No Pulp in the Fiction - Markus Hirsch - E-Book

No Pulp in the Fiction E-Book

Markus Hirsch

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Beschreibung

Q.T. - Quentin Tarantino: Gefeierter Kultregisseur, Oscar-prämierter Drehbuchautor, einflussreicher Filmemacher mit ungewöhnlich hohem Bekanntheitsgrad, der sogar mit dem von Schauspielstars konkurrieren kann. Im vorliegenden Buch setzt sich der Autor Markus Hirsch mit den frühen Werken des Regisseurs auseinander, mit Klassikern wie "Reservoir Dogs - Wilde Hunde", "Pulp Fiction", "Jackie Brown" sowie "Kill Bill - Volume 1 & 2", und würdigt dabei, mithilfe zahlreicher Drehbuch-Ausschnitte, vor allem auch den Autor Tarantino, dessen Drehbücher nicht nur brillante Dialoge & kühn konstruierte Plots bieten, sondern, aufgrund der psychologisch schlüssigen Charakterzeichnung der Gangster/der "Bad-Ass Dudes", auch eines völlig klarmachen: There is No Pulp in the Fiction at all!

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Seitenzahl: 418

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Inhalt

VORWORT

PROLOG

RESERVOIR DOGS – WILDE HUNDE

PULP FICTION

THE MAN FROM HOLLYWOOD

JACKIE BROWN

KILL BILL – VOLUME 1

KILL BILL – VOLUME 2

Vorwort

„Nun befinden wir uns im Überlebenskampf des Films. Will

man dem Film also eine Spritze verpassen, die sein Leben verlängern

würde als Teil anderer Disziplinen […], müssen wir

nach den Hauptquellen der Energie suchen. Eine Energiequelle

könnte sein, die Regeln jenes Genres zu brechen, das genauso

leer ist wie das Leben der Leute, die ihm folgen“

(ein Statement von Star-Regisseur Emir Kusturica aus dem

Jahr 2007, das irgendwie auch genau jenen Effekt beschreibt,

den Quentin Tarantino’s Filme in den 90ern auf die Filmbranche

im Allgemeinen und auf das Genre „Crime Film“ im Besonderen hatten)

„All my dogs is at the reservoir

Top five, I’m where the legends are […]“

(ein großer amerikanischer Sprachkünstler, der Rapper

EMINEM, bezieht sich auf einen anderen, nämlich Quentin Tarantino – aus:

EMINEM’s Song „Yah Yah“ von 2020, enthalten

auf dem Album „Music to Be Murdered By“, das auch einige

Hommagen an einen weiteren legendären Filmregisseur,

nämlich an Alfred Hitchcock, enthält)

An Quentin Tarantino, dem 1963 in Knoxville (Tennessee) geborenen US-Regisseur, scheiden sich wahrlich die Geister. Die einen halten ihn für ein „Bloody Genius“, so wie das eine Dokumentation von Tara Wood über Tarantino aus dem Jahr 2019 im Titel andeutet, und die anderen befällt beim Betrachten seiner oft „überlangen“ & „überkonstruierten“ Filme sicherlich so ein „Thank you, you’ve made a happy woman/ happy man very old“-Gefühl.

Fakt ist aber auch, dass Tarantino einer der einflussreichsten Filmemacher der letzten 30 Jahre ist und seine Werke speziell in den 90ern eben nicht nur das Genre des „Crime Film[s]“ belebt haben, sondern der gesamten Filmbranche eine notwendige „Adrenalinspritze ins Herz“ verpasst haben, also genau das getan haben, was „Vincent Vega“ John Travolta mit „Mia Wallace“ Uma Thurman in einer der berühmtesten Szenen von Pulp Fiction tut.

Das vorliegende Buch, entstanden im Frühjahr & Sommer des wahrlich „denkwürdigen“ Jahres 2020, setzt sich ausschließlich mit den „frühen Werken“ des Regisseurs auseinander, die gleichzeitig aber auch meine persönlichen „Top Five“-Tarantino-Filme sind, meine persönlichen, wenn man so will, „QT-Legends“, nämlich Reservoir Dogs – Wilde Hunde, Pulp Fiction, Jackie Brown, Kill Bill – Volume 1 & Kill Bill – Volume 2.

Darüber hinaus wird die 1995 als Teil des Episodenfilms Four Rooms veröffentlichte Hitchcock-Hommage The Man from Hollywood berücksichtigt.

Da Tarantino aber eben nicht nur ein bedeutender Regisseur ist, sondern bekanntlich auch ein bedeutender Autor, dessen Drehbücher gewissermaßen eine „Masterclass“ in Dialog, Struktur & Rhythmus sind, wurden in den Kapiteln zu Pulp Fiction, Jackie Brown und den beiden Kill Bill – Filmen umfangreiche Passagen aus den zugrundeliegenden Skripts eingebaut.

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle meiner Frau Claudia, welche entscheidenden Einfluss darauf hatte, dass „Quentin Tarantino“ das Thema sein sollte, welches dem zwei Bücher umfassenden Thema „James Bond“ nachfolgt.

M. H.

PROLOG

VINCENT VEGA

Ich finde, wir sollten jetzt langsam gehen.

JULES WINNFIELD

Ja, das ist wahrscheinlich `ne gute Idee.

Nach diesem Dialog stecken John Travolta und Samuel L. Jackson, alias „Vincent & Jules“, ihre Schusswaffen ein und spazieren wortlos aus dem „Hawthorne Grill Restaurant“ in Los Angeles - und zu den Klängen von „Surf Rider“ von The Lively Ones beginnt der Abspann: WRITTEN AND DIRECTED BY QUENTIN TARANTINO…

Nach und nach verlassen die nicht gerade wenigen Besucher das Grazer „Opern“-Kino, welches 1999 endgültig dichtgemacht wurde, und irgendwann sitze ich tatsächlich nur mehr allein in dem Saal und starre noch immer auf die Leinwand – es ist bestimmt das fünfte oder sechste Mal, dass ich den Film sehe.

Obwohl der Kino-Angestellte, der die Spätvorstellung von PULP FICTION betreuen musste, mit Nachdruck beginnt, diverse Popcorn- & Getränke-Becher wegzuräumen, „weigere“ ich mich, obwohl die „Forderung“ danach irgendwie klar im Raum steht, schon zu gehen und bleibe, bis der Abspann des Films allmählich endet und sämtliche Musik verstummt. Dann bewege auch ich mich in Richtung Seitenausgang, wo der mittlerweile leicht „vorwurfsvoll“ dreinblickende Angestellte letztendlich wartet, um endlich die Tür hinter mir schließen zu können. Ich sage „auf Wiedersehen“ zu ihm, er sagt ebenfalls „auf Wiedersehen“, und ich trete hinaus in die Nacht, wo „Mum & Dad“ mich bereits erwarten und sich irgendwie darüber zu amüsieren scheinen, dass ich offenbar wirklich die letzte Person bin, die in dem Kinosaal noch übrig war.

OK, vielleicht hat Quentin Tarantino (und mir selbst ist es immer so erschienen, als wäre dieser Zeitpunkt nach der formidablen und auffällig „seriös“ geratenen Pam Grier-Huldigung Jackie Brown von 1997 gekommen gewesen, spätestens aber nach dem wahrlich ekstatischen Rache-Epos Kill Bill Vol. 1 & 2 aus 2003/2004) wirklich irgendwann begonnen, jene Filme zu drehen, die man ihm zuvor nur unterstellt hat, sie zu drehen, nämlich ganz spezielle, eben „Tarantino-eske“, Formen der „rabiaten Genre-Hommage“, die er dann tatsächlich in Werken wie Inglourious Basterds (2009) und Django Unchained (2012) nicht nur verwirklicht, sondern gleichsam auch auf die Spitze getrieben hat.

