unbequemen Situation beginnen viele unweigerlich, alles Andersartige, Fremde und Neue abzublocken – mit dem Resultat, dass sie genau das erreichen, was sie eigentlich vermeiden wollten: das Verkümmern oder gar Absterben ihres Glaubens.

Wenn du deinen Glauben bewahren willst, dann darfst du ihn nicht einbuddeln, bis er erstickt. Du musst ihn einsetzen, ihn sich vermehren lassen. Das geschieht, indem du dich immer wieder in Bereiche und Situationen hineinwagst, in denen du dich voll und ganz auf Gott stützen musst. Und indem du dich immer wieder mit Menschen umgibst, die dir in ihrer Art, wie sie mit Gott unterwegs sind, fremd sind. Denn so besteht die Chance, dass du Gott auf neue Art und Weise erlebst. Nur dort im Unbequemen und Unbekannten entdeckst du Seiten an Gott, die dir bis dahin völlig unbekannt waren – und es wird deinen Glauben weiten, ohne dass du dich sorgen musst, etwas zu verlieren. Du gewinnst vielmehr dazu.

Wann hast du das letzte Mal in deinem Leben Neuland betreten? Und wo war das in den letzten Wochen oder Monaten der Fall? Wo hast du etwas entdeckt, neu gelernt? Nimm dir einmal Zeit, je einen Lernschritt konkret zu benennen: Ich habe etwas Neues gelernt über

1. mich,

2. andere Menschen,

3. Gott.

Falls dir nichts in den Sinn kommt, solltest du unbedingt weiterlesen. Und falls dir etwas oder sogar mehrere Sachen eingefallen sind … auch. Es lohnt sich, sich auf diese Reise zu begeben. Allein das Unterwegssein produziert in dir drin ganz viel Neuland und ein Reisender kehrt nicht unverändert wieder nach Hause zurück. Neuland verändert dich.

TERRA INCOGNITA

Wer nicht bereit ist, sich im Glauben auf Neuland einzulassen, riskiert auch, den bisherigen Boden preisgeben zu müssen. Wer stehen bleibt und nicht mehr in seine Beziehung mit Gott investiert, wird bald auch mit Veränderungen um sich herum Mühe bekommen – in der Kirche, im eigenen Leben und in der Begegnung mit anderen. Man ist nicht mehr eine Quelle »des lebendigen Wassers«, das andere bewässert und Wachstum schenkt. Menschen um einen herum vertrocknen, verkümmern und verbittern – genau wie man selbst.

Die Bibel erzählt immer wieder von Menschen, die sich glaubensmäßig nicht vorwärtsbewegen wollten. Von einigen Schriftgelehrten beispielsweise, die ihr traditionelles Gottes- und Glaubensbild nicht loslassen wollten. Oder auch von einem jungen Mann, der einen netten Glauben hatte und sauber alle Gebote einhielt – aber als ihn Jesus herausforderte, Dinge loszulassen, die ihm sehr viel bedeuteten, und ihm dann nachzufolgen, ging er traurig weg. Er wollte sich in seinem Glauben nicht weiterbewegen (Matthäus 19,16-26).

Oftmals gehen dem Frustrationen, Enttäuschungen oder Verletzungen voraus, die man nicht sorgfältig aufgearbeitet hat. Stattdessen hat man begonnen, sich innerlich abzuschotten, um nicht noch frustrierter, enttäuschter oder verletzter zu werden. Dadurch hat man wichtige Prozesse unterbunden, die vielleicht unangenehm gewesen wären, die einen aber auch heilsam in die Arme Gottes getrieben hätten.

Vielleicht möchtest du wirklich ins Neuland aufbrechen, bist aber desillusioniert. Du hast schon mehrfach erfolglose Versuche unternommen, aber es hat nicht geklappt. Oder du bist die vollmundigen Versprechungen leid, dass Großes passieren wird, wenn du nur mehr glaubst, betest, fastest. Schließlich ist am Ende nie was passiert. Keine Angst: Ich möchte dich nicht euphorisch in etwas hineinrufen, das nicht existiert. Und es braucht nicht einfach »mehr«. Es geht darum, dass wir in unserem Leben und Glauben grundsätzlich einen »neuländischen Spirit« etablieren. Ich will dich ermutigen, dort Schritte zu tun, wo du spürst, dass Gott etwas vorbereitet haben könnte. Lass dich nicht durch negative Erfahrungen oder die eigene Trägheit ausbremsen!

