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Denken Sie bei Einsamkeit auch zuerst an die alleinlebende ältere Dame in der Nachbarschaft? Dann wird es Sie überraschen, dass Einsamkeit als dunkler Schatten oft gerade dort umgeht, wo wir sie am wenigsten vermuten: bei Jüngeren, die sozial und beruflich gut vernetzt sind. Doch sie überschattet längst nicht nur unsere Lebenslust, sie ist überdies ein perfider Killer: Akute Einsamkeit erzeugt in uns einen ähnlichen Stresspegel wie der körperliche Angriff durch einen Fremden und ist schädlicher als 15 Zigaretten pro Tag. Die gute Nachricht: Einsamkeit ist kein unverbesserlicher Wesenszug. Wenn wir uns einsam fühlen, ist das ein Signal, uns sozial wieder stärker zu verbinden: mit dem Leben, mit uns selbst und mit anderen. Das Buch ist ein warmherziges Kompendium der Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschungen zum Wesen, zum Ausmaß und zur Wirkung von Einsamkeit. Was wir aus der Einsamkeit machen können, damit sie nicht etwas mit uns macht - das erfahren Sie in diesem Buch.
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Seitenzahl: 252
Veröffentlichungsjahr: 2021
Für unsere Mama
Mit Deinem großen Herzen und
Deiner positiven Energie wirst Du immer
ein Vorbild für uns sein.
Klaus Siedenhans | Dr. Petra Siedenhans
NICHT ALLEIN
auf weiter Flur
Ein unterhaltsamer Wegbegleiter aus der Einsamkeit
© 2021 Klaus Siedenhans und Dr. Petra Siedenhans
Druck und Distribution im Auftrag
von Klaus und Dr. Petra Siedenhans:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Paperback
978-3-347-45208-4
Hardcover
978-3-347-45209-1
e-Book
978-3-347-45210-7
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Verlag:
www.shop.tredition.com
Autor:
www.klaus-siedenhans.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Lebensschule Hotel
Gedeckte Farben im Malkasten der Gefühle
Die britische Revolution gegen die Einsamkeit
Gemeinsam gegen einsam
Einsamkeit – Das unterschätzte Gefühl
Warum einsam nicht allein und allein nicht einsam bedeutet
Eine mentale Sturmglocke
Unterschätzt in der Wahrnehmung
Einsamkeit trägt Camouflage
Mit dem Herzen sehen
Unterschätzt im Ausmaß
Eine Legion im Schatten
Graue Sonntage
Die unsichtbaren Millionen
Einsam sind eher Junge als Junggebliebene
Ich will mit aufs Wimmelbild
Vom Fast Food-Miteinander zur Seelenfreundschaft
Dialogpartner Fernseher
Unterschätzt in der Wirkung
Dauergast Einsamkeit
Immer auf der Hut
Herbst im Herzen
Aussteigerkurs in Sachen Einsamkeit
Sich mit dem Leben verbinden
Sich mit sich selbst verbinden
Du bist der PIN-Code
Von Hackstöcken und Frohnaturen
Sich mit anderen verbinden
Anti-Aging zum Nulltarif
Rudeltiere leben länger
Booster für unsere Lebenszeit
Noch als Geheimtipp gehandelt
Brücken neu bauen
Von sprudelnden und stillen Wassern
Von der großen Wirkung eines kleinen Wortes
Die Kunst, den anderen zu sehen
Es sind oft die kleinen Dinge…
Ohr leihen – Herz bekommen
Herdentier und Steppenwolf
Brücken instand halten
Warum andere Menschen unser Leben bereichern
Mittendrin statt außen vor
Ein Sandkorn am Kieselstrand
Es gibt keine Beziehungen to go
Real vor digital
Offline: Abgehängt
Was uns verbindet
Motivationskurs in Sachen ‚Vorhaben umsetzen‘
Wenn das Gehirn Armdrücken macht
Von Waagschalen und unserer Teekanne
Das Kolossalgemälde vom Festmahl mit Freunden
Einsteigerkurs in Sachen Einsamkeitsbekämpfung
Bei den betriebsamen Nachbarn gespickt
Rote Karte für die Einsamkeit
Einsamkeitsbekämpfung „Down Under“
Weltweit immer mehr Follower
Bei uns: Still ruht der See
Einsamkeit? Nein danke!
Appetit auf Lebenslust
Auf geht’s!
Geh raus und sei freundlich
Die Kunst, nicht einsam zu sein
Die Autoren
Anmerkungen
Wissens- und Inspirationsquellen für dieses Buch
Einleitung
Liebe Leserin, lieber Leser,
glauben Sie auch, dass Einsamkeit vorrangig ältere Menschen betrifft? Dann wird es Sie überraschen, dass Menschen über 65 diejenigen sind, die am wenigsten einsam sind. Das Monopol auf Einsamkeit haben vielmehr jüngere und mittlere Altersgruppen und das, obwohl gerade sie in der Regel über ein umfangreiches soziales Netzwerk verfügen. Mit anderen Worten: Obwohl kaum einer allein ist, sind viele einsam. Hochrechnungen zufolge fühlen sich etwa 45 Prozent aller Erwachsenen „oft“, „einen Teil der Zeit“ oder „ab und zu“ einsam.
