Nicht in dieser Welt - Stephanie Guckenmus - E-Book

Nicht in dieser Welt E-Book

Stephanie Guckenmus

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Beschreibung

Sarah kommt ohne Gedächtnis mitten im Nirgendwo zu sich. Dort findet Sebastian die junge Frau und bringt sie auf ein einsames Hochplateau in den Palast des geheimnisvollen Daniel, dessen Gastfreundschaft sie aus der Not heraus annimmt. Ihr Gedächtnis suchend plagen Sarah schreckliche Alpträume. Gleichzeitig will sie ergründen, wo und bei wem sie Zuflucht gefunden hat. Dabei verliebt sie sich in Sebastian, doch diese Liebe steht unter keinem guten Stern …

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

10/2023

 

Nicht in dieser Welt

 

© by Stephanie Guckenmus

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung:

© 2023 by Magical Cover Design, Guiseppa Lo Coco

Lektorat: Julia Schoch

Korrektorat: Birgit van Troyen

Buchsatz: Nadine Engel

Autorenfoto: privat

 

Coverbild ›Spiel der Mächte –Erwachen‹

© 2019 by Magical Cover Design, Guiseppa Lo Coco

Coverbild ›Wolf Call – Ruf der Bestimmung‹

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

 

ISBN 978-3-96741-211-6

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

Printed in Germany

 

 

Stephanie Guckenmus

 

Nicht in dieser Welt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fantasy

 

 

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Playlist zum Buch

Hybrid Verlag …

 

 

Prolog

 

 

Leben ist nicht einfach. War es nie und wird es auch nie sein. Nur für einige Menschen ist es vielleicht einfacher als für andere. Ich gehöre zu denen, für die es nicht so einfach ist.

Sterben soll einfach sein, leicht, mühelos. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Für mich zumindest nicht.

 

Kapitel I

 

 

Ich höre Vogelgezwitscher, dabei ist es dunkel, denn meine Augen sind geschlossen. Vorsichtig berühre ich mit meiner rechten Hand meine rechte Wange und meine Stirn. Die Haut fühlt sich warm an. Als ich meine Augen öffne, muss ich zunächst ein paar Mal blinzeln. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und Gras kitzelt meine Nase. Moment mal, Gras? Wieso Gras? Verwirrt drehe ich meinen Kopf nach links und nach rechts. Tatsächlich, ich liege im Gras, über mir die Sonne, die hoch am wolkenlosen Himmel steht. Wie kann das sein? Ich war doch, ja, wo war ich bis eben unterwegs? Im Grünen? Oder nicht viel eher in einer Stadt? Oder lag ich nicht doch in meinem Bett? Verdammt! Wo bin ich? Ich richte meinen Oberkörper auf und schirme mit einer Hand meine Augen vor den Strahlen der Sonne ab. Es gibt nicht nur grüne Wiese, auch Bäume stehen hier vereinzelt herum. Wo zur Hölle bin ich? Ich erkenne die Gegend nicht. Noch einmal drehe ich meinen Kopf in alle Richtungen, aber da ist absolut nichts, was mir bekannt vorkommt. Na gut, wozu hat man heute ein Smartphone? Sicherlich nicht, um die Telefonrechnung in die Höhe zu treiben. In meiner Tasche, Moment mal, wo ist meine Tasche? Klasse, keine Tasche, kein Handy. Nochmals schaue ich mich um, suche nach meiner Tasche, entdecke sie aber nirgendwo. Was soll ich denn nun machen? Ein dumpfes Gefühl in der Magengegend macht sich bemerkbar. Es ist heiß und ich beginne zu schwitzen. Ich spüre, wie langsam Angst von mir Besitz ergreift. Gibt es noch bessere Kombinationen? Tränen schießen mir in die Augen. So ein Mist. Das Letzte, was ich nun gebrauchen kann, ist ein Heulkrampf. Ein paar Mal atme ich tief durch und wische mir die Tränen weg. Als ich mich wieder im Griff habe, denke ich nach. Okay, vielleicht ist hier ja irgendeine Menschenseele, die mir helfen könnte. Obwohl mir bewusst ist, dass sich meine Stimme weinerlich anhören wird, rufe ich dennoch: »Hallo! Ist hier irgendjemand? Hallo!«

Nichts. Außer dem Vogelgezwitscher vernehme ich absolut nichts. Niemand hier, der mir antworten könnte. Das darf doch alles nicht wahr sein. Wie soll ich denn nun den Weg nach Hause zurückfinden? Bei dieser Hitze. Mein Durstgefühl meldet sich. Meine Lippen fühlen sich spröde an, mein Mund trocken. Ich habe keine Ahnung, wie ich aus dieser Nummer wieder herauskommen soll. Wut über meine Situation und meine jämmerliche Ängstlichkeit steigt in mir hoch. Es muss eine Lösung geben. Hey, ich bin schließlich kein kleines Kind mehr, das sich im Kaufhaus verirrt hat und nun nach seiner Mama schreit. Mit dreiunddreißig Jahren sollte man etwas logischer und zielorientierter denken können. Tief atme ich ein und aus. Denk nach! Wo bist du und wie kommst du von hier weg? Wenn nur nicht diese Hitze wäre. Ein Baum. Ja, natürlich, erst einmal werde ich Schatten suchen, um ganz in Ruhe nachdenken zu können. Es wird schon alles gut werden, versuche ich mir Mut zuzusprechen.

Mein Durst treibt mich in den Wahnsinn. Mein Vorsatz, in Ruhe nachzudenken, ist schon wieder verflogen. Was soll ich nur machen? Wieder einmal schaue ich mich um und dieses Mal erblicke ich tatsächlich eine Gestalt. Es ist ein Mann. Wieso ausgerechnet ein einzelner Mann und nicht eine fröhliche Wandergruppe, die mir aus der Patsche helfen könnte? Klar, auch dieser Typ könnte mir helfen, aber irgendetwas in mir schreit nach einer verdammten Wandergruppe, nach Frauen, nach Kindern, nach allem nur nicht danach, mit einem fremden Mann allein mitten in der Wildnis zu sein. Vielleicht habe ich zu viele Filme geschaut, aber ich kann es nun mal nicht ändern … Alles in mir schreit nach Flucht, meine Beine wollen laufen, mein Körper will sich bewegen, doch anstatt die Beine in die Hand zu nehmen, bleibe ich wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen und schließe meine Augen. Ich will weg von hier. Nach Hause, in meine vertraute Umgebung. Vielleicht habe ich mich getäuscht und da steht überhaupt kein Mann. Genau. Ich bin dehydriert, ängstlich, da kann man sich schon mal täuschen, oder nicht?

 

Als ich meine Augen wieder öffne, sehe ich den Mann immer noch. Mittlerweile keine fünf Meter mehr von mir entfernt. Er trägt Jeans und ein dunkelblaues T-Shirt. Wieso starrt er mich so unverhohlen an? Dieser starre Blick macht mich nervös. Ich weiche ihm aus und schaue zur Seite. Würde ein netter Kerl nicht lächeln, mich freundlich ansprechen? Stattdessen Schweigen und Starren. Und das Schlimmste ist, dass ich so unfassbar feige bin, dass ich selbst nicht den Mund aufmache und ihn anspreche. Im Grunde kann dieser Typ alles mit mir anstellen, ich bin dem komplett ausgeliefert. Plötzlich beendet er das Schweigen.

»Was machst du hier?«, fragt er.

Vor Schreck zucke ich zusammen. Unfähig auch nur einen Ton herauszubringen, schaue ich ihn an. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt, seine Lippen sind aufeinandergepresst und seine Augen scheinen zu versuchen, mich zu durchbohren. Sympathisch ist anders.

»Sprechen ist nicht so dein Ding? Hast du vor, hier zu verdursten oder weißt du etwa, was du hier tust?«

Er lacht. Okay, lachen kann er also. Einschüchtern hat er jedenfalls drauf.

