Neustart fürs Nervensystem - Jessica Klebe - E-Book

Neustart fürs Nervensystem E-Book

Jessica Klebe

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Beschreibung

Dein Weg zu einem regulierten Nervensystem Das Nervensystem ist das Zentrum der Gesundheit. Gerät es aus dem Gleichgewicht, kannst du das auf unterschiedlichste Weisen spüren. Die Folgen reichen von innerer Unruhe über Wut und Überforderung bis hin zur Depression. Aber auch die Verdauung, das Immunsystem, die Haut- oder Herzgesundheit können betroffen sein. Dabei ist es gar nicht so schwierig, dem Nervensystem zu helfen, wieder ins Lot zu kommen. Schritt für Schritt in die richtige Richtung Dr. Jessica Klebe ist ganzheitliche Ärztin und eine absolute Expertin, wenn es darum geht, wie Gehirn und Körper miteinander agieren. Praxisnah und verständlich erklärt sie, wie du herausfindest, was dein Nervensystem stört, um gezielt vorgehen zu können. Dafür hat sie ein spezielles 5-Säulen-Programm entwickelt, mit dem du dein Nervensystem wieder in Balance bringst und sowohl dein mentales als auch dein körperliches Wohlbefinden stärkst und schützt. Mit den wirkungsvollsten Techniken aus - Mindwork, - der richtigen Nährstoffversorgung und - sanften Bewegungsübungen gelangst du zu mehr Stressresistenz und frischer Lebensenergie. Denn Gesundheit beginnt im Gehirn!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 307

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buchvorderseite

Für Jonne und Matilda

Titelseite

Dr. med. Jessica Klebe

Neustart

fürs

NERVENSYSTEM

REGULIEREN • NÄHREN • STÄRKEN

Dein Weg zu emotionaler Balanceund körperlichem Wohlbefinden

riva

Inhalt

Vorwort von Florian Sump

Hilfe für alle, deren Batterien leer sind

• Kapitel 1

Die Folgen eines daueraktivierten Nervensystems

Die wichtigsten Systeme des Körpers

• Kapitel 2

So arbeitet das Nervensystem

Das zentrale und periphere Nervensystem

Der Aufbau unseres Gehirns

Das autonome Nervensystem: ein Balanceakt zwischen Anspannung und Entspannung

• Kapitel 3

Was dein Nervensystem reizt und was es beruhigt

Was das Nervensystem braucht, um zu erblühen

Stress versus Trauma: Was ist der Unterschied?

Das nicht artgerechte Leben

Wie unsere Genetik unsere Stressresistenz beeinträchtigen kann

• Kapitel 4

Die Folgen eines daueraktivierten Nervensystems

Kognitive Stressfolgen

Psychoemotionale Stressfolgen

Körperlich-organische Veränderungen durch ein dysreguliertes Nervensystem

• Kapitel 5

Die 5 Säulen eines ausbalancierten Nervensystems

SÄULE 1 Essenzielles Wissen über das Nervensystem

SÄULE 2 Gesund denken – Arbeit mit deinem Präfrontalkortex

SÄULE 3 Gesund fühlen

SÄULE 4 Körperarbeit

SÄULE 5 Deine Organe nähren

Jetzt kommt es auf dich an!

Anhang

Quellen

Verwendete und lesenswerte Literatur

Empfehlungen der Autorin

Listen der Gefühle

Dank

Über die Autorin

Vorwort von Florian Sump

Vor etwa zwei Jahren fing ich an, Dinge anders zu machen als vorher. Eigentlich begann es schon während der Pandemie, denn in dieser Zeit fand ich Beruhigung und Klarheit durch Atemübungen. Dass sowas wirklich funktioniert und kein Hokuspokus ist, faszinierte mich so sehr, dass ich fortan mein komplettes Umfeld damit vollquatschte, wie toll die Effekte dieser Atemübungen seien und dass jeder das einmal ausprobiert haben sollte. Die Gründe lagen doch auf der Hand: Es kostet nichts, ist an keinen bestimmten Glauben gebunden, frei zugänglich für alle Menschen, und wirkt sofort! Ich war gehypet. Es folgten kalte Duschen, Meditation, Sport, Vitamine und weitere Nährstoffe. Midlife-Crisis? Keine Ahnung, nach Krise hat sich das alles jedenfalls nicht angefühlt. Eher nach einem neuen Weg, meinem Körper etwas freundschaftlicher und bewusster zu begegnen als die Jahrzehnte zuvor. Das alles hatte für mich aber nichts zu tun mit der überall um sich greifenden, fast schon zwanghaften Selbstoptimierung, sondern wurde lediglich von mir praktiziert, um mir ein gutes Gefühl mit mir selbst zu geben und Ruhe zu finden. Wie oft spürt man schon Ruhe im stressigen Alltag? Und was kann man selbst dafür tun?

Wie ich herausfand, konnte ich eine ganze Menge dafür tun. Aber warum die Dinge, die ich jetzt anders machte als vorher, wirklich funktionierten und mir halfen, ein neues Gleichgewicht zu finden, das wurde mir erst beim Lesen dieses Buches so richtig klar. Wer sich Neustart fürs Nervensystem von Jessica Klebe ähnlich interessiert und begeistert durchliest wie ich, der wird verstehen, wie unser Körper funktioniert und wie viel wir selbst tun können, um unser geschundenes Nervensystem wieder auf Vordermann zu bringen. Spoiler: eine ganze Menge!

Wer auch immer du bist: Das hier ist essenzielles Wissen, das dein Leben und dein Verständnis von dir selbst so sehr bereichern kann, dass ich direkt wieder anfangen will, jeden damit vollzuquatschen. Lass ich aber lieber sein, dafür ist das Thema zu komplex und facettenreich. Außerdem gibt es ja jetzt dieses wunderbare Buch, das ich in seiner Entstehung begleiten durfte und das diesen Job mit Bravour erledigt.

Viel Freude beim Lesen!

Florian

Sänger der KinderbandDeine Freundeund ehemaliger Sänger der PopbandEcht

Hilfe für alle, deren Batterien leer sind

Dieses Buch ist für alle, die montagmorgens aufwachen und sich wünschen, es wäre schon Freitag – weil sie ihre Woche nicht wirklich leben, sondern nur überstehen. Der Alltag fühlt sich wie eine endlose To-do-Liste an, während die eigenen Energiereserven immer weiter schwinden und sich allmählich körperliche und emotionale Erschöpfungszustände bemerkbar machen.

