Nicht perfekt ist auch gut - Sophie Bagusat - E-Book
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Nicht perfekt ist auch gut E-Book

Sophie Bagusat

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Beschreibung

Auf den ersten Blick scheint Sophies Leben nahezu perfekt zu sein: Sie wächst in materieller Sorglosigkeit auf und alle Türen stehen ihr offen. Doch hochsensibel wie sie ist fühlt sie sich schon als Kind in ihrer Innenwelt falsch und fremd und schließt sich oft in ihr Zimmer ein, als junge Frau wird sie leiser und ernster. Sophie denkt, sie müsse alles unter Kontrolle haben, stark sein und "performen" - bis plötzlich nichts mehr geht. Im Alter von 28 Jahren erlebt Sophie Bagusat eine schwere Erschöpfungsdepression mit Panikattacken, die sich über zwei Jahre hinzieht. Schonungslos ehrlich beschreibt Sophie, wie ihr das Leben entglitt. Dieser äußere Zwang alles schaffen zu müssen, permanent glücklich sein zu müssen, lösten einen unerträglichen Druck aus, dem sie nicht mehr standhielt. Rückblickend ist Sophie ihrer Diagnose sehr dankbar, denn sie war der Anfang einer sehr spannenden, schwierigen aber auch notwendigen Reise zu sich selbst. Es gelang ihr, ihre Lebens- und Glaubenssätze radikal zu ändern und so ihrem heutigen, glücklichen Lebensweg zu finden. Dieses Buch macht Mut, die Erwartungen an uns selbst zu überprüfen. Es gibt keinen Rat, dafür aber viele wertvolle Erfahrungen und Impulse für einen Ausweg aus schwierigen Lebenssituationen.

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Seitenzahl: 231

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© 2021 Langen Müller Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Sibylle Schug, München 

Umschlagfoto: © Alexander Bergmann

Satz und Ebook-Konvertierung: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN: 978-3-7844-8409-9

www.langenmueller.de

Inhalt

Teil 1

Ich glaube, ich verliere die Kontrolle!

Auf dem Höhepunkt der Panik

Zwangspause Klinik

Das eingelöste Versprechen

Die ersten Tage zu Hause

Böses Erwachen

Absolute Ratlosigkeit

Wie soll es weitergehen?

Ein lehrreiches Wochenende

Erste Einblicke

Teil 2

Jetzt geht es ans Eingemachte

Die psychologische Arbeit

Auf nach Schweden in ein neues Leben

Lachen, weinen, auf und ab

Ich entdecke mich neu

Erste Schritte

Die Hochsensibilität

Das letzte noch fehlende Puzzleteil

Auf Wiedersehen, altes Leben …

Meine innere Umkehr

Teil 3

Ein Blick von außen

Meinungen Angehöriger

Meine Mami

Stephanie von Pfuel

Meine Schwester

Gigga

Mein Freund

Alexander

Wenn diese Menschen nicht gewesen wären …

Danksagung

Teil 1

Über alles hat der Mensch Gewalt,nur nicht über sein Herz.

Friedrich Hebbel

Ich glaube, ich verliere die Kontrolle!

Auf dem Höhepunkt der Panik

Freitagabend. Feierabend. Ich war endlich am Flughafen angelangt. Gleich würde mein Flug nach Schweden zu meinem Freund Alexander gehen. Im Restaurant am Gate holte ich mir noch schnell einen Weißwein. Ich hatte schon immer leichte Flugangst und wollte einfach entspannt sein im Flieger. Ich lehnte mich zurück, trank langsam meinen Wein, atmete tief aus. Ich fühlte mich leicht beim Einsteigen und freute mich auf meinen Freund. Während wir abhoben, klappte ich meine Zeitschrift auf. Plötzlich schnürte mir etwas von innen die Kehle zu. Ich bekam keine Luft, meine Brust wurde immer enger und ich hatte starke Schmerzen im linken Arm. Ich dachte: Was bitte ist das? Und dann fiel mir dieser Moment ein, vor ein paar Monaten im Auto, als ich mein Herz irgendwie anders wahrgenommen hatte. Damals hatte ich, ohne weiter zu überlegen, meine Mutter angerufen und ihr meine Koordinaten durchgegeben. Weil ich mir sicher war: Gleich passiert etwas Schlimmes!