Dennoch schaffe ich es, ihm leise zu antworten, auch wenn es mich Überwindung kostet. »Ich weiß nicht, wo ich bin.«

Seinem Blick standzuhalten, liegt für mich im Bereich des Unmöglichen. Stattdessen betrachte ich die Wiese. Stille. Kein Wort, weder von ihm noch von mir. Die Wiese anzustarren, wird nach einer Weile eintönig. Was habe ich schon zu verlieren, wenn ich ihn anschaue? All meinen Mut zusammennehmend wende ich schließlich meinen Blick von der Wiese ab und schaue ihn an.

Wie ein Monster sieht er nicht aus. Im Gegenteil. Er ist groß und muskulös und sein schwarzes Haar fällt ihm in die Stirn. Seine Augen sind von einem tiefen Dunkelblau. Er hat ein interessantes, attraktives Gesicht. Ich kann es nicht genau fassen, aber es liegt etwas Schelmisches in seinen Zügen. So, als ob er gar nicht dieser unsympathische Kerl ist, den ich in ihm vermute.

»Hast du mich nun lange genug angestarrt?«

Ertappt zucke ich zusammen.

»Ich habe keine Ahnung, wer du bist und was du hier verloren hast. Es interessiert mich auch nicht sonderlich, aber du machst mir nicht den Eindruck, als ob du wüsstest, was du hier tust. Ist mir auch egal, aber ich kann dich hier schlecht verdursten lassen. Auf die Diskussion kann ich verzichten.« Genervt rollt er mit den Augen und schnaubt.

Verdursten? Wird ja immer besser. Anscheinend hat er nicht vor, mich anzugreifen. Er benimmt sich eher, als wäre ich eine lästige Pflicht, die er schnellstmöglich loswerden will.

»Ich heiße Sarah«, flüstere ich. »Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin, aber wenn du mir erklärst, wie ich zur nächsten Stadt komme, dann …«

Mit der flachen Hand klatscht sich der Typ an seine Stirn und schüttelt den Kopf. »Unwissend, naiv, was bist du noch? Du willst zur nächsten Stadt? Du hast anscheinend keinen blassen Schimmer, wo du dich hier befindest. Willst du mir wirklich erzählen, dass du nicht weißt, wie du hierhergekommen bist, geschweige denn, wie du wieder von hier wegkommst? Na wunderbar, das passt ja zu meinem Tag.«

Er schnaubt wieder und fährt sich durch seine dichten Haare, die er so verwuschelt. Kurz sieht er sich um, um seinen Blick dann wieder auf mich zu richten. Seine Augen scheinen mich zu durchbohren. Unmöglich, ihm zu entkommen. Nervös fahre ich mir durch meine über die Schultern gehenden, dunkelblonden Haare und merke zu spät, dass meine Hand leicht zittert. Mist! Schnell balle ich sie zu einer Faust und lege sie in meinen Schoß.

»Ja«, bringe ich schließlich hervor, »Ich bin aufgewacht und weiß nicht, wo ich bin. Aber wenn ich dir so auf die Nerven gehe, dann verschwinde doch einfach wieder.«

»Wenn das so einfach wäre«, murmelt er und bevor ich es richtig begreife, hat er mich gepackt, auf seine Arme gehoben und geht los.

 

Perplex schnappe ich nach Luft. Er hebt mich einfach hoch? Er trägt mich? Wie dreist.

»Hey, lass mich runter, sofort!«

Doch anstatt in irgendeiner Form zu reagieren, werde ich ignoriert.

»Bist du taub? Lass mich runter. Jetzt!«

Mit meinen Armen versuche ich mich von ihm wegzustoßen, strample mit den Beinen, aber keine Chance. Der Griff um mich hat sich leicht verstärkt, das Strampeln scheint ihn nicht größer zu irritieren. Ich schnaufe. Ich habe keine Chance gegen ihn.

»Lass mich runter!«

»Kannst du nicht einfach ruhig sein? Du nervst.«

»Du schleppst mich gegen meinen Willen irgendwohin.«

»Retten trifft es wohl eher, aber glaub, was du willst.«

Retten, jaja. Ein paar Mal schnaube ich noch, um meinen Unmut Kraft zu verleihen, aber ich werde einfach ignoriert. Frustriert füge ich mich zunächst in mein Schicksal. Wohin er mich wohl bringt? Als ich meinen Fokus von ihm auf die Umgebung richte, wundere ich mich über unsere Geschwindigkeit. Mir ist bekannt, dass Gehen eine olympische Disziplin ist, aber dass ein Mensch so schnell gehen kann, ist seltsam. Der Wind weht mir herrlich kühl ins Gesicht, Bäume und grüne Wiesen fliegen an mir vorbei, bis das Gelände hügeliger und schließlich sogar bergig wird. Die Berge liebe ich schon immer. Plötzlich ist meine Neugierde geweckt. Wo bringt mich der Typ hin?

Mit zunehmender Höhe wird die Luft immer angenehmer.

Die Landschaft erinnert mich stark an die wunderschönen Dolomiten. Wir sind doch niemals in Südtirol? Aber gibt es diese Gesteinsformationen noch woanders auf der Welt? Mein Erinnerungsvermögen ist ein einziges, leeres Loch. Obwohl mein unbekannter Retter nicht sehr gesprächig zu sein scheint, versuche ich es trotzdem. Doch bevor ich mit meinen Fragen loslege, fahre ich mir mit meiner Zunge über meine spröden Lippen. »Wohin bringst du mich? Wo sind wir? Alles hier erinnert mich an die Dolomiten. Kann das sein? Wieso kannst du so schnell gehen? Wie heißt du und wie alt bist du?«

So viele Fragen, die plötzlich aus mir herausdrängen.

Stille. Schweigen. Atmen. Regelmäßiges, unangestrengtes Atmen.

»Hallo? Ich rede mit dir.«

Ich bekomme keine Antwort. Genervt und frustriert atme ich hörbar aus.

»In Sicherheit, reicht das nicht?«

»Oh, der Herr antwortet doch mal, ein Wunder. Und wo genau ist in Sicherheit?«

»Hm, du nervst mit deiner Fragerei, du wirst schon sehen, wohin ich dich bringe, und dann wirst du auch nicht schlauer sein. Tu mir einen Gefallen, sei still und lass mir meinen Frieden. Ansonsten kannst du den Rest des Weges selbst hinauf wandern und ich bezweifle stark, dass du dazu fähig bist.« Und schon wird das Tempo angezogen.

Klasse, der Typ wird mir immer sympathischer. Als ob ich nicht wandern könnte. Wie will er beurteilen, ob ich Bergsteigen kann?

»Dann lass mich doch selbst wandern. Sag mir doch einfach, wo die nächste Stadt ist, anstatt mich zu tragen, obwohl ich dich so dermaßen nerve. Los! Du kannst mich nicht einfach irgendwohin verschleppen und dabei so genervt tun, also …«

»Wie du siehst, kann ich es. Und wenn du weiterhin so nervst, ziehe ich wirklich in Erwägung, dich hier zurückzulassen.«

»Ja bitte, dann los. Lass mich gehen.« Nochmals versuche ich mich zu befreien, aber am festen Griff hat sich nichts geändert.«

»Wie gesagt, auf die Diskussion kann ich verzichten. Also, sei still und genieße die Landschaft.«

Ich beiße meine Zähne aufeinander. Er wird mich nicht gehen lassen. Resigniert betrachte ich mir wieder die Landschaft. Das Gelände ist mittlerweile steil geworden. Er geht einen engen Pfad hinauf, am Wegesrand liegt Geröll, vereinzelt wächst etwas. Als der Pfad eine Biegung um eine Felsspitze macht, traue ich meinen Augen kaum. Eine gewaltige Hochfläche tut sich vor uns auf. Soweit das Auge reicht, sehe ich saftige Wiesen umzäunt von mächtigen Dolomiten, wie mir scheint. Mit großen Augen schaue ich mich um. Überwältigt von der sensationellen Kulisse sehe ich hoch in Mister Xʼ Gesicht und entdecke doch tatsächlich ein schiefes Grinsen.

