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Der Tod eines geliebten Menschen, der Verrat eines Vertrauten und das Auftauchen eines Verlorenen sind noch nicht genug Drama, findest du? Dann warte, bis du mit dem Teufel persönlich über den Highway düst, auf der Flucht vor einem der mächtigsten Alphas seiner Zeit. Oh und wenn wir schon dabei sind: Raben sind keine Steine. Weil … Ach, lies selbst!
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Seitenzahl: 277
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Kapitel 1 - Leer
Kapitel 2 - Still
Kapitel 3 - Laut
Kapitel 4 - Fünf Minuten
Kapitel 5 - Untergetaucht
Kapitel 6 - Fucking Naturtalent
Kapitel 7 - Was machst du hier?
Kapitel 8 - Hannes & Angel
Kapitel 9 - Scheiße!
Kapitel 10 - Der Rabe mit der Latte
Kapitel 11 - Fahr einfach
Kapitel 12 - Auf den Fersen
Kapitel 13 - Willkommen an Bord
Kapitel 14 - Flugangst-Therapie
Kapitel 15 - Gutes Mädchen
Kapitel 16 - Scheiß auf Sterne
Kapitel 17 - Wahre Dekadenz
Kapitel 18 - Fuck!
Kapitel 19 - Las Vegas
Kapitel 20 - Willkommen in der Wüste
Kapitel 21 - Frühstück
Kapitel 22 - Mach mich fertig
Kapitel 23 - La Fortaleza
Kapitel 24 - Maria
Kapitel 25 - Wahrheiten, die zerreißen
Kapitel 26 - Ich bin Luna
Kapitel 27 - Scheißwüste!
Kapitel 28 - Dumm und Dümmer
Kapitel 29 - Klick. Klick. Klick.
Kapitel 30 - Ein Alpha-Schwur
Kapitel 31 - Mein Adrian
Kapitel 32 - Einfach wir
C. M. Spoerri
New York Alpha
Part 15
Urban Fantasy / Omegaverse / Reverse Harem
New York Alpha (Part 15)
Ich weiß, wer ich bin. Was ich bin. Und … es zerfetzt mein Innerstes. Denn um wirklich Klarheit zu erhalten, muss ich etwas tun, das jedes Rudel der Welt auseinanderreißen würde. Kann ich das? Meine Bedürfnisse über diejenige stellen, mit denen ich so viel Zeit verbracht habe? Denen ich vertraue und die meine Familie geworden sind? Ich muss. Denn nur dann bekomme ich endlich Wahrheiten. Nicht nur über mich, sondern auch über das Rudel. Selbst wenn das bedeutet, dass nie mehr wieder etwas so sein wird wie zuvor.
Die Autorin
C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Oktober 2025
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2025
Umschlaggestaltung: Jasmin Romana Welsch
Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (epub): 978-3-03896-378-3
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Helena
Die Welt tobt. Steht still. Tobt.
Mein Herz schreit. Steht still. Schreit.
Seit gefühlten Stunden sitze ich irgendwo in Manhattan auf einem weißen Sofa, starre auf einen Fleck auf dem kleinen Tisch vor mir und … bin leer.
Leer, obwohl ich platze.
Leer, obwohl sich in mir eine Flut anstaut, die alles wegspülen will – die Wut, den Schmerz, die … Enttäuschung.
Adrian hat mich belogen. Er hat mich ruhiggestellt. Nicht beschützt. Nicht gerettet. Nicht aus Liebe gehandelt.
Er wollte nur die Kontrolle behalten.
Drei Wochen. Drei verdammte Wochen meines Lebens hat er mir genommen, die ich nicht einmal vermisst habe – weil ich betäubt wurde wie ein lästiger Gedanke.
Und keiner hat mir etwas gesagt. Nicht Dylan, nicht Cameron, nicht Elyas, nicht Sebastian … nicht Leonardo. Sie alle wussten es und ich … saß zwischen ihnen, aß mit ihnen, lachte mit ihnen, fickte mit ihnen – als wäre ich ein Teil von ihnen. Dabei war das niemals der Fall. Sie sahen mich nie als gleichwertiges Mitglied ihres Rudels an, sonst hätten sie mir doch etwas erzählt. Irgendetwas.
Ich bin eine verdammte Luna, eine mächtige Omega und … es ist ihnen nicht genug, um mir die Wahrheit zu sagen.
Raven Stones Worte hallen in mir wider. Als er es mir erzählt hat … auf der Kälte der Terrasse. Mit dieser Stimme aus dunklem Samt, die mich wie ein scharfes Messer zerschnitt.
›Er hat dich ruhiggestellt, weil du eine Gefahr warst. Für sein Rudel. Für ihn. Für dich selbst.‹
Ich habe gezittert. Zuerst vor Schock. Dann vor Wut.
Und jetzt?
Jetzt friere ich, weil ich nicht mehr weiß, woran ich glauben kann. Weil gerade alles auseinanderfällt und ich mich fühle, als würde ich in einen Abgrund stürzen, der kein Ende nimmt.