In den 90ern jedoch, lässt man den leicht albern geratenen Beitrag „The Man from Hollywood“ in dem heutzutage fast schon wieder vergessenen Episoden-Film Four Rooms (1995; Regie: Allison Anders, Alexandre Rockwell, Robert Rodriguez & Quentin Tarantino) mal beiseite, waren Tarantino’s Filme, Reservoir Dogs (1992), Pulp Fiction (1994) & Jackie Brown, wirkliche Meisterwerke und tatsächlich „something new“ gegenüber dem, bei aller Brillanz, zum damaligen Zeitpunkt doch leicht vorhersehbar gewordenen Kino von US-Regie-Gurus wie beispielsweise Woody Allen, Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola. Denn, letztendlich war die Lage, um gleich bei den drei Regie-Legenden zu bleiben, seinerzeit im Grunde so: Coppola feierte 1990, nach einer „kommerziellen Dürre“ von 10 Jahren, ein mühsames und tendenziell vielleicht „einfallsloses“ Comeback mit Der Pate III (The Godfather Part III) und Bram Stokers Dracula (1992; Dracula). Scorsese, von dem ich komischerweise nie so ein großer Fan war, wie man es gewiss sein müsste, lieferte von Teilen der Filmkritik bis heute fast hymnisch gefeierte, virtuos und wahrlich „entfesselt“ gefilmte, irgendwie aber unterm Strich dann doch leicht „konservative“ Mafia-Epen wie Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia (1990; Goodfellas) oder Casino (1995) ab. Und Woody Allen’s intellektuelles Personal wälzte, in Filmen wie Ehemänner und Ehefrauen (1992; Husbands and Wives) oder Manhattan Murder Mystery (1993), anscheinend immer dieselben Beziehungsprobleme in der tiefbürgerlichen Welt von Manhattan - und fing dabei irgendwann an zu reden, als wäre es gerade einem alten Ingmar Bergman-Film entsprungen.

Inmitten dieser „Durststrecke“ des US-Kinos tauchte plötzlich „Q. T.“, Quentin Jerome Tarantino, auf, dessen Filme nicht nur so waren, wie „Vincent Vega“ John Travolta in Pulp Fiction sein Steak bestellt, nämlich „bloody as hell“, sondern auch Werke, in denen die „bad-ass dudes“, die Gangster, plötzlich begannen, über die wahre Bedeutung von Madonna’s „Like a Virgin“ oder über die „erotischen Qualitäten“ von Fußmassagen zu philosophieren.

Reservoir Dogs (1992) (ca. 99 Min.; dt. Verleihtitel: Reservoir Dogs – Wilde Hunde)

Das war die Partridge Family mit „Doesn’t Somebody

Want to Be Wanted“, gefolgt von Edison Lighthouse mit „Love

Grows (Where my Rosemary Goes)“. Und weiter geht’s mit K-

Billy’s Superoldies-Hitparade der 70er-Jahre

...

„Yeah/Looking back on the track for a little green bag/Got

to find just a kind or losin‘ my mind“

(Ausschnitt aus dem Song „Little Green Bag“ der George

Baker Selection aus dem Jahr 1970, der den Vorspann von Reservoir

Dogs untermalt, in dem „acht Kriminelle in SCHWARZEN

ANZÜGEN“ in Zeitlupe eine Straße lang gehen; zuvor die

Worte des DJs der „fictional radio station“ K-Billy, auf der gerade,

wie im gesamten „Echtzeit-Teil“ des Films, das „K-Billy’s

Super Sounds of the Seventies Weekend“ läuft)

„Ooga-Chaka Ooga-Ooga/Ooga-Chaka Ooga-Ooga“

(aus dem 1973 veröffentlichten Song „Hooked on a Feeling“

von Blue Swede – enthalten auf dem Reservoir Dogs-Soundtrack;

es mag vielleicht merkwürdig klingen, aber irgendwie

beschreiben diese „Textzeilen“ auch genau das Feeling,

das alle Filme von Quentin Tarantino verbreiten!)

MR. BROWN

Ich sag euch, worum’s in „Like a Virgin“ geht. Der Song

handelt von einem Mädchen, das auf `nen Kerl mit einem großen

Schwanz scharf ist. Das Ganze ist eine Metapher für große

Schwänze.

(aus: Reservoir Dogs – Wilde Hunde; der Gangster „Mr.

Brown“, gespielt von seinem Schöpfer Quentin Tarantino

höchstselbst, gibt den „Popkultur-Nerd“ und klärt seine Kollegen

während der berühmten „pre-heist debate about the possible

meanings of Madonna’s `Like a Virgin`“ über die angeblich

wahre Bedeutung des Songs auf – heist: Raub; gemäß der im

Jahr 2000 bei faber and faber erschienenen Buchausgabe

des Tarantino-Skripts sagt „Mr. Brown“: „Like a Virgin is all

about a girl who digs a guy with a big dick. The whole song is

a metaphor for big dicks.“)

MR. WHITE

Du wirst wieder gesund! Weißt du, die Eingeweide, das

sind die schmerzempfindlichsten Körperteile, die man treffen

kann. Aber es dauert lange, bis man daran stirbt. Wirklich sehr lange.

(aus: Reservoir Dogs – Wilde Hunde; „Mr. White“ Harvey

Keitel zu „Mr. Orange“ Tim Roth, der mit einem Bauchschuss

blutend auf dem Boden des Lagerhauses liegt; laut Tarantino-Skript

sagt „Mr. White“ zu „Mr. Orange“: „Listen to me, kid.

You ain’t gonna die! Along with the kneecap, the gut is the

most painful area a guy can get shot in. […] But it takes a long

time to die from it. I’m talkin‘ days.“)

MR. BLONDE

Willst du noch weiter bellen, kleines Hündchen, oder willst

du beißen?

(aus: Reservoir Dogs – Wilde Hunde; „Mr. Blonde“ Michael

Madsen zu „Mr. White“ Harvey Keitel während ihres

Streits im Lagerhaus; laut QT-Skript: „You gonna bark all day,

little doggie, or are you gonna bite?“)

Quentin Tarantino’s „Kino der Eingeweide“ (Copyright: New York Times-Kritikerin Manohla Dargis – Vorwort zur deutschen Drehbuchausgabe von Pulp Fiction, erschienen 1994) und sein damit einhergehender „hard-hitting style“ haben Anfang der 90er-Jahre wuchtig wie ein Aufwärtshaken von Rocky Balboa in der Filmwelt eingeschlagen.

Dabei sind Tarantino’s „Helden“ praktisch die Gegenentwürfe zu den heroischen „80er-Jahre-Kampfmaschinen“, denn es sind tatsächlich, um auf den Titel eines der erfolgreichsten Tarantino-Filme Bezug zu nehmen, sozusagen „Inglorious Bastards“, „unrühmliche Bastarde“, die einem der Regisseur da, inmitten von spritzendem Blut und splitternden Knochen, präsentiert.

Während Gangster und Mafiosi speziell in der Godfather-Trilogie von Francis Ford Coppola sowie in den in den 90ern entstandenen Mafia-Filmen von Martin Scorsese (der wunderbare Mean Streets – Hexenkessel von 1973 mit Harvey Keitel & Robert De Niro hingegen ist ein völlig anderer Fall!) oftmals als „Amtsträger“ rüberkommen, findet bei Tarantino, und das schon in dessen Regiedebüt Reservoir Dogs – Wilde Hunde, also gleichsam von Anfang an, wahrlich keinerlei „Glorifizierung & Mystifizierung“ von Verbrechern und Berufskillern statt. Im Gegenteil: Die Mafiosi, die Gangster, die Killer, das sind „ganz normale“ Menschen, die zur „Arbeit“ gehen, davor und danach irgendein alltägliches, „blödes“ oder belangloses Zeug quatschen und somit auch ganz normale „Lebensprobleme“ wälzen. Diese „unrühmlichen Bastarde“ sind also weder besonders „heroisch“ noch besonders „gescheit“, sie sind - in der Regel zumindest- „Menschen mit Gefühlen“, denen auch, wie beispielsweise dann im dritten Abschnitt von Pulp Fiction („THE BONNIE SITUATION“), als „Vincent Vega“ John Travolta dem auf der Rückbank des Autos sitzenden „Marvin“ (Phil LaMarr) quasi aus Versehen eine Kugel in den Kopf jagt, „Arbeitsunfälle“ passieren.