Aber wenn so viele Jüngere und Menschen mittleren Alters einsam sind, wieso kriegen wir davon nichts mit?
Weil Einsamkeit ein unsichtbarer Begleiter ist. Einsamkeit tut weh, hinterlässt aber keine blauen Flecken. Anders als Freude oder Trauer gibt es kaum verlässliche Zeichen, die wir als Einsamkeit interpretieren.
Als sei es nicht schon genug, dass Einsamkeit unserer Lebenslust einen herben Dämpfer verpasst, ist sie überdies ein perfider Killer. Studien zeigen, dass akute Einsamkeit in uns einen ähnlichen Stresspegel erzeugt wie der körperliche Angriff durch einen Fremden. Sie bereitet damit den Weg für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und eine um stolze 26 Prozent erhöhte Gesamtsterblichkeit. Einsamkeit ist damit schädlicher als 15 Zigaretten oder mehr als sechs alkoholische Getränke pro Tag. Sie ist schlimmer als mangelnde Bewegung und Übergewicht. Das Risiko, depressiv und ängstlich zu werden, ist für einsame Menschen um 15 Prozent erhöht. Studien belegen zudem ein gesteigertes Risiko, an Demenz zu erkranken.
Dabei ist Einsamkeit in erster Linie ein ähnliches Leidgefühl wie Hunger oder Durst. Sie funktioniert wie eine Art Frühwarnsystem. Wenn wir uns einsam fühlen, soll uns das motivieren, uns sozial wieder stärker zu integrieren, um über Zugehörigkeit und Unterstützung sozusagen unser Überleben zu sichern. Es gilt, sich wieder stärker mit dem Leben, mit sich selbst und anderen zu verbinden.
Aber durch Schule, Beruf, Ausbildung, Sport, Freizeit und die Familie verfügen die meisten doch schon mal per se über ein soziales Netzwerk. Kann man sich trotzdem einsam fühlen?
Zweifelsohne! Nur weil jemand scheinbar viele Freunde hat, verhindert das nicht unbedingt, sich einsam zu fühlen, wenn unter all den Freunden kein „Seelenfreund“ ist. Hier zählt Klasse, nicht Masse. Weniger metaphorisch formuliert fühlen sich Menschen immer dann einsam, wenn ihre sozialen Beziehungen nicht ihren Erwartungen oder Bedürfnissen entsprechen. Dabei geht es nicht darum, 45 weitere Facebook-Freunde zu finden. Die helfen gegen Einsamkeit nur insoweit, als dass sie eine Ablenkung verschaffen. Für andere besteht die Ablenkung in einer scheinbar endlosen Aneinanderreihung von Aktivitäten, die so eng getaktet sind, dass dem ungebetenen Gefühl Einsamkeit keine Audienz gewährt wird. Doch im Lockdown während der COVID-19-Pandemie waren genau diese „Fluchtwege“ versperrt. Einsamkeit schert sich nicht um Abstandsregelungen. Statt gelegentlicher Stippvisiten ist sie gleich mit eingezogen, wenn wir es versäumt haben, tiefgehende Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.
Denn Beziehungspflege funktioniert nicht über sporadische Highlights, sondern indem wir wieder und wieder und wieder den Menschen in unserem Leben unsere ganze Aufmerksamkeit und Unterstützung schenken, die sich mit uns gegen die Tür stemmen sollen, wenn die Einsamkeit mit Sack und Pack einziehen will. Klar kostet das Zeit und Energie, die wir dann nicht für uns selbst zur Verfügung haben. Legt man stattdessen eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag, die dem anderen signalisiert, dass man ihn für entbehrlich hält, braucht man sich im Gegenzug nicht zu wundern, wenn Beziehungen rein oberflächlicher Natur sind.
Hinzu kommt, dass Beziehungen wachsen müssen. Dazu bedarf es Interaktion: gemeinsamer Erlebnisse, Erfahrungen, Emotionen. Doch Social Distancing und Homeoffice spielen uns nicht unbedingt in die Karten, wenn es um gelebtes Miteinander geht.
„Ein guter Freund hilft dir, Sorgen zu begraben. Ein sehr guter Freund hilft dir, Leichen zu begraben“ beschreibt eine Redensart die Unterstützung, die wir uns für schwere Zeiten wünschen. Einander beistehen verbindet. Wir können in der Regel nicht genau den Tag benennen, an dem aus einer Bekanntschaft echte Freundschaft wird. Es ist die Akkumulation von hunderten kleinen, scheinbar belanglosen Dingen, die Nähe und Vertrauen über die Zeit haben wachsen lassen. Diese vielen, kleinen Dinge können selbst dem zahlungskräftigsten Prime-Kunden nicht mal eben so über Nacht geliefert werden. Was auch immer wir mittlerweile alles innerhalb kürzester Zeit tun können – enge Beziehungen aufzubauen wird auch weiterhin nicht dazu gehören. Ich fasse das immer etwas salopp in dem Satz zusammen: Es gibt keine Beziehungen to go.
