Nordseegeflüster - Natascha Kribbeler - E-Book
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Natascha Kribbeler

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Beschreibung

Die Liebe kennt kein Richtig oder Falsch …
Ein romantischer Liebesroman für Fans von Jamie Beck

Als Emma herausfindet, dass ihr Verlobter Tobias sie betrügt, flüchtet sie zu ihren Eltern aufs Land. Schnell fühlt sie sich heimisch und beschließt nach einem Unfall ihrer Tante für eine Weile in ihrem Heimatdorf an der Nordsee zu bleiben. Neben ihrer Leidenschaft fürs Malen entdeckt sie auch die Liebe zum Meer und verbringt viel Zeit am Strand. Dort begegnet sie Sven, den sie seit Kindertagen kennt und sofort ist die alte Bindung zwischen den beiden wieder zurück. Doch auch Sven kämpft mit der Vergangenheit und trauert um seine Frau. Gemeinsam finden die beiden Stück für Stück ins Leben zurück. Können Emma und Sven ihre Schatten hinter sich lassen oder steht ihre Liebe von Anfang an unter keinem guten Stern?

Erste Leserstimmen
„Ein wunderschöner Liebesroman mit viel Tiefgang.“
„Dieser Roman hat sich wirklich nach einem Tag am Meer angefühlt. Ich konnte das Salzwasser riechen.“
„Berührend, emotional und einfach nur wundervoll!“
„Die zarte Liebe zwischen Emma und Sven hat mich sehr bewegt.“
„Der besondere Reiz dieser Liebesgeschichte liegt für mich daran wie wahnsinnig realistisch und authentisch sie ist.“

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Seitenzahl: 444

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Über dieses E-Book

Als Emma herausfindet, dass ihr Verlobter Tobias sie betrügt, flüchtet sie zu ihren Eltern aufs Land. Schnell fühlt sie sich heimisch und beschließt nach einem Unfall ihrer Tante für eine Weile in ihrem Heimatdorf an der Nordsee zu bleiben. Neben ihrer Leidenschaft fürs Malen entdeckt sie auch die Liebe zum Meer und verbringt viel Zeit am Strand. Dort begegnet sie Sven, den sie seit Kindertagen kennt und sofort ist die alte Bindung zwischen den beiden wieder zurück. Doch auch Sven kämpft mit der Vergangenheit und trauert um seine Frau. Gemeinsam finden die beiden Stück für Stück ins Leben zurück. Können Emma und Sven ihre Schatten hinter sich lassen oder steht ihre Liebe von Anfang an unter keinem guten Stern?

Impressum

Erstausgabe Juli 2020

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-178-4 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-165-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-777-9

Covergestaltung: Rose & Chili Design unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © ZZzarifa, © ekina1 shutterstock.com: © ShutterProductions, © Jo Ann Snover, © RUNGSAN NANTAPHUM, © OKAWA PHOTO, © Jones M Lektorat: Claudia Steinke

E-Book-Version 25.10.2023, 10:58:04.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Nordseegeflüster

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Nordseegeflüster
Natascha Kribbeler
ISBN: 978-3-96817-777-9

Die Liebe kennt kein Richtig oder Falsch … Ein romantischer Liebesroman für Fans von Jamie Beck

Das Hörbuch wird gesprochen von Cornelia Waibel.
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Vorwort

Liebe Leserinnen,

dieses Buch behandelt einen der schlimmsten Schicksalsschläge, der einer Frau widerfahren kann: eine Fehlgeburt. Dies ist ein traumatisches Ereignis, mit dem jede Betroffene anders umgeht. Ich möchte daher an dieser Stelle darauf hinweisen, dass dieses Thema hier beschrieben wird, sodass Sie selbst entscheiden können, ob Sie diesen Roman lesen möchten oder nicht, und wünsche Ihnen von Herzen alles Gute.

Ihre Natascha Kribbeler

Kapitel 1

Mit klopfendem Herzen betrachtete Emma den Monitor des Ultraschallgeräts. Auch wenn sie es klar und deutlich vor sich sah, konnte sie kaum fassen, was sie dort erkannte. Ihr Baby!

