Nichts als Asche - Jens Nielsen - E-Book

Nichts als Asche E-Book

Jens Nielsen

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Beschreibung

Schleswig im 16. Jahrhundert. Caterina Eggerdes ist die Schwester des dortigen Stadtvogt und eine weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte und gefragte Heilerin. Schon oft hat sie zusammen mit ihrer Magd, Helferin und Freundin Abelke Stenbruggers, bei Krankheit den Menschen Hilfe geleistet, die nach ihr haben rufen lassen. Doch plötzlich ist alles anders: Als der Kürschner Hans Bunthmaker zu Tode kommt, wird Caterina wegen Mordes und wegen Anwendung dunkler Künste angeklagt und verhaftet. Auch muss sie sich plötzlich gegen zahlreiche weitere Anschuldigen wehren, von denen sie bisher nicht gewusst hatte. Als dann immer mehr Frauen der Hexerei bezichtigt werden, ist die Stadt in Unruhe. Schließlich ist der Hexenwahn in Schleswig kaum noch zu stoppen und die ersten Scheiterhaufen lodern. Der Roman erzählt auf sehr dichte und eindringliche Weise über das Schicksal der im historischen Schleswig real existierenden Caterina Eggerdes und von Frauen aus ihrem Umfeld. Es ist als Roman das Debütwerk des Autors Jens Nielsen, welcher sich mit zahlreichen investigativen Sachbüchern einen Namen gemacht hat.

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Inhalt

I

.

Prolog

II

.

Eine ungewöhnliche Anfrage

III

.

Eine selbsterfüllende Prophezeiung

IV

.

Dunkle Wolken

V

.

Ein Unheil kommt selten allein

VI

.

Verleumdung

VII

.

Nirgendwo ist Sicherheit

VIII

.

Im Vorhof zur Hölle

IX

.

Beihilfe zur Flucht

X

.

Namenloses Entsetzen

XI

.

Das Böse ist in der Stadt

XII

.

In völliger Dunkelheit

XIII

.

Asche über der Stadt

XIV

.

Verschmähte Liebe

XV

.

Späte Rache

XVI

.

Namensverzeichnis alphabetisch:

XVII

.

Das Schicksal der Caterina Eggerdes

XVIII

.

Liste belegter Opfer

Prolog

Das erste, was in dieser kleinen Kräuterküche auffiel, war eine absolute Stille, die fast vergessen machen konnte, dass der Raum erfüllt war vom überall im Raum zum Trocknen aufgehängten Duft frisch geschnittener Kräuter. Außer einem alten Tisch und einem großen Kupferkessel über einer rußigen Feuerstelle war die Küche fast leer und es war kaum noch zu erkennen, dass vor kurzem ein geschäftiges Treiben in ihr geherrscht und das niedrig gehaltene Herdfeuer eine wohlige Wärme verbreitet hatte. Aus einer knorrigen und knirschenden Holztür, die den einzigen Zugang zu diesem Raum darstellte, trat eine alte Frau, der man allein auf Grund ihrer Hände und gebeugten Gestalt ansah, dass sie im Leben schwer gearbeitet hatte. Mit einer feierlichen Ruhe und Langsamkeit schloss die Frau die Tür und blickte aus ihren grauen Augen still in der Küche umher, als wolle sie jeden Winkel, jedes Detail erfassen, bevor sich irgendetwas für immer in diesem Raum veränderte. Schließlich nickte sie still vor sich hin und warf einen Blick aus der Fensteröffnung, die zur Straße hinausging. „Schon bald Mittag“, flüsterte die alte Frau, „bald werden sie kommen.“ Unmittelbar darauf griff sie in ihre Tasche, zog heimlich ein kleines, aber wohlriechendes Lederbeutelchen hervor und küsste es mit zittrigen Fingern. Dann verließ sie den Raum genauso. Und wieder war es still.

Durch die Fensteröffnung strahlte die Mittagssonne, so dass der frisch gescheuerte Kupferkessel, als ihre Strahlen ihn erreichte, auf seltsame Art in einem glühendroten Licht matt zu leuchten begann. Schließlich hörte man von oben herab aus dem Haus leichte tapsende Schritte und man erkannte alsbald einen etwa zehnjährigen barfüßigen Jungen, welcher vorsichtig in dem gleichen Raum erschien, den die alte Frau soeben verlassen hatte. Auch wenn der Junge frisch und festlich gekleidet war, sah man seinen ebenen aber sehr blassen Gesichtszügen und seinen Augenringen an, dass er große Trauer zu bewältigen hatte. Sein schwarz gehaltenes Gewand und seine dunklen Haare standen in einem unübersehbaren Kontrast zu seiner weißen Haut, die etwas Kränkliches hatte. Wie abwesend strich der Junge über den Kupferkessel und sog mit tiefen Atemzügen den Duft des Raumes ein. Dann legte er seinen Arm fast stützend auf den alten Tisch und seinen Kopf auf den Arm, während seine Augen gedankenverloren aus dem Fenster blickten.