Vielleicht scheint dir in Sachen Glaube aber auch alles Entdeckbare schon entdeckt zu sein, genau wie man annehmen könnte, dass Abenteuer im 21. Jahrhundert nicht mehr wirklich möglich sind. Ich beneide die alten Seefahrer und Entdecker manchmal um ihre Unwissenheit, da sie noch so viel »Terra Incognita« vor sich hatten. Dieser Begriff kennzeichnete früher auf Landkarten unbekannte Gebiete, die man noch nicht kartographiert oder beschrieben hatte.

Tatsächlich aber ist auch heute das Unentdeckte noch ungleich viel größer als das, was der Mensch schon entdeckt hat. Je mehr wir wissen, umso größer werden die Rätsel. Wie ein Hirn funktioniert, was ein schwarzes Loch ist, wo genau die Seele sitzt – niemand weiß es genau. Das Universum ist ein einziges gewaltiges Fragezeichen, mit noch 90 Prozent vermuteten unentdeckten Galaxien. Und während immerhin zwölf Menschen auf dem Mond waren, haben es erst drei auf den tiefsten Punkt der Weltmeere im Marianengraben geschafft. Es sind wohl 1,43 Millionen Landtiere bekannt, doch im Meer vermutet man um die 10 bis 30 Millionen Lebewesen. Große Gebiete der Sahara und der Arktis wie auch der Antarktis wurden bisher erst vom Satelliten aus fotografiert und in den Regenwäldern am Amazonas, am Kongo oder auch auf Papua-Neuguinea gibt es noch viele Flecken, auf die noch nie ein Forscher seinen Fuß gesetzt hat. Zwar sind im Himalaja die Achttausender alle bezwungen worden – die Sechstausender in Ost-Tibet sind hingegen noch weitgehend unberührt.4

Auch wenn auf den Landkarten »Terra Incognita« nicht mehr zu finden ist, existiert das Unbekannte nach wie vor und will entdeckt werden. Dafür musst du nicht mal zwingend körperliche Anstrengungen unternehmen, denn das mit Abstand spannendste Terra Incognita findet sich nicht irgendwo dort draußen – sondern vielmehr in deinem Inneren. Weil Gott in uns wohnt, gibt es da unglaublich viel zu entdecken. Er ist es außerdem, der auch in uns unglaublich viel Neuland schafft, das darauf wartet, entdeckt und betreten zu werden.

Das Terra Incognita in dir ist Gott natürlich alles andere als unbekannt – er hat es längst durchwandert, da er es angelegt hat. Deshalb ist es absolut zentral, dass du dich aufmachst, Gott in dir zu begegnen; dass du ihn suchst und das, was er in dir geschaffen hat. Wer nach Gott sucht, wird immer mehr erkennen, wer er selber ist.

Dieses Buch soll dich dazu ermutigen, die Entdeckerin, den Abenteurer in dir zu beleben und dich neugierig auf die Reise zu machen, die Gott noch mit dir vorhat. Wer er ist, wer du sein könntest und welches Terra Incognita er für dich bereit hat und mit dir noch einnehmen will. Denn dieser neuländisch tickende Gott will uns immer neu herausfordern, formen, zu neuen Ufern führen.

Ich wünsche dir, dass du Ähnliches durchleben darfst wie ich, wenn ich mit Gott an der Seite in Neuland aufbreche: Ängste verblassen und mein Glaube wird weit, befreiend weit. Ich kann plötzlich durchatmen, als wäre ich nach jahrzehntelangem Großstadt-Smog eines Morgens überraschend auf einem Bündner Maiensäß aufgewacht und würde reine, Schweizer Bergluft einatmen. Gib Gott die Chance, dein Inneres neuländisch zu gestalten und deinen Glauben weit werden zu lassen!

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Ich bin nicht Gott. Das darf dich schon mal mit hoffnungsvoller Erleichterung erfüllen. Aber zumindest bin ich Gott ähnlich. Dasselbe gilt auch für dich. Wobei so manch einer dieses Gott-ähnlich-Sein in einem Anflug von Überheblichkeit mit Gottgleich-Sein verwechselt. Worum es mir hier geht: Weil wir Gott ähnlich geschaffen wurden, ist es so zentral herauszufinden, wer Gott ist, wie er tickt, denkt und fühlt – denn manches davon könnte auch in uns angelegt sein! Jesus hat gesagt: »Wer mich sieht, sieht den Vater!« (Johannes 14,9). Wenn wir also wissen wollen, wie Gottes Wesen ist, müssen wir seinen Sohn betrachten.

