Nomaden der Ozeane – Das Geheimnis der Meeresschildkröten - Frauke Bagusche - E-Book

Nomaden der Ozeane – Das Geheimnis der Meeresschildkröten E-Book

Frauke Bagusche

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Beschreibung

Rendezvous mit den Meeresschildkröten

Meeresschildkröten können Erstaunliches: Einige tauchen über 1000 Meter tief, manche transportieren Organismen durch die Meere und tragen so zu deren Ausbreitung bei, und wieder andere sorgen als »Architekten der Ozeane« für die Ausbreitung von Korallenriffen. Und sie alle haben verblüffende Supersinne, mit denen sie noch nach Jahrzehnten ihre tausende Kilometer entfernten Niststrände wiederfinden – dank ihrer Fähigkeit, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren, und dank ihres extrem guten Geruchssinns, mit dem sie vermutlich sogar ihren Geburtsstrand riechen können.

Die Meeresbiologin Frauke Bagusche nimmt uns mit auf eine einmalige Welt- und Zeitreise unter Wasser: In faszinierenden Geschichten über die ungeahnten Fähigkeiten der Meeresschildkröten zieht sie die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse ebenso heran wie ihre eigenen unmittelbaren Erfahrungen. Sie zeigt auch, warum die beliebten Panzerträger so dringend unsere Hilfe brauchen und wie wir alle helfen können, diese Tiere und unsere gemeinsame Lebensgrundlage, das Meer, zu erhalten.

Mit großem Bildteil sowie vielen Karten und Illustrationen

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Rendezvous mit den Meeresschildkröten

Meeresschildkröten können Erstaunliches: Einige tauchen über 1000 Meter tief, manche transportieren Organismen durch die Meere und tragen so zu deren Ausbreitung bei, und wieder andere sorgen als »Architekten der Ozeane« für die Ausbreitung von Korallenriffen. Und sie alle haben verblüffende Supersinne, mit denen sie noch nach Jahrzehnten ihre Tausende Kilometer entfernten Niststrände wiederfinden – dank ihrer Fähigkeit, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren, und dank ihres extrem guten Geruchssinns, mit dem sie vermutlich sogar ihren Geburtsstrand riechen können.

Die Meeresbiologin Frauke Bagusche nimmt uns mit auf eine einmalige Welt- und Zeitreise unter Wasser: In faszinierenden Geschichten über die ungeahnten Fähigkeiten der Meeresschildkröten zieht sie die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse ebenso heran wie ihre eigenen unmittelbaren Erfahrungen. Sie zeigt auch, warum die beliebten Panzerträger so dringend unsere Hilfe brauchen und wie wir alle helfen können, diese Tiere und unsere gemeinsame Lebensgrundlage, das Meer, zu erhalten.

Die Autorin

Dr. Frauke Bagusche, Jahrgang 1978, ist Meeresbiologin. Nach ihrer Promotion an der University of Southampton in England leitete sie meeresbiologische Stationen auf den Malediven und segelte 9500 Kilometer von der Karibik durch den Atlantik ins Mittelmeer, um auf die Vermüllung der Ozeane aufmerksam zu machen. Sie ist eine gefragte Rednerin und hält deutschlandweit Vorträge zu meeresbiologischen Themen. Der von ihr mitbegründete gemeinnützige Verein »The Blue Mind« ist mittlerweile in drei Bundesländern im Bildungsbereich mit Fokus auf Kinder und Jugendliche aktiv und verankert Meeresschutz auch im Inland. 2019 erschien bei Ludwig ihr Spiegelbestseller Das blaue Wunder. Warum das Meer leuchtet, Fische singen und unsere Beziehung zum Meer so besonders ist – Erstaunliche Einblicke in eine geheimnisvolle Welt. Frauke Bagusche lebt in Saarbrücken.