Doch welche Interventionsstrategien erachten Einsamkeitsexperten dann als effektiv?
Die Wissenschaft kann heute überzeugend belegen, dass die Investition von Zeit und Energie in unsere sozialen Beziehungen auf unsere Lebenszeit betrachtet die rentabelste Wertanlage ist. Sie funktioniert für unsere Gesundheit wie eine Art Schutzschild und wie ein Rettungsschirm, wenn im Leben nicht alles immer nur geradeaus läuft. Das Gefühl von Einsamkeit bleibt nur dann ganz sicher aus, wenn wir uns von anderen verstanden und unterstützt fühlen.
Da enge soziale Bindungen das mit Abstand beste kostenfreie Rezept für ein langes, gesundes Leben sind, scheint es sinnvoll, die eigenen Prioritäten zu überprüfen. Dieses Buch setzt einen starken Fokus auf den Aufbau und die Pflege tragfähiger sozialer Beziehungen.
Die Bekämpfung von Einsamkeit ist kein glamouröses Unterfangen. Doch wir werden nicht umhinkommen, ihr auch eine gesellschaftliche Kampfansage zu machen, wenn sie uns nicht überrollen soll. Das Buch ist daher auch eine Hommage an die Menschen, die hinsehen und zupacken, um Einsamkeit im Großen wie im Kleinen in die Schranken zu weisen.
Lebensschule Hotel
Warum schreibe ich ausgerechnet über das Thema Einsamkeit? Ich rede wahnsinnig viel mit anderen Menschen. Zum einen bringt das mein Beruf als Coach so mit sich. Wann immer ich auf andere Menschen treffe, komme ich schnell mit ihnen ins Gespräch. In der Regel bin ich es, der die Unterhaltung eröffnet. Das fällt mir leicht. Meine Eltern hatten ein Hotel in Zwiesel im Bayerischen Wald und wir Kinder waren es von klein an gewohnt, Hotelgäste als Teil unserer großen Familie zu behandeln. Wir begleiteten die Gäste auf Wanderungen, im Winter per Ski, im Sommer zu Fuß. Wir übten mit den Gastkindern Theaterstücke ein und meine Mama setzte sich Abend für Abend nach dem Essen zu den Gästen, um sich mit ihnen zu unterhalten. Dabei achtete sie sorgfältig darauf, dass alle in den Genuss ihrer Gesellschaft kamen und sich keiner zurückgesetzt fühlte. Das und die vorzügliche Küche meiner Mama brachte uns zahlreiche Stammgäste, von denen noch heute einige den Kontakt zu meiner Mama pflegen, obwohl meine Eltern das Hotel bereits vor vielen Jahren abgegeben haben.
Durch unser Hotel habe ich gelernt, unbeschwert auf andere zuzugehen und das Gespräch zu suchen. Wenn ich das heute tue, begegnet mir die volle Palette menschlicher Reaktionen: Überraschung, Ablehnung, Misstrauen, Skepsis, Dankbarkeit, Freude, Wärme, Offenheit. Es ist wirklich alles vertreten – aber es überwiegen in jedem Fall die positiven Reaktionen. Natürlich spreche auch ich eher Menschen an, die mir positiv auffallen: die Frau, die Tag für Tag ihren Mann im Rollstuhl fährt und immer gut drauf ist. Den Trainer, dessen Kurse in unserem Fitnesscenter immer voll belegt sind, weil er ein richtig gutes Training macht. Ein älteres Ehepaar, das sehr liebevoll und fürsorglich miteinander umgeht.
„Darf ich Ihnen ein Kompliment machen? Ich finde es sehr schön, wie liebevoll sie miteinander umgehen“ spreche ich die beiden freundlich an. In der Regel sind die Angesprochenen erst einmal ein wenig erstaunt. Wir sind es nämlich gar nicht mehr gewohnt, von Fremden so direkt angesprochen zu werden. Aber das legt sich schnell. Da ich diese Reaktion gewohnt bin, warte ich freundlich dreinschauend ab, bis die Überraschung verarbeitet wurde. Manchmal ist die Antwort nur ein „Danke!“ oder ein Lächeln. Viel öfter aber kommt ein Gespräch zustande. Die Menschen erklären mir, warum sie Dinge so tun wie sie es tun, was ihnen wichtig ist, woran sie glauben, wie sie die Welt sehen. Und ich höre ihnen aufmerksam zu. Ich bin häufig überrascht, was die Leute mir dann alles so erzählen, denn eigentlich kennen sie mich gar nicht. Ich spüre, dass es ihnen guttut, wenn ich mit ehrlichem Interesse auf sie eingehe, und ich bekomme das sehr oft auch als Feedback am Ende einer Unterhaltung: „Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Es war so nett, sich mit Ihnen zu unterhalten.“ Gar nicht so selten folgt dann aber noch ein Nachsatz: „Ich habe sonst niemanden, mit dem ich mich mal unterhalten kann.“ Dann muss ich erst einmal schlucken, denn diese ungeschminkte Feststellung macht mir jedes Mal klar: wäre dieser Satz nicht gefallen, hätte ich kaum einen Gedanken darauf verwendet, ob mein Gegenüber möglicherweise einsam sein könnte.