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ihr Frauenarzt und lächelte sie über den Rand seiner Brille hinweg an. „Sie sind schwanger, in der neunten Woche.“

Emma fühlte sich wie in einem Traum. Voll Aufregung und Glück sah sie zu, wie der Gynäkologe mit dem Schallkopf über ihren noch flachen Bauch glitt.

„Es sieht aus wie ein Alien“, rief sie und lachte unter Tränen. Tatsächlich war der Kopf noch ungewöhnlich groß für den winzigen Körper.

„Das gibt sich bald. Ihr Baby ist jetzt zwei Zentimeter groß, Sie werden staunen, wie rasch es sich in den folgenden Wochen entwickeln wird. Aber angesichts Ihrer Vorgeschichte sollten Sie vorsichtig sein. Schonen Sie sich, machen Sie Spaziergänge, schlafen Sie viel. Und keine Aufregung!“ Mahnend sah er sie an. „Weder Ärger noch Stress. Leider scheint Ihr Körper besonders dazu zu neigen, die Frucht abzustoßen, sobald Sie in Stresssituationen Cortisol ausschütten, das hat die Vergangenheit gezeigt.“ Nun lächelte er. „Also immer schön gelassen bleiben. Machen Sie Yoga. Und buchen Sie übers Wochenende ruhig einmal einen oder zwei Wellnesstage. Es wird Ihnen und dem Baby guttun.“

Wie eine Traumwandlerin ging Emma kurz darauf nach Hause. Wieder und wieder betrachtete sie das Sonografiebild, als hätte sie Angst, ihr Baby könnte verschwinden, wenn sie es nicht pausenlos ansah.

Und tatsächlich war mit dieser Schwangerschaft ein kleines Wunder geschehen. Nein, ein großes sogar. Zwei Fehlgeburten hatte sie schon hinter sich, beide während des ersten Trimesters. Nach dem Verlust ihres ersten Babys war sie wochenlang in eine depressive Phase verfallen, hatte dann jedoch Hoffnung geschöpft, erneut schwanger zu werden. Als sie das zweite Baby verlor, stürzte sie in ein tiefes, schwarzes Loch. Über ein halbes Jahr hatte es gedauert, bis sie neuen Lebensmut fasste.

Als dieses Mal ihre Regel ausblieb, hatte sie Tobias nichts gesagt. Zu groß war die Angst, dass sie doch noch kam, dass alles doch nur blinder Alarm war.

Oh, wie er sich freuen würde, wenn sie ihm heute Abend das Bild auf den Tisch legte. Nein, direkt auf seinen Teller, damit er es auch bloß nicht übersehen konnte. Die freudige Nachricht würde ihn aus seinem Stress herausreißen, was sicher auch ihrer Beziehung guttun würde. Die fand nämlich seit einiger Zeit kaum noch statt.

Emma erreichte ihr Haus und betrat die Wohnung. Schon bald wäre es hier nicht mehr so leise. Babygeschrei würde die Räume erfüllen, später Kinderlachen. Überall würde Spielzeug herumliegen, selbstgemalte Bilder die Wände zieren, und das dreckige Geschirr würde sich türmen, weil sie kaum noch Zeit für ihren Haushalt hätte, sondern voll damit beschäftigt sein würde, ihr Kleines zu herzen.

Der Haushalt war ein gutes Stichwort. Es war bereits später Vormittag, und sie hatte noch nichts erledigt. Der Arzttermin hatte ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen. Dabei sollte heute alles blitzen und blinken, wenn Tobias nach Hause kam. Für ihre freudige Überraschung sollte die bestmögliche Atmosphäre vorherrschen. Wenn sie mit dem Putzen fertig war, würde sie sich daranmachen, ein fürstliches Abendessen vorzubereiten. Sie würde nachher noch Blumen besorgen und den Tisch damit dekorieren. Bei der Vorstellung daran lächelte sie. Wer konnte schon sagen, ob der heutige Abend nicht der perfekte Zeitpunkt wäre, endlich Nägel mit Köpfen in Form eines konkreten Hochzeitsplans zu machen?