In unserer leistungsorientierten, schnelllebigen Gesellschaft ist Stress längst zur Normalität geworden. Doch anhaltender Druck und chronische Anspannung fordern ihren Preis – auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene.

Dieses Buch ist für dich, wenn du spürst, dass der ständige Stress an dir zehrt, und du einen Weg suchst, um deine innere Balance zurückzugewinnen. Es bietet dir ein ganzheitliches Konzept, das dir hilft, dein Nervensystem zu stärken, deine Batterien nachhaltig aufzuladen und das Leben wieder bewusst zu genießen.

Warum ich dieses Buch schreibe

Ich habe viele Jahre als Fachärztin für Innere Medizin in der klassischen Schulmedizin gearbeitet und mir dabei auch häufig die Nächte in Notaufnahmen und auf Intensivstationen um die Ohren geschlagen. Mein Blick auf den menschlichen Körper war geprägt von klaren Strukturen: Wir hatten Fachabteilungen, Spezialisten für jedes Organ und Symptome, die wir vor allem versuchten, mithilfe von Medikamenten in den Griff zu bekommen. Doch in all diesen Jahren war mir nicht bewusst, dass ich dabei immer nur Teile eines Ganzen sah – wie Puzzlestücke, die kein vollständiges Bild ergaben. Erst ein einschneidendes persönliches Erlebnis hat meine Perspektive grundlegend verändert.

2016 nahm sich meine Mutter nach langjähriger psychischer Erkrankung das Leben. Meine Tochter war zu diesem Zeitpunkt gerade erst anderthalb Jahre alt und ich war schwanger mit meinem Sohn. Schon während meiner Kindheit hatte meine Mutter immer wieder Phasen, in denen sie psychisch instabil war und in Kliniken behandelt werden musste. In vielen Jahren der Sorge um sie stand ich dauerhaft unter chronischem Stress. Über Jahre lebte ich mit der ständigen Angst, dass meine Mutter sich das Leben nehmen könnte. Diese Angst war wie ein Schatten, der mich überallhin begleitete – während ich als junge Assistenzärztin 60-Stunden-Wochen absolvierte und selbst erst lernen musste, mit der großen beruflichen Verantwortung umzugehen.

Als es geschah, wurde mir klar: Auf einen solchen Verlust kann man sich niemals wirklich vorbereiten. Der Schock traf mich tief – nicht nur emotional, sondern auch in meinem beruflichen Selbstverständnis. Plötzlich stellte ich mir Fragen, die ich zuvor nie zugelassen hatte. Wie kann ich trotz allem, was ich erlebt habe, glücklich sein? Wie kann ich verhindern, dass meine Kinder eines Tages eine ähnliche Last tragen müssen, wie ich sie getragen habe? Ich begann, unzählige Bücher zu lesen, Podcasts zu hören und zunehmend Fortbildungen in ganzheitlicher Medizin zu absolvieren. Ich machte mehrere Coaching-Ausbildungen und vertiefte mich immer weiter in die Frage, was uns Menschen wirklich gesund und glücklich erhält.

Nach und nach begann ich zu begreifen, dass wir weit mehr sind als die Summe unserer Organe und Systeme. Der Verlust meiner Mutter zwang mich, meine eigene Haltung zu hinterfragen und mich mit dem auseinanderzusetzen, was die Schulmedizin oft ausklammert: die Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele.

Alles ist miteinander verbunden

Ich erkannte, dass unser Nervensystem ein zentraler Schlüssel ist, um den Menschen ganzheitlich zu verstehen. Es ist der Ort, an dem alle Erfahrungen – aus der Gegenwart wie aus der Vergangenheit – in unseren Erinnerungen gespeichert sind. Chronischer Stress, der in unserer modernen Welt allgegenwärtig ist, trifft stets auf alte, oft unbewusste Wunden. Diese hinterlassen nicht nur Spuren im Nervensystem, sondern äußern sich in unserem gesamten Körper. Zusammen entfalten sie eine Dynamik, die unsere Gesundheit auf allen Ebenen beeinflusst.

Viele Erkrankungen, die ich über Jahre hinweg behandelt habe – von chronischen Schmerzen über Verdauungsprobleme, Autoimmunerkrankungen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen –, hatten oft neben der rein organischen Ursache auch eine tiefere Wurzel, die ich damals nicht erkannte: den anhaltenden Stress in Körper und Nervensystem. Wir diagnostizieren in unserem Medizinsystem diese Krankheiten, behandeln die Symptome und verschreiben Medikamente, doch die chronischen Stressoren bestehen unter der Oberfläche weiter. Wir bekämpfen die Äste, während die Wurzeln ungehindert weiterwachsen.

Mittlerweile weiß ich, dass Heilung nicht allein durch Tabletten und Diagnosen erreicht werden kann. Ich bin nicht gegen die Schulmedizin – im Gegenteil. Ich sehe ihren Wert und ihre Notwendigkeit und konnte durch sie in der Klinik selbst dazu beitragen, Leben zu retten. Doch gerade bei chronischen Erkrankungen reicht es meist nicht, nur die Symptome zu behandeln. Es braucht einen Blick, der tiefer geht.

Der Weg zu Gesundheit und Wohlbefinden ist kein passiver Prozess, sondern ein Weg, den Arzt und Patient nur zusammen gehen können. Ich habe erkannt, dass ich als Behandlerin den Karren nicht allein aus dem Dreck ziehen kann. Eigenverantwortung spielt eine zentrale Rolle. Wer dauerhaft gesund sein möchte, muss verstehen, dass Heilung nicht ausschließlich von außen kommt, sondern zu einem großen Teil aus uns selbst heraus geschieht – wenn wir unserem Körper, unserem Nervensystem und unserer Seele die richtigen Bedingungen dafür schaffen.

Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die Ursachen psychischer Symptome immer nur im Kopf zu finden sind und die Ursachen körperlicher Symptome nur im Körper. Alles ist ein Netzwerk. Es ist sicher kein Zufall, dass so viele Menschen mit körperlichen Erkrankungen auch psychische Symptome entwickeln – und umgekehrt. Wenn wir dem begegnen wollen, müssen wir den Menschen als Ganzes betrachten – nicht in isolierten Teilen, als ließe sich das Herz vom Bauch und der Bauch vom Gehirn trennen.

Dieses Buch ist mein Versuch, eine Brücke zu schlagen – zwischen der Schulmedizin, die ich immer noch praktiziere, und einer ganzheitlichen Sichtweise, die mich gelehrt hat, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen.

