next practice - Peter Kruse - E-Book

next practice E-Book

Peter Kruse

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Beschreibung

Die ersten beiden Jahrzehnte des neuen Jahrtausends haben gezeigt: Es gibt keine Ruhezonen mehr. Das Stichwort Veränderung ist allgegenwärtig. In seinem wegweisenden Bestseller hat Professor Peter Kruse bereits 2004 prononciert gezeigt, wie rasant die Komplexität und Dynamik des gesamten Lebens angesichts der wachsenden technischen und wirtschaftlichen Vernetzung zunimmt. Der Wettbewerbsdruck für Unternehmen wächst spürbar und mit ihm die Notwendigkeit, sich auf grundlegende Veränderungen einzulassen. Die aktuellen Herausforderungen und globalen Verwerfungen, die wir in der Wirtschaft derzeit erleben, sind ein Ergebnis dieser Entwicklung. Mit diesem Klassiker der Managementliteratur lernen Sie zum einen die wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre und daraus resultierend die aktuellen Herausforderungen für Unternehmen besser zu verstehen. Zum anderen gibt es Ihnen konkrete, praxiserprobte Instrumente an die Hand, um Veränderung in jedem Unternehmen strategisch erfolgreich zu managen. Das vorliegende Buch will diejenigen unterstützen, die Veränderungsprozesse professionell gestalten und begleiten. Im Kern geht es darum, einen erhellenden Verständnishintergrund für den strategischen Umgang mit Veränderung in Unternehmen und Institutionen zu bieten sowie allgemeingültige Grundprinzipien herauszukristallisieren und nützliche Anregungen für den konkreten Führungs- und Beratungsalltag zu geben.

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Gewidmet

der hemmungslosen Neugier,

dem unternehmerischen Risiko,

der persönlichen Weiterentwicklung,

der Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten,

dem Mut, Selbstverständliches infrage zu stellen,

der Fähigkeit, sich immer wieder neu zu begeistern.

Gewidmet

dem lernenden Menschen,

meiner sehr geduldigen Familie

und dem kreativen Team von nextpractice.

Peter Kruse

next practice –Erfolgreiches Managementvon Instabilität

Veränderung durch Vernetzung

9., um ein Geleitwort erweiterte Auflage

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Das E-Book basiert auf dem 2020 erschienenen Buchtitel »next practice - Erfolgreiches Management von Instabilität. Veränderung durch Vernetzung« von Peter Kruse,©2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-86936-962-4

eISBN 978-3-95623-914-4

Lektorat: Dr. Sonja Ulrike Klug, Bad Honnef

Grafiken: Rolf Schulz, Bremen

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

9., um ein Geleitwort erweiterte Auflage 2020

©2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

www.gabal-verlag.de

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Inhalt

Geleitwort

Einführung

I. Teil:Veränderung verstehen und gestalten – Prinzipien des Managements von Instabilität

1.Die strategische Herausforderung

Vernetzung verändert Unternehmen

Von best practice zu next practice

Innovation lässt sich nicht verordnen

Die Realität der Netzwerk-Ökonomie

2.Die Theorie dynamischer Systeme

Der Umgang mit komplexer Dynamik

Selbstorganisation und Alltagsdenken

Musterwechsel brauchen Instabilität

3.Veränderung als Krise und Chance

Der Aufbruch ins Unbekannte

Führungsverhalten im Wandel

Die Vision als emotionale Basis

Zwischen Faszination und Angst

Instabilität als Gestaltungsaufgabe

Vom Team zur Netzwerkintelligenz

4.Balance von Stabilität und Instabilität

Ordnung über Regel und Zufall

Iteration als Moderationstechnik

Rituale stabilisieren Kulturmuster

Regelbrüche öffnen für das Neue

Eigendynamik im Unternehmen

Das Controlling der Veränderung

Die Bildung neuer Muster messen

5.Ein Praxisbeispiel für Veränderung

Ausgangslage und Entwicklungsidee

Die Realisierung des Wandels

Eigendynamik als Weg und als Ziel

Erzeugung von Nachhaltigkeit

6.Wege in eine erfolgreiche Zukunft

Die Bildung intelligenter Netzwerke

Die Professionalisierung zweiter Ordnung

7.Zusammenfassung und Prüfkriterien

Kernaussagen zur Veränderung

Check-up zur Erfolgssicherung

II. Teil:Veränderung messen und fördern – Management-Werkzeuge für den Wandel

8.Soft-Fact-Controlling mit nextexpertizer

Die zugrunde liegende Methodik

Vorgabe von Vergleichselementen

Auswahl der befragten Experten

Der Interviewablauf

Analyse der Interviewergebnisse

Emotionale Bewertungen erfassen

Konstruktivismus als Basiskonzept

Möglichkeiten der Datenauswertung

Einsatzbereiche von nextexpertizer

9.Online-Moderation mit nextmoderator

Ein Fallbeispiel für viele

Verbindung von Psychologie und IT

Interaktives Brainstorming im Netz

Ungenutztes Potenzial wird gehoben

Bis zur priorisierten Maßnahmenliste

Hintergrund und Erfolgsgeschichte

10.Das nextpractice-Prinzip

Verständnis, Transparenz, Involvierung

Ausblick auf die weitere Entwicklung

Schlusswort

Literatur

Über den Autor und das Unternehmen nextpractice

Geleitwort

Am 1. Juni 2015 verstarb Peter Kruse im Alter von 60 Jahren plötzlich und unerwartet. Auch wenn er nur dieses eine Buch geschrieben hat, hatte er viel zu sagen und wurde von seinen zahlreichen Fans für seine treffsicheren Reflexionen rund um Vernetzung, Veränderungsdynamik, Komplexität und die Prinzipien für einen erfolgreichen Wandel sehr geschätzt. Diese Themen bewegten ihn Tag und Nacht und trieben ihn an. Er war besorgt, welche weitreichenden Auswirkungen die weltweite Vernetzung auf soziale Systeme, also auf uns Menschen, haben wird. Und er war engagiert, darauf hinzuweisen, wie sich viele Prinzipien des Miteinanders grundlegend ändern werden.