Gedeckte Farben im Malkasten der Gefühle
Als Coach ist es meine Passion, Menschen Möglichkeiten aufzuzeigen und sie immer wieder zu ermutigen, Sachen umzusetzen, die zu ihrer inneren Zufriedenheit beitragen. Das kann und will ich natürlich auch in privaten Gesprächen nicht ablegen. Nur wusste ich anfangs nicht sehr viel mehr über Einsamkeit und Alleinsein als das, was ich selbst dazu in meinem eigenen Leben erfahren habe. Hinzu kam meine Unsicherheit. Ich wollte etwas sagen oder tun, damit mein Gegenüber sich von mir verstanden fühlt, aber irgendwie erschien mir alles, was mir einfiel, plump, unbeholfen und sperrig.
Noch deutlich schwerer fällt es in der Regel Betroffenen, ihre Einsamkeit überhaupt zu thematisieren. Zudem fürchten sie die Reaktion des Gegenübers. Denn seien wir ehrlich: Allein schon die negativen Assoziationen, die bei der Erwähnung von Einsamkeit bei jedem von uns sofort auf Abruf bereitstehen, reichen aus, um wie auf Knopfdruck auch unsere eigene Stimmung zu dämpfen. Es kommt fast einem Tabu-Bruch gleich, wenn jemand in unserem Umfeld offen bekennt, dass er sich allein fühlt. In der Regel reagieren wir darauf verunsichert und irritiert.
Jeder von uns weiß, wie sich Einsamkeit anfühlt. Es ist eine unserer Urängste, verlassen, allein und ohne Hilfe zu sein. Jeder hat das zu irgendeinem Zeitpunkt in irgendeiner Form schon mal gespürt. Spricht jemand von Einsamkeit, stehen wir nicht da und überlegen: „Wie mag sich das wohl anfühlen?“ Wir erinnern uns sofort und diese Erinnerungen lösen Gefühle in uns aus, um die wir eigentlich gern einen weiten Bogen machen möchten.
Diesen negativen Gefühlen bilden wir oft genug auch eins zu eins in der Art und Weise ab, wie wir darüber sprechen. Wieso tun wir das? Wenn ich jemanden aufmuntern will, dem es nicht gut geht, komme ich doch auch nicht auf die Idee, ihm von einem Beipackzettel die Risiken und Nebenwirkungen vorzulesen. Wieso gilt dann landläufig eine schwermütige und gedrückte Ausdrucksweise als alleinig angemessen für das Thema Einsamkeit?
Ich finde nicht, dass man die Stimme dämpfen muss, wenn man über Einsamkeit spricht. Im Hintergrund muss auch nicht leise Beethovens 5. laufen. Man muss keine gedeckten Farben tragen und nicht deprimiert dreinschauen. Mir ist Leichtigkeit wichtig. Ich glaube, nur so kann man dem Thema mehr Gehör verschaffen. Denn Einsamkeit ist eines unserer gefürchtetsten Gefühle und damit nicht gerade ein gängiges Smalltalk-Thema. Eher eines, bei dem man sich schnell abwendet und das Weite sucht. Dabei schließt jeder von uns irgendwann einmal - in bestimmten Augenblicken oder auch infolge negativer Ereignisse wie Trennung oder Tod - unerwünscht mit ihr Bekanntschaft. Bei einigen mutiert diese Bekanntschaft sogar zu einem Stalking-Verhältnis übelster Sorte: Die Einsamkeit klebt ihnen quasi permanent an den Hacken und egal, wo sie hingegen, sie ist immer schon da. Innere Vereinsamung überschattet dann ihren gesamten Lebensalltag.
Als mein Schwager von der Buch-Idee hörte, fragte er mich, ob man nicht selbst einsam sein muss, um darüber schreiben zu können.
Ich kenne - genau wie jeder andere - Zeiten, in denen ich mich allein fühle. Es gehört für mich zum Leben dazu und ich habe gelernt, damit umzugehen. Immer häufiger spüre ich jedoch in Gesprächen, dass Einsamkeit für mehr und mehr Menschen ein Thema ist. Insbesondere dann, wenn dieses Gefühl anhält und es sie viel Mühe kostet, diesen unliebsamen Dauergast wieder vor die Tür zu setzen.
Die britische Revolution gegen die Einsamkeit
In unserem Land hat die Bekämpfung von Einsamkeit bedauerlicherweise noch keine Lobby. Insbesondere während der Corona-Lockdown-Phasen tauchte das Thema immer mal wieder auf. Doch Zahlen, Daten und Fakten zu diesem Thema sind der breiten Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt. Deshalb versinkt das Thema recht schnell wieder. Die Politik fürchtet zudem ein neues großes Kostenthema, wenn man sich des Problems ernsthaft annehmen würde.