Ich schließe die Augen, versuche zu atmen. Aber selbst meine Lungen sind gefroren. Jeder Atemzug brennt, als bestünde die Luft aus Eis.
Adrian … warum zum Teufel hast du das getan?!
Wie soll ich ihm jemals wieder vertrauen nach diesem Verrat?
Ein Geräusch reißt mich aus der Starre. Die Lifttür. Sie öffnet sich und ich hebe den Kopf.
Adrian ist der Erste, der aussteigt. Er trägt seine schwarze Lederjacke, das schwarze Shirt und die dunkle Jeans, die er auch gestern schon anhatte, da er sich seit unserem Treffen mit Fynn nicht umgezogen hat. Tiefe Falten haben sich auf sein attraktives Gesicht gelegt, das Haar ist zerzauster als sonst. Und seine Hände … da ist Blut. Nicht sein eigenes, das weiß ich sofort. Wenn es sein Blut wäre, würde er hinken, hätte zerfetzte Kleidung, doch er scheint unversehrt.
Seine Schritte sind schwer wie die eines Kriegers, der die letzte Schlacht ausfocht, und sein Gesicht wirkt entschlossen, erschöpft, wütend – alles zusammen.
Dylan ist direkt hinter ihm. Sein Blick ist leer, der große, muskulöse Körper angespannter als ich ihn je sah.
Cameron … weint. Wortlos. Lautlos. Einfach nur Tränen auf dem viel zu schönen Gesicht.
Elyas trägt seine Anzugjacke über dem Arm, sein künstlerisches Aussehen hat massive Risse wie ein Bild, das in einem Moment um Jahre gealtert ist.
Sie sind zurück … ohne José.
Ich öffne den Mund, will meiner Wut, meiner Enttäuschung über das, was ich von Raven erfahren habe, Luft machen. Will Vorwürfe rausschreien, Fragen stellen … Nichts davon entweicht mir.
Denn ich sehe, wie verstört sie sind. Wie zerrissen.
In ihren Augen liegt nicht nur Trauer, da ist auch eine … Gewissheit, die sie innerlich zerfetzt und mir die Luft zum Atmen raubt.
So habe ich sie noch nie gesehen.
»Was … was ist passiert?«, flüstere ich, ohne mich vom Sofa zu erheben.
Meine Stimme ist zittrig, ich werde von den aufgewühlten Schwingungen erfasst, die von den vier Männern ausgehen – und obwohl es mein Job als Omega wäre, sie zu beruhigen, so … schaffe ich es nicht. Weil ich selbst gerade versuche, nicht auseinanderzufallen.
Adrians Blick trifft auf mich. In ihm liegt alle Traurigkeit der Welt, aber da ist auch … Zorn. Nicht auf mich gerichtet, sondern auf jemand anderen.
Wortlos geht er in Richtung Gästetoilette davon, wahrscheinlich, um sich das Blut von den Händen zu waschen.
Elyas schreitet stumm zum kleinen Servierwagen neben den Sofas, wo die Schnäpse stehen, und gießt sich einen Whiskey ein. Dylan folgt ihm. Cameron setzt sich zu meiner Rechten hin, legt den Arm um mich und zieht mich zu sich, ohne zu fragen.
Ich versteife mich einen Moment, will mich wehren – lasse es dann allerdings zu. Da ich merke, wie sein Körper zittert, wie er seine Nase in meinen Haaren vergräbt, die ich mittlerweile wieder offen trage, und schluchzt.
Mein Herz bebt mit ihm zusammen … ich spüre, dass etwas ganz und gar Grauenvolles geschehen sein muss. Denn sie haben mir meine Frage immer noch nicht beantwortet …
Mein Blick wandert zu Dylan und Elyas, die mit jeweils zwei Gläsern Schnaps zu uns kommen. Dylan drückt mir wortlos eines in die Hand, das andere stellt er vor Cameron auf den Beistelltisch, ehe er von Elyas sein eigenes Glas erhält.
Dann nimmt der Hüne links von mir Platz und trinkt einen großen Schluck. Elyas lässt sich in einen der Sessel fallen und tut es ihm gleich.
Ich fröstle, starre auf den Whiskey – und trinke.
»Er ist … tot, oder?«, flüstere ich.
Dylan nickt langsam.
»W-wie …?« Ich schließe kurz die Lider.
Dylans grünbraune Augen gleiten zu mir. »Das … willst du nicht wissen.«
Meine Hand am Whiskeyglas krampft sich zusammen. »Doch.«
Ich muss. Muss die Wahrheit kennen. Muss verstehen.
Sie haben mich lange genug geschont, lange genug belogen. Ich habe keine Lust mehr, immer nur die Omega zu sein, die man mit Samthandschuhen anfasst. Die Wahrheit ist kalt, brutal und blutig – ich habe es mittlerweile oft genug am eigenen Leib erfahren.
Dylan nickt erneut und trinkt nochmals einen Schluck. Seine Schwingungen sind so aufgewühlt, dass ich fast befürchte, in dem Strudel zu versinken, den er neben mir erzeugt. So erschüttert habe ich unseren Felsen noch nie erlebt.
