Nie zu alt für Venedig - Christian Homma - E-Book

Nie zu alt für Venedig E-Book

Christian Homma

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Beschreibung

Ein Rezept für Mord ...

Schon zu Schulzeiten lehrten sie Verbrecher das Fürchten. Nun, nach fast vier Jahrzehnten, ermitteln sie wieder gemeinsam - mit Witz, Charme und einer gehörigen Portion Lebenserfahrung. Ihre Fälle führen die reiselustigen Hobbydetektive kreuz und quer über den Globus - wo auch immer das Abenteuer ruft.

Ein neuer Fall für die VIER: Der charmante Geschichtsprofessor Ledoux bittet die Hobbydetektive um Hilfe. Ein altes und sehr wertvolles Manuskript ist verschwunden - angeblich enthält es die Rezeptur des legendären Allheilmittels Theriak. Das klingt nach einem harmlosen Abenteuer, doch schon bald stellt sich die Mission als brandgefährlich heraus: Offenbar sollen für die Herstellung des Tranks Menschen geopfert werden. Und der Dieb des Rezepts scheint zu allem entschlossen! Die VIER machen sich auf eine Jagd quer durch Europa und die Lagunen Venedigs - können sie das irrsinnige Ritual stoppen?

Dieses eBook ist eine überarbeitete Ausgabe und erschien ursprünglich unter dem Titel "Nie zu alt für Heavy Metal".

Band 1: Nie zu alt für Casablanca - Die VIER auf mörderischer Kreuzfahrt.

Band 3: Nie zu alt für Irish Coffee - Die VIER und der Schatz der grünen Insel.

Die VIER, das sind:

V - Gero Valerius: Ehemaliger Bundeswehroffizier und strategischer Querkopf.

I - Ina-Marie: Journalistin und weltoffener Freigeist.

E - Elli : Kindergärtnerin im Vorruhestand und Expertin für Verkleidungen aller Art.

R - Rüdiger: Elektroingenieur mit einem Faible für technische Spielereien.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Seitenzahl: 373

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autoren

Über dieses Buch

Über die Autoren

Die Hauptfiguren

Titel

Impressum

Zitat

München

Celje

Karte 1

München

Venedig

Karte 2

München

London

Karte 3

München

Wacken

Karte 4

14:30 Uhr, 33:30 Stunden bis zum Ritual

15:00 Uhr, 33 Stunden bis zum Ritual

0:12 Uhr, 23:48 Stunden bis zum Ritual

11 Uhr, 13 Stunden bis zum Ritual

15:55 Uhr, 8:05 Stunden bis zum Ritual

22:13 Uhr, 1:47 Stunden bis zum Ritual

23:37 Uhr, 23 Minuten bis zum Ritual

23:43 Uhr, 17 Minuten bis zum Ritual

23:48 Uhr, 12 Minuten bis zum Ritual

23:56 Uhr, 4 Minuten bis zum Ritual

23:58 Uhr, 2 Minuten bis zum Ritual

23:59 Uhr, 1 Minute bis zum Ritual

00:00 Uhr – das Ritual

München

Gotland

27 Minuten bis zum letzten Ritual

Danksagung

Leseprobe

1

Weitere Titel der Autoren

Nie zu alt für Casablanca

Nie zu alt für Irish Coffee

Über dieses Buch

Ein Rezept für Mord ...

Ein neuer Fall für die VIER: Ellis Mann und sein Kollege, der charmante Professor Ledoux, bitten die Hobbydetektive um Hilfe. Ein altes, wertvolles Manuskript ist verschwunden – angeblich enthält es die Rezeptur des legendären Allheilmittels Theriak. Das klingt nach einem harmlosen Abenteuer, doch bald stellt sich die Mission als brandgefährlich heraus: Offenbar sollen für die Herstellung des Tranks Menschen geopfert werden. Und der Dieb des Rezepts scheint zu allem entschlossen! Die VIER machen sich auf eine Jagd quer durch Europa – können sie das irrsinnige Ritual stoppen?

Der zweite Fall für die VIER. Dieses eBook ist eine überarbeitete Ausgabe und erschien ursprünglich unter dem Titel »Nie zu alt für Heavy Metal«.

Über die Autoren

Christian Homma ist promovierter Physiker, Innovationsmanager und Coach und schreibt seit seiner Kindheit Kurzgeschichten. Er liebt es, Musik zu machen und zu hören, er fotografiert und reist gerne.

Elisabeth Frank ist promovierte Neurobiologin und Bioinformatikerin. Nach fünfjähriger Forschungstätigkeit in Australien arbeitet sie an Medizinsoftware in München. Sie reist viel, macht gerne Musik und engagiert sich in Frauennetzwerken für Diversität.

https://hommaundfrank.de

Die Hauptfiguren

Die Jugenddetektivgruppe VIER findet nach fast vierzig Jahren wieder zusammen, um neue Fälle zu lösen. Die Mitglieder sind:

V – Gero Valerius Fichtinger: Ehemaliger Bundeswehroffizier und strategischer Querkopf

I – Ina-Marie von Treuenfeld: Journalistin und weltoffener Freigeist

E – Eleonora (Elli) Baumgärtner-Däubner: Kindergärtnerin im Vorruhestand und Expertin für Verkleidungen aller Art

R – Rüdiger (Kwalle) Kwalkowski: Elektroingenieur mit einem Faible für technische Spielereien

Überarbeitete Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Christian Homma / Elisabeth Frank

Titel der Originalausgabe: »Nie zu alt für Heavy Metal – V.I.E.R. rocken Europa«

Originalverlag: GRAFIT Verlag GmbH, Dortmund

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Leselupe-Literaturagentur, Maracuja GmbH, 47669 Wachtendonk

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Karten: © Christian Homma unter Verwendung von © Mapbox und © OpenStreetMap

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven ©IakovKalinin/ iStock / Getty Images Plus, © eugenesergeev/ iStock / Getty Images, © ArnaPhoto/ iStock / Getty Images, ©Turac Novruzova/ iStock / Getty Images

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0629-2

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erscheinenden Werkes »Nie zu alt für Irish Coffee« von Christian Homma und Elisabeth Frank.

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

If you think you are too old to rock ’n’ roll, then you are.

Lemmy Kilmister

München

»Schneller, Kwalle!«

Ina hatte gut reden. Er war geliefert, wenn das schiefging! Keuchend rannte Rüdiger Kwalkowski hinter seiner Jugendfreundin Ina-Marie von Treuenfeld her. Sie hatten es fast geschafft. An der Tür angekommen wuchtete er den schweren Rucksack von seinem Rücken und nahm ein Set Dietriche heraus. Die Zeit lief gegen sie. Schweiß rann ihm in die Augen, als er in dem Schloss herumstocherte.

Endlich klackte es. Ina sprintete an ihm vorbei. Sie blickte sich suchend im düsteren Hausflur um. »Da entlang.«

Jetzt sah auch Rüdiger die Spur. Diesmal würden sie es schaffen! Triumphierend folgte er Ina in die Küche. Sie war eilig unter dem Tisch durchgetaucht und half ihrem Freund auf der anderen Seite hoch.

»Da geht’s weiter!« Er hatte die Markierung an der Terrassentür entdeckt. Als Rüdiger ins Freie trat, spürte er die Schnur an seinem Knöchel und wusste, dass er zu leichtsinnig gewesen war. Der dünne Faden riss mit einem leisen Pling.

»Du bist schon wieder tot, Rüdiger!« Gero betätigte die Tröte.