Dabei gibt es dafür schon Vorbilder. Unsere britischen Nachbarn sind da schon ein ganzes Stück weiter. Dank einer engagierten Abgeordneten, die die Bekämpfung der Einsamkeit zu ihrem ganz persönlichen Anliegen gemacht hat, hat es dort das Thema schon vor Jahren auf das politische Parkett geschafft. Damit das Thema dann nicht so phantomgleich durch die Debatten wabert, haben die Briten eine Erhebung gemacht, um zu ermitteln, wie viele Menschen sich einsam fühlen. Das ist schon beeindruckend. Da fragt die Regierung eines Landes einfach mal die Menschen, von denen sie gewählt worden ist, ob die zufrieden und glücklich oder einsam sind. Respekt! In unserem Land wird man gefragt, welchen Radiosender man hört und wen man wählen würde, wenn morgen Bundestagswahlen wären.
Es kommt aber noch besser. Laut Erhebung fühlen sich insgesamt 45 Prozent der Briten gelegentlich, hin und wieder oder häufig einsam1. Das sind in Summe 25 Millionen Menschen!2 Und jetzt der Hammer: Die Briten haben sich nicht mal eben kurz erschrocken und dann wieder hingelegt. Da waren sich mal über die Parteien hinweg alle einig: die Zahlen sind so gruselig, da muss etwas passieren. Anfang 2018 wurde kurz entschlossen eine Unterstaatssekretärin ernannt, die alle Maßnahmen zur Einsamkeitsbekämpfung regierungsseitig koordiniert. In der Presse wurde daraus die Ernennung einer „Ministerin für Einsamkeit“ – eine Meldung, die weltweit für viel Aufmerksamkeit sorgte. Häufig liest man in diesem Zusammenhang auch von einem „Einsamkeitsministerium“. De facto gehören die Bereiche Digitales, Kultur, Medien, Sport, Zivilgesellschaft und Einsamkeit zusammen. Doch allein die öffentliche Aufwertung, die Einsamkeit durch diese Positionierung erhalten hat, war ein ganz entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Es wurden Finanzen bewilligt und man hat angefangen, Wissenschaftler zu suchen, die etwas Substantielles zur Behebung des Problems beitragen können und Strukturen zu schaffen, um das irgendwie in der Fläche auszurollen. Experten haben sich mit Messverfahren befasst, um Vergleichbarkeit zu ermöglichen und prüfen zu können, ob das mit der Einsamkeit besser wird oder man noch viel, viel mehr machen muss und was genau hilft. Diese Forschungsergebnisse bilden die Grundlage unserer Überlegungen zu Wegen aus der Einsamkeit.
Natürlich dauern alle Maßnahmen viel länger als man angenommen hat; sie kosten mehr und konkrete Verbesserungen werden erst langsam spürbar. Aber eins bewirkt es in jedem Fall: Einsamkeit hat eine Plattform bekommen und steht in einer Reihe mit anderen großen sozialen Problemen, was wiederum zu einer anderen Akzeptanz und einem anderen gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema führt.
Und wir können an dieser Stelle drei Mal raten, ob die Zahlen, die die Briten ermittelt haben, so weit weg sind von dem Prozentsatz, der bei uns rauskäme. Wohl kaum. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, warum ausgerechnet die Briten die einsamste Nation der Welt sein sollten – selbst, wenn man dem Stereotyp über ihre Küche Glauben schenkt…
Bei uns spielt das Thema Einsamkeit im politischen Diskurs keine Rolle. Die Einsamen sind meistens still einsam. Sie gründen keine Massenbewegung und verschaffen sich nicht lautstark Gehör.
Sollte sich eine politische Partei in diesem Land die Bekämpfung der Einsamkeit mit einem echten Maßnahmenplan auf die Fahne schreiben, wird das für einigen Wirbel sorgen. Bei all den Themen, die man im Wahl-O-Mat vor den Wahlen so liest, würde die These: „Es sollen wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Vereinsamung ergriffen werden“ zweifellos viele „stimme zu“-Klicks erhalten. Denn anders als bei vielen anderen Themen würden da sehr viele Menschen denken: „Ja, dafür bin ich, denn es betrifft mich.“ Wir sollten in unserem Land nicht erst anfangen uns ernsthaft diesem Problem zu stellen, wenn die Krankenkassen Alarm schlagen, weil Kosten infolge von Erkrankungen außer Kontrolle geraten und man bei der Ursachenforschung plötzlich und unerwartet Einsamkeit und soziale Isolation als virulente Untergrundkämpfer enttarnt.
Gemeinsam gegen einsam
Unabhängig davon, ob Sie sich selbst einsam fühlen oder aber Bekannte, Verwandte, Arbeitskollegen oder Nachbarn: Mit diesem Buch möchte ich Ihnen auf unterhaltsame Weise jede Menge Wissen zu diesem Thema an die Hand geben. Denn wir brauchen mehr Verstehen und Verständnis für die Betroffenen, wenn wir dem Thema Einsamkeit in unserer Gesellschaft ernsthaft die Stirn bieten wollen. Betroffenen möchte ich Mut machen, ihre Einsamkeit nicht als gegeben hinzunehmen.