»Sein Körper lag in einer alten Lagerhalle«, beginnt er leise zu berichten. »Nackt. Gefoltert. Der Kopf war abgetrennt und auf einen Pfahl gespießt.«
Ich presse die Hand auf meinen Mund, mein Magen zieht sich zusammen und mir wird speiübel. Cameron zuckt unter Dylans Worten, als hätte er sie nicht hören wollen, und vergräbt das Gesicht tiefer in meinem Haar.
»Auf seiner Brust lag eine Lilie«, fährt Dylan fort. »Und … eine einzelne Haarsträhne.«
»Was … hat das zu bedeuten?«, flüstere ich und sehe zu ihm auf.
Seine Kiefermuskeln arbeiten, als würde er versuchen, sich nicht selbst zu zerbeißen. »Eine Botschaft. An Adrian. Die Lilie war … Glens Lieblingsblume.«
»Glen?«, hauche ich.
Was? Warum?
Mein Magen rebelliert noch stärker, mein Herz setzt einen Schlag aus, nur, um noch schneller zu pumpen.
Glen … der Name, der wie ein Fluch über diesem Rudel liegt. Der Name von Adrians verloren geglaubtem Gefährten … Leonardos Bruder.
»Ja.« Dylan räuspert sich und sein Zeigefinger klopft gegen das Glas, ehe er nochmals einen großen Schluck trinkt. »Die Haarsträhne … war von ihm. Adrian hat es bestätigt.«
Ein Zittern fährt durch meinen Körper. »Dann … lebt er?«
Dylans Augen gleiten zwischen meinen hin und her. »Oder wir sollen glauben, dass er lebt. Was immer das ist – es ist ein perverses Spiel. Ein grausames. Und es stammt eindeutig von Devin Sanders.«
Scharf ziehe ich die Luft ein. Ich hatte es ja bereits vermutet, jetzt ist es ein Fakt.
»Sanders …«, wiederhole ich tonlos.
Der Name ist wie Gift. Bitter, ätzend. Alles an ihm riecht nach Tod.
Cameron verkrampft sich, ich merke, wie unkontrolliert er zittert. Ohne mich würde er auseinanderfallen wie ein Stück morsches Holz, auf das man einmal einschlägt. Für ihn ist das alles zu viel – die Konfrontation mit seinem ehemaligen Alpha, der ihn so grausam misshandelt hat. Josés Tod …
Cameron ist zwar stark, aber in diesem Moment schafft er es nicht, sich zu fangen. Daher halte ich ihn fest. Und mir ist klar, dass die Wut in ihm danach noch um einiges größer sein wird als die Trauer gerade.
Wir schweigen, trinken und … schweigen.
So lange, bis Adrian zurückkehrt. Seine Hände sind sauber, das Haar gerichtet. Doch in seinen Augen … da liegt Krieg. Er kommt zu uns als Alpha, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Und dem gleichgültig ist, wie tief er fällt, solange er dabei den Schuldigen mit in den Abgrund reißen kann.
Er hält vor den Sofas an und einen Moment lang sagt er nichts. Sein Blick gleitet über jeden von uns. Bleibt an Cameron hängen, dann an Dylan, Elyas … und zuletzt an mir.
Meine Haut prickelt.
Ich weiß nicht, ob es sein Duft ist oder seine Präsenz … oder die Wut in mir, die sich wie Lava langsam den Weg zurück an die Oberfläche bahnt. Aber ich schaue ihm in die Augen – und weiche nicht aus.
»José ist tot«, sagt Adrian mit heiserer Stimme, die verraucht wirkt – von Zorn, Trauer und Rachegelüsten. »Er wurde uns genommen. Gefoltert und zur Schau gestellt wie ein Stück Dreck.«
Keiner von uns sagt etwas, ich halte den Atem an.
»Das war eine Botschaft«, fährt er fort. »Eine Warnung. Und ein Köder.« Er schüttelt kaum merklich den Kopf. »Sanders wusste, dass ich hingehen würde.« Seine Hände ballen sich zu Fäusten. »Dass ich ihn finde und … es sehe. Er will, dass ich glaube, dass Glen noch lebt.«
Sein Blick schneidet durch den Raum und Adrian geht weiter zum Fenster, wo er stehen bleibt. Die Skyline von Manhattan glitzert dort draußen – hier drin im Penthaus mutet es hingegen an, als wäre sie weiter weg als je zuvor.
»Und ich glaube es«, sagt er rau. »Weil ich … es spüre.«
Ich schlucke gegen den Kloß in meinem Hals, der nicht mehr verschwinden will. Die Luft im Raum ist so dicht, dass ich das Gefühl habe, niemals wieder richtig atmen zu können.
Was hat das zu bedeuten? Wenn Glen noch lebt, dann … dann wird Adrian keinen Stein auf dem anderen lassen. Er wird die verdammte Welt abfackeln, bis er seinen ehemaligen Gefährten wiedergefunden hat. Bis … bis er wieder mit ihm zusammen sein kann. Und ich? Ich werde dann nicht mehr gebraucht … bin wertlos. Nutzlos. Weil er mit Glen wieder monogam leben wird. Womöglich würde er mich ab und zu in der Hitze ficken, um mit mir Kinder zu zeugen. Aber … ansonsten … wäre ich Luft für ihn.