»Wieso grinst du?«

Als Antwort ernte ich nur ein Augenrollen und das Grinsen verschwindet augenblicklich. Als ich mich wieder auf die Umgebung um mich herum konzentriere, fallen mir fast die Augen aus dem Kopf. Sicherheitshalber schließe ich sie kurz. Doch als ich sie wieder öffne, hat sich nichts an der Szenerie vor mir geändert. Wir befinden uns weiterhin auf der Hochfläche, aber anscheinend sind wir doch einige hundert Meter weitergelaufen und stehen nun vor einem riesigen Palastgebäude. Ein Palast? Zumindest erinnert mich das Gebäude sehr stark an einen solchen, so ähnlich wie aus Tausendundeiner Nacht. Ein großes rundes, kuppelförmiges Gebäude steht in der Mitte, rechts und links davon zwei kleinere, die im selben Stil erbaut sind. Die Dächer glänzen golden in der Sonne, der Rest erstrahlt in weißem Marmor. Der Weg zum Hauptgebäude ist von großen weißen Marmorsäulen flankiert. Der Palast ist in einen gewaltigen Dolomit-Felsen eingebettet, als wären sie schon immer eine Einheit gewesen. Es mutet etwas seltsam an und doch sieht es harmonisch aus. Ich kann meinen Blick nicht abwenden, merke dadurch zu spät, dass ich abgesetzt werde und falle fast hin.

»Hey, was soll das?«

Statt eine Antwort zu bekommen, stehe ich nun allein da und mein Retter einige Meter von mir entfernt, einem anderen Mann gegenüber. Der andere ist etwas kleiner, etwa so groß wie ich. Er hat blond gelocktes Haar und ein Lächeln im Gesicht. Schätzungsweise ist er etwas älter als ich und mein Retter.

Worüber sie wohl reden? Sie sprechen zu leise, als dass ich sie verstehen würde. Wo bin ich nur? Ich weiß nicht so richtig, was ich machen soll. Stehenbleiben, zu ihnen gehen oder doch lieber weglaufen? Unentschlossen verlagere ich mein Gewicht von einem Bein aufs andere. Ich weiß doch überhaupt nicht, wer die sind, wo ich bin, wo ich eventuell hineingeraten bin. Genau in dem Moment, in dem ich mich entschließe, Reißaus zu nehmen, kommt der blonde Mann mit langsamen Schritten auf mich zu.

»Hallo. Ich heiße Daniel. Du musst Sarah sein.«

Ich schlucke den großen Kloß, der sich plötzlich in meinem Hals gebildet hat, hinunter und antworte leise: »Hallo. Ja, ich heiße Sarah, woher … ach ja …«

Kurz huscht mein Blick zu meinem Retter hinüber, der nicht zu mir hinübergekommen ist. Stattdessen schaut er zu uns herüber, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Sebastian hat mir deinen Namen verraten und dass du dich verirrt hast«, erklärt Daniel. »Außerdem hat er erzählt, dass du nicht weißt, wo du dich befindest, noch wie du hierhergekommen bist. Ich kann mir vorstellen, dass diese Situation nicht schön für dich ist, und würde dir gerne meine Gastfreundschaft anbieten. Wir haben genügend Gästezimmer und freuen uns über Gesellschaft.Was hältst du von meinem Vorschlag?«

Daniel steht ruhig da, seine Hände in den Taschen seiner beigen Shorts vergraben. Ich hingegen bekomme feuchte Hände und finde meine Sprache nicht. Gerne würde ich einfach weglaufen, aber ich bin unfähig, auch nur einen Schritt zu machen. Bei ihnen bleiben? Bei komplett fremden Menschen? Eher nicht. Irgendwie schaffe ich es dann doch, zumindest zu antworten.

»Ehrlich gesagt möchte ich einfach nur nach Hause und ich kenne euch nicht. Also danke, aber nein.«

Ich drehe mich um und will gehen, als ich die genervte Stimme von Sebastian direkt hinter mir höre. »Ach ja, und wohin möchtest du gehen? Wer musste dich vorhin hier hochtragen?« Er wirkt so genervt und undurchschaubar. Ich kann ihn absolut nicht einschätzen. Außerdem mag er mich nicht sonderlich, hätte er ansonsten auf dem Weg hierhin nicht das Gespräch mit mir gesucht? Dieser Daniel scheint zumindest ein etwas ruhigeres Gemüt zu haben. Trotzdem möchte ich nicht hierbleiben. Doch kaum mache ich einen Schritt vorwärts, legt Sebastian eine Hand auf meine rechte Schulter. Ich versuche seine Hand abzuschütteln und einen Schritt vorwärtszumachen, aber seine Hand liegt fest auf meiner Schulter und hält mich an Ort und Stelle.

»Lass mich sofort los!«, schreie ich ihn an, doch schon steht Daniel wieder vor mir. Sein Blick ruht auf mir, er schüttelt seinen Kopf, vielleicht um mich zu beschwichtigen.

»Sebastian, bitte, jag ihr doch keine Angst ein.«

Nur langsam nimmt der Druck auf meiner Schulter ab, bis ich seine Hand schließlich nicht mehr wahrnehme, wohl aber seine Anwesenheit. Ich spüre seinen Atem, der mich im Nacken kitzelt und gleichzeitig eine Gänsehaut hinterlässt.

»Entschuldige Sebastians Verhalten. Er meint es nicht so.«

Das glaube ich zwar nicht, aber das interessiert die Herren sicher wenig.

»Allerdings gebe ich ihm recht. Wohin möchtest du gehen? Du hast sicherlich Hunger und Durst und bist müde, oder? Ich verspreche dir, dass du nichts von uns zu befürchten hast. Wir kennen dich ja auch nicht.« Ich mustere Daniel. Er macht keinen unfreundlichen Eindruck, scheint ein netter Mensch zu sein, aber sowas kann täuschen. Ein Lächeln und ein paar nette Worte müssen nicht bedeuten, dass derjenige auch gute Absichten hegt.

»Wer seid ihr denn? Ich habe absolut keine Ahnung, wo ich mich befinde, und soll bei wildfremden Kerlen bleiben? Wovon einer sein Temperament nicht unter Kontrolle hat.« Demonstrativ werfe ich einen Blick auf Sebastian, der nur ein Schnauben für meine Worte übrighat.

»Bestimmt werden deine Bedenken weniger, wenn du uns etwas besser kennengelernt hast. Sebastian lässt dich ohnehin nicht gehen und ich würde mich freuen, wenn du dich hier erst einmal etwas erholen würdest.«

Freundlich gemeinte Worte, aber mein Gefühl sagt mir, dass auch Daniel nicht unbedingt vorhat, mich wieder gehen zu lassen. Auch wenn er sympathischer als Sebastian wirkt.

»Wer seid ihr denn?«, wiederhole ich meine Frage.

»Wir sind Sebastian, Toni, den du gleich noch kennenlernen wirst, und ich, Daniel, eine Männer WG.« Daniel zwinkert mir zu und ich verdrehe die Augen. Drei wildfremde Männer, bei denen ich bleiben soll. Auch wenn Daniel noch so freundlich wirkt, mein Unbehagen ist weiterhin vorhanden. Nervös verlagere ich mein Gewicht vom rechten auf das linke Bein und fahre mir mit der Hand durch die Haare. Wie soll ich von hier verschwinden? Sebastian wird mich nicht gehen lassen. Und wenn ich Daniel gut zurede, dass ich unbedingt wieder von hier weg möchte?

»Ich weiß deine Gastfreundschaft zu schätzen, aber ihr seid zu dritt, ich bin allein und … Schau, sag mir wo die nächste Stadt ist, und ich mache mich auf den Weg dorthin, nehme mir ein Hotelzimmer und ihr habt keine Umstände.«

Erneut beginne ich zu schwitzen, obwohl es hier oben merklich frischer als im Tal ist. Hoffentlich lässt er mich doch ziehen.

»Tut mir leid, das wird nicht möglich sein. Die nächste Stadt ist sehr weit entfernt, es ist schon weit nach Mittag und du wirkst müde und geschafft. Auch wenn es dir Unbehagen bereitet, ich möchte dich nicht gehen lassen. Würde dir etwas passieren …« Daniel schüttelt seinen Kopf und ich weiß, dass ich verloren habe.

