Nie zu alt für Casablanca - Christian Homma - E-Book
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Nie zu alt für Casablanca E-Book

Christian Homma

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Beschreibung

Eine Seefahrt, die ist tödlich ...

Schon zu Schulzeiten lehrten sie Verbrecher das Fürchten. Nun, nach fast vier Jahrzehnten, ermitteln sie wieder gemeinsam - mit Witz, Charme und einer gehörigen Portion Lebenserfahrung. Ihre Fälle führen die reiselustigen Hobbydetektive kreuz und quer über den Globus - wo auch immer das Abenteuer ruft.

Der erste Fall für die VIER - jetzt in überarbeiteter Neuausgabe:

Elfenbeinschmuggel auf einem Kreuzfahrtschiff? Für die umtriebige Journalistin Ina ist das mehr als nur eine Story. Um die Täter zur Strecke zu bringen, trommelt sie ihre alten Schulfreunde zusammen: Als Detektiv-Bande VIER haben Gero Valerius, Ina, Elli und Rüdiger damals jeden Fall gelöst. Nun, knapp vierzig Jahre und einige Schicksalsschläge später, gehen die Freunde wieder zusammen auf Verbrecherjagd. Ermittlungen auf hoher See zwischen Gran Canaria, Casablanca und Mallorca - das klingt nach Sonne, Meer und Nervenkitzel. Doch nicht nur die Detektive sind erwachsen geworden - auch ihre Fälle sind gefährlicher ...

Band 2: Nie zu alt für Venedig - Die VIER und der tödliche Heiltrank.

Band 3: Nie zu alt für Irish Coffee - Die VIER und der Schatz der grünen Insel.

Die VIER, das sind:

V - Gero Valerius: Ehemaliger Bundeswehroffizier und strategischer Querkopf.

I - Ina-Marie: Journalistin und weltoffener Freigeist.

E - Elli : Kindergärtnerin im Vorruhestand und Expertin für Verkleidungen aller Art.

R - Rüdiger: Elektroingenieur mit einem Faible für technische Spielereien.

Band 2: Nie zu alt für Venedig - Die VIER und der tödliche Heiltrank.

Band 3: Nie zu alt für Irish Coffee - Die VIER und der Schatz der grünen Insel.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autoren

Über dieses Buch

Über die Autoren

Die Hauptfiguren

Titel

Impressum

Zitat

Prolog

Teil 1 Das Wiedersehen

Karte 1

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Teil 2 Die Kreuzfahrt

Karte 2

Tag 1: Boarding

1

2

3

4

5

Tag 2: Seetag

Karte 3

1

2

3

4

5

6

Tag 3: Casablanca

Karte 4

1

2

3

4

5

6

7

8

Tag 4: Cádiz

Karte 5

1

2

3

4

5

Tag 5: Málaga/Granada

Karte 6

1

2

3

4

5

6

7

8

9

Tag 6: Valencia

1

2

Teil 3 Die Heimkehr

1

2

Ein paar Wochen später

Danksagung

Leseprobe

Weitere Titel der Autoren

Nie zu alt für Venedig

Nie zu alt für Irish Coffee

Über dieses Buch

Eine Seefahrt, die ist tödlich ...

Elfenbeinschmuggel? Für die umtriebige Journalistin Ina nicht nur eine Story, sondern auch ein Grund, ihre Schulfreunde wieder zusammenzutrommeln: Als Detektiv-Bande VIER lösten Gero Valerius, Ina, Elli und Rüdiger damals jeden Fall. Nun, knapp vierzig Jahre und einige Schicksalsschläge später, gehen die Freunde wieder zusammen auf Verbrecherjagd. Die Schmuggler nutzen ein Kreuzfahrtschiff für ihr schmutziges Geschäft – das klingt nach Sonne, Meer und Nervenkitzel. Doch nicht nur die Jugenddetektive sind erwachsen geworden – auch ihre Fälle sind gefährlicher ...

Der erste Fall für die VIER – jetzt in überarbeiteter Neuausgabe.

Über die Autoren

Christian Homma ist promovierter Physiker, Innovationsmanager und Coach und schreibt seit seiner Kindheit Kurzgeschichten. Er liebt es, Musik zu machen und zu hören, er fotografiert und reist gerne.

Elisabeth Frank ist promovierte Neurobiologin und Bioinformatikerin. Nach fünfjähriger Forschungstätigkeit in Australien arbeitet sie an Medizinsoftware in München. Sie reist viel, macht gerne Musik und engagiert sich in Frauennetzwerken für Diversität.

http://hommaundfrank.de

Die Hauptfiguren

Die Jugenddetektivgruppe VIER findet nach fast vierzig Jahren wieder zusammen, um neue Fälle zu lösen. Die Mitglieder sind:

V – Gero Valerius Fichtinger: Ehemaliger Bundeswehroffizier und strategischer Querkopf

I – Ina-Marie von Treuenfeld: Journalistin und weltoffener Freigeist

E – Eleonora (Elli) Baumgärtner-Däubner: Kindergärtnerin im Vorruhestand und Expertin für Verkleidungen aller Art

R – Rüdiger (Kwalle) Kwalkowski: Elektroingenieur mit einem Faible für technische Spielereien

Überarbeitete Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Christian Homma / Elisabeth Frank

Titel der Originalausgabe: »Nie zu alt für Casablanca« – V.I.E.R. auf Kreuzfahrt

Originalverlag: GRAFIT Verlag GmbH, Dortmund

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Leselupe-Literaturagentur, Maracuja GmbH, 47669 Wachtendonk

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Karten: © Christian Homma unter Verwendung von © Mapbox und © OpenStreetMap

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © IakovKalinin/ iStock / Getty Images Plus; eugenesergeev/ iStock / Getty Images; ArnaPhoto/ iStock / Getty Images;

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0628-5

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erscheinenden Werkes »Nie zu alt für Venedig« von Christian Homma und Elisabeth Frank.

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Ja, die Zeit vergeht und man fängt an, alt zu werden. Im Herbst werde ich zehn Jahre alt und dann hat man wohl seine besten Tage hinter sich.

Pippi Langstrumpf

Prolog

»Ina, das Auto ist hin und wir haben den Lieferwagen verloren! Gero diskutiert mit den marokkanischen Polizisten. Ich hab doch gleich gesagt, er soll sich nicht so albern verkleiden.«

Elli stand verzweifelt mitten auf einem Kreisverkehr in der brütenden Sonne von Casablanca. Schau mir in die Augen, Kleines! Pah. Der Einzige, der hier glotzte, war der Taxifahrer. Und zwar auf die hundert Euro in ihrer Hand. Das Taxi qualmte noch immer. Es stank nach Abgasen und ein gellendes Hupkonzert erfüllte die Luft.

»Sorry, ich kann auch nicht einspringen. Bin noch mit den Japanern unterwegs.«

Sie konnte Ina durch das Telefon kaum verstehen. In diesem Moment kam auch noch eine WhatsApp-Nachricht von Rüdiger. Peilsender ist hin, die Verfolgung können wir knicken. Ich geh wieder kotzen.

Dann war es also an ihr. Was hatte der Kapitän gesagt? ›Respektieren Sie die hiesigen Bräuche: Pfefferminztee und feilschen!‹ Gut, sollten sie es so haben. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ging mit den hundert Euro auf die Polizisten zu.

Teil 1Das Wiedersehen

Karte 1

1

Ina trat seufzend in die kühle Abendluft. Rüdigers Haustür fiel hinter ihr ins Schloss. Sie fröstelte und zog ihre Jacke fester um die Schultern. Der Regen hatte endlich nachgelassen, aber die Luft war noch feucht und kalt. Erde und nasses Gras. Eigentlich mochte sie diesen Geruch, aber heute erinnerte er sie nur an die Beerdigung und den Regen auf Sonjas Grab. Ina vermisste ihre Freundin. Wie schlimm musste es da erst für Rüdiger sein?

Sie hatte ihn im Kaminsessel allein zurückgelassen. Seit über einer Stunde hatte er mit einem Glas Whiskey in der Hand in das herunterbrennende Feuer gestarrt und kein Wort mehr gesagt. Er hatte alle Versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen einsilbig abgeblockt. Irgendwann hatte er sie gebeten zu gehen.

Ina war seinem Wunsch nachgekommen, auch wenn es ihr schwergefallen war. Jetzt, wo auch Rüdigers Töchter wieder abgereist waren, herrschte im Haus eine gespenstische Stille. Aber vielleicht gab ihm das die nötige Ruhe zum Trauern. Er hatte Sonja viele Jahre liebevoll gepflegt und sie würdevoll bis in den Tod begleitet.