»Verdammt noch mal! Das war die Ziellinie! Der Parcours war hier zu Ende.«

»Nein, die Aufgabe wäre erfüllt gewesen, wenn du die Terrasse betreten hättest, ohne euch beide in die Luft zu sprengen.« Gero Valerius Fichtinger war pensionierter Ausbilder bei der Bundeswehr und hatte bereits in ihrer Jugend die verrücktesten Trainingsaufgaben für die Detektivgruppe ausgetüftelt. Der Exsoldat schüttelte bedauernd den Kopf und verzeichnete einen weiteren Strich auf seinem Klemmbrett. Seitdem ihre Bande mit dem Anfangsbuchstaben seines Zweitnamens begann, beanspruchte er das Privileg des Befehlshabenden.

»So ein Blödsinn! Warum spielen wir das eigentlich mit?« Rüdiger ließ den Rucksack zornig auf den Boden fallen und nahm einen der Ziegelsteine heraus, die Gero als zusätzliches Gewicht hineingepackt hatte. Er hatte diese Übungen bereits zu Schulzeiten gehasst. »Und obendrein ist mein Iron-Maiden-Shirt versaut. Sag doch auch mal was, Ina!«

Seine alte Schulfreundin schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. »Blood, Sweat and Tears können dein Shirt nur veredeln. Du musst zugeben, diesmal warst du mit dem Schloss mindestens doppelt so schnell.« Vor wenigen Monaten hatte Ina ihren drei alten Schulkameraden eine Nachricht geschickt und die Jugendgang VIER nach knapp vierzig Jahren wieder aufleben lassen. Seitdem hatten sie nicht nur ihren ersten Doppelfall auf hoher See gelöst, sondern auch an die fast vergessene Freundschaft angeknüpft. Die Journalistin ließ die beiden Männer stehen und schenkte sich am gedeckten Kaffeetisch ein Glas Wasser ein.

»Eine Stolperfalle kann jeden von uns treffen. Wir haben noch eine ganze Reihe anderer Trainingseinheiten auf dem Programm.« Gero schwenkte seine Notizen.

»Kaum«, rief da Eleonora Baumgärtner-Däubler. Die Kindergärtnerin im Ruhestand und Expertin für Verkleidungsfragen war gerade in ihrem türkisfarbenen Blumenkleid auf die Terrasse getreten, einen Blaubeerkäsekuchen und eine Kanne Kaffee in den Händen. »Jetzt gibt es eine verdiente Stärkung. Und danach kümmere ich mich um dein Shirt. Hattest du das nicht schon zu Schulzeiten?«

»Endlich, du bist meine Rettung.« Rüdiger zückte dankbar sein Schweizer Taschenmesser und zerschnitt den verhedderten Faden. Als Inhaber eines Ingenieurbüros für Elektroinstallationen war er für die technische Ausrüstung bei ihren Abenteuern zuständig und nie ohne Werkzeug unterwegs. Er klopfte sich den Staub von der Brust. »Ich hab im Keller eine Tüte mit meinen alten Rockerklamotten gefunden, die Sonja nicht mochte. Jetzt, wo ich wieder allein bin, fühlen sie sich irgendwie tröstlich an.« Im Kreis seiner Freunde fiel es ihm zunehmend leichter über seine kürzlich verstorbene Frau zu reden.

Gero schnaubte. »Tröstlich? Nietengürtel und Flammenschädel?«

»Als ob dein Tarnanzug besser wäre. Wieso müssen wir eigentlich diese blöden Übungen machen? Wir sind doch hier nicht beim Bund«, fuhr Rüdiger ihn an.

Gero folgte Rüdiger zum Tisch. »Wenn wir uns nicht fit halten, werden wir VIER die Verbrecher dieser Welt kaum das Fürchten lehren.«

***

Ina war glücklich. Die Journalistin hatte sich schon länger eine Veränderung gewünscht und plötzlich war der nächste Schritt naheliegend gewesen. Sie hatte ihren Job als Ressortleiterin in Berlin gekündigt und war vor zwei Wochen nach München zurückgezogen – die Stadt, in der sie alle aufgewachsen waren.

»Ein herrlicher Tag. Danke für die Einladung, Elli. Wie viele Kuchenstücke hast du dir denn erspielt, Kwalle?«

Rüdiger grunzte. Er war der einzige der VIER gewesen, mit dem Ina nach dem Abitur Kontakt gehalten hatte, und auch heute noch einer ihrer besten Freunde.

»Wir sind doch nicht beim Dschungelcamp!«, entrüstete sich Elli. »Bei mir darf jeder essen, so viel er möchte.« Sie legte Rüdiger ein besonders großes Tortenstück auf den Teller und reichte ihm die Sahne.

Ina lehnte sich zurück und ließ ihren Blick über den blühenden Garten schweifen. »Fabelhaft, wie schön du hier alles pflegst, Elli. Wo nimmst du die Zeit her neben all deinen Ehrenämtern? Gut, dass ich nur eine kleine Dachterrasse habe.«

»Ich kann es immer noch kaum glauben, dass du wieder zu uns gezogen bist. Wann beginnt deine Einweihungsfeier am Samstag?«, fragte Rüdiger mit vollem Mund.

»Um achtzehn Uhr geht es los. Ich hoffe, ihr kommt alle?«

»Aber selbstverständlich!« Elli strahlte. »Es ist doch in Ordnung, wenn ich Andreas mitbringe?«

»Natürlich! Ich freue mich schon so, deinen Mann endlich kennenzulernen. Wo ist er denn gerade?«

»Ach, irgendwo im Sudan. Oder war es diesmal Eritrea?« Sie zuckte die Achseln. »Dort, wo es Fossilien auszugraben gibt, eben. Du könntest doch mal einen Artikel über seine archäologischen Funde schreiben.«

»Klasse Idee!« Ina war sofort begeistert. Nachdem sie als Redakteurin in Berlin hingeschmissen hatte, musste sie sich jetzt wieder selbst um die interessanten Geschichten kümmern.

»Ich bin gespannt auf die Diskussionen mit dem Professor. Was er wohl zu meinen Gegenthesen zu seiner letzten Publikation sagen wird?« Gero nippte sichtlich zufrieden an seinem Kaffee.

***

Inas Loft lag im fünften Stock eines renovierten Altbaus mitten in Schwabing. Das Münchner Szeneleben fand nur ein paar Straßen entfernt statt, aber auf ihrer Terrasse war es wunderbar ruhig und sie hatte einen freien Blick über die angrenzenden Dächer. Die breiten Fensterfronten ließen ihr neues Zuhause lichtdurchflutet erstrahlen.

»Ina, deine Wohnung ist fantastisch!« Elli konnte sich gar nicht sattsehen. »Es ist alles so harmonisch, das Schlafzimmer mit Futonbett, der wunderschönen hellgrünen Farbe und den Gräsern. Hast du das nach Feng Shui eingerichtet? Und hier im Essbereich die Sitzsäcke und die fremdartigen Steinskulpturen überall. Bin gespannt, was Andreas nachher dazu sagt.« Für einen Moment dämpfte sie die Stimme. »Er ... möchte uns übrigens etwas erzählen. Aber darum kümmern wir uns später.« Dann fuhr sie freudig fort. »Hast du Räucherstäbchen angezündet? Es riecht danach. Und die Fotos an der Wand – sind die alle von dir?«

Ina lachte über den Redefluss ihrer Freundin. Eine begeisterte Elli war ebenso wenig zu bremsen wie eine nervöse. »Ja, es gibt so viele einzigartige Orte auf dieser Welt. Aber jetzt nimm dir erst einmal einen Aperitif. Auf der Anrichte steht auch Knabberzeug. Falls du Gero später beeindrucken willst: Das sind geröstete Ginkgo-Samen.«

»Wo ist er eigentlich? Er ist doch sonst immer überpünktlich.«

»War er heute auch. Nachdem er begonnen hat, meine Möbel geradezurücken, habe ich ihn kurzerhand losgeschickt, Hannelore von der S-Bahn abzuholen.« Sie war gespannt, für wen der beiden das anstrengender war.