Der Plot von Reservoir Dogs – Wilde Hunde:

Der Film beginnt damit, dass 8 Männer („Mr. White“, „Mr. Orange“, „Mr. Blonde“, „Mr. Pink“, „Mr. Blue“ & „Mr. Brown“ sowie „Nice Guy“ Eddie Cabot und dessen Vater, der Ober-Boss Joe Cabot) am Tisch eines Diners in Los Angeles sitzen und sich, bevor sie dann losziehen, um einen geplanten Diamantenraub auszuführen, über die möglichen Bedeutungen des Madonna-Songs „Like a Virgin“ unterhalten sowie auch über die Wichtigkeit des Trinkgeldgebens [als „Widersacher“ stehen sich hier vor allem „Mr. Pink“ und „Mr. White“ gegenüber: MR. PINK, der kein Trinkgeld, vor allem keine „automatischen Trinkgelder“, geben will, macht eine dementsprechende Bewegung mit Daumen und Mittelfinger und sagt: „Weißt du, was das ist? Das ist die kleinste Violine der Welt. Die spielt nur für die Kellnerin“ / MR. WHITE, der das Ganze mehr „von der soziologischen Seite her“ betrachtet: „Das Gaststättengewerbe stellt die meisten Arbeitsplätze für Frauen ohne Hochschulabschluss in diesem Land. Das ist der einzige Job, den praktisch jede Frau kriegen und davon leben kann. Und zwar deswegen, weil man Trinkgeld gibt“].

Nach dem Raubüberfall flüchtet Mr. White mit dem schwer verletzten Mr. Orange in einem Wagen – Orange, der stark blutet und vor Schmerzen schreit, hat [wie man erst viel später im Rahmen einer Rückblende und im Kapitel „MR. ORANGE“ erfährt] von der Besitzerin des gestohlenen Wagens einen Schuss in den Bauch verpasst bekommen, bevor Orange die Frau dann gleichsam aus einem Reflex heraus erschossen hat. White bringt Orange zu dem verabredeten Treffpunkt, eines von Joe Cabot’s Lagerhäusern, platziert ihn dort auf dem Boden und versucht ihn irgendwie zu beruhigen. Plötzlich taucht auch Mr. Pink auf, der es ebenfalls geschafft hat, der Polizei zu entkommen, und ist felsenfest davon überzeugt, dass der Juwelenraub deswegen schiefgegangen ist, weil es einen Verräter in den eigenen Reihen gegeben hat und die Polizei in Wahrheit schon vor Ort gewesen ist. Außerdem informiert er White darüber, dass Mr. Blue und Mr. Blonde vermisst werden – White wiederum berichtet seinerseits, dass Mr. Brown tot ist. Pink und White beginnen sich in der Folge über Mr. Blonde zu unterhalten, denn dieser hat während des Raubüberfalls begonnen wahllos Zivilisten zu töten, und White ist erzürnt darüber, dass sein alter Freund Joe Cabot offenbar einen „Psychopathen“ angeheuert hat [MR. WHITE: „Warum zum Teufel hat Joe bloß so einen Irren angeheuert? […] Psychopathen sind keine Profis. Ich kann nicht mit Psychopathen arbeiten. Du weißt doch nie, was diese kranken Arschlöcher als Nächstes tun“]. Nachdem Pink White mitgeteilt hat, dass er die Diamanten hat und in einem Versteck in der Nähe untergebracht hat, geraten die beiden Männer darüber in einen Streit, was mit dem verletzten und mittlerweile bewusstlos gewordenen Mr. Orange [MR. PINK: „Scheiße, ist der schon abgekratzt?“] geschehen soll, der bald stirbt, wenn er keine medizinische Hilfe bekommt. Der Streit endet damit, dass White und Pink aufeinander losgehen und schließlich auch die Waffen aufeinander richten. Plötzlich steht Mr. Blonde im Raum und trinkt in Ruhe aus einem Fast Food-Restaurant-Getränkebecher. Beinahe gerät White dann auch mit ihm in eine Auseinandersetzung, aber Blonde beendet den Streit sozusagen, indem er Pink und White seine Geisel präsentiert, die sich im Kofferraum seines Autos befindet – es handelt sich dabei um den jungen Streifenpolizisten Marvin Nash.

In dem Zwischenkapitel „MR. BLONDE“ [Anmerkung: Zuvor wurde man in dem Zwischenkapitel „MR. WHITE“ Zeuge eines Gesprächs zwischen Joe Cabot und Mr. White, in dem Cabot und White, der in Wirklichkeit Lawrence „Larry“ Dimick heißt, über alte Zeiten reden und in dem auch der beabsichtigte Juwelenraub kurz angesprochen wird] sieht man ein Treffen zwischen Vic Vega, so der wirkliche Name von „Mr. Blonde“ [Anmerkung: Dass John Travolta später in Pulp Fiction ebenfalls den Nachnamen „Vega“ trägt, ist kein Zufall, denn laut Tarantino sollen „Vic & Vincent Vega“ Brüder sein], und den beiden Cabots. Als Gegenleistung dafür, dass Vega eine vierjährige Haftstrafe abgesessen hat ohne die Cabots zu verraten, bieten ihm „Nice Guy“ Eddie und dessen Vater eine Art „noshow job“ als Dockarbeiter an, der nur dazu dient, Vega’s Bewährungshelfer Seymour Scagnetti [Anmerkung: Auch hier gibt es Namensähnlichkeiten innerhalb des Tarantino-Personals, denn in dem nach einem Tarantino-Drehbuch von Oliver Stone inszenierten Serienkiller-Spektakel Natural Born Killers aus 1994 treibt sich der von Tom Sizemore gespielte „Massenmörder-jagende“ Detective Jack Scagnetti herum] zu täuschen, dem Vega aber in Wirklichkeit nicht nachgeht. Da Vega aber nach „echter Arbeit“ fragt, machen die Cabots ihn zum Mitglied im „Juwelenraub“-Team.

Zurück im Lagerhaus: Mr. Pink und Mr. White prügeln den gefangenen Polizisten, um von ihm Informationen bezüglich des vermuteten „Maulwurfs“ in den eigenen Reihen zu erhalten, und fesseln ihn dann an einen Stuhl. Schließlich taucht Eddie Cabot auf und will, dass Pink und White mit ihm gemeinsam die vor dem Lagerhaus geparkten Autos entfernen und in der Folge die von Pink versteckten Diamanten holen – Blonde soll währenddessen im Lagerhaus bleiben und auf den Polizisten aufpassen. Der junge Polizist Nash betont anschließend nochmals gegenüber Mr. Blonde, dass er nichts von einem Undercover-Cop oder von einer Falle wisse und er auch unter Folter nichts gestehen könne. Blonde dreht daraufhin das Radio an, wo noch immer K-Billy’s „Super Sounds of the Seventies-Weekend“ läuft, und zu den Klängen des Steelers Wheel-Song „Stuck in the Middle with You“ schneidet Blonde dem jungen Polizisten Nash mit einem Rasiermesser ein Ohr ab. In dem Moment, als Blonde Nash dann auch noch mit Benzin übergossen hat und ihn offenbar tatsächlich anzünden will, wird Mr. Blonde von dem auf dem Boden liegenden Mr. Orange erschossen. Orange offenbart Nash, dass er in Wahrheit ein Undercover-Cop namens Freddy Newandyke ist und dass die Polizei bald kommen wird, jedoch auf das Eintreffen des alten Joe Cabot wartet [FREDDY NEWANDYKE/MR. ORANGE zu MARVIN NASH: „Wir werden still vor uns hinbluten, bis Joe Cabot seinen fetten Arsch durch die Tür schwingt“/Originalfassung gemäß QT-Skript: „We’re just gonna sit here and bleed until Joe Cabot sticks his fuckin‘ head through that door“].