Emma machte sich daran, das Frühstücksgeschirr abzuwaschen und die Küche aufzuräumen. Während sie arbeitete, stellte sie sich vor, wie Tobias’ Augen vor Freude glitzern würden, wie er sie in die Arme reißen und küssen würde. Was wäre ein besserer Anlass für eine baldige Hochzeit als dieses Baby? Anschließend würde sie ihn ins Kinderzimmer führen und ihm die erste Wand zeigen, die sie bereits fertiggestellt hatte. Sie hatte das Zimmer stets abgeschlossen und Tobias daran gehindert, es zu betreten. Er ahnte ja nicht, was sie dort zauberte. Ein weißes Einhorn inmitten eines farbenfrohen Dschungels voller Paradiesvögel, im Hintergrund eine Burg, umrandet von dornigen Rosen, und links erkannte man einen goldenen Strand vor einem geheimnisvollen Meer. Damit kompensierte sie ihr Heimweh, unter dem sie unterschwellig litt, das sie jedoch nicht einmal sich selbst richtig eingestand. Ja, sie würde Tobias dieses Bild, das die ganze Wand einnahm, noch vor dem Ultraschallfoto zeigen und ihn raten lassen, was es wohl bedeutete. Und sie würde sich weiden an der Freude in seinen Augen, sobald er realisierte, warum sie es gemalt hatte. Erst dann würde sie ihm das Bild seines Kindes zeigen, das schon bald hier leben würde.

Als Emma im Bad weiterarbeiten wollte, fiel ihr Blick auf den Wäschekorb. Dort lagen bereits wieder einige von Tobias’ Hemden. Das war die Arbeit, die sie am meisten verabscheute: Das Bügeln seiner blütenweißen Hemden. Heute jedoch würde ihr noch nicht einmal diese ungeliebte Aufgabe Ärger bereiten. Nichts konnte an diesem Tag ihre glänzende Laune und Freude verderben.

Sie öffnete die Waschmaschine, um die Kleidungsstücke hineinzulegen – und stutzte. Was war das? Hatte Tobias sich verletzt? Dort war ein roter Fleck am Hemdkragen. Sie sah ihn sich genauer an. Ihr Herzschlag stockte, um sich plötzlich zu beschleunigen.

Es war Lippenstift. Knallrot.

Bisher hatte sie immer angenommen, dass es nur ein Klischee war, das es in Filmen oder Romanen gab. Roter Lippenstift am Hemdkragen.

Ihr wurde übel. Schlagartig schoben sich Bilder in ihr Blickfeld, die sie nicht sehen wollte. Eine sexy Blondine in weißer Bluse, schwarzem Minirock und hohen Pumps, die vor Tobias auf seinem Schreibtisch saß. Die am Ohr ihres Verlobten knabberte und dabei ihren Lippenstift auf seinem Hemd verschmierte. Emma sah seine Hände, die sich unter die Bluse seiner Sekretärin schoben, und seinen Mund, der sich heißhungrig auf deren Lippen presste.

Ihr Magen verkrampfte sich. Schnell hielt sie die Hand vor den Mund und stolperte zur Toilette.

Wie konnte er nur? „Ich liebe dich“, hatte er am Morgen noch zu ihr gesagt und sie zärtlich geküsst.

Alles Lüge!

Während sie sich den Mund mit klarem Wasser ausspülte, verflog die Übelkeit und machte der Nachdenklichkeit Platz.

Tobias arbeitete in einer großen Steuerkanzlei. Dort hatte er rasant Karriere gemacht, stieg rasch vom Buchhalter zur rechten Hand des Chefs auf. Dementsprechend viel Arbeit hatte er und musste in letzter Zeit oft Überstunden machen.

Doch Emma beschwerte sich nie. Er tat das alles ja auch für sie.

Er verdiente gut, und so hatte sie zugestimmt, als Hausfrau zu Hause zu bleiben, nachdem sie aufgrund der zweiten Fehlgeburt und der damit verbundenen langen Krankschreibung ihren Job in einem Kaufhaus verloren hatte.

„Du musst dir doch nicht mehr täglich die Beine in den Bauch stehen, Liebling. Bestimmt ist das ständige Herumstehen auch gar nicht gut für deinen Kinderwunsch. Ich verdiene genug für uns beide. Hoffentlich bald für uns drei“, setzte er hinzu und lächelte. „Und wie sieht es denn aus, wenn meine Verlobte die Einkäufe meiner Klienten in eine Tüte packt. Bleib zu Hause. Richte uns ein gemütliches Heim her.“ Er hatte sie an sich gezogen und ihr tief in die Augen gesehen. „Fang mit dem Kinderzimmer an, wenn du willst.“

„Das Kinderzimmer?“ Eisiger Schreck und heiße Freude zugleich waren über ihren Rücken gerieselt.