Dies war der Arbeitsbereich seiner Mutter gewesen, welchen er sonst in ihrer Abwesenheit nie betrat. Nur einmal war er heimlich und ohne ihr Wissen eingetreten, um die vielen Behältnisse mit den Kräutern in Ruhe zu betrachten, die sauber angeordnet auf dem Regal standen, um die vielen unterschiedlichen und so anregenden Düfte in sich aufzunehmen. Irgendwie hatte er sich aber unwohl gefühlt, allein in dem Raum, und ihn danach nur noch im Beisein seiner Mutter betreten. Oft durfte der Junge mit ihr am Tisch sitzen, wenn sie gearbeitet hatte und genauso oft hatte dabei ehrfurchtsgebietend das alte Buch mit den vielen Flecken und Rissen vor ihm auf dem Tisch gelegen, welches jetzt verschwunden war. Der Tisch war immer übersät gewesen von vielen unterschiedlichen duftenden Pflanzen, von Pilzen und von getrockneten Kräutern, deren Namen er sich nie hatte merken können, auch wenn die Mutter versucht hatte, ihm die Namen, die Bedeutung und die Wirkung der Pflanzen immer wieder geduldig zu erklären. Es hatte ihn nie wirklich interessiert und die Bedeutungen der Pflanzen und ihre Wirkungsweise wollten in seinem Kopf einfach nicht hängen bleiben, jetzt aber hätte er gerne jedenfalls ein paar der fremd klingenden Namen in seinem Gedächtnis gehabt. Nur so, um sie leise vor sich hinsagen zu können. Doch sein Kopf schien völlig leer zu sein.

Eine Weile stand der Junge so am Tisch, als würde er in ihn und in das ganze Haus hineinhorchen wollen. Dann richtete er sich plötzlich auf und blickte über sich an die Decke. Eilends zog er ein Kräuterbündel von dem Band über ihm ab, welches quer durch die ganze Küche gespannt war, und wollte mit seiner Beute den Raum hastig verlassen – aber irgendwie war es, als könne er sich aus der Küche, die er vorher eher scheu und heimlich betreten hatte, nun nicht mehr lösen. Nachdem er schon einige schnelle Schritte Richtung Tür gemacht hatte, drehte er wieder um und ging mit seinem Kräuterbündel langsam zum Tisch zurück. „Hier steckst du also“, sagte eine Stimme, während die alte Frau auf den Jungen zuging und ihm liebkosend die Hand auf den Kopf legte. Sie war in die Kräuterküche getreten, ohne dass er sie in seine Gedanken versunken bemerkte. Der Junge wandte müde den Kopf und blickte zu der alten Frau hoch. „Ach Großmutter“, sagte er, „wenn doch nur alles so wie vorher sein könnte.“ „Daran darfst du nicht denken, Johann“, sagte die Alte, die ihre Lippen plötzlich fest zusammenkniff, so dass sie fast weiß wurden. „Es wäre gut, wenn du vergessen könntest, was war. Du könntest uns sonst in große Schwierigkeiten bringen.“ Der Junge entgegnete nichts und starrte angestrengt auf den Boden. „Komm“, sagte die Großmutter und nickte mehrmals, als wollten die Worte nicht so recht aus ihr herauskommen, „gleich werden sie da sein. Dein Vater und seine neue Frau – deine neue Mutter.“ Mit diesen Worten schloss sie das Kind in ihre Arme und verschloss die Worte, die sie eigentlich hatte sagen wollen, tief in ihrem Herzen. Sie durfte den Jungen nicht in Gefahr bringen. Das hatte sie ihrer Schwiegertochter versprechen müssen, bevor diese von den Schergen des Stadtvogtes geholt worden war. „Weine nicht Johann“, sagte die alte Frau nur und versuchte sich mühsam zu beherrschen. Deine neue Mutter soll eine Frau aus einem guten Haus sein. Und sie ist sehr schön. Wie siehst du nur aus. Sie werden gleich da sein.“