In dem Zwischenkapitel „MR. ORANGE“ erfährt man schließlich mehr über Newandyke und darüber, wie er, unter der Anleitung seines Vorgesetzten Holdaway [Beschreibung von Holdaway im Tarantino-Skript: „A toughlooking black man named Holdaway, who sports a Malcom X beard, a green Chairman Mao cap with a red star on it, and a military flack jacket“], versucht ein guter Undercover-Cop (inklusive gefakter krimineller Vergangenheit) zu werden [HOLDAWAY zu NEWANDYKE - auf dem Dach eines Gebäudes: „Ein verdeckter Ermittler muss wie Marlon Brando sein. Du musst ein fabelhafter Schauspieler sein und dabei ganz natürlich wirken“] – außerdem werden auch Szenen präsentiert, in denen es Newandyke gelingt, das Vertrauen der Cabots sowie von „Mr. White“ zu erlangen und somit Teil der Diamantenraub-Gruppe zu werden [„Mr. Brown“ Quentin Tarantino bei der „Decknamen-Vergabe“ durch „Joe Cabot“ Lawrence Tierney – in Originalfassung: „[…] Mr. Brown? That’s little too close to Mr. Shit“ / „Mr. Pink“ Steve Buscemi: „[…] Mr. Pink sounds like Mr. Pussy“]. „Mr. White“ entwickelt sich darüber hinaus zu so etwas wie einem Mentor für „Mr. Orange“, der auch zunehmend mehr über die Vergangenheit von White erfährt [HOLDAWAY zu NEWANDYKE bezüglich Mr. White bei einem Treffen im „Denny’s“ (laut QT-Skript: „Denny bacon, cheese and avocado burger“): „Und ich würde mit dir um den Kontostand unserer verdammten Pensionskasse wetten, dass in Milwaukee schon `ne Akte über diesen Mr. White-Arsch vorliegt“ – zur Erklärung: Einige White-Aussagen, die Newandyke seinem Vorgesetzten im „Denny’s“ wiedergibt, deuten eben darauf hin, dass White aus dieser US-Region kommt].

Zum Schluss kehrt der Film wieder zu den Vorkommnissen im Lagerhaus zurück: Mr. White, Mr. Pink und „Nice Guy“ Eddie treffen mit den Diamanten ein und finden den toten Mr. Blonde vor. Orange versucht sie davon zu überzeugen, dass Mr. Blonde letztendlich geplant hat, bei der Rückkehr alle zu töten und die Diamanten zu stehlen. Der impulsive Eddie Cabot glaubt ihm aber nicht, erschießt den immer noch an den Stuhl gefesselten Polizisten Nash, und betont, dass Blonde sozusagen ein loyaler und langjähriger Freund der Cabots war, der sogar eine Gefängnisstrafe abgesessen hat, ohne irgendjemanden etwas zu verraten. Als der Ober-Boss Joe Cabot auftaucht, eskaliert die Lage endgültig: Cabot, der zuvor noch mitteilt, dass auch Mr. Blue getötet wurde, beschuldigt Orange, der Verräter und somit ein Undercover-Cop zu sein. Der alte Cabot setzt dazu an, Orange zu erschießen, doch White, der von Orange’s Unschuld immer noch tief überzeugt ist, richtet plötzlich seine Waffe auf Cabot. Ein „Mexican Standoff“ entsteht [Mexican Standoff: Eine Situation, in der keinerlei „Strategie“ existiert und die Gegner ihre jeweiligen Waffen so aufeinander richten, dass jeder den Sieg davontragen könnte – bekannt vor allem auch aus Italo-Western oder aus den Hongkong- sowie US-Filmen von Regisseur John Woo], in dem Cabot, White und der über White natürlich erzürnte „Nice Guy“ Eddie Cabot die Schusswaffen aufeinander richten. Letztendlich feuern alle drei Personen Kugeln ab, mit dem Ergebnis, dass Joe & Eddie Cabot tödlich getroffen werden, Mr. Orange eine weitere Kugel abbekommt und auch Mr. White schwer verletzt ist. Mr. Pink, der kein Teil der Mexican-Standoff-Situation war und als Einziger unversehrt ist, schnappt sich die Diamanten und flüchtet aus dem Lagerhaus, wo ihn aber, wie man hören kann, die Polizei erwartet. White schleppt sich zu Orange und hält ihn in den Armen, woraufhin Orange gesteht, dass er ein Undercover-Cop ist [MR. ORANGE – gemäß QT-Skript: „I’m a cop. […] I’m sorry. I’m so sorry“]. White hält in der Folge Mr. Orange/Freddy Newandyke seine 45er an den Kopf – die Polizei fordert, als sie dann schließlich in das Lagerhaus gelangt, White dazu auf, die Waffe fallen zu lassen. Der Film endet damit, dass Mr. White seine Waffe abfeuert und im Kugelhagel der Polizei stirbt [Regie-Anweisungen im Tarantino-Skript: „Mr. White looks up at them, smiles, pulls the trigger. / BANG / We hear the burst of a shotgun fire. / Mr. White is blown out of frame, leaving it empty“].

„I don’t take the violence very seriously. I find violence

very funny, and especially in the stories, that I’ve been telling

recently“

&

„I’m not trying to preach any kind of morals or get any

kind of message across, but for all the wildness that happens in

my movies, I think, that they usually lead to a moral conclusion“

(Quentin Tarantino zu dem Thema „Gewaltdarstellung &

Amoralität in seinen Filmen“ – aus einem Interview mit Graham

Fuller vom Mai 1993, abgedruckt dann in dem 1994 von

John Boorman & Walter Donohue herausgegebenen Buch

„Projections 3: Film-Makers on Film-Making“; Anmerkung:

Wenn Tarantino von „unlängst erzählten Geschichten“ spricht,

dann bezieht er sich, neben Reservoir Dogs, vor allem auf das

damals bereits fertiggestellte Drehbuch zu seiner zweiten Regiearbeit

Pulp Fiction)

„It never looks like a script – it always looks like Richard

Ramirez’s diary, the diary of a madman“

(Quentin Tarantino - wiederum in dem Projections 3-Interview - über die handgeschriebenen „Erstfassungen“ seiner Drehbücher; Richard Ramirez - „The Night Stalker“: einer der bekanntesten US-Serienmörder)

Das Drehbuch zu Reservoir Dogs (Anmerkung: Der großartige Titel soll, der von Tarantino selbst so kommunizierten „legend“ nach, davon inspiriert worden sein, dass ein „customer“ bei den „Video Archives“ in Manhattan Beach [Kalifornien], wo Tarantino Anfang der 90er gearbeitet hat, sich nach Louis Malle’s 1987er-Meisterwerk „Au revoir, les enfants“ [dt. Titel: Auf Wiedersehen, Kinder] erkundigt und den Filmtitel irgendwie in Richtung „Reservoir“ „mispronounced“ hat) ist das erste aus der Reihe jener „tough, cynical & exuberatly[überschwänglich] amoral genre-bending scripts“ (Copyright: Graham Fuller), die verfilmt wurden und die auch von Anfang an ein Markenzeichen des Autors und Regisseurs waren.

Alles, was Tarantino’s filmische Welt ausmacht, der „rapidly talking flow“ der Protagonisten, die „verwickelt“ strukturierten Plots, die „explosions of violence“, die „Pop-Kultur-Referenzen“, das alles ist in Reservoir Dogs – Wilde Hunde, der für gewisse Leute bereits ohnehin „der perfekte Tarantino-Film“ war, vorhanden. Und die ersten sieben Minuten des Films, also die „pre-heist“-Debatte, in der Tarantino selbst, als „Mr. Brown“, sich zunächst in einer Art „anti-intellektueller Madonna-Demystifikation“ versucht und die dann in einem „Tarifstreit“ über Trinkgelder in der Gastronomie endet, sind „Tarantino pur“ und, wenn man so will, die ultimative Einführung in dessen „Männerwelt“.

Geschrieben hat Tarantino Reservoir Dogs – Wilde Hunde im Oktober 1990 („QT on QT“: „I am a pretty good writer – but I always think of myself as a director“). Ein zentraler Punkt beim Verfassen des Drehbuchs, neben dem Augenmerk auf die Dialoge (QT: „All the right people endet up saying all the right things“), war das „non-linear storytelling“, also die auffällige „Antworten-zuerst, Fragen-später“-Struktur des Films.

Reservoir Dogs – Wilde Hunde zeigt die Vorkommnisse vor und nach dem schiefgegangenen Überfall, aber der „heist“ selbst bleibt, ähnlich wie übrigens in dem im selben Jahr erschienenen Meisterwerk Glengarry Glen Ross (1992; Regie: James Foley; literarische Vorlage: David Mamet), in dem der erwähnte Überfall „never shown on camera“ ist, „an event we didn’t see“ (Anmerkung: Ursprünglich hatte die Entscheidung, den Raubüberfall nicht zu zeigen, durchaus „budgetäre Gründe“, doch Tarantino hat später betont, dass sein Film eigentlich „about other things“ ist und diese Tatsache somit nicht wirklich störe). Während die Szenen im Lagerhaus (als Drehort diente übrigens eine ehemalige Leichenhalle, deren oberstes Stockwerk dann für die dementsprechenden Szenen auch noch zu „Mr. Orange’s Apartment“ umfunktioniert wurde) gleichsam in Echtzeit ablaufen, also einer „real-time-clock“ folgen, erfährt man in „Zwischenkapiteln“ mehr über „Mr. White“, „Mr. Blonde“ und schließlich „Mr. Orange“.