Ich verkrampfe mich, will schreien, will ihm sagen, dass er nicht nach Glen suchen darf, weil … weil …
Nein.
Es spielt im Grunde keine Rolle mehr. Adrian war nie mein Alpha. Ich bin eine Luna. Unabhängig. Frei. Selbstbestimmt.
Er hat mich belogen, benutzt und kontrolliert. Hat mein Vertrauen verraten, mir drei Wochen meines Lebens genommen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Nun ist es an der Zeit, dass ich mich erhebe. Als das, was ich bin.
Und ich bin nicht länger seine Omega.
Scheiße, diese Tatsache tut tausendmal mehr weh als alles andere.
Mein Herz, das ohnehin schon in unzähligen Teilen im dunklen Abgrund liegt, zerberstet weiter. Zuckt wie ein Fisch an Land, bis nur noch Schmerz da ist.
Adrian spürt meine Aufgewühltheit. Klar spürt er sie. Wenngleich er nicht wissen kann, dass meine Gefühle nicht nur durch Josés Tod bestimmt sind. Dass sie so viel tiefer gehen. So viel mehr bedeuten.
Bedächtig dreht sich der Alpha um und seine Augen sind düster. So schwarz, dass ich kaum noch etwas Menschliches darin erkenne.
»Ich weiß nicht, wie lange ich euch schützen kann«, sagt er langsam. »Aber ich verspreche euch …« Er tritt einen Schritt näher. »Ich werde Sanders holen. Ich werde ihn zerreißen. Für José. Für Glen. Für jedes meiner Omegas, jedes verdammte Leben, das er gebrochen hat.«
Die Worte hallen nach wie ein Schwur, der in Stein gemeißelt wird.
Ich erbebe innerlich, zerrissen von dem Wunsch, ihn zur Rede zu stellen, davonzulaufen oder … ihn zu umarmen. Ihm Trost zu spenden.
Nein. Nicht mehr. Ich bin nicht mehr seins. Nicht mehr sein Spielzeug, das für ihn funktioniert.
Ich bleibe sitzen, mit Cameron im Arm.
Vorerst. Denn ich weiß, die Wahrheit wird kommen. Und wenn sie das tut, wird sie alles verändern.
Alles.
Adrian
Ich stehe vor ihnen, meinem Rudel. Still und präsent. Meine Gedanken sind jedoch nicht ruhig, im Gegenteil.
Das Bild von José hallt in meinen Erinnerungen nach. Wieder und wieder.
Wie Sanders ihn hingerichtet hat. Ihn mir präsentiert hat wie ein Opferlamm auf einem verfickten Altar. Jede Wunde von ihm schrie mich an: ›Sieh die Macht, die ich über dich habe!‹.
Mein Wolf will brüllen, aber ich bleibe fokussiert.
Ich bin der verdammte Alpha. Ich darf jetzt nicht brechen. Nicht vor ihnen.
Meine Augen wandern zu Dylan. Er trinkt seinen Whiskey, hält meinen Blick, ist da, bereit. Was auch immer ich entscheiden werde, er wird mir folgen und mir zur Seite stehen. Elyas nippt stumm an seinem Glas, hat den Blick irgendwo nach innen gerichtet. Er denkt nach, analysiert, wägt Optionen ab. Cameron ist erschüttert – für ihn war das alles zu viel. Seine Vergangenheit tobt in ihm, will ihn mit sich in die Tiefe reißen, und es braucht all seine Kraft, überhaupt hier zu sitzen. Ich sehe es an seinem anmutigen Gesicht, das verkrampft wirkt, an seinen Händen, die er um Helena klammert, als wäre sie sein letzter Halt in dieser verfluchten Welt aus Schmerz, Leid und Trauer.
Und Helena … sie sieht mich an mit der Miene einer verdammten Kriegerin. Ihre Schwingungen sind … komplex. Da sind Trauer, Unruhe, Schmerz. Aber auch Wut und Kampfeslust.
Sie hat José geliebt. Auf ihre Art. Ihre Wut ist also nachvollziehbar.
Ich wünschte, ich könnte sie trösten.
Ich wünschte, ich könnte sie alle trösten.
Ich habe allerdings nichts außer diesem verdammten Sturm in mir.
Sie warten auf mich. Auf Worte, auf etwas, das ihnen Halt gibt. Und ich versuche mein Bestes, es ihnen zu geben, wenngleich ich selbst am Fallen bin.
»Leo ist unterwegs«, sage ich rau. »Er war in seiner Wohnung, er ist auf dem Weg hierher. Sebastian klärt noch ein paar Dinge mit den Cops. Er versucht, Zugriff auf alle Kameras der Umgebung zu bekommen, aber das NYPD zickt rum. Doch er wird notfalls jemanden zusammenschlagen, um an die Aufnahmen zu kommen.«
Cameron hustet – dann merke ich, dass er lachen wollte.