Ein Charakterzug Gottes ist es, dass er neuländisch tickt. In Christus hat er sich immer wieder in Neuland hineingewagt – seine Menschwerdung ist nur eines von vielen Beispielen. Und es spiegelt sich in der gesamten Schöpfung wider, die bereits durch die Jahreszeiten auf ein ständiges Neuwerden und Neuschaffen ausgerichtet ist. Dabei schmeißt er nicht einfach Altes weg, um etwas völlig Neues zu schaffen, sondern lässt Altes neu werden. Recycling ist Gottes Erfindung.

Nachfolge bedeutet, Neuland zu betreten. Falls du das nicht tun willst, drehst du dich einfach nur im Kreis. Unumstößlich steht für dich und mich fest: Egal, auf welchem Boden deine Füße stehen, Gott hat Neuland für dich vorbereitet. Er tickt neuländisch und deshalb entspricht es auch deinem Wesen, dich immer wieder auf Neuland einzulassen und unterwegs zu bleiben.

GOTT SPRICHT NEULÄNDISCH

Weil Gottes Wesen neuländisch ist, ist auch sein Dialekt neuländisch. Es lohnt sich, herauszufinden, was das für dein Leben bedeutet. Viele große Lebensmissverständnisse haben damit zu tun, dass wir übersehen, dass Gott Neuländisch spricht, indem er uns immer wieder in neue Bereiche unseres Lebens hineinführt und wir dadurch mehr und mehr entdecken, wer er ist und wer wir sind.

Er stellt unsere Füße immer wieder auf neues Land – oder »auf weiten Raum«, wie der Psalmist sagt (Psalm 31,9; LUT). Das ständige Erneuern entspricht dem Lebenskonzept, das er für uns Menschen entworfen hat. Er selber liebt es, Neues zu schaffen – »Seht, ich mache alles neu« (Offenbarung 21,5) heißt es über die Zukunft, die uns bevorsteht. Aber es beginnt schon im Hier und Jetzt. Kolosser 3,10 sagt über den neuen Menschen in uns, dass er fortwährend erneuert wird, »damit ihr Gott immer besser kennenlernt und seinem Bild ähnlich werdet.« Dieser Erneuerungsprozess dauert ein Leben lang und geschieht täglich.

Du bist Neuländerin, Neuländer. Das ist vor Beginn deines Seins festgelegt worden. Damit steht auch die Aufforderung, nach diesem neuen Menschen zu forschen und nach Verwandlung zu streben. Gott möchte dein Inneres beständig formen, prägen und weiten. Das ist es, was ich wohl zusammenfassend als die stärkste Wahrnehmung von Gottes Gegenwart in meinem Leben ansehe: Gottes transformatorische Kraft in mir.

Ich habe persönlich erlebt, wie Gott mein oft hartherziges Wesen verwandelt hat, und sehe das als das wohl größte Wunder, das ich miterleben durfte. Noch immer bin ich nicht die liebevollste Person, die empathisch jedes Mal vor Mitleid in Tränen ausbricht, wenn ihr andere von ihren Leidensgeschichten erzählen. Kürzlich hat mich eine Person am Bahnhof erkannt und mich angesprochen, ob sie mit mir reden und ich für sie beten könne. Mein »Passt jetzt gerade schlecht« hat sie hartnäckig ignoriert und begonnen, mir ihre ganze Leidensgeschichte zu erzählen. Alle meine unmissverständlichen Signale hat sie ignoriert. Ich hatte Kopfschmerzen, einen tierischen Hungerast und wollte weder zuhören noch beten. Erst nach ganzen zwanzig Minuten und einem abspeisenden Proforma-Gebet konnte ich mich hungrig und verzweifelt auf eine Parkbank flüchten, wo ich mich bis zur Zugeinfahrt versteckte. Womöglich hätte Gott etwas mit dem Gespräch vorgehabt – schließlich hatte ich die Person nur getroffen, weil ich meinen Zug knapp verpasst hatte und eine Stunde lang auf den nächsten warten musste. Aber ich bin nicht immer bereit für Gottes Ideen und in solchen Momenten nimmt der alte Boppi den neuen in den Würgegriff, bis dieser blau anläuft und umkippt.