Die „Zwischenkapitel“-Struktur von Reservoir Dogs - Wilde Hunde war sozusagen ein erster Ausdruck von Tarantino‘s Leidenschaft, in seinen filmischen Werken mit „novel-structures“, mit der Struktur von Romanen und somit von Literatur, zu spielen (QT: „Reservoir Dogs ist der Schundroman, den ich immer schreiben wollte“ / „Ich schrieb Reservoir Dogs mit der Intension, dass es sich anfühlen sollte, als lese man ein Buch – mit Kapitelüberschriften für die verschiedenen Szenen“). Während später bei Pulp Fiction gleichsam die Hauptfiguren einer Episode plötzlich in einer anderen Episode nur als Nebenfiguren auftreten (ein Beispiel: „Vincent Vega & Mia Wallace“ John Travolta und Uma Thurman spielen im Abschnitt „VINCENT VEGA AND MARSELLUS WALLACE’S WIFE“ die Hauptrollen, im Abschnitt „THE GOLD WATCH“, in dem es primär um „Butch Coolidge“ Bruce Willis geht, kommen beide jedoch nur kurz vor), also etwas tun, was in der Form sonst nur Romanautoren so einfach mit ihren Figuren machen können, heißt das im Falle von Reservoir Dogs – Wilde Hunde, dass jeder „chapter about a guy“, wie in einem Roman, ein Mehr an Informationen bringt, bevor man dann sozusagen „back in main action again“ ist.

Von Anfang an war Tarantino, trotz all der Insider-Jokes und Pop-Kultur-Bezüge, durchwegs seine eigene Schöpfung, soll heißen: Ein Leinwandkünstler ganz eigener Couleur!

Dennoch gab es, und das schon seit Reservoir Dogs – Wilde Hunde, immer wieder „Plagiat vs. Hommage“-Diskussionen im Zusammenhang mit seinen Filmen.

Als Werk, von dem Tarantino sich auf jeden Fall bei seinem Debüt hat beeinflussen lassen, muss Stanley Kubrick’s fantastischer „Heist-Movie“ The Killing - Die Rechnung ging nicht auf (1956; The Killing) gelten, der in Wahrheit eines der großen Meisterwerke der 50er-Jahre ist und selbst in Kubrick’s wahrlich eindrucksvoller Filmographie -aus meiner Sicht jedenfalls- ein wirkliches Highlight darstellt. In „The Killing“, so eben der Originaltitel, arbeitet Kubrick nicht nur mit non-linearen Erzählweisen, sondern schildert das Geschehen, ähnlich wie das in Akira Kurosawa’s legendärem Rashomon – Das Lustwäldchen (1950; Rashōmon) der Fall ist, auch aus mehreren Blickwinkeln.

Fest steht, dass Reservoir Dogs – Wilde Hunde immer wieder als eine Art „update on Stanley Kubrick’s ´The Killing´“ betrachtet wurde - Tarantino selbst hat natürlich nie von einem „Remake“ oder dergleichen gesprochen, seinen Film dafür aber durchaus als „my ,Killing‘“ bezeichnet, also als „his take on that kind of heist-movie“ (zur Erklärung: Heist-Movie: Ein zur Gruppe der Thriller gehörendes Filmgenre, in dessen Mittelpunkt die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Raubüberfällen steht – das Besondere ist auch, dass die Handlung von Heist-Movies aus dem Blickwinkel der Räuber erzählt wird).

Weitere Filme, die den „a planned heist goes terribly wrong“-Plot von Reservoir Dogs - Wilde Hunde angeregt haben, sind definitiv aber auch der „American film noir and crime film“ Der vierte Mann (1952; Kansas City Confidential; Regie: Phil Karlson) und Joseph H. Lewis‘ Gangster-Film Geheimring 99 (1955; The Big Combo), in dem es sogar einen Gangsterboss namens „Mr. Brown“ gibt, also eine Figur, die genau so heißt wie die von Tarantino selbst gespielte Nebenfigur in Reservoir Dogs – Wilde Hunde.

Die Tatsache, dass im Tarantino-Debüt gleichsam „characters named after colors“ vorkommen, wurde als „Verbeugung“ vor dem 70er-Jahre-Thriller-Klassiker Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1-2-3 (1974; The Taking of Pelham One Two Three; Regie: Joseph Sargent) angesehen, in dem die von Robert Shaw angeführten U-Bahn-Entführer eben allesamt Decknamen wie „Mr. Blue“ (Shaw), „Mr. Green“ (Martin Balsam), „Mr. Grey“ (Hector Elizondo) und wiederum „Mr. Brown“ (Earl Hindman) tragen.

Wenn jemand allerdings Tarantino ernsthaft „Plagiatsvorwürfe“ machen könnte, dann nur der chinesische Regisseur Ringo Lam (inszenierte auch die drei Jean-Claude Van Damme-B-Film-Action-Klassiker Maximum Risk, Replicant & In Hell, veröffentlicht 1996, 2001 & 2003), denn Reservoir Dogs - Wilde Hunde weist wahrlich „key elements similar to“ Lam’s Hongkong-Klassiker City on Fire (1987; Alternativtitel: Cover Hard 2) mit Chow Yun-Fat und Danny Lee auf, in dessen Story es ebenfalls um einen Undercover-Cop geht, der ein Verbrechersyndikat infiltriert, das auf Juwelenraub spezialisiert ist. Am Ende von City on Fire, der im Grunde ein nicht untypischer ultraharter „Hongkong-Actioner“ der 80er-Jahre ist, kommt es sogar zu einem ähnlichen „Mexican Standoff“ in einer Lagerhalle wie in dem Tarantino-Werk, denn der Verbrecher „Fu“ (gespielt von Danny Lee – ist praktisch das Vorbild für „Mr. White“ Harvey Keitel) stellt sich schützend vor den durch einen Bauchschuss schwer verletzten und von dem Banden-Boss, der über den missglückten Coup wütend ist, als „Verräter“ bezeichneten Undercover-Cop „Ko Chow“ (Chow Yun-Fat), mit dem er sich mittlerweile angefreundet hat – im Rahmen des Showdowns stirbt allerdings, nachdem er, gleichsam in „Mr. Orange“-Manier, „Fu“ sein Undercover-Cop-Dasein gestanden hat, nur „Ko Chow“ an seinen Verletzungen, während „Fu“ aber von der Polizei abgeführt wird.

City on Fire, von dem sich Tarantino (QT über City on Fire: „I loved City on Fire...It’s a great movie“) ganz offensichtlich auch zur Mr. White schießt mit gleich zwei Pistolen auf einen heranfahrenden Polizeiwagen und tötet die Insassen-Szene hat inspirieren lassen, denn „Fu“ Danny Lee tut in Ringo Lam’s Werk tatsächlich auf „verblüffend ähnliche“ Weise dasselbe, wurde nach dem Erscheinen von Reservoir Dogs – Wilde Hunde bei den diversen City on Fire-DVD-Releases aus Werbezwecken durchaus als „Vorbild“ für das Tarantino-Debüt angeführt, und das DVD-Exemplar des Ringo Lam-Films, das ich persönlich besitze, trägt sogar folgende Aufschrift: „DIE VORLAGE FÜR TARANTINOS BAHNBRECHENDES MEISTERWERK RESERVOIR DOGS“.

Ursprünglich hatte sich der damalige Video-Store-Angestellte Tarantino darauf eingestellt, Reservoir Dogs – Wilde Hunde quasi im „Guerilla-Style“ in den Straßen von Los Angeles drehen zu müssen, und das lediglich „with his friends“, einem Budget von etwa 30.000$ und im „16mm black & white-format“. Tarantino’s Kumpel Lawrence Bender, der letztendlich dann Mitbegründer der berühmten Tarantino-/Bender-Produktionsgesellschaft „A Band Apart“ wurde (Anmerkung: Als Vorbild für den Firmennamen diente Jean-Luc Godard’s Film Bande á part, deutscher Titel: Die Außenseiterbande, aus 1964) und alle Tarantino-Filme (mit Ausnahme von Death Proof – Todsicher aus 2007) bis einschließlich Inglourious Basterds (2009) produzieren sollte, hätte dabei einen jungen „Police Officer“ gespielt, der „Mr. Pink“ hinterherjagt.