All diese Symptome hatte ich jetzt erneut im Flieger. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. War die Atemnot schlimmer oder der stechende Schmerz, der die Schulter herab in den Arm zog? Würde ich gleich einen Herzinfarkt bekommen? Was bitte sollte das sonst sein?

Ich verstand das alles nicht. Ich stand wie ferngesteuert auf und ging zur Stewardess nach hinten und sagte nur: »Mit mir stimmt etwas nicht. Ich glaube, wir müssen wieder landen.« Sie sah mich schweigend an, nahm das Mikrofon und fragte das bekannte »Sind Ärzte an Bord?«. Keine Minute später war ein Mann bei mir und nahm meinen Puls. Er blieb vollkommen entspannt. Keiner war wirklich beunruhigt. Das irritierte mich umso mehr. Wieso nahm das hier niemand ernst? Eine Stewardess beugte sich zu mir herunter und sagte leise, aber mit fester Stimme: »Das ist der Stress. Das sind diese Firmen, die euch kaputt machen.« Wovon um alles in der Welt redete diese Frau? Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, was das mit meiner Situation hier zu tun haben sollte. Ich hatte eine ernsthafte Krankheit und diese Frau quatschte von irgendwelchen fertigen Managern, mit denen ich nichts am Hut hatte. Sie blieb den Rest des Fluges bei mir. Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwann hatte ich es überstanden. Ich hatte immer noch starke Schmerzen in der Brust, als ich ausstieg. Mein Freund fuhr mich direkt ins Krankenhaus. Dort checkten sie mich von oben bis unten durch. Nichts. Okay, dachte ich, ein schwedisches Krankenhaus. Es war einfach noch nicht alles richtig kontrolliert worden. Ich würde das in Deutschland noch einmal überprüfen lassen. So schlecht, wie ich mich fühlte, konnte irgendetwas nicht stimmen.

Am nächsten Morgen wachte ich auf und dachte, die Decke würde auf mich zukommen. Ich lag wie gelähmt im Bett, unfähig mich zu bewegen und kaum in der Lage zu atmen. Als ich etwas Kraft gesammelt hatte, robbte ich aus dem Bett zu meinem Handy und rief meine Mutter an. Ich gab ihr Bescheid, dass ich direkt wieder nach Hause kommen würde und zu verschiedenen Ärzten müsse.

»Sophie, deine Stimme …«, sagte sie erschrocken. »Ich kenne das.«

»Nein, nein, Mami, mach dir keine Sorgen. Das ist nur, weil ich ein bisschen …«

»Nein«, sagte meine Mutter. »Das klingt wie eine Depression.«

So war meine Mutter schon immer gewesen. Ohne Umschweife. Immer wenn es ernst wurde, benannte sie die Dinge sehr eindeutig. Depression. Aber das war unmöglich. Ich wusste sehr gut, was eine Depression ist. Das war eine ernst zu nehmende Krankheit. Wir hatten in der Familie oft davon gesprochen. Eine alte Freundin meiner Mutter war depressiv gewesen, wovon allerdings niemand etwas geahnt hatte. Im Gegenteil: Sie war immer bestens gelaunt, als hätte sie keinerlei Sorgen. Aber irgendwann hatte sie sich das Leben genommen. Nein, so eine Krankheit hatte ich nicht. Das konnte einfach nicht sein. Warum denn auch? Außerdem waren meine Symptome rein körperlich. Ich war nicht deprimiert, ich hatte Schmerzen. Auch wenn bisher keine eindeutige Diagnose gestellt werden konnte, eine Depression war es nicht. »Komm erst einmal nach Hause. Dann sehen wir weiter«, sagte meine Mutter. Wir legten auf.

Ich fuhr von Stockholm zurück nach München. Mit Bus und Bahn, zwei Tage lang. Fliegen kam nicht infrage. In München ging ich sofort zum Arzt und ließ mich auf Herzinfarkt testen, mein Blut checken, alles, auch meine Lunge. Lungenembolie, das war einer meiner Gedanken im Flugzeug gewesen. Ich musste jetzt sichergehen. Es durfte nichts übersehen werden. Auf keinen Fall wollte ich solch einen Flug noch einmal erleben. Sie fanden nichts. Gar nichts! Ich konnte es nicht glauben. Ich fühlte mich so miserabel. Wie konnte ich nichts Körperliches haben? Das machte alles keinen Sinn! Ich war mir sicher, sie würden noch etwas finden. Das war nur eine Frage der Zeit. So wie auch jederzeit etwas Schlimmes passieren konnte. Damit rechnete ich jeden Moment.