Fünf Säulen, auf denen ein starkes ­Nervensystem ruht

Wenn wir an ein gesundes Nervensystem denken, verbinden viele damit oft Entspannungsübungen. Diese sind zweifellos eine wichtige Säule für ein gesundes und widerstandsfähiges Nervensystem. Mittlerweile weiß ich jedoch, dass das nicht reicht. Nicht selten liegen treibende Stressoren im Unterbewusstsein verborgen oder es bestehen zahlreiche Nährstoffmängel, die eine gute Regulation des Körpers verhindern. Ganzheitliche Gesundheit basiert also immer auf mehreren Säulen.

Ich werde dir fünf Säulen vorstellen, die die essenziellen Grundpfeiler für ein nervenstarkes Leben bilden – basierend auf wissenschaftlicher Forschung, zahlreichen Fortbildungen und jahrelanger eigener Erfahrung. Die fünf Säulen sind:

1Essenzielles Wissen: In den ersten Kapiteln des Buches wird es darum gehen, dir ein ganzheitliches Gesundheitsverständnis und tiefgreifendes Wissen über das Nervensystem zu vermitteln.

2Gesundes Denken: Hier nutzen wir dein denkendes Gehirn, um Bewusstheit darüber zu erlangen, welche unbewussten, erlernten Muster dich bisher begleitet haben. Wir ersetzen stresserzeugende Denkmuster durch gesunde, Ruhe bringende Denkstrukturen. Auch auf das Unterbewusstsein gehen wir hierbei ein.

3Gesundes Fühlen: Hierbei geht es darum, die Welt der Emotionen besser zu verstehen und einen gesunden Umgang mit ihnen zu entwickeln. Du erfährst, warum Emotionen wichtig sind und wie sie auf unseren Körper wirken. Zudem beleuchten wir ungesunde Bewältigungsstrategien, die langfristig Stress verstärken, und ich zeige dir Wege auf, wie du gesunde Alternativen für dich finden kannst.

4Körperarbeit: Bei dieser Säule nutzen wir den Körper als Schlüssel zur Regulie­rung des Nervensystems. Denn Stress und belastende Erfahrungen zeigen sich nicht nur in unserem Geist, sondern manifestieren sich im gesamten Körper – auch in unseren Muskeln, Faszien und Gelenken.

5Die Organe nähren: Bei dieser Säule geht es um die körperlichen Auswirkungen von chronischem Stress. Wir sehen uns an, wie eine gezielte darmgesunde Ernährung, Nährstofftherapie, Blutzuckerregulation sowie die Unterstützung der Entgiftungs­leistung zur Stärkung des Nervensystems beitragen können.

Aaron Antonovsky, ein renommierter Medizinsoziologe, prägte den salutogenetischen Gesundheitsansatz. Er stellte die Frage »Was hält uns gesund?« statt, wie in der Medizin meist üblich, »Was macht uns krank?«. So definierte er den Begriff des Kohärenzsinns, der die innere Haltung eines Menschen beschreibt, die Gesundheit maßgeblich fördert, die psychische Widerstandsfähigkeit stärkt und sogar das Leben verlängern kann.1 Kurz gesagt erscheint uns etwas kohärent – oder stimmig –, wenn drei Aspekte erfüllt sind:

•Verstehbarkeit: Wir können uns auf die Umstände einen Reim machen.

•Handhabbarkeit: Wir haben grundsätzlich das Gefühl, dass wir etwas ­bewirken können.

•Sinnhaftigkeit: Aufgaben und Ereignisse im Leben ergeben für uns einen Sinn.

Genau aus diesem Grund erhältst du in den ersten Kapiteln das nötige Wissen, das es braucht, um dir Verstehbarkeit zu vermitteln. Im Laufe der Kapitel entsteht daraus idealerweise eine wachsende Sinnhaftigkeit – du erkennst noch mehr, warum es sich lohnt, dich mit diesen Themen zu beschäftigen. Last but not least erwarten dich praktische Handlungsimpulse, die dir helfen, das Gelernte auch in deinem Alltag umzusetzen und damit Handhabbarkeit zu erfahren.

Vorweg ist es mir wichtig zu sagen, dass die Auseinandersetzung mit dem Nervensystem auf emotionaler, psychischer und körperlicher Ebene für manche Menschen herausfordernd sein kann. Es könnte sich anfühlen, als würde die Tür zu einem Kleiderschrank geöffnet, in dem es schon jahrelang unordentlich gewesen ist.

Andererseits gibt es Menschen – vielleicht so wie dich –, denen es ganz leicht fällt, die Inhalte zu lesen und umzusetzen und die rasch merken, wie sie sich immer besser fühlen. Deshalb ist es mir auch so wichtig, dass du die Inhalte des Buches in deinem eigenen, nervensystemfreundlichen Tempo liest und umsetzt.

Für manche könnte die Devise The slower you go, the faster you grow (»Je langsamer du gehst, desto schneller wächst du«) von immenser Bedeutung sein, während andere schnell voranschreiten möchten. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Auf sich selbst zu achten, ist immer eine sehr gesunde Wahl.

Kapitel 1

Die Kapazität der Gesundheit

In diesem Kapitel möchte ich dir zunächst ein grundlegendes Verständnis dafür vermitteln, wie unser Körper als Ganzes funktioniert, denn letztlich hängt alles in deinem Körper zusammen und beeinflusst sich gegenseitig. So kannst du deine Nervengesundheit beispielsweise nicht unabhängig von deiner Darmgesundheit betrachten – und umgekehrt.

In meinem Verständnis von Gesundheit ist es außerdem so, dass es meist nicht »die eine Sache« gibt, die uns krank macht oder gesund hält. Vielmehr kommen wir alle mit einer gewissen Gesundheitskapazität auf die Welt. Als Metapher dafür kannst du dir ein großes Fass vorstellen. Je nachdem, welche genetischen Voraussetzungen du hast, wie viele Stressoren oder andere Belastungsfaktoren deine Mutter während der Schwangerschaft erlebt hat und wie gut deine Bedürfnisse in den ersten wichtigen Jahren deines Lebens erfüllt wurden, entwickelst du ein größeres oder kleineres Gesundheitsfass.

Dieses Gesundheitsfass füllt sich im Laufe deines Lebens schneller oder langsamer durch Triggerfaktoren, die deine Gesundheit beeinträchtigen. Solange diese das Fass nicht

Unterschiedliche Triggerfaktoren können dazu beitragen, dass dein Gesundheitsfass überläuft.

zum Überlaufen bringen, kannst du gut damit umgehen. Je größer dein Fass ist, umso länger geht es gut. Läuft es jedoch irgendwann über, können Krankheiten entstehen.