Mit keinem anderen war Ina nach dem Abitur in so engem Kontakt geblieben. Rüdiger und später auch Sonja waren ihre besten und irgendwie auch einzigen richtigen Freunde. Als Journalistin war sie ständig auf Reisen um die ganze Welt gewesen und daher niemals lange genug an einem Ort geblieben, um je wieder solche Menschen zu finden.

Ina ging mit hängenden Schultern zum Gartentor. Zu Schulzeiten hatte sie mit Rüdiger und den anderen so viel zusammen erlebt. Was für eine verrückte Bande sie gewesen waren! Unwillkürlich hatte sie den Geruch von frisch Gelötetem in der Nase: Rüdiger, der in der Elektrowerkstatt im Keller seiner Eltern wieder etwas Irres konstruierte – den Würfel mit elektronischer Augenanzeige, den Toaster, der gleichzeitig ein Radio war. Gero, der diffizile Einsätze ausknobelte und dann mit vollem Tatendrang umsetzte. Und Elli, die ihre nächsten Verkleidungen schneiderte und mit ihrer lebensfrohen Art jeden um den Finger wickelte.

Ina konnte sie alle vor sich sehen.

Ein wehmütiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Warum nur hatten sie erwachsen werden müssen? Verdrossen trat Ina einen nassen Stein weg. Im Schein der Straßenlaterne spiegelte sich ihr missmutiges Gesicht in der Seitenscheibe ihres Mietautos.

Wo war nur die Zeit geblieben?

Inas wilde Locken standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Früher hatte sie noch Rastazöpfe getragen und diese aus Protest gegen irgendetwas alle paar Wochen in einem anderen Ton gefärbt. Jetzt überdeckte sie mit der Kolorierung die ersten grauen Strähnen.

Pah! Das waren doch nur Äußerlichkeiten, begehrte das rebellische Kind in ihrem Inneren auf. Dieses widerspenstige Mädchen wollte wieder frei und ungezügelt sein, dem Alltag entfliehen und Abenteuer erleben.

Wenn das nur möglich wäre! Wieder jung und naiv sein und die Welt erobern. Ein Schauer lief Ina über den Rücken, als ihr urplötzlich ein wunderbarer Gedanke kam.

Sie schüttelte reflexartig den Kopf. Nein, das war vollkommen absurd. Viel zu verrückt. Wie sollte so etwas funktionieren? Nach all den Jahren!

Doch jetzt war die Idee geboren. Warum auch nicht? Was konnte schon schiefgehen? Und wer, wenn nicht sie selbst, würde so etwas versuchen?

Es war an der Zeit, da weiterzumachen, wo sie vor Ewigkeiten aufgehört hatten.

2

27. März, 8:28 Uhr, bedeckter Himmel, 9,6 °C, körperliche Verfassung ausgezeichnet

Gero Valerius Fichtinger schloss zufrieden sein kleines Notizbuch. Zeit, loszugehen. Auch nach seiner Frühpensionierung bei der Bundeswehr lebte er diszipliniert:

7:30 UhrAufstehen und Morgentoilette

7:45 UhrFrühstück (Müsli, sonntags auch mal Rührei)

8:30 UhrMorgenkontrollgang durchs Dorf

9:30 UhrÜbungen im Fitnessstudio seines Hauses

10:30 UhrDuschen, danach Zeitung durcharbeiten

12:00 UhrMittagessen (meist von einem ortsansässigen Lieferservice) und ARD-Mittagsmagazin

Den Nachmittag verbrachte er nach Wochentag wechselnd. Um 22:00 Uhr war Bettruhe.

Gero warf noch einen Blick in den Spiegel. Alles bestens: groß gewachsen, immer noch gut trainiert und sein weißer Bürstenhaarschnitt war akkurat. Er zog sich die schwarze Bundeswehrjacke an. Seine Ausrüstung steckte in den praktischen Innentaschen: Portemonnaie, Handy, Schlüsselbund und das alte Diktiergerät – falls er etwas Ungewöhnliches entdecken sollte. Auch wenn das schon länger nicht mehr geschehen war, sicher war sicher.

Das Haus seiner Großmutter lag etwas höher am Rande Partenkirchens. Gero sog die klare kühle Alpenluft ein, prüfte die beiden Thermometer vor seiner Haustür auf Übereinstimmung und ging los.

Am Kirchhof brach die Sonne durch die Wolken. Der Wetterbericht hatte ein Aufklaren erst für elf Uhr angekündigt. Gero schnaubte. Warum war es so schwierig, eine exakte Vorhersage zu machen?

In der Ludwigstraße angekommen, betrachtete er die Auslagen der Bäckerei Kratzer. Wenigstens hier stimmte alles: Wie jeden Dienstag waren die Croissants im Angebot.

Der Exsoldat marschierte weiter bis zum Friedhof. An den Gräbern seiner Kameraden hielt er einen Moment inne. Der Rückweg führte über den Philosophenweg. Der gewundene Pfad durch den Hangwald mit dem einzigartigen Ausblick auf das Wettersteingebirge hob seine Stimmung stets wieder. Beim König-Ludwig-Denkmal nickte er dem Monarchen kurz zu. Dann las er wie immer seinen Lieblingsspruch von René Descartes auf einem kleinen Schild an der vorletzten Spazierbank: »... aber im Zweifel werde ich meiner selbst als eines denkenden Wesens gewiss: Ich denke, also bin ich.« Verstand über Gefühl. Gut so.

Er beendete seine Runde noch im Toleranzbereich um vier Minuten vor halb zehn. Als Nächstes war das Fitnessprogramm an der Reihe.

Um 11:46 Uhr fuhr der Briefträger mit dem Rad vor und klingelte. Ungewöhnlich. Gero markierte den soeben gelesenen Absatz in der Zeitung und marschierte zur Tür. Der Postbote hielt ihm drei Briefe entgegen, darunter ein Einschreiben. Gero setzte seine akkurate Unterschrift auf das Display des MDE-Geräts und bedankte sich.

Er betrachtete die steil geschriebenen Buchstaben auf dem Kuvert und spürte, wie seine Kopfhaut zu kribbeln begann. Er kannte diese Schrift. Für einen Moment schloss er irritiert die Augen, als er ganz unvermittelt von einer fast vergessenen Erinnerung übermannt wurde.

Ina alias VIER 2 ... Das konnte doch nicht sein! Aber sein Gedächtnis trog ihn nicht. Diese Strichführung würde er jederzeit wiedererkennen. Zudem war der Brief an ›Valerius‹ und nicht an ›Gero‹ adressiert. Seinen Zweitnamen kannten nur sehr wenige.

Er ging wieder in die Küche und legte den Brief gerade vor sich hin. Was konnte Ina nach all den Jahren von ihm wollen? Ein Einschreiben. War jemand gestorben? Sollte er den Brief überhaupt öffnen? Er erinnerte sich noch gut an ihren Streit, nach dem sie ohne Abschied auseinandergegangen waren. Das war nun fast vierzig Jahre her! Unglaublich. Davor waren er, Ina, Elli und Rüdiger eine verschworene Einheit gewesen: VIER – ihr Buchstabenkürzel. ›VIER für alle Fälle‹ – ihr Slogan. Sie hatten sich sogar Visitenkarten gebastelt. Eine Gruppe Kinder, die sich mit der Aufklärung seltsamer Begebenheiten beschäftigte.

Gero musste unwillkürlich lächeln. Was für eine einmalige Zeit! Und doch war schlagartig alles zu Ende gewesen. Inas enttäuschten Gesichtsausdruck, als er ihr seine Entscheidung mitgeteilt hatte, hatte er bis heute nicht vergessen. Sie war ohne ein weiteres Wort abgezogen. Seitdem hatte er sie nie wiedergesehen. Und auch keinen der anderen.

Gero schlitzte den Brief säuberlich auf. Er würde ihn zumindest lesen.

3

Eleonora Baumgärtner-Däubler lachte, dass ihr die Tränen kamen. Sie saß mit zwei Freundinnen beim Frühstück, das eher schon zu einem Brunch geworden war. Aber das störte niemanden. Sie war Kindergärtnerin in Teilzeit, ihr Sohn war aus dem Haus und ihr Mann war als Archäologe wieder einmal irgendwo in der Welt unterwegs.

Elli liebte diese Tage, an denen sie in ihrem rustikalen kleinen Häuschen ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen konnte: den Garten pflegen, für einen guten Zweck backen oder sich mit Freundinnen treffen. Und wenn sie auf ihren kleinen Enkel aufpassen konnte, war sie besonders glücklich.

