Nicht Werther und nicht Lotte - Friedrich Kabermann - E-Book

Nicht Werther und nicht Lotte E-Book

Friedrich Kabermann

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Beschreibung

Nicht Werther und nicht Lotte", so Johannes Brahms über seine Liebe zu Clara Schumann. Er spielte damit auf Goethes Werher-Roman an, den ersten Weltbestseller der deutschen Literatur. Die erdichteten "Leiden des jungen Werther" enden mit Selbstmord, die durchlittenen Leiden des jungen Brahms verwandelten sich in Leben, in die Liebe zu Clara und die Hingabe ans eigene Werk. Das Thema ist nicht neu, doch wurde es bisher nur vom Film aufgegriffen, nicht von der Literatur. Der Versuch, sich ihm über erdachte Briefe zu nähern, ähnelt einer Skizze: Der Leser muss mitdenken, da manches zwischen den Zeilen steht.

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Für Wera

Inhalt

Dichtung und Wahrheit

I. Briefe

Clara Schumann an Johannes Brahms

Johannes Brahms an Marie Schumann

Eugenie Schumann an Elise Sommerhoff, geb. Schumann in USA

II. Etüden

Pathos und Passion

Etüden der Unsterblichkeit

Gesang der Frühe

Musik als „Philosophie des Gemüthes“

Dichtung und Wahrheit

Robert und Clara Schumann, dazu Johannes Brahms – das Thema ist nicht neu, doch wurde es bisher nicht von der Literatur, sondern vom Film aufgegriffen. Der hier vorliegende Versuch, sich dem Verhältnis über erdachte Briefe zu nähern, ähnelt einer Skizze: Umrisse, die ein- und ausgrenzen, werden sichtbar, das Gestaltlose wird von der Einbildungskraft konturiert. Die Form, die so entsteht, gleicht der des Fragments und hat zur Folge, dass manches zwischen den Zeilen steht.

„Nicht Werther und nicht Lotte“, so Brahms über seine Liebe zu Clara Schumann. Er spielt damit auf Goethes Werther-Roman an, der erste Welterfolg der deutschen Literatur. Die erdichteten „Leiden des jungen Werther“ enden mit Selbstmord, die durchlittenen Leiden des jungen Brahms verwandelten sich in Leben, in die Freundschaft zu Clara und die Hingabe ans eigene Werk.

Clara Schumann starb vor 115 Jahren, sie galt als die berühmteste Pianistin Europas und als eine der bedeutendsten Frauengestalten des Jahrhunderts. Sie war die Lebensgefährtin von Robert Schumann, der ein wichtiger Wegbereiter der Moderne war. Trotz der Liebe zu Brahms hielt Clara ihrem früh verstorbenen Mann über vierzig Jahre die Treue – für beide Freunde ein schwieriger Balanceakt.

„Literatur“, lateinisch litera, das Schriftstück, der Brief – die fingierten Texte stellen zwar Literatur im wörtlichen Sinne dar, sind aber nicht beliebig ausgedacht. Vielmehr hätten sie so geschrieben werden können, wie ein Vergleich mit den authentischen Briefen ergäbe, die zu Hunderten publiziert worden sind. Allerdings weiß der heute Lebende historisch mehr von der damaligen Welt als der Zeitgenosse. Zugleich weiß er aber auch weniger, weil das, was einst wirkliche Gegenwart war, seit langem versunken ist und nicht mehr zum Leben erweckt werden kann. Was bleibt, ist der Versuch, die Vergangenheit gleichsam literarisch zu beschwören, so dass der Anschein der Wirklichkeit entsteht – „am farbigen Abglanz haben wir das Leben“.