Ich möchte mit diesem Buch drei Impulse setzen:
Erstens ist es mir ein wichtiges Anliegen, ein Problembewusstsein für das Thema Einsamkeit zu schaffen und es aus der Tabuzone zu holen. Menschen, die dieses Gefühl zeitweise oder ständig empfinden, sollen sich dazu bekennen können, ohne auf Unverständnis, Ablehnung und Zurückweisung zu treffen oder Angst haben müssen, sich lächerlich oder angreifbar zu machen.
Zum Zweiten ist es mir wichtig, die Bedeutung starker sozialer Bindungen als beste Verteidigungsform gegen Einsamkeit zu promoten. Wie Schild und Schwert schützen sie vor den negativen körperlichen und mentalen Auswirkungen von chronischer Einsamkeit auf unsere Gesundheit und sind unser wichtigster Garant für eine hohe Lebenszufriedenheit und ein langes Leben. Aufbau und Pflege eines positiven sozialen Netzwerks sind die lohnendsten Investitionen Ihres Lebens.
Im dritten Teil möchte ich darüber nachdenken, welche guten Ansätze es bereits gibt, um Einsamkeit in der Gesellschaft wirksam zu bekämpfen. Ich möchte Menschen motivieren, vor Einsamkeit nicht die Augen zu verschließen. Wenngleich wir bei Einsamkeitsbekämpfung zweifellos von einer Langstrecke mit zahlreichen Hindernissen reden und nicht nur von einer Sprintdistanz, sollte gelten: Herausforderung angenommen!
Einsamkeit – Das unterschätzte Gefühl
Allein schon die Begriffe „einsam“ und „allein“ machen etwas mit uns. Sie wecken Assoziationen und Emotionen in einer Art und Weise in uns, die eine eben noch munter plätschernde Unterhaltung auf Schlag versiegen lässt. Ich selbst habe das mehr als einmal erlebt. Man plaudert mit einem Kollegen, Bekannten oder einer Zufallsbekanntschaft über berufliche Pläne. Spätestens, wenn ich sage: „Ich schreibe an einem Buch“ und mein Gegenüber fragt gespannt: „Worüber?“ und ich antworte: „Über Einsamkeit“, habe ich viel Zeit, um in Ruhe einen Schluck von meinem Kaffee zu nehmen. Die Leute sind durch die Bank absolut perplex. Ihr innerer Disput klingt in der Regel etwa so: „Wie kann man sich nur ein so düsteres Thema aussuchen? Der wirkt doch total lebensfroh. Was hat der denn mit Einsamkeit am Hut? Warum macht der denn nicht irgendetwas von den üblichen Coachingthemen? Einsamkeit!? Damit will doch keiner was zu tun haben.“
Je nachdem wie gut mich die Leute kennen, stellen sie diese Fragen mehr oder weniger unverblümt. Mittlerweile habe ich auch schon Übung darin, das Warum und das Wie und die Quintessenz meiner Thesen an mein Gegenüber zu bringen und ernte dafür in der Regel erneut Staunen. Wenn ich von den Themen erzähle, auf die ich bei meinen Recherchen gestoßen bin und von den Menschen, die mir ihre Geschichten geschenkt haben, dann klingt es alles andere als düster. Die meisten sind überrascht von meiner unüblichen Perspektive auf Einsamkeit und meiner Unbeschwertheit, darüber zu reden.
Warum einsam nicht allein und allein nicht einsam bedeutet
Einsamkeit ist ein Leidgefühl, das Menschen empfinden, wenn ihre sozialen Beziehungen nicht so sind, wie sie es sich wünschen. In der wissenschaftlichen Literatur wird Einsamkeit gemeinhin definiert als Folge einer subjektiv wahrgenommenen Nichtübereinstimmung von gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen. Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit kann daraus resultieren, dass die Beziehungen als inadäquat empfunden werden, weil sie nicht den persönlichen Erwartungen oder Bedürfnissen entsprechen
In wissenschaftlichen Studien wird zumeist zwischen sozialer und emotionaler Einsamkeit unterschieden. Soziale Einsamkeit - oder auch soziale Isolation – ist ein objektiver Zustand, bei dem es an sozialen Kontakten, einer Vertrauensperson, gesellschaftlichen Aktivitäten oder Kommunikation fehlt. Dieses Fehlen birgt die Gefahr von Vereinsamung.
Emotionale Einsamkeit ist hingegen ein subjektiver Zustand. Sie ist die subjektive Einwertung meiner persönlichen Wahrnehmung oder Erfahrung, dass die Qualität meiner sozialen Beziehungen nicht so ist wie ich sie mir wünsche.
