Flusspferd im Frauenbad - Jens Nielsen - E-Book

Flusspferd im Frauenbad E-Book

Jens Nielsen

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Beschreibung

Eigentlich geht es nur darum, den ersten Satz zu finden, zum Beispiel "Am Anfang stellt man vielleicht eine Faustregel auf", und schon entwickelt sich eine Geschichte. Zumindest ist das so bei Jens Nielsen. Da wird das im Alltag absurd Erscheinende völlig normal. Ein Mann will Geld beziehen, doch die Schalterhalle der Bank ist zugewachsen mit Gras, die Bankangestellten auch. Als er das Geld aus dem Bankomaten holen will, wächst auch dort Gras, das schliesslich von einer Ziege gefressen wird. Einem anderen fällt auf dem Weg zur Arbeit eine Kastanie in den Kopf. Bald wächst daraus ein Baum, Wurzeln dringen durch den Körper des Mannes und halten ihn für immer fest im Asphalt. Die Natur dringt immer wieder durch und bringt so die mechanisch funktionierende Welt durcheinander. Der Autor, Schauspieler und Sprecher Jens Nielsen legt mit diesem Band eine Auswahl an Kurztexten vor, in denen er aufzeigt, was es heisst, keine Denkverbote zu haben. Erheiternd und tiefsinnig zugleich erschliesst er mit seinen "seltenen Geschichten" neue Räume. Die rund 80 Texte wurden in der Sendung "Früh-Stück" auf SRF 2 Kultur ausgestrahlt und dauern in der mündlichen Umsetzung genau eine Minute. Umso erstaunlicher ist es, wie viel Welt und Mensch, wie viel Komik und Tragik Nielsen in dieser kurzen Form auf den Punkt bringt.

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Seitenzahl: 89

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Jens

Flusspferd

Nielsen

im

Frauenbad

edition spoken script18

1. Auflage, 2016

© Der gesunde Menschenversand, Luzern

Ⓟ Audio-Tracks: 2014-2015SRF Schweizer Radio und Fernsehen

Alle Rechte vorbehalten

 

eISBN978-3-03853-019-0

 

Lektorat

Liliane Studer

 

Herausgeber

Matthias Burki

Ursina Greuel

Daniel Rothenbühler

 

Gestaltung

hofmann.to

 

e-Book

mbassador GmbH, Basel

 

Herzlichen Dank für die Unterstützung an:

www.menschenversand.ch

Der Autor dankt der Landis & Gyr Stiftung und dem BAK für die Unterstützung.