FRAUKE BAGUSCHE

NOMADEN DER OZEANE

DAS GEHEIMNIS DER MEERESSCHILDKRÖTEN

Ihre einzigartigen Supersinne, ihr erstaunliches Orientierungsvermögen und wie sie die Meere formen

Illustriert von Inka Hagen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe 03/2023

Copyright © 2023 by Ludwig Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Ulrike Strerath-Bolz

Illustration: Inka Hagen, www.inkahagen.de

Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch, unter Verwendung eines Fotos von Willyam Bradberry/Shutterstock.com

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-26810-7V001

www.Ludwig-Verlag.de

Dieses Buch ist für diejenigen, die mein Leben geprägt und mich immer unterstützt haben: meine Eltern Günter und Ingrid Bagusche, meine Brüder Fabian und Tobias Bagusche und meine Patentante Angelika Frisch.

Für Holger Mit dir zusammen tauche ich am allerliebsten nach Meeresschildkröten.

»How inappropriate to call this planet Earth when it is clearly Ocean.«

Arthur C. Clarke

Inhalt

Vorwort

Sieben Wanderer, fünf Ozeane

Die nächste Generation

Die Weisheit trägt Panzer

Bedrohte Panzerträger

Eine ungewisse Zukunft

Eine Flosse voll Hoffnung

Dank

Quellen und weiterführende Informationen

Bildnachweis

Bildteil

Vorwort

Schildkröten gehören zu den Tieren, deren Faszination sich wohl kaum jemand entziehen kann. Wie kein anderes Tier spielen Schildkröten seit Tausenden von Jahren eine wichtige Rolle in der menschlichen Kultur und Spiritualität: Sie kommen in Erzählungen, Religion und Folklore auf der ganzen Welt vor. Zwar schaffen sie es selten auf die Titelseiten der Boulevardzeitungen, ganz im Gegensatz zu den zu Unrecht verteufelten Haien, aber sie gehören zu den Tierarten, die das Herz von vielen Menschen erobert haben. So auch, schon in jungen Jahren, meins.

Meine Faszination für Schildkröten habe ich Marilyn Monroe und Napoleon zu verdanken. Dabei handelte es sich aber nicht um den französischen Kaiser und die US-amerikanische Filmschauspielerin, sondern um zwei Gelbbauch- (oder auch: Gelbwangen-) Schmuckschildkröten (Trachemys scripta), die in den Neunzigern übergangsweise bei uns einzogen. Schon damals liebte ich es, den beiden Wasserschildkröten in ihrem Paludarium, auch Aquaterrarium genannt (eine Kombination aus Terrarium und Aquarium), bei ihren täglichen Aktivitäten zuzuschauen.

Seitdem hat mich die Faszination für diese gepanzerten Echsen nie mehr losgelassen. Meine Reisen und Forschungsaufenthalte geben dieser Faszination immer weiter Nahrung, da ich schon unzählige Schildkröten in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten durfte. An viele dieser Momente denke ich gern zurück.

So wie an diesem windstillen Vormittag auf den Malediven: Ich war im Flachwasserbereich vor Kuramathi, einer Insel der Malediven, auf der Suche nach einem bestimmten Fisch, der zwischen kleinen Korallenblöcken wohnen sollte. Mein Gestöber zwischen den Korallen blieb nicht lange unbemerkt, denn ein kleiner Schwarzspitzenriffhai begann mich durch das Riff zu begleiten und schwamm nie mehr als einen Meter von mir entfernt an meiner Seite. Diese etwas ungewöhnliche Kombination aus Mensch und Fisch erregte offenbar das Interesse einer Echten Karettschildkröte, die sich unserer Suche anschloss. So zogen wir drei friedlich Seite an Seite durch das Riff. Dabei kam ich mir von meinen zwei Begleitern sehr genau beobachtet vor; sie musterten mich ab und an interessiert. Vor allem die Meeresschildkröte schien keinerlei Scheu vor mir zu haben, und ich habe sie auf späteren Unterwassertouren immer wieder getroffen. Da sie sich offenbar an unserem Hausriff zu Hause fühlte und sie mit der Zeit ein vertrautes Gesicht im Riff wurde, haben wir sie Loabi genannt. Auf Dhivehi, der Sprache der Malediven, bedeutet das »Liebe«, und tatsächlich war Loabi Menschen gegenüber immer freundlich und aufgeschlossen.

