Nichts Weißes - Ulf Erdmann Ziegler - E-Book

Nichts Weißes E-Book

Ulf Erdmann Ziegler

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Beschreibung

Der Roman einer Generation, für die das Hereinbrechen des Computerzeitalters identisch ist mit dem eigenen Erwachsenwerden. Randscharf, raffiniert, brillant. Dies ist die Geschichte von Marleen, die sich, noch ehe sie lesen lernt, in die Welt der Buchstaben verliebt. Hineingeboren in eine erfolgreiche Werber- und Illustratorenfamilie, träumt sie früh von wahrhaft Großem: der perfekten Schrift. An der Kunsthochschule hat sie Rückenwind, kann Marleen sich selbst Kontur verleihen. Ihr Pioniergeist treibt sie voran, bald steckt sie mittendrin in der Jobwelt der Achtziger – und erliegt deren Verheißungen. Die Medien erfahren einen Schub, plötzlich geht alles rasend schnell, schon hat man den Halt verloren. Sie muss erste Rückschläge einstecken, berufliche wie private. Flexibilität ist gefragt, schon in den Anfangszeiten der Globalisierung, und Marleen gibt sich flexibel, koste es, was es wolle – in der Hoffnung, dass ihr Traum weniger flüchtig ist als die Welt, gegen die es gilt, ihn wahrzumachen.

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Seitenzahl: 323

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Dies ist die Geschichte von Marleen, die sich, noch ehe sie Lesen lernt, in die Welt der Buchstaben verliebt. Hineingeboren in eine erfolgreiche Werber- und Illustratorenfamilie, träumt sie früh von wahrhaft Großem: der perfekten Schrift. An der Kunsthochschule hat sie Rückenwind, kann Marleen sich selbst Kontur verleihen. Ihr Pioniergeist treibt sie voran, bald steckt sie mittendrin in der Jobwelt der Achtziger – und erliegt deren Verheißungen. Die Medien erfahren einen Schub, plötzlich geht alles rasend schnell, schon hat man den Halt verloren. Sie muss erste Rückschläge einstecken, berufliche wie private. Flexibilität ist gefragt, schon in den Anfangszeiten der Globalisierung, und Marleen gibt sich flexibel, koste es, was es wolle – in der Hoffnung, dass ihr Traum weniger flüchtig ist als die Welt, gegen die es gilt, ihn wahrzumachen.

Mit Nichts Weißes legt Ulf Erdmann Ziegler den Roman einer Generation vor, für die das Hereinbrechen des Computerzeitalters identisch ist mit dem eigenen Erwachsenwerden.

Ulf Erdmann Ziegler, geboren 1959 in Neumünster/Holstein. Sein Debütroman Hamburger Hochbahn war für den aspekte-Literaturpreis nominiert und stand auf Platz 1 der SWR-Bestenliste. Es folgten Wilde Wiesen. Autogeographie und der Essayband Der Gegenspieler der Sonne. 2008 wurde Ziegler mit dem Hebbel-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Frankfurt am Main. Nichts Weißes ist sein erstes Buch im Suhrkamp Verlag.

Ulf Erdmann Ziegler

Nichts Weißes

Roman

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe

des suhrkamp taschenbuchs 4472

© Suhrkamp Verlag 2011

Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlag: any.way, Günther/Hanke

Umschlagabbildung: thinkstock/iStockphoto

eISBN 978-3-518-79040-3

www.suhrkamp.de

Inhalt

Kleiner Schrei

Bleisatz

Markise

Das Gegenteil von was?

Altstadt

Müller und Schmidts

Das Kleid

Die Pomona

Ohne Binde

Weltliche Dinge

Jugendstil

Wandlung

Tempi Novi

Rien

Das Staunen

Plakatieren verboten

Schoß der Familie

Team Hamburg

Flokati

Tête

Ein Umweg

Eine Art Laienkunst

Dingbats

Kleiner Schrei

Sie schläft, und sie träumt, dass sie schläft. Sie muss nichts tun, und sie kann nichts tun. Es ist nicht auszumachen, ob sie gefesselt ist oder ob sie schwebt. Und wer da singt, welcher Chor da singt, den immergleichen Akkord ohne Pausen. Die Zeit steht still, das Schicksal hebt die Schultern und lässt sie wieder sinken. Alle Welt flüstert.

Ihr Gesicht ist schmal, aber nicht klein, man ahnt die Knochen. Die Schläfen haben einen hellen Schimmer. Ihre Nase zeigt spitz in den Himmel der Kabine. Aus dem Gedächtnis gezeichnet, würde man ihr einen schmalen Mund andichten. In der Tat hat sie helle, rotblaue Lippen von feiner Gestalt, konturiert von einem scharfen Zug, links mehr als rechts, obwohl rechts verdeckt ist durch das Kissen. Man sieht ihr die Anstrengung an, wenn man weiß, dass sie erst fünfundzwanzig ist. Wenn wir könnten, würden wir sie berühren.