Heidi berichtete gerade detailliert den neuesten Kirchheimer Klatsch, als es an der Tür klingelte.

»Erwartest du noch mehr Besuch?«, fragte Doro überrascht. »Dann nehme ich mir lieber noch das letzte Stück Torte, bevor es sich jemand anderes schnappt.«

Elli ging nach draußen und kam mit einem Einschreiben zurück. Kein Absender, seltsam. Sie öffnete den Brief und hielt die Luft an, als sie die wenigen Zeilen gelesen hatte. Das konnte doch nicht wahr sein! Nach all der Zeit! Ihre Augen wurden feucht.

»Was ist los?«, fragte Heidi besorgt.

Erst jetzt bemerkte Elli die Stille um sie herum. Mit einem breiten Lächeln wandte sie sich den beiden anderen zu. »Ihr werdet es nicht glauben! Ich habe nach Jahrzehnten einen Brief von einer meiner besten Schulfreundinnen bekommen!«

»Das ist ja eine Überraschung!«, platzte Doro heraus. »Was schreibt sie denn?«

»Wartet, ich lese es euch vor:

Liebe Elli,

wenn ich rufe, trällern reizende Elstern frei fliegend einen Nachtgesang. Und neulich saßen ab Mitternacht 7 Abiturienten pausenlos redend im leeren Biergarten. Es ist vermutlich 1 Unding: Meine 10 neuen Angestellten chartern heute 13 Urlaubsflieger.

Herrlicher Ringelpiez!

Ina«

Elli amüsierte sich köstlich über die verdutzten Gesichter der anderen. Sie konnte es nicht fassen, dass sie ihre Jugendfreunde nach so vielen Jahren wiedersehen würde!

Heidi nahm ihr den Brief aus der Hand, konnte aber mit dem Kauderwelsch offensichtlich nichts anfangen und gab das Schreiben achselzuckend an Doro weiter. »Elli, willst du uns bitte mal erzählen, was es damit auf sich hat?«

»Entschuldigt bitte, ich bin noch ganz überwältigt! Ihr müsst nur die ersten Buchstaben jedes Wortes lesen: ›Wir treffen uns am siebten April bei V1 – also Versteck 1 – um zehn nach dreizehn Uhr!‹. Wir hatten als Jugendliche eine Clique. Ich habe euch doch schon mal davon erzählt: ›VIER für alle Fälle!‹. Und jetzt lädt uns Ina zu einem Treffen ein!«

»Na ja, zumindest dich«, entgegnete Doro.

»Nein, da kennst du Ina nicht.« Elli schüttelte energisch den Kopf. »Sie wird diesen Brief nicht geschrieben haben, bevor sie uns alle ausfindig gemacht hat!«

4

Rüdiger saß schon seit dem Morgengrauen am Küchentisch. Mehr nicht. Er saß einfach nur da.

Wie jeden Abend hatte er auch gestern der erlöschenden Glut im Kamin zugesehen. Er war Sonjas Idee gewesen, sie hatten das offene Feuer beide geliebt. Sogar an warmen Tagen hatten sie es manchmal angezündet, nur um auf der Couch aneinandergekuschelt sitzen und weltvergessen in die Flammen schauen zu können. Das waren die Momente, für die es sich besonders zu leben gelohnt hatte.

Doch nun musste er allein nach oben gehen, wenn die Glut schwarz geworden war. Dort lag er in dem großen kalten Bett und fand stundenlang keinen Schlaf. Sein Leben war glücklich gewesen. Und nun war alles vorbei. Ina hatte ihm nach Sonjas Tod noch Gesellschaft geleistet. Aber jetzt, wo sie wieder in Berlin war, war er so einsam wie noch nie in seinem Leben.

Die Küchenuhr tickte leise monoton vor sich hin, doch in seinem Kopf schien sie schallend laut jede Sekunde gehässig auszukosten. Auf der Anrichte stand eine Tasse mit Pulverkaffee. Das Wasser, das er dafür gekocht hatte, war allerdings längst wieder kalt.

Das Läuten an der Tür riss Rüdiger aus seiner tiefen und dunklen Versenkung. Er wollte niemanden sehen. Einige Sekunden später klingelte es wieder, diesmal etwas energischer. Mit einem tiefen Seufzen stemmte er sich widerwillig aus seinem Stuhl. Es fühlte sich an, als wäre er in den letzten Tagen um Jahrzehnte gealtert. Mühsam schlurfte er zur Haustür. Sein Blick fiel in den Wandspiegel. Er erschrak. Ein Gespenst blickte ihm entgegen. Sein Gesicht war schneeweiß, seine Wangen eingefallen, die Augen hatten tiefe schwarze Ränder. Die Kleidung hing ungewohnt an ihm herab und sein schütteres Haar stand wirr in alle Richtungen. Wer war dieser traurige gebrochene Mann?

Als es erneut klingelte, riss er sich von seinem Anblick los und öffnete die Tür.

Ein junger Postbote sah ihn ungeduldig an. »Herr Kwalkowski? Ein Einschreiben für Sie.«

Rüdiger spürte, wie sich ihm die Brust zuschnürte. Derartige Briefe hatten in den letzten Jahren nur schlechte Nachrichten enthalten: Arztbriefe, Versicherungsschreiben, notarielle Dokumente – Sonjas Sterbeurkunde. Was konnte jetzt noch kommen?

Nachdem der Postbote durch das quietschende Gartentor verschwunden war, betrachtete Rüdiger überrascht die Adresse. Postkarten mit dieser Handschrift waren aus der ganzen Welt bei ihnen angekommen. Aber wieso schickte ihm Ina plötzlich ein Einschreiben?

Seine Hände zitterten ein wenig. Er schlich in die Küche zurück, wo er sich wieder schwer auf seinen Stuhl fallen ließ und den Brief las.

Lieber Kwalle –so nannten ihn nur Ina und einige ehemalige Schulfreunde. Langsam wanderten seine Augen über die wenigen Zeilen.

Wie lange war das her?

Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit ab. Das waren noch Zeiten gewesen, als er mit den anderen durch das Viertel gezogen war und sie Kriminalfälle gelöst hatten! Zumindest waren es in ihren Augen welche gewesen. Wobei man rückblickend die Sache mit dem entführten Rassehund und die mit der verschwundenen Madonna schon so nennen konnte. Dafür hatten sie die Diebe bis nach Irland verfolgt. Und die VIER-Bande hatte alles auf ihre ureigene Art gelöst.

Ganz tief in seinem Innern glomm ein vager Rest der Gefühle auf, die ihn damals erfüllt hatten: Ausgelassenheit und Freundschaft. Ach, waren sie jung gewesen!

Rüdiger fühlte ein wenig Wehmut in sich aufsteigen. Was hatte sich Ina nur jetzt wieder ausgedacht? Er schüttelte den Kopf. Zwischen ihren Reisen war sie immer wieder wie ein warmer Wirbelwind mit neuen fantastischen Geschichten aufgetaucht. Sie war ein Teil seiner Familie, der verrückteste.

Ohne die Mühe, die er vorhin noch empfunden hatte, stand er auf und ging zur Anrichte, um das Datum für ihr Treffen in seinen Wandkalender einzutragen. Dabei blieb Rüdigers Blick an seinem Spiegelbild im Glasschrank hängen. Bestürzt hielt er inne, als ihn erneut die vom Leid gezeichnete bleiche Gestalt anstarrte. Seine Schultern sackten nach vorn und er schüttelte den Kopf. Keiner konnte die Vergangenheit wiederbeleben, nicht einmal Ina. Traurig schlurfte er zum Tisch zurück, zerknüllte den Brief und warf ihn resigniert in den Mülleimer.

5

Ina stellte das Mietauto vor ihrem ehemaligen Gymnasium ab. In ihr hielten sich Vorfreude, Übermut und Sorge die Waage. Sie hatte sich große Mühe gegeben, einen Fall zu recherchieren, der VIER würdig war. Aber konnte sie damit Rüdiger aus seinem tristen Dasein herausholen? Würde es funktionieren, wenn sie nach all der Zeit wieder zusammen waren, oder hing sie nur einer romantischen Kindheitsfantasie nach? Ja, kamen die anderen überhaupt?

Egal, jetzt gab es kein Zurück mehr.

Sie stieg aus und schüttelte ihre wilde Mähne im lauen Föhnwind. Unerwartet starke Gefühle stürzten auf sie ein, als sie vor ihrer alten Schule stand. Der Anstrich war erneuert worden und ein Anbau am linken Flügel hinzugekommen. Eigenwillige Graffiti der Abschlussklassen schmückten den Schulhof und die Mauer. In der Stille des Samstagnachmittags wirkte alles wie das Standbild eines Videofilms. Jeden Moment konnten die großen Türen aufspringen und die Schüler in einem Pulk herausgerannt kommen.