In diesem Augenblick hörte man einen Wagen ratternd die Straße heraufkommen und der Junge zuckte unmerklich in den Armen seiner Großmutter zusammen. Er wollte seine neue Mutter nicht sehen. Sie könnte gleich wieder gehen, wenn es nach ihm gegangen wäre. Sein Vater hatte, seitdem seine Mutter abgeholt worden war, noch nie eine Frau mit ins Haus gebracht. Dabei war es doch stadtbekannt, dass er ein Schürzenjäger und Frauenheld war – auch schon in der Zeit, als die Mutter noch im Hause und am Leben war. Nur hatte der Vater vorher keine von denen heiraten wollen. „Johann“, rief es plötzlich aus der Diele. Der Vater hatte das Haus betreten und mit ihm seine frisch angetraute Ehefrau. Hans Toffelmaker war ein großer und stattliche Mann ohne Haare, dafür mit einer enormen Leibesfülle. Johann lief seinem Vater entgegen, der zwar die Arme ausgebreitet hatte, nicht aber, um seinen Sohn zu begrüßen, geschweige denn zu umarmen. Toffelmaker hielt nichts von Zärtlichkeiten Kindern gegenüber und befürchtete seinen Sohn damit zu verweichlichen. So deuteten seine weit ausgestreckten Arme eher an, dass er seinen Sohn mit großer Geste ankündigen wollte, als er zu seiner Frau sagte: „Hier bringe ich dir Johann, meinen Sohn.“ Dann verließ Hans Toffelmaker wie zufällig die beiden und wandte sich seiner Mutter zu, vordergründig um sie zu begrüßen, da diese eher zurückhaltend am Eingang der Kräuterküche stehengeblieben war, eher wohl aber, damit Johann und seine neue Mutter sich kennenlernen konnten. Johann richtete sich schweigend auf, um ein wenig größer zu wirken als er war. Und nun stand er ein wenig unbeholfen vor der jungen schönen Frau. „Du weißt ja, dass ich jetzt deine Mutter bin, Johann…“, fing sie das Gespräch an und versuchte den Jungen an beide Hände zu nehmen. Dieser entzog sich ihr jedoch sofort und entgegnete hitzig: „Du bist nicht meine Mutter. Ich habe keine Mutter mehr. Meine Mutter ist tot.“ Die fremde Frau, die befremdet einen Schritt zurückgewichen war, hielt Johann jetzt ganz fest an den Händen, beugte sich dann herunter und flüsterte ihm leise ins Ohr: „Ich weiß Johann, ich weiß, dass deine Mutter tot ist. Und das ist auch gut so, für uns alle. Sie war ja eine Hexe…“ Johann starrte die ihm völlig fremde Frau an und begann sie schon jetzt abgrundtief zu hassen.

Eine ungewöhnliche Anfrage

E igentlich hatte sie es schon immer gehasst. Caterina ließ das kleine Messer fallen und verließ leise fluchend ihre kleine Kräuterküche, in der sie begonnen hatte, Zwiebeln und Knoblauch in feine Stücke zu schneiden. Sie rieb sich mit dem Handrücken in ihrem linken Auge, während sie die andere Hand an ihrer Schürze abwischte. Es war kaum zu verhindern, dass die unsichtbaren Verdunstungen der doch ansonsten so nützlichen Zwiebel ihr auch dieses Mal wieder ins Auge gerieten. Merkwürdig nur, dass immer nur ihr linkes Auge von dem unerträglichen Brennen der reizenden Pflanzensubstanz betroffen schien, während das rechte Auge lediglich leicht zu zucken begann, so wie jetzt auch. In ihrer Kräuterküche Knoblauch und vor allem auch Zwiebeln in größeren Mengen bereitzuhalten war trotz aller Ungemach nicht ganz unwichtig, ergab diese pflanzliche Kombination, zusammen mit Wein und Ochsengalle vermischt, doch nach neun Tagen Mazerieren in Caterinas penibel ausgescheuertem Kupferkessel nach dem Abseihen der Flüssigkeit ein vortreffliches starkes Augenwasser. Dieses Wasser als Spülung half so hervorragend gegen manche Entzündung im Auge, die in dieser Jahreszeit mit ihren kalten Winden so häufig in Schleswig anzutreffen war. Nur allein der beim Schneiden weniger brennende Knoblauch reichte für das Augenwasser nicht, es mussten immer auch geschnittene Zwiebeln dazu. Außerdem verhalfen Caterina die Zwiebeln, zusammen mit dem Hundeschmalz, zu einer vortrefflichen Salbe, die sie des Abends nach langem Stehen und Gehen auf ihre geschwollenen Füße streichen konnte.

Caterina rieb sich immer noch leise fluchend an ihrem Auge herum, als sie hinter sich die Tür gehen hörte. Das leichte Knirschen der schmiedeeisernen Türangeln war ihr über die Jahre mehr als vertraut, so dass sie es kaum bewusst wahrnahm. Eine jüngere Frau erschien in der Tür und sah ihre Herrin mitfühlend an. Ursprünglich war sie als Magd vor Jahren in Caterinas und ihres Mannes Hans Toffelmakers Hause angestellt worden, aber im Laufe der Zeit war sie ihrer Herrin immer mehr eine Vertraute, wenn nicht gar eine sehr gute Freundin geworden, deren Unterstützung Caterina immer dringlicher benötigte. Abelke Stenbruggers stammte, soweit sie selbst zurückdenken konnte, schon immer aus Schleswig. Schon ihre Eltern hatten lange in einer Bude im unteren Teil der Torffstrate gewohnt, als Abelke in den Haushalt des Toffelmakers aufgenommen wurde. Caterina und Abelke setzten sich zusammen wieder an den großen derben Tisch in der Kräuterküche mit seiner leicht fettig wirkenden und völlig mit Scharten und Kerben übersäten Oberfläche. Caterina blinzelte ihre Freundin aus ihrem rot geriebenen Auge schelmisch an, wobei das Blinzeln nur halb dem Saft der Zwiebeln und halb der hellen Sonne geschuldet war, die jetzt durch die obere Hälfte der Eingangstür hereinflutete. Erstmals seit vielen dunklen Monaten erreichte das Sonnenlicht auch wieder die andere Seite der Zimmerwand und beleuchtete die Tatsache, dass Hans Toffelmaker und seine Frau Caterina in Schleswig nicht ganz unvermögend sein konnten. Es gab hier nicht nur aufwendig gestaltete und farblich gefasste Möbelstücke. Vor allem die sauber gefügten und mit Fugenleisten überdeckte Holzbohlen auf dem Boden zeugten von einem gewissen Wohlstand, Sie ließen, anders als in den Buden und Verschlägen der ärmeren Leute, die aus dem Boden kriechende Kälte, den Staub und auch die Spinnweben nur erschwert hindurch. Gerade Abelke kannte aus der ärmlichen Behausung ihrer Eltern in der Schleswiger Torffstrate ganz andere Böden und wusste die wohlgescheuerten Bohlen im Hause Toffelmaker/Eggerdes zu schätzen.