Elli lachte. »Deine Mutter habe ich das letzte Mal bei der Abiturfeier gesehen. Wie geht es ihr?«

Ein Schatten fiel über Inas Gesicht. »Sie ist in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden.« Sie war froh, nicht mehr erzählen zu müssen, denn es läutete an der Tür.

Rüdiger strahlte, als er seiner Schulfreundin ein Orangenbäumchen und ein kleines Päckchen in die Hand drückte, ehe er sie fest umarmte. »Willkommen zu Hause und danke für die Einladung.«

Mit diesem einen Satz war Inas Glücksgefühl wiederhergestellt. Die letzten Wochen waren sehr anstrengend gewesen und sie hatte ihre Entscheidung, nach München in die Nähe ihrer Mutter zu ziehen, mehrmals hinterfragt. Aber jetzt, wo Elli und Rüdiger in ihrer Wohnung waren, fühlte es sich einfach nur richtig an.

***

Jeder andere hätte sich bei bloß zwei Minuten Verspätung über die Pünktlichkeit des Zuges gefreut. Gero hingegen schnalzte nach einem Blick auf seine Armbanduhr mit der Zunge, während die U-Bahn einfuhr. Als kurz darauf Inas Mutter vor ihm stand und ihn von oben bis unten musterte, hätte er jedoch gern noch ein wenig länger gewartet.

»Ach, wenn das nicht der Valentin Fichtinger ist. Nett, dass Sie mich abholen. Dann können Sie gleich die Blumen tragen.« Hannelore von Treuenfeld war älter geworden, aber sie hatte sich in den vielen Jahren kaum verändert. Wie damals war sie kräftig überschminkt und trug ein schweres Parfüm, das Gero den Atem nahm. An ihren zerbrechlich wirkenden Fingern steckten etliche Ringe und ihre Kleidung wirkte exklusiv.

»Valerius. Ich heiße Gero Valerius«, korrigierte er sie verstimmt.

»Auch recht. Nun kommen Sie, ich bin so gespannt, wie meine Tochter wohnt. Ihr Umzug wurde ja langsam Zeit.«

Gero war zu Schulzeiten nicht oft bei Ina Zuhause gewesen. Bei Elli und Rüdiger waren sie ein- und ausgegangen, vom Von-Treuenfeld-Haus kannte er jedoch nur den Eingangsbereich. Dort hatten sie immer warten müssen, wenn sie die Vierte im Bunde abgeholt hatten. Inas Vater hatte Gero lediglich ein paarmal gesehen. Der General war eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen, aber irgendetwas hatte zwischen Ina und ihm gestanden und war wohl auch der Auslöser für ihren fast schon militanten Pazifismus. Ina hatte vor ein paar Wochen in einem Nebensatz erwähnt, dass ihr Vater schon vor über zwanzig Jahren gestorben war. Das Verhältnis von Mutter und Tochter war für Gero ebenso unergründlich.

Normalerweise hätte er versucht, jeden Kontakt zu Hannelore von Treuenfeld zu vermeiden. Doch wenn er sowieso mit ihr kommunizieren musste, so konnte er gleich einige Dinge klarstellen. »Ich denke, Ina kann sehr gut alleine leben und sollte ihren Freiraum bekommen.«

»Ach, tatsächlich? Und wie kommen Sie darauf? Sind Sie so etwas wie ihr psychologischer Berater?«

»Aber ich ...« Diese Frau brachte ihn völlig aus dem Konzept.

»Nein, nein. Ich werde ein Auge auf meine Tochter haben. Schließlich braucht sie auch endlich einen Mann.«

***

Neben ihren drei Freunden hatte Ina zur Wohnungseinweihung ein paar alte Weggefährten, einige Journalistenkollegen und das junge Pärchen von nebenan eingeladen. Sie alle unterhielten sich angeregt bei leisen Jazzklängen und mit einem fruchtigen Aperitif in der Hand. Wenn die Stimmung passte, würde Ina nachher eine Playlist mit Diskomusik auflegen. Sie hatte Lust zu tanzen.

Andreas kam etwas verspätet. Ina freute sich sehr, endlich Ellis Ehemann kennenzulernen. Mit seiner offenen und freundlichen Art war er ihr sofort sympathisch. Der Professor war nicht alleine gekommen. Er stellte seinen Begleiter als Pierre Ledoux vor. Der elegant gekleidete und charmante Franzose war ein Kollege und lehrte Medizingeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität. Elli hatte Ina schon vorgewarnt, dass ihr Gatte jemanden mitbringen würde, den Grund dafür aber noch nicht verraten. Ina hoffte inständig, dass jetzt nicht auch Elli versuchte, sie zu verkuppeln. Die ständigen Versuche ihrer Mutter gingen ihr schon gehörig auf die Nerven.

Nachdem sie das Büfett mit vegetarischem Chili, Linsen-Kokos-Suppe, Salaten und selbst gebackenem Brot eröffnet hatte, schlich sich Ina auf die Dachterrasse, um einen Augenblick innezuhalten. Sechs Jahre hatte sie in Berlin gelebt und immer wieder überlegt, was ihr nächstes Ziel sein könnte. Kuba, Australien, Südafrika? Dass sie nun wieder in München gelandet war, überraschte sie selbst. Vielleicht kam die Weltenbummlerin in ihr allmählich zur Ruhe?

Ihre Mutter unterbrach ihre Gedanken. »Was machst du denn da draußen? Du solltest dich um deine Gäste kümmern. Vor allem um diesen gutaussehenden Franzosen.«

Ina seufzte. »Mama, bitte hör auf mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe. Ich bin eine erwachsene Frau!«

»Es wurde wirklich Zeit, dass du zu mir zurückkommst, Ina-Marie. Als alte Frau ist man nicht gerne alleine.« Sie schielte zu Andreas und Ledoux hinüber, die im Wohnzimmer auf der Couch saßen und sich angeregt unterhielten.

Ina verstand die Doppeldeutigkeit ihrer Aussage. Aber sie fühlte sich weder alt noch einsam. »Bitte sorge nicht dafür, dass ich meine Entscheidung schon am ersten gemeinsamen Abend bereue. Ich bin aus mehreren Gründen wieder nach München gezogen. Und ich bin nicht ...«

Pierre Ledoux lehnte an der offenen Terrassentür. »Wollen die Damen etwas trinken?«

Sie zögerte kurz, nahm aber die Einladung an, um ihrer Mutter zu entkommen, die ihr ein auffälliges Augenzwinkern zuwarf.

***

Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Rüdiger entpuppte sich als passabler DJ, in jeder Ecke des Lofts fanden spannende Unterhaltungen statt und Ina genoss die Gespräche mit alten und neuen Freunden. Es war weit nach Mitternacht, als nur noch die VIER, Andreas, Pierre Ledoux sowie Inas Mutter übrig geblieben waren. Sie saßen inzwischen um den winzigen runden Glastisch auf bequemen Sitzkissen. Nur Gero lehnte an der Wand.