Genau wie wir Menschen auch, so haben Meeresschildkröten unterschiedliche Charaktere: Manche sind scheu und flüchten sofort, wenn ein Mensch ihnen zu nahe kommt, andere, so wie Loabi, sind proaktiv und sehr neugierig. Nie habe ich es jedoch erlebt, dass eine Meeresschildkröte mir gegenüber aggressiv wurde: Sie kümmern sich in der Regel um ihre eigenen Angelegenheiten und schwimmen Ärger oder Menschen (was leider oftmals das ein und dasselbe ist) aus dem Weg. Dennoch würde ich sie nicht bedrängen (auch Meeresschildkröten brauchen ihre Privatsphäre), denn ihr Schnabel mit den kräftigen Kiefern kann, wenn sie glauben, sich verteidigen zu müssen, durchaus feste zubeißen.

Doch leider gab es nicht nur schöne Momente mit den Tieren, sondern auch sehr traurige. Weltweit gibt es sieben Arten von Meeresschildkröten, und alle Bestände gelten entweder als gefährdet oder als stark bedroht. Obwohl sie unter Schutz stehen, werden sie immer noch allzu oft für ihr Fleisch gejagt, und auch ihre Eier werden eingesammelt. Diese wunderschönen Reptilien, die Dinosaurier und Eiszeiten überlebten, könnten bald verschwinden, wenn wir nicht handeln.

Meeresschildkröten leiden, wie viele andere Meerestiere, vor allem unter dem immer weiter ansteigenden Fischereidruck. Sie verfangen sich viel zu oft in Fischernetzen, wo sie, werden sie nicht gerettet, elendig verenden. Auch ich habe schon so manches Tier aus alten Fischernetzen befreit, und nicht jede dieser Rettungsaktionen ging für das Tier gut aus.

Glücklicherweise gibt es weltweit Spezialisten, die sich um das Wohl der verletzten Tiere kümmern, wovon ich mich in einem Krankenhaus für Meeresschildkröten selbst überzeugen konnte. Dort werden die Tiere wieder gesund gepflegt und später wieder ins Meer entlassen. Die Tiere aber, die aufgrund schwerer Verletzungen oder Erkrankungen in der Wildnis nicht überlebensfähig sind, finden zum Beispiel in Aquarien ein neues Zuhause.

Im Deutschen Meeresmuseum in Stralsund, also quasi vor unserer eigenen Haustür, leben seit vielen Jahren vier Meeresschildkröten. Die Tiere dort wurden zum Teil illegal nach Deutschland eingeführt und dürfen per deutscher Gesetzgebung nicht mehr in die Natur ausgewildert werden. Um mir ein Bild vom Verhalten von Meeresschildkröten in Gefangenschaft zu machen, durfte ich im Herbst 2020 hinter die Kulissen des Meeresmuseums schauen und die Tiere kennenlernen. Zwei Grüne Meeresschildkröten teilen sich ein 350 000 Liter Meerwasseraquarium mit einer Echten und einer Unechten Karettschildkröte. Alle Tiere sind weiblich und unterscheiden sich nicht nur in ihrem Äußeren voneinander, sondern haben ganz unterschiedliche Charaktere.

Auch wenn Meeresschildkröten auf den ersten Blick nicht gerade die ausdrucksstärksten Tiere in Bezug auf ihre Mimik sind, so lassen sich nach längerer Beobachtung durchaus Unterschiede in den Verhaltensweisen und Vorlieben der einzelnen Individuen feststellen. Im Meeresmuseum lebt unter anderem eine echte Diva, welche »die Alte« genannt wird. Wenn man sich eine klassische Diva vorstellt, dann sind das oft Künstler und Künstlerinnen auf zwei Beinen, die wir im Theater, Fernsehen oder im Kino bewundern können. Weniger denkt man dabei aber an jemanden mit lederartiger Haut, vier Flossen und einem Panzer.