„Caterina“, sagte Abelke nachdenklich, während sie mit geübten Griffen die übrig gebliebenen Zwiebeln und den Knoblauch mit dem scharfen Messer in winzige Würfel schnitt. „Jo, mien Deern“, antwortete Caterina, froh das Messer ein weiteres Mal absetzen zu können, um sich ebenso ein weiteres Mal am Augenlid zu reiben. Sie atmete merklich auf bei der Feststellung, dass der Berg an noch zu bearbeitenden Zwiebeln und dem Knoblauch schon sehr viel kleiner geworden war. „Caterina“, wiederholte Abelke jetzt mit mehr Nachdruck. „Nun spuck schon aus, was du auf dem Herzen hast“, sagte Caterina. Sie kannte ihre Freundin und Gehilfin sehr genau. „Worüber denkst Du nach?“ Man musste bei Abelke zu jeder Tageszeit auf irgendwelche Merkwürdigkeiten gefasst sein. Sie dachte sich oft und gern fantasievolle Geschichten aus und überforderte ihr Gesprächsgegenüber manchmal mit überbordendem Einfallsreichtum. Oft sprach sie sehr schnell und sehr viel, so dass man ihren Redefluss immer mal wieder stoppen musste. Heute aber wollten die Worte nicht so recht aus ihr heraus.[1] Gerade hob Abelke ein drittes Mal zu sprechen an, da hörte man die Haustür leicht ächzen und das so typische Geklapper von Holzpantoffeln auf dem Eingangsstein war zu vernehmen. „Kundschaft“, murmelte Caterina und legte nicht unwillig das scharfeMesser und den Knoblauch beiseite, für den sie sich gerade statt der Zwiebel zum Wohle ihres Auges entschieden hatte. Es kam in dieser Jahreszeit verhältnismäßig oft vor, dass sie an ein Krankenlager gerufen wurde oder jemand ihre Dienste anderweitig, auch außerhalb der Stadt, benötigte. „Frau Eggerdes“, rief eine leicht unterdrückte und rauchige männliche Stimme aus dem Eingangsbereich des Hauses. „Komm nur näher“, forderte ihn Caterina auf und kam dem Mann freundlich, aber immer noch mit rotem Auge, auf der Diele entgegen. „Mein Meister …“, druckste der ältere Mann herum, der nun auf dem Kopfsteinpflaster der Diele stehengeblieben war, drehte verlegen seinen abgetragenen Hut in den Händen und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Als ihm die Hausherrin Caterina Eggerdes in ihrer hochgewachsenen, ehrfurchtgebietenden Gestalt entgegentrat, wurde er sogar ein wenig blass, soweit man dies gegen das helle Sonnenlicht überhaupt erkennen konnte. Der Mann wich zurück und drückte nervös seine am Hinterteil abgeschabte Hose gegen die große schöne Truhe, die in der Diele nahe dem Eingang stand. Er räusperte sich mehrmals. „Hvad er der på færde Hinrick?“ fragte Caterina und fühlte, wie sie langsam ungeduldig wurde, hatte sie doch gerade erst mit genauso wenig Erfolg versucht, ihre Freundin zum Sprechen zu bewegen. Immer wenn sie ungehalten oder aufgeregt war, wechselte sie vom Niederdeutschen ins Dänische und wer sie kannte, wusste das als Alarmzeichen wohl zu deuten.