Ich streiche mir über den Kiefer, mein Bart ist rau, ich habe ihn seit gestern nicht mehr rasiert. Er juckt, das ist es jedoch nicht, was mich stört. Ich will diesen Dreck aus meinem Kopf kratzen.
»Ich weiß, dass ihr alle Fragen habt«, murmle ich und massiere meinen Nacken. »Es gibt allerdings nur eine Antwort, die gerade zählt: Wir schlagen zurück. Nicht heute. Nicht morgen. Aber bald.«
Elyas hebt langsam den Blick. »Und wenn es eine Falle ist? Wenn Glen … Wenn das nur ein Trick war? Du weißt, Devin Sanders kann Gerüche manipulieren. Wir sind schon einmal auf ihn reingefallen.«
Ich verenge die Augen ein wenig. »Das ändert nichts daran, dass ich Sanders tot sehen will. Und wenn es echt ist … wenn Glen noch lebt …« Ich atme tief durch. »Dann holen wir ihn nach Hause.«
Helena zuckt merklich zusammen, ihre Schwingungen werden stärker. Sie sind … nicht wie sonst. Da ist mehr als Trauer. Mehr als Wut. Ist es … Misstrauen? Nein, eher Kälte … als würde sie mich prüfen.
Ich runzle die Stirn.
Etwas ist anders. Ich rieche es, spüre es. Mein Wolf scharrt unruhig mit den Pfoten, da er den Grund dafür nicht kennt.
Ich will zu ihr, sie berühren, sie an mich ziehen.
Und dennoch bleibe ich an Ort und Stelle.
»Wir sind nicht gebrochen«, sage ich, ohne ihren Blick loszulassen. »Wir sind nur geknickt. Wir stehen noch. Atmen. Und solange wir das tun … werden wir jedes Opfer rächen. Jeden Verrat bestrafen und jede Wunde … heilen.«
Sie nicken. Einer nach dem anderen. Selbst Cameron, der sich etwas von Helena löst.
Nur sie nicht: meine Omega. Ihre Augen sprühen vielmehr Funken.
Was zum Teufel geht in ihr vor?
Gerade will ich mich in Bewegung setzen, um ihr näher zu sein, da öffnet sich die Lifttür und mit ihr kommt eine wahre Energiewelle an Wut, Hass und Dunkelheit in mein Penthaus.
Leonardo.
Er tritt herein wie ein Kriegsfürst der Finsternis. Wie ein Ritter aus der Hölle. Seine dunklen Augen lodern, der markante Kiefer ist derart angespannt, dass er scharfe Kanten wirft. Er ist schwarz angezogen mit einem Mantel, der hinter ihm her weht wie die Flagge der Rache und Vergeltung.
Mein Krieger. Mein Beta, der alles in der Luft zerfetzen wird, bis er seinen Bruder gefunden hat.
Ich habe es ihm bereits am Telefon erzählt und meine Vermutung geäußert, dass die Botschaft bedeutet, dass Glen noch lebt. Und mir war klar, dass Leonardo von dem Moment an nur noch einen Fokus hat: ihn finden.
Ich kenne Leonardo schon so lange. Habe ihn kämpfen sehen. Hassen. Und verlieren. Aber nie habe ich ihn so gesehen wie jetzt – mit dem Zorn eines verdammten Warlords, dem gerade der letzte Fetzen Menschlichkeit aus der Seele gerissen wurde und der die Luft im Penthaus mit messerscharfen Kanten bestückt.
Sein Blick schnellt durch den Raum, als würde er Sanders suchen. Dann fixiert er mich.
»Stimmt es wirklich?«, fragt er ohne Begrüßung. Seine Stimme klingt wie Stahlwolle auf einer Messerklinge.
Er weiß es ja bereits, doch er muss es nochmals hören. Jetzt. Von mir.
Ich nicke. »Die Lilie. Die Haarsträhne. Der Geruch. Ich kann es nicht beweisen, Leo … ich glaube allerdings, dass dein Bruder lebt.«
Sein Kiefer zuckt. Nur ein einziges Mal. Anschließend geht er an mir vorbei, direkt zum Servierwagen, schnappt sich die ganze Flasche Whiskey und trinkt daraus. Mehrere große Schlucke. Ohne zu atmen. Ohne zu blinzeln. Als könnte der Alkohol das Feuer in ihm löschen – aber die Flammen lodern umso heller, als hätte er Benzin hineingegossen.
»Devin Sanders«, zischt er, als er die Flasche absetzt. »Dieser kranke Hurensohn!«
Cameron zuckt unter dem Namen erneut zusammen, Leonardo sieht ihn allerdings nicht einmal an. Er sieht niemanden an. Er ist wie ein Raubtier, das soeben entschieden hat, in welchem Dschungel es wüten wird.
»Wenn er Glen hat …«, beginnt Dylan.