Ich balle meine schwitzigen Hände zu Fäusten. Wenn mein Herz wenigstens etwas weniger schnell schlagen würde.

»Es tut mir leid, dass du dich hier momentan nicht wohlfühlst, aber ich werde alles dafür tun, dass sich das ändert und du keine Angst mehr vor uns hast. Lass uns morgen früh besprechen, wie wir weiter vorgehen, in Ordnung?«

Daniel reicht mir seine Hand und ich greife zögerlich nach ihr.

»Okay. Aber morgen früh kann ich gehen, wohin ich möchte?«

»Lass es uns morgen früh in Ruhe besprechen.«

Er lässt meine Hand los und richtet seinen Blick auf Sebastian und öffnet seinen Mund, aber bevor er etwas sagen kann, redet auch schon Sebastian.

»Ich denke, wir sind hier fertig. Ich gehe auf mein Zimmer.«

Als ich mich umdrehe, sehe ich nur noch, wie Sebastian im Palast verschwindet. Komischer Typ.

»Lassen wir ihm seine Ruhe. Es ist Zeit, dass du Toni kennenlernst. Du wirst ihn mögen. Er kümmert sich hier um alles und wird dir gleich dein Zimmer zeigen. Kommst du?«

Daniel geht an mir vorbei und ich folge ihm. Hier und da wachsen bunte Blumen in Blumenkübeln, die neben den Säulen stehen. Sie sind mir vorhin nicht aufgefallen. Am Palasteingang erwartet uns ein Mann. Dieser Mann ist wesentlich kleiner als Daniel oder ich und trägt Glatze. Er hat eine braune Hose und ein schlichtes hellgraues Hemd an. Er wird schätzungsweise Mitte bis Ende Fünfzig sein.

»Daniel, Sebastian haben schlechte Laune, warum?«

Ist Toni ein Italiener? Sein Name würde passen und sein charmanter Akzent auch.

»Toni, darf ich dir unseren Gast Sarah vorstellen? Sarah, das ist unser lieber Toni.«

Toni lächelt mich an und um seine Augen bilden sich kleine Lachfältchen.

»Ah, deswegen, Sebastian, egal. Hallo Sarah, ich heißen Toni. Freuen mich, dich kennenzulernen.«

»Hallo Toni.«

Toni streckt mir seine Hand entgegen und nach kurzem Zögern ergreife ich sie. Er drückt sie kurz und lässt sie dann wieder los.

»Würdest du Sarah bitte ihr Zimmer zeigen und vielleicht auch noch andere wichtige Räumlichkeiten?«

»Natürlich.«

»Sarah, falls du für das Abendessen später zu müde bist, dann sehen wir uns einfach morgen früh.« Daniel nickt mir zu und wendet sich dann zum Gehen.

»So, dann ich zeigen dir dein Zimmer, die Küche und den Speisesaal.«

Eine fröhliche Melodie summend schreitet Toni voran und ich trotte geschlagen und müde hinterher. Nur mühsam schaffe ich es, ein Gähnen zu unterdrücken. Welche Wahl habe ich schon? Ich schätze, sobald ich die Beine in die Hand nehme, kommt der schlecht gelaunte Sebastian ums Eck und schleift mich zurück. Zumindest scheinen Daniel und Toni nett zu sein.

»So«, höre ich Tonis Stimme, »hier seien der große Saal und wenn du geradeaus weiter gehen, du kommen in die Küche. Wenn du Hunger haben, du können dich dort jederzeit bedienen oder du sagen mir einfach Bescheid. Nun wir gehen in den ersten Stock, schauen, diese Treppe hoch. Dort befinden sich dein Gästezimmer, außerdem Sebastians und mein Zimmer. Daniels Zimmer seien im zweiten Stock.«

Alles ist in weißem Marmor gehalten. Hier und da stehen hübsche bunte Blumen in großen Marmorkübeln rum und an den Wänden hängen ab und zu Landschaftsbilder. Fast stoße ich gegen Toni, als dieser vor einer Tür stehen bleibt.

»Hier seien dein Zimmer. Schräg gegenüber wohnen Sebastian und ich haben meines am Ende des Ganges.« Lächelnd schaut er mich an. Seine Hände sind vor seinem kleinen Bauchansatz gefaltet. »Du können ruhig rein gehen. Wasser und Obst drinnen stehen. Ein eigenes Badezimmer du auch haben. Wenn was fehlen, sagen mir Bescheid.«

»Okay, danke, Toni.« Unschlüssig bleibe ich vor der Tür stehen. Für einen Moment schaue ich zu Sebastians Tür herüber. Er wohnt also ausgerechnet mir gegenüber. Zufall? Wohl kaum. Ob er noch in seinem Zimmer ist? Will er mich bewachen?

»Du haben noch Fragen?«

Tonis Stimme reißt meinen Blick von Sebastians Tür los.

»Nein, ich, sag Toni, wie spät ist es eigentlich?«

»Ich nicht genau wissen, ich haben keine Uhr, aber ich denken es schon Nachmittag seien.«

»Erst? Dabei bin ich so schrecklich müde.« Und wie um meine Worte zu unterstreichen kann ich wieder nur schwer ein Gähnen unterdrücken.

»Dann ausruhen und schlafen gehen.« Toni nickt mir kurz zu, als er sich zum Gehen wendet.

»Ja, das werde dann ich wohl machen.«

Ich öffne die Tür und betrete das Gästezimmer. Es ist riesig. Gegenüber der Tür befindet sich eine lange Fensterfront. Links zur Tür, an der Wand zwischen Tür und Fenster, steht das Bett. In ihm könnten locker drei Erwachsene schlafen. Rechts neben der Tür steht, mit etwas Abstand, der fünftürige Kleiderschrank und an der Wand, gegenüberliegend zum Bett, hängt ein goldener Wandspiegel, unter welchem sich eine kleine weiße Kommode befindet. Hier steht auch das erwähnte Wasser und eine Schale mit allerlei Obst. Ich gehe hinüber, gieße mir ein Glas Wasser ein und leere es in einem Zug. Dann gehe ich durch die Tür, die sich neben der Kommode befindet. Das Badezimmer ist ebenfalls ein Traum. Eine Eckbadewanne, Regendusche, lichtdurchflutet, helle Fliesen, jedes 5-Sterne-Hotel wäre neidisch. Ich mache mich frisch und lege mich ins Bett. Sekunden später befinde ich mich in tiefem Schlaf.

 

Kapitel II

 

 

Ich befinde mich zwischen Traum und der Phase des Erwachens und fühle mich hilflos. Vergeblich versuche ich zu schreien, aber die Schreie wollen nicht aus meiner Kehle. Ein paar Mal öffne ich meinen Mund, aber kein Laut will ihm entweichen.

Endlich komme ich zu mir und schnappe nach Luft. Meine Haut fühlt sich klebrig an, ich bin schweißgebadet. Ein Albtraum, an den ich mich nicht erinnern kann. Langsam richte ich mich auf und schaue mich um, da es aber dunkel ist, kann ich nichts erkennen. Dann erinnere ich mich wieder an den gestrigen Tag: Ich bin bei diesen Typen im Nirgendwo. Ich schalte die Nachttischlampe an und schaue mich im Zimmer um. Natürlich bin ich allein, das Abendessen habe ich wohl verpasst. Der Traum hängt mir noch immer nach. Tränen steigen in mir hoch, aber ich möchte nicht weinen. Wozu? Der Traum ist vorbei. Mir tut hier niemand etwas und ich liege in einem gemütlichen Bett. Nur, ich fühle mich schrecklich allein. Sehnsucht nach meinem Zuhause überkommt mich. Die Tränen laufen mir nun doch übers Gesicht und so lege ich mich wieder hin, knipse das Licht aus und weine mich leise in einen rastlosen Schlaf.

 

Als ich wieder erwache, scheint mir die Sonne ins Gesicht.