Ina war sekttrunken und ausgelassen. »Was für eine schöne Feier! Danke fürs Kommen. Es fühlt sich so an, als wäre ich nie weg gewesen.«

Rüdiger legte ihr den Arm um die Schultern. »Finde ich auch. Jetzt brauchen wir nur noch einen neuen Fall, damit wir wieder zusammen auf Reisen gehen können. Die Kreuzfahrt mit euch war einzigartig.«

Pierre räusperte sich. »Vielleicht kann ich da helfen.« Obwohl er bereits seit einigen Jahren in Deutschland lebte, klang das »ch« bei ihm immer noch wie ein »sch«. Ina mochte diesen Akzent. »Ich habe von eurem Abenteuer gehört und darum ist meine Anwesenheit heute Abend kein Zufall.« Er nahm einen Schluck Wein, so als bräuchte er einen Moment, um sich zu sammeln. »Ich, oder besser wir«, er schielte zu Andreas, »brauchen eure Hilfe. Lasst mich erzählen, was geschehen ist.«

***

Pierre Ledoux war letzten Dezember von Andreas zu einem Kaffee eingeladen worden. Ellis Ehemann wollte ihm seinen Studenten Viktor Jenko vorstellen.

»Schön, dass du dir Zeit nimmst, Pierre. Dieser junge Mann hier besucht mein Seminar zu Architektur in Osteuropa und hat eine interessante Entdeckung bei der Rekonstruktion einer Burg in Slowenien gemacht.« Er nickte dem schüchtern dreinblickenden Jenko zu.

»Also, ich weiß nicht so recht, wo ich beginnen soll ...« Der Slowene sprach ein sehr gutes Deutsch.

»Am besten am Anfang«, munterte ihn Ledoux auf.

»Nun, ich bin in Slowenien aufgewachsen und zum Studium nach Deutschland gekommen.« Er benutzte seine Hände beim Reden und das krause Haar stand ihm in allen Richtungen vom Kopf ab. »Zufällig habe ich von Ausgrabungsarbeiten an Stari Grad in Celje gehört und mich freiwillig zum Helfen in den Semesterferien gemeldet.«

»Stari Grad?«

»Das ist eine Burg aus dem vierzehnten Jahrhundert, die vom Grafen von Celje bewohnt worden ist. Unter der römischen Besatzung war sie sogar die bedeutendste Festung in den ganzen östlichen Alpen«, ergänzte Andreas.

Viktor Jenko nickte und fuhr fort. »Schließlich verlor sie jedoch ihre strategische Bedeutung und ab Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurde sie nicht mehr bewirtschaftet und ist zu einer Ruine verfallen. Seit gut hundert Jahren sind die Wiederaufbauarbeiten in vollem Gange. Sie müssen ihr unbedingt einmal einen Besuch abstatten.«

Ledoux räusperte sich. »Sehr schön, Herr Jenko. Aber was führt Sie nun zu mir?«

Der Student befeuchtete seine Lippen. »Ich habe bei den Ausgrabungen einige interessante Papiere gefunden, über die ich gerne promovieren würde.«

Andreas schaltete sich ein. »Und da es sich um ein eher medizinhistorisches Thema handelt, ist er bei dir sicherlich besser aufgehoben, Pierre.«

»Kennen Sie Theriak?«, fragte Viktor Jenko.

»Selbstverständlich. Sonst hätte ich wohl meinen Beruf verfehlt«, antwortete Ledoux amüsiert. Seine Neugierde war geweckt.

***

»Wer ist denn Theriak?«, fragte Rüdiger. In Inas Wohnzimmer waren die meisten Kerzen mittlerweile heruntergebrannt und in der schummrigen Beleuchtung waren die Personen nur noch schemenhaft zu erkennen.

»›Was ist das?‹ ist die bessere Frage.« Pierre hatte das Weinglas während seiner Erzählungen langsam zwischen den Fingern gedreht und fuhr nun fort. »Beim Theriak handelt es sich um einen mittelalterlichen Heiltrank. Manche sagen ihm sogar nach, eine Panazee, ein Universalheilmittel zu sein. Der Name stammt aus dem antiken Griechenland. Das griechische thēriakón bedeutet Gegengift. Tatsächlich wurde es zunächst hauptsächlich zur Behandlung von Schlangenbissen eingesetzt.«

Die Flammen flackerten unregelmäßig und Rüdiger hatte das Gefühl, wie früher am Lagerfeuer einer Gruselgeschichte zu lauschen.

»Und offenbar hat Viktor Jenko ein altes Rezept oder zumindest weitere Dokumente gefunden, die es erlauben sollen, einen Theriak von nie für möglich gehaltener Potenz zu brauen – vielleicht das erste echte Allheilmittel.«

Der Schatten an der Wand räusperte sich und meldete sich zu Wort. »Lieber Herr Ledoux. Sie können eine solche Geschichte meinen angeheiterten Freunden erzählen. Aber unter uns, Sie glauben doch nicht wirklich daran?«

Irritiert wandte der Professor den Kopf.

Andreas schaltete sich ein. »Gero, es geht hier nicht darum, die medizinische Wirksamkeit eines jahrhundertealten Rezepts zu beweisen, sondern vielmehr um dessen historische Bedeutsamkeit. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem neuen Material wäre außerordentlich faszinierend.«

»Na schön, dann wollen wir euch dabei auch gar nicht stören. Ich sehe nämlich weiterhin nicht, was das mit VIER zu tun hat.«

Elli fuhr gereizt dazwischen. »Die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende. Andreas, erzähl ihm endlich von den verschwundenen Papieren.«

»Nun«, begann ihr Ehemann zögerlich. »Viktor Jenko hat den Wert der Unterlagen bei den Ausgrabungen sogleich erkannt. Normalerweise hätten sie langwierig restauriert und fotografisch dokumentiert werden müssen. Unser Student war allerdings davon überzeugt, dass deren inhaltliche Untersuchung dringlich war, weil dieser spezielle Trank nur etwa alle hundert Jahre unter bestimmten astronomischen Gegebenheiten gebraut werden kann. Er hat vermutet, dass diese unmittelbar bevorstünden. Also haben wir die slowenischen Verantwortlichen gebeten, uns die alten Manuskripte gleich zu überlassen.«

Pierre stöhnte auf. »Und jetzt ist dieser vermaledeite Student mit den Unterlagen verschwunden.«

»Er hat sie gestohlen?« Rüdiger fand die ganze Sache sehr spannend und griff unentwegt in die Schüssel mit den Erdnüssen.

Andreas blickte seinen Kollegen vielsagend an. »Ich will niemanden verdächtigen, aber auf dem Schwarzmarkt würde sich damit bei den richtigen Kunden viel Geld verdienen lassen.«

»Könntest du bitte zum eigentlichen Punkt kommen?« Ellis Stimme war deutlich schärfer als sonst. »Es ist nämlich so: Da Pierre nur Gastdozent an der Universität ist, hat mein genialer Ehemann für die Unterlagen gebürgt. Und wenn sie verschwunden sind, ist er persönlich dafür haftbar.«

Ina klatschte in die Hände. »Dann werden wir uns diesen Kerl schnappen und die Schriftstücke zurückholen!«

Gero schnaubte. »Nicht so schnell! Wenn ich nochmals zusammenfassen darf: Ein Student entdeckt vermutlich wertvolle Dokumente bei Ausgrabungen im Rahmen der Rekonstruktion einer alten slowenischen Burg. Weil er darüber promovieren will und ihr euch mit den Publikationen profilieren möchtet, lasst ihr euch auf diesen Deal ein. Und nun ist das goldene Vögelchen mit seinem Schatz ausgeflogen und ihr wollt, dass wir ihn und die Unterlagen wiederfinden. Für mich ist das ein Fall für die Polizei.«

Rüdiger überraschte diese Reaktion. Der Stratege schien bisher nur auf einen neuen Fall für die Freunde gewartet zu haben. Warum er nicht anbiss, konnte Rüdiger sich nicht erklären, aber er hatte den Eindruck, dass Gero Pierre nicht mochte.