Kleine Erzählungen

Faustregel

Doktorspiele

Luxus

Vorwärtskommen

Vorhersagen

Mein Credo

An meiner Schulter

Korrekturen

Gehorsam

Nichts Wichtiges

Interview

Transparenz

Lebenserwartung

Sichtverhältnisse

Garderobe

Dressur

Winter

Verspätung

Die Bestellung

Zwischenfall

Tatsachen über Wasser

Das Hündchen

Lebenslauf

Trennkost

Tramfahren

Verkaufsgespräch

Crashkurs Wirtschaft

Selbstverwirklichung

Möglichkeiten

Zusammenleben

Krimi

Bewerbung

Romanze

Kochkurs

Scheidungsgründe

Misserfolg

Liftboy

Im Restaurant

Globalisierung

Prophezeichnung

Entwicklung

Mobiliar

Ratschlag

Partielle Offenbarung

Tauchgang

Vermischte Meldung

Mitmachen und trennen

Autosport

Namen

Karma

Kastanien

Retrospektive

Motorik

Reportage

Frühförderung

Apéro riche

Die Kassenfrau

Seemannsgarn

Überwachung

Eine meiner Schwächen

Erinnerung

Jahrmarkt

Am Finanzplatz

Mein Befund

Doku-Soap

Dezember

Weihnachten

Kita

Guter Vorsatz

Meine Schwester

Mein Tier

Gastfreundschaft

Berichterstattung

Monokultur

Vogelschutz

Der Waldrapp

Sehnsucht

Nahrungskette

Der Storch

Verpasste Ziele

Piercing II

Faustregel

Am Anfang stellt man vielleicht eine Faustregel auf

Man sagt sie laute so

Immer der Tag in den man hineinerwacht ist der richtige Tag

Man ist gestern zu Bett gegangen

Es war Dienstag

Heute früh erwacht man

Es ist wieder Dienstag

Normalerweise wäre man verunsichert

Sollte es nicht Mittwoch sein

Dank der Regel aber weiß man

Braucht sich keine Sorgen machen

Man steht in Ruhe auf

Geht in die Küche

Begrüßt die Kinder wenn man welche hat

Die Lebensabschnittspartnerin

Man isst das Frühstück so wie gestern

Alles sieht gleich aus

Dasselbe geschieht

Und man fühlt sich irgendwie

So ist das eben

Und der nächste Tag schon Donnerstag

Während der Mittwoch ist

Nun ja

Er ist vielleicht nicht vorgekommen

In dieser Woche fehlt der Mittwoch

Vielleicht ist er in einem Käfig eingesperrt

So trinkt man donnerstags den Kaffee gleich wie dienstags

Genießt vielleicht den Augenblick

Wer weiß sind eines Morgens alle Tage eingesperrt

So denkt man sich

Dann wird es Herbst

Bevor der Frühling angefangen hat

Doktorspiele

Heute gehen wir zu Fuß zur Arbeit

So könnte man sich eines Morgens sagen

Weil es uns gut geht

Auf dem Weg dahin noch schnell zum Arzt

Wir möchten ihm zeigen wie gut es uns geht

Wir betreten eine Praxis

Gehen ohne Warten in ein Sprechzimmer

Wir sagen Hallo Frau

Der Arzt ist eine Ärztin

Das ist Zufall

Aber immerhin

Hallo Frau Doktor

Uns geht es gut

Schauen Sie nur

Und wir öffnen unser Hemd wenn sie es will

Oder wir entkleiden uns nach ihrer Anleitung

Doch sie will uns nicht mit offenem Hemd

Und sie gibt uns keine Anleitung

Sie wirkt teilnahmslos

Vielleicht zweifelt sie an unserer Gesundheit

Wir versuchen sie zu überzeugen

Sehen Sie

Wir zeigen uns von vorne und von hinten

Alles ist gesund

Hier die Kniekehlen

Sie glänzen

Und auch innen

Und wir öffnen uns

Damit Frau Doktor unser Inneres

Schauen Sie das Herz

Es schlägt

Die Leber

Der Kastanienwald

Ist alles da

Da lenkt sie ein

Jaja sagt sie

Es stimmt

Von mir aus

Sie sind ganz gesund

Und sie entlässt uns mit Attest

Damit gehen wir ins Büro

Voller Stolz

Und sind von unserer Arbeit überzeugt

Luxus

Letzten Winter

Als ich an einem schönen Ort zu Gast war

Zog ich am Morgen einen Bademantel an

Der für mich bereit hing

Und ging darin herum

So also fühlen sich die Menschen

Dachte ich

Die am Morgen nicht gleich ihre Straßenkleider anziehen

Wie ich es immer schon getan