Der Mann schwieg indessen weiter beharrlich und blieb auch verlegen und mit gesenktem Kopf an der großen und mit eindrucksvollen Schnitzereien verzierten Truhe stehen, die seit der Hochzeit von Hans Toffelmaker und Caterina Eggerdes vor ein paar Jahren unverrückt in der Diele stand. Nur die Augen des Mannes gingen weiterhin verstohlen zwischen der Hausherrin und ihrer Magd, die, als sie die dänischen Worte hörte, alarmiert hinzugetreten war, hin und her. Caterina und Abelke kannten den Mann, der da so linkisch vor ihnen stand, schon eine Weile. Hinrick Lange, so hieß er, war Geselle bei Hans Bunthmaker am „Sweinsmarkt“ und ansonsten nicht auf den Mund gefallen, besonders wenn er mit den anderen Gesellen und Knechten auf dem Rathausmarkt zusammenstand. Schließlich gab sich der Mann doch einen Ruck, holte tief Luft und entgegnete: „Ihr sollt sofort kommen, sagt die Herrin, dem Meister geht es sehr schlecht.“ Dann drehte er sich um und rannte mit seinen laut klappernden Holzschuhen aus dem Haus, ohne sich weiter um die beiden Frauen zu kümmern. Caterina und Abelke blickten dem Gesellen verwundert hinterher, wie er eilig mit seinen schweren Holzpantoffeln um die nächste Hausecke verschwand, nicht bevor er dreimal vernehmlich auf das Pflaster vor dem Haus gespuckt hatte und man ihn leise „Toi, toi, toi“ hatte murmeln hören. Caterina war verärgert über so viel Missachtung ihrer Person. Immerhin durfte sie als Frau eines ehrbaren Schleswiger Bürgers und als Schwester des Stadtvogtes ein wenig mehr standesgemäße Behandlung erwarten. Sie war es gewohnt, dass man sie, wenn sie helfen sollte, zu der kranken Person geleitete, ihr Schutz auf den Straßen gewährte und in dunklen Zeiten sogar voran leuchtete. Von diesem Entgegenkommen war jetzt wahrlich nichts zu bemerken. Obwohl sie ungehalten war, machte sich Caterina schnell, aber umsichtig an ihre Vorbereitungen und suchte gezielt einige Kräuter zusammen, wickelte sie in ihr leicht speckig anmutendes Rollmäppchen und schob sie zu den anderen Utensilien in ihre große immer bereitstehende Tasche. Ihr wichtigstes Handwerkszeug aber – ihre Hände – hatte sie naturgemäß immer dabei und im wahrsten Sinne des Wortes „griffbereit“. Auch Abelke war als ihre Gehilfin zügig fertig und stand mit ihrem hastig übergeworfenen Umhang und einem selbstgewebten Überwurf bereits vor der Tür, als Caterina sich zum Gehen anschickte. Caterina zog die beiden Türhälften hinter sich zu und beide Frauen machten sich eilig auf den Weg. Schnell überquerten sie die Lange Strate und folgten eilends ihrem steinigen und staubigen Straßenverlauf. Die alten Schleswiger Straßen und Gassen waren fast menschenleer um diese Zeit und so kamen sie zügig voran. Der Geselle Hinrick Lange war bereits aus ihrem Blickfeld entschwunden und auch das Klappern seines hölzernen Schuhwerks war nicht mehr zu vernehmen.

Obwohl die Sonne schien, war es dieser Tage doch noch ziemlich kalt und windig in den Straßen der Stadt. Zu lange hatten die dunkel wirkenden Häuser auf den Schein der Sonne verzichten müssen, so dass es sich an einigen Hausfronten bei Berührung so anfühlte, als ob sie die Kälte in ihrem Gebälk und in den Backstein- und Lehmwänden festhalten wollten. Es wurde Zeit, dass endlich der Frühling kam. Auch die wenigen Menschen auf den Straßen zogen sich mit hocherhobenen Schultern und eingezogenem Nacken in ihre Umhänge zurück und blickten fest auf den Boden vor sich hin. Caterina blinzelte kurz in die Sonne, wobei sich ihr rotgeriebenes Auge als besonders empfindlich herausstellte. Sie wickelte sich ebenfalls fest in ihren Umhang. Zusätzlich verschränkte sie ihre Arme dicht vor dem Körper, um dem Wind, der unbarmherzig zwischen den Häusern wehte, möglichst wenig Durchschlupfmöglichkeiten in ihre Unterkleidung zu gewähren, auch wenn ihr die Tasche dabei ein wenig hinderlich wurde. Abelke schien es da leichter zu haben, da sie sich, zusätzlich zum Umhang, noch mit ihrem gewebten Überwurf bedecken konnte, der offenbar weniger Wind durchlies. Außerdem trug sie unter ihren Schuhen aus reinem Rindsleder, die sie von ihrer Herrin geschenkt bekommen hatte, noch die untergeschnallten „Trippen“ aus Holz, die es ihr ermöglichten, nicht in die überall auf den Straßen vorherrschenden Unrathaufen und Pfützen treten zu müssen. Caterina hatte ihre „Trippen“ vergessen, zu sehr war sie in Gedanken über das schlechte Benehmen des Gesellen gewesen. Das bedauerte sie jetzt zutiefst, als sie die feuchte Kälte von unten heraufkriechen fühlte. In tiefes Schweigen gehüllt, was bei Abelke, wenn man sie besser kannte, in anderen Situationen schon auffällig gewesen wäre, marschierten die beiden Frauen in Richtung des Hauses des Meisters Bunthmaker am „Sweinsmarkt“. Sein auf dem schön ausgesägten Wappenschild aufgemaltes Zunftzeichen mit den zwei aufrechten Löwen, einen gekrönten Wappenpelzmantel zwischen sich haltend, war schon von weitem gut zu erkennen. Meister Bunthmaker war weit über Schleswigs Grenzen hinaus bekannt, für seine sauber verarbeiteten Felle, die oft aus feinstem Eichhörnchenpelz und anderen Wald- und Wiesentieren bestanden.