Was damit gemeint ist, zeigt Clara Schumanns Brief vom 24. Mai 1879. Dort schreibt sie über den zwischen Wagnerianern und Brahmsanhängern herrschenden Streit:

„Zum Glück hat Robert nicht mehr erleben müssen, was durch Wagner aus der Musik geworden; er hat es aber sehr wohl geahnt … Inzwischen sind all die Götter, Helden und Walküren, bei denen mir immer ganz konfus wird, unter den Deutschen Mode geworden, so dass ich wie Heinrich Heine denke: Wenn es nur bei der Bühnenfassung bleibt, so mag es mit dem mythischen Personal gehen, wie es will. Aber wehe, es nimmt einer Wagner beim Wort und inszeniert diese ‚Nibelungen‘ als Politik. Dann dürfte es uns ergehen wie im ‚Zauberlehrling‘, wir werden die Götterdämmerungen und Weltuntergänge nicht mehr los…“

Die Stelle verweist zum einen auf die Haltung der Schumanns in diesem Streit, zum anderen lässt sie die Nähe zwischen Wagners Weltanschauung und der Ideologie des Dritten Reichs anklingen, durch die Wagner ein halbes Jahrhundert später politisch auf die Bühne der Weltgeschichte transponiert wurde. Nicht erst Hitler und die Nationalsozialisten, sondern schon Wagner und sein bürgerliches Publikum hatten ein gebrochenes Verhältnis zur Moderne. Wagner versuchte, die säkularisierte Welt künstlerisch zu remythisieren, worin Nietzsche eine Perversion der Kunst sah. Denn nun schlug die „Götterdämmerung“ in „Götzendämmerung“ um.

Das Buch hat zwei Teile, die vor über zwei Jahrzehnten geschrieben wurden: den literarischen der Briefe mit ihrer historischen Situation und den essayistischen der Vorträge zu Schumanns Musik. Durch diese „Etüden“ wird der Hintergrund ausgeleuchtet, ohne den das persönliche Verhältnis Claras zu Brahms nicht zu verstehen ist. Beide Teile stehen im Spannungsverhältnis von „Dichtung und Wahrheit“: Dichten ist Sache der Poesie, Wahrheit die Aufgabe der Philosophie. Stellt der erste Beitrag eine allgemeine Einführung in einen Schumann-Klavierabend dar, versucht der zweite, vor der Schumann-Gesellschaft gehaltene Vortrag, genauer darzulegen, warum gerade das Werk dieses Komponisten in die Zukunft weist. Es gleicht darin der Literatur von Jean Paul, die für Schumann von großer Bedeutung war.

Doch wen interessieren noch derart „klassische“ Themen im Zeitalter der digitalen Revolution? Dieser Frage nachzugehen, wäre einen eigenen Essay wert, zumal sie Glanz und Elend unserer Zeit berührt: Dem Fortschritt an „Virtualität“ entspricht der Rückzug der „Realität“, die selbst schon reduzierte Wirklichkeit ist. Bereits Nietzsche konstatierte, der Mensch werde geringer, was bedeutet, dass die Natur immer weniger wird, auch die innere Natur. Es ist, als löste sie sich vom Menschen ab und zöge sich in sich selbst zurück. Kunst und Technik sind nicht kompatibel – das Wesen der Kunst ist die Produktion, das Gesetz der Technik die Reproduktion.

Hinzukommt, dass Kunst zum Global-Player geworden ist; allein der Festival-Tourismus der Musikindustrie setzt Millionen um. Doch gibt es neben dem Verbraucher auch den Liebhaber noch und mit ihm das Bedürfnis, Musik nicht allein zu konsumieren, sondern mit „Ohren hinter den Ohren“ zu hören, wie Nietzsche sagt – neu wie am ersten Tag. Zum „Unerhörten“ der Musik gehört der Komponist mit seinem Pathos, seiner Passion. Oft erblickten die Werke, die wir lieben, nur mit Mühe und Not das Licht der Welt. Wenn die Literatur für diese Notwendigkeit Verständnis zu wecken vermag, zeigt uns die Kunst, die einst göttliche Gabe war, auch ihr menschliches Gesicht.

F. K.

I BRIEFE
Clara Schumann an Johannes Brahms (1879)
Der Hintergrund

Im Jahr 1879 ist Clara sechzig und Brahms sechsundvierzig Jahre alt – ein Unterschied von vierzehn Jahren, der ein Viertel Jahrhundert zuvor, als beide sich kennen lernten, sehr viel stärker ins Gewicht fiel als in der Zeit um 1880.