„Ganz genau, mein Liebling. Es geht dir doch wieder gut. Nichts spricht dagegen, dass wir es noch einmal versuchen. Wenn du Ruhe hast und nicht mehr arbeiten gehen musst, wird bestimmt alles gutgehen. In meinem Job läuft es großartig. Und du … ach, es ist doch nicht gerade dein Traumberuf, oder?“

Da war etwas in seinen Augen gewesen, dass sie unmerklich zusammenzucken ließ. Verachtung? Nein, das wäre wohl übertrieben. Hohn vielleicht. Aber warum? Weil sie nur eine Verkäuferin war, während er die Karriereleiter erklomm? Sollte sie deswegen ihren Job aufgeben? Fühlte er sich peinlich berührt, wenn seine Kollegen oder Mandanten sie bei der Arbeit sahen? Als erstes wollte sie ihm widersprechen. Nicht, dass sie ihren Job besonders liebte. Es war ein Job, mehr nicht. Und das tägliche, stundenlange Stehen tat sicher auch den Beinen und dem Rücken nicht gut.

Sie widersprach dennoch nicht, und dafür gab es zwei Gründe. Zum einen galt ihre ganze Leidenschaft der Malerei. Sie liebte es, Fantasymotive auf Leinwand zu bannen – Einhörner, Elfen, Drachen. Zauberhafte Landschaften, wilde Tiere, das weite Meer. Wenn sie nicht mehr arbeiten gehen müsste, hätte sie viel mehr Zeit dafür.

Der andere Grund war noch wesentlicher. Wenn es nun stimmte und sie sich bei der Arbeit übernommen und deshalb ihre Babys verloren hatte? Denn als Verkäuferin brauchte sie keinesfalls den ganzen Tag nur herumzustehen, wie Tobias es sah. Es gehörte schon einiges mehr dazu, und mitunter war der Job wirklich anstrengend, wenn sie schwere Ware auspacken oder einräumen musste. Vom Umgang mit komplizierten Kunden ganz zu schweigen. Und es stimmte ja, Tobias verdiente genug Geld für sie beide. Für sie drei, ergänzte sie lächelnd in Gedanken. Wie schön wäre es, ihre Wohnung in ein kuscheliges Nest zu verwandeln. Die Wände des Kinderzimmers würden zu einem Kunstwerk werden. Zauberer, Zwerge und andere Fabelwesen würden zwischen Regenbogen und Märchenschlössern wohnen.

Insgeheim hatte sie befürchtet, dass Tobias nach all den furchtbaren Monaten kein Kind mehr mit ihr wollte. Fast hätte der Schmerz um ihren doppelten Verlust sie ihre Beziehung gekostet. Denn auch für Tobias war es eine schwere Zeit gewesen. Wochenlang hatte sie sich verkrochen, kaum noch ihr Bett im abgedunkelten Schlafzimmer verlassen.

„Schatz, es ist Frühling, das Wetter ist so schön“, hatte er sie zu locken versucht. „Lass uns einen Spaziergang machen, alles blüht so wundervoll.“ Doch nichts hatte sie interessiert, weder die Sonne noch eine Einladung zum Essen oder der Besuch von Freunden.

„Lass es uns noch einmal versuchen“, versuchte Tobias sie schließlich aufzumuntern. Doch es dauerte noch einmal fast ein halbes Jahr, ehe sie sich darauf einließ. Zu groß war ihre Angst. Und tatsächlich klappte es lange nicht. Monat für Monat bekam sie ihre Periode und wurde immer niedergeschlagener.

„Emma, Liebes“, versuchte ihre Mutter, sie zu trösten. „Ihr könnt doch auch ohne Kinder glücklich sein. Versuch doch einmal, die Vorteile zu sehen. Ihr seid frei und unabhängig, ihr könnt reisen, ins Kino oder Museum gehen … Vielleicht könnt ihr eines Tages auch ein Kind adoptieren.“

Schließlich hatte sie es fast geschafft, ihr Schicksal als kinderlose Frau zu akzeptieren.

Und dann hatte es geklappt!