Wie oft waren sie damals mit dem letzten Schulgong zu ihren Rädern gestürzt und für eine kurze Lagebesprechung zu ihrem Versteck gefahren?

An diesem unerwartet milden Frühlingstag ging Ina an der Isar entlang. So viele Erinnerungen! Das kleine Waldstück an den Isarauen, das früher Versteck 1 beherbergt hatte, gab es immer noch. Das hatte sie auf Google Maps vor dem Schreiben der Briefe an ihre alten Freunde schon sichergestellt. Aber von der damaligen Abgeschiedenheit war nicht mehr viel zu spüren. Ein Spazierweg führte jetzt in der Nähe vorbei und ein Kinderspielplatz war nur einen Steinwurf entfernt.

Ohne auf die Blicke einiger Fußgänger zu achten, kämpfte sie sich durch das Gebüsch und entdeckte tatsächlich die alte Lichtung. Versteck 1 war etwas zugewachsen, aber eindeutig noch zu erkennen. Ina blickte sich glücklich um. Waren das etwa die großen Sitzsteine, die sie damals von der Isar hochgeschleppt hatten? Sie trat ein paar Brennnesseln flach, setzte sich und schloss die Augen. Allmählich wurde sie ruhiger. So hatte sie hier früher oft gesessen und das Rauschen des Flusses genossen, während Gero den neuesten Schlachtplan vor ihnen ausgebreitet hatte. Sie lächelte. Wie hatte sie diese Zeiten geliebt!

Die Turmuhr schlug ein Uhr. Sie hatten sich immer um zehn nach eins getroffen. Genug Zeit, seine Sachen zu packen, zu den Rädern zu rennen und hierher zu fahren. In wenigen Minuten wusste sie, ob ihr Plan funktionierte.

***

Ina sprang bei einem Geräusch im Gebüsch hinter ihr auf. Gero! Auf die Minute pünktlich. Selbstverständlich. Bis auf den knackenden Ast war er geräuschlos durchs Dickicht gekrochen.

»Peinlich! Das wäre mir früher nicht passiert«, echauffierte er sich. »Ich werde gleich einen Übungsplan zusammenstellen. Wird uns allen guttun.«

War Gero etwa nur äußerlich älter geworden?, schoss es Ina durch den Kopf, während sie amüsiert lächelte. Sein Gesicht war deutlich kantiger, die schneeweißen Haare standen ihm gut. Aber noch immer hatte er diese lebhaften blauen Augen und die fast vornehme Ausstrahlung. Und offensichtlich seine Pedanterie.

»Hallo Gero!« Bevor sie ihn richtig begrüßen konnte, brach Elli wie ein Tornado durchs Gebüsch.

Sie schnaufte heftig. »Ihr seid wirklich da! Unglaublich! Alles hier ist fast so wie damals. Nur ein bisschen enger. Wobei, das kann auch an mir liegen. Toll schaust du aus, Ina. Aber wo sind deine Rastalocken? Und wie hast du meine Adresse rausgekriegt? Gero, wie geht’s dir denn? Die weißen Haare stehen dir!«

Sie hatte kein einziges Mal Luft geholt, geschweige denn Zeit für eine Antwort gelassen. Währenddessen nestelte sie einen Zweig aus ihrer Dauerwelle. Dann fiel sie erst Ina und anschließend Gero um den Hals.

»So schön, euch endlich wiederzusehen!«

»Toll, dass du gekommen bist, Elli!«, freute sich Ina. »Ist eine Ewigkeit her.«

Die beiden waren innerhalb kürzester Zeit in ein intensives Gespräch über die Geschehnisse der vergangenen Jahrzehnte vertieft.

»Wo bleibt eigentlich Rüdiger?«, fragte Gero nach einer Weile mit missbilligendem Blick auf seine Uhr. »Er hätte doch schon vor fünfzehn Minuten hier sein sollen.«

»Ja, was ist mit Kwalle?«

Elli verwendete ganz selbstverständlich den alten Spitznamen ihres Teamkameraden, bemerkte Ina. Sie selbst hatte ihn schon lange nicht mehr so genannt.

»Eleonora, wir sind doch keine Kinder mehr!« Gero hatte Namensverunglimpfungen schon immer verabscheut.

»Du warst mal Kind, Gero?«, konterte Elli neckisch.

Ina seufzte. »Ich hoffe, er kommt.« Dann erzählte sie von Sonjas Krankheit und Sterben.

Elli schlug die Hand vor den Mund und auch Gero versteifte sich etwas.

»Ich hatte gehofft, Rüdiger mit unserer alten Bande wieder etwas Lebensmut geben zu können. Aber vielleicht hat er es nicht geschafft. Er war in letzter Zeit ...«

»Papperlapapp!«, kam es da aus dem Gebüsch. »Musste nur erst einen Parkplatz finden. Mit den Rädern war es deutlich einfacher.«

Dann stand Rüdiger in voller Größe auf der Lichtung und strahlte sie an. Ina sah allerdings, dass sein Mundwinkel etwas zuckte und er rasch eine kleine Träne wegzwinkerte. Sie wusste in diesem Moment, wie schwer es für ihren Freund gewesen war, hierher zu kommen.

Elli stieß einen Freudenschrei aus und schloss Rüdiger in eine innige Umarmung. Als sie ihn nur wenige Minuten später wieder losgelassen hatte, streckte ihm Gero etwas unbeholfen die Hand entgegen.

Ina schmunzelte. Nein, Gero hatte sich definitiv nicht verändert.

Rüdiger ignorierte die Hand jedoch, zog ihn zu sich heran und klopfte ihm kräftig auf den Rücken. Dann wandte er sich zu Ina. »Du wunderbare Freundin!«, raunte er mit erstickter Stimme und nahm sie in die Arme.

»Perfekt!«, konstatierte Gero. »Dann sind wir ja alle wieder komplett. Und um was geht’s in unserem neuen Fall?«

»Hast du noch alle Tassen im Schrank?«, rief Elli entrüstet. »Wir haben uns über dreißig Jahre nicht gesehen und du redest von einem neuen Fall? Ich möchte doch erst einmal wissen, wie es euch so geht. Habt ihr geheiratet? Kinder?«

»Ja und nein«, erwiderte Gero stoisch. »Noch etwas?«

»Hey, ihr beiden. Nun mal langsam«, ging Ina lachend dazwischen. »Was haltet ihr davon, wenn wir uns in Ruhe woanders weiterunterhalten?« Sie freute sich wie ein Kind. VIER waren wieder vereint!

»Gute Idee«, stimmte Gero zu, dann rezitierte er: »Leise arbeiten sieben Schwestern tagelang. Und niemand sieht in nördlichen Ebenen irgendeinen nahenden Clown. Am fertigen Engel geigen Elfen himmlisch eure Namen!«

Die drei schauten ihn verdutzt an. Gero hob erwartungsfroh die Brauen. Als ihm keiner antwortete, schüttelte er missbilligend den Kopf. »Unsere Geheimsprache kommt auch auf den Übungsplan.« Dann übersetzte er, wobei er jede Silbe extra deutlich betonte: »Lasst-uns-in-ein-Ca-fé-ge-hen!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schlug er sich ins Gebüsch. Als Ina sah, wie sich Elli bei Rüdiger unterhakte und ihn leise aufforderte: »Soll er doch rennen! Erzähl mir lieber von Sonja«, schloss die Journalistin kurzerhand zum Exsoldaten auf.

Es war surreal, als sie wieder auf den Weg hinaustraten. Für einen Moment hatte Ina sich in der Zeit zurückversetzt gefühlt, aber nun war sie wieder in der Gegenwart angekommen. Sie schlenderte neben Gero her die Isar entlang. Es war klar, dass er ihr altes Stammcafé ansteuerte.

Das tiefblau schimmernde Gewässer floss gemächlich dahin und die Nachmittagssonne warf ein wechselndes Schattenspiel durch die Bäume auf den knirschenden Kies. Es herrschte reges Treiben auf dem Spazierweg.

Nach ein paar Minuten beschloss sie, den ersten Schritt zu machen. »Du hast eine beeindruckende Karriere beim Bund gemacht«, wandte sie sich zögernd an Gero.

»So?«

»Ich habe ein bisschen recherchiert, was aus euch geworden ist.«

Keine Antwort.

»Und deine Jacke steht dir wirklich gut.«

Gero ging stoisch weiter, ohne sie anzublicken.