Nach einer Woche ging ich trotzdem zurück zur Arbeit. Komischerweise war Arbeiten immer gegangen. Egal, wie elend ich mich gefühlt hatte, bei der Arbeit konnte ich stets abschalten und einfach »machen«. Aber an diesem Tag war alles anders. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich im Job dachte: »Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr richtig performen.« Nie vorher hatte ich auch nur etwas annähernd Ähnliches gedacht. Egal, wie stressig und komplex etwas war, ich hatte meine Listen gehabt und meinen Plan und immer an alles gedacht und alles geschafft. Es hatte immer alles funktioniert. Ich hatte immer funktioniert. Und jetzt saß ich in einem Meeting und bekam einen kalten Schweißausbruch. Es ging gerade um eine sehr zentrale Entscheidung und ich merkte, wie ich abdriftete und mich immer schwächer fühlte. Ich hörte entfernt die Stimme meines Chefs. Er lachte: »Komm, Sophie, erzähl doch mal.« Einige Worte kamen zusammenhanglos und langsam aus meinem Mund. Mein Kopf war leer. Plötzlich war nichts mehr da von meiner alten Energie, meiner Organisationsstärke, meinem Elan, von all dem, was diese Leute von mir gewohnt waren. Ich wollte nur weg aus diesem Raum. Weit weg. Mein Chef rettete die Situation. Ich saß stumm daneben und wartete, bis es endlich vorbei war.

Dann stand ich als Erste auf. Mir war inzwischen irre schwindelig. Ich ging geradewegs zur Toilette und betrachtete mich im Spiegel. Dort sah ich ein bleiches Gesicht mit einem hellroten Ausschlag um Mund und Nase, fettige Haare und weiße Lippen. Dieses Gesicht hatte einen tieftraurigen Ausdruck. Ich fühlte gar nichts. Was hatte mich in diese Frau verwandelt? Das Einzige, was ich dachte, war: »Oh Gott. Diese Leere.« Jetzt war es eindeutig: Mit mir stimmte etwas nicht.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon eine Weile, dass ich zu viel Alkohol trank. Ich wusste, dass ich mich körperlich verausgabt hatte. Ich wusste auch, dass ich tablettenabhängig war. Und dass ich zu wenig aß. Ich wusste, dass jeder halbwegs intelligente Mensch in so einer Situation handeln würde. Ich wollte mit dem Trinken aufhören und mit den Tabletten und nahm mir das jeden Morgen schon beim Aufstehen vor. Aber es ging einfach nicht. Mir fehlte die Kraft, das Durchhaltevermögen. Zu verlockend war das abendliche Glas Wein, das mich entspannte und die Tablette, die mir das Schlafen erleichterte.

Allmählich hatte ich den Respekt vor mir selbst verloren. Ich fühlte mich schwach. Meiner Ärztin hatte ich irgendwann erzählt, dass ich Beruhigungstabletten gegen meine Flugangst bräuchte, da ich beruflich viel fliegen müsste. Sie hatte mir geglaubt. Meine Ärztin war nicht die Einzige, die ich belog. Alkohol und Beruhigungstabletten waren lange Zeit meine Hilfsmittel, die Kontrolle über mich zu bewahren. Vor allem nachts war das nötig. Tagsüber hatte ich mich immer ganz gut ablenken können, um nicht nachdenken zu müssen. Aber nachts, allein und schlaflos im Bett, würde sich ohne meine Hilfsmittel das Gedankenkarussell drehen und die abstrusesten Einfälle und Ängste befördern. Egal, wie k.o. ich wäre. Und ich war häufig todmüde, konnte aber trotzdem nicht abschalten und nicht aufhören zu denken. Darunter waren Gedanken zum vergangenen Tag, Überlegungen, was man hätte besser machen können, Ideen für den folgenden Tag. Aber auch Zukunftsängste, wie alles weitergehen sollte. Ich hatte oft das Gefühl, schrecklich fehl am Platz zu sein. So lag ich im Dunkeln und bekam immer mehr Panik bei dem Gedanken, mein jetziges Leben so weiterleben zu müssen. Ich sah einfach keinen Sinn mehr darin. Ich versuchte mir dann klar zu machen, dass ich solche Momente einfach aushalten müsse. Das Leben war nun mal kein Wunschkonzert. Jeder müsste sich durchbeißen. So hatten es mir meine Eltern beigebracht. Bloß keine Schwäche zeigen! Immer nur positiv nach vorne schauen! Probleme sind da, um sie zu lösen! Aber wie sollte ich jetzt diese erdrückenden Gefühle lösen, von denen ich überhaupt nicht wusste, woher sie gekommen waren? Heute weiß ich: Ich hatte meinen Lebenssinn aus den Augen verloren. Ich wusste einfach nicht mehr, warum ich auf Erden war, was ich zu tun hatte und warum das Leben so lief, wie es lief.