Nun, Bender sollte dann bekanntlich nicht eine der Hauptrollen in Reservoir Dogs - Wilde Hunde spielen, er ist aber derjenige, der das Reservoir Dogs-Projekt in der Folge erst so wirklich auf ein „höheres Level“ gebracht hat, indem er gleichsam die „Lawrence Bender gave the script to his acting teacher, whose wife gave the script to Harvey Keitel“-Legende begründet hat, auf die Tarantino und er in der Pulp Fiction-Zeit dann in so ziemlich jeder US-TV-Show angesprochen wurden, in der sie zu Gast waren. Und Fakt ist tatsächlich: Lily Parker, die Frau von Bender’s „acting teacher“ Peter Flood, gab Tarantino’s Drehbuch weiter an Harvey Keitel, und zwar deswegen, weil Bender einmal erwähnt hatte, dass -„in einer perfekten Welt“- Harvey Keitel seine und Tarantino‘s allererste Wahl für die Rolle des „Mr. White“ wäre.

Keitel, der glücklicherweise zu Beginn der 90er-Jahre, nachdem ihn in den „70s“ Robert De Niro bei Scorsese gleichsam als dessen bevorzugter „Leading Man“ abgelöst hatte, wieder zu so etwas wie zum Lieblingsschauspieler einer ganzen Generation von US-Independent-Filmern wurde (ein absolutes Keitel-Highlight seinerzeit: Abel Ferrara’s Bad Lieutenant aus 1992), mochte das Reservoir Dogs-Skript von Anfang an, bezeichnete Tarantino’s Geschichte um Betrug, Vertrauen und Loyalität als „brillant geschrieben“ und das gesamte Drehbuch als „wichtig“ und als „eines der besten Drehbücher seit Jahren“.

Der überzeugte „method actor“ Keitel, der dann später bekanntlich nicht nur die Rolle von „The Wolf“ in Pulp Fiction spielen sollte, sondern auch den Part des Geistlichen „Jacob Fuller“ in Robert Rodriguez’s -nach einem Drehbuch von Tarantino entstandener- wüster „Gangster& Vampirhorror-Film-Mischung“ From Dusk Till Dawn (1996; Co-Stars: George Clooney, Juliette Lewis & Quentin Tarantino), fungierte schließlich als „Co-Producer“ bei Reservoir Dogs – Wilde Hunde, was, wie vor allem Tarantino immer wieder angemerkt hat, nicht umgehend sozusagen sämtliche Türen öffnete, es aber ihm und Bender leichter machte, das Projekt finanziert zu bekommen (Anmerkung: Als offizielles Reservoir Dogs-Budget gilt der Betrag von 1,2 Millionen US-Dollar).

Eine endgültige Finanzierungszusage erhielt Tarantino dann schließlich durch Richard N. Gladstein’s Produktionsfirma „Live“. Gladstein, der spätere stellvertretende Generaldirektor von Miramax, erkannte ebenfalls sofort die Qualitäten des Reservoir Dogs-Skripts, das er aus den Händen des Filmregisseurs Monte Hellman erhalten hatte (Anmerkung: Bei Hellman hatte Tarantino einen Regie-Kurs am Sundance Institute absolviert – Hellman betreute das Reservoir Dogs-Projekt dann als „Executive Producer“), und meinte: „Quentin schafft es wirklich, den Sprachstil eines gewissen Milieus zu erfassen, und auch die Geschichte selbst ist mit ihren Zeitsprüngen einzigartig“.

Nachdem die Finanzierung geklärt war, führte eine lange und anstrengende Casting-Phase (denn: plötzlich herrschte sowohl bei alteingesessenen als auch bei jungen Schauspielern ein reges Interesse daran, ein Teil von Reservoir Dogs – Wilde Hunde zu sein) Tarantino und Bender schließlich nach New York, wo Harvey Keitel mit seinem eigenen Geld einige „casting sessions“ organisiert hatte.

Und diese Casting-Sessions waren auch der Ort, wo die beiden auf Steve Buscemi, Michael Madsen und Tim Roth trafen, also gleichsam ihren „Mr. Pink“, ihren „Mr. Blonde“ und ihren „Mr. Orange“ fanden (Anmerkung: Madsen und Roth gehören seit damals quasi zur „Tarantino-Gang“, denn Roth war nicht nur in Reservoir Dogs – Wilde Hunde zu sehen, sondern auch in Pulp Fiction, in der Episode „The Man from Hollywood“ aus Four Rooms sowie in dem Western The Hateful Eight (2015) - eine Rolle in dem großartigen Once Upon a Time in Hollywood von 2019 fiel der Schere zum Opfer, während Michael Madsen später auch Auftritte in Kill Bill Vol. 1 & 2, The Hateful Eight und Once Upon a Time in Hollywood hatte).

Steve Buscemi war seinerzeit, dank der Coen-Brothers-Geniestreiche Miller’s Crossing (1990; Regie: Joel Coen) und Barton Fink (1991; Regie: Joel & Ethan Coen), sicherlich der populärste Schauspieler im Reservoir Dogs-Ensemble nach Harvey Keitel und wurde in den Jahren nach dem Tarantino-Debüt zu einem der größten Stars des US-Independent-Kinos. Die Charaktere in Reservoir Dogs – Wilde Hunde fand der gebürtige New Yorker und „Mr. Pink“-Darsteller angeblich „witzig und schockierend“ zugleich, wobei Buscemi im Zusammenhang mit dem Werk auch folgende Aussage tätigte, die zutreffender nicht sein könnte: „Es ist eine Männergeschichte, aber nicht zwingend ein Männerfilm“.

Joe Egan und Gerry Rafferty bildeten die Gruppe Steelers

Wheel. Und im April 1974 nahmen sie diesen auf Bob Dylan

getrimmten Pop-Bubblegum-Hit auf, der bis auf Platz 5 der

Hitparade kletterte. Und diesen Titel werden wir jetzt als

Nächstes spielen.

„Well I don’t know why I came here tonight/I got the feeling

that something ain’t right […] /Clowns to the left of

me/Jokers to the right/Here I am/Stuck in the middle with you“

(aus: Reservoir Dogs – Wilde Hunde; der DJ der Radio-Station

„K-Billy“ kündigt, im Rahmen der „Superoldies-Hitparade

der 70er-Jahre“, den Song „Stuck in the Middle with You“

von Steelers Wheel an, der die „ear cutting-torture-scene“ mit

„Mr. Blonde“ Michael Madsen & „Marvin Nash“ Kirk Baltz

untermalt; Anmerkung: Als DJ des „K-Billy’s Super Sounds of

the Seventies Weekend“ fungierte der Comedian Steven Wright,

der damals in den USA „known for his deadpan delivery of

jokes“ war, also für die „unbewegte & ausdruckslose“ Art,

seine Witze zu erzählen; Bubblegum: Rockmusik-Genre mit

simplen Liedtexten und eingängigen Melodien, deren Anspruchsniveau

sich an der Altersgruppe von Kindern orientiert)

MR. PINK

Wieso dürfen wir die Farben nicht aussuchen?

JOE CABOT

Auf gar keinen Fall. Ich hab’s versucht. Das funktioniert

nicht. Dann hast du vier Kerle, die sich darum streiten, wer

„MR. BLACK“ sein darf.

(aus: Reservoir Dogs – Wilde Hunde; Dialog zwischen

„Mr. Pink“ Steve Buscemi und „Joe Cabot“ Lawrence Tierney

während der „aliases“-Vergabe; laut Tarantino-Skript sagt Mr.

Pink „Why can’t we pick out our own color?“ und Joe Cabot

antwortet „I tried that once, it don’t work. You get four guys

fighting over who’s gonna be Mr. Black“ - wenig später macht

„the big boss“ Joe Cabot klar, dass er hier das Sagen hat und

bei der „Decknamen-Vergabe“ keine weiteren Einwände bezüglich

der „Farben-Verteilung“ toleriert: „Listen up, Mr. Pink.

We got two ways here, my way or the highway.“)

MR. BLUE

Was soll sie tun, dir einen runterholen?