Eigentlich habe ich keine Lust aufzustehen. Das Bett ist sehr gemütlich. Außerdem fühle ich mich erschöpft. Was, wenn ich einfach liegen bleibe? Ob sie mich dann suchen? Ob Sebastian dann nachschaut, ob ich noch da bin? Welch wunderbare Vorstellung. Seufzend stehe ich auf. Wenn ich schon ein großes Bad zur Verfügung habe, sollte ich es auch nutzen. Eine Ewigkeit lasse ich warmes Wasser über mich laufen. Dank der Dusche fühle ich mich besser. Ich schnappe mir ein Handtuch, trockne mich ab, käme mir meine Haare und tapse zurück ins Zimmer. Ich öffne den Kleiderschrank nur mit einem kleinen Funken Hoffnung, darin passende Kleidung zu finden. Überraschenderweise werde ich nicht enttäuscht. Wow! Das ist nun doch unerwartet. Eine größere Auswahl an Klamotten hätte ich mir nicht wünschen können. Ein, zwei verschiedene Größen zur Auswahl, aber im Großen und Ganzen haben die meisten Anziehsachen meine Größe. Sehr seltsam.

Ich ziehe mich an und beschließe, zum Speisesaal zu gehen, denn mein Magen knurrt. Ich verlasse mein Zimmer und betrete den Flur. Sofort fällt mein Blick auf Sebastians Zimmertür. Ob er noch schläft? Zu gern wüsste ich, wie sein Zimmer aussieht. Ich habe keine Vorstellung, was zu diesem unsympathischen Typen passen könnte. Seine Tür zu öffnen und kurz einen Blick hineinzuwerfen, kommt allerdings nicht in Frage. Zu groß ist meine Furcht, von ihm ertappt zu werden. Als ich mich nach rechts wende, um den Weg zur Treppe hinab in den Saal zu nehmen, erschrecke ich. Lässig, mit verschränkten Armen, an der Wand neben meiner Tür angelehnt, schaut mich Sebastian an. Er trägt wieder ein blaues T-Shirt. Blau scheint seine Farbe zu sein. Wie seine Augen, die mich keine Sekunde aus den Augen lassen. Ich bekomme kein Wort heraus. Haben sie solche Angst, dass ich verschwinde, oder warum steht er da? Bestimmt nicht, weil er sich um mich sorgt. Nicht so wie er mich anschaut. Kein Lächeln im Gesicht. Starrer Blick. Kein nettes Wort. Er muss bemerkt haben, wie ich seine Tür angestarrt habe. Was er wohl darüber denkt? Immer noch hat er kein Wort gesagt. Gut. Gehe ich doch einfach an ihm vorbei. Wieso sollte ich ihn als erstes grüßen, wenn er es nicht schafft, ein Wort herauszubekommen, als ich aus dem Zimmer trete? Hinter mir höre ich, wie er mir ruhigen Schritts nachkommt. Ah, also doch, von wegen Gast. Gut, dann spielen wir doch mal ein Spiel … Schnurstracks gehe ich zur Treppe. Nach den ersten Stufen hinab, sehe ich schon Daniel und Toni am langen Tisch bei einem herrlich aussehenden Frühstück sitzen. Nur zwei Plätze sind noch frei. Kurz bemerke ich Daniels Blick, als ich zu ihm hinüberschaue, freundlich lächelt er mich an, das »Guten Morgen« schon auf den Lippen, als er begreift, dass ich nicht vorhabe, mich zu ihnen an den Tisch zu setzen. Sein Lächeln verschwindet, stattdessen zieht er seine Stirn in Falten. Ich hingegen gehe weiter zum Ausgang.

»Hey, stehenbleiben! Das Frühstück findet nicht draußen statt, wie du vielleicht gesehen hast«, höre ich auch schon Sebastians Stimme hinter mir. Unbeirrt gehe ich weiter und höre Stühle rücken. Als ich noch einen weiteren Schritt mache, ist sie da: Die Hand auf meiner rechten Schulter. Ich schlage sie weg und will weiter gehen, aber da habe ich die Rechnung ohne Sebastian gemacht. Er stellt sich einfach vor mich, sodass ich unsanft gegen ihn pralle. Meine Hände sind zu Fäusten geballt, mein Herz rast vor Wut, böse blicke ich ihn an.

»Lass mich vorbei!«, zische ich. Er starrt mich nur an.

»Bist du taub? Lass mich vorbei!«

Keine Reaktion. Ich mache einen Schritt nach rechts, er sofort einen nach links. Ich verenge meine Augen zu Schlitzen und drehe mich um, um direkt in Daniels Gesicht zu blicken. Also ist er uns nach draußen gefolgt. Unverwandt starre ich ihn an. Ich gehe nach rechts, aber Daniel macht keine Anstalten, sich mir in den Weg zu stellen, doch er hebt beschwichtigend seine Arme. Das lässt mich innehalten.

»Bitte frühstücke mit uns.«

»Pff! Ich dachte, ich bin hier Gast? Mir war gar nicht bewusst, dass Gäste zum Frühstück eskortiert und gezwungen werden. Dass Gäste nicht nach draußen an die frische Luft dürfen.«

Je länger ich über diese absurde Situation nachdenke, umso mehr komme ich in Rage. Ich könnte schreien, mit den Füßen aufstampfen, aber ich schaffe es gerade so, mich zurückzuhalten. Stattdessen beiße ich die Zähne fest aufeinander.

»Entschuldige. Natürlich darfst du an die frische Luft. Wenn du keinen Hunger hast, musst du nichts essen. Du hast die Situation völlig falsch gedeutet. Ich bin sicher, Sebastian wollte nur höflich sein und dich zum Frühstück begleiten.«

Ein kurzes Lachen entweicht mir. Halten die mich für völlig bescheuert?

»Ja klar und ich bin der Kaiser von China. Seid doch wenigstens ehrlich. Ich bin hier in Geiselhaft«, erwidere ich lauter. Daniels Augen weiten sich etwas, er schaut mich bestürzt an.

»Nein. Sicher nicht. Anscheinend mache ich hier mehr falsch als richtig. Es tut mir leid.« Daniel schaut an mir vorbei, als wären seine Worte mehr an sich als an mich gerichtet gewesen. Er wirkt geknickt. Als er mich wieder anschaut, spricht er weiter.

»Ich weiß nicht, wie ich die Situation leichter machen soll.

Du bist wirklich nur Gast. Aber schau, wir kennen dich ja auch nicht. Wer sagt uns denn, dass du keine bösen Absichten hast?«

Ein schlauer Zug. Ich könnte eine Massenmörderin sein. Wahrscheinlich käme ich nicht mal gegen Daniel an. Er wirkt zwar freundlicher als Sebastian, aber auch er macht keinen behäbigen Eindruck. Frustriert werfe ich meine Arme in die Luft und atme hörbar aus.

»Ich brauche keine Begleitung zum Frühstück und kaum möchte ich raus, hindert mich dein Bodyguard daran. Schon seltsam, oder?«

»Bodyguard? Interessante Wortwahl.«

Kopfschüttelnd fasse ich mir an die Stirn. Das ist der pure Wahnsinn hier.

»Okay, warte«, beeilt sich Daniel zu sagen »Pass auf. Ich gebe dir recht. Ich verspreche dir, du musst hier nichts gegen deinen Willen tun. Sebastian muss auch nicht dein Schatten sein. Du weißt nicht, wie du hierhin gekommen bist. Du bist in einer Ausnahmesituation und deshalb mache ich mir Sorgen. Würdest du verschwinden und wir dich nicht finden, könnte das für dich schlecht ausgehen. Wollen wir nicht frühstücken und gemeinsam überlegen, wie wir dir helfen können?«

Lächelnd schaut mich Daniel an. Ich glaube ihm, dass er nicht nach meinem Leben trachtet, aber trotz allem ist es eine sehr merkwürdige Situation, in der ich mich befinde. Aber vielleicht ist auch er wirklich überfordert und versucht, das Beste aus der Situation zu machen.

»Etwas Hunger hätte ich ja.« Und tatsächlich knurrt mein Magen leise.