Auch wenn ich mich in dieser Situation hartnäckig dem Neuland verweigert habe: Gott hat mich verwandelt und mein steinernes Herz über die Jahre sehr viel weicher gemacht und einen Geist in mich eingepflanzt, der fähig ist, sich täglich zu erneuern (Hesekiel 36,26). Es ist ein Prozess. Und das ist gut so. Gott schafft in mir diesen neuländischen Spirit und richtet mein Herz auf Neuland aus, das er mir Tag für Tag zeigen will. Das ist es auch, was Römer 12,2 ausdrückt:

»Richtet euch nicht länger nach den Maßstäben dieser Welt, sondern lernt, in einer neuen Weise zu denken, damit ihr verändert werdet und beurteilen könnt, ob etwas Gottes Wille ist – ob es gut ist, ob Gott Freude daran hat und ob es vollkommen ist.«

Ich habe mich in diesen Vers verliebt. Erstens beschreibt er die Erneuerung unseres Denkens, die Gott für uns vorgesehen hat. Es ist das Hineinwachsen in eine neue Denkkultur, eine Kultur, die vom Himmel her geprägt ist. Wenn wir das zulassen, dann geschieht Transformation an uns – »damit ihr verändert werdet«. Transformiert zu werden in das, was wir von Gott her zu sein und zu tun berufen sind, ist unglaublich wohltuend, gerade weil wir so oft versucht sind, Dinge in unserem Leben mit Gewalt hinzubiegen. Vieles wird dann anstrengend, dogmatisch und wirkt übertrieben fromm.

Zweitens finde ich die Wendung: »ob Gott Freude daran hat« unglaublich schön. Ich habe sie zur Grundlage aller meiner Entscheidungen gemacht. Wir fragen uns in Teams: »Was denkt ihr? Hat Gott Freude daran?« Fast immer erlebe ich, dass wir Einheit finden, weil wir nicht mehr nach der Freude unserer Seele fragen – das schwingt ja immer mit –, sondern weil wir uns danach ausstrecken, ob es Gott gefällt. Ob es sich da irgendwo tief in uns drin gut und friedlich anfühlt, wenn wir diese Entscheidung fällen. Je nach Thema ist der Prozess und die Diskussion ein hartes Ringen – aber selbst schwere Entscheidungen hinterlassen schließlich ein angenehmes Gefühl des Friedens, wenn sie auf die Freude von Gott ausgerichtet sind.

Eine der meines Erachtens größten Fallgruben des Christseins besteht darin, dass wir diesen Erneuerungsprozess nicht mehr mitmachen, weil wir unbewusst oder bewusst zur Überzeugung gelangt sind, dass wir »fertig« sind. Dass wir eigentlich verstanden haben, um was es geht, und wissen, wie es geht. Dass unser Glaube und Weltbild komplett sind. Ein Trugschluss, der uns überheblich werden lässt gegenüber anderen Menschen, die Gott vielleicht bisher ganz anders erlebt haben, und der den Prozess der Christusähnlichkeit unterbindet. »Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden«, hat Sokrates bereits bemerkt.

Als Jugendlicher war ich unbewusst der Überzeugung, dass der christliche Glaube etwas Fixes ist, etwas Statisches. Das hat sich vor allem auch auf meine Beziehungen und Begegnungen ausgewirkt – ich war in meinem Denken nicht flexibel und oft ist es bei unterschiedlichen Weltbildern und Glaubensmeinungen zur Konfrontation gekommen. Mein Grundmuster war: Irgendwann hat man begriffen, wie Gott in das Weltbild hineinpasst und wie man das Weltbild auf Gott passend macht. Ich wusste zum Beispiel klar, wie man moralisch zu leben hatte, und deshalb auch, wer alles falsch lebte. Dabei ist der persönliche Glaube alles andere als etwas Fertiges, etwas, das man einmal backt und dann sauber abgepackt für die nächsten Jahrzehnte im Tiefkühler verstaut, so wie das Atombrot der Schweizer Armee, das auch noch zwei Jahrzehnte später genießbar sein soll. Die Folge von einem statischen Glaubensbild ist die Überzeugung, dass man auf der Wahrheits-Insel gestrandet ist und alle, die etwas anderes meinen oder denken, in falschen Gewässern paddeln. Es macht unfähig, mit anderen in einen ehrlichen Dialog einzutreten, weil man lieber überzeugt als zuhört. Glaube ist jedoch ein Prozess. Er wächst gemeinsam mit uns und verändert sich über die Jahre. Gott wird nicht irgendwann mit unserem Glauben fertig sein, damit wir uns mit ihm auf eine Parkbank setzen und warten können, bis das Leben vorbeigezogen ist. Er führt uns vielmehr immer und immer wieder in Neuland hinein.