Aber es waren nicht nur die zermürbenden Gedanken, die ich nachts mit Alkohol und Tabletten zum Schweigen brachte. Es waren auch die nächtlichen Schweißausbrüche, das Herzrasen und die ätzenden Juckattacken, die ich zu unterdrücken versuchte. Alles, wie ich heute weiß, typische Stresssymptome!

Zu dieser Zeit befand ich mich offensichtlich in einem chronischen Stresszustand. Ich hatte das Gefühl, es wäre ständig irre viel los und immer neue, nie enden wollende Probleme und Konflikte würden auf mich einprasseln. Beruflich und privat. Mein Körper war unter permanentem Stress und lief durchgehend auf Hochtouren. Nie kam er zur Ruhe und sendete immer wieder Hinweise der Überlastung. Darunter die unterschiedlichsten Symptome wie Schweißausbrüche oder Juckreiz, aber auch Magenkrämpfe oder chronische Müdigkeit. Das sind, wie ich später lernte, körpereigene Warnsignale, die mich bremsen und aufhalten, die Abwärtsspirale beenden wollten. Ich hörte aber nicht zu und raste weiter auf Highspeed direkt in den Abgrund. Ich war dauerhaft gestresst, ignorierte aber mein natürliches Warnsystem. Ich war der Meinung, dass ich einfach weiter funktionieren müsse. Egal, wie es mir ging. An dieser Stelle wäre es dringend an der Zeit gewesen, die Notbremse zu ziehen. Das war mir aber nicht bewusst, denn sonst hätte ich längst reagiert. Und zwar Jahre zuvor. Denn so lange hatte ich schon mit den unterschiedlichsten Stresssymptomen gekämpft. Dazu gehörte das plötzliche Vergessen meiner vierstelligen Bank-Pin, regelmäßige Verdauungsbeschwerden, Hautausschläge, Wutausbrüche, Heulattacken, Rückenschmerzen, ein geschwollenes Gesicht und Kopfschmerzen. Auch war ich des Öfteren auf mein Untergewicht angesprochen worden und einige meiner Ärzte hatten angefangen, ernste Sorgen zu äußern. Ich aber hatte weiterhin keinen Grund gesehen und mir stattdessen eingeredet, dass mein Zustand normal sei. Ich war ja schließlich den ganzen Tag in Bewegung und einfach ein Mensch, der immer etwas tun musste. So war ich zur Welt gekommen!

Heute muss ich über diese Einstellung schmunzeln. Ich verausgabte mich Tag für Tag, rannte und rannte, oft genug im Kreis. Ich war gefangen im viel benannten und mir doch angeblich so fernen Hamsterrad. Dabei hatte ich das Gefühl, ich müsste ständig etwas tun und dürfte dabei keine Pausen machen. Dieses Gefühl war mein tagtäglicher Begleiter. Sogar meine Hobbys wurden irgendwann zu einem Muss. »Ich muss heute noch reiten« und »Ich muss heute noch joggen«. Mit Spaß hatte das nichts mehr zu tun. Ich war mein größter Kritiker und setzte mich dadurch selbst noch mehr unter Druck. Aber das wusste ich damals nicht. Ich hatte das Gefühl, der Druck käme von außen. Dabei zwang mich kein Mensch zu irgendetwas. Ganz im Gegenteil. Mir standen alle Türen und Wege offen und meine Eltern waren immer mit allem einverstanden. Man kann schon fast sagen, dass ich mich selbst in den Burn-out trieb.

Da stand ich also jetzt. Vor dem Spiegel. Und dieses fremde, blasse, tieftraurige Gesicht blickte mich an. Ich hatte das Gefühl, ersticken zu müssen und wollte einfach nur weg. Aber wohin? Ich wusste es nicht. Warum konnte mir auch kein Arzt sagen, was mit mir los war? Es musste doch eine Diagnose geben für meinen Zustand! Tatsächlich erhielt ich sie einige Tage später.