Peter Kruses Aussagen in diesem Buch haben im Laufe der Jahre nicht an Bedeutung verloren. Ganz im Gegenteil: Besonders die veränderten Prinzipien von Führung und Zusammenarbeit, die in hoch vernetzten, veränderungsdynamischen Systemen gelten, gelangen offensichtlich erst langsam ins Bewusstsein der Entscheider und Lenker. Peter Kruse hatte schon Mitte der 90er-Jahre in zahlreichen Vorträgen und dann in diesem Buch mahnend darauf hingewiesen, dass wir, mit zunehmenden Phasen der Instabilität und abnehmender Planbarkeit konfrontiert, lernen müssen, uns gemeinsam auf ergebnisoffene Prozesse einzulassen und professionell »auf Sicht zu segeln«, um vernetzt die Herausforderungen zu meistern.

Gibt man bei YouTube beispielsweise »8 Regeln« ein, dann erscheinen direkt Vortragsausschnitte von Peter Kruse, in denen er acht Regeln für absoluten Stillstand in Unternehmen präsentiert. Zählt man die Views der beiden am meisten verbreiteten Videosequenzen zusammen, liegt man bei rund einer Million. Und die Anzahl der Views steigt kontinuierlich an – heute noch.

Das Thema Instabilität ist heute aktueller denn je

Peter Kruses war ein engagierter Berater, dessen Kopf nie stillstand. Ständig war er auf der Suche danach, in unserer vernetzten und immer unüberschaubarer werdenden Welt komplexitätsreduzierende Muster zu identifizieren, Zusammenhänge zu verstehen und diese aufzuzeigen. Das sollte die Diskursqualität in Unternehmen, in der Politik und in der Gesellschaft erhöhen und die Akteure befähigen, die Gründe und Konsequenzen ihres Handelns zu hinterfragen, um kollektiv intelligent die Weichen für eine resiliente Zukunft zu stellen. Unser Interview- und Analyseverfahren nextexpertizer lieferte Peter Kruse dafür die unbewussten Bewertungsmuster der Menschen im Untersuchungskontext, die deren Handeln maßgeblich steuern.

Nächtelang saß Peter Kruse mit seinem Team vor den mathematisch verdichteten Datenräumen und forschte nach diesen Mustern und nach Erklärungen, ohne müde zu werden. Denn die Aufgaben, die an nextpractice seit nunmehr 25 Jahren herangetragen werden, sind äußerst vielfältig: Analysen der Unternehmens- und Führungskultur, weltweite Markt- und Markenforschung und zunehmend auch Fragen zur Entwicklung von gesellschaftlichen Themenfeldern im Umbruch, wie Arbeit, Führung, Mobilität, Energie, Ernährung oder neue Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens.

Mit Herzblut treiben wir heute diese Mission weiter, um einen Beitrag für intelligente Lösungen zu leisten. Fast täglich erleben wir in unserer Beratungspraxis noch, dass sich auf den Führungsebenen in den Unternehmen erst langsam die Notwendigkeit von »organisationaler Ambidextrie« durchsetzt, die Fähigkeit eines Systems, sich gleichzeitig zu optimieren und zu erneuern, um anpassungs- und lebensfähig zu bleiben.

Gemeinsam für eine resiliente Gesellschaft

Diese Trägheit bestätigt auch eine bundesweite Kulturstudie zum Thema »Gute Führung«, die wir 2014 gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durchführten. Dort brachten 78 Prozent der befragten Führungskräfte klar zum Ausdruck, dass ihr Führungshandeln überwiegend an Effizienz und Rendite orientiert ist, obwohl sich die Führungsanforderungen eindeutig in Richtung Kollaboration, Vernetzung und Selbstorganisation entwickelt haben. Doch neben dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit gilt es heute mehr denn je, darüber hinaus auch gemeinsam Verantwortung für unsere gesellschaftliche Lebensgrundlage zu übernehmen und diese mitzugestalten. Denn schließlich sind eine funktionierende Gesellschaft und eine gesunde Umwelt Voraussetzungen für gesunde Unternehmen und Individuen.

Vor dem Hintergrund der wahrnehmbaren Spannungs- und Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft und der teils existenzbedrohenden Zukunftsprognosen für Unternehmen und ganze Branchen wünscht man sich, dass »next practice – Erfolgreiches Management von Instabilität« noch mehr Aufmerksamkeit erlangt. Letztlich sind es wir Menschen im Kollektiv, die eine lebenswerte Zukunft gestalten oder auch nicht. Komplexität und Veränderungsdynamik bringen es mit sich, dass wir kollektive Realitätsverluste erzeugen, uns unserer Vitalfunktionen nicht mehr bewusst sind und unsere Überlebensfähigkeit gefährden.

Es ist nicht zu spät, Zukunft zu gestalten – wenn wir es konsequent und wenn nötig radikal angehen. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Andreas Greve und Frank Schomburg

Geschäftsführer next practice GmbH

www.nextpractice.de

»The world is moving at 105.441 km/h. Keep up!«

CNN, amerikanischer Nachrichtensender

Einführung

Welt im Wandel

Das Stichwort Veränderung ist allgegenwärtig. Im neuen Jahrtausend scheint es keine Ruhezonen mehr zu geben. Angesichts der wachsenden technischen und wirtschaftlichen Vernetzung nimmt die Komplexität und Dynamik des gesamten Lebens rasant zu. Der Wettbewerbsdruck für Unternehmen wächst spürbar. Die Vorstellung einer Welt, die sich pausenlos und mit großer Geschwindigkeit neu orientiert, löst dabei gleichermaßen Angst wie Faszination aus. Unabhängig davon, ob Menetekel oder erstrebenswertes Wunschbild, die Welt im Wandel ist kein Zukunftsszenario, sondern alltägliche Realität. Dabei steht die Notwendigkeit, sich auf grundlegende Veränderungen einzulassen, in deutlichem Widerspruch zu den Beharrungstendenzen der Menschen. Veränderungsbereitschaft ist nicht selbstverständlich.