Plötzlich blieb Caterina wie angewurzelt stehen und hielt auch ihre Magd und Freundin Abelke am Überwurf ruckartig zurück. Sie hatte auf dem prächtigen Zunftzeichen des Bunthmakers zwei Raben entdeckt, die sich ihr Gefieder putzend dort niedergelassen hatten. „Als ob wir nicht schon genug Ungemach an diesem Tag haben würden“, schnaubte sie und spuckte drei Mal kräftig vor sich auf den Boden, so wie sie es kurz zuvor bei Bunthmakers Gesellen Hinrick Lange schon gesehen hatte. „Diese Raben bedeuten Unglück“, seufzte Caterina und zog Abelke zur Hinterpforte des zweistöckigen Handwerkerhauses, obwohl sie ursprünglich vorgesehen hatte, an der großen schweren Tür zu klopfen, die in die geräumige Diele des Hauses führte. Verstohlen verfolgte Caterina aus den Augenwinkeln die Raben, die sich ungestört auf dem Zunftschild gegenseitig mit ihren Schnäbeln putzten. „Dem Himmel sei Dank“, atmete sie erleichtert auf, als die leicht quietschende Hintertür des Hauses hinter beiden ins Schloss fiel, so als wären sie gerade einer großen Gefahr entronnen, die sich über ihnen zusammengebraut hatte. Abelke hatten den beiden Vögeln keine große Bedeutung beigemessen und blickte auch jetzt ihre Freundin und Herrin leicht überrascht an, sagte aber immer noch nichts. Caterina aber tastete sich durch den halbdunklen Eingang und ihr ungutes Gefühl verstärkte sich, als ihr niemand zur Begrüßung entgegenkam. Selbst Hinrick Lange war nirgendwo zu sehen, obwohl er doch das Haus lange vor ihnen betreten haben musste und um ihre Ankunft wusste. Irgendetwas an diesem Tag war so ganz anders, als er hätte sein müssen, das spürte Caterina deutlich.

[1]Eigentlich sprachen beide Frauen das typische Niederdeutsch, so wie es hier zu Lande im Schwange war. Zum besseren Verständnis wird das Gesprochene aber im Folgenden übersetzt.

Eine selbsterfüllende Prophezeiung

Caterina und Abelke gelangten auf der Hinterseite des Gebäudes sofort in den Wirtschaftsteil des Bunthmakerschen Hauses, der sie heute, obwohl er sich nicht in unmittelbarer Nähe zur Werkstatt befand, mit einer Geruchsnote empfing, die wohl am ehesten mit einem Gemisch aus muffigem Pelz, Rauch und frischem Brot zu beschreiben war. Hans Bunthmaker war auch in der Vergangenheit immer mal wieder krank gewesen. Einmal soll es so schlimm gewesen sein, dass er seine Abgaben nicht mehr zahlen konnte und seine Steuern gepfändet werden mussten. Aber irgendwie hatte er sich bisher immer wieder berappelt und seinen Kopf aus der Schlinge gezogen – ohne Caterinas Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jetzt aber musste er bedrohlich krank geworden sein. Seiner Haushaltsführung und dem Zustand des Gebäudes jedenfalls war es nicht anzusehen, dass die Menschen, die in ihm lebten, unter Geldknappheit litten. Auf der schlichteren Hinterseite des Hauses hielt sich offenbar keine Menschenseele auf. „Hallo!“, rief Caterina laut in den hinteren dunklen Teil des Gebäudes, welcher von der Straße aus der repräsentative vordere Teil war. Doch auch jetzt kam keinerlei Antwort.

Langsam spürte Caterina, wie der Ärger in ihr hochkroch. Sie hatte weiß Gott Besseres zu tun, als in ein Haus einzutreten, nachdem sie zur Hilfe gerufen wurde, um dann darin niemanden vorzufinden. Hinrick sollte ihr nur in die Finger kommen. Dem würde sie unmissverständlich ihre Meinung kundtun. Als Schwester des Stadtvogtes stand ihr wahrlich eine andere Behandlung zu. Zudem war es, auf Grund der ungünstigen Lichtverhältnisse und der bis an die Decke vollgepackten Regale, ausgesprochen dunkel hier im unbelebten Teil des Hauses und sie fror noch immer an den Füßen. Und auch Abelke scharte jetzt vernehmlich mit ihren Holztrippen auf dem gestampften Lehmboden, da auch sie langsam ungeduldig wurde. Ernst schaute sie sich im Wirtschaftsteil des Hauses um, insofern man hier überhaupt etwas erkennen konnte und kaute dabei nervös auf dem Rand ihres Überwurfes herum. „Komm“, sagte sie schließlich zu ihrer Herrin und Freundin, indem sie die Initiative in die Hand nahm, „lass uns nachsehen.“ Sie nahm einen der sauber aufgeschichteten Kienspäne vom Regal neben sich und tastete sich damit bis zur Küche im nächsten Raum vor, in der erfahrungsgemäß immer ein Herdfeuer vor sich hin glomm, bereit jederzeit neu entzündet zu werden. Hier entzündete Abelke gekonnt den Kienspan, und gemeinsam suchten sich die Frauen den Weg in den vorderen Teil des Hauses, wo sich neben dem Verkaufsraum für feingewirkte Pelze und Felle auch die Schlafkammer der Bunthmakers befand. Auch hier schien alles ruhig und verlassen.