Die Unechte Karettschildkröte mit den Starallüren schlüpfte vermutlich 1965 an einem Strand in Kuba, wurde von der damaligen Regierung aber kurz darauf dem Berliner Tierpark geschenkt und zog erst 1985 ins Stralsunder Meeresmuseum ein, wo sie seitdem die Chefin im Aquarium ist. In der Rangordnung an zweiter Stelle steht »Liv«, eine Echte Karettschildkröte, die 1988 illegal aus Asien nach Deutschland eingeführt wurde. Dort landete sie mit einer Fischsendung in einer Zoohandlung in der Nähe von Stuttgart und wurde von einem Azubi vor der Tötung durch den Chef gerettet und in einer Badewanne aufgezogen. Als das Tier zu groß für die heimische Badewanne wurde, zog »Liv« erst nach Stuttgart in die Wilhelma (einen zoologisch-botanischen Garten), bevor sie 1990 im Meeresmuseum ein Zuhause fand. Auch wenn »Liv« gegenüber den Tauchern, die regelmäßig das Becken reinigen, sehr zurückhaltend ist, so teilt sie gerne kräftig gegen die anderen Meeresschildkröten aus, wenn es ums Futter geht. Dann rempelt sie die anderen Tiere an oder zieht an deren Flossen. Genau wie bei Meeresschildkröten in der freien Wildbahn gibt es bei den Tieren im Aquarium auch futterneidisches Verhalten, wobei sich die Tiere im Becken aber nicht wirklich aus dem Weg schwimmen können.

In Aquarien lassen sich die Verhaltensweisen der Tiere zwar studieren, die Beobachtungen sind aber nicht zwingend auf das Verhalten in ihrem natürlichen Lebensraum übertragbar. Für mich persönlich gehören Tiere in die freie Wildbahn und nicht in Zoos oder Aquarien, welche aber bei der Fürsorge von nicht auswilderungsfähigen Tiere eine wichtige Rolle spielen können. Den Tieren im Meeresmuseum geht es dank der professionelle Pflege gut, und die Besucher*innen lernen viel über Meeresschildkröten und ihren natürlichen Lebensraum.

Auch wenn mir das Beobachten von Meeresschildkröten im Meer lieber ist, so hat nicht jeder das Glück, diese wunderschönen Tiere in freier Wildbahn bewundern zu können. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen die Welt der Meeresschildkröten näherbringen und Sie zum Schutz der Tiere und ihrem Lebensraum motivieren. Vielleicht können wir gemeinsam so etwas zum Überleben dieser faszinierenden Reptilien beitragen. Folgen Sie den Nomaden der Ozeane auf ihren Reisen, und tauchen Sie mit mir ab – in die verborgene Welt der Meeresschildkröten.

Sieben Wanderer, fünf Ozeane

Meeresschildkröten gehören zu den am weitesten verbreiteten Lebewesen auf unserem Planeten; man findet sie weltweit in allen tropischen und subtropischen Meeren. Dort fühlen sie sich sowohl in den Küstenregionen als auch auf hoher See zu Hause. Insgesamt gibt es sieben Arten von Meeresschildkröten auf der Welt, von denen fünf global verbreitet sind und zwei nur regional im Golf von Mexiko und in Ozeanien vorkommen.

Doch wie kam es dazu, dass diese Tiere so erfolgreich die Meere bevölkern? Wie vieles im Laufe der Erdgeschichte liegt auch die Evolution der Meeresschildkröten noch weitgehend im Dunkeln, aber wie bei einem Puzzle finden Wissenschaftler*innen immer wieder fehlende Teile und setzen sie zu einem – wenn auch längst noch nicht vollständigen – Bild zusammen. So lernen wir Stück für Stück, wie es diese faszinierenden Tiere geschafft haben, unsere Ozeane schon so lange erfolgreich zu durchwandern.