»Es gibt da leider noch ein Detail. In der Bürgschaft ist festgehalten, dass die Schriftstücke am Lehrstuhl verbleiben müssen. Wir haben aber einfach nicht genug Platz für alle Doktoranden und darum waren wir ganz froh, als Viktor angeboten hat, bei sich zu Hause damit zu arbeiten.« Andreas ergänzte dies sehr kleinlaut.

»Und wenn die Polizei eingeschaltet wird, würde das sofort herauskommen und du hättest eine Menge Probleme am Hals. Also wollt ihr uns als Privatermittler losschicken«, schloss Rüdiger. Er war ebenso begeistert von der Idee wie Ina. Noch dazu, wenn sie Ellis Mann damit helfen konnten.

Hannelore von Treuenfeld, die die ganze Zeit über still zugehört hatte, schaltete sich ein. »Ich bin auch der Meinung, dass ihr den beiden helfen müsst.«

»Mama!«, entfuhr es Ina. »Das können wir wirklich selbst entscheiden.«

»Und ich bin nicht überzeugt davon«, wiederholte Gero.

»Lasst uns doch abstimmen«, schlug Rüdiger vor. Er fand demokratische Lösungen immer besser. Außerdem hatten sie so die Chance, eine Mehrheit gegen den Skeptiker zu bilden, denn Elli wirkte gerade sehr unglücklich. »Wer dafür ist, hebt die Hand.« Er reckte seine nach oben. Die drei Frauen folgten prompt seinem Beispiel. »Hannelore, du kannst nicht mitstimmen. Aber dennoch steht es drei zu eins, Gero.«

»Was nicht weiter relevant ist«, ließ dieser unbeeindruckt verlauten. »Ich bin dagegen und Regel Nummer sieben besagt schließlich, dass Fälle nur einstimmig angenommen werden können.«

Da räusperte sich Elli und zog einen Zettel mit ihrem alten Regelwerk aus der Handtasche.

***

»Schön, dass Ellis Logik dich überzeugt hat. Ich hätte ungern zu anderen Mitteln gegriffen, um dich für unseren neuen Auftrag zu gewinnen.« Ina grinste breit und zog sich ihr beigefarbenes Kostüm noch einmal zurecht.

Gero grummelte lediglich. Ellis Einfall, mit Regel vier zu kontern – ›Wenn einer der VIER in Schwierigkeiten steckt, werden die anderen helfen.‹ –, war in der Tat genial gewesen. Sein Einwand, Andreas sei kein Mitglied der Gruppe, hatte sie mit dem einfachen Argument »Wenn Andreas in Schwierigkeiten ist, bin ich es auch.« weggewischt.

Folglich hatten sie sich nur noch einen Plan für das weitere Vorgehen zurechtlegen müssen. Da sie die Polizei nicht einschalten konnten, war eine Handyortung ausgeschlossen. Die zwei Professoren vermuteten, der Student könnte in seiner Heimat Slowenien sein, hatten aber außer dessen Münchner Anschrift und E-Mail-Adresse keine anderen Kontaktdaten. Also würden die VIER sich in Viktors WG-Zimmer nach Anhaltspunkten umsehen müssen. Weil sie schlecht alle dort auftauchen konnten, war die Wahl schließlich auf Ina und Gero gefallen.

Die beiden hatten sich vor dem BMW-Museum gegenüber des Olympiaparks getroffen. Nun irrten sie schon seit Längerem durch die tristen Gassen des olympischen Dorfs. Eine Betonwohnung mit grüner Tür reihte sich an die nächste. Nur gelegentlich war eine Wand trotzig bunt oder mit lustigen Motiven bemalt. Wo einst Sportler untergebracht waren, fanden jetzt Münchner Studenten eine billige Unterkunft. Während sie sich bemühten, die irritierten Blicke der Passanten zu ignorieren, erreichten sie dank Google Maps schließlich ihr Ziel.

Ina prüfte noch einmal Geros Maskerade, strich ihr graues Kostüm zurecht und klopfte an die Tür. Nach einiger Zeit öffnete ein junger Mann mit blonden Wuschelhaaren. Er trug Boxershorts und war barfuß. Unwillkürlich musste sie an einen alten Studentenwitz denken: Warum stehen Studenten immer um sieben auf? – Weil um acht die Geschäfte zumachen. Dieser Bursche sah auf jeden Fall so aus, als hätten sie ihn geradewegs aus dem Bett geholt.

»Was ’n los?«, nuschelte er und kratzte sich am Kopf.

Ina nahm ihre Sonnenbrille ab und sagte verbindlich: »Wir haben einen Termin mit Viktor Jenko. Sind Sie das?«

»Nee, der Viktor ist schon seit zwei Wochen nicht mehr hier aufgetaucht. Um was geht’s denn?«

»Er hat die Verwaltung über einen defekten Feuermelder in seinem Zimmer informiert. Den tauschen wir aus. Dauert nur ein paar Minuten.«

Sie wollte rasch die Wohnung betreten, doch plötzlich erwachte der Student. »He, nu mal langsam. Haben Sie einen Ausweis oder so?«

Ina warf einen abschätzenden Blick zu Gero, der in seinem Blaumann mit der Aluleiter über der Schulter und dem Ölfleck im Gesicht wie der perfekte Handwerker aussah. Elli hatte ihm erklärt, wie er die dunkelbraune Schminke aufbringen musste, und ihm einen Kaugummi verordnet, den er jetzt konzentriert im Mund herumwälzte. Ina zog ein Klemmbrett aus ihrer Umhängetasche und zeigte es dem jungen Mann. Gero hatte sich viel Mühe mit dem Ausweis gegeben. Er wirkte hochoffiziell und wies Ina als vereidigte Brandschutzsachverständige Helga Friedrich aus.

Der junge Mann machte eine gelangweilte Geste. »Viktor ist nicht da. Kommen Sie wieder, wenn er zurück ist. Ich richte es ihm aus.«

Er wollte schon die Tür schließen, doch Ina, die mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte, stellte rasch ihren Fuß dazwischen. »Moment mal, Herr ...«

»Mein Name ist Reif.«

»Herr Reif. Funktionstüchtige Rauchwarnmelder sind gesetzlich vorgeschrieben. Wie Sie sicher wissen, besteht für Mieter nach Paragraf 555d BGB eine Duldungspflicht, was die Installation eines Melders durch den Vermieter betrifft. Wir wurden beauftragt, ein neues Gerät zu installieren.«

Der Mann machte keine Anstalten, die Tür wieder zu öffnen.

Ina seufzte. »Bitte, wenn Sie das möchten, dann unterschreiben Sie hier, dass Sie die volle Verantwortung für etwaige Schäden infolge eines Brandes tragen werden. Die Versicherung wird selbstverständlich von uns unterrichtet werden.« Sie blätterte eine Seite weiter und reichte ihm das Klemmbrett.

Für einen Moment zuckte das Augenlid des Studenten. Da wusste sie, dass sie ihn hatte. Sie hielt seinem Blick stand, bis er schließlich, ohne das Papier genauer zu studieren, den Eingang freigab.

Ina nickte und schob sich an ihm vorbei. »Wie gesagt dauert es auch nur ein paar Minuten. Welches Zimmer bewohnt Herr Jenko?«

Reif zeigte es ihnen. Dann hatte er offensichtlich das Interesse verloren, denn er verzog sich. Rasch schloss Ina die Tür. Während Gero die Leiter aufstellte, taxierte sie den Wohnbereich mit schnellen Blicken. Er war vielleicht zwölf Quadratmeter groß und überraschend spärlich eingerichtet. Dafür waren die Wände übersät mit Sternkarten und okkulten Zeichnungen. Überall klebten Notizzettel. Manche Lücken wiesen auf wieder abgenommene Papiere hin. Auf dem Boden lagen mehrere Atlanten. Als Alibi hatte Gero den Rauchmelder abgenommen und fotografierte nun gewissenhaft den Raum.