Als Abelke schließlich vorsichtig die Tür zur Schlafkammer aufdrücken wollte, hielt Caterina sie zurück. „So etwas schickt sich nicht“, sagte sie. Doch dann blieben beide wie angewurzelt stehen, als die offensichtlich nur angelehnte Tür von allein knarzend vor ihnen aufschwang. Der ohnehin nicht sehr große Raum dahinter war fast voller Menschen, die sich zum Teil flüsternd unterhielten, so dass das Alkovenbett[2], welches an der Südseite der Kammer in die Wand eingearbeitet worden war, in der Menge kaum noch zu erkennen war. Caterina und Abelke unterdrückten ihre Verwunderung und Caterina, bei der nun sofort ihre professionelle Seite als erfahrene Heilerin ihr weiteres Verhalten vorgab, sprach laut in den Raum hinein, ohne jemand bestimmtes zu meinen, da sie weder die Hausherrin noch den Meister noch den Gesellen Hinrick Lange im Gedränge ausmachen konnte, der sie geholt hatte: „Ihr habt nach mir rufen lassen? Weshalb?“ Immer noch sprach niemand mit den beiden Frauen und ihnen wurde nur widerwillig Platz gemacht, als die beiden begannen, sich einen Weg durch das Gedränge Richtung Bett freizuschieben, in dem sie den Patienten vermuteten.

An den missbilligenden Blicken der Männer, die ihnen im Weg standen, konnten sie unschwer erkennen, dass sie hier nicht willkommen waren. Plötzlich teilte sich die Menge und auf der anderen Seite der nun frei werdenden Gasse erschien ein kleiner untersetzter Mann vor dem Bett, der mit einer aufwendig gearbeiteten blauen Kappe, einem langen und ausladendem Mantel und einem großen aus dem Mantel herausragenden Halskragen angetan war. Er trug einen vollen grauen und übermäßig langen, an den Enden leicht eingedrehten Bart, an dem ihn die beiden Frauen auch vom weiten sofort erkannten. Es war Christoffer Schmidt, seines Zeichens Arzt aus dem nahegelegenen Eckernförde. Wieder hätte Caterina gerne im hohen Bogen ausgespuckt, aber an dieser Stelle und vor den vielen Leuten verbat es sich von allein. So etwas gehörte sich in diesem ehrbaren Haus einfach nicht und würde sie und Abelke nur in Misskredit bringen. Die Feindseligkeit im Raum war ohnehin weiterhin zu spüren. So begnügte sich Caterina damit, sich dreimal unauffällig am linken Ohrläppchen zu ziehen, um das vermeintlich Böse, welches diesen Raum offensichtlich umgab, abzuwehren. Christoffer Schmidt war für die Frauen kein Unbekannter, hatte es doch des Öfteren schon so manchen unterschwelligen Zwist zwischen ihm und seiner Meinung als Arzt und Caterina gegeben, die das Auftreten des Mediziners oft als blasiert und in seinen Heilmethoden als ungenügend und wenig kenntnisreich empfunden hatte. Das hatte sie ihm aber wohlweislich nie so deutlich gesagt, da er als Mann und gut beleumundeter Arzt seine Vorteile daraus zu ziehen gewusst hätte.

Im Zimmer konnte man trotz der Ausdünstungen der vielen Anwesenden unverkennbar den süßlichen Geruch von Blut wahrnehmen, der sich deutlich über die Menge erhob, je näher man der Bettstatt kam. Der kranke Hans Bunthmaker lag auf mehreren Kissen gebettet regungslos in seinem Schrankbett. Jetzt als sie sich einen Weg durch die Menge in Richtung Bett gedrängt hatten, konnten Caterina, und Abelke den Patienten deutlich sehen. Bunthmakers Augen waren fest geschlossen und sein Gesicht war ungewöhnlich bleich. Fast hätte man erstaunt sein können, wie klein und mickrig der Mann jetzt war. Ganz anders als wenn man ihn an guten Tagen über den Sweinsmarkt hatte stolzieren sehen. Oft hatte er dabei einen auffällig großen Hut und ebensolch große Trippen unter seinen teuren Schweinslederschuhen getragen, so dass seine wahre Größe wohl nur wenigen bekannt war. Auch seinen eigentlichen Namen, der Hans Iwersen lautete und so in die Steuerlisten der Stadt eingetragen war, kannten nur wenige. Bunthmaker hatte, wie schon sein Vater in Schleswig vor ihm, Pelze von einheimischen Kleintieren verarbeitet und damit Handel getrieben. Auf diese Weise hatte er es zu einigem Ansehen gebracht. Jetzt aber wirkte er zerbrechlich, eingefallen, leicht krumm und unscheinbar auf seinem Lager.