Berühren, durchaus. So wie der Junge im Sitz neben ihr, der seinen Arm nach ihr ausstreckt, die Hand schon ihre Wange nachformend, dann zögert. Er streichelt sie nicht. Er lässt sich zurückplumpsen in den Sitz und schaut sich um. In seinen braunen Augen spiegelt sich die Welt, zweimal. Er wacht über sie, die schläft.

Es ist November, der Tag in die Länge gezogen, die Fensterluken weiß überblendet, kaum merklich der Eintritt in den nordamerikanischen Kontinent.

Sie verlassen das Leben, das sie kennen, und beginnen ein anderes. Davon träumt die junge Frau nicht. Sie träumt, dass sie schläft. In der einen Hälfte ihres Kopfes ist alles aufbewahrt, was sie gewollt hat, in der anderen das, was jenseits ihrer Vorstellung liegt. Die Schatten ziehen von hier nach dort. Sie, die träumt, weiß genau, was es war, das sie gewollt hat. Aber es verdunkelt sich. Bald wird man es nicht mehr erkennen können.

Der Junge betrachtet jeden, der sie anschaut. Jeder, der sie anschaut, hat die Augen des Jungen auf sich. Der Mann ganz rechts in der mittleren Sitzreihe, der seit Roissy die Akte liest. Die Frau mit dem roten Punkt auf der Stirn. Die Stewardess, die sich vielleicht Sorgen macht. Der Fette mit den roten Hosenträgern und den buschigen Augenbrauen, der jede Stunde zweimal vorbeikommt, mit einem Glas in der Hand auf dem Rückweg.

Jeder sieht, was sie nicht ist. Sie ist keine Diva, da kann man sicher sein, kein Mädchen, nicht mehr oder nie gewesen. Schwerer fällt es zu raten, wer sie sei. Sie ist Mutter, aber das weiß man nur, weil der Junge auf sie aufpasst. Sie ist doppelt abwesend, während sie träumt, dass sie träumt. Man weiß nicht, warum man zu ihr hinschauen muss. Aber man tut es.

Suchte man später nach Zeugen, würde sich ein Dutzend finden lassen. Da käme einer, der würde sagen, es habe in der mittleren, der fensterlosen Reihe eine Frau gesessen, eine Frau mit Haaren wie Gräser, die Augen eher hell mit grünen oder taubenblauen Spuren, was man gegen Morgen habe sehen können, als das Frühstück gebracht wurde. Eine, die sich nicht schminkt während so einer Reise, vielleicht nie. Weil es darauf nicht ankommt. Umso mehr habe man sie im Vorübergehen anschauen müssen, ja, er sei versucht gewesen, ihre Worte abzulauschen, Flämisch, würde der Anwalt aus Philadelphia sagen, oder Deutsch, wobei der Junge nicht unbedingt dieselbe Sprache gesprochen habe wie seine Mutter. Sie sei der Typ von Frau gewesen – obwohl »Typ« auch nicht ganz passe –, würde der Whiskytrinker sagen, den man zu kennen meint. Vielleicht aus einem Film oder von Bildern oder aus einem Cartoon, in dieser Weise. Man habe, wenn man sie ansah, sich zu erinnern versucht, für welche Geschichte sie stehe. Eine Geschichte, die man zwar kenne, aber durchaus noch einmal würde hören wollen. Überhaupt hätte man gern mit ihr gesprochen, etwas von ihr bekommen, einen Blick, zum Beispiel, oder ihr etwas gegeben, für das sie sich bedankt hätte, und wäre es im Namen des Jungen gewesen, Antoine, so rief sie ihn, als er sich auf dem Gang entfernte. Und war einer, der so hieß, nicht immer ein Held der Luftfahrt? Der Flug jedenfalls, von CDG nach JFK, verlief ohne jede Störung. Eine Boeing, die vom Himmel fällt: Eine solche Geschichte war Marleens nicht.

Einmal, würde die Frau mit dem roten Punkt sagen, die über Nova Scotia langsam im Gang auf und ab ging, habe die Mutter des Jungen einen kleinen Schrei von sich gegeben, einen kurzen, hellen und nicht sehr lauten Schrei, woraufhin der Junge nach ihr gegriffen habe. Vielleicht hatte sie schlecht geträumt. Sie, die Zeugin, aber glaube, dass die junge Frau vor dem erschrocken sei, was man beim Erwachen schaut. Dass sie erschrak vor der Wirklichkeit.