»Gero Valerius!«, rief sie scharf. »Ich weiß, wir haben uns gestritten. Und ich habe keine Ahnung, ob du dieses Bundeswehroutfit angezogen hast, um mich zu provozieren. Geschweige denn weiß ich, wie ich eine Konversation mit dir beginnen soll. Also sei bitte so nett und sag was!«

Er drehte sich um. Ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund. »Ich werde dich doch wohl ein bisschen zappeln lassen dürfen, nachdem du mich damals einfach hast stehen lassen.«

Das war richtig. Am Abend ihrer Abiturfeier hatte Gero den Freunden eröffnet, dass er eine Karriere als Soldat einschlagen würde. Für Ina war das unerträglich gewesen, da sie nicht nur eine harte Kindheit als Tochter eines cholerischen Generals hinter sich hatte, sondern auch entschiedene Pazifistin war. Sie hatte ihn angeschrien und auf dem Absatz kehrt gemacht. Seitdem hatten sie sich nicht wiedergesehen.

Ina hatte Gero damals keine Chance gegeben, sich zu erklären. Also hatte sie seine heutige Reaktion vermutlich verdient, dennoch konnte sie das nicht einfach auf sich sitzen lassen und boxte ihm in die Seite. »Musst du immer so verdammt überlegen sein?«

»Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen, ...«

»... und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen«, vollendete Ina das Zitat des mittelalterlichen Philosophen. Ja, es war Zeit, diesen Streit zu begraben und ihre alte Freundschaft wieder aufzunehmen.

Gero ging weiter. »Du hast einige ausgezeichnete Artikel geschrieben.«

»Wie bitte?« Der plötzliche Themenwechsel verwirrte sie.

»Ich habe sie alle gelesen: deine Abhandlungen für den National Geographic, die Kolumne in der Berliner Zeitung, sogar deinen Naturschutzblog vor ein paar Jahren.«

»Aber ... du hast dich nie gemeldet.«

»Du auch nicht.«

Darauf wusste sie nichts zu entgegnen. Vielleicht würden sie später noch einmal über die Vorfälle von damals reden müssen. Für den Moment war das Kriegsbeil begraben.

Ina blickte sich nach den beiden anderen um, die in einiger Entfernung hinter ihnen hergingen. Es war unglaublich: Schon an der Art, wie Rüdiger sich plötzlich bewegte, konnte sie erkennen, wie gut ihm das Treffen mit den Freunden von damals tat. Und als sie ihn herzhaft lachen hörte, wusste sie, dass sie richtig gehandelt hatte.

***

In dem deutlich modernisierten Café Greitinger steuerten sie wie selbstverständlich die Ecke an, in der sie auch früher immer gesessen hatten. Ein stetiges Gemurmel der Gäste erfüllte den Raum.

Ina bestellte sich ein Pistazientartufo und einen Latte macchiato. Gero nahm nur einen doppelten Espresso, da Banana Splits sehr zu seinem Leidwesen aus der Mode gekommen waren. Rüdiger orderte wie eh und je eine heiße Schokolade zu seinem Croissant. Nur Elli konnte sich nicht recht entscheiden und wählte schließlich aus der Auslage eine Mohnschnitte und eine Trüffeltorte zu ihrem Milchkaffee.

Nun würde Teil zwei ihres Plans folgen. Ina war glücklich und aufgeregt zugleich.

»Liebe VIER-Freunde«, begann sie feierlich und strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. »Ich habe euch einbestellt, weil es einen neuen Fall für uns zu lösen gibt.«

»Wusst’ ich’s doch!«, entfuhr es Gero.

»Das ist nicht dein Ernst!« Elli hatte gerade ein Stück Kuchen in den Mund geschoben und verschluckte sich fast daran.

»Ich muss ein bisschen ausholen«, erklärte Ina. »Vor ein paar Jahren habe ich einen Artikel über Elfenbeinschmuggel geschrieben ...«

»National Geographic, Ausgabe 3/2012, Seite fünfundsechzig. Ein sehr gut recherchierter Bericht.«

Rüdiger schaute Gero verdattert an. »Hast du die Zeitschrift auswendig gelernt, oder was?«

»Lieber Rüdiger, wie du dich vielleicht erinnerst, habe ich ein eidetisches Gedächtnis.«

Rüdiger rollte die Augen. Gero hatte ihnen schon zu Schulzeiten endlose Vorträge darüber gehalten, warum er sich Dinge sehr detailliert und dauerhaft einprägen konnte. Er hatte erst damit aufgehört, als Rüdiger ihn konsequent auf sein ›Eidechsengedächtnis‹ angesprochen hatte.

»Wie ich sagte, Elfenbeinschmuggel«, fuhr Ina fort. »Für einen Bericht über Miethaie wiederum habe ich kürzlich den Immobilienmakler Dr. Mathias Schlüter interviewt. Ekelhafter Typ, aber sein Zuhause hat ein interessantes Interieur. Ich hatte das Privileg, ihn dort zu treffen. Auf einer Kommode in seinem Arbeitszimmer stand eine Skulptur in gelblichem Weiß, die sofort mein Interesse geweckt hat. Ich habe Schlüter also gebeten, mir doch ein Glas Wasser aus der Küche zu holen. Das gab mir Zeit, die Statuette genauer unter die Lupe zu nehmen: Oberflächenbeschaffenheit, Maserung und so. Anhand der Winkel der Maserung kann man nämlich erkennen, ob es sich um Elefanten-‍, Mammut- oder Mastodonelfenbein handelt.«

Elli fragte mit vollem Mund: »Masto-was?«

»Mastodon.« Rüdiger hatte schon in ihrer Jugend ein fabelhaftes Wissen über prähistorische Lebewesen gehabt. »Mastodonten gehören zu den Mammuten und sind vor etwa zehntausend Jahren ausgestorben. Aber warum ist das wichtig?«

»Weil Gegenstände aus Mammut- oder Mastodonzähnen völlig legal sind! Im nördlichen Russland findet man heute viele eiszeitliche Mammutskelette. Aber das Elfenbein, das man aus ihnen gewinnt, lässt sich nicht so leicht verarbeiten. Deshalb ist es bei den ›Kennern‹«, sie malte mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft, »nicht so beliebt.«

»Und die Skulptur war aus echtem Elfenbein?« Rüdigers Frage klang wie eine Tatsache. Er machte große Augen. Offenbar begann er sich für die Sache zu interessieren.

Ina freute sich. »Exakt! Was hätte ich nun tun sollen?«

»Ihn anzeigen!« Elli, pragmatisch wie eh und je.

Die Journalistin schüttelte den Kopf. »Mehr als eine Geldstrafe wäre da nicht drin gewesen. Nein, ich will an die Hintermänner. Ich halte den Handel mit Elefantenzähnen für verabscheuungswürdig. Jeder, der da mit drinsteckt, gehört ins Gefängnis.« Die Journalistin blickte ernst in die Runde. Wieder Freude in Rüdigers Leben zu bringen, war ein Teil ihres Plans. Aber sie wollte diese Dreckskerle wirklich dingfest machen. Ina lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Was glaubt ihr, wie viele Elefanten dafür jedes Jahr illegalerweise getötet werden?«

»200?«

»1.000?«

»20.000.« Gero sprach bedrohlich leise. »Wie gesagt, ich habe deine Artikel gelesen.«

»Sehr richtig.« Ina ballte die Fäuste. »Die Bestände in vielen afrikanischen Ländern sind schon drastisch reduziert und niemand scheint dem Herr zu werden. Ich will die Chance nicht ungenutzt lassen, wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten. Und ich hoffe, ihr werdet mir dabei helfen.« Die Journalistin las Entschlossenheit in den Gesichtern ihrer alten Kameraden. »Den ersten Schritt habe ich schon getan. Im Interview mit diesem Schlüter habe ich mich zwischendurch einfach mal so bei ihm erkundigt: ›Wo haben Sie eigentlich diese schöne Elfenbeinstatue her?‹ Und Schlüter antwortete ganz automatisch: ›Von der Galerie‹, bevor ihm überhaupt bewusst geworden ist, was ich ihn gefragt hatte. Mann, ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, als ihm auffiel, was geschehen war. Er hat mich hochkantig hinausgeworfen.« Sie lachte. »Aber das war egal. Ich hatte, was ich wissen wollte.«

»Von der Galerie«, sinnierte Gero. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es hier eine Galerie gibt, die illegales Elfenbein verkauft!«

»Angebot und Nachfrage.« Ina zuckte die Achseln.