Anfangs konnte Emma es kaum glauben, wagte nicht, die zarte Hoffnung keimen zu lassen, die in ihr aufstieg. Woche um Woche verging, und ihre Blutungen blieben weiter aus. Emma bildete sich ein, dass ihre Brüste zu spannen begannen, und einmal war ihr tatsächlich am Morgen übel gewesen. Als sie zwei Wochen überfällig war, kaufte sie einen Schwangerschaftstest. Sie hatte noch niemandem von ihrer Hoffnung erzählt, fürchtete, dass es unwahr werden würde, sobald sie es aussprach. Doch der Test war eindeutig: Zwei blaue Striche. Schwanger.

Von dem Moment an bewegte sich Emma nur noch wie auf rohen Eiern. Sie ging nicht mehr joggen, sondern walken, und sie wurde beinahe übervorsichtig aus Angst, zu stürzen und dabei das Kind zu verlieren. Und sie rief beim Gynäkologen an, um einen Termin auszumachen.

Tobias merkte von all dem nichts. Er hatte so viel Arbeit, dass er täglich sehr früh das Haus verließ und erst am späten Abend zurückkam.

Nun schluckte sie und versuchte, sich gut zuzureden. Kein Grund zur Aufregung. Sicher gab es eine ganz harmlose Erklärung für den Lippenstift. Vielleicht eine Betriebsfeier. Ein Tanz in beschwipstem Zustand. Sie wollte es einfach glauben. Und ihrem Baby ging es gut. Vorhin hatte sie es auf dem Bildschirm gesehen, es war gesund und quicklebendig. Auf der Anrichte lag ihr Mutterpass. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.

Sie stellte fest, dass sie immer noch das Hemd in der Hand hielt, es war bereits völlig zerknittert.

Während sie nun versuchte, ihren rasenden Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen, fragte sich Emma, warum in aller Welt sie Tobias nicht gleich erzählt hatte, dass sie erneut schwanger war. Vielleicht wäre dann alles nicht passiert? Welchen Reiz hätte diese Sekretärin für ihn haben können im Bewusstsein, bald Vater zu werden? Selbst, wenn alles ganz harmlos war.

Doch im gleichen Augenblick wusste sie, warum sie es ihm wochenlang verschwiegen hatte. Es war die Angst. Die Angst, dass es wieder geschah, dass sie noch ein Baby durch eine Fehlgeburt verlor. Die Furcht vor den Blicken. Nach dem Verlust ihres ersten Kindes waren noch alle mitleidig und fürsorglich gewesen, Tobias, ihre Eltern und Freunde. Nach der zweiten Fehlgeburt jedoch erfuhr sie in erster Linie Zurückhaltung, und es kam ihr vor, als wollten die anderen es gar nicht wissen.

„Natürlich ist es schlimm, aber es war doch noch so winzig, nur ein Zellhaufen. Es war doch noch kein richtiges Baby“, behauptete ihre Schwiegermutter.

So blieb Emma nichts übrig, als allein um ihr totes Kind zu trauern. Zudem litt sie unter dem Unverständnis ihrer Umwelt, und alles zusammen führte dazu, dass sie in schwere Depressionen verfiel.

Und so hatte sie bisher geschwiegen. Nun, in der neunten Woche, hatte sie Hoffnung geschöpft, dass es dieses Mal gutgehen könnte. So lange hatte keine ihrer bisherigen Schwangerschaften angehalten.

Vorsichtig rappelte sie sich auf und steckte Tobias’ Hemden in die Waschmaschine. Bis auf das eine. Erneut starrte sie den Fleck an. Sah die rotlackierten Fingernägel der Blondine vor sich, die sich an Tobias’ Gürtel zu schaffen machten.

Der Schmerz kam so unerwartet und war so heftig, dass Emma aufschrie und sich krümmte. Es war, als hätte eine Faust ihren Unterleib gepackt und zusammengedrückt. Mit einer Hand stützte sie sich am Waschbecken ab, während sie versuchte, ganz ruhig ein- und auszuatmen.

„Reg dich nicht auf“, sprach sie sich gut zu. „Es gibt bestimmt eine vernünftige Erklärung dafür.“ Vielleicht hatte eine Angestellte Geburtstag, und er hatte sie zur Gratulation umarmt. Dabei war der Lippenstift an seinen Hemdkragen geraten.