Sondern einen Bademantel

Sie gehen durch das Haus

Setzen sich an den Küchentisch

Schauen aus dem Fenster

Trinken Kaffee

Machen Frühstück

Blättern eine Zeitung durch

Solche Menschen wissen wie man feiert

Sie feiern mit dem Tragen eines Bademantels eine Zwischenzeit

Weil das Leben wartet mit dem Überfall auf sie

Solange sie ihn tragen

Der Bademantel verlängert den nächtlichen Waffenstillstand

Denn die Haut

Als Hüterin unseres Inneren

Als Verteidigerin

Gegen alles was an uns heran will kaum sind wir aufgestanden

Diese Haut hat Pause

Solange ein Bademantel sie umgibt

Und die Menschen die ihn morgens tragen

So wusste ich jetzt

Erleben etwas

Was sie in keinem anderen Kleidungsstück erleben können

Die Illusion

Dass die Grausamkeit des Lebens

Auch die eigene

Auch die gegen sich selbst

Dass alles Grausame verloren hat

Vorwärtskommen

Soll ich heute große Schritte machen

Ja

Mit großen Schritten gehe ich meinem Ziel entgegen

Jeder Schritt ist ein Spagat

Mein Arbeitsweg besteht aus einer langen Reihe von Spagaten

Dazu werfe ich bei jedem Schritt die Arme in die Höhe

Aber ganz

Unten der Spagat und oben Hampelmann

Das sieht erfolgreich aus

Ich bin ein Großer

Das Gesicht bewege ich auch

Meine Mimik ist so groß wie möglich

Guten Tag rufe ich im Büro

Mit weit aufgerissenem Mund

Falls ich jemand bin der im Büro arbeitet

Ruft mich jemand an antworte ich laut

Hallo guten Morgen brülle ich ins Telefon

Sodass es alle hören

Meine Stimme ist gewaltig

Sie passt zu meiner allgemeinen neuen Größe

Ich arbeite mit voller Kraft

Wild entschlossen kaufe ich alles ein

Falls ich ein Einkäufer bin

Wenn ich im Verkauf arbeite werde ich alles los und mit Gewinn

Mittags gehe ich im Spagatschritt ins Büro vom Chef

Die Arme in der Höhe wie ein Star

Ich brauche mehr Gehalt

Das rufe ich laut

Und zwar bedeutend mehr

Zweihunderttausend

Oder ich kündige sofort

So verliere ich meine Stelle

Tja

Schluchzend und mit Trippelschritten gehe ich nach Hause

Wo mich meine Riesenfreundin tröstend in den Arm nimmt

Vorhersagen

Das Wetter früh am Morgen in der Wohnung

Es ist ein anderes als draußen

Wird aber vom Wetter außen mit beeinflusst

Ist es draußen Winter

Hat auch die Wohnung etwas Winterliches

Man kann den Unterschied vergrößern mit der Heizung

Oder kleiner machen

Indem man ein Fenster öffnet

Im Frühjahr kann man Erde in die Zimmer tragen

Bäume pflanzen

Gras

Auch ein Apfel auf dem Tisch bringt etwas Klima in die Wohnung

Oder Kopfsalat

Die Dusche kann man so umleiten

Dass sie in der Wohnung von der Decke regnet

Im Büro

Im Speisezimmer

Oh es regnet kann man sagen bei der Arbeit

Beim Dessert

Und einen Schirm aufspannen

Schnee ist etwas komplizierter

Damit es in der Wohnung schneit

Müsste man die unbeliebten Schneekanonen installieren

Sie schneien wirksam jede Wohnung zu

Man könnte einen Schneemann machen

Langlaufen auf kurzen Strecken

Die Tannenbäume die man angepflanzt hat wären auch verschneit

Es würde sich vielleicht ein Reh ansiedeln

Oder Füchse

Man würde warme Kleider tragen

Eine Mütze

Und der Kühlschrank könnte offen stehen

Ganz ohne Verlust

Mein Credo

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht

Aber ich muss hin und wieder meine Kampfkraft üben

Dazu setze ich mein Gebiss ein

Ich beiße kräftig zu

Ich beiße zum Beispiel den Zahnarzt

Ich beiße die Verwandten

Ich beiße wahllos ins Gemüse in der Migros-Filiale

Ich gehe sonntags in die Kirche

Und ich beiße in das Kirchengesangbuch