»Dann hole ich ihn mir verdammt noch mal!«, unterbricht Leonardo ihn mit zornigem Blick. »Ich reiße dieses Scheißland auseinander! Ich schneide mich durch jeden seiner Wachen! Ich foltere den Bastard! Und wenn ich meinen Bruder finde … und er lebt wirklich …« Seine Augen werden für einen ganz kurzen Moment eine Spur weicher. »Dann kriegt er mich zurück. Jeden Teil von mir. Jeden Herzschlag.« Er knallt die Flasche auf den Servierwagen und sieht mich direkt an. »Sag mir nur eines, Boss: Wann. Und wo.«
Ich erwidere seinen Blick und erkenne den Schmerz in ihm, den Zorn, aber auch die ungebrochene Treue. Obwohl er riechen muss, dass wir die Nacht mit Fynn Hansen verbracht haben. Obwohl er spüren muss, dass zwischen Helena und mir etwas anders ist. Im Moment gilt sein Fokus dem Rudel und damit mir als seinem Alpha.
»Noch nicht«, antworte ich bestimmt. »Wir brauchen mehr Informationen. Mehr Klarheit. Wenn wir jetzt losschlagen, könnten wir nicht nur Glen verlieren.«
Leonardo knurrt unwirsch. »Ich habe nichts mehr zu verlieren!«
»Doch«, erwidere ich. »Dein Rudel. Mich. Helena.«
Sein Blick zuckt zu ihr – das erste Mal. Ihre Augen treffen sich und irgendetwas an dieser stillen Verbindung erinnert mich daran, dass wir alle nicht nur Krieger sind, sondern Familie. Und dass das hier … mehr als nur Rache sein wird. Es wird eine Rettung. Für jeden von uns.
All ihre Augen richten sich wieder auf mich und ich merke, dass sie wissen wollen, was als Nächstes geschieht. Dass sie hören wollen, wie sie mir durch die Hölle folgen können.
Ich bin ihr Alpha und ich muss sie anleiten. Wenngleich ich gerade einen meiner engsten Vertrauten verloren habe und alles in mir nach unkontrollierter Rache schreit.
Nein, ich muss verdammt noch mal einen kühlen Kopf bewahren. Fokussieren. Planen. Blinde Wut bringt keinem von uns etwas – wir müssen Sanders stellen. Und zwar auf eine Weise, die zum Erfolg führt.
Ich gehe langsam durch den Raum, an Helena und Cameron vorbei, der sich inzwischen etwas gefangen und seine Tränen weggewischt hat. An Elyas, der das Glas fest in der Hand hält wie einen Anker in aufgewühlter See. An Dylan, dessen Blick mit meinem synchronisiert, wie er es immer tut. Und an Leonardo, der aussieht, als hätte er sich selbst zum Schlachtfeld erklärt.
»Wir können José nicht zurückholen«, beginne ich leise. Die Worte kosten mich mehr, als ich vor ihnen jemals zugeben würde. »Aber wir können dafür sorgen, dass kein einziger Tropfen seines Blutes umsonst geflossen ist.« Ich drehe mich zu ihnen um. Meine Stimme wird härter, klarer. »Sanders glaubt, er hätte uns erschüttert. Dass wir zersplittern, dass wir Fehler machen, weil wir trauern.« Ich verenge die Augen. »Aber er irrt sich.«
Sie spüren es – das Vibrieren unter meiner Haut, die Entschlossenheit in meinem Tonfall und das Feuer, das sich gerade formt. Zu einem Plan.
»Wir werden nicht blind zuschlagen«, fahre ich eindringlich fort und fixiere jeden von ihnen. »Wir sind Canicore, wir handeln nicht wie Tiere. Wir werden Informationen beschaffen. Sanders wird Spuren hinterlassen und Fehler gemacht haben – und wir werden sie finden und ihnen folgen. Wir stellen ihm eine Falle und dann … holen wir alles zurück, was er uns genommen hat.«
Leonardo lehnt sich nach vorne, sein Blick flackert. »Was brauchst du?«
»Ein Team.« Ich lasse meine Augen einmal über mein Rudel gleiten. »Sebastian wird weiter mit der NYPD arbeiten – das Frontend. Sichtbare Präsenz. Und auch Ablenkung, denn er wird den Fokus auf sich ziehen. Cops sind nicht gut darin, versteckt zu agieren – wir schon. Leo, Cam und Dylan, ihr checkt die Lagerhalle und den gesamten Hafenbereich. Ihr werdet jeden Stein umdrehen und ihr werdet etwas finden. Sanders ist nicht unfehlbar, er wird nicht an alles gedacht haben. Und genau da packen wir ihn an den Eiern. Elyas …« Ich sehe zu dem Beta, dessen Künstlerhände zittern. »Du greifst auf dein Netzwerk zurück. Musiker, Künstler, Journalisten – ich will Ohren in der Stadt. Wenn jemand Glen oder Sanders gesehen hat, werden wir es wissen.«
Elyas nickt und seine dunklen Augen fokussieren sich stärker.
»Ich werde unsere Verbündeten aktivieren«, fahre ich fort. »Hansen und Romano werden eingeweiht. Zudem werde ich ein paar weitere Alphas an Bord holen, die mir noch Gefallen schulden.« Mein Blick verhärtet sich. »Sanders hat sich mit dem falschen Rudel angelegt.«
»Und Lena?«, fragt Cameron leise.