Man betritt den Glauben nicht wie einen Kinosaal, um dann in einer Endlosschleife für den Rest des Lebens denselben Film zu schauen.

Glaube verändert sich und damit auch manche Dinge, die wir für wichtig und wahr halten. Nicht alle Wahrheit ist absolut – einige Wahrheiten sind beispielsweise nur für spezielle Lebensphasen gültig. Für meine jüngste, dreijährige Tochter gilt zum Beispiel: Auf der Straße wird nicht gespielt! Das ist sinnvoll, da es dort gefährlich für sie ist, obwohl dort nur wenige Autos fahren. Wird sie dann größer, wird diese Wahrheit revidiert: »Pass auf, wenn du auf der Straße unterwegs bist.« Später können wir noch einen Schritt weiter gehen und gemeinsam dort Federball spielen.

Natürlich lässt sich das nicht eins zu eins auf den Glauben übertragen. Aber als Jugendlicher hat es mir beispielsweise geholfen, vieles klarer abgegrenzt zu sehen, während ich heutzutage erlebe, wie Gott mich immer wieder aus scheinbar klaren Begrenzungen herausruft und mich »hinaus ins Weite führt« (vgl. Psalm 18,20).

GOTT LIEBT NEUE BRILLEN

Ein Merkmal von Gottes neuländischem Wesen ist seine Vorliebe für Paradigmenwechsel, die er uns Menschen immer wieder zumutet. Manchmal vergisst man sehr schnell, dass alles, was uns als absolute Realität vorkommt, bloß die durch unsere persönliche Brille gefilterte Version davon ist. Die Brille unserer Geschichte, unserer Erfahrung, unserer Vorstellungen, unserer Wünsche usw. Ein Paradigmenwechsel ist folglich die Veränderung einer gewohnten Sicht- und Denkweise, weil man die Realität plötzlich anders wahrnimmt und herausgefordert wird, entsprechend neu zu denken und zu handeln. Mir ist das immer dann geschehen, wenn ich mich aus meiner Komfortzone, aus meiner gewohnten Umgebung gewagt und dann einen unschuldigen Blick über die Schulter zurück auf mein Leben geworfen habe.

Die Bibel zeugt davon, dass Gott Paradigmenwechsel nicht nur zulässt, sondern geradezu herbeiführt – Paradebeispiele sind die Menschwerdung, die Auferstehung und die Ausgießung des Heiligen Geistes. Mein Freund und Büro-Kollege Peter Höhn meinte einmal:

»Manchmal ist das Leben wie ein Erdbeben: Alles, was richtig schien, gerät aus den Fugen. Das bisherige Weltbild taugt nicht mehr, und man ist gezwungen, die Realität anders zu sehen. Die Bibel zeigt, dass Gott es liebt, den Menschen mit solchen Erfahrungen den Horizont zu erweitern.«

Das kann durch einschneidende und überraschende Erfahrungen passieren, bei denen man eher unfreiwillig auf die Reise geschickt wird, oder aber durch den natürlichen Lebensprozess oder sogar willentliche Entscheidungen wie Heirat, Kinder, Berufswechsel usw.

Ja, natürlich ist Gott ein Gott der Treue und der Verlässlichkeit, der sich in der Bibel als der ewig Gleiche offenbart. Gleichzeitig ist er aber auch einer, der Neues schafft (Jesaja 65,17), der immer wieder unerwartet unsere Pläne durchkreuzt, unsere Mauern sprengt, den Horizont erweitert und mit uns weitergeht, damit wir seine größeren Pläne erkennen. Er spricht in unser Leben hinein, um uns in neuländisches Terrain hineinzubewegen.