Es war Samstagmorgen. Ich war allein und hatte wieder kaum geschlafen. Ich kroch auf allen vieren aus dem Bett. Weshalb konnte ich nicht mal mehr richtig laufen? Die Ärzte mussten etwas übersehen haben! Panik überfiel mich. Mein Herz raste, mein T-Shirt war durchgeschwitzt, alles drehte sich und ich bekam wieder schwer Luft. Ich fühlte mich wie gelähmt und konnte nicht mehr klar denken. Nein, das war alles nicht normal! Ich musste sofort zurück ins Krankenhaus.

Einige Stunden später saß ich erneut vor einem Arzt in der Notaufnahme. Ich zählte ihm die verschiedenen Symptome auf und er schaute mich verdutzt an. Das EKG zeigte keine Abweichungen und auch die Bluttests kamen negativ zurück. Als jedoch die Worte »Reise«, »Mexiko« und »Magenverstimmungen« fielen – ich war kurz zuvor in Mexiko auf einer Hochzeit gewesen –, wurde mir eine Maske aufgesetzt und ich wurde mit Blaulicht in ein anderes Krankenhaus transportiert. Verdacht: Virusinfektion. Endlich! Jetzt würden sie etwas finden und ich eine Erklärung für meinen Zustand erhalten. Drei lange Tage befand ich mich in Quarantäne. Nachts rief ich regelmäßig die Krankenschwester, denn ich konnte nicht schlafen und war voller Angst. Als mir am dritten Tag ein Psychologe vorbeigeschickt wurde, war ich wie vor den Kopf gestoßen.

»Hatten Sie in letzter Zeit viel Stress?«, fragte er.

Tausend Bilder schossen mir durch den Kopf. Der Pferdepfleger unserer Familie, der sich das Leben genommen hatte. Die endlosen Diskussionen innerhalb der Familie. Meine Mutter, die sich von ihrem Lebensgefährten getrennt hatte. Mein Freund in Schweden. Mein Leben war schon immer sehr erlebnisreich gewesen, aber mit Stress hatte das doch nichts zu tun. Gestresst waren für mich nur hochrangige Manager, die auch »wirklich« etwas taten. Denn ich war der Meinung, dass ich nichts tat, obwohl ich den ganzen Tag unterwegs war und mich beschäftigt hielt.

»Ich habe vor Kurzem einen neuen Job angefangen und hatte schon ein bisschen mehr zu tun«, sagte ich. »Aber das ist für mich kein Problem.«

Das war meine einzige Antwort. Trotzdem konnte ich dem Psychologen irgendwie nicht in die Augen schauen. Ich schämte mich. Aber wofür? Konnte er es sehen? Meine Alkoholprobleme? Meine Tablettensucht? Meine Fragen?

Außer einer Candida-Infektion wurde nichts gefunden und ich wurde entlassen. Ich bekam Antidepressiva verschrieben und die Empfehlung, mich in eine psychosomatische Klinik zu begeben. Und zwar stationär. Ich war sprachlos. Was um alles in der Welt ging hier vor? Zuerst wurde ich in Quarantäne gesteckt, dann schickte man mir einen Psychologen und plötzlich sollte ich Antidepressiva nehmen?

Verwirrt fuhr ich nach Hause zu meiner Mutter und erzählte ihr von dem Erlebten. Sie schaute mich fragend an.

»Glaubst du nicht, dir würde eine Klinik guttun?«

Ich war geschockt! Meine eigene Mutter dachte wohl auch, ich sei depressiv!

»Nein, Mami, die haben einen Fehler gemacht«, sagte ich bestimmt. »Ich verspreche dir, ich leide an einer ernsthaften körperlichen Krankheit. Mit einer Depression hat das nichts zu tun!«

Erneut überfiel mich Panik. Ich wollte sofort wieder zurück ins Krankenhaus. Dort fühlte ich mich mittlerweile am sichersten. Meine Mutter weigerte sich aber mich zurückzufahren. Eine Stunde lang redete ich auf sie ein, bis wir einen »Deal« hatten: Sie würde mich noch einmal fahren. Wenn dann aber wieder nichts gefunden werden würde, sollte ich mich umgehend in eine psychosomatische Klinik begeben.