Meine Aufmerksamkeit gleitet zu ihr. Für einen Moment verliere ich den Faden, da ihre Schwingungen mir zu entgleiten drohen. Ihre Nähe.
Fuck, irgendetwas ist anders, aber ich schaffe es gerade nicht, tiefer zu graben.
»Helena bleibt im Penthaus«, sage ich bestimmt. »Unter Schutz. Sie ist unser Zentrum, unsere Mitte. Sanders wird sie als Nächstes haben wollen, daher müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht in seine Hände gerät.«
Leonardo geht in Richtung Lift. »Dann weiß ich, was ich zu tun habe. Dylan? Cam?«
Mein erster Beta erhebt sich und leert das Whiskey-Glas in einem Zug, ehe er es auf den Tisch stellt. Im Vorbeigehen klopft er mir auf die Schulter. »Wir kriegen das hin, Boss.«
Ich nicke und sehe den beiden hinterher. Cameron zögert, ehe er sich von Helena löst und ihnen folgt.
»Ich werde mich dann auch mal aufmachen«, murmelt Elyas und hievt sich aus dem Sessel. Sein Blick trifft auf mich und ein kleines Lächeln erscheint auf seinen Zügen. Kein freudiges, ein grimmiges. »Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, Boss.«
»Danke.« Ich verabschiede mich von ihm mit einem Handschlag und er geht in den ersten Stock, wo sein Zimmer liegt.
Jetzt sind nur noch Helena und ich im Wohnzimmer. Und diese verdammten Schwingungen, die mich mehr verwirren, als ich begreifen kann.
Helena
Ich sehe den Betas hinterher, die ihrem Alpha gehorchen und sich an ihre Aufgaben machen.
Jetzt gibt es nur noch ihn und mich.
Adrian steht ein paar Schritte von mir entfernt, seine Haltung ist gerade, der Blick auf mich gerichtet.
Er ist schön. So verdammt schön. Und doch … Ich sehe da auch etwas anderes.
Er ist … weniger mächtig. Weniger Alpha. Weniger unfehlbar. Weniger … meins.
Die Wut, die vorhin noch in mir gebrodelt hat, ist zu Eis geworden. Und dieses Eis brennt.
»Lena?«, fragt er stirnrunzelnd.
Er merkt, dass sich etwas verändert hat, scheint aber keine Chance zu haben, es zu ergründen.
Ich atme tief durch, dann erhebe ich mich – bedächtig und kontrolliert. Denn alles andere würde mich jetzt noch mehr zerreißen.
Meine Füße tragen mich zu ihm, ich rieche seinen Duft mit jedem Schritt intensiver. Direkt vor ihm bleibe ich stehen – nahe genug, damit ich seine Wärme spüre. Weit genug weg, um ihn die Distanz spüren zu lassen.
»Ich muss dir eine Frage stellen.« Meine Stimme ist gefährlich ruhig. Wie vor einem Beben, das alles erschüttern wird.
Die Falten auf seiner Stirn werden tiefer. »Natürlich. Was immer du brauchst.«
Ich schaue zu ihm hoch, in diese fesselnd dunklen Augen, die ich so lange angebetet habe. Die mich jetzt nicht mehr … täuschen können.
»Nachdem ich zum ersten Mal … in der Hitze war«, beginne ich und bin froh, dass meine Stimme nicht so zittert wie mein malträtiertes Herz. »Danach war ich mit Elyas, Sebastian und Cam im Dungeon. Und … ich war erschöpft. Sehr. Ich schlief in meinem Bett ein und als ich aufwachte … waren drei Wochen vergangen.«
Seine Brauen zucken, doch er erwidert nichts, wartet ab. Nicht einmal sein Wolf ist zu spüren, es mutet fast an, als würde selbst er den Atem anhalten.
»Du hast gesagt, das wäre normal«, fahre ich fort. »Da ich noch keine vollwertige Omega war. Weil die Betas mich ausgelaugt hätten und ich mich erholen musste. Dass mein Körper Ruhe brauchte, um zu regenerieren.« Ich mache eine Pause, suche in seinen Augen nach der Wahrheit. »Hast du gelogen? War das Koma künstlich, weil du mich … ruhiggestellt hast?«
Stille.
Er blinzelt. Einmal. Ganz langsam.
Ich sehe, wie seine Kiefermuskeln sich verhärten, wie sich etwas in seinem Blick verschiebt.
»Helena …« Er hebt die Hände, als wollte er mich berühren, aber ich signalisiere ihm mit einer Rückwärtsbewegung meiner Schulter, dass ich das nicht zulassen werde.
Er lässt die Arme wieder sinken.
»War es die Wahrheit, was du mir damals erzählt hast, Adrian?«, insistiere ich. Noch immer bin ich beherrscht, aber mein Tonfall lässt keinen Zweifel zu, dass das nicht so bleiben wird, wenn er mir die Antwort liefert, die ich befürchte.
Er zögert – das ist im Grunde schon alles, was ich wissen muss. Dennoch verharre ich an Ort und Stelle.