Eine Erneuerung des Denkens ist unerlässlich, damit wir als Jesus-Nachfolgerinnen und -Nachfolger charakterlich und geistlich reifen. Und genau deshalb bewegt Gott uns immer wieder in diese Umdenk-Situationen hinein. Es ist gut, wenn wir auch Eigenschaften wie Treue, Stabilität und Zielstrebigkeit hochhalten, gleichzeitig gilt aber, sich nicht in fixen Vorstellungen zu verbeißen, zu verhärten oder zynisch zu werden. Es ist wie bei einem dieser Gummi-Dichtungsringe beim Wasserhahn … Er muss stabil und treu an seinem Platz sein, gleichzeitig aber auch flexibel und weich bleiben. Wenn er sich verhärtet und spröde wird, dichtet er nicht mehr richtig und der Hahn beginnt zu tropfen. Wobei ich damit jetzt nicht sagen will, dass jemand mit einer unflexiblen Persönlichkeit nicht ganz dicht ist … Tatsächlich ist es nicht immer so einfach, etwas neu zu denken.

Als wir drei Monate auf den Philippinen verbrachten, mussten wir als ganze Familie einige Justierungen vornehmen – von der Kultur bis zur Temperatur. Zurück in der Schweiz begann der Adaptierungsprozess von Neuem. Eine meiner Töchter fragte auf dem WC sitzend irritiert, wohin sie mit dem Klopapier solle. Auf den Philippinen hatte sie gelernt, dass man es im offenen Eimer neben der Schüssel entsorgt, weil sonst die Abflussrohre verstopfen. Außerdem getrauten sie sich anfänglich nicht mehr, aus dem Wasserhahn zu trinken, weil das doch »Durchfallwasser« sei. Wir müssen uns im Leben immer wieder auf neue Situationen einstellen – und was vielleicht einmal gegolten hat, rückt plötzlich in den Hintergrund oder ist für die nächste Phase des Lebens sogar unpassend und falsch.

Es hilft definitiv, wenn wir Krisen und Konflikte als Chancen sehen, die uns im Leben weiterbringen. Als Türschwellen in einen neuen Lebensabschnitt hinein, als Chancen für Paradigmenwechsel und die Erneuerung unseres Denkens – auch wenn das zuweilen unangenehm und schmerzhaft sein kann.

Wo hat Gott dich in etwas hineingeführt, dass dich herausgefordert hat, dein Denken zu erneuern und Veränderung zuzulassen?

Gott hat mit mir in verschiedenen Bereichen meines Lebens, Denkens und Glaubens immer wieder neuländisch kommuniziert. Und es scheint mir, als gäbe es nicht viel, was er lieber tut, als uns zu ermutigen, die Brille zu wechseln. Darum – wenn wir wissen wollen, was Gott mit uns vorhat – müssen wir lernen, seine Art zu kommunizieren zu verstehen. Und dann müssen wir uns mit ihm dorthin bewegen, wohin er uns schon vorausgegangen ist. Für ihn ist es ja kein Neuland und es ist sehr beruhigend zu wissen, dass wir nie ins Ungewisse laufen, sondern den absoluten Reiseexperten an unserer Seite haben.

GOTTES NEULAND HÖRT NIE AUF

Weil Gottes Wesen neuländisch ist und du aus ihm heraus geboren bist, bist du auch in deiner Identität Neuländerin oder Neuländer. Ja, vielleicht bist du darüber hinaus empathisch, philosophisch, modisch, manchmal apathisch oder stoisch, lyrisch, zynisch, launisch, ein bisschen exotisch und erotisch, bestimmt auch irdisch. Aber allem voran bist du neuländisch.

Es gibt Menschen, die umgibt ein Entdeckergeruch wie mich der Schweißgeruch nach einem harten Kampf auf dem Tennisplatz. Ernst Tanner, der Gründer der Helimission, ist einer dieser Pioniere und lebenden Legenden, die man sonst nur aus Büchern kennt. Er erzählte mir bei einer Begegnung, wie er als erster Mensch überhaupt die Sahara mit einem Helikopter überquerte. Zu diesem unglaublichen Abenteuer wäre es jedoch um ein Haar nie gekommen, denn unterwegs nach Afrika verflog er sich auf seinem ersten Teilstück von Bern nach Genf schon nach zehn Minuten dermaßen, dass er neben einem Restaurant landen musste, um nachzufragen, wo er eigentlich war. Ich bewundere Ernst, seinen Sohn Simon und die anderen Piloten der Helimission, die unter teils widrigen Umständen Menschen in Not helfen und dabei in all den Jahren unglaubliche Dinge erlebt haben: von Notlandungen, Angriffen und Schüssen auf die Maschine bis zum Absturz aufgrund widriger Wetterverhältnisse bei dem Bestreben, die letzten Kannibalenstämme im Herzen Papuas zu erreichen.