Triggerfaktoren können vielfältiger Natur sein. Die nebenstehende Abbildung gibt dir einen Überblick darüber, um welche Einflussgrößen es sich im Einzelnen handeln kann. In unserer westlichen Medizin gehen wir meist von einer einzigen Krankheitsursache aus. Beispielsweise sagt man, Gefäßplaque hat einen Herzinfarkt ausgelöst. An dieser Stelle hört die Suche nach den Verursachern meist schon auf. Doch es gibt viele weitere Faktoren, die den Ausbruch einer Erkrankung mitverursachen können: Nährstoffmängel, Entzündungen oder – sehr häufig vorkommend – eine stark treibende mitverursachende psychoemotionale Komponente.

Mein Ausbilder in medizinischer Hypnose – Dr. Steve Bierman, Direktor der Noetic Medicine Initiative am Andrew Weil Center for Integrative Medicine der University of Arizona in den USA – hat viele Jahrzehnte mit unfassbaren Erfolgen hypnotische Techniken angewandt, sowohl als Notfallmediziner direkt in der Notaufnahme als auch später in eigener Praxis. Eine Frage, die er jedem Patienten stellt, lautet in etwa: »Ich weiß, Sie wissen es nicht, ich als Ihr Arzt weiß es auch nicht, aber wenn Sie einfach nur raten sollten … Warum bekommen Sie Ihre Erkrankung gerade heute? Warum jetzt? Nicht vor drei Monaten, nicht vor zwei Wochen?« Und er bekommt erstaunliche Antworten. So sagte ein Mann mit einer Nebenhodenentzündung: »Meinen Sie, das wird mich morgen vor der Sterilisation bewahren? Meine Frau besteht unbedingt darauf.«2 Auch ich bekomme auf diese Frage oft weiterführende Antworten. Wir sollten also unser Blickfeld dafür öffnen, dass es Dinge gibt, die im Labor nicht erfassbar sind – und trotzdem sind sie da und können Hinweise auf den weiteren Umgang mit der Krankheit geben.

• Praktische Anregung •

Erstelle dein eigenes Gesundheitsfass und schätze ein, wie hoch es aktuell gefüllt ist und welche Triggerfaktoren von besonderer Bedeutung sind. Schau während des Lesens immer mal wieder auf dieses Fass und reflektiere, ob du noch etwas hinzufügen möchtest oder ob es Triggerfaktoren gibt, die du schon beseitigt hast.

Die wichtigsten Systeme des Körpers

Im Folgenden werde ich dir nun die wichtigsten Funktionsabteilungen deines Körpers so einfach wie möglich erklären. Sie machen als Ganzes deine Gesundheit aus, wenn sie fein aufeinander abgestimmt funktionieren.

Das Nervensystem

Wie dein Nervensystem im Einzelnen aufgebaut ist und funktioniert, erfährst du im zweiten Kapitel genauer. An dieser Stelle möchte ich dir für dein ganzheitliches Körperverständnis das Nervensystem jedoch schon einmal als bedeutende Stellschraube für Wohlbefinden präsentieren. Das Nervensystem ist die Steuerzentrale, von der aus dein gesamter Körper über Nervenbahnen angesteuert und beeinflusst wird. Gleichzeitig werden über diese Nervenbahnen auch Informationen aus dem Inneren des Körpers oder aus der Umwelt weitergeleitet.

Ich nenne unser Nervensystem daher auch gern den Dirigenten des Organorchesters, um zu verdeutlichen, dass ohne ein gesundes Nervensystem nichts funktioniert. Wenn der Dirigent die falschen Signale sendet, dann spielt das ein oder andere Organ auf Dauer zu leise, zu laute, schiefe oder gar keine Töne.

Das Herz-Kreislauf-System

Das Herz-Kreislauf-System ist das zentrale Versorgungssystem des Körpers. Es besteht aus Herz, Blutgefäßen und Blut. Das Herz pumpt unaufhörlich Blut durch ein weit verzweigtes Gefäßnetz, sodass Sauerstoff, Nährstoffe, Hormone und andere lebenswichtige Stoffe jede Zelle erreichen. Gleichzeitig werden Abfallprodukte wie Kohlendioxid abtransportiert. Arterien bringen sauerstoffreiches Blut vom Herzen zu den Organen, Venen transportieren sauerstoffarmes Blut zurück. In den feinen Kapillaren findet der Austausch von Sauerstoff und Nährstoffen statt. Die Hauptaufgabe ist also, die Versorgung aller Zellen sicherzustellen und überschüssige Stoffe auszuleiten – ohne gute Durchblutung kann der Körper nicht funktionieren.

Herz-Kreislauf- und Nervensystem sind eng verbunden. Das Nervensystem reguliert zum Beispiel den Herzschlag und die Gefäßweite. Umgekehrt ist das Gehirn stark von der Durchblutung abhängig: Es macht nur 2 Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber rund 20 Prozent von Sauerstoff und Energie. Schon geringe Durchblutungsstörungen können Konzentration, Gedächtnis und Stimmung beeinträchtigen.

Das Atmungssystem

Die Lunge ist das zentrale Organ der Atmung und verantwortlich für den Gasaustausch zwischen Körper und Umwelt. Sie besteht aus einer rechten und einer linken Lunge, die jeweils in Lappen unterteilt sind. Ihre Hauptaufgabe ist es, Sauerstoff aus der Luft ins Blut aufzunehmen und Kohlendioxid – ein Abfallprodukt des Stoffwechsels – abzugeben. Dieser Gasaustausch hilft außerdem, den pH-Wert des Bluts stabil zu halten, und trägt zur Regulierung des Säure-Basen-Haushalts bei.

Die Atmung wird durch Muskeln gesteuert, vor allem durch das Zwerchfell. Es zieht sich bei der Einatmung zusammen und bewegt sich nach unten, wodurch ein Unterdruck entsteht, der Luft in die Lunge zieht. Gleichzeitig heben sich die Rippen durch die Zwischenrippenmuskulatur. Beim Ausatmen entspannen sich die Muskeln, der Brustraum wird kleiner und die Luft strömt wieder aus der Lunge.

Auch das Nervensystem beeinflusst die Atmung. Bei Stress oder körperlicher Aktivität wird die Atmung schneller, in Ruhe wird sie langsamer und tiefer. Eine ruhige, gleichmäßige Atmung ist ein Zeichen für ein entspanntes Nervensystem – und kann dieses gleichzeitig positiv beeinflussen.