Die Geschwindigkeit der Veränderung in Wirtschaft und Gesellschaft steigt unaufhaltsam; der Anpassungsdruck auf Unternehmen und Institutionen nimmt ständig zu. Die Menschen suchen nach Antworten auf die Herausforderungen. In der Managementliteratur ist die Entwicklung frühzeitig aufgegriffen worden: Studien zum Thema Change-Management im engeren und weiteren Sinne gibt es in großer Zahl. Auch in diesem Buch steht der Komplex »Veränderung« im Mittelpunkt.

Die vorliegende Publikation richtet sich an Praktiker. Sie soll all diejenigen unterstützen, die Veränderungsprozesse professionell gestalten und begleiten.

Im Kern geht es mir um einen erhellenden Verständnishintergrund für den strategischen Umgang mit Veränderung in Unternehmen und Institutionen.

Angesichts der schwer zu ordnenden Vielfalt und Modenbildung in der Managementliteratur liegt mir daran, allgemein gültige Grundprinzipien herauszukristallisieren und nützliche Anregungen für den konkreten Führungs- und Beratungsalltag zu geben.

Veränderung entsteht im Gehirn

Das vorliegende Buch ist selbst das Ergebnis eines Veränderungsprozesses. So habe ich mich mit dem Thema »Veränderung« zunächst aus akademischer Perspektive beschäftigt. Entlang der Grenzziehung zwischen Experimentalpsychologie und Neurophysiologie interessierte mich vor allem die Frage, wie im menschlichen Gehirn Ordnung entsteht. Das Gehirn ist bekanntlich eines der anpassungsfähigsten Systeme, das die Natur hervorgebracht hat. Vor allem ist es ein ganz besonderer Lehrmeister, wenn es um Veränderung geht.

Auf die Veränderungsfähigkeit des Gehirns vertrauend, habe ich meine universitäre Laufbahn eines Tages unvermittelt unterbrochen, weil ein biografisches Ereignis kurzfristig und unvorhersehbar eine grundlegende Änderung in meinem Lebensplan ermöglichte. Ausgelöst durch den Tod des Schwiegervaters stand ich zusammen mit meinem Schwager Thomas Meyer-Lüters von einem Tag auf den anderen vor der Aufgabe, das Management eines über 175 Jahre alten Metall und Kunststoff verarbeitenden Unternehmens neu zu ordnen. Der Betrieb befand sich finanziell und strategisch in der Krise, so dass eine grundlegende Reorganisation notwendig war.

Um den Praxisschock etwas abzumildern, begann ich damit, Prinzipien der Ordnungsbildung im Gehirn auf die Gestaltung des anstehenden betrieblichen Veränderungsprozesses zu übertragen.

Kann man eine Firma wie ein soziales Gehirn betrachten? Ein Gehirn versucht immer wieder, neue Lösungen für eine sich ändernde Umwelt hervorzubringen; eine Firma versucht immer wieder, neue Lösungen für einen sich ändernden Markt zu erzeugen. Die Leitfrage erwies sich in der Praxis als hilfreich und die Ergebnisse stellten uns mehr als zufrieden: Im Laufe weniger Jahre entstand eine Unternehmensgruppe, die heute in unterschiedlichen Branchen erfolgreich ist.

Dieses Buch ist denn auch zugleich so etwas wie das Protokoll eines sehr persönlichen Lernweges. Den Hintergrund der folgenden Betrachtungen bildet die Theorie dynamischer Systeme, die sich als besonders geeignet zur Modellierung der Ordnungsbildung im Gehirn erwiesen hat.

Die Theorie dynamischer Systeme, die insbesondere als Selbstorganisations- und Chaostheorie bekannt geworden ist, dient als Verständnisrahmen und als Gestaltungskonzept für Veränderungsprozesse in Unternehmen und Institutionen.

Veränderung wird oft als Bedrohung erlebt

Aussagen wie »nichts ist beständiger als der Wandel« und »nicht die Großen werden die Kleinen fressen, sondern die Schnellen die Langsamen« sind zu gesellschaftlichen Allgemeinplätzen geworden. Doch Veränderungsbereitschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Nicht wenige Menschen fühlen sich bedroht, wähnen sich in der Rolle des Zauberlehrlings, der von einer sich selbst verstärkenden Entwicklung überrollt wird. Die eigentliche Tragweite und Bedeutung der Veränderungsdynamik für das alltägliche Leben ist freilich gegenwärtig nur ansatzweise ermessbar.

Was treibt die Menschheit zurzeit eigentlich als Ganzes? Zweifellos sind gesellschaftliche Individuen und Gruppen dabei, sich kulturübergreifend und auf allen denkbaren Ebenen miteinander zu vernetzen.