Ina begutachtete in der Zwischenzeit den Schreibtisch, auf dem eine vereinsamte Computermaus lag. Jenko schien mit einem Laptop zu arbeiten. Rasch knipste sie ein paar Fotos mit dem Handy und durchsuchte mit flinken Handgriffen die Blätter und Studienunterlagen daneben. Ein billiges Bett in der Ecke war halb gemacht. Im Kleiderschrank war nichts zu entdecken, außer Jeans und Shirts.

Gero gesellte sich zu ihr. Ohne weitere Worte nahm er aus einer der Overalltaschen sein Fingerabdruckset heraus und hatte nach wenigen Sekunden ein sauberes Bild von Viktors Zeigefinger auf dessen Computermaus gesichert.

So sehr Geros Marotten manchmal nervten, Ina bewunderte seine Geschicklichkeit. Sie widmete sich dem Verhau unter dem Bett. Vielleicht fand sie hier einen Hinweis auf Viktors Anschrift oder gar die verschwundenen Unterlagen. Doch außer ein paar ausgelatschten Schuhen und Sportsachen kam nichts zum Vorschein. Allmählich wurde sie nervös. So ähnlich musste sich Rüdiger gefühlt haben, als er vor ein einigen Monaten für ihren letzten Fall im Haus des Verdächtigen nach der Elfenbeinstatue gesucht hatte. Er hatte heftige Gewissensbisse gehabt. Wo sollten sie die Grenze bei ihren Ermittlungen ziehen?

Gero erlöste sie mit einem lapidaren »Hab’s.«

»Die Dokumente?« Das Herz klopfte Ina bis zum Hals.

»Nein, aber seine Adresse in Slowenien.« Gero fixierte den Feuermelder und baute die Leiter ab.

Sie gelangten ohne Probleme zur Haustür, als ihnen der sichtlich erboste Mitbewohner hinterherrief: »Frau Friedrich, falls Sie so heißen ... Im Verwaltungsbüro kennt man niemand mit Ihrem Namen. Ich habe gerade nachgefragt.«

Ina schaltete blitzschnell. »Herr Reif«, sagte sie mit eisiger Stimme. »Wollen Sie hier jetzt wirklich einen Aufstand machen? Ich bin erst seit Kurzem bei der Abteilung und habe den Auftrag von meinem erkrankten Kollegen Müller übernommen. Na los, klingeln Sie noch mal durch und erkundigen Sie sich.« Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und verschränkte demonstrativ die Arme.

Reif zögerte, ging aber wieder in sein Zimmer.

Die Tür streifte Geros Nase, als Ina sie aufriss. Im nächsten Moment liefen sie die verwinkelten Gässchen des Olympiadorfes entlang. Hinter sich hörten sie ein lautes Rufen und dann einen Schmerzensschrei.

Ina achtete nicht darauf, sondern rannte weiter und hielt erst an, als sie um mehrere Ecken gebogen waren und sich in einen dunklen Durchgang geflüchtet hatten.

»Puh, das war knapp«, rief sie außer Atem. »Ein Glück, dass er uns nicht länger verfolgt hat. Der wäre bestimmt schneller gewesen als du mit deiner Leiter. Warum er wohl geschrien hat?«

Gero hüstelte. »Vielleicht sind mir aus Versehen ein paar Schrauben aus der Hosentasche gefallen. Kann sein, dass es sich da barfuß nicht so gut drauf läuft.«

***

»Ich habe ein Schreiben von der Meldestelle gefunden, auf dem seine Heimatadresse vermerkt war. Viktor Jenko kommt aus Celje und hatte es gar nicht weit bis zur Burg«, verkündete Gero wenig später in einem Gruppenvideochat, den Ina per Skype eingerichtet hatte. Er trug noch den Blaumann und stand hinter ihr. Auf dem Monitor sahen sie Rüdiger und Elli.

»Dann sollten wir vermutlich hinfahren. Ich habe diese Woche nichts mehr vor.« Ellis neu erwachte Abenteuerlust amüsierte Ina. Was Andreas wohl dazu sagte, nachdem sie viele Jahre am liebsten nur zu Hause geblieben war?

Auch Rüdiger war dabei. »Ein kleiner Ausflug gen Südosten klingt spannend. Mein Juniorpartner Franz führt unsere Firma wirklich ausgezeichnet. Ich kann also jederzeit weg. Wir sind ja schließlich auch nicht am anderen Ende der Welt, falls was wäre.«

»Wir sollten nicht zu viel Zeit verschwenden. Viktor ist schon einige Tage verschwunden. Wollen wir übermorgen Früh losfahren?« Inas Vorschlag fand allgemeine Zustimmung.

Gero meldete sich über ihre Schulter hinweg. »Wie wollen wir bei seinen Eltern auftreten? Die werden doch bestimmt nicht bereitwillig Auskunft geben, wenn sie von Wildfremden über ihren kleinkriminellen Sohn ausgefragt werden.«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, antwortete Ina, ohne sich umzudrehen. »Ich werde behaupten, dass ich einen Artikel über die Restaurierungsarbeiten auf der Burg von Celje schreibe, bei denen ihr Sohn maßgeblich mitgeholfen habe. Das klappt immer. Die Leute erzählen alles, wenn sie dafür in die Zeitung kommen.«

»Ich bin mir nicht so sicher, ob das funktioniert. Ich hätte da einen anderen Plan, der ist wasserdicht. Ich verkleide mich als ...«

Nun drehte sich Ina doch um. »Gero, ich weiß, was ich tue. Schließlich mache ich das beruflich.«

»Das klingt nach einer guten Idee, Ina« , verkündete Elli. »Ich war noch nie in Slowenien. Wie es dort wohl aussieht?«

»Je schneller wir den Dieb und die Unterlagen finden, desto mehr Zeit haben wir, das herauszufinden«, stimmte Rüdiger fröhlich zu.

Gero nickte, wobei sie seinen Seufzer alle deutlich hören konnten. »Dann fahren wir also nach Celje. Ich schicke euch nachher die Adresse und kümmere mich um die Hotelzimmer. Wäre gut, wenn wir in der Nähe, aber nicht direkt neben Viktors Eltern wohnten. Und ein unauffälliges Auto werde ich auch besorgen. Sinnvollerweise wechseln wir in Slowenien das Fahrzeug, um nicht mit dem deutschen Kennzeichen aufzufallen.«

»Gero!«, rief Ina genervt und senkte das Handy. »Viktor schreibt die Doktorarbeit, nicht wir! Einen Mietwagen zu besorgen, ist ein guter Plan. Aber harmlose deutsche Touristen haben meist auch ein deutsches Kennzeichen.«

»Ich sehe euch zwar nicht mehr«, kam Rüdigers Stimme aus dem nach unten gerichteten Smartphone, »aber ich gebe Ina recht. Und, Gero, bitte nimm vor lauter Nicht-Auffallen-Wollen keinen Trabbi!«

Celje

Karte 1

Rüdiger schmollte. Mit verschränkten Armen und grimmigem Gesicht saß er eingequetscht auf der Rückbank des Kompaktwagens, den Gero ausgesucht hatte.

»Ein kleines Gefährt fällt viel weniger auf bei unseren Recherchen. Und darauf kommt es ja wohl einzig und allein an«, hatte sich Gero verteidigt.

Rüder kam es bei einer solchen Fahrt durchaus auch auf Komfort an. Das nächste Mal würde er das Auto wählen.