(aus: Reservoir Dogs – Wilde Hunde; „Mr. Blue“, gespielt

von dem 2005 verstorbenen Schriftsteller und Schauspieler

Edward „Eddie“ Bunker, zu „Mr. Pink“ Steve Buscemi, der aus

Prinzip kein Trinkgeld geben will und zuvor, laut QT-Skript,

zu „Mr. Blue“ gemeint hat: „Our girl was okay. She didn’t do

anything special.“; die Originalversion der Mr. Blue-Aussage

lautet: „What’s something special, take ya in the kitchen and

suck your dick?“; Anmerkung: Eddie Bunker (Jahrgang 1933),

der im Jahr 2000 seine Memoiren „Mr. Blue: Memoires of a

Renegade“ veröffentlicht hat, verleiht der Rolle des „Mr. Blue“

deshalb eine zusätzliche Glaubwürdigkeit, weil er, bevor er im

Alter von 40 dann seinen ersten Roman ablieferte, im Laufe

seines Lebens mehrfach zu längeren Haftstrafen verurteilt

wurde, die er zumeist in San Quentin absitzen musste)

„Wenn du Menschen sagst, was sie tun sollen und nicht,

wiesie es tun sollen, dann werden sie dich mit ihrer Genialität

überraschen“

(Quentin Tarantino über seine Arbeitsweise am Set – der

QT-Sager ist eine Anlehnung an den berühmten US-General

George S. Patton, der die 3. US-Armee nach der Landung in

der Normandie befehligte und dessen Spitzname übrigens „Old

Blood and Guts“ war)

Angeführt wird das phänomenale Schauspielensemble, also die „Eight men dressed in BLACK SUITS“ (Copyright: Reservoir Dogs-Skript; Anmerkung: Den „80er-Jahre-Retro-Look“ der Gangster, die schwarzen Anzüge mit dünnen Schlipsen, hat Tarantino als „deren Uniform, deren Rüstung“ bezeichnet) rund um „big boss“ Joe Cabot, von „Mr. White“ Harvey Keitel (eine berühmte Aussage von „Mr. White“, gerichtet an den auf der Rückbank des gestohlenen Wagens aufgrund des Bauchschusses blutenden und schreienden „Mr. Orange“: „Say-the-goddam-words: you’re gonna be okay!“ – QT-Skript-Version / dt. Fassung: „Nun sag diese verdammten Worte schon! Du wirst wieder gesund!“).

Die Kinolaufbahn von Harvey Keitel begann im Grunde bereits Ende der 60er-Jahre, denn damals hatte sich Keitel (Jahrgang 1947) auf die Anzeige eines jungen New Yorker Regie-Studenten gemeldet, der nach Schauspielern für seinen Abschlussfilm suchte. Bei dem jungen Regisseur handelte es sich tatsächlich um keinen Geringeren als Martin Scorsese, der Keitel daraufhin dann auch die Rolle des „J.R.“ in seinem Regie-Debüt Wer klopft denn da an meine Tür? (1967; Who’s That Knocking at My Door?) gab.

Wie bereits erwähnt wurde Keitel in den 70ern dann für kurze Zeit sogar zu so etwas wie Scorsese’s „Leading Man“ und spielte 1973 die Hauptrolle in dessen erstem großen Gangsterfilm Mean Streets – Hexenkessel. Obwohl Keitel nach Mean Streets – Hexenkessel bei Scorsese dann bekanntlich von Robert De Niro als „Lieblingsschauspieler“ abgelöst wurde, besetzte ihn Scorsese immer wieder in seinen Filmen, so auch in der „Dramedy“ Alice lebt hier nicht mehr (1974; Alice Doesn’t Live Here Anymore; in den Hauptrollen: Ellen Burstyn & Kris Kristofferson), in dem Skandalfilm Die letzte Versuchung Christi (1988; The Last Temptation of Christ; Hauptrolle: Willem Dafoe), in dem Keitel sogar die Rolle des „Judas Iscariot“ spielte, oder auch in dem grandiosen 209-minütigen Gangsterepos The Irishman aus 2019 (Hauptbesetzung: Robert De Niro, Al Pacino & Joe Pesci).

Den vielleicht „most memorable part“ bei Scorsese hatte Keitel aber 1976 als Zuhälter („Matthew Sport Higgins“) der damals erst 14-jährigen Jodie Foster („Iris Steensma“) in dem Jahrhundertfilm Taxi Driver (in der Hauptrolle des „Travis Bickle“: Robert De Niro; Drehbuch: Paul Schrader), den auch Quentin Tarantino in den „1990s“ in diversen Interviews als „einen seiner drei Lieblingsfilme“ bezeichnet hat (die anderen beiden waren Brian De Palma’s Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren mit John Travolta aus 1981 und Howard Hawks‘ Westernklassiker Rio Bravo aus 1959; Quelle: Charlie Rose-Show 1994).

Keitel’s absolutes Meisterstück bleibt aber seine Rolle des „namenlosen“ und drogen- sowie wettsüchtigen „police lieutenant[s]“ in Abel Ferrara’s radikalem Meisterwerk Bad Lieutenant (1992), den ich persönlich für „one of the greatest independent films of all time“ halte (Anmerkung: „Independent-Filme“/„Indie-Filme“ – Filmproduktionen, die außerhalb etablierter (Studio-)Strukturen umgesetzt werden), da Keitel’s Performance darin eine „Intensität der Verzweiflung“ erreicht, die fast schon unheimlich ist und die ich in der Form kaum je irgendwo anders, im Übrigen auch nicht bei Robert De Niro, gesehen und vor allem gespürt habe.

Weitere Filmographie-Highlights des Workaholics Keitel, der oft bis zu sechs Filme pro Jahr drehte und sich eben immer wieder sozusagen auch für Nachwuchs-Filmemacher zur Verfügung stellte (Anmerkung: Keitel trat nicht nur im Scorsese- und im Tarantino-Debüt auf, sondern auch in den Regie-Debüts von Alan Rudolph und Ridley Scott, also in Willkommen in Los Angeles und Die Duellisten, veröffentlicht 1976 und 1977), sind Jane Campion’s poetisches Meisterwerk Das Piano (1993; The Piano) sowie die nach einer Drehbuch-Vorlage von Paul Auster entstandenen Independent-Filme und „New York-Porträts“ Smoke – Raucher unter sich (1995; Smoke; Regie: Wayne Wang) und Blue in the Face – Alles blauer Dunst (1995; Blue in the Face; Regie: Wayne Wang & Paul Auster).

Zu den zahlreichen Dialog-Höhepunkten in Reservoir Dogs – Wilde Hunde, abseits der „[…] ´True Blue´ was about a nice girl who finds a sensitive fella […] But ´Like a Virgin´ was a metaphor for big dicks“-Debatte (Copyright: MR. PINK, der die Ausführungen von MR. BROWN, laut Tarantino-Skript, auf diese Weise zusammenfasst) zu Beginn, gehört auf jeden Fall auch jene Konversation zwischen „Mr. Orange“ Tim Roth und „Mr. White“ Harvey Keitel, die stattfindet, als die beiden einmal vor der Location des geplanten Juwelenraubs in einem Auto sitzen und der „erfahrene Kriminelle“ Mr. White den jungen Mr. Orange quasi unter seine Fittiche nimmt und sich als eine Art „Mentor“ präsentiert.

Die Konversation scheint für Tarantino so zentral gewesen zu sein, dass sie auch auf dem Reservoir Dogs-Soundtrack (gleichsam als „Dialogschnipsel“ und betitelt mit „Let’s Get A Taco“) enthalten ist, und an dieser Stelle sei ein Ausschnitt daraus wiedergegeben, der sowohl den Text der deutschen Synchro enthält als auch die Originalversion aus dem Reservoir Dogs-Drehbuch:

MR. WHITE

Wenn du was wissen willst und er[der Geschäftsführer]

nicht antwortet, dann schneid ihm einen Finger ab. Den kleinen

Finger. Und sag ihm, der Daumen wär der nächste. Dann

verrät er dir sogar, dass er Damenunterwäsche trägt. Ich hab

Hunger, gehen wir was essen.