Informations- und Kommunikationstechnologie

Das Muster, das in diesem Prozess entsteht, ist ungemein beeindruckend. Denken wir zum Beispiel an den Bereich Informationsund Kommunikationstechnologie, in dem sich in den letzten Jahren eine atemberaubende Entwicklung vollzogen hat, und zwar durch das Internet ebenso wie durch die Mobiltelefonie, an der weltweit inzwischen viele hundert Millionen Nutzer teilhaben. Die Menschen bedienen sich dieser Technologie, als hätte es sie schon immer gegeben. Wenn heute etwa jemand auf dem Bahnhof oder Flughafen scheinbar mit sich selbst redet, dann ist er kein Fall für die Psychiatrie, sondern er telefoniert. Er hat einen Knopf im Ohr, ist vernetzt. Wenn ein Rucksacktourist irgendwo in der Welt ein Café ansteuert, dann handelt es sich im Zweifelsfall um ein Internetcafé, von wo aus komplikationslos E-Mails und digitale Urlaubsfotos versandt und empfangen werden können.

Das Thema Vernetzung und Veränderungsdynamik beschäftigt mich vor allem deshalb, weil ich glaube, dass wir dringend eine Kultur brauchen, die mit den Folgen der Vernetzung umgehen kann. Es ist eine zentrale Lektion, die man bei der Begleitung von Veränderungsprozessen lernt, dass der härteste Erfolgsfaktor ausgerechnet der weiche Faktor der Unternehmenskultur ist.

Zukunftsfähige Organisationen sind in der Lage, auf die wachsende Komplexität und Dynamik einer vernetzten Außenwelt mit einer Kultur zu antworten, in der eine Vernetzung der internen Strukturen jederzeit selbstverständlich möglich ist.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Fähigkeit des Managements, eine angemessene Balance zwischen Stabilität und Instabilität sowie zwischen dezentraler Autonomie und zentraler Vorgabe zu gewährleisten.

Von einem einfachen Weg in diese Richtung, geschweige denn von perfekten Vorbildern, kann natürlich keine Rede sein. Eher von einem Wagnis, wie es einst die Seefahrer eingingen, die zu neuen Horizonten aufbrachen. In einer Zeit, in der wir bei zunehmend knapper werdenden Ressourcen vor immer stärker ausufernden Problemen stehen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Antworten von gestern noch die Lösungen von morgen sind. Patentrezepte sind wenig hilfreich. Nicht fertige Konzepte machen erfolgreich, sondern die ehrliche Bereitschaft, sich gemeinsam auf die ungeborgene Reise ins Unbekannte einzulassen.

I. Teil:Veränderung verstehen und gestalten – Prinzipien des Managements von Instabilität

»Lernen ist wie rudern gegen den Strom.Sobald man aufhört, treibt man zurück.«

Benjamin Britten, englischer Komponist

1. Die strategische Herausforderung

Vernetzung verändert Unternehmen

Globale Vernetzung als Menschheitsprojekt

Wenn eine fremde Intelligenz die Erde in den letzten Jahren aus der Distanz beobachtet hätte, wäre sie vielleicht zu der Einschätzung gelangt, dass die ganze Menschheit seit längerem ein besonderes Projekt verfolgt: ihre globale Vernetzung. Jedenfalls wächst die räumliche und zeitliche Dichte von Telekommunikation und Datentransfer exponentiell. Zudem nimmt die Reisetätigkeit dramatisch zu, berichten die Medien aus den hintersten Winkeln der Welt und steigen die Kapital- und Warenströme rapide an. Vielleicht würde die fremde Intelligenz sogar eine zielgerichtete Strategie hinter dem Geschehen vermuten, wie beispielsweise beim Turmbau zu Babel, bei der Errichtung der Chinesischen Mauer oder der ägyptischen Pyramiden. Wie dem auch sei, die Menschheit konzentriert ihre Willenskraft offenbar auf die neue Kulturleistung der globalen Vernetzung.

Vielleicht käme die fremde Intelligenz aber auch zu der Auffassung, dass es sich bei der zunehmenden Vernetzung eher um eine unbewusste Strukturbildung handelt, wie sie etwa bei Staaten bildenden Insekten vorkommt. Jenseits der Zuschreibung individueller oder kollektiver Intelligenz scheint das Phänomen einer beschleunigten Netzwerkbildung jedenfalls ein zentrales Charakteristikum der aktuellen Entwicklung zu sein. Unabhängig davon, wie absichtsvoll die Netzwerkbildung tatsächlich betrieben wird, empfiehlt sich zweifellos, das Geschehen und seine Konsequenzen näher zu betrachten.

Sich gleichsam in einem Atemzug aufdrängende Beispiele für die exponentielle Erhöhung der Vernetzungsdichte sind die Globalisierung der Wirtschaft und der Telekommunikation sowie nicht zuletzt die Entwicklung des Internets.

Inzwischen lösen sich im Markt die überkommenen Zuständigkeiten sowie die einschlägigen Abgrenzungen zwischen Staatsapparaten und Unternehmen tendenziell auf. Kommunikative Erreichbarkeit an jedem Ort der Welt ist nahezu eine Selbstverständlichkeit, der unkontrollierte und preiswerte Austausch selbst großer Datenmengen längst Alltagspraxis. Immer mehr Menschen haben Zugang zu den sich bildenden Netzwerken und auch die Fähigkeit, sie zu benutzen. Die im Telekommunikationssektor gerade entstehende vierte und jüngste Mobilfunkgeneration dürfte in naher Zukunft sogar sich selbst knüpfende Datenfunk-Gewebe mit sich bringen.

Globales Gehirn

Vor nicht allzu langer Zeit war es aufgrund der Entwicklung der Massenmedien reizvoll, sich die Welt als ein »globales Dorf« (McLuhan) vorzustellen. Aus neurophysiologischer Perspektive ist es angesichts der weltumspannenden Vernetzung heute vielleicht nahe liegender, stattdessen das Bild eines »globalen Gehirns« zu entwerfen.

Die Bildung von Netzwerken mit hoher Kopplungsdichte ist die zentrale Entwicklungsrichtung in Technik, Wirtschaft und Kultur.