Google Maps hatte für die Strecke nach Celje fünf Stunden veranschlagt. Rüdiger fand, man hätte noch einen Gero-Faktor berücksichtigen müssen, der in etwa einer Verdoppelung der gefühlten Fahrtzeit entsprach. Schon kurz hinter München war es losgegangen. Sein Freund reichte ihm den Datenträger mit der sorgsam vorbereiteten Rock- und Metal-Playlist wieder nach hinten und wies bedauernd auf den vom Ladekabel des Navigationsgeräts besetzten USB-Anschluss. Ina hatte daraufhin Reggae von ihrem Handy gestreamt, was zu Rüdigers weiterem Verdruss den neben ihr sitzenden Gero dazu bewog, einen ausführlichen Vortrag über die Entstehung dieser Musikrichtung zu halten.

***

Elli fand die Fahrt sehr gemütlich. Sie hatte einen Arm auf die zwischen ihr und Rüdiger stehende Tasche gelegt – der Kofferraum war natürlich viel zu klein für ihr gesamtes Gepäck – und ließ sich von Geros Dozieren langsam in den Schlaf geleiten.

Knapp hinter der österreichischen Grenze schlug Gero lautstark vor, ein Quiz zu spielen. Das war schon früher eine seiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Was sonst sollte man auch mit einem eidetischen Gedächtnis machen? Elli stellte sich schlafend, während Rüdiger versuchte, das kaum Vermeidbare abzuwenden. »Und du führst uns wieder unser Nichtwissen vor? Nein, ich habe eine bessere Idee. Eine Wette!«

Elli riss die Augen auf. Ein Glücksspiel mit Gero war genauso gut, wie sein Geld zum offenen Fenster hinauszuwerfen. Gero biss sogleich an und drehte sich erwartungsvoll zu ihnen um.

»Pass auf«, fuhr Rüdiger fort. »Du notierst dir bei den nächsten zwanzig Autos die Zahl, die aus den letzten beiden Ziffern des Nummernschilds gebildet wird. Klar? Ich wette mit dir, dass sich dabei mindestens eine wiederholt!« Rüdiger versuchte sich an einem Pokerface, doch Elli erkannte förmlich, wie er innerlich vor Aufregung bebte. Wenn das mal gut ging.

»Insgesamt gibt es hundert Möglichkeiten: von 00 bis 99. Und ich schreibe bloß zwanzig dieser Zahlen auf. Richtig?«, fasste Gero zusammen.

Rüdiger nickte eifrig. Als Gero die Augen schloss, vermutlich um sich die Chancenverhältnisse auszurechnen, entgegnete Rüdiger schnell: »Nun komm schon, schlag ein. Um unser heutiges Abendessen!«

»Gib mir einen Moment. Ich weiß, wie leicht man sich bei kombinatorischen Berechnungen verschätzt. Die Zahlen sind oft kontraintuitiv. Wenn man zum Beispiel ...«

Elli war nicht wohl dabei. Sie fürchtete, Rüdiger würde sich hoffnungslos verspekulieren. Vorsichtig schüttelte sie den Kopf.

»Jetzt oder gar nicht!«, entschied Rüdiger. »Wir können es auch lassen, wenn du dich nicht traust.«

Wenig später gab Ina die Kennzeichen durch, damit alles mit rechten Dingen zuging, während die Männer eifrig mitnotierten. »Zweiunddreißig ... Sechsundsiebzig ... Fünfzehn ...«

Als sie bei dem sechzehnten angekommen waren, wurde Elli allmählich nervös. War ja klar, dass das nicht funktionierte!

»Achtundfünfzig«, sagte Ina die nächste Zahl an und Gero rief laut: »Das darf doch nicht wahr sein, die hatten wir schon.«

»Du schuldest mir ein Abendessen!«, entgegnete Rüdiger.

»Wie hast du das gemacht?«, flüsterte Elli.

»Ich habe gar nichts gemacht. Das ist einfachste Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Chancen standen von Anfang an sieben zu eins für mich. Den Trick hab ich aus einem Desmond-Bagley-Roman.« Ihr alter Freund strahlte.

Gero schüttelte nur den Kopf und war die nächste halbe Stunde damit beschäftigt, seinen Block mit mathematischen Gleichungen vollzuschreiben.

Beim ersten Tankstopp übergab er Rüdiger einen Zettel. »Hier habe ich die Wahrscheinlichkeiten ausgerechnet. Es stand tatsächlich sieben zu eins für dich.«

»Hab ich doch gesagt.«

»Aber jetzt hast du auch die Rechnung dazu.«

Rüdiger betrachtete die hübschen Zeichen. »Ich werde sie aufhängen, neben dem Foto meines üppigen Abendessens.«

***

Als sie endlich das Ortsschild von Celje passierten, war Ina sehr erleichtert. Sie hatten ein paar Zwischenstopps eingelegt, aber die Fahrt war lang und dank der beiden Männer unterhaltsam und nervenaufreibend zugleich gewesen. Der Journalistin fiel ein McDonald’s auf, kurz darauf ein dm und ein C&A. Sie erinnerte sich an ihre Jugend, in der europäisches Ausland noch eine andere Welt gewesen war: Umrechnen der Wechselkurse, fremde Schriftzeichen, von den sprachlichen Hürden ganz zu schweigen. Sie hatte wenige Brocken Slowenisch gelernt, war sich aber ziemlich sicher, dass sie mit Englisch oder sogar Deutsch recht weit kommen würden. Hoffentlich konnte sie sich so auch mit Viktor Jenkos Eltern verständigen.

Sie passierten einen Kreisverkehr mit dem Ortsnamen in silbernen Lettern und drei Sternen daneben.

Als hätte Gero ihre Gedanken gelesen, erklärte er: »Die drei sechszackigen Sterne stammen noch aus dem Wappen der Grafen von Cilli. Wusstet ihr, dass Celje mit achtunddreißigtausend Einwohnern die drittgrößte Stadt Sloweniens ist und sehr früh bei den Kelten ...«

»Warum können wir eigentlich nicht direkt in Celje wohnen?«, unterbrach ihn Elli, als sie ins Stadtzentrum kamen. »Das ist richtig schön hier!«

Ina hatte nicht recht gewusst, was sie erwarten würde, aber bisher gefiel auch ihr das Land ausgesprochen gut. Sie fuhren langsam durch die engen Gassen der Innenstadt. Die nahtlos ineinander übergehenden niedrigen Häuser schienen um die letzte Jahrhundertwende erbaut, waren aber oft frisch und liebevoll renoviert. Viele beherbergten moderne Ladenfronten im Erdgeschoss. Weiß, Gelb, Grün und weiche Brauntöne waren die vorherrschenden Farben. Alles war sauber und ordentlich. Auf den Straßen herrschte am späten Nachmittag nur wenig Betrieb.

»Hier kennt doch jeder jeden«, stellte Gero fest. »Und im Hotel müssen wir unsere Ausweise vorzeigen. Regel Nummer sechs heißt immer noch ...«

»›Unerkannt bleiben‹«, antworteten die anderen im Chor. Schließlich hatte ihnen Gero diese und neununddreißig weitere der ›10xVIER-Grundregeln‹ bereits als Jugendlicher eingetrichtert.

Sie fuhren noch eine Viertelstunde am Ufer der Savinja entlang, die sich als graugrünes Band durch das Tal schlängelte, bis sie in Laško angekommen waren. Dort hatte Gero sie in einer Viersterneunterkunft eingebucht.