(Mr. White‘s vollständige Ausführungen bezüglich des

Managers lauten gemäß QT-Skript wie folgt: „Now, if it’s a

manager, that’s a different story. The Manager know better

than to fuck around. So if one’s givin‘ you static, he probably

thinks he’s a real cowboy. So what you gotta do is break that

son- of-a-bitch in two. If you wanna know something and he

won’t tell you, cut off one of his fingers. The little one. Then

you tell ´im his thumb’s next. After that he’ll tell ya if he wears

ladies underwear. I’m hungry, let’s get a taco.“)

Angeblich hatte der „Mr. Blonde“-Darsteller Michael Madsen (MR. BLONDE zu „Marvin Nash“ Kirk Baltz: „Hör zu, Kleiner. Ich will dir gar nicht erst was vormachen, OK? Es ist mir eigentlich völlig egal, was du weißt oder nicht weißt. Weil ich dich in jedem Fall foltern werde“) so seine Probleme, die wahrlich schockierende „torture scene to the tune of Steelers Wheel’s ´Stuck in the Middle with You´“ zu Ende zu führen, denn speziell in dem Moment, in dem der „Marvin Nash“-Darsteller Kirk Baltz zu ihm sagt „Ich habe Familie, ich hab ein kleines Kind, bitte!“, musste Madsen die Szene fast abbrechen.

Diese berühmt-berüchtigte „ear cutting-scene“ (QT: „I wanted that scene to be disturbing“) hat Tarantino’s Werk damals nicht nur zu einem beliebten Diskussionsgegenstand bezüglich „on-screen-violence“ gemacht, sondern ihrem Schöpfer -gleichsam von Karrierebeginn an- auch durchaus schmeichelhafte Vergleiche mit Regie-Meistern wie Alfred Hitchcock und David Lynch eingebracht, da Reservoir Dogs – Wilde Hunde an jener Stelle ohne Zweifel ganz nahe an den „ultimativen Horror“ von Werken wie Hitchcock’s Psycho (1960) mit der bahnbrechenden „shower murder scene“ oder Lynch’s Blue Velvet (1986), in dem bekanntlich die von Kyle MacLachlan gespielte Hauptfigur auf einer Wiese ein abgeschnittenes Ohr findet, herankommt.

Beim Sitges Film Festival (oder: „Sitges Festival Internacional de Cinema Fantástic de Catalunya“) in Spanien, wo Reservoir Dogs – Wilde Hunde ebenfalls gezeigt wurde, sollen der A Nightmare on Elm Street- & Scream-Regisseur Wes Craven sowie der legendäre Special Effects-Künstler Rick Baker (z. B.: 1981: American Werewolf; 1983: Musikvideo zu Michael Jackson’s Song „Thriller“) die Vorstellung, zusammen mit 13 anderen Leuten, während der Folterszene verlassen haben, was, wie Rick Baker nachher betonte, mehr „als Kompliment“ an Tarantino gemeint war, da Craven und er die Szene aufgrund ihres hohen Grads an Realismus als wahrlich „zermürbend“ empfanden (Anmerkung: Als Tarantino’s Vorbild für die „ear cutting-scene“ wurde übrigens immer wieder der Italo-Western-Klassiker Django von Sergio Corbucci aus 1966 genannt, da sich darin eine ähnlich geartete Folterszene befindet).

Wie auch immer: Michael Madsen’s „Mr. Blonde“ ist einer der ganz großen „psychos“ der Filmgeschichte, denn Madsen spielt die Figur, ähnlich wie Anthony Perkins „Norman Bates“ in Hitchcock’s Psycho, bis in die kleinste Geste hinein ungeheuer überzeugend und äußerst „creepy“.

Ein Aspekt, der die besagte Reservoir Dogs-„ear cutting-torture-scene“ noch einmal auf ein ganz besonderes Level hebt, ist der Umstand, dass „Mr. Blonde“ Michael Madsen dabei zunächst zu den Klängen von „Stuck in the Middle with You“, also zu den Klängen des Songs, der gerade auf der Radio-Station „K-Billy“ läuft, zu tanzen beginnt – die verwendete Musik sollte, laut Tarantino, eine Art „counterpart to the onscreen violence & action“ sein, also: eine Art Gegenentwurf zur Handlung auf der Leinwand, denn der Regisseur wollte für seinen gesamten Film ausdrücklich ein „1950s feel while using 70s music“.

Die dritte Figur, der Tarantino in Reservoir Dogs – Wilde Hunde ein eigenes „Kapitel“ zugestanden hat, ist der Undercover-Cop „Freddy Newandyke“ alias „Mr. Orange“ (MR. ORANGE zu MR. WHITE – laut Skript: „All this blood is scaring the shit outta me. I’m gonna die, I know it“).

Der Brite Tim Roth, der sich für die „Mr. Orange“-Rolle seinen britischen Akzent abtrainieren musste, folgte Anfang der 90er-Jahre sozusagen dem Ruf nach Hollywood. Zuvor hatte er aber in seiner Heimat praktisch mit fast der gesamten Regie-Elite des Landes gearbeitet, denn er war unter anderem in Mike Leigh’s TV-Produktion Meantime (1983) zu sehen sowie auch in Stephen Frears‘ „meditativem Kriminalfilm“ The Hit (1984) – der mit Abstand beste UK-Film, in dem Roth in den 80er-Jahren zugegen war, ist aber gleichzeitig, zumindest aus meiner ganz persönlichen Sicht, einer der besten europäischen Filme aller Zeiten, nämlich Peter Greenaway’s Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber (1989; The Cook, the Thief, His Wife & Her Lover), in welchem Roth, an der Seite seiner Co-Stars Richard Bohringer, Michael Gambon und Helen Mirren sowie eingekleidet in die fantastischen Kostüme von Jean-Paul Gaultier, die Rolle des Gangsters „Mitchel“ spielte.

Tim Roth, der bei den Dreharbeiten zu Reservoir Dogs – Wilde Hunde vor allem von Tarantino’s „energy“ angetan war, gibt in dem Film einen sehr guten „Verletzten mit Bauchschuss“ und somit „Mr. White-Gesprächspartner“ ab, ist jedoch in den „becoming an undercover-cop“-Szenen mit „Holdaway“ Randy Brooks (im Übrigen der erste bedeutende „Afro-American“ im Tarantino-Personal!) weit weniger überzeugend, da Roth darin komischerweise ein wenig zum „Overacting“ tendiert.

Eine wirklich großartige Dialog-Sequenz von Reservoir Dogs – Wilde Hunde mit „Tim Roth-MR. ORANGE-Beteiligung“ ist hingegen die folgende Unterhaltung zwischen „Mr. Pink“ Steve Buscemi, „Nice Guy Eddie Cabot“ Chris Penn (Sean Penn’s 2006 verstorbener Bruder; weiteres Filmographie-Highlight: Abel Ferrara’s Das Begräbnis von 1996) und eben „Mr. Orange“ Tim Roth, die in einem Wagen stattfindet, in dem sich darüber hinaus noch „Mr. White“ Harvey Keitel befindet - der Dialog zeugt nicht nur von einer „sexual attraction to Pam Grier“, also Tarantino’s späterer Jackie Brown-Darstellerin, sondern er ist auch typisch für die Art, wie „white criminals“ in Reservoir Dogs - Wilde Hunde über „black people“ sprechen, die übrigens auch ähnlich der Art ist, wie Kriminelle über Afro-Amerikaner in Scorsese-Filmen wie Mean Streets – Hexenkessel und Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia reden (Anmerkung: Der Dialogpassage geht gleichsam „Die Story von Lady E“ voraus, die „Nice Guy Eddie“ Chris Penn allen erzählt und die von einer äußerst attraktiven „black cocktail waitress named Elois“ handelt – nur kommen sie von „Elois/Lady E“ dann eben irgendwann auf „Blaxploitation & Pam Grier“):

EDDIE

You know who she[Elois/„Lady E“] looked like? Christie

Love. ’Member that TV show „Get Christie Love“? She was a

black female cop. She always used to say „You’re under arrest, sugar“.

MR. PINK

[…] What the fuck was the name of the chick who played

Christie Love?

EDDIE

Pam Grier.

MR. ORANGE

No, it wasn’t Pam Grier. Pam Grier was the other one.

Pam Grier made the movies. „Christie Love“ was like a Pam

Grier TV show, without Pam Grier.

(Anmerkung: Der Text folgt dem Reservoir Dogs