Urzeitliche Vorfahren

Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden in einem Meer schwimmen: in einer Welt, die es heute so nicht mehr gibt. Zugegeben, Sie würden wohl keine Stunde in diesem Meer vor 74 Millionen Jahren überleben, da es dort von einer Vielzahl an urzeitlichen Räubern nur so wimmelte. Dieses Flachmeer, der Western Interior Seaway, der in der mittleren und späten Kreidezeit (Beginn der Kreidezeit vor 145 Millionen Jahren und Ende vor 66 Millionen Jahren) große Teile des nordamerikanischen Kontinents bedeckte, war das Zuhause von Archelon ischyros, der größten Schildkrötenart, die nach heutigen Erkenntnissen je auf unserem Planeten gelebt hat. Für den Fall also, dass Sie eine Stunde in diesem urzeitlichen Meer überlebten, ständen die Chancen gut, dass Archelon an Ihnen vorbeischwimmen würde. Äußerlich würde dieses Tier Sie vielleicht an eine Lederschildkröte erinnern, jedoch in Größe und Gewicht vergleichbar mit einem klassischen VW Käfer. Die Tiere konnten nämlich von Kopf bis Schwanz eine stolze Länge von bis zu 4,5 Metern und bei ausgebreiteten Vorderflossen eine Breite von vier Metern erreichen. Zum Vergleich: Die größten heute lebenden Schildkröten, die Lederschildkröten, erreichen »nur« eine Panzerlänge von bis zu 2,7 Metern.

Die prähistorischen Schildkröten teilten sich das Meer mit sehr viel größeren, räuberischen Reptilien wie z.B. den bis zu 18 Meter langen Mosasauriern, mit Plesiosauriern und Ichtyo- bzw. Fischsauriern, denen die ein oder andere Archelon ischyros sicher zum Opfer gefallen ist. Ausgewachsenen Archelons war ihre immense Größe wahrscheinlich jedoch ein guter Schutz gegen die meisten Räuber, auch wenn sie keinen harten, durchgehenden Rückenpanzer besaßen. Ihre Rippen wurden von einer lederartigen Haut ähnlich der der Lederschildkröten bedeckt; lediglich der Brustbereich der Tiere, das sogenannte Plastron, bestand aus großen, sternförmigen Knochenplatten, die nur partiell miteinander verwachsen waren.

Wer sich von dem enormen Ausmaß von Archelon ischyros selber überzeugen möchte, kann das im Naturhistorischen Museum in Wien tun, denn dort wird das weltweit größte gefundene Exemplar ausgestellt. Das Tierskelett mit dem Namen »Brigitta« wurde in den 1970er-Jahren in South Dakota in den USA entdeckt. Damals noch eingeschlossen in einen riesigen Gesteinsblock von mehr als zwei mal vier Metern wurde es nach Wien gebracht und dort in zweijähriger mühevoller Arbeit freigelegt.

Fossilienfunde wie dieser sind für die Wissenschaft von enormer Wichtigkeit, da mit Hilfe dieser Versteinerungen Entwicklungen und Verwandtschaftsbeziehungen von Meeresschildkröten und anderen Organismen besser rekonstruiert werden können. Nach wie vor ist die frühe Evolution der Schildkröten ein umstrittenes Thema in der Wirbeltierpaläontologie*, und das Rätsel um die Entstehungsgeschichte der gepanzerten Reptilien ist immer noch nicht ganz gelöst. Daher wird jedes neu gefundene Fossil gefeiert wie ein Auftritt der Rolling Stones, da es Licht ins Dunkel der Schildkrötenevolution werfen kann.