Mir war nicht bewusst, dass ich unter einer Angststörung und regelmäßigen Panikattacken litt. Ich konnte die Symptome einfach nicht richtig zuordnen. Das plötzliche Herzrasen, das Schwitzen, der Schwindel, die enge Brust, das Gefühl, wegrennen zu wollen und die Angst vor dem Sterben. Anfangs kannte ich nicht einmal den Auslöser der Panik und konnte daher auch nicht gegensteuern. Die Todesängste waren auf einmal da, von einer Sekunde auf die nächste. In diesen Augenblicken wusste ich nicht, was ich tun sollte, dachte aber stets, der Grund dafür sei rein körperlich. An meine Psyche dachte ich jedenfalls überhaupt nicht, der Begriff »emotionaler Stress« war mir fremd. Gestresst war damals für mich jemand, der hektisch durch die Gegend lief und nicht jemand, der still in der Ecke saß und vor sich hin grübelte. Heute weiß ich, Stress hat viele Gesichter, Stress ist nicht immer sichtbar, Stress kommt nicht nur durch zu viel Arbeit, sondern kann viele Ursachen haben. Stress macht krank. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch.

Insgeheim hatte ich schon im Krankenhaus geahnt, dass der Psychologe recht gehabt hatte. Am liebsten hätte ich losgeheult und ihm die Wahrheit erzählt. Aber ich war einfach noch nicht bereit. Ich konnte es noch nicht aussprechen. Zum einen ist es mir damals sehr schwergefallen, fremden Ärzten zu vertrauen. Zum anderen hatte ich meinen Zustand nicht wahrhaben wollen. Eine Depression? Unmöglich! Psychische Krankheiten hat man nicht. Schluss. Aus.

Mit dieser Einstellung hatte ich mir mein Leben schwer gemacht. Hätte ich meinen Zustand früher akzeptiert, hätten wahrscheinlich viele ernste Symptome vermieden werden können. Doch ich hatte weiterhin gegen mich angekämpft. Und das kostete Energie. Energie, die ich mittlerweile nicht mehr hatte. Schließlich machten mir Körper und Psyche einen Strich durch die Rechnung. Und dieser »Strich« fühlte sich an, als hätte ich die Kontrolle über mich komplett verloren, über Körper und Geist gemeinsam. Ich war plötzlich auf professionelle Hilfe angewiesen und in ein tiefes Loch gefallen, in dem ich ohne sichtbaren Ausweg gefangen war. In dieser Situation wurde mir manchmal sogar meine Familie gleichgültig, weil ich mir selbst gleichgültig war. Nichts hatte mehr Bedeutung. In meinem Inneren waren nur Angst, Panik, Hoffnungslosigkeit, Gleichgültigkeit – und ganz oft nichts.

Meine zehn wichtigsten Einsichten:

Jahrelang behandelte ich meinen Körper wie eine fremde Maschine. Mittlerweile höre ich ihm zu und richte mich nach ihm.Auch innere Leere ist spürbar.Ich hatte mich lange Zeit selbst unter Druck gesetzt, indem ich mir einredete, vieles tun zu »müssen«.Meine Probleme und inneren Konflikte lösten sich nicht durch unentwegte Beschäftigung und Arbeit. Ganz im Gegenteil, sie wurden dadurch noch verstärkt.Das nächtliche Gedankenkarussell war ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmte.Ich kann meine Augen schließen, wenn ich etwas nicht sehen möchte. Ich kann mein Herz aber nicht vor dem verschließen, was ich nicht fühlen will.Beruhigungstabletten und Alkohol sind keine Lösung.Psychische Krankheiten sind genauso schlimm wie körperliche.Wenn Psyche und Körper außer Balance geraten, dann fühlt es sich an, als hätte man die Kontrolle über sich verloren.Stress hat viele Gesichter. Stress kommt nicht nur von zu viel Arbeit. Zu viel Stress macht krank.

Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen. Das eine bedeutet Gefahr. Das andere Gelegenheit.