Die Verdauungsorgane

In der ursachenbasierten Medizin sagen wir gern »Krankheit beginnt im Darm«. Schließlich bilden die Verdauungsorgane neben der Haut die wichtigste Grenzschicht nach außen und schützen uns vor unerwünschten Eindringlingen, wenn wir sie gut behandeln. Sie bilden dabei ein komplexes System, das dafür verantwortlich ist, Nahrung aufzunehmen, zu zerkleinern, Nährstoffe für den Körper bereitzustellen und Abfallstoffe auszuscheiden. Die Verdauung beginnt im Mund und endet am After. Jeder Abschnitt hat spezifische Aufgaben:

•Mund und Speiseröhre: Die Nahrung wird zerkleinert und mit Speichel ­vermischt. Er enthält Enzyme, die bereits Kohlenhydrate spalten. Schon hier fängt die Verdauungsleistung also an.

•Magen: Er zerkleinert die Nahrung weiter und mischt sie mit Magensäure, die schädliche Keime abtötet und Nahrungsbestandteile aufspaltet.

•Leber: Die Leber produziert die Gallenflüssigkeit, die für die Fettverdauung wichtig ist. Außerdem filtert sie Schadstoffe und hilft, Nährstoffe aus der Nahrung weiterzuverarbeiten.

•Galle: Neben der Ausschleusung von Giftstoffen über die Gallenflüssigkeit hat sie die Aufgabe, bei der Fettverdauung zu helfen.

•Bauchspeicheldrüse: Neben Insulin – das Hormon, das den Zucker aus dem Blut in unsere Zellen schleust – bildet sie nahrungsspaltende Enzyme.

•Dünndarm: Dies ist das Hauptorgan der Nährstoffaufnahme. Mithilfe der Verdauungssäfte aus Leber und Bauchspeicheldrüse werden die Makro­nährstoffe (Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate) in ihre kleinsten Bausteine ­(Mikronährstoffe) zerlegt und über die Darmwand ins Blut aufgenommen.

•Dickdarm: Hier werden Wasser und Mineralstoffe zurückgewonnen, während Bakterien der Darmflora (die Gesamtheit dieser Bakterien wird Mikrobiom genannt) Ballaststoffe abbauen und unter anderem Vitamine produzieren.

Wichtig für das weitere Verständnis ist das Wissen, dass der Darm kein glatter Schlauch ist. Stattdessen besitzt er viele feine, fingerartige Ausstülpungen, die sogenannten Zotten. Dies erhöht die Oberfläche des Darms um ein Vielfaches und so können die Nährstoffe so effizient wie möglich aufgenommen werden. Die Darmschleimhautzellen, die diese Zotten auskleiden, sind durch dichte Verbindungen – sogenannte Tight Junctions – eng miteinander verbunden, sodass zwischen ihnen nicht einfach Darminhalt weiter ins Körperinnere gelangen kann. Eine zusätzliche Schutzbarriere ist eine Schleimschicht, die wie ein schützender Teppich die Darmschleimhaut bedeckt. In ihr sind auch lösliche Abwehrstoffe eingebettet (sogenanntes lösliches Immunglobulin A), die potenziell gefährliche Mikroorganismen abwehren.

Die Bedeutung der Verdauungsorgane geht weit über die reine Verdauungsleistung hinaus. Der Darm wird oft auch als »zweites Gehirn« bezeichnet, da er mit seinen Millionen von Nervenzellen ein eigenes enterisches Nervensystem hat (enteron, griechisch für »Darm«).

Die enge Verbindung mit dem zentralen Nervensystem wird auch als Darm-Hirn-Achse bezeichnet. Hierbei gehen deutlich mehr Nervenimpulse vom Darm zum Hirn als umgekehrt – was die Bedeutsamkeit der Darmgesundheit in Bezug auf die Nervensystemgesundheit unterstreicht. Das Mikrobiom spielt in diesem Gehirn-Nerven-Netzwerk eine wichtige Rolle, da es über Signalmoleküle und Stoffwechselprodukte direkt mit den Darmschleimhautzellen, den Nervenzellen und dem Immunsystem kommuniziert.

Die gesamten Verdauungsorgane sind ein fein aufeinander abgestimmtes System.

Die Abbau- und Entgiftungsorgane

Die Entgiftungsorgane sind dafür zuständig, schädliche Stoffe aus dem Körper zu entfernen. Dazu gehören Substanzen wie Umweltgifte, Medikamente, Stoffwechselabfallprodukte oder überschüssige Hormone. Die Hauptakteure dieses Reinigungssystems sind die Leber, die Nieren und der Darm. Aber auch Haut und Lunge sind unterstützend tätig. Jedes Organ trägt auf seine Weise dazu bei, den Körper sauber und gesund zu halten.

Die Leber

Sie ist unsere innere Müllverbrennungsanlage. Sie ist nämlich dazu in der Lage, Giftstoffe in einem komplexen, mehrschrittigen Prozess so umzuwandeln, dass sie dann über die Galle und den Darm oder über die Niere ausgeschieden werden können.

Die Leber hat aber noch vielfältige weitere Aufgaben. So ist sie auch eine Lagerhalle und speichert unter anderem Zucker und Vitamine, während sie zugleich als Produktionsstätte wichtige Eiweiße für das Blut und die Blutgerinnung produziert. Als Stoffwechselzentrale koordiniert sie außerdem den Zucker-, Fett- und Eiweißstoffwechsel und mischt auch bei der Krankheitsabwehr mit.

Die Niere

Ein weiteres wichtiges Entgiftungsorgan ist die Niere. Sie ist paarig auf Höhe der Taille angelegt und filtert unser Blut. Hierbei entfernt sie Giftstoffe aus dem Körper und hilft, den Blutdruck sowie Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalt zu regulieren. Wie ein feinfühliger Wasser- und Salzmanager prüft sie ständig, wie konzentriert der Urin ist. Je nach Bedarf hält sie Wasser und Elektrolyte im Körper zurück oder gibt sie zur Ausscheidung frei.

Das Immunsystem

Das Immunsystem ist unser körpereigenes Abwehrsystem, das uns vor Krankheitserregern wie Viren, Bakterien und Parasiten schützt. Es spielt aber auch eine zentrale Rolle dabei, entartete Körperzellen zu erkennen, auszuschalten und uns vor anderen schädlichen Einflüssen wie unverträglichen Nahrungsmittelbestandteilen zu bewahren. Es funktioniert wie eine gut organisierte Armee, die in verschiedenen Bereichen unseres Körpers aktiv ist. Ein Großteil der Immunzellen befindet sich dabei direkt hinter der Darmschleimhaut. Dies ist besonders sinnvoll, da Krankheitserreger häufig über die Schleimhäute in unseren Körper eindringen.