Nach den Erkenntnissen der modernen Neurophysiologie sind die Ordnungsbildungen des Gehirns, die man als Grundlage sinnvollen Erlebens und intelligenten Verhaltens vermutet, nicht das Ergebnis der Aktivität einzelner Nervenzellen oder logischer Operationen nach dem Modell des Computers. Die Forschung geht vielmehr davon aus, dass das Gehirn ein hochdynamisches, selbstorganisierendes Netzwerk mit extrem hoher Dichte der Verbindungen zwischen den einzelnen Nervenzellen ist. Die Ordnungsbildungskapazität des Gehirns ergibt sich folglich nicht aus der Aktivität einzelner Nervenzellen, sondern resultiert aus der Zahl und Stärke der Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Je mehr Nervenzellen direkt oder indirekt miteinander verknüpft sind, desto größer ist die Fähigkeit des Gehirns, intelligente, also neue und nützliche Ordnungsbildungen hervorzubringen.

Vernetzung treibt Komplexität und Dynamik

Allerdings hat die Erzeugung eines Systems mit hoher Vernetzungsdichte eine Auswirkung, die auch für das Gehirn nicht unproblematisch ist. Denn je höher die Vernetzungsdichte in einem System, desto komplexer und desto weniger dauerhaft ist die sich bildende Ordnung. Das Gehirn hat aufgrund seiner hohen Vernetzungsdichte Probleme mit der Stabilität der Ordnungsbildungen. Seine assoziativen Muster sind so instabil, dass dauerhafte Ordnungsbildungen nur als Ausnahme und Fehlfunktion auftreten. Wirklich übergreifend geordnet ist das Gehirn eigentlich nur während eines epileptischen Anfalls.

Folge der zunehmenden Vernetzung sind wachsende Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit in Markt und Gesellschaft.

In einem vernetzten System breiten sich Wirkungen kaum kalkulierbar und mit großer Reichweite aus. Wird im Gehirn eine einzelne Zelle dazu angeregt, einen Impuls zu senden, so hat dieser Impuls keine klar abgrenzbare Zielrichtung. Er löst vielmehr aufgrund der Architektur und Eigenschaft des Netzwerkes eine schnell unüberschaubar werdende Kettenreaktion aus. Im Gehirn bleibt keine Wirkung lokal begrenzt, und ein von einer Zelle verursachter Impuls kann jederzeit auf vielen Wegen mit nichtlinearer Charakteristik auf diese Zelle zurückwirken.

Je höher die Vernetzungsdichte in einem System ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von letztlich unvorhersagbaren Wirkungen und Rückwirkungen.

Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit sind der prinzipiell nicht vermeidbare, notwendig zu bezahlende Preis der Vernetzung. Wenn wir also weiterhin alle Hebel in Bewegung setzen, um die Vernetzungsdichte zwischen Menschen, Institutionen, Unternehmen und Kulturen immer mehr zu erhöhen, lässt sich zumindest eine Richtung der globalen Entwicklung sicher vorhersagen: Die Komplexität und die Geschwindigkeit der Veränderungsprozesse in der Welt werden ungebremst steigen.

Das Gehirn ist der Komplexität gewachsen

Wenn nicht alles täuscht, können wir dieser Entwicklung durchaus relativ gelassen entgegensehen und die in ihr enthaltene Chance zur Erzeugung einer globalen Intelligenz begrüßen. Schließlich bilden die Gegebenheiten des menschlichen Gehirns die denkbar beste Voraussetzung dafür, um die Komplexität und Geschwindigkeit einer vernetzten Welt angemessen zu bewältigen. Die prinzipielle Kapazität und Veränderungsfähigkeit des Gehirns ist der bisherigen Forschung zufolge jedenfalls noch weit von den Grenzen der Belastbarkeit entfernt. Kurz: Das individuelle menschliche Gehirn ist immer noch die beste Antwort der Natur auf Komplexität und Dynamik.

Nun haben wir es in der Gesellschaft nicht nur mit einzelnen Menschen, sondern mit sozialen Gebilden zu tun. Der überwältigende evolutionäre Erfolg der Gattung Mensch basiert auf der Fähigkeit zur Erzeugung von Kulturen. Der Mensch hat sich als einziges Lebewesen nur deshalb über alle Klimazonen der Erde hinweg vom Äquator bis zu den Polen ausbreiten können, weil er die Fähigkeit besitzt, sich in Gruppen zusammenzuschließen, in denen Wissen über Generationen tradiert wird.

Kulturen stabilisieren und bewahren

Kulturbildung ist Wissensmanagement und gezielte Umweltbeeinflussung zugleich.

Kulturen haben die Aufgabe, die individuelle Verhaltensvielfalt zu verringern. Während das einzelne Gehirn aufgrund seiner außergewöhnlichen Vernetzungsdichte im Prinzip eine hohe Fähigkeit zur Erzeugung überraschend neuer Muster besitzt, sind Kulturen notwendigerweise eher bewahrend. Die Kultur stabilisiert die Individuen.

In einer sich immer schneller verändernden Welt stellt sich also weniger die Frage nach den individuellen als vielmehr die Frage nach den kulturellen Möglichkeiten des angemessenen Umgangs mit Dynamik.

Über Erfolg oder Misserfolg beim Umgang mit der Marktdynamik entscheidet die Unternehmenskultur.

Die Fähigkeit zum Wandel ist in erster Linie ein Kulturproblem. Eben deshalb ist ausgerechnet der so schwer zu greifende »weiche« Faktor der Kultur der »härteste« Erfolgsfaktor in Veränderungsprozessen. Dass diese Aussage besonders auf Unternehmen zutrifft, haben viele Untersuchungen unabhängig voneinander belegt. So wurden beispielsweise branchen- und länderübergreifend Unternehmen, die einen größeren Veränderungsprozess durchgemacht hatten, über ihre Zufriedenheit mit der letztlich erreichten Veränderung befragt. Die Ergebnisse waren durchweg eher ernüchternd. Die mit der Veränderung angestrebten Ziele, wie zum Beispiel kürzere Durchlaufzeiten, effizientere Geschäftsprozesse, Senkung der Betriebskosten, Qualitätsverbesserungen oder bessere Kundennähe, wurden nämlich in den Unternehmen häufig nicht oder nur annähernd erreicht. Veränderungsprojekte wurden abgebrochen, versandeten nach einiger Zeit oder erforderten aufwändige Nachbesserungen.