Ich hingegen war schon als Kind nie wirklich einer dieser offensichtlichen Draufgängerjungs, die alle Grenzen ausloten mussten. Während sich einige ihr Territorium erkämpften, indem sie im Sandkasten auf andere mit Schäufelchen und Eimerchen eingeprügelt haben, fand ich mich meistens am anderen Ende des Schäufelchens und des Eimerchens wieder. Wenn so richtig gestandene Männer einen Testosteronschub bekommen, während Bear Grylls irgendwo in der Wildnis Maden aus einem Kamelkadaver pult und Kuhaugen ausschlürft, um zu überleben, sitze ich lieber bequem auf dem Sofa und pule Chips aus der Tüte, während ich an meinem gekühlten Energydrink nippe. Aber trotzdem habe ich gemerkt, dass selbst ich als totaler Normalo und Bünzli-Schweizer in mir einen schlummernden Drang nach Abenteuer habe. Nachdem ich mit Freunden in einem Film gesehen hatte, wie Menschen nach einem Flugzeugabsturz im Gebirge ums Überleben kämpfen und am Ende sogar Menschenfleisch essen mussten, packte uns das Abenteuerfieber. Keine Ahnung mehr, wie es sich soweit aufschaukeln konnte – jedenfalls fand ich mich neben zwei Freunden auf der Friedhofswiese wieder, wo wir bei leichtem Schneefall unter einer Militärplane zu nächtigten versuchten. Viel geschlafen haben wir nicht. Ich war damit beschäftigt, mir einzureden, dass das menschenfressende Etwas wohl auf der anderen Seite unserer Dreierreihe mit seinem Mahl beginnen würde, was mir einen kleinen, aber womöglich entscheidenden Vorsprung verschaffen würde.

Ich bin überzeugt, dass unabhängig von deinem persönlichen Sicherheitsbedürfnis auch in dir eine Abenteurerin, ein Entdecker, eine Neuländerin schlummert. Von Beginn deiner Existenz an bist du als Entdecker geschaffen, dazu verurteilt oder berufen – je nachdem, wie du es nennen magst. »Das Leben ist Veränderung, und ohne Erneuerung ist es unbegreiflich«, sagte der russische Philosoph Nikolai Berdjajew.

Ich habe es bei meinen vier Mädchen schon in den ersten Lebensjahren beobachten können: Sie machen von Geburt an nichts anderes, als die Welt zu entdecken. Unabhängig, ob ängstlich zurückhaltende oder draufgängerisch mutige Persönlichkeit: Alle haben bereits eine mächtige Entdeckungsreise hinter sich – von heftigen Abstürzen bis hin zu den Tests »Finger gegen Herdplatte« oder »Schere gegen Unterlippe«.

Wenn wir Jesus nachfolgen, führt er uns automatisch in Neuland. Er geht voran, wir hinterher. Dieser Prozess des Entdeckens wird auch mit unserem Tod und dem Übergang ins ewige Leben nicht vollendet sein. Epheser 2,6-7 bringt es auf den Punkt:

»Er hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in der Himmelswelt in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeitaltern den überragenden Reichtum seiner Gnade in Güte an uns erwiese in Christus Jesus« (ELB).

Dieses »Erweisen« ist spannend – andere Versionen übersetzen das Wort auch als kundtun5, zur Schau stellen, demonstrieren, erzeigen oder sichtbar machen. William MacDonald schreibt dazu:

»Der Himmel wird die Schule sein und Gott unser Lehrer. ›Seine Gnade‹ wird das Schulfach sein und wir die Schüler. Und das Schuljahr wird die ganze Ewigkeit lang dauern. Das sollte uns von der Vorstellung befreien, dass wir alles wissen werden, wenn wir in den Himmel kommen. Nur Gott weiß alles, und wir werden ihm niemals völlig gleich sein.«6

MacDonald geht davon aus, dass sich das Thema der Gnade nie erschöpfen wird und Gott es uns durch die ewigen Zeitalter hindurch offenbaren wird.