Diese begriffliche Unterscheidung ist nicht so banal, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Denn nicht jeder, der sehr zurückgezogen lebt, fühlt sich einsam. Wenn es seine Idealvorstellung von sozialen Beziehungen ist, keine zu haben und er sich selbst vollauf genügt, wird er keine Einsamkeit empfinden.
Genauso wenig impliziert Alleinleben zwangsläufig soziale Isolation oder Einsamkeit. Wenn ich ein funktionierendes Netzwerk habe und darin so eingebunden bin, dass das meine Ansprüche an soziale Beziehungen abdeckt und ich mir sicher bin, im Bedarfsfall Unterstützung zu erhalten, wird Alleinleben nicht zu Einsamkeit führen. Entspricht die Qualität meiner sozialen Beziehungen jedoch nicht meinen individuellen Vorstellungen davon, wird mich auch ein großes soziales Netzwerk und ein Leben voller gesellschaftlicher Aktivitäten nicht automatisch vor Einsamkeit schützen – egal ob ich allein oder mit jemandem zusammenlebe. Forschungen belegen, dass es nicht ausreicht, soziale Kontakte noch weiter zu verstärken oder noch mehr zu unternehmen, wenn man seine Einsamkeit in den Griff kriegen will. Stattdessen sollte man an der Beziehungsqualität arbeiten.
Aus Sicht der Forschung resultiert die Bedeutung der Beziehungsqualität aus der sozialen Natur der menschlichen Spezies. Es ist eben nicht nur wichtig, dass da außer mir noch irgendjemand ist. Sondern es ist vorteilhaft, mit diesem jemand zu kooperieren, um das Überleben und die Nachkommenschaft zu sichern. Dazu braucht es Beziehungsqualitäten wie Unterstützung und Vertrauen.
Eine mentale Sturmglocke
Aus dieser evolutionären Sicht stellt Einsamkeit für den amerikanischen Neurowissenschaftler John Cacioppo ein Signal dar, das uns - ganz ähnlich wie Hunger oder Durst - antreibt, unser Verhalten so zu ändern, dass sich unsere Überlebenschancen erhöhen. Einsamkeitsgefühle geben uns sozusagen einen Schubs: „Sieh zu, dass du unter Leute kommst und Menschen findest, denen du dich zugehörig fühlst.“ Sie motivieren uns dazu, uns sozial wieder zu integrieren, um über Wärme, Geborgenheit und Unterstützung sozusagen unser Überleben zu sichern.
Das Maß an Bedrängnis, das wir empfinden, wenn uns soziale Bindung fehlt, scheint zu einem gewissen Teil in unseren Genen zu liegen. Aus evolutionärer Sicht hielten genau die Eltern stärker Verbindung zu ihren Kindern, um sie zu ernähren und zu schützen, die stärker Stress empfanden, wenn sie von ihnen und ihrem Stamm getrennt waren. Forschungen von Dorret Boomsma und Shirley McGuire zusammen mit ihren Kollegen legen nahe, dass Einsamkeit zu 50 Prozent erblich und zu 50 Prozent durch das Umfeld bedingt ist. Unsere Gene bestimmen damit nicht zwangsläufig, ob wir einsam sein werden oder nicht, sondern eher, wie schwer uns unzulängliche soziale Bindungen zu schaffen machen werden.
Unterschätzt in der Wahrnehmung
Die meisten von uns erleben vorübergehende Einsamkeitsgefühle zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben beispielsweise als Folge von Trennung oder Tod und kommen damit klar. Für andere werden sie zu einem Dauerzustand und lebensbestimmend. Davon bekommen Außenstehende oft gar nichts mit. Denn anders als andere Gefühle wie Trauer, Angst oder Freude sind typische Körper- und Ausdrucksmerkmale, die Einsamkeit signalisieren, kaum beobachtbar. Wann haben sie das letzte Mal über eine andere Person gedacht: „Der wirkt irgendwie einsam.“ Natürlich hat das auch etwas damit zu tun, dass Betroffene oft gezielt vermeiden wollen, mit Einsamkeit in Verbindung gebracht zu werden.
Während ich in einem Café auf meine Frau warte, komme ich mit meinem Tischnachbarn ins Gespräch. Wir plaudern über dieses und jenes und er erweist sich als freundlich, unterhaltsam und zugewandt. Er wirkt auf mich wie jemand, der zufrieden ist mit sich und dem Leben. Irgendwann kommen wir auf mein Buchprojekt und er stellt interessiert Fragen. Später verabschiedet er sich mit den Worten, dass er das Buch in jedem Fall lesen wird, um besser zu verstehen, was manchmal mit ihm los ist. Und dann bin auch ich mal sprachlos. Denn ganz zu Beginn meiner Recherchen entsprach das so gar nicht meinem Bild von einem Menschen, der sich einsam fühlt. Genau das macht es so schwierig, sich diesem Thema zu nähern. Einsamkeit trägt Camouflage - sie tarnt sich geschickt und ist von außen so gut wie unsichtbar.