Der Kranke zitterte, obwohl bereits mehrere Decken über ihn gebreitet worden waren. Als Caterina ihre Hand an seine Stirn hielt, obwohl der Eckernförder Arzt ihr nur unwillig Platz am Bett gemacht und sie missbilligend von der Seite betrachtet hatte, erschrak sie kurz von der schweißigen Kälte, die vom Gesicht ausging. Als sie schließlich prüfend seine knotigen und leicht krummen Hände ergriff, war ihr bereits klar geworden, was die offensichtliche Schwäche des Kranken hervorgerufen hatte. Sie musste dazu nicht mal die halbvoll mit dunklem Blut gefüllte Schüssel betrachten, die am Fußende des Betts achtlos auf einen kleinen Schemel gestellt worden war.

In diesem Moment schob der Arzt sie und Abelke wortlos und herrisch zur Seite, um seinen alten Platz zurückzuerobern und sich am Arm Bunthmakers schaffen zu machen. Offenbar wollte er seine begonnene Behandlung fortsetzen. Bevor Caterina protestieren konnte, hatte Schmidt sehr routiniert den Arm mit seiner Aderpresse abgeschnürt, genau so gekonnt die Lanzette am Arm angesetzt, um den Patienten ein zweites Mal ausgiebig zur Ader zu lassen. „Ich muss ihm noch einmal Blut aus seinem Körper ableiten, um auch wirklich sicher zu gehen, dass sich die Lähmung der Glieder zurückentwickelt und die schlechten Säfte entschwinden“, sagte er laut vernehmlich und leicht überheblich in den Raum hinein - über die Köpfe der beiden Frauen hinweg, als würde es um eine Vorführung gehen, die der hochgelehrte Mann vor seinem lernenden Publikum vollführte. Fast hätte man das Geschehene insgesamt für eine medizinische Vorlesung halten können, nur reagierte keiner der Anwesenden auf die dozierenden Worte mit einem Gesichtsausdruck des Verstehens. Auch Caterina sah beim genaueren Hinsehen jetzt Menschen im Raum, die sie aus Schleswig gut kannte, die mit Heilkunst garantiert nichts am Hut hatten und die ihr sonst zum größten Teil auch freundlicher gesonnen waren.

Caterina blickte, nach ihrer blitzschnellen Einschätzung der Lage im Raum, den Arzt mit weit offenem Mund an. Ihr fehlten inzwischen die Worte für so eine offenkundige Inkompetenz, war der Kranke doch offensichtlich bereits so entkräftet, dass jeder weitere Blutverlust zu den schlimmsten Befürchtungen Anlass geben musste. Und auch Abelke drückte vor Wut ihre Fingerspitzen so kräftig in ihre Handballen, dass die Haut ganz weiß an den Eindruckstellen wurde. Zusätzlich schüttelte sie unmerklich den Kopf. Beide hatten schon selbst oft Patienten zur Ader gelassen und waren von der Methode des Blutablassens grundsätzlich sehr überzeugt – nur nicht, wenn dadurch die Heilung verzögert oder in diesem Fall gar verhindert wurde.

Schmidt säuberte nach erfolgter Behandlung seine von altem Blut verkrustete Lanzette oberflächlich mit einem gelb-rot gefleckten Lappen, der wohl dereinst mal weiß gewesen war, und verstaute alles in seiner Tasche. Abschließend ließ er, nachdem er die Blutung gestoppt und die kleine Wunde abgedeckt hatte, ein Fläschchen Thymianöl auf dem gleichen Schemel stehen, der ihm schon vorher als Ablage des Blutauffangbehälters gedient hatte, ohne ein Wort über die Anwendung des Öls zu verlieren. Als er sich schließlich anschickte seinen ärztlichen Besuch, die beiden Aderlässe und das zurückgelassene Ölfläschchen in Rechnung zu stellen, platzte Caterina endgültig der Kragen. Zusätzlich hatte sie erst jetzt gesehen, dass auch die Frau des Bunthmakers, die offenbar den Gesellen um Hilfe zu ihr geschickt hatte, völlig verweint hinter ihr gestanden hatte, ohne sich bemerkbar zu machen und ohne sich als ihre Auftraggeberin erkennen zu geben. Da diese sich nun anschickte, völlig willenlos die Forderungen des Arztes zu begleichen, fühlte Caterina sich aufgerufen zu protestieren und den weiteren Verlauf der Behandlung selbst in die Hand zu nehmen. Ein zusätzlicher Blick auf den jetzt totenblassen und fast völlig ausgebluteten Hans