Gero schien nur halb überzeugt. »Schön und gut, aber wie soll es deiner Meinung nach jetzt weitergehen? Möchtest du einfach irgendwelche zufällig ausgewählten Galerien abklappern?«

»Natürlich nicht! Ich habe schon recherchiert. Schlüter sammelt einiges an Kunst und rühmt sich, nur in Münchner Galerien einzukaufen. Ich konnte den Kreis schlussendlich auf drei einschränken, die unter anderem auf afrikanische Kunst spezialisiert sind und entsprechende Handelsverbindungen haben könnten. Dort würde ich es als Erstes versuchen.«

»Mit ich meinst du vermutlich wir?«

»Richtig, Gero. Ich bin zwar keine Berühmtheit, aber wenn es der Zufall will, fliege ich als Reporterin auf und kann mir mein Vorhaben abschminken! Also müsst ihr ran und ein bisschen tricksen.« Sie hielt inne und warf Elli einen fragenden Blick zu.

Die hatte mittlerweile ihre beiden Kuchenstücke vertilgt und sich zufrieden in ihrem Stuhl zurückgelehnt. Nun hob sie abwehrend die Hände. »Was, ich? Nein, Ina. Ich finde das auch schrecklich, aber ich kann sowas nicht. Seit Schulzeiten habe ich nicht mehr geschauspielert.«

»Elli, du bist perfekt für die Rolle!«, insistierte Ina. »Du musst nur herausfinden, ob die Leute in einer der Galerien irgendetwas auf dem Kerbholz haben. Wer so lange Kindergärtnerin war wie du, kann doch bestimmt jedem an der Nasenspitze ablesen, ob er schwindelt.«

Gero fuhr dazwischen: »Sollte das nicht jemand übernehmen, der Ahnung von Kunst hat?«

Das saß.

Elli richtete sich zu voller Größe auf. »Alles klar, Ina. Kein Problem. Ich mach das.«

»Perfekt!«, strahlte Ina. Gero hatte ihr ungewollt in die Karten gespielt. Jetzt musste sie nur noch Rüdiger einbinden, der schon wieder verdächtig leise geworden war und einen abwesenden Gesichtsausdruck bekommen hatte. »Elli, du brauchst auf jeden Fall einen Partner, um glaubhaft rüberzukommen. Und deswegen wird Kwalle den braven, wohlbetuchten Ehemann mimen!«

Rüdiger erwachte aus seiner Trance. »Ich?«, fragte er erschrocken. »Wozu soll das denn gut sein?«

»Ihr beide tretet als neureiches Ehepaar auf, das eine größere Summe Geld in eine Elfenbeinstatue investieren will«, erklärte Ina euphorisch.

»Mensch, ich kann doch gar nicht schauspielern. Ich hab früher nur die Bühnentechnik gemacht!«

»Stimmt, je mehr es geknallt und gestunken hat, umso besser, nicht wahr?«, erinnerte sich Elli begeistert. »Aber stell bloß dein Licht nicht so unter den Scheffel! Ich werde nie deinen Auftritt als Romeo vergessen!«

»Ach, ich bin doch bloß für ein paar Proben eingesprungen, weil Theo krank war.«

Dieses Argument ließ Elli nicht gelten. »Ich fand dich auf jeden Fall gut und ich gehe mit niemand anderem hin außer dir. Ende der Diskussion!«

Innerlich jubelte Ina. Es hätte nicht besser laufen können, wenn sie sich im Vorfeld mit Elli abgesprochen hätte.

»Dann bin ich ja wohl überstimmt«, gab Rüdiger schließlich auf, lächelte aber dabei.

»Klasse! So mag ich euch.« Ina klatschte in die Hände.

»Sagt mal, seid ihr von allen guten Geistern verlassen?« Gero wirkte zornig.

Ina zuckte zusammen und fixierte ihn. Bitte mach nicht alles kaputt, wo es gerade so gut lief, flehte sie innerlich.

»Ihr wollt euch einfach lustig verkleiden und in Galerien marschieren, um nach Elfenbein zu fragen? Ich bitte euch! Wir sind doch keine elf mehr! Wir sind erwachsen und können nicht einfach so tun, als wäre immer noch alles wie früher.«

»Wir haben früher so getan, als wären wir erwachsen, warum dann heute nicht umgekehrt?«, parierte Elli mit ihrer seit jeher ureigenen Logik.

Rüdiger kam ihr zu Hilfe: »Und denk an meinen alten Spruch: Versuch macht kluch. Jetzt hat uns Ina schon alle zusammengetrommelt, dann lass uns auch rausfinden, wie gut wir noch sind!«

»Gut?«, zweifelte Gero. »Ohne Trainingseinheiten wird das bestimmt ein Fiasko: schleichen, Geheimsprache, Maskierung, Knoten, Taschenspielertricks ... das habt ihr doch bestimmt alles verlernt.«

»Gero, entspann dich! Du hast uns damals bis zum Umfallen üben lassen. Ich wette, das können wir alles noch im Schlaf. Außerdem werden wir in der Galerie kaum Entfesselungstricks brauchen. Und Ina wird sicher auch für dich noch eine spannende Aufgabe haben.« Alle kannten Geros wunden Punkt: Er hasste es, übergangen zu werden.

»In der Tat. Ich brauche nämlich einen Bodyguard«, erklärte Ina ohne Umschweife.

»Wie bitte?«, fragte Gero perplex.

»Ich möchte ein paar Geschäfte in der Schwanthalerstraße abklappern. Vielleicht hat dort jemand einen Tipp für uns, wie und wo man in München an Elfenbein kommen kann. Da hängen teils fiese Gesellen rum. Aber du glaubst nicht, was man denen für ein paar Scheine in der richtigen Farbe alles entlocken kann.«

»Und wo nimmst du diese bunten Scheinchen her?« Gero hatte angebissen.

»Seitdem ich eine Ressortleitung übernommen habe, bin ich leider viel weniger unterwegs als früher. Ab und zu recherchiere ich aber noch selbst und dann bekomme ich vom Verlag, was ich brauche.«

Gero ließ den Gedanken sacken. Schließlich nickte er. »Wunderbar, dann sind jetzt ja alle Aufgaben verteilt und es kann losgehen!«

»Was, jetzt gleich?«, fragten Elli und Rüdiger fast aus einem Mund.

»Ja, das war ehrlich gesagt mein Plan.« Ina reichte Elli einen Notizzettel. »Hier sind die Adressen von den drei Galerien. Die sind momentan alle geöffnet.«

»Aber sollten wir uns nicht verkleiden? Ich könnte uns was Passendes nähen«, warf Elli ein.

»Elli, du schaust absolut toll aus. Und für dich, Kwalle, habe ich extra ein feines Sakko mitgebracht, das im Kofferraum liegt. Ich richte uns auch gleich noch einen WhatsApp-Gruppenchat ein. Gebt mir mal eure Handynummern.«

»Und wann unterhalten wir uns endlich mal richtig miteinander?«, fragte Elli enttäuscht.

»Heute Abend. Bei einem guten Glas Wein in unserem alten Stammitaliener. Ich habe schon einen Tisch reserviert.«

»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Das gefällt dir doch bestimmt, Gero?«, stichelte Rüdiger.

»›Vergnügen ist das Einzige, wofür man leben sollte‹, sagte schon Oscar Wilde. Und was kann vergnüglicher sein als ein harter Fall?«

6

Das Taxi brachte Elli und Rüdiger zur Anna-Amalia-Galerie im Herzen Schwabings. Rüdiger war etwas mulmig zumute. Die beiden Frauen hatten ihn total überrumpelt. Doch seine Jugendfreundin war offensichtlich auch etwas nervös, denn sie hatte auf der ganzen Fahrt ohne Punkt und Komma munter vor sich hin geplappert.

Als das Taxi gehalten und sie den Fahrer bezahlt hatten, sprang Elli wie auf Knopfdruck in ihre Rolle. »Komm doch, Liebling, hier sind wir richtig. Diese Galerie scheint ein Schmuckstück zu sein!«

Na gut, für die armen Elefanten würde er mitmachen. Rüdiger schob alle Bedenken beiseite, holte tief Luft und setzte sich in Bewegung. Bauch rein, Brust raus – das war ihm früher deutlich leichter gefallen! Ansonsten musste er auch gar nicht viel tun. Elli begutachtete fachmännisch jedes Ausstellungsstück und er dackelte brav wie ein demütiger Ehemann hinterher. Die meisten der ausgestellten Werke waren moderne Kunst – von Elfenbein war weit und breit nichts zu sehen.

Er wandte sich leise an Elli: »Hier werden wir kaum fündig werden, befürchte ich.«

Elli schien ihm an der Nase anzusehen, dass er drauf und dran war, einen Rückzieher zu machen. »Du hast es mir versprochen!«, rief sie deswegen laut.