»Sag es.« Ich bohre den Blick in ihn. »Jetzt. Ich will es von dir hören.«
Sein Gesicht verzieht sich kaum merklich. »Keine Geheimnisse mehr«, murmelt er. Seine Stimme ist heiser, tief, als würde sie aus einem Tunnel kommen, der zu lange dunkel war. »Du hast ein Recht darauf, alles zu wissen.«
Ich halte den Atem an.
Seine Augen streifen über mein Gesicht. Nicht Alpha. Nicht Rudelführer. Nur … Adrian. Er demonstriert mir seine Verlorenheit, seine Verletzlichkeit und … seine Entschlossenheit.
»Damals … nach deiner ersten Hitze …«, beginnt er. »Als du ohnmächtig warst, nachdem du den ersten Sex mit Sebastian, Elyas und Cam im Dungeon hattest … Du warst erschöpft. Ja. Aber du warst nicht bewusstlos.«
Ein Riss geht durch meine Brust. »Was … meinst du damit?«, frage ich tonlos.
»Sie haben dich ausgelaugt und du hast tief geschlafen. Jedoch nicht so tief. Nicht so, dass du nicht hättest wieder aufwachen können.« Sein Blick flackert. »Ich … habe dich sediert.«
Mein Herz setzt aus. Alles um mich wird eiskalt, als hätte jemand im stärksten Winter ein Fenster geöffnet und mir die Wahrheit wie Eis in die Lungen gepresst.
»Du … du hast …« Ich weiche einen Schritt zurück, dann noch einen. »Du hast … mich ins … Koma gelegt?«
Seine Augen drücken Bedauern aus. Schmerz und Schuld, fast Verzweiflung. »Ich habe dich geschützt.«
Das Lachen, das mir entweicht, ist kurz und trocken – es klingt überhaupt nicht nach mir. »Ge…schützt?«, wiederhole ich fassungslos.
Adrians Gesicht bleibt unergründlich, nur seine Hände ballen sich zu Fäusten. Er spricht die nächsten Worte mit einer Eindringlichkeit, die mich erschüttern müsste – wäre ich nicht schon längst am Beben. »Du warst entkräftet. Deine Werte am Limit. Und meine Betas … sie waren aufgewühlt.« Seine Augen brennen sich in mich. »Es hätte gefährlich werden können. Für dich. Für sie. Ich habe entschieden, dich … aus dem Spiel zu nehmen. Bis zum nächsten Vollmond. Bis du eine Omega und bereit für ein Rudel wie meines warst.«
Ich starre ihn an, kann nichts sagen, da alles in mir schreit. Und trotzdem bleibt mein Körper ruhig, weil ich muss – sonst würde ich umfallen.
»Es tut mir leid«, fährt er fort und presst die Lippen kurz zusammen. »Ich … habe mich um dich gekümmert. Habe dich in mein Bett geholt und die Nächte neben dir verbracht, abgeschottet von meinen Betas. Vollkommen unschuldig, das schwöre ich dir. Ich habe dich niemals angerührt.«
»Du hast …«
Mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Damals, als ich die vermeintlich erste Nacht in seinem Bett verbracht habe, fühlte es sich so an, als wäre ich schon früher dort gewesen. So vertraut, als wäre es mein Platz, den Adrian mir zugewiesen hat.
Was er auch getan hatte … er hatte mich drei Wochen lang in seinem Bett. Wie eine Puppe, die man zu sich holt, wenn man jemanden zum Kuscheln braucht oder einfach Nähe sucht.
Scheiße noch mal! Wie krank ist dieser Mann da vor mir bitte?!
»Und das Rudel?«, flüstere ich. »Wussten sie es?«
»Ja.«
Ich zucke zusammen. Der Schlag trifft mich härter, als ich erwartet hatte.
Sie wussten es tatsächlich. Sie alle. Und keiner … keiner hat mir etwas gesagt.
Ich versuche, nicht an der Wahrheit zu zerbrechen, auch wenn das gerade verdammt schwer ist. Stattdessen atme ich tief durch.
Adrian hebt die Hand, als wollte er sie mir erneut auf die Schulter legen. Ich weiche weiter zurück. »Es war zu deinem Besten, Helena. Mein Rudel hätte dich auseinandergenommen, dich vollkommen erschöpft. Das konnte ich nicht zulassen, verstehst du?«
Meine Wut explodiert wie tausend Eissplitter. »Ich verstehe, dass du komplett übergeschnappt bist!«, fahre ich ihn an.
»Helena …«
»Nein!«, zische ich. »Scheiße! Adrian!« Ich weiche weiter zurück, in Richtung Lift.
»Wohin willst du?« Er folgt mir.
»Weg von dir, du Psycho!«, schreie ich.
»Du wirst das Penthaus nicht verlassen, ist das klar?!«, knurrt er in Alpha-Manier zurück und seine Augen blitzen golden auf. »Da draußen ist es gerade viel zu gefährlich für dich!«
»Nicht gefährlicher als hier offenbar«, kontere ich zornig. »Ich habe genug! Genug von deiner Dominanz! Genug von deinen Anweisungen! Genug von deiner Kontrolle!«