Veränderungen scheitern an der Unternehmenskultur

Als Gründe für den Misserfolg wurden von den befragten Mitarbeitern und Führungskräften nun keineswegs in erster Linie betriebswirtschaftliche oder technisch-organisatorische Faktoren, mangelndes Fachwissen oder mangelnde Markteignung der neuen Ordnung in den Vordergrund geschoben, sondern durchweg Probleme mit der Unternehmenskultur. Der Erfolg von Veränderungsprojekten steht und fällt offenbar am ehesten damit, ob und inwieweit die Führung Veränderungsbereitschaft vorlebt, ob ausreichende Handlungsspielräume für Mitarbeiter existieren, ob und wie im Betrieb mit Fehlern und Konflikten umgegangen wird, ob Informationen offen ausgetauscht werden usw.

Kultur-Definition

»Kultur« ist die Summe der Regeln, Werte und Absprachen, denen Menschen bewusst oder unbewusst folgen, um einen Lebensraum zu gestalten, in dem geordnetes gemeinsames Handeln möglich ist. Kultur ist der Gesamtzusammenhang von Theorie und Praxis in einer sozialen Gruppe.

Kultur ist Produkt und Ursache menschlichen Denkens und Handelns. Kultur ist einerseits das mit der Zeit entstandene Ergebnis der Summe aller Aktivitäten in einer Gemeinschaft und andererseits der selbstverständliche Rahmen, der den Aktivitäten der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft eine einheitliche Richtung gibt.

Nun ist es in einer sich immer schneller ändernden Welt wenig sinnvoll, Kultur einfach wachsen zu lassen. Die große strategische Herausforderung, vor der Unternehmen angesichts global vernetzter Märkte stehen, ist konsequenterweise die Gestaltung einer Kultur des Wandels.

Von best practice zu next practice

»Kaum verloren wir das Ziel aus den Augen, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.«

Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller

Benchmarking

Eine der ersten Reaktionen der Unternehmen auf die Globalisierung der Wirtschaft war die Idee des standardisierten Leistungsvergleiches. »Benchmarking« hieß das Zauberwort. Man begann, sich an den best practices der eigenen Branche zu orientieren. Die Zielsetzung sah vor, die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens realistisch einzuschätzen, um die Richtung notwendiger Veränderungen möglichst exakt bestimmen zu können. International tätige Branchen wie die Automobilindustrie agierten hierbei als Vorreiter. Es wurden allgemein gültige Produktivitätsmaßstäbe entwickelt, und Projektgruppen schwärmten aus, um weltweit Vergleichsdaten zu erheben. Die Ergebnisse, die die Gruppen mitbrachten, waren für das Management oft überraschend.

Leistungsunterschiede bis zu 80 Prozent?

So manche von der Leistungsfähigkeit des eigenen Unternehmens überzeugte Führungskraft wurde bei der Einführung des Benchmarkings recht unvermittelt mit der Aussage konfrontiert, andere Firmen seien bereits deutlich besser gerüstet als die eigene. Die Projektgruppen berichteten von enormen Leistungsdefiziten gegenüber dem internationalen Wettbewerb und ernteten nicht selten erst einmal Ablehnung für ihre Arbeit. O-Ton: »Die haben bis zu 80 Prozent Abstand zum Benchmark ermittelt, bezogen auf alle Produktivitätsmaße. Und die anderen Unternehmen stehen ja nicht still. Der Abstand droht noch größer zu werden. Da stimmt doch was nicht. Die haben Äpfel mit Birnen verglichen. Man kann doch nicht unsere Qualitätsprodukte mit diesen Billigartikeln vergleichen. Die Daten sind so nicht aussagefähig.« Zumeist entstand dann in den Unternehmen nach einer ersten Phase der Verleugnung allmählich doch Betroffenheit; die Vergleichsdaten sorgten für Irritationen. Die Projektgruppen hatten gut gearbeitet, und die ermittelten Leistungsunterschiede wurden zunehmend ernst genommen.

Reaktion auf Veränderungsdruck

In der Folge vermittelten verunsicherte Manager die Benchmarking-Ergebnisse an ihre Mitarbeiter und versuchten sie auf diese Weise von der Notwendigkeit einer Veränderung zu überzeugen: »Der Markt ist global geworden«, betonten sie. »Wir stehen in unmittelbarem Wettbewerb mit Firmen, die weit günstigere Standortbedingungen haben und ihre Produktivität stetig steigern. Die sind tatsächlich bis zu 80 Prozent besser als wir. Wir müssen uns bewegen, wenn wir überleben wollen.« Jetzt reagierten die Mitarbeiter zunächst mit Unverständnis und Widerstand. »Es geht uns doch gut. Wir fahren Gewinne ein. Und selbst wenn die anderen so viel besser sind und unser Produktionsstandort langfristig gefährdet ist, wie sollen wir denn 80 Prozent Leistungsunterschied wettmachen? Wir können doch nicht vierfach besser werden. Da haben wir doch keine Chance.« Die gut nachvollziehbare Feststellung, derart große Leistungssprünge seien nahezu unmöglich, weist nun auf eine bemerkenswert tief verwurzelte menschliche Eigenart im alltäglichen Umgang mit Veränderung hin:

Menschen reagieren auf Veränderungsdruck zumeist mit dem Versuch, die Leistung im Rahmen bestehender Funktionalität zu verbessern.