Man unterscheidet zwischen zwei Teilen des Immunsystems: dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem. Das angeborene Immunsystem funktioniert wie eine Alarmanlage – es reagiert schnell, aber eher unspezifisch auf Eindringlinge. Es ist daher nicht so genau in dem, was es tut.

Das erworbene Immunsystem wird erst aktiv, wenn der Körper in Kontakt mit Krankheitserregern oder bestimmten Bestandteilen aus der Nahrung gekommen ist. Es bildet Antikörper und geht gezielt gegen Eindringlinge vor. Ein besonders wichtiger Aspekt des erworbenen Immunsystems ist, dass es lernfähig ist: Es merkt sich Infektionen und kann beim nächsten Kontakt schneller und gezielter reagieren.

Neben seiner Abwehrfunktion muss das Immunsystem auch in der Lage sein, wieder zur Ruhe zu kommen – eine Aufgabe, die umso schwerer fällt, je stärker der Körper durch Triggerfaktoren belastet ist.

Es besteht eine enge Wechselwirkung zwischen Immun- und Nervensystem. Über Nervenimpulse und Botenstoffe, die Zytokine genannt werden, tauschen beide Systeme ständig Informationen aus. Bei einer Infektion sendet das Immunsystem Signale an das Gehirn, die zum Beispiel Fieber auslösen und das Bedürfnis nach Ruhe verstärken – dies ist als das sogenannte Krankheitsverhalten (sickness behaviour) bekannt. Dieser Effekt ist gewollt, damit wir uns ausruhen und Energie in die Immunabwehr stecken können. Leider gehen viele Menschen regelmäßig mit Medikamenten über diese sinnvolle Reaktion hinweg, um weiter funktionieren zu können. Doch langfristig kann dies dem Körper schaden, da er nicht die notwendige Zeit bekommt, sich zu regenerieren.

Das Hormonsystem

Das Hormonsystem ist ein Netzwerk aus Drüsen und Geweben, das über chemische Botenstoffe – die Hormone – nahezu alle wichtigen Vorgänge im Körper steuert. Hormone regulieren zentrale Körperfunktionen wie den Stoffwechsel, den Schlaf-Wach-Rhythmus, Wachstum, Fortpflanzung und die Stressreaktion. Wichtige hormonproduzierende Drüsen und ihre Aufgaben sind:

•Schilddrüse: Sie produziert unsere Schilddrüsenhormone, die die wichtigsten Taktgeber unseres Stoffwechsels sind. Sie beeinflussen den Energieverbrauch, die Wärmeproduktion, die Kreislaufaktivität, neuronale Funktionen und das Wachstum.

•Bauchspeicheldrüse: Sie bildet Insulin zur Blutzuckersenkung und Glukagon als Gegenspieler. Außerdem stellt sie noch andere Hormone her, zum Beispiel Somatostatin, das andere Hormone bremst, und ein weiteres Hormon, das die Verdauung steuert.

•Nebennieren: Sie produzieren Stresshormone (zum Beispiel Cortisol oder Adrenalin), Geschlechtshormone sowie Hormone zur Steuerung des Salz- und Wasserhaushalts (Aldosteron).

•Eierstöcke (bei Frauen): Sie bilden die weiblichen Geschlechtshormone (beispielsweise Östrogen oder Progesteron).

•Hoden (bei Männern): Sie produzieren vor allem das männliche Geschlechtshormon Testosteron. Dies wird jedoch in kleinen Mengen auch in Östrogen umgewandelt.

Das Hormonsystem arbeitet eng mit anderen Systemen wie dem Nervensystem, dem Immunsystem und dem Kreislaufsystem zusammen, was unseren Organismus zu einem besonders empfindlichen und komplexen Netzwerk macht. Ein ausgewogenes Hormonsystem ist entscheidend für unser körperliches und geistiges Wohlbefinden. Faktoren wie Schlaf, Ernährung, Bewegung und Stressmanagement tragen entscheidend dazu bei, das sensible Gleichgewicht der Hormone zu bewahren und somit die Gesundheit langfristig zu fördern.

Diese Abbildung zeigt die Gesamtheit und die Lage aller beschriebenen Organsysteme zueinander.

Kapitel 2

So arbeitet das Nervensystem

Nichts in unserem Körper ist so komplex wie unser Nervensystem. Diese Steuerzentrale unseres Körpers hat mich damals im Studium, als ich über den Büchern brütete, um die Zusammenhänge zu verstehen, regelrecht um den Verstand gebracht. Doch gerade diese Komplexität macht das Nervensystem so faszinierend. Es ist das Netzwerk, das jede einzelne Zelle unseres Körpers mit den anderen verbindet, Gedanken, Bewegungen, Gefühle und Reflexe steuert und uns ermöglicht, die Welt um uns herum zu erfahren. Es arbeitet ununterbrochen im Hintergrund, reguliert Körperfunktionen wie Atmung und Herzschlag und erlaubt uns gleichzeitig, bewusst Entscheidungen zu treffen oder tief in Erinnerungen einzutauchen.

Im Folgenden gebe ich dir einen Überblick über das gesamte Nervensystem, bevor wir später in Bezug auf das stressverarbeitende Nervensystem in die Tiefe gehen.

Das zentrale und periphere Nervensystem

Unser Nervensystem lässt sich in zwei Hauptbereiche unterteilen: das zentrale Nervensystem (ZNS) und das periphere Nervensystem (PNS). Diese beiden Systeme arbeiten natürlich eng zusammen, um sämtliche Funktionen unseres Körpers zu steuern und um uns mit der Außenwelt zu verbinden. Rein funktionell lassen sie sich also nicht trennen.

Das zentrale Nervensystem – bestehend aus Gehirn und Rückenmark – ist das Steuerzentrum unseres Körpers. Es empfängt, verarbeitet und speichert Informationen aus dem Körperinneren und der Umwelt und steuert daraufhin gezielt unsere Reaktionen. Zu den wichtigsten Aufgaben des ZNS zählen:

•Verarbeitung von Sinneseindrücken: Alles, was wir sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen, wird im Gehirn verarbeitet.

•Steuerung von Bewegungen: Das ZNS sendet Signale an Muskeln und ­Gelenke und sorgt so dafür, dass wir uns gezielt bewegen können.

•Regulierung von Körperfunktionen: Viele lebenswichtige Prozesse wie Atmung, Herzschlag oder Verdauung werden vom ZNS koordiniert.

•Emotionen und Denken: Gefühle, Erinnerungen, Sprache, Entscheidungen, Konzentration – all das entsteht im Gehirn.