Vorsichtig horchte sie in sich hinein. Ja, der Krampf löste sich, sie konnte wieder leichter atmen. Wahrscheinlich war es nur der Schock gewesen. Sie ließ das Hemd fallen. Um die Wäsche würde sie sich später kümmern. Das Wichtigste war jetzt, dass sie sich schnell wieder beruhigte. Langsam tappte sie zur Küche. Als sie im Türrahmen stand, boxte ihr erneut jemand in den Bauch.

Verzweifelt presste sie ihre Hände darauf, als könnte sie ihr Baby so schützen. „Bitte, nein“, flüsterte sie. Ihr Blick fiel auf das Ultraschallbild. „Es ist alles in Ordnung. Mami hat sich nur etwas aufgeregt, aber es ist wieder alles okay. Bleib ganz ruhig da drinnen, ja?“

Vorsichtig setzte sie sich auf einen Stuhl. Notfalls würde sie hier sitzen bleiben, bis Tobias am Abend nach Hause kam, und würde den Haushalt liegen lassen. Die Hauptsache war, dass ihrem Baby nichts geschah.

Wieder krampfte sich ihr Leib zusammen, und sie krümmte sich vor Schmerzen. Nein, nein, nein! Es durfte einfach nicht sein! Es schmerzte wie der scharfe Stich eines Messers in ihren Bauch. Und wie von einem Schnitt begann ihr Blut zu fließen.

Blut, das dort nicht hätte sein dürfen. Blut, das sich noch sieben Monate hätte gedulden müssen. Emma spürte, wie es heiß aus ihr hinauslief.

Beschützend legte sie ihre Hände auf ihren Unterleib. „Du hast doch noch Zeit“, flehte sie. „Bleib ganz ruhig, hörst du? Bleib dort drinnen.“

Natürlich wusste sie, dass all ihre Worte nichts nützten, und wie das Blut strömten auch ihre Tränen hervor.

So saß sie da, wagte kaum noch, zu atmen, und fixierte die Uhr an der Wand. Quälend langsam verstrichen die Sekunden. Wie hypnotisiert beobachtete Emma den Zeiger der Uhr, und jedes leise Klicken, mit dem er ein winziges Stückchen weiterrückte, hallte in ihren Ohren wie der schwere Hammer eines bösartigen Schicksalsgottes.

Wie konnte es sein, dass ihr ganzes Glück, alles, was bisher ihr Leben ausgemacht hatte, ihr an einem einzigen Tag genommen wurde? Sie war so glücklich gewesen, rosig hatte ihre Zukunft vor ihr gelegen.

Während sie nun verzweifelt und panisch die Hände auf ihren Bauch hielt, wusste sie, dass sie handeln musste. Doch alles in ihr sträubte sich dagegen, Tobias anzurufen. Wieder sah sie den Lippenstift auf seinem Hemd vor sich. Doch das war erst einmal zweitrangig, sie konnte es immer noch mit ihm klären.

Gerade spürte sie keinen Schmerz, und leise Hoffnung stieg in ihr auf. Vielleicht war es ja doch nicht so schlimm? Vielleicht war es nur – eine Anfangsschwierigkeit. Sie hatte gelesen, dass manche Frauen während der ersten Monate der Schwangerschaft weiterhin ihre Periode bekamen. Es konnte doch sein, dass dies bei ihr der Fall war. Sie hatte während ihrer Menstruation oft unter starken Krämpfen gelitten.

Vorsichtig stand sie auf, um das Telefon zu holen. Es blutete nicht mehr. Sie tappte zur Anrichte. Vielleicht hatte sie wirklich Glück. Sie würde sich einen Tee kochen und sich dann auf die Couch legen, um …

Der Schmerz kam so heftig und unerwartet, dass sie aufkeuchte und beide Fäuste in den Bauch presste. Im gleichen Augenblick spürte sie, wie erneut ein Schwall Blut aus ihr hinausfloss.

„Oh, nein“, schluchzte sie verzweifelt und voller Angst.

Sie hatte doch schon heimlich nach Namen für ein Mädchen oder einen Jungen gesucht. Das hier durfte doch einfach nicht wahr sein!