Rüdiger zuckte zusammen.

»Immer dasselbe! In den Kasinos schmeißt du mit den großen Scheinchen nur so um dich, und ich bin dir nicht mal ein paar Tausender wert.« Sie schniefte laut.

Ihre Worte waren kaum verklungen, da eilte auch schon eine weiß gekleidete Dame auf sie zu. »Meine Herrschaften, wie kann ich Ihnen helfen? Sind Sie an etwas Besonderem interessiert? Wir führen hier Werke der berühmtesten Nachwuchskünstler Europas. Ich garantiere Ihnen: Sie werden in keiner Galerie in ganz Bayern exklusivere Werke finden.«

»Oh, meine Liebe«, säuselte Elli zurück, »diese Stücke sind allesamt ent-zü-ckend. Aber wir sind diesmal auf der Suche nach etwas noch viel Einzigartigerem. Etwas, was die Gewalt der Natur in sich trägt, die Erdverbundenheit, die uns inzwischen so verloren gegangen ist. Kunst aus der Wiege der Menschheit. Ein Einzelstück, das keinen Wert hat, weil man es eigentlich gar nicht kaufen kann. Wir hingegen würden es uns schon eine Kleinigkeit kosten lassen. Nicht wahr, Schatz?« Sie blickte erwartungsfroh zu Rüdiger.

Der nickte nur gequält und zuckte hilflos mit den Schultern. Er brauchte dafür nicht einmal zu schauspielern, so überfordert war er.

Die Galeristin schaute sie verwirrt an. Dann schien ihr ein Licht aufzugehen. »Ach! Sie meinen wahrscheinlich unseren afrikanischen Künstler Jen-Ha. Wunderbar! Bitte folgen Sie mir doch!«

Mittels eines Durchgangs gelangten sie in einen kleinen Nebenraum, in dem fünf afrikanisch anmutende Kunstwerke ausgestellt waren. Alle bestanden aus viel Stroh, großen Samen, geknickten Aststücken und anderen Dingen aus dem afrikanischen Gartenzuschnitt.

»Ach, wie wunderbar«, flötete Elli verzückt. »Allerdings hatte ich zugegebenermaßen an etwas anderes gedacht ... etwas Dentaleres ... von den grauen Riesen.« Sie machte eine verschwörerische Geste.

Ein Schatten lief über das Gesicht der Galeristin und Rüdiger wusste, jetzt waren sie in Schwierigkeiten.

***

Ina und Gero fuhren mit der Trambahn zum Karlsplatz. Der Exsoldat blickte sich um: der Justizpalast, die alte Börse, die vielen blauen Münchner Trams und die durch das Stadttor strömenden Menschenmassen – trotz unüberschaubarem Chaos eine von Geros Lieblingslokalitäten. »Weißt du, warum der Platz Stachus heißt?«, fragte er Ina und holte schon Luft, um die etymologischen Fakten ausführlich zu erläutern.

»Achtzehntes Jahrhundert, Gastwirtschaft am Platz geführt von Mathias Eustachius Föderl, genannt ›Stachus‹, daher letztlich der Name«, leierte sie gleichmütig herunter. »Und so hoaßt er heit’ no ...« Ina lachte über Geros verdutztes Gesicht. »Das hast du uns früher oft genug eingebläut.«

Gero stellte ernüchtert fest, dass er sich dringend neues Wissen anlesen musste. Missmutig lief er neben Ina her und schaute sich um. In der Schwanthalerstraße kannte er bisher nur das Deutsche Theater. Die umliegenden Geschäfte waren ihm nicht geheuer. Man konnte dort allen möglichen Krempel kaufen und er wollte nicht darüber nachdenken, was davon wo vom Lastwagen gefallen war. Er hatte sich schon oft gewundert, wer sich für die verstaubten Handys, den unechten Schmuck und die vergilbten Kunststoffschüsseln interessierte, die dort in den Auslagen verstaubten.

Ina blieb vor einem Laden stehen, dessen Front nur aus einem verdreckten Fenster und einer schmalen Tür bestand. »Weißt du noch, damals das Antiquitätengeschäft? Elli hatte solche Angst vor dem ausgestopften Raben, dass sie fast die teure Chinavase hinuntergestoßen hätte.«

»Es war eine Krähe«, korrigierte Gero automatisch und ging hinein.

Eine halbe Stunde später hatten sie ihr Glück in sieben Geschäften versucht und so manchen kleinen und größeren Schein investiert, ohne auch nur den leisesten Anhaltspunkt für unter der Hand verschachertes Elfenbein zu finden. Geros anfängliche Euphorie schrumpfte, als er die immer kürzer werdende Ladenzeile entlangblickte.

»Ja, bei Recherchen muss man frustrationstolerant sein.« Ina öffnete die Tür von Laden Nummer acht.

In der muffigen Luft schnappten sie beide unwillkürlich nach Atem. Der Raum maß in der Länge nicht viel mehr als in der Breite. Gero bewegte sich sehr vorsichtig, um keinen der Gegenstände vom Regal zu stoßen oder – was noch schlimmer gewesen wäre – seine Lederjacke zu beschmutzen. Hinter dem ramponierten Tresen war niemand zu sehen.

»Hallo?«, rief Ina.

Ein untersetzter Mann um die fünfzig mit fettigem pechschwarzem Haar, einem ungepflegten Bart und einem unpassenden diamantenen Stecker im Ohrläppchen erschien und schwänzelte um den Ladentisch herum. Gero bemerkte, wie Ina erstarrte.

»Hallo Mustafa, das ist ja eine Überraschung.«

***

»Was denken Sie, wo Sie hier sind?« Die Galeristin war atemlos vor Entsetzen. »Wir sind eine Naturkunstgalerie! Alle diese Kunstwerke sind auf ihre Nachhaltigkeit bedacht. Es ist eine Unverschämtheit, mich nach so etwas zu fragen!« Sie deutete mit einer heftigen Bewegung zum Ausgang. »Hinaus! Verlassen Sie sofort meine Galerie, bevor ich die Polizei rufe!«

»Tiger, wir gehen!« Elli drehte sich schwungvoll um, packte Rüdiger am Arm und zog ihn hastig Richtung Ausgang.

Im Laufschritt schafften sie es noch um die nächste Ecke, bevor sie vor Prusten fast zusammenbrachen. Ein vorbeischlenderndes Paar warf ihnen verwunderte Blicke zu.

»Puh, ich habe uns schon in Handschellen gesehen. Elli, du warst fantastisch!«, stieß Rüdiger hervor. »Hast du mich gerade tatsächlich ›Tiger‹ genannt?« Rüdiger konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so gelacht hatte. Das fühlte sich verdammt gut an! »Werden wir so eine Szene in den anderen Galerien auch abziehen?«

»Darauf kannst du wetten!«

Bevor er nach einem Taxi Ausschau hielt, schrieb er an die anderen: Erste Galerie Fehlanzeige ... Aber lustig war es! Details folgen später ;-)

***

Der Mann öffnete einen Mund voller gelblicher Zähne, zog die Augenbrauen nach oben und rief mit tiefer gutturaler Stimme in anzüglichem Tonfall: »Oh, Inna, schönn, disch su sähen! Isch abe disch scho vermisst, meine Suße.« Er tänzelte auf sie zu und machte Anstalten, sie zu umarmen, doch Ina wich geschickt aus und schob schnell Gero zwischen sich und den Ladenbesitzer.

»Wer hätte gedacht, dass ich dich hier wiederfinde«, entgegnete sie abwehrend. »Laufen die Geschäfte in Berlin nicht mehr?«

»Oh, Inna, naddürlisch, aber Münschen is einfach so schön Stadt und die Luft hier is vill besser für meine Gesundheit.«

Gero hustete.

»Mustafa, das ist mein Freund Valerius. Wir haben da ein paar Fragen, bei denen du uns sicherlich gerne weiterhelfen wirst.«

Gero brachte ein höfliches Lächeln zustande, doch der Mann warf ihm nur einen kurzen Blick zu.

»Was kann isch fur disch tun, Inna?« Er beugte seinen Körper nach vorn, um Ina besser ins Visier nehmen zu können.

»Wir suchen ein paar ganz bestimmte Sachen.«

Mustafa wackelte unsicher mit dem Kopf. »Was fur Sachen meinst du? Isch abe nix außer die hier.« Dabei machte er eine ausladende Geste auf die Kostbarkeiten um sie herum.

»Schade!«

»Vielleicht konnen wir anders in Geschaft kommen?« Er rieb sich die Hände.