Es war der 30. September 1853, als der 20-jährige Brahms aus Hamburg in der Düsseldorfer Bilkerstraße No. 6 vor der Wohnungstür der Schumanns stand, die damals in der Musikwelt ein berühmtes Paar waren. Brahms‘ bescheidenes und zugleich selbstbewusstes Auftreten beeindruckte die Schumanns tief. Wer heute noch etwas von der ungewöhnlichen Atmosphäre dieses Zusammentreffens spüren will, muss Brahms‘ Jugendwerke bis zu den Balladen op. 10 studieren, aus ihnen hat Brahms den Schumanns – später Clara allein – immer wieder vorgespielt.

Wenig später brach bei Robert jene schwere Krankheit aus, die ihn in die Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn brachte und an der er drei Jahre später starb. Brahms blieb in Düsseldorf und wurde der engste Freund der Familie, die nun aus der alleinstehenden Clara und ihren sechs Kindern bestand. Das Jüngste war zwei Jahre alt, mit dem achten, dem im Juni 1854 geborenen Sohn Felix, war sie in jener Zeit schwanger, was die berühmte Pianistin nicht hinderte, auch weiterhin in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Bis heute haben diese Verhältnisse nicht nur Klatsch und Tratsch hervorgerufen, sondern immer wieder Gerüchte entstehen lassen, Brahms sei der eigentliche Vater von Felix, der bereits 1879 mit 25 Jahren starb. Ist das auch Unsinn, so haben doch derartige Verleumdungen Clara und Johannes, später auch Felix, stark zugesetzt. Wir haben heute keinen Begriff davon, was dergleichen vor 150 Jahren bedeutete. Brahms hat sich in diesen Düsseldorfer Jahren leidenschaftlich in Clara verliebt, doch wurde ihm bald klar, dass eine eheliche Bindung nicht möglich war. So trennte er sich beinahe mit Gewalt von ihr und den Kindern. „Nicht Werther und nicht Lotte“ – mit diesen Worten hat er selber die Situation im Rückblick charakterisiert. Man spürt schon durch die Parallele zu Goethes Jugendroman, der mit dem Selbstmord Werthers endet, die nur schwer erkämpfte Distanz zu jener so entscheidenden Zeit.

Die Frage, ob Brahms verstanden habe, warum sich Clara nach Roberts Tod nicht mit Brahms verbinden konnte, spielt in der vierzigjährigen Freundschaft der Beiden eine immer wiederkehrende Rolle. Sie gehört mit ihren Höhen und Tiefen zu den großen Leistungen dieser beiden Künstler, nicht anders als zuvor die Ehe von Robert und Clara mit ihrer schweren Vorgeschichte.

Aufgrund der Erfahrungen mit dem Klatsch und Tratsch der Zeitgenossen erbittet Brahms 1879 seine frühen Briefe aus der schweren Düsseldorfer Zeit von Clara zurück. Zugleich bietet er an, ihr die ihrigen ebenfalls zurückzuschicken. Dass geschieht auch, und so sind diese Dokumente der Nachwelt verloren gegangen.

Nach dem Tod Roberts und der Trennung von Clara ging Brahms nach Detmold, dann nach Göttingen, wo er die Professorentochter Agathe Siebold kennen und lieben lernte. Es kam zwar zur Verlobung, doch nicht zur Hochzeit. Brahms entzog sich ihr und von nun an auch jeder anderen Lebensbindung. Im hier folgenden Brief wird Agathe Siebold kurz erwähnt, Clara war damals offenbar höchst eifersüchtig auf sie. In seinem Streichsextett G-Dur op. 36 hat Brahms diese, seine letzte Liebe, wie er sagte, dadurch verewigt, dass er den Namen Agathe in den ersten Satz des Werkes einwob, indem er ihn statt mit „t“ mit „d“ schrieb, so dass daraus die Tonfolge A.g.a.d.e wurde. Die Tatsache, dass dieses Werk erst zehn Jahre später komponiert wurde, zeigt etwas von der Schwere, der Gründlichkeit und der Tiefe, aus der Johannes Brahms lebte und seine Werke schuf. „Per aspera ad astra“, frei übersetzt, aus dem Dunkel zum Licht – das war für viele Menschen jener Zeit kein idealistischer Spruch, sondern eine alltägliche Erfahrung, aus der heraus sie ihr Leben gestalteten.