Mit zitternden Händen griff sie zum Telefon und wählte die Nummer des Notarztes. Anschließend rief sie bei Tobias an, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte. Er musste wissen, was hier mit ihr geschah. Und sie brauchte ihn. Gerade jetzt brauchte sie ihn so sehr wie selten zuvor in ihrem Leben.

„Liebling“, meldete er sich und klang angestrengt fröhlich. „Wie schön, dass du anrufst. Weißt du, es ist nur gerade etwas ungünstig …“

„Hör zu“, unterbrach sie ihn und versuchte, ein Stöhnen zu unterdrücken, während der Schmerz ihren Leib verkrampfte. „Ich habe gerade den Notarzt angerufen, er wird gleich hier sein.“

„Um Himmels willen! Was ist passiert? Hattest du einen Unfall?“

„Ich kann dir das am Telefon nicht …“ Emma musste das Gespräch unterbrechen, als der Schmerz zu heftig wurde.

„Emma? Emma! Was ist da los bei dir?“, hörte sie Tobias’ Rufe. „Ich komme sofort zu dir, hörst du mich? Ich bin gleich bei dir.“

Es gelang Emma kaum, das Telefon auszuschalten, so sehr zitterten ihre Hände. Vor Schmerz. In erster Linie aber vor Angst. Wo blieb der verdammte Notarzt?

Kurz darauf klingelte er. Mit wackeligen Knien öffnete Emma ihm die Tür. „Sie sind schwanger?“, fragte er.

„Ja.“

„In der wievielten Woche?“

„In der neunten.“

„Und seit wann haben Sie die Blutungen?“

„Seit ungefähr zwanzig, nein, warten Sie … fünfundzwanzig Minuten. Ich hatte gehofft, sie hören von allein wieder auf, aber …“

„Es ist gut, dass Sie uns gerufen haben.“ Er griff nach ihrem Arm. „Bitte legen Sie sich auf die Trage. Wir müssen Sie in die Klinik bringen.“

Er half Emma, sich hinzulegen, hob gemeinsam mit dem Sanitäter die Trage an und trug sie zum Rettungswagen.

„Was ist mit meinem Baby?“, fragte Emma bang.

„Das werden wir in der Klinik gleich sehen. Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Bleiben Sie ganz ruhig liegen.“

In diesem Augenblick raste Tobias’ dunkelgrauer BMW in die Auffahrt und kam mit quietschenden Bremsen zum Stehen. Er musste gefahren sein wie der Teufel. War das nicht ein Zeichen dafür, dass er sie liebte? Emma beschloss, den Fleck an seinem Hemd erst einmal nicht zu erwähnen. Er sorgte sich um sie, sonst wäre er nicht so schnell hier gewesen. Tobias stellte den Motor ab, sprang aus dem Wagen und zu Emma. Besorgt legte er seine Hand an ihre Wange und beugte sich über sie.

„Was hast du, Liebling? Was ist passiert?“

Emmas Herz schmerzte vor Kummer und Verzweiflung. „Ich bin schwanger“, hauchte sie. „Ich wollte es dir heute sagen.“

Tobias riss die Augen auf. Das freudige Leuchten, das über sein Gesicht zog, verursachte Emma Magenschmerzen. „Das ist ja wunderbar! Aber …“ Das Leuchten verschwand, als sein Blick auf ihre weiße Hose fiel. Im Schritt breitete sich der Blutfleck zunehmend aus. Er keuchte, und eine tiefe Sorgenfalte erschien auf seiner Stirn. „Was ist passiert, Emma? Sag es mir! Ist etwas mit dem Kind?“

In diesem Augenblick griff der Sanitäter nach der Tür des Rettungswagens. „Wenn Sie mitwollen, müssen Sie jetzt einsteigen. Wir müssen los.“

Schnell sprang Tobias in den Wagen. Er griff nach Emmas Hand und drückte sie so fest, dass es ihr weh tat.

Sie schüttelte müde den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich habe Blutungen und Krämpfe.“

„Um Himmels willen! Aber warum denn, Emma? Wie konnte das geschehen? Ist etwas passiert? Bist du gestolpert, gestürzt oder …?“

Emma holte Luft, um etwas zu erwidern, aber in diesem Augenblick krampfte sich erneut ihr Leib zusammen, und dieses Mal war der Schmerz so heftig, dass sie aufschrie. Wieder spürte sie, dass Blut aus ihr hinausfloss.