»Das trifft sich gut. Wir haben viel zu viel zu essen.« Erleichtert atmet Daniel aus und zwinkert mir zu. Gemeinsam gehen wir zurück in den Saal, und er hat recht. So viel zu essen: Frisches Obst, Brötchen, Müsli, diverse Aufstriche, Muffins, Kaffee, Tee, Obstsäfte, Eier und noch vieles mehr. Ich setze mich Daniel und Sebastian gegenüber neben Toni. Sebastian nimmt sich vom Rührei, bereitet sich ein Müsli zu und nimmt etwas Obst. Schweigend fängt er an zu essen. Daniel nimmt sich ein Brötchen und bestreicht es sich mit Honig und Toni ist damit beschäftigt, sich ein Croissant mit Erdbeermarmelade zu bestreichen. Ich mache es ihm nach, nehme mir ebenfalls ein Croissant und bestreiche es mit Kirschmarmelade. Außerdem gieße ich mir ein Glas O-Saft ein und trinke einen großen Schluck. Wenn es jeden Tag ein solches Frühstück gibt, werde ich definitiv zunehmen. Falls ich denn bleibe.

Als ich von meinem Teller aufblicke, sehe ich, wie mich Daniel und Sebastian beobachten. Verunsichert nehme ich noch einen Schluck von meinem Saft und schaue Daniel an.

»Es freut mich, dass es dir schmeckt, iss ruhig so viel wie du möchtest.«

»Ähm, ja, es schmeckt wirklich gut.«

Daniels Augen sind grün. Smaragdgrün, aber sie ziehen mich nicht so in ihren Bann wie Sebastians dunkelblaue Augen. Woher kommen plötzlich diese Gedanken? Ich runzle meine Stirn und senke meinen Blick wieder. Was nun? Mir fällt nichts ein, aber diese Stille ist unangenehm. Ich werde ungern beobachtet. Ein nervöses Kribbeln breitet sich in meinem Bauch aus. Hastig greife ich nochmals nach meinem Glas und leere es in einem Zug. Etwas zu laut stelle ich es wieder auf den Tisch ab und zucke dabei leicht zusammen. Mein Blick wandert zurück zu meinem leeren Teller, da ergreift Daniel wieder das Wort.

»Meinst du, du hattest einen Unfall und leidest unter einer Amnesie?«

Leicht zieht Daniel seine Augenbrauen hoch, das Lächeln ist verschwunden, seine Augen haben mich fest im Blick.

»Möchtest du irgendwohin gebracht werden?«

Meint er die Frage ernst? Weg von hier, nur wohin? Nach Hause, aber ich weiß nicht mehr, wo mein zu Hause ist. Sollte ich also vorerst bleiben?

Überfragt nehme ich eine Haarsträhne zwischen meine Finger, um sie zu zwirbeln.

»In ein Krankenhaus oder zur Polizei, damit sich meine Herkunft klärt?«

»Hm, das wird anstrengend.«

»Anstrengend, wieso?« Ich höre auf zu zwirbeln und betrachte Daniel aufmerksam. Kurz wende ich meinen Blick von ihm ab und sehe, dass auch Sebastian Daniel fest im Blick hat. Sein Oberkörper ist ihm zugewandt. Anscheinend interessiert ihn unser Gespräch sehr. Hm. Ich wende mich wieder Daniel zu.

»Wir leben hier sehr weit von der Zivilisation entfernt. Die nächstgelegene Stadt ist gute sechs Tage Fußmarsch von hier entfernt. Wlan und Telefonie funktionieren hier nicht. Wir haben kein Netz.«

»Bitte?« Ein sechstägiger Fußmarsch? Wo bin ich hier gelandet und vor allem, wie? Ich fasse mir an den Kopf und ziehe die Augenbrauen zusammen. Mein Blick wandert zu Sebastian, der auch seinen Kopf schüttelt und ungläubig lächelt. Ist er etwa genauso erstaunt wie ich? Toni hingegen sitzt ruhig da und isst sein Croissant. Als würde ihn das alles hier nichts angehen.

»Ja, deswegen wäre es vielleicht das Beste, wenn du erst einmal hier bei uns bleibst und dich erholst. Die Reise ist strapaziös, zudem könnte das Wetter in den nächsten Tagen umschlagen …«

»Das ist doch totaler Wahnsinn. Niemals bin ich sechs Tage hierhin gewandert. Außerdem, wie versorgt ihr euch? Du hältst mich zum Narren, nicht wahr?«

Doch Daniel verzieht keine Miene, kein Lächeln, Grinsen. Nichts.

»Du meinst das ernst? Das kann nicht sein.«

»Doch. Wie auch immer du hierhin gekommen bist, du hattest Glück, dass dich Sebastian gefunden hat. Um deine Frage noch zu beantworten: Toni bewirtschaftet einen sehr großen Garten, der uns mit allerhand versorgt. Alle paar Wochen ziehen wir dann los, um uns mit dem Nötigsten einzudecken.«

Ich muss lachen. Das ist doch ein schlechter Scherz. Aber sechs Tage Fußmarsch? Ich bin, obwohl ich früh im Bett lag, müde und erschöpft. Wie soll ich da sechs Tage durch die Wildnis wandern? Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Also was dann?

»Hier könntest du dich ausruhen. Bis deine Erinnerung zurück kommt oder du fit genug für diese Reise bist.«

»Bin ich tatsächlich ein freier Mensch und kann mich auch draußen frei bewegen?« Bei den letzten Worten schaue ich zu Sebastian hinüber. Dieser verzieht keine Miene, aber sein Blick haftet immer noch auf Daniel.

»Natürlich, bis zu einem gewissen Grad. Du kennst das Gelände hier schließlich nicht.«

Daniel wendet seinen Blick kurz von mir ab, greift nach seiner Tasse und trinkt einen Schluck. Dann ruht sein Blick wieder auf mir.

»Und was soll ich den lieben langen Tag hier machen? Außerdem, was, wenn nach mir gesucht wird? Mein Job, meine Familie?«

»Dich ausruhen. Versuchen, dass deine Erinnerungen zurückkehren. Wenn du magst, Toni etwas zur Hand gehen, falls du gerne gärtnerst. Lesen, meditieren … Alles andere nehmen wir in Angriff, wenn du fit für diese Wanderung bist, oder einer von uns geht los, sobald das Wetter stabiler ist. Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Tut mir leid.«

Ich lasse mir die Worte durch den Kopf gehen.

Währenddessen blicke ich zu Toni, der ruhig dasitzt, zu Sebastian, der angespannt wirkt und zu Daniel, der mich anlächelt. Zwei Personen, die nett sein könnten und eine, die schwierig erscheint.

»Vielleicht wäre etwas Ruhe wirklich nicht verkehrt. Bis ich mich erinnere, wohin ich gehöre und wie ich dorthin zurückkomme«, spreche ich mehr zu mir selbst als zu Daniel.

»Schön. Dann bleibst du vorerst unser Gast. Ich freue mich über deine Entscheidung, Sarah.« Ich nicke Daniel kurz zu und erschrecke, weil Sebastian ruckartig aufsteht. Seine Hände zu Fäusten geballt.

»Bis heute Abend«, presst er aus zusammengebissenen Zähnen hervor und verlässt den Saal, ohne auf eine Antwort zu warten. Er kann mich nicht leiden. Ein unwohles Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Vielleicht sollte Daniel nicht alles allein entscheiden, wenn sie doch zu dritt hier wohnen.

»Sebastian kriegt sich wieder ein. Er hat bloß schlechte Laune, mach dir nichts draus. Ihr werdet euch auch noch verstehen«, reißt mich Daniel aus meinen Gedanken. »So, ich habe auch noch etwas zu tun. Falls du zwischendurch Hunger bekommst, geh einfach in die Küche. Ansonsten würde ich mich freuen, dich beim Abendessen zu sehen. Ach ja, wir haben hier eine kleine Bibliothek, falls du an Büchern interessiert bist. Hab einen schönen Tag.«

Daniel steht auf und geht Richtung Treppe. Nun bin ich mit Toni allein, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hat. Was er wohl über die Situation denkt?

»Du seien fertig mit essen?«, fragt er mich plötzlich.

»Ja.«

»Gut.« Toni steht auf und beginnt mit dem Abräumen.

»Kann ich dir behilflich sein?«

»Nein, nein. Das bisschen kein Problem seien.«

Geschäftig räumt Toni weiter ab. Ich stehe auch auf und entscheide, erst einmal in mein Zimmer zurückzugehen.