Das Wort endeíknymi (erweisen) kommt unter anderem noch in 2. Timotheus 4,14 vor: »Alexander, der Schmied, hat mir viel Böses erwiesen; der Herr wird ihm vergelten nach seinen Werken« (ELB). Man könnte hier auch statt »erweisen« »zufügen« einsetzen, also nicht nur im Sinn von »sehen lassen«, sondern »ganzheitlich erfahren lassen«. Dies gilt auch für unsere Stelle weiter oben. Das »ganzheitliche Erfahren« ist nicht in einem Moment geschehen und auch nicht irgendwann beim Eintritt in die Ewigkeit abgeschlossen, sondern es geht immer weiter.

Gott wird uns durch viele Zeitalter hindurch aufzeigen, was seine Gnade alles beinhaltet. Eines davon reicht nicht aus für die zunehmende Ausbreitung des unermesslichen Gnadenreichtums. Nur in einer großen Menge von Zeitaltern kann sich die gewaltige und unüberschaubare Gnade Gottes entwickeln, entfalten und erschließen. Deshalb heißt es in den Klageliedern 3,22-23: »Ja, die Gnadenerweise des HERRN sind nicht zu Ende, ja, sein Erbarmen hört nicht auf, es ist jeden Morgen neu. Groß ist deine Treue« (ELB). Du kannst Gott nicht wie ein Bild behandeln, dich vor ihn hinsetzen und ihn betrachten, bis du jedes kleine Detail ergründet hast. Irgendwann gibt selbst das faszinierendste Suchbild nichts mehr her … weil du jeden Quadratzentimeter schon zigmal durchforstet und studiert hast. Aber Gott ist kein Bild. Gott offenbart sich dir mit seinem Wesen jeden Tag neu und das wird nie enden.

Seine Gnade wirst du nie endgültig ergründet haben, auch nicht sein Erbarmen, seine Liebe, seine Treue, seine Wahrheit und seine Güte. Paulus schreibt dazu in Epheser 3,19: »Ja, ich bete darum, dass ihr seine Liebe versteht, die doch weit über alles Verstehen hinausreicht, und dass ihr auf diese Weise mehr und mehr mit der ganzen Fülle des Lebens erfüllt werdet, das bei Gott zu finden ist.« Auch hier geht es um diesen fortwährenden Prozess, dieses »mehr und mehr« Entdecken, wer und wie Gott ist und was es heißt, wirklich aus ihm heraus zu leben.

Wir lernen und wir werden immer Lernende bleiben – für mich eine faszinierende Aussage über eine Ewigkeit, die alles andere als langweilig werden wird. Es ist der Ort, für den du schon immer bestimmt bist. Da gehörst du hin. Diese neue Erde, das ist deine Staatszugehörigkeit. Du lebst zwar in dieser Welt, bist aber hinausadoptiert. Hast sozusagen eine Doppelstaatsbürgerschaft bekommen. Du gehörst in dieses Neuland! Meine erste Identität ist deshalb weder Zürcher noch Schweizer noch Europäer, sondern schlicht und einfach Neuländer.

Wie lebst du mit diesem Neuländer-Bewusstsein?

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Angst zu haben, ist völlig normal. Auch Angst vor dem Neuen ist normal. Aber wenn wir uns bewegen – und das nicht nur im Kreis –, wenn wir uns weiterbewegen und in von Gott vorbereitetes Neuland kommen wollen, müssen wir lernen, unseren Ängsten ins Auge zu schauen, sie zu konfrontieren und mit Gottes Hilfe zu überwinden.

In der Angst zu leben und die eigenen Ängste wie Gäste in unserem Haus zu akzeptieren, wird uns vom Leben, das Gott verheißen hat, abhalten. Angst torpediert unseren Glauben so wie ich früher die Schlümpfe meiner Schwester mit dem Luftgewehr. Sie waren danach ziemlich übel zugerichtet – unser Glaube wird nach solchen Attacken auch Eindellungen und Absplitterungen aufweisen. Am Ende verlieren wir unsere Ziele aus den Augen und leben am prächtigen Land vorbei, das uns vom Himmel her zustehen würde.