•Kommunikation mit dem Körper: Über das Rückenmark und das periphere Nervensystem werden Informationen zwischen Gehirn und Körper hin- und hergeleitet.

Das periphere Nervensystem (PNS) ist wie ein riesiges Netzwerk aus Datenkabeln, das dein ganzes Gehirn mit dem Körper verbindet. Es umfasst alle Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark liegen, und sorgt dafür, dass Informationen in beide Richtungen fließen können. Wenn du zum Beispiel etwas Heißes berührst, leitet das PNS den Reiz sofort an das ZNS weiter und das gibt blitzschnell den Befehl zurück, die Hand wegzuziehen. Ob Bewegung, Berührung, Schmerz oder Temperatur – das PNS sorgt dafür, dass dein Körper ständig mit deinem Gehirn im Austausch steht.

Funktionell unterscheiden wir zwei weitere Anteile des Nervensystems – das somatische und das autonome Nervensystem. Beide Systeme bestehen aus zentralen und peripheren Anteilen.

•Das somatische Nervensystem (soma, griechisch für »Körper«) ist das bewusste Nervensystem. Wenn wir eine Berührung wahrnehmen oder unsere Muskeln bewegen, dann ist dieser funktionelle Bereich aktiv.

•Das autonome Nervensystem (autonomos, griechisch für »sich selbst regelnd«) wird auch als vegetatives Nervensystem bezeichnet. Es steuert all die körperlichen Funktionen, die automatisch ablaufen müssen – zum Beispiel die Atmung, Verdauung, den Kreislauf oder die Körpertemperatur.

Das Zusammenspiel von ZNS, PNS sowie den aus ihnen hervorgehenden somatischen und autonomen Anteilen ist entscheidend für unsere Existenz. Übergeordnet geht es immer darum, dass wir unser Überleben sichern. Sicherheit herzustellen ist deshalb eines der zentralsten Anliegen unseres Nervensystems. Eine weitere Aufgabe des Nervensystems besteht darin, unser Körperbudget zu regulieren: Es verteilt Energie, sorgt für Balance und passt Prozesse wie Stoffwechsel oder Immunaktivität an. So entscheidet es ständig, ob genügend Ressourcen für Handeln, Heilung oder Ruhe bereitstehen.

Der Aufbau unseres Gehirns

Damit du wirklich verstehst, wie du »tickst«, möchte ich mit dir noch eine Ebene tiefer in das Nervensystem eintauchen und gezielt auf den Aufbau des Gehirns eingehen. Dieses Organ ist extrem komplex und viele seiner Abläufe sind noch nicht vollständig erforscht. Die moderne Neurowissenschaft hat jedoch einige frühere Theorien widerlegt und durch neue Erkenntnisse ersetzt. Trotzdem möchte ich dir ein älteres Modell vorstellen, das du vielleicht bereits aus Büchern oder anderen Medien kennst. Auch wenn es wissenschaftlich nicht mehr in allen Punkten gilt, kann es helfen, das Gehirn besser zu verstehen. Im Anschluss verknüpfe ich dieses Modell mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, damit ein fundiertes und gut nachvollziehbares Gesamtbild entsteht.

Das dreieinige Gehirn

Nach dem Modell des dreieinigen Gehirns von Paul MacLean wurde lange postuliert, dass unser Gehirn aus drei unterschiedlichen Teilen besteht, die rein evolutionär zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstanden sind.3 Man könnte es auch mit einem Haus vergleichen, dessen drei Stockwerke nacheinander gebaut wurden. Diese drei Teile sind:

•der Hirnstamm (Reptiliengehirn)

•das limbische System (Emotionalgehirn)

•der Neokortex (das »neue« Gehirn)

Das Fundament – der Hirnstamm

Der Hirnstamm bildet gewissermaßen das Fundament im Hause Gehirn. Hier werden die lebensnotwendigen Körperfunktionen wie Atmung, Kreislauf, Bewegung und Muskelspannung sowie Reflexe gesteuert. Es ist der Teil des Gehirns, der immer aktiviert und in akuten Stresssituationen maßgeblich dafür zuständig ist, die nötigen Reaktionen einzuleiten. Ein beteiligtes Nervennetzwerk (die Formatio reticularis) unterstützt dabei auch unsere Wachheit sowie die Verarbeitung von Schmerzreizen. Das Fundament des Gehirns ist also darauf ausgelegt, unser Überleben zu sichern. Weil diese basalen und reflexartigen Gehirnfunktionen auch schon bei Reptilien vorhanden sind, nennt man diesen ältesten Bereich in der Theorie des dreieinigen Gehirns auch Reptiliengehirn.

Das Erdgeschoss – das limbische System

Direkt über dem Fundament liegt das Erdgeschoss: das limbische System. In diesem Stockwerk werden Emotionen verarbeitet, Erinnerungen gespeichert und Triebe gesteuert. Auch das Belohnungssystem ist hier verortet. Wenn du dich beispielsweise nach dem Essen eines Stücks Schokolade so richtig gut fühlst, dann ist dein limbisches System am Werk. Genau deshalb wird es auch Emotionalgehirn genannt.

Das limbische System verbindet das Fundament mit der darüberliegenden Etage und sorgt dafür, dass die grundlegenden Körperfunktionen um Emotionen und soziale Interaktionen ergänzt werden. Emotionen verfolgen dabei immer die Absicht, uns in eine bestimmte Richtung zu lenken. So kann Angst beispielsweise dazu führen, dass wir wegrennen.

Lass mich dir zwei wichtige Strukturen des limbischen Systems genauer erläutern, damit du ein Gefühl für dessen Komplexität bekommst: die Amygdala und den Hippocampus.

Jedes »Stockwerk« des dreieinigen Gehirns hat eigene Funktionen, aber alle Bereiche sind miteinander verbunden.

Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist ein zentraler Bestandteil unseres Alarmsystems. Sie gilt als das Angstzentrum des Gehirns, da sie eine Schlüsselrolle bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Angst spielt. Neuere Forschungen zeigen jedoch, dass die Amygdala nicht allein für das Auftauchen von Angst verantwortlich ist. Stattdessen ist sie Teil eines größeren Netzwerks, das gemeinsam verschiedene Emotionen, einschließlich Angst, erzeugt. Die Amygdala ist also auch an der Verarbeitung anderer Emotionen beteiligt.4

Wenn eine Situation neu ist und wir uns bedroht fühlen, ist die Amygdala besonders aktiv. Damit wir uns an potenziell bedrohliche Situationen erinnern können, arbeitet sie eng mit dem Hippocampus zusammen – der Hirnregion, die für das Abspeichern von Erinnerungen zuständig ist. Die Amygdala erhält sensorische Informationen aus den Sinnesorganen und direkt aus dem Körper, verknüpft diese mit den jeweiligen emotionalen Umständen und bewertet sie entsprechend. Dadurch speichert unser Gehirn nicht nur die Situation selbst, sondern auch die damit verbundenen Emotionen.