Einen großen Knall in der Welt der Fossilien gab es im Herbst 2022, als eine neue Studie um den Paläontologen Oscar Castillo-Visa von der Universität Barcelona erschien. Bei Grabungen im Nordosten Spaniens stießen die Paläontologen auf die versteinerten Knochen einer gigantischen Meeresschildkröte. Mit einer Länge von 3,74 Metern war Leviathanochelys aenigmatica, was so viel wie »rätselhafte Riesenschildkröte« bedeutet, fast so groß wie Archelon. Tatsächlich ist der Beckenknochen der neu entdeckten fossilen Meeresschildkröte sogar um wenige Zentimeter breiter als der von Archelon. Aufgrund spezifischer anatomischer Merkmale an der Vorderseite des Beckens gehört Leviathanochelys laut den Forschern zu einer neuen Gruppe ausgestorbener Meeresschildkröten. Diese lebten in der Oberkreide, also zwischen 83,6 und 72,1 Millionen Jahren, in etwa zur selben Zeit wie Archelon. Dieser sensationelle Fund belegt erstmals, dass riesige Meeresschildkröten nicht nur die urzeitlichen Meere Nordamerikas durchschwammen, sondern auch die Meere des heutigen Europa. Zudem deutet ihr Fund darauf hin, dass sich Gigantismus in der Evolution von Meeresschildkröten wahrscheinlich mehrmals unabhängig voneinander entwickelt hat, so die Forscher weiter.

Auch wenn Archelon und Leviathanochelys die größten Schildkröten sind, die jemals auf unserem Planeten gelebt haben, so sind sie bei Weitem nicht die ältesten Schildkröten, die bis jetzt gefunden wurden.

Die Geschichte aller Schildkröten beginnt eigentlich in einer Welt vor 260 Millionen Jahren im heutigen Südafrika, wo an den Ufern des alten Karoo-Meeres ein kleines Reptil namens Eunotosaurus africanus lebte. Dieses Wesen erinnerte äußerlich noch nicht an die Meeresschildkröten, wie wir sie heute kennen. Es hatte außergewöhnlich dicke, nach außen gebogene Rippen, die unter der Haut eine Panzerkuppel formten, was dem Tier ein rundliches Äußeres verlieh. Genau genommen kann man sich einfach einen kleinen Ball mit vier krallenbewehrten Klauen und einem langen Schwanz vorstellen. Dennoch: Eunotosaurus africanus gilt als der wahrscheinliche Vorfahre aller Land-, Meeres- und Sumpfschildkröten.

Lange dachte man, dass Schildkröten von den frühen, jetzt ausgestorbenen Reptilien abstammen. Im Jahr 2015 jedoch fand ein stärkeres Erdbeben in der Fachwelt der Paläontologen statt, welches diese Theorie nicht nur ins Wanken, sondern zum Stürzen brachte. In Deutschland, in der Nähe von Schwäbisch-Hall, wurde ein SchildkrötenFossil entdeckt, das heute als Bindeglied zwischen den frühen Echsen und den Schildkröten gilt und ein neues Licht auf die Evolutionsgeschichte der gepanzerten Reptilien wirft. Das Fossil wurde bei Grabungen von dem Paläoherpetologen Prof. Dr. Rainer Schoch in einem Muschelkalksteinbruch im baden-württembergischen Vellberg entdeckt und gilt mit 240 Millionen Jahren als das älteste Schildkröten-Fossil der Welt. Damit sind Schildkröten in etwa so alt wie die Saurier, welche erstmals in der Trias, also zwischen 250 und 201,6 Millionen Jahren vor unserer Zeit auftraten.

Diese gefundene Ur-Schildkröte trägt den wissenschaftlichen Namen Pappochelys rosinae. Der Gattungsname Pappochelys setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörter pappos (Großvater) und chelys (Schildkröte) zusammen, während der Artname rosinae eine Würdigung an Isabell Rosin, eine Präparatorin des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart ist. Der Fund dieses 20 Zentimeter langen, echsenartigen Schildkröten-Urgroßvaters, welcher vermutlich an einem Süßwassersee lebte und sich wahrscheinlich bevorzugt im Wasser aufhielt, legt aufgrund spezieller anatomischer Merkmale eine nähere Verwandtschaft mit Echsen, Vögeln und Krokodilen nahe als mit den urtümlichen Sauriern....Ende der Leseprobe