Wo immer Menschen unter Veränderungsdruck geraten, versuchen sie zuerst einmal, ihre bislang als erfolgreich erwiesenen Verhaltensweisen beizubehalten. Sie steigern zwar die Kraftanstrengungen, lassen sich dabei aber nicht wirklich auf eine grundlegende Veränderung ein. Ein kleines Experiment soll diese menschliche Eigenart im Umgang mit Veränderung veranschaulichen.

Rütteln an der verschlossenen Tür

Wird zum Beispiel eine Tür, die sonst immer offen war, eines Tages heimlich zugesperrt, so kann man typischerweise folgende Beobachtung machen: Versucht eine Person, die die Tür bis dahin immer unabgeschlossen vorgefunden hat, diese zu öffnen, so wird sie erst einmal irritiert innehalten. Lässt sich die Tür dann trotz gedrückter Klinke nicht bewegen, beginnt die Person meistens energisch an der Klinke zu rütteln. Diese Reaktion ist jedoch nicht logisch, weil schon nach wenigen Versuchen klar sein müsste, dass die Tür verschlossen ist und nach einem neuen Eingang gesucht werden muss. Die Reaktion ist aber psycho-logisch. Sie folgt dem fest verankerten Prinzip: »Klappt etwas nicht auf Anhieb, dann mach das, was du immer gemacht hast, nur ein wenig hef-tiger«. Alltagsbeispiele dafür gibt es viele. Sicherlich führt das Prinzip zuweilen auch zu einem erwünschten Ergebnis. Wenn die Anforderungen neu sind oder einen großen Leistungssprung erfordern, dürfte das schlichte Vorgehen nach dem Motto »mehr vom Selben« aber den Erfolg behindern oder sogar unmöglich machen.

Um Fehlverhalten zu vermeiden, müssen zwei verschiedene Arten der Veränderung getrennt betrachtet werden:

Bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen macht es Sinn, zwischen Funktionsoptimierung und Musterwechsel zu unterscheiden.

Funktionsoptimierung: best practice

Die Funktionsoptimierung orientiert sich an best practice. So ist es bei einer mäßigen oder kontinuierlichen Erhöhung der Anforderungen möglich, die notwendige Leistungssteigerung durch die Verbesserung bestehender Verhaltensmuster zu erzielen. Veränderungsprozesse, die nach diesem Schema ablaufen, erzeugen die bekannte, typische Lernkurve. Zu Beginn des Lernens kommt es zu großen Verbesserungen. Nach der anfänglich starken Leistungssteigerung entsteht dann jedoch eine Sättigung. Um auch nur kleine Zugewinne in der Leistung zu erreichen, müssen fortan vergleichsweise große Anstrengungen unternommen werden – der »Deckeneffekt« tritt auf. Das alte Muster stößt gleichsam an die Grenzen der in ihm steckenden Möglichkeiten. Versucht man trotz des Deckeneffektes weiterhin, das alte Verhaltensmuster beizubehalten, öffnet sich die Schere zwischen Anforderungen und erzielbaren Ergebnissen immer stärker, und es droht die Erschöpfung der Kraftreserven.

Wenn wir mit völlig neuen Anforderungen oder der Notwendigkeit größerer Leistungssprünge konfrontiert werden, dann müssen wir, um Erfolg zu haben, bestehende Verhaltensmuster infrage stellen und gegebenenfalls verlassen. Gefordert ist dann eine radikale Neuorientierung und Neuordnung: Innovation.

Prozessmusterwechsel: next practice

Die zweite Grundform der Veränderung ist der Prozessmusterwechsel, der Übergang von best practice zu next practice. Ein Bereich der Gesellschaft, anhand dessen der Unterschied zwischen Funktionsoptimierung und Prozessmusterwechsel besonders anschaulich gezeigt werden kann, ist der Leistungssport. Er ist so etwas wie Wettbewerb in Reinkultur. Im Leistungssport fragt keiner danach, ob »immer höher, immer weiter und immer schneller« überhaupt ein sinnvolles Ziel ist. Im Leistungssport gewinnt derjenige die Goldmedaille, der den anderen die berühmte Nasenlänge voraus ist. Entsprechend versuchen Sportler unaufhörlich, die Leistungsgrenzen in einer Disziplin durch das Erfinden neuer Bewegungsmuster weiter hinauszuschieben, um sich so neue Dimensionen zu eröffnen. Die Beispiele dafür sind vielfältig. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der Übergang vom »Straddle« zum »Fosbury-Flop« beim Hochsprung.

Vom Straddle zum Fosbury-Flop

Nach dem Scherensprung war der Straddle über viele Jahre das dominierende Bewegungsmuster. Man sprang über die Latte, indem man sich vorwärts-seitlich darüber wälzte. Schließlich war der Grad der Beherrschung dieser Technik so hoch, dass bei Wettkämpfen nur mehr Millimeter über die Medaillenränge entschieden. Dann geschah 1968 das Unerwartete.

Neues Bewegungsmuster im Hochsprung

Während der Olympischen Spiele in Mexiko verblüffte der junge US-Amerikaner Richard Douglas Fosbury aus Portland/Oregon die Welt mit einer völlig neuen Art, die Latte zu überqueren. Fosbury lief außerordentlich schnell an, nützte seinen linken Fuß als Stütze, drehte sich dann an der Latte überraschenderweise um und sprang rücklings. Der Stil war so originell, dass man ihn sofort »Fosbury-Flop« taufte. Zunächst traute niemand dem Hochspringer zu, überhaupt die Qualifikation zu überstehen. Man hielt ihn für einen Spaßvogel, und die Regelexperten nahmen ihn nicht ernst genug, um etwa über eine Einschränkung oder gar ein Verbot des ungewöhnlichen Stils nachzudenken. Spätestens als Fosbury die Latte auf die Weltrekordhöhe von 2,29 Meter legen ließ, war das Erstaunen groß. Fosbury übersprang sie und wurde Olympiasieger.