John F. Kennedy

Zwangspause Klinik

Das eingelöste Versprechen

Auch diesmal hatten die Ärzte nichts gefunden. Jetzt musste ich mein Versprechen einlösen und mich in psychosomatische Behandlung begeben. Einige Anrufe später hatte meine Mutter mir einen Platz in einer nahe gelegenen Klinik besorgt. In zwei Tagen sollte es losgehen. Mit Mühe und Not schaffte ich es, meinen Koffer zu packen. Ich hatte keine Ahnung, was ich mitnehmen sollte. Das war mir aber auch egal. Ich fühlte mich innerlich tot. Ich nahm mein Handy in die Hand und suchte im Internet nach der Klinik. Begriffe wie Psychosomatik, Depression, Burn-out, Angststörung, Stressfolgeerkrankung, Essstörung und chronischer Schmerz flogen mir entgegen. Erschrocken starrte ich auf mein Handy. Waren das wirklich meine Probleme? War diese Klinik auch wirklich richtig für mich? Mir wurde schlecht, ich legte das Handy zur Seite.

Die letzten zwei Nächte schlief meine Mutter neben mir. Inzwischen konnte ich nicht mehr allein sein. Auch nachts nicht. So groß war meine Angst, nicht mehr aufzuwachen. Meine Mutter telefonierte mittlerweile auch mit meinem Freund in Schweden. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, mit irgendjemandem zu sprechen und auszusprechen, wie es mir ging.

Dann war der Montagmorgen da, der Tag meiner Einweisung. Meine Mutter fuhr mich in die Klinik. Während der Autofahrt wechselten wir kein einziges Wort miteinander. Ich hatte einfach keine Kraft dazu. Es gab aber auch nichts zu sagen. Nach einer Stunde waren wir angekommen. Das Erste, was mir in die Augen fiel, war ein Plakat, das hinter der Rezeption hing. Dort stand, dass mehr als achtzig Prozent der Patienten die Klinik mit einem Lachen auf den Lippen verlassen würden. Ich war mir sicher, ich würde nicht zu diesen achtzig Prozent gehören. Nie wieder würde ich aus vollem Herzen lachen können. Davon war ich überzeugt. Ich erhielt meinen Zimmerschlüssel. Die Zimmernummer schrieb ich mir sofort auf die Hand, denn Zahlenkombinationen, auch wenn es nur vier Zahlen waren, konnte ich mir schon lange nicht mehr merken.

Danach ging es weiter mit den verschiedensten Einweisungsgesprächen. Gespräche mit der Sekretärin, dem Professor, dem Chefarzt und der Abteilungsleiterin. Ich fing an, den Ernst meiner Lage zu verstehen. Zu oft hatte ich das Wort »Ja« in den unterschiedlichsten Fragebögen angekreuzt. Ob ich unter Schlafproblemen leiden würde (Ja), ob ich regelmäßig Alkohol trinken würde (Ja), ob ich Tabletten nehmen würde (Ja), ob ich oft traurig sei (Ja), ob ich mich oft müde und kraftlos fühlte (Ja), ob ich des Öfteren private Treffen absagte (Ja), ob ich häufig über meine Zukunft nachdenken würde (Ja) und ob ich schon mal an Selbstmord gedacht hätte (Nein, aber wenn dieses Gefühl der Leere nicht wegginge, dann vielleicht). Das letzte Gespräch endete mit der Aussage: »Frau Bagusat, Sie sind wahrhaftig eine Wundertüte.« Ich hatte gerade alle meine Symptome aufgezählt und dachte dann selbst: Wie um Himmels willen hatte ich es so weit kommen lassen können? Weshalb hatte ich diese vielen Zeichen nicht früher wahrgenommen?

Ich verabschiedete mich von meiner Mutter und ging auf mein Zimmer. Ich packte meinen Koffer aus, setzte mich auf mein Bett und starrte die Wand an. Einige Stunden später holte ich meinen Wochenplan ab. Morgensport, Gruppentherapie Burn-out, Klangschale, Schwimmen, Einzeltherapie, ärztliche Kontrolle, Malen, Qigong, Atemtherapie und Achtsamkeit standen auf dem Programm. Ich hatte anderes erwartet und war positiv überrascht. Plötzlich fiel mein Blick auf das Entlassungsdatum oben rechts in der Ecke. Ganze vier Wochen sollte ich hierbleiben? Ich lief zur Rezeption und vergewisserte mich, dass das Datum auch stimmte.

»Ja, Frau Bagusat. Sie sind jetzt erst einmal für vier Wochen eingebucht, mit der Option auf Verlängerung. Die meisten unserer Patienten bleiben bis zu sechs Wochen. Einzelne auch einige Monate.«

Damit hatte ich nicht gerechnet. Bis dahin war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich nach zwei Wochen Klinikaufenthalt wieder nach Hause und mit meinem Leben weitermachen könnte.