 

Im Badezimmer angekommen schaue ich in den Spiegel und muss mit dem Kopf schütteln. Ein solches Zimmer, ein solches Bad, unfassbar. Das ganze Gebäude, unfassbar. Wer weiß, was es noch für Räume gibt. Während ich mich frisch mache, überlege ich, ob ich mich traue, mir den Palast ein wenig genauer anzusehen. Einerseits würde ich gerne, andererseits weiß ich nicht, ob ich Lust darauf habe, Sebastian zu begegnen. Als Schnüfflerin möchte ich auch nicht dastehen. Was könnte ich dann unternehmen? Zwar bin ich müde, aber schon wieder schlafen möchte ich auch nicht. Ich entscheide mich, an die frische Luft zu gehen, um mich draußen etwas umzusehen. Vogelgezwitscher empfängt mich und sofort bessert sich meine Laune. Die Bergkulisse ist sensationell, teils schneebedeckte Gipfel, die von der Sonne angestrahlt werden. Ich betrachte die bunten Blumen in den Blumenkübeln. Toni scheint einen grünen Daumen zu haben. Ich gehe rechts um den Palast herum und entdecke seitlich von ihm einen angelegten Gemüsegarten. Tomatenstauden, Gurken, Salate, Kartoffeln, verschiedene Kräuter, Zucchini, Auberginen, Erdbeeren, an der Palastwand ranken sich Himbeersträucher und Johannisbeeren empor. Außerdem erblicke ich tatsächlich auf der Wiese, die direkt an den Gemüsegarten angrenzt, ein paar Apfel- und Kirschbäume. Daher das frische Obst. Zumindest scheint es zu stimmen, dass Toni sich um einen großen Garten kümmert. Ich wandere zwischen den Beeten entlang und entdecke noch weitere Obst- und Gemüsesorten.

Plötzlich höre ich Tonis Stimme hinter mir.

»Dir gefallen mein kleiner Garten?«

Lächelnd drehe ich mich zu ihm um.

»Ja, sehr. Hast du das alles allein angebaut?«

»Ja, Daniel und Sebastian essen nur davon, aber gärtnern sie nicht können. Oh, alles eingehen würden.« Gespielt entsetzt schüttelt Toni seinen Kopf und lacht laut.

»Wow, eine Menge Arbeit, oder?«

»Eher Hobby, es machen mir Spaß, seien keine Arbeit.«

»Ein schönes Hobby, Toni.«

»Wenn du Lust haben, du mir helfen wollen? Dann ich nicht allein sein.«

Toni hat grüne Gartenhandschuhe an, neben ihm steht ein schwarzer Eimer, in dem sich verschiedene Utensilien zum Gärtnern befinden. Kurz schweift mein Blick zum Palast, dann wieder zurück zum Garten. Ach, wieso eigentlich nicht? Allein im Palast zu hocken, ködert mich nun auch nicht.

»Womit soll ich anfangen?«

Auf Tonis wettergegerbten Gesicht macht sich ein breites Grinsen breit und Lachfältchen erscheinen.

»Kommen mit, ich dir zeigen. Wir müssen jäten Unkraut, pflanzen neues Gemüse, wässern …«

Toni läuft plappernd vorneweg und ich höre seiner Aufzählung etwas perplex zu. Wie viel Arbeit steckt in diesem Garten? An einem Beet mit Salatsetzlingen angekommen, zeigt mir Toni das Unkraut, welches zwischen den einzelnen Setzlingen wuchert.

»Hier, du sehen? Wir müssen vorsichtig rausrupfen. Du wollen meine Handschuhe? Ich haben kein zweites Paar dabei.«

»Wenn es dir nichts ausmacht?«

Toni hält sie mir hin und ich ziehe sie an. Obwohl Toni kleiner ist als ich, sind mir seine Handschuhe etwas zu groß. Aber immer noch besser, als die Hände voller Erde zu haben. Wir hocken uns hin und beginnen mit dem Jäten.

Toni ist schneller als ich. Er macht einen zufriedenen Eindruck, die Augen auf das Beet gerichtet, ein Lächeln im Gesicht. Die perfekte Situation, um ein paar Fragen zu stellen. Als ich die nächste Pflanze gerupft und in den Eimer geworfen habe, unterbreche ich meine Arbeit und schaue Toni an.

»Könnt ihr wirklich von dem leben, was der Garten an Ertrag abwirft?«

Toni zögert, die nächste Pflanze auszurupfen. Aber nach einigen Sekunden hat er sich wieder gefangen und jätet weiter.

»Ja, du haben Daniel doch gehört.«

»Schon, aber ihr seid drei Männer. Ihr werdet einiges verdrücken.«

»Ab und zu sie in Stadt gehen. Daniel doch erzählt haben.«

»Ist die Stadt wirklich so weit entfernt? Wie tragt ihr denn die Einkäufe hier hinauf?«

Wieder zögert Toni kurz. Dann rupft er noch eine Pflanze aus und richtet sich auf. Mit gerunzelter Stirn schaue ich zu ihm hoch.

»Ich noch die Rosen schneiden müssen. Ich ganz vergessen haben. Du allein weitermachen können?«

»Ja, klar.«

»Gut. Später ich wiederkommen.« Mit diesen Worten lässt mich Toni allein und geht davon. Anscheinend habe ich ihn mit meinen Fragen vergrault. Ihm hinterherlaufen und weiter zu befragen wird wahrscheinlich nichts bringen. Ob Daniel mir vorhin die Wahrheit gesagt hat? So wie Toni auf meine Fragen reagiert hat, bezweifle ich es. Hin und wieder wische ich mir den Schweiß von der Stirn, stehe auf, um meine Glieder zu strecken und blicke in die Ferne zu den schneebedeckten Berggipfeln. Als ich die letzte Pflanze in den Eimer geworfen habe, holt mich Tonis Stimme aus meiner Gedankenwelt.

»Feierabend!«

Ich schaue zu ihm hoch und sehe, dass er ein Tablett mit Broten vor sich trägt. Außerdem hat er eine Tasche umhängen, aus der Getränkeflaschen lugen.

»Du kommst genau richtig, ich habe Hunger und Durst.«

Toni stellt Tablett und Tasche neben sich auf den Boden und setzt sich hin.

»Es nicht zu anstrengend waren, oder?«

Neben ihm lasse ich mich nieder und schnappe mir ein Brot, in das ich genüsslich hineinbeiße.

»Ich bin es nicht gewohnt, aber ich werde es überleben«, antworte ich kauend.

Auch Toni beißt in eines seiner Brote. Nach meinem dritten Brot schaut er mich zufrieden an.

»Du haben großen Hunger, das seien gut.«

»Ja. Die Brote mit den aromatischen Tomaten schmecken zu gut.«

»Kochen machen Spaß und seien wichtig für die Seele, gutes Essen.« Toni nimmt einen großen Schluck aus einer Wasserflasche und stellt sie neben sich. Dann faltet er seine Hände im Schoß und blickt in die Ferne.

»Da gebe ich dir absolut recht. Ich liebe gutes Essen.«

»Dann du müssen länger hierbleiben, ich kochen dir alles, was du möchten.« Tonis Blick wandert von der Ferne zurück zu mir.

»Ja, mal sehen. Irgendwann weiß ich hoffentlich wieder, wohin ich zurückmuss, und wie ich dorthin zurückkomme.« Ich greife nach einer Wasserflasche und setze zum Trinken an.

Toni runzelt seine Stirn. »Daniel meinen es gut mit dir. Er nicht böse seien, nur besorgt. Er nicht wissen, wer du seien, aber er mögen dich. Da seien ich sicher.«

Auch ich stelle die Wasserflasche neben mich. »Hm, und Sebastian? Was ist mit dem? Erst rettet er mich und dann tut er so, als müsste man mich rund um die Uhr bewachen und ist die Unfreundlichkeit in Person.«

»Ach, Sebastian. So ein lieber Kerl seien. Ich ihn nicht verstehen. Vermutlich Sorge, wer du bist, aber unnötig. Wirst sehen, bald du ihn auch mögen.«

Toni scheint beide zu mögen oder ist ihnen gegenüber zumindest loyal.