Sie habe sich diese Freaklady, der Ausdruck sei nicht negativ gemeint, sehr genau angesehen, und sie frage sich – aber das gelte für Europäer im Allgemeinen –, ob diese sich zu viel vorgenommen hatte. Statt dem Schicksal zu vertrauen. Diese Frau sei nicht vom Schicksal, sondern vom Willen gezeichnet gewesen.

Kurz vor der Landung darf man so tun, als habe man sich soeben erst bemerkt. Der Rechtsanwalt klappt seine Akte zu und fragt in Richtung der jungen Frau:

»Ihr erstes Mal in den Vereinigten Staaten?«

»Nein.«

»Urlaub?«

»Nein.«

»Business?«

»Ja.«

Der Mann stellt keine weiteren Fragen. Die Stewardess kommt vorbei und bittet ihn, den Aktenordner unter dem Vordersitz zu verstauen. Während er in den Gurt gedrückt wird, schließt er die Augen. Die Mutter presst derweil eine Hand auf die Brust des Jungen, der sie dabei verwundert ansieht. Das Flugzeug rollt noch lange weiter und ändert dabei mehrmals die Fahrtrichtung, bevor es zum Stehen kommt und ein Gong das Ende der Reise verkündet. Der Anwalt ruft: »Viel Glück!«

Die junge Frau nickt, ohne zu lächeln, und Antoine sieht ihm nach mit offenem Mund, wie er unter den Passagieren, die mit gestreckten Armen nach dem Gepäck greifen, einer von vielen wird.

Bleisatz

Dies ist der Moment, in dem aus den aufgeschwungenen Türen der Waggons Menschen heraussteigen, einige wenige, denkt man zuerst, schon Sekunden später mehr, als man zählen kann, gefolgt von dem Gefühl, dass die erwartete Person nicht dabei sei, man würde sie spüren. Auf dem Bahnsteig steht man immer falsch, vorn oder hinten, weil der Zug so lang ist, dass er die Leute am anderen Ende zu schattenhaften Winzlingen macht, und falsch in der Mitte, weil man sich hin- und herwenden muss; schon ist die Ankommende auf der Treppe verschwunden. Menschen reichen sich die Hände, höfliche und stürmische Umarmungen rechts und links. Der Bahnsteig lichtet sich. Dann, genau dort, wo Marleen wie angewurzelt steht, steigt die Schwester als Letzte aus dem Zug, ein Hauch von Madonna, und darunter ihre leichte, aber unlenkbare Mädchenhaftigkeit, Aquarellspuren von Traurigkeit in den Augen, das bemerkt Marleen sehr wohl, als die Blicke der Schwestern sich begegnen. Sie umarmen sich, als hätten sie sich Monate nicht gesehen.

Zwei Wochen zuvor, die beiden Schwestern noch zu Haus, Neuss, Pomona 133: Marleen geht auf die steinerne Treppe mit dem weißen Metallgeländer und der schwarzen Kunststoffreling zu, als das Telefon klingelt. Cristina nimmt ab, Marleen ist schon halb oben, als die Schwester ruft, »Ein Herr Wolbe für dich.« Marleen nimmt den Hörer von der Schwester durch das Metallgeländer entgegen und setzt sich auf die Treppe, die der Düsseldorfer Architekt absichtlich breit gezogen hat. Getönt hat er damals, »Kommste op emol rop un runger«.

»Hier ist Marleen Schuller.«

Wem, wenn man Großes vorhat, schüttet man sein Herz aus? Nicht einmal ihrer eigenen Mutter würde Marleen gestehen, dass sie sich berufen fühlt, eine Schrift zu entwerfen, die alle Vorzüge aller existierenden Schriften hat und alle Nachteile Buchstabe für Buchstabe überwindet. Wenn es gelänge, würde die im Vergleich aussehen wie Lego, die wie Angst, die wie geschnitzt. Eine Schrift ohne Stil soll es sein, eine Schrift, die man gar nicht bemerkt. So etwas wie die neue, weiße Ware im Supermarkt, da steht »Zucker« drauf oder »Salz«, kein Bild, nichts. Es ist auch nicht so, als hätte Marleen etwas darüber in ihr Tagebuch geschrieben, sie führt gar keins, oder unvorsichtig erwähnt in einem Brief an die Großmutter in Gruiten, das würde ihr nicht passieren. Sie ahnt, dass ihr Plan Hohn auf sich ziehen könnte, je mehr, desto weniger einer von der Sache versteht. Deshalb hat sie sich in Kassel eingeschrieben und bei Volpe um ein Praktikum beworben. Der druckt noch Bücher wie früher, der Einzige in der Republik. Sieht ein bisschen altmodisch aus das Zeug, aber macht ja nichts.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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