Aus heutiger Sicht hatte ich verdammt großes Glück, dass meine Mutter nicht lockerließ. Für mich war es sehr wichtig, solch einen Menschen an meiner Seite zu haben. Ohne meine Mutter wäre ich nie in die Klinik gegangen. Erstens, weil ich nicht wusste, was eine psychosomatische Klinik überhaupt war. Und zweitens, weil mir die Kraft für diesen Schritt fehlte. Ich konnte ja noch nicht einmal meinen Freund anrufen, wie hätte ich ein Gespräch mit einer Klinik führen sollen? Meine Mutter war nicht nur eine seelische, sondern auch praktische Hilfe. Sie rief bei Ärzten an oder druckte auch einfach mal eine Liste mit Psychologen aus. Diese nachhaltige Unterstützung war sehr wichtig.

Auch war mir nicht bewusst, wie lange mein Genesungsprozess insgesamt dauern würde. Ich war der Annahme, dass ich nach kurzer Unterbrechung mein bisheriges Leben weiterführen könnte, ohne etwas verändern zu müssen. Es war genau zwei Jahre später, als ich das erste Mal das Gefühl hatte, endlich wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Ganze zwei Jahre später! Dazwischen lag eine Zeit mit Höhen und Tiefen, mit verschiedenen Prozessen und Erkenntnissen. Heute kann ich sagen: Jede Sekunde dieser Zeit war es wert! Denn hätte ich mit meinem bisherigen Leben weitergemacht, als ob nichts passiert wäre, wäre ich immer und immer wieder in einen Burn-out gerutscht. Weshalb? Weil ich mir ungesunde Umstände geschaffen hatte, die für mich belastend waren – vom Arbeitsplatz bis zur Wohnungssituation. Diese Umstände verstärkten den Stress und waren Teil dessen, was mich in den Burn-out trieb. Ich musste also dringend etwas verändern, um nicht wieder in diesen Zustand zu geraten. Viele meiner Mitpatienten haben damals aufgrund fehlender Einsicht oder äußerer Umstände (Arbeit, Familie etc.) keine Veränderung in ihren Lebensumständen vornehmen können und sahen die Klinik als Dauerlösung an. Das ist sie aber nicht. Sie bietet eine Verschnaufpause, verhilft zu Einsichten, zaubert aber nicht die Probleme weg. Immer und immer wieder mussten sie sich in die Klinik begeben, weil sie erneut unter den verschiedensten Symptomen litten. Mir machte das anfangs große Angst. Würde ich mich auch in einen ewig wiederkehrenden Stammgast verwandeln? Würden die Krankheitssymptome nie wieder verschwinden und zu einem Teil meines Lebens werden? Viele dieser Symptome waren ja schon sehr lange vorhanden. Seit Jahren hatte ich nicht richtig schlafen können und immer wieder Phasen, in denen ich stark über den Sinn des Lebens nachgedacht hatte und dabei fast verrückt geworden war. Viele Symptome waren also nicht neu. Aber ich hatte damals genug Energiereserven und konnte die Symptome ziemlich gut aushalten. Spätestens in der Klinik traf das nicht mehr zu. Mein Körper war geschwächt und meine Psyche spielte verrückt. Es ging einfach nichts mehr. So sehr ich es wollte, es war nicht mehr möglich, eine Mail zu schreiben, die Zähne zu putzen oder die Familie anzurufen. Schon allein diese Aktivitäten überforderten mich. Für Außenstehende unbegreiflich – für mich damals aber auch. So kannte ich mich nicht! Und deshalb war es auch so unglaublich schwer, diesen ernsten Zustand zu akzeptieren. Ich fühlte mich ausgeliefert, denn ich hatte offenbar die Kontrolle über mich verloren. Mein von außen betrachtet perfektes Leben löste sich gerade in ein Nichts auf und ich war auf Hilfe angewiesen. Ich schämte mich sehr dafür. Ich hatte in den Augen anderer unbedingt als erfolgreich gelten wollen, alles im Griff und den perfekten Plan für alles Weitere haben wollen. Selbstständigkeit und ein bequemer Lifestyle waren meine Ziele. An alle diese Pläne war jetzt nicht mehr zu denken.