Oder ich zerbeiße das Lied das gesungen wird

Sagen wir der Pfarrer hat Ehre sei Gott in der Höhe angestimmt

Die Gemeinde stimmt mit ein

Auch ich singe eine Strophe oder zwei mit Inbrunst

Dann aber reiße ich die Blätter mit dem Lied heraus

Und ich stopfe sie mir in den Mund

Ich zermalme dieses Lied und singe dabei weiter

Nur versteht man nicht mehr was ich singe

Ehre sei Wer in der Höhe

Dann schlucke ich das Lied hinunter

Oder spucke aus wenn das Papier verdorben ist

So ernähre ich mich sorgfältig während des Trainings

Auch ein Stück Zahnarzt habe ich gegessen

Seither fehlt ihm etwas Finger

Durch die Beißübungen werde ich ruhig

Mir wird bewusst

Ich bin jederzeit zum Kampf bereit

Wenn ich meiner Kampfkraft wieder sicher bin

Besinne ich mich

Erinnere mein Credo

Gegen die Gewalt

Und nehme zähneknirschend teil an einem Friedensmarsch

An meiner Schulter

Es gibt eine Kuh

Sie kennt mich

Wenn es Abend wird

Steht sie plötzlich hinter mir

Und legt mir ihren Kopf

Genauer ihren Kiefer auf die Schulter

Dann hält sie still

Ich merke ihren Pelz an meiner Wange

Ihren ruhigen Atem als Geräusch

So stehen wir da

Der Rest von mir weiß andere Geschichten

Aber kaum eine ist so gut wie die

In meinem Leben gefällt mir das Schreiben mit dem Bleistift

Auch der Regen ist nicht schlecht

Wenn er langsam fällt

So langsam dass er stillsteht in der Luft

Oder in die Gegenrichtung

Wieder hochfliegt mit dem Wind

Der nicht recht weiß wohin

Sonntage sind schwierig

Da hat es oft kein Salz und keine Eier

Ich sage mir auf einem Frühstückstisch muss auch ein Ei sein

Etwas Salz

Jaja

Es gibt das Mindeste

Es gibt den Mangel

Der treibt auch an das kennt man

Viele meiner Freunde haben Eier

Haben Salz

Ich beneide sie nicht

Bin aber gerne dort zu Gast

Korrekturen

Heute Morgen Seesterne erwähnen

Von Seesternen sagen wie sie sind

Woher sie kommen

Und warum sie nicht am Himmel stehen wie die andern

Die leichte Antwort ist

Sie sind gefallen

Manchmal ist die leichte Antwort richtig

Aber stimmt sie hier

Oder sind die Sterne aufgestiegen

Dass am Anfang alle Sterne noch im Wasser waren

Doch das könnte sein

Das Meer war voll damit

Dann sagten sich die ersten

Wir probieren etwas aus

Wir tauchen auf

Wir lernen brennen

Bilden Firmament

Es begann die Hektik

Sagen wir es war so

Alles war einmal im Wasser

Sterne

Elefanten

Ameisen

Doch mit der Zeit ist einiges gegangen

Schiefgegangen

Sterne wanderten sinnlos über Land wie eine Streitmacht

Gründeten die ersten Reiche

Während Elefanten in den Himmel flogen

Sich zu Sternbildern gruppierten

Ein Fehler nach dem anderen

Wahnsinnige Ameisen bauten Straßen zu den Sternen

Um sich zu vergöttern

Später fiel alles herunter

Fing von vorne an

In Varianten

Ordnete sich so wie wir es heute kennen

Wie wir meinen es sei immer schon gewesen

Aber stimmt nicht

Manch ein Seestern weiß noch

Und erinnert sich an Zeiten

Als er Teil war von Orion

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Gehorsam

Müssen wir den Anweisungen strikte folgen die uns das Leben gibt

Wenn uns das Leben etwa sagt

Leg dich auf den Boden flach

Das Gesicht nach unten

Singe nichts

Sollte man das tun

Oder gerade nicht

Stattdessen stehen bleiben

Aufrecht

Mit dem Blick am Horizont

Und etwas summen

Beides kann das Rechte sein

Sagen wir das Leben gibt uns heute Morgen diese Anweisung

So

Steh auf

Zieh die Sonntagskleider an

Schau dich nicht mehr um

Häng die Wohnungstür aus den Angeln

Trag sie an den Fluss

Tauf die Tür auf den Namen Schiff