Ein gutes Beispiel für diese emotionale Konditionierung ist ein Hundebiss. Wurden wir einmal gebissen, kann diese Konditionierung dazu führen, dass das Gehirn Angst mit dem eigentlich neutralen Reiz »Hund« verknüpft. Infolgedessen kann allein der Anblick eines Hundes künftig Angst auslösen.

Der Hippocampus nun, dessen Aussehen ein wenig an ein Seepferdchen erinnert, hilft uns dabei, Erinnerungen zu speichern und diese mit Emotionen zu verknüpfen. Er ist entscheidend dafür, dass wir aus Erfahrungen lernen können. Er merkt sich Ereignisse umso besser, je stärker sie uns emotional berührt haben. Emotionen sind letztlich unsere inneren Wegweiser dafür, wie bedeutsam etwas für uns ist. Deshalb erinnern wir uns eher an Dinge, die uns begeistern – und unser Gehirn speichert auch angstauslösende Ereignisse sehr genau ab, um künftig ähnliche Situationen mit dieser Erfahrung abgleichen zu können und uns vor weiteren Gefahren zu schützen. Das ist einerseits eine große Ressource, die uns davor bewahrt, immer wieder die gleichen Fehler zu machen. Andererseits können traumatische oder als bedrohlich empfundene Erlebnisse – besonders aus der Kindheit – noch Jahre später durch ­bestimmte Auslöser, etwa einen Geruch oder ein Geräusch, unbewusst eine intensive Stressreaktion auslösen.

Die Anzahl erinnerungsspeichernder Nervenzellen im Hippocampus ist nicht unbegrenzt. Eine einzelne Nervenzelle kann immer nur zu einer Zeit für ein Erinnerungsereignis genutzt werden, wobei eine Erinnerung natürlich nie in nur einer einzigen Zelle gespeichert wird. Vielmehr entsteht sie durch das Zusammenspiel von Nervenzellen.

Damit wir nicht irgendwann vor einem vollen Erinnerungsspeicher stehen, werden die im Hippocampus gespeicherten Erinnerungen nachts, wenn wir schlafen, in das Großhirn hochgeladen. Hierdurch wird Speicherkapazität im Hippocampus wieder frei und wir können – eine gute Schlafqualität vorausgesetzt – am nächsten Tag mit einem frischen Erinnerungsakku in den Tag starten. Dies erklärt, warum Menschen mit Schlafproblemen große Einschränkungen in ihrer Gedächtnisleistung haben, denn es braucht ausreichend Zeit in der Tiefschlafphase, um den Prozess des »Umspeicherns« der Erinnerungen durchzuführen und abzuschließen. Wenn das nicht geschieht, kann im Hippocampus kein Raum für das Abspeichern neuer Erinnerungen geschaffen werden.

Der Mediziner Michael Nehls vergleicht diesen Vorgang in seinem Buch Das erschöpfte Gehirn mit dem Hochladen von Bildern von der Speicherkarte auf die Festplatte.5 Die Erinnerung an sich ist dann in unterschiedlichen Bereichen des Großhirns abgelegt. Das Einzige, was im Hippocampus zurückbleibt, sind die »Postadressen«, also die Informationen, mit deren Hilfe die Erinnerungen später wiederzufinden sind.6 Auch diese brauchen natürlich Speicherplatz, weshalb der Hippocampus zu lebenslangem Wachstum und somit Neubildung von Nervenzellen in der Lage ist.

Fakt ist allerdings auch, dass das Hippocampusvolumen der Bevölkerung laut aktueller Studienlage im Durchschnitt von Jahr zu Jahr abnimmt. Diese doch erschreckende Tatsache zeigt, dass wir ihm offensichtlich nicht die richtigen Wachstumsbedingungen liefern.7,8, Fatal, wenn wir den Hippocampus als das sehen, was er ist: der Hüter unserer persönlichen Lebensgeschichte und damit auch ein wichtiger Teil von uns, der uns unseren Charakter und unsere Identität verleiht.9

Umso bedeutsamer ist es, Bedingungen zu schaffen, die den Hippocampus stärken und seine Neubildung von Nervenzellen unterstützen. Denn nur wenn er flexibel bleibt, kann er Erinnerungen bewahren, neue Informationen aufnehmen und verarbeiten.

Neue Nerven, vielfältig gespeist

Die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus wird durch Bewegung, Lernen (indem wir also das Gehirn mit neuen Lerninhalten herausfordern), eine gesunde Ernährung, soziale Bindung und Achtsamkeit gefördert – Themenbereiche, auf die wir in diesem Buch noch genauer schauen werden.

Viele Prozesse im limbischen System laufen sehr schnell und unbewusst ab und gleichzeitig haben unsere Emotionen und Erinnerungen einen größeren Einfluss auf unser Verhalten und unser Wohlbefinden, als uns manchmal lieb ist. Vielleicht wird dir jetzt schon klarer, warum wir unsere Probleme nicht durch Denken allein lösen können.

Das Obergeschoss – der Neokortex

Ganz oben im Gehirn befindet sich der Neokortex, auch Großhirnrinde genannt, der für all unsere höheren kognitiven Funktionen zuständig ist. Über all diese ließe sich viel schreiben. Einen genaueren Blick möchte ich hier aber nur auf den präfrontalen Kortex (prä, »vor«, frons, »Stirn« und Kortex, »Rinde«) werfen, der direkt hinter der Stirn sitzt. Er ist eine Art Chefplaner. Er hilft uns, kluge Entscheidungen zu treffen, unser Verhalten zu steuern und den Fokus auf langfristige Ziele zu richten. Wir brauchen ihn, um Probleme zu lösen, unsere Impulse zu kontrollieren und uns in andere Menschen hineinzuversetzen. Doch dieser Bereich ist weit mehr als nur ein Ort rationaler Überlegungen – er ist auch bei der Entstehung von Mitgefühl, Kreativität und Innovation beteiligt.

Besonders wichtig ist seine Fähigkeit, mit den tieferliegenden Hirnregionen zu kommunizieren und regulierend auf sie einzuwirken. Denn nur durch dieses Zusammenspiel kann er uns helfen, mit stressigen Situationen konstruktiv umzugehen.