Interlaken, 24. Mai 1879

Lieber Johannes,

verzeih, dass ich so lange geschwiegen, aber der Tod unseres Felix hat mir den Mund verschlossen, von meinem Herzen zu schweigen. Dir brauche ich nicht zu sagen, wie sehr er mich mit seinem Vater verband, vielleicht weil er der Jüngste war und ihn gar nicht hat kennen können; das Schicksal hat es nicht gewollt. Felix war mein Schmerzenskind, zugleich aber auch ein besonderes Glück, das letzte Unterpfand, das mich mit meinem geliebten Robert verband.

Aber ich will nicht klagen, Johannes, Du warst der Lichtstrahl in jener schweren Zeit und bist es bis heute geblieben, Du und Deine Musik. Wie könnte ich sie aus meinem Leben verbannen? Aber auch Du selber, der ich Dein Herz kenne wie niemand sonst und weiß, wie sehr Du es immer versteckst vor der Welt. Auch das hat ja mit Felix zu tun, dem Du von Anbeginn wie ein Vater warst. Die größte Freude in seinem kurzen Leben war, dass Du sein „Fliederbusch“-Gedicht vertont hast. Und wie Du es gemacht hast! Du stelltest ihn damit auf eine Stufe zu Dir – wie sehr hatte er sich gewünscht, ein Dichter zu werden! Ich habe ihm davon abgeraten und damit weh getan. Doch mir war ständig Angst und bange, dass er sein Talent überschätze, er hätte immer im Schatten seines Vaters gestanden. Aber das hätte ich ihm nicht sagen sollen und habe es dennoch getan. Ach, Johannes, das Schicksal hat mich hart gemacht, gerade da, wo ich am meisten liebe. Du weißt ja ehestens ein Lied davon zu singen.

All das kam nun wieder hoch in mir, auch der Ausbruch von Roberts Krankheit und das Leiden des Verewigten. Das Schlimmste war, dass ich ihn der Ärzte wegen in Endenich nicht besuchen durfte, vielleicht hätte ihm meine Anwesenheit das Dunkel, das ihn umfing, noch ein wenig licht gemacht. Auch was Du gelitten, kam mir wieder in den Sinn. Ich stehe in Deiner Schuld, nie fühlte ich es so stark. Aber ich konnte mich auch der Kinder wegen nicht mit Dir verbinden, wie damals zerreißt es mir noch immer das Herz.

In den letzten beiden Nächten habe ich wieder Deine Briefe aus dieser Zeit gelesen, vorzüglich jene, die von Detmold und Göttingen zu mir kamen. Es fällt mir schwer, sie zurückzugeben, aber ich verstehe Dich wohl, außer uns gehen sie niemanden etwas an. Und so magst Du denn mit ihnen tun, was Du willst, sie kamen und gingen von Herzen zu Herzen und bleiben dort für ewig aufbewahrt. Natürlich stimme ich Dir zu, dass der Gerüchte und üblen Nachrede schon übergenug sind. Wenn erst die Journalisten in den persönlichen Papieren zu kramen beginnen, ist kein Halten mehr und nichts sicher vor Verdrehung und Verleumdung. Sitte und Anstand sind aus der Welt gekommen, und wir tun gut daran, bei Zeiten Haus und Hof zu bestellen und das zu ordnen, was allein unser ist. Schicke Du mir nur meine Briefe ebenfalls zurück oder stecke sie gleich in den Kamin und mache ein ordentliches Rauchopfer davon. Ich weiß nämlich nicht, ob ich sie je wieder lesen will, die Erinnerung zieht zu stark von der Gegenwart ab, die es doch immer als erstes zu leisten und zu überstehen gilt.