Ina schüttelte energisch den Kopf. »Lass uns gehen, Valerius, hier finden wir nicht das, was wir suchen.«

Gero wusste, dass Ina nur bluffte. Sie hatte eindeutig eine Fährte gewittert. Also spielte er mit und schickte sich an, den Laden zu verlassen.

»Aber Inna, nisch so schnell«, erwiderte Mustafa prompt, »vielleicht saggst du mir einfach, was du brauchst, und dann schau isch mal, was der alte Mustafa so zaubern kann.«

Ina zögerte, nickte dann aber. »Na gut, Mustafa, ich bin auf der Suche nach ein paar wertvollen Stücken, die es in einer Galerie geben soll.«

»Kunscht? Bildär?«, vermutete Mustafa.

»Nein, eher etwas Bildhauerisches.«

»Bildhaua...?« Er verstand offenbar nicht.

»Figuren oder besser gesagt Schnitzereien«, warf Gero deshalb ein.

»Ah, Holzfigurr?«, versuchte Mustafa sein Glück erneut.

»Etwas Wertvolleres, afrikanisch«, korrigierte Ina.

»Isch weiß nisch.« Mustafa machte ein trauriges Gesicht. »Vielleicht isch hab mal gehörrt was, aber alles weg in Kopf ...«

Gero hätte dem Typen eher Daumenschrauben angelegt, als ihm Geld für Informationen zu geben. Als Ina ihm jedoch kurz zunickte, zog er widerwillig sein Portemonnaie aus der Manteltasche. Sie hatte ihn mit einer ansehnlichen Menge Geld ausgestattet, von der er nun einen Fünfzig-Euro-Schein abzweigte.

Mustafa schnappte ihn sich sofort und steckte ihn in die Hosentasche. »Isch weiß nischt. Rischtig wertvoll saggsch du? Rischtig wertvoll?« Er blickte skeptisch hoch zu Gero.

Der entnahm seinem Portemonnaie einen weiteren Fünfzig-Euro-Schein, steckte es danach aber mit einer großspurigen Geste weg, während er spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Dieser schleimige Kerl widerte ihn an.

»Also mehr so Alabasta?« Erneut blickte Mustafa den Geldgeber an.

Doch Ina ging scharf dazwischen: »Das reicht jetzt. Du hast hundert Euro, dafür möchte ich eine Information. Welche Galerie könnte deiner Meinung nach Elfenbein anbieten?«

Mustafa schaute beleidigt. Offensichtlich hatte ihm das Spiel gerade großen Spaß gemacht. »Verrsuch mal dein Gluck in Galerie Norrd dreiunsekzisch, konnte sein, dass isch mal gehort habe, dass dort so was ist. Aberr du weißt nischt von mirr! So, un jetz raus, isch muss noch was tunn!« Er fasste Ina unsanft am Arm und schob sie zur Tür.

Das war zu viel! Gero konnte nicht mehr an sich halten, packte Mustafa am Kragen und riss ihn hoch.

Hilflos strampelnd begann der Ladenbesitzer zu wimmern. »He! Was soll das? Isch hab eusch gesagt, was isch weiß!«

Geros Stimme war leise, fast nur ein Flüstern. »Bürschchen, du hast unser Geld genommen und jetzt wirst du uns alles verraten, was wir wissen wollen. Wo bekommen wir Elfenbein?«

Mustafa wand sich erfolglos unter Geros festem Griff, während Ina vor Überraschung über den plötzlichen Wutausbruch ihres Freundes die Hand vor den Mund geschlagen hatte.

Doch die Aktion verfehlte ihre Wirkung nicht. »Oh, Inna, pass auf, is nisch gut, sich ansuleggen mit diese Leut«, stammelte Mustafa kleinlaut und wackelte eindringlich mit dem Kopf. »Hast du vielleischt falsch gehört. Gibt Aktionnshaus Galieri in die Internet. Die aben Elefantbein. Isch wurde Finger lassen weg!« Er hörte mit dem Kopfschütteln gar nicht mehr auf.

Gero ließ ihn los und Mustafa sackte kraftlos zu Boden.

»Geht doch!«, stieß Ina anerkennend hervor. Dann wandte sie sich an Gero. »Lass uns gehen. Einen schönen Tag noch, Mustafa, und bis nicht ganz so bald.«

Gero beugte sich zu dem Ladenbesitzer und senkte seine Stimme. »Wenn du sie noch mal anfasst, werde ich nicht so zimperlich sein.«

Sie verließen das Geschäft und entfernten sich ein paar Meter. »Jetzt weißt du, warum ich mich hier nicht gerne alleine umschaue«, fuhr sie fort, als sie außer Hörweite waren.

»Kann ich verstehen«, erwiderte Gero mürrisch und ballte erneut seine Hand zur Faust, sodass seine Knöchel knackten.

Ina schüttelte den Kopf. »Vergiss ihn einfach. Er gehört zu der Sorte Typen, die großspurig aufschneiden und beim kleinsten Anzeichen von Überlegenheit kapitulieren.« Dann lachte sie. »Wow, du warst echt gut. Früher warst du immer so brav. Das Ruppige steht dir.«

»Ich habe die Kontrolle verloren.«

»Dafür haben wir einen entscheidenden Hinweis bekommen.«

Sie zog ihr Handy aus der Tasche und begann zu tippen. Haben Spur: Internetgalerie! Bei euch was Neues?

Rüdigers Antwort kam kurz darauf. Keine Sekunde zu früh. Letzter Türsteher hat mein Sakko zerrissen ;-). Treffen in 30 min bei da Claudio!

7

Während sie nach dem ereignisreichen Tag hungrig ihre Pizzas aßen, lachten sie Tränen, als Elli und Rüdiger von ihren Erlebnissen in den Galerien erzählten.

»Wir haben zwar viel Spaß gehabt, aber leider nichts Brauchbares herausgefunden«, schloss Rüdiger schließlich und schob sich ein weiteres Stück Pizza Speciale in den Mund.

»Das habt ihr sehr wohl«, entgegnete Gero. Er schien zufrieden. »Eure Recherchen haben ergeben, dass diese drei Galerien nichts mit dem Elfenbeinverkauf zu tun haben und wir sie guten Gewissens von der Liste streichen können.«

Elli strahlte angesichts des unverhofften Lobes, während Gero gewohnt knapp von ihrem Besuch bei Mustafa berichtete.

»Es schaut also so aus«, schloss Ina, »als würden wir gar nicht einer echten Galerie hinterherjagen, sondern einem Online-Auktionshaus namens Galieri. Zu dumm, dass ich Schlüter nicht richtig verstanden hatte.«

»Mach dir nichts draus«, sagte Elli aufmunternd. »Der Tag war so oder so ein voller Erfolg. Rüdiger und ich hatten eine richtig lustige Zeit, und dass ich euch nach all den Jahren wieder um mich habe, ist an sich ja schon unglaublich.«

Rüdiger nickte bestätigend.

»Und wie machen wir nun weiter?«, warf Gero ohne einen Hauch von Feingefühl ein.

Rüdiger bedachte ihn mit einem bösen Blick. Dann wandte er sich an Ina: »Machen wir denn überhaupt weiter?«

Ina grinste breit. »Natürlich machen wir das! Die Elfenbeinschmuggler sind immer noch auf freiem Fuß und wir haben bewiesen, dass wir immer noch ausgezeichnet zusammenarbeiten! Ich schlage vor, wir fahren ab sofort zweigleisig. Als Erstes sollte sich mal einer von uns hinter den Computer klemmen und die Online-Auktion suchen.« Sie heftete ihren Blick auf Gero.

Dieser hatte gerade akkurat ein weiteres trapezförmiges Stück seiner Pizza Vegetale abgeschnitten und war dabei, es genüsslich in seinen Mund einzupassen. »Klingt vernünftig. Die Recherche kann ja unser Computerfreak machen!«

»Nein, ich finde, das ist durchaus eine Herausforderung für dich, Herr Oberstleutnant!«

Gero schaute sie verdutzt an.

Ja, sie wusste, dass er als Stratege bei der Bundeswehr nicht unbedingt ein IT-Genie war. Aber für Rüdiger hatte sie eine Aufgabe, bei der er nicht allein vor sich hinbrüten würde. »Kwalle, wir werden morgen meine Aufzeichnungen über Schlüter durcharbeiten und am Montag ein zweites Mal zu ihm fahren. Er ist derzeit unsere einzige konkrete Spur. Ich möchte mir gerne diese Skulptur noch mal genauer ansehen. Und du wirst mein Pressefotograf sein für die Beweisbilder.«

»Knippst du immer noch so gerne?«, fragte Elli begeistert.