An Beispielen wie diesem lassen sich einige grundsätzliche Besonderheiten solcher innovativen Vorgehensweisen aufzeigen. So sind next practices dieser Art oft an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Beim Fosbury-Flop war es die Benutzung von großen Kissen als Landefläche für den Springer. Ein Fosbury-Flop in eine Sandkuhle ist zweifellos nicht empfehlenswert. Außerdem werden neue Muster keineswegs begeistert angenommen, sondern eher misstrauisch beobachtet oder auch belächelt. Wer ein neues Muster einführt, geht immer ein hohes Risiko ein. Alle warten nur darauf, dass das Neue nicht erfolgreich ist. Sogar, wenn das neue Muster nachweislich neue Leistungsdimensionen eröffnet, ja selbst, wenn damit Wettkampfsiege errungen werden, fällt die Akzeptanz nicht leicht.

Prozessmusterwechsel sind risikoreich. Sie bewirken oftmals Abwehrreaktionen, da sie bestehende Verhaltensweisen infrage stellen.

Erst der Generationswechsel etabliert das Neue

Mitunter ist tatsächlich erst ein Generationswechsel nötig, wie Thomas S. Kuhn in seinem Werk Struktur wissenschaftlicher Revolutionen im Hinblick auf die Einführung neuer Denkansätze in der Wissenschaft zeigen konnte. Jeder weiß wohl aus eigener leidvoller Erfahrung, dass es ungleich schwerer ist, etwas bereits Gelerntes zu verändern, als den eigenen Lernprozess gleich mit einem neuen Muster zu beginnen. Noch vier Jahre nach der erfolgreichen Einführung des Fosbury-Flops in Mexiko sprang während der olympischen Spiele 1972 in München die Weltelite beim Hochsprung der Damen durchgängig den Straddle. Zur großen Frustration der österreichischen Weltrekordlerin Ilona Gusenbauer entschied damals völlig überraschend die bis dahin weitgehend unbekannte deutsche Gymnasiastin Ulrike Meyfarth das Finale für sich. Sie wurde Olympiasiegerin und egalisierte den Weltrekord mit dem neuen Stil des Fosbury-Flop.

Beispiel Rückenschwimmen

Prozessmusterwechsel sind immer auch ein Angriff auf das Etablierte. Sie werden deshalb in der Regel misstrauisch beobachtet und nur höchst selten mit spontaner Begeisterung aufgenommen. Auch unterliegen sie wie erwähnt notwendigerweise einem hohen Risiko. Hat sich das Neue dann allerdings flächendeckend durchgesetzt, sind wir in der Regel gern und schnell bereit, das alte Muster zu vergessen. Um 1920 dominierte zum Beispiel ein Stil im Rückenschwimmen, an den sich heute nur noch wenige erinnern: der Rückengleichschlag. Die Schwimmer warfen beide Arme parallel nach hinten und vollführten mit den Beinen die Bewegung, die man beim Brustschwimmen macht. Dann initiierte der US-Amerikaner Harry Hebner den Kreuzschlag. Hierbei warfen die Schwimmer beide Arme abwechselnd nach hinten und vollführten mit den Beinen die Bewegung, die man beim Kraulen macht. Das neue Muster war so erfolgreich, dass der Rückengleichschlag keine Chance mehr hatte und im Leistungssport ebenso wie der Straddle beim Hochsprung in der Folge nicht mehr angewandt wurde.

Beispiele Fahrrad und Tastatur

Problematisch ist offenkundig in erster Linie die Phase des Überganges von best practice zu next practice. So ist es noch nicht lange her, dass vergeblich versucht wurde, das Liegefahrrad im Radsport einzuführen. Das Liegefahrrad bietet nachgewiesenermaßen ergonomische Vorteile gegenüber dem konventionellen Sitzfahrrad. Dennoch wurde die Verwendung des Liegerads für den Leistungssport untersagt. Indirekt hat das dazu geführt, dass das Liegerad auch im alltäglichen Straßenbild eine ungewöhnliche Randerscheinung geblieben ist. Was wäre wohl geschehen, wenn die werbewirksam inszenierten Triumphe des Radsports in den letzten Jahren nicht mit dem konventionellen Sitzfahrrad, sondern mit dem Liegefahrrad gefeiert worden wären?

Bislang ist auch jeder Versuch der Einführung einer funktional sinnvolleren Gestaltung der Tastatur von Schreibmaschinen und Computern gescheitert. Obwohl die bestehende Anordnung der Tasten nachweislich ergonomisch nicht sinnvoll und ausschließlich mit längst vergessenen mechanischen Problemen begründbar ist, wurden bislang alle Verbesserungen von den Nutzern weitgehend boykottiert.

Manchmal, so zeigt sich, verbieten oder untersagen wir uns das Neue und verzichten lieber auf eine mögliche Weiterentwicklung, als uns durch den Übergang verunsichern zu lassen.

Beispiel Just-in-time-Lieferung

Dem Sport vergleichbare Prozessmusterwechsel finden sich auch in der Wirtschaft. So ermöglichte die Entwicklung von der herkömmlichen Logistik zur Just-in-time-Lieferung eine enorme Steigerung der Effizienz in der logistischen Kette. Inzwischen wird sie durch einen weiteren Prozessmusterwechsel noch überboten, werden doch gerade Kooperationsmodelle verwirklicht, in denen die Zulieferer selbst Bestandteil des Herstellerwerkes sind und so die Produktion ohne zusätzlichen Lieferweg versorgen (just in sequence).