Zugleich ist sie einzigartig. Natürlich haben wir alle eine Vorstellung davon, wie sich Einsamkeit anfühlt, denn sie gehört zu unseren Grunderfahrungen. Doch meine Vorstellungen sind nicht deckungsgleich mit Ihren. Jeder von uns fühlt etwas anderes, wenn er sich einsam fühlt. DAS klassische Einsamkeitsgefühl gibt es nicht. Ich war anfangs völlig überrascht von der Vielfalt unterschiedlicher Wahrnehmungen von Einsamkeit bei meinen Gesprächspartnern: Verlassensein, bodenlose Leere, Dunkel, ein Fremder unter Freunden, Gefangensein, eine endlose vergebliche Suche, Kälte, sich ausgeschlossen fühlen, Wertlosigkeit, eine Last auf der Brust, Druck im Magen. Jede Beschreibung war letztlich ein Unikat.
Manche Befragten finden keine Worte dafür, wie sich Einsamkeit für sie anfühlt, können aber sehr präzise benennen, was ihre Einsamkeit „heilen“ könnte. Und hier treffen wir auf alte Bekannte: Bestätigung, Zuwendung, Wärme, Liebe, Zugehörigkeit, Gesehen werden. Vielleicht geht Ihnen das auch so: Sie laufen im Sommer allein an Cafés und Restaurants vorbei, in denen Menschen redend und lachend beieinandersitzen. Dann wünschen Sie sich vor allem eins: dazuzugehören.
So individuell wie sich Einsamkeit für jeden von uns darstellt, so unterschiedlich reagieren wir auf dieses Gefühl. Das Spektrum reicht von tiefer Traurigkeit, Antriebsarmut, wildem Aktionismus, totaler Verzweiflung, lähmender Niedergeschlagenheit, Selbstablehnung, innerer Kapitulation bis zu Auflehnung und das alles in sämtlichen Schattierungen und Mischformen.
Einsamkeit scheint somit schon mal kein Thema für Menschen zu sein, die eine handfeste Katalogisierung eindeutiger Symptome, Ursachen, Diagnosen, Risikofaktoren und Behandlungen bevorzugen. Das erklärt auch, warum man sich in der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht gerade um dieses Thema reißt. Von populärwissenschaftlichen Arbeiten ganz zu schweigen. Einsamkeit ist eine zutiefst persönliche Erfahrung und stellt sich für jeden von uns einzigartig dar. Aber eine seziermesserscharfe Beschreibung des Albtraums Einsamkeit ist auch gar nicht meine Intention, sondern vielmehr, Menschen im Umgang mit diesen Gefühlen zu helfen.
Einsamkeit trägt Camouflage
Wer sagt schon laut, dass er sich einsam fühlt? Einsamkeit ist bei uns in hohem Maße tabuisiert. Ihr haftet ein Makel an. Darüber unterhält man sich nicht mal eben mit seinem Nachbarn über den Gartenzaun. Denn damit wird eine unsichtbare Grenze überschritten und parallel dazu, die eigene Deckung abgesenkt. Man gibt sich verwundbar und das passt so gar nicht zu dem Bild, das andere von uns haben sollen: selbstbestimmt, dynamisch und voll im Leben. Erfolg und Glamour können gern öffentlich zur Schau gestellt werden. Weniger attraktive Gefühle behält man besser für sich. Selbst im engsten Familien- oder Freundeskreis schlingert das Reaktionsspektrum zwischen peinlich berührt, betroffen sprachlos und eiligem Bagatellisieren, wenn jemand offen dazu steht, dass er sich allein fühlt.
Auf Tagungen hat es sich bewährt, parallel verschiedene Vortragsthemen anzubieten. So kann sich jeder Teilnehmer aus vier Themen das raussuchen, was ihm am Ehesten zusagt. „Du darfst auf gar keinen Fall Einsamkeit in deinem Titel haben. In das Thema geht keiner rein, weil er denkt, dass dann alle davon ausgehen, dass er einsam ist“ war die erste Reaktion eines sehr guten Freundes und Kollegen, als ich mit meinem Einsamkeitsthema um die Ecke kam. Er hat zweifelsfrei recht.
Das Thema ist derart stark stigmatisiert, dass selbst Betroffene alles unternehmen, um in ihrem sozialen Umfeld nicht als einsam zu gelten. Sie wollen sich nicht der möglichen Unterstellung aussetzen, dass mit ihnen irgendetwas nicht in Ordnung sei, weil sie nicht über adäquate Beziehungen verfügen. Das kostet Energie. Energie, die dann schon mal fehlt, wenn es darum geht, etwas gegen die eigene Einsamkeit zu unternehmen. Dabei ist der Speichervorrat ohnehin im unteren Bereich. Denn Einsamkeit hat etwas Lähmendes, Erschöpfendes. Viele fühlen sich von ihrer Einsamkeit so in sich selbst gefangen, dass sie da gar nicht mehr rauskommen. Es fehlt ihnen schlichtweg an jeglicher Power, um sich daraus zu kämpfen. Die eigene Kampfansage an die Einsamkeit ist aber unumgänglich und jeder kleine Sieg bedeutet schlichtweg mehr Lebenszufriedenheit.