»Seien schon spät. Ich zurück in die Küche müssen. Was machen du? Vielleicht unter Apfelbaum legen und ausruhen?«

Wieso eigentlich nicht? Ein wenig dösend im Schatten liegen hört sich nicht zu verkehrt an.

»Ja, ich denke, das werde ich machen.«

Wir stehen beide auf und während Toni zurück in den Palast geht, suche ich mir ein schattiges Plätzchen und tatsächlich fallen mir auch schon bald die Augen zu.

 

Als ich wieder aufwache, ist es schon fast dunkel und eine leichte Decke ist über mir ausgebreitet. Wie lange habe ich geschlafen? Verschlafen reibe ich mir meine Augen und gähne. Ich setze mich hin und schaue mich um. Wer mich wohl zugedeckt hat? Sicherlich Toni. Dann habe ich wohl das Abendessen verpasst. Bestimmt bekomme ich noch eine Kleinigkeit in der Küche. Mit der Decke auf dem Arm gehe ich Richtung Palast zurück, als ich eine Gestalt an eine der Marmorsäulen lehnen sehe. Regungslos steht sie da, den Blick Richtung Himmel gerichtet. Als ich mich ihr nähere, erkenne ich, dass es sich um Sebastian handelt. Ob er auf mich gewartet hat? Ob ich auch ja zurück in den Palast kehre? Er scheint mich nicht zu bemerken. Die Arme sind nicht vor der Brust verschränkt, kein starrer Blick. Er schaut einfach nur entspannt in den Himmel. Ein ganz neuer Eindruck von ihm. Nun schaue auch ich gen Himmel und es verschlägt mir den Atem. Wie lange schon habe ich diesen Anblick nicht mehr gehabt in unserer lichtverschmutzten Welt? Aber hier, fernab jeglicher Zivilisation, in den Bergen, ist die Sicht noch frei auf die wunderschöne Milchstraße. Auch ich verliere mich für eine Weile in diesen Anblick. Ein Lächeln macht sich auf meinem Gesicht breit. So schön. Kein Wunder, dass selbst Sebastian bei solch einem Schauspiel zur Ruhe kommt. Eine kurze Weile noch lasse ich das Bild auf mich wirken und blicke dann wieder zu ihm. Oder dorthin, wo er gerade noch stand. Was er wohl darüber denkt? Irgendwie macht es mich traurig, dass er wortlos gegangen ist. Ich verstehe es nicht. Ein letztes Mal blicke ich gen Himmel und mit einem Lächeln auf den Lippen gehe auch ich in den Palast.

Dort sitzen Daniel und Toni am Esstisch und spielen Karten. Verwundert schaue ich sie an. Als erstes bemerkt mich Daniel.

»Ausgeschlafen?«

»Ja, eigentlich hatte ich nicht vor, so lange zu schlafen«, erwidere ich etwas peinlich berührt. Immerhin hat Toni auch gegärtnert und dann noch gekocht und sitzt hier nun noch spielend am Tisch.

»Arbeit an der frischen Luft macht müde.«

»Anscheinend.« Kurz lasse ich meinen Blick durch den Saal schweifen, entdecke aber nirgends Sebastian.

»Hast du Hunger?«

»Bestimmt. Ich dir was aus der Küche bringen.« Toni springt auf.

»Bleib sitzen und spielt weiter. Ich hol mir selbst etwas.«

»Sehr gut, ich nämlich Daniel gerade abzocken. In Mikrowelle du können dir Pasta warm machen.«

»Pasta klingt gut. Dann hoffe ich, dass du gewinnst.«

Daniels Schmunzeln nehme ich aus den Augenwinkeln wahr. Ob sie wohl oft abends zusammensitzen? Ich lasse die beiden allein und mache mir die Pasta warm. Wenn sie so gut schmeckt, wie sie riecht, dann bin ich begeistert. Für einen Moment überlege ich, in der Küche zu essen, aber das Kartenspiel der beiden interessiert mich. Außerdem sind gesellige Momente immer gute Gelegenheiten, an Informationen zu gelangen. Mit der dampfenden Pasta und einem Glas Wasser gehe ich zurück in den Saal. Toni schaut hoch konzentriert in seine Karten. Sieht so aus, als spielten sie Rommé. Vielmehr hätte ich ihnen Poker zugetraut, wie der Mafia. Wer weiß, vielleicht bin ich bei der Mafia gelandet? Plötzlich werde ich von lautem Gelächter aus meinen Gedanken gerissen.

Toni jauchzt triumphierend. »Ich haben gewonnen. Ha!«

»Ja, die ersten drei Runden und wenn wir nun aufhören würden«, entgegnet Daniel trocken.

»Du schlechter Verlierer seien, genauso wie Sebastian.«

Sebastian spielt Karten? Hm, und warum ist er dann nicht hier? Oder spielt er nicht gerne? Anscheinend kann Daniel Gedanken lesen, denn prompt antwortet er auf meine unausgesprochene Frage.

«Sebastian hatte keine Lust zu spielen und ist auf sein Zimmer gegangen.«

»Hm«, entgegne ich nur.

Daniel winkt ab. »Sebastian ist eigentlich nicht so. Er hat eine schlechte Phase.«

Oder er hat ein Problem mit mir, aber ich belasse es dabei. Ich erhebe mich, rücke den Stuhl ein Stück weg und stehe mit dem Teller in der Hand auf.

»Viel Spaß noch, ich gehe auf mein Zimmer.«

»Schade. Das nächste Mal wir spielen zu viert, dann mehr Spannung seien.«

»Mh, sicher«, antworte ich lahm.

Daniels Stirnrunzeln und daraus resultierender nachdenklicher Blick entgeht mir nicht.

»Gute Nacht dann.«

Den Teller und das Glas bringe ich zurück in die Küche und gehe zum Zimmer. Vor Sebastians Tür bleibe ich kurz stehen. Nichts. Kein Geräusch dringt auf den Flur. Ob er schon schläft? Ich mache meine Tür auf und verschwinde im Bad. Kurz wasche ich mich, putze meine Zähne und schaue dann im Kleiderschrank nach einem Pyjama. Natürlich liegt ein passender bereit. Dunkelblaue Seide, sehr edel. Nun wäre es schön, ein gutes Buch zu haben. Morgen werde ich mir die Bibliothek anschauen. Außerdem werde ich weiterhin versuchen herauszufinden, wer ich bin und woher ich komme. Mit diesem Gedanken fallen meine Augen zu und ich schlafe ein.

Kapitel III

 

 

Licht flackert über mir. Wo bin ich? Ich fühle mich gefangen. Schaffe es nicht mich zu bewegen, als wäre mein Körper gelähmt. Meine Kehle schnürt sich zu. Ich bekomme keine Luft mehr. Panik steigt in mir auf. Verzweifelt versuche ich, nach Hilfe zu rufen. Ein paar kehlige Laute entweichen mir, mehr nicht. Wieder und immer wieder versuche ich es. Endlich kann ich Worte formen. »Hilfe!«

Nach Luft schnappend schrecke ich orientierungslos und wimmernd hoch und greife mir an die Kehle. Ein Traum? Ja, ein Traum. Trotzdem habe ich immer noch diese Angst. Wie gern wäre ich nun nicht allein. Ängstlich schaue ich mich um, entdecke aber niemanden in der Dunkelheit. Dennoch habe ich das Gefühl, als wäre noch jemand anwesend. In die Stille horchend halte ich die Luft an. Nichts. Ich traue mich nicht, aus dem Bett aufzustehen, geschweige denn mein Zimmer zu verlassen. Stattdessen knipse ich die Nachttischlampe an, aber auch mit Licht entdecke ich niemanden im Zimmer. Nachdem ich das Licht wieder ausgeknipst habe, verkrieche ich mich unter meine Bettdecke und ziehe meine Knie an mich heran. Diese fest umgriffen, schließe ich die Augen. Nach einer Weile schlafe ich wieder ein.

 

Am nächsten Morgen weckt mich erneut die Sonne.

---ENDE DER LESEPROBE---