»Bitte sehr, Herr Fichtinger«, sagte die freundliche Dame an der Rezeption in perfektem Deutsch. »Ein Einzelzimmer für Sie und ein Dreibettzimmer für Ihre Begleiter.«

Ina ging überrascht dazwischen. »Moment mal!« Sie wandte sich an Gero: »Du hast uns allen Ernstes ein Dreibettzimmer gebucht?«

Ihr Teamkamerad zuckte mit der Braue, dann zog er sie um eine Ecke und bedeutete den anderen, ihnen zu folgen.

»Vielleicht«, gab er ungewohnt kleinlaut zu, »habe ich etwas falsch verstanden, als ich die Buchung auf Slowenisch aufgegeben habe.«

»Du bist und bleibst ein Knallkopf!«, erklärte Elli erbost. »Was sollen wir jetzt machen?«

»Wartet bitte, ich habe eine Idee.« Gero verschwand.

»Was hat er denn nun wieder vor?«, maulte Rüdiger. »Warum muss er immer aus der Reihe tanzen?«

Ina seufzte. »Das wüsste ich auch gerne.« Sie mochte Gero mit seinen Ecken und Kanten. Aber er konnte auch so verdammt eigensinnig sein. Hoffentlich hatte die Besitzerin noch etwas frei. So groß schien die Villa nicht zu sein.

Als Gero zurückkam, wirkte er recht zufrieden mit sich. »Tut mir leid, hat ein bisschen gedauert, bis wir die hier gefunden haben.« Er hielt vier Zahnstocher in der Hand, sodass nur deren obere Hälften zu sehen waren.

»Was soll das werden?«, blaffte Rüdiger. »Hast du die Zimmer umgebucht?«

Gero schüttelte den Kopf. »Leider ist alles belegt. Deshalb machen wir es salomonisch und losen, wer das Einzelzimmer bekommt. Jeder zieht ein Hölzchen, das kurze gewinnt.«

»Hältst du uns für völlig bescheuert?« Rüdiger kam richtig in Fahrt und bog Geros Finger auseinander. Alle Zahnstocher waren gleich lang. »Mit dem Trick hast du uns doch schon als Kinder verarscht. Zum Schluss zerbrichst du heimlich das Hölzchen, das dir geblieben ist, und bist der Sieger. Ohne mich!« Er wandte sich kopfschüttelnd ab.

»Ihr habt doch sonst auch so viel vergessen«, entgegnete Gero mit deplatzierter Ehrlichkeit. »Da dachte ich ...«

»... dass du das Beste für dich herausholst, weil wir so blöd sind, es nicht zu merken?« Auch Elli war sauer. »Als ob jemand freiwillig mit dir in einem Zimmer schlafen würde. Ich ...«

Ina ging beschwichtigend dazwischen und hatte binnen weniger Minuten Betten in einem nahegelegenen Bed & Breakfast gebucht.

***

Um kurz nach halb fünf warteten Elli, Rüdiger und Ina am Auto, um gemeinsam zu Viktor Jenkos Eltern zu fahren.

»Wo ist denn unser Uhrenfetischist?«, fragte Rüdiger. Es klang eher überrascht als höhnisch. »Der wird doch nicht eingepennt sein?«

In diesem Moment bekamen alle eine Nachricht auf ihre Handys.

Bin schon los, um mich umzuschauen. Treffen uns um 18 Uhr in der Pizzeria an der Brücke.

»Gero ohne Hektik. Das ist wie Weihnachten ohne Plätzchen. Beides ist unmöglich!«

»Sollen wir ohne Gero fahren?«, fragte Elli irritiert.

»Klar! Schließlich waren wir als REI auch schon ein erfolgreiches Ermittlertrio, bevor der liebe Gero Valerius zu uns an die Schule kam. Lasst uns aufbrechen«, meinte Ina lachend.

Elli stieg hinten ein. »Du darfst gerne vorne sitzen, Kwalle. Einen Vorteil muss es ja haben, dass Gero nicht dabei ist.«

Rüdiger öffnete den Mund. Ob er es tat, um zu widersprechen oder um noch ein paar andere Vorteile aufzuzählen, war nicht klar. Dann lächelte er nur und setzte sich mit einem wohligen Seufzer auf den Beifahrersitz.

Die Sonne stand nun schon ziemlich tief und die Bergspitzen warfen lange Schatten in die malerische Hügellandschaft. Sie fuhren wieder die kurvige Straße an der Savinja entlang zurück nach Celje. Das Tal wurde zu beiden Seiten von dicht bewaldeten Berghängen begrenzt. Elli war nicht überrascht, dass hier noch Wölfe, Bären und Steinadler eine Heimat hatten. Auf der anderen Uferseite zog gemächlich ein Zug vorüber, der wie eine Münchner S-Bahn aussah und über die ganze Länge mit Graffiti besprüht war, womit er so gar nicht in das romantische Idyll passte.

Sie fuhren an einem Polizeiwagen mit dem Schriftzug Policia auf der Seite vorbei.

»Wie spricht man das noch mal aus?«, fragte Elli vom Rücksitz. »Politschia?«

»Nein«, erklärte Ina. »Polissia. Ist ganz einfach. C ist immer ss. Und s ist immer stimmhaft s.« Sie säuselte den Laut. »Ein Häkchen macht aus einem c ein tsch und aus einem s ein sch.«

Rüdiger lachte herzlich. »Wenn Gero mal wieder nicht dabei sein sollte, gäbst du einen guten Ersatz ab.«

Ina parkte das Auto vor dem Stadtmuseum. »So, ich werde jetzt zu den Jenkos gehen.« Sie blickte sich um. »Wir treffen uns später in dem Café da drüben.«

»Alles klar. Wir spazieren in der Zwischenzeit zum Fluss. Von dort müsste man die Burg schön fotografieren können.« Rüdiger nahm seine Kamera aus der Tasche.

»Fang doch mit dieser ulkigen Radfahrerstatue hier an. Schaut aus wie Karl Valentin mit Fotoapparat.«

Sie marschierten los.

***

Das Haus mit der Nummer 23 stand in einer schmalen Nebenstraße. Die gelbliche Fassade bröckelte an einigen Stellen ab, das Regenrohr war verbeult, aber abgesehen davon schien alles sauber und ordentlich. Es gab insgesamt sechs Messingschilder. Auf einem fand Ina den Namen Morina Jenko.

Gero hätte sich wahrscheinlich wieder als Kaminkehrer oder Gasableser verkleidet, doch sie würde einfach sie selbst sein: eine Journalistin auf Recherchereise über Burgen. Der Türsummer ertönte und sie erklomm zwei Stockwerke auf knarzenden Treppenstufen. Eine kleine dunkelhaarige Frau in einem schlichten schwarz-weiß gemusterten Kleid lugte hinter einer halb geöffneten Tür hervor. »Kako vam je ime?«

»Me veseli!«, antwortete Ina höflich und nickte. »Sprechen Sie Deutsch ... or English?«

»Wer sind Sie?« Die Miene der Frau drückte Angst und Misstrauen aus.

Ina hielt etwas Abstand und lächelte. »Ich heiße Ina-Marie von Treuenfeld und bin Journalistin.« Sie zeigte ihren Ausweis, was Frau Jenkos Gesichtsausdruck keineswegs aufhellte. Ina musste vorsichtig und gewinnend sein. »Ich recherchiere gerade über Burgen in Slowenien und habe von meinen Freunden aus München« – sie ließ offen, wen sie damit meinte – »gehört, dass Ihr Sohn Viktor an der Restauration von Stari Grad mitgearbeitet hat. Sie müssen sehr stolz auf ihn sein.«

Sie versuchte gern, positive Emotionen bei ihren Interviewpartnern hervorzurufen. Das schaffte Vertrauen und Redseligkeit.

»Ich kenne Sie nicht und Sie stellen komische Fragen!«