Und noch etwas anderes.

„Liebling?“ Das war Tobias’ atemlose Stimme.

Der Arzt und der Sanitäter beugten sich über Emma, legten ihr einen Tropf, hantierten an ihr herum.

Emma nahm das alles nur am Rande wahr, wie gedämpft durch dichten Nebel.

„Was ist mit ihr?“, fragte Tobias besorgt. Seine Stimme klang leise, wie aus weiter Ferne. Auch die Hektik des Arztes und des Sanitäters erschien Emma vollkommen unwichtig. Sie registrierte es kaum, sondern spürte, wie sie davonglitt.

Kapitel 2

Als Emma erwachte, lag sie in einem Krankenhausbett. Vor dem Bett saß Tobias auf einem Stuhl. Nun sah er sie an, besorgt und doch freudig, stand auf und legte die Hand auf ihre Wange. „Du bist wieder wach! Gott sei Dank! Ich hatte so eine Angst um dich!“

Immer noch fühlte sich Emma wie betäubt. Sie versuchte, in sich hineinzuhorchen. Aber sie spürte nichts. „Das Baby?“, fragte sie leise.

Tobias schüttelte den Kopf.

Schwach schob Emma seine Hand beiseite.

Tobias deutete ihre Geste falsch. Mit glücklichem Lächeln griff er nach ihren Fingern. „Du hast das Bewusstsein verloren. Plötzlich hast du die Augen verdreht und ein ganz seltsames Geräusch von dir gegeben, wie ein leises Seufzen. Ich fürchtete schon, dass du … Zum Glück hat der Arzt das schnell wieder in den Griff bekommen. Liebling, du hast mir den Schock meines Lebens verpasst. Ich hatte so eine Angst, dich zu verlieren.“

Emma versuchte, sich zu erinnern, wusste jedoch nur noch, dass sie im Krankenwagen lag, und dann war alles weg.

„Du sagst ja gar nichts. Geht es dir nicht gut?“ Eine Sorgenfalte erschien auf Tobias’ Stirn.

Emma sah ihn an. Plötzlich stand ihr wieder sein weißes Hemd mit dem roten Fleck vor Augen. Und alles, was sie fühlte, als sie sein Gesicht betrachtete, sein dunkles Haar, seine Augen, war – nichts. Es schien, als wären all ihre Empfindungen mit ihrem Kind gestorben.

Sie brachte ein mattes Lächeln zustande. „Das fragst du mich ernsthaft?“

Tobias zog seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. „Glaube mir, mir geht es ebenso. Es war ja auch mein Kind, das du verloren hast. Warum hast du mir denn nicht eher gesagt, dass du schwanger bist?“

„Ich hatte Angst, dass genau so etwas passiert, wenn ich es erst ausspreche. Ich … wollte es dir heute sagen. Bei einem schönen Abendessen.“ Verzweifelt schloss sie die Augen und spürte, wie heiße Tränen unter ihren Lidern hervorquollen. „Es tut so weh.“

„Oh, Liebling.“ Tobias griff erneut nach Emmas Hand, und dieses Mal entzog sie sie ihm nicht. „Es tut mir so leid. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“

Emma las echten Schmerz in seinen Augen. Sie wollte es nicht sagen, nicht jetzt. Aber die Worte waren heraus, ehe sie es verhindern konnte. „Was meinst du denn, warum ich es verloren habe?“

Tobias starrte sie verwirrt an. „Woher soll ich das denn wissen? Vielleicht hast du dich überanstrengt, oder …“

Emma zögerte. War dies wirklich der richtige Ort und Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung wegen seiner Untreue? Nein, gewiss nicht. Aber dann sah sie wieder die Blondine vor sich, wie sie an Tobias’ Ohr knabberte und sein Hemd verschmierte. Für ein solches Thema gab es keinen passenden Ort oder Zeitpunkt. Je eher sie es hinter sich brachte, desto besser. Es ging ihr sowieso gerade so furchtbar schlecht, dass sie es auch gleich erledigen konnte. Sozusagen in einem Abwasch.

„Denk doch mal nach. Vielleicht kommst du von alleine drauf.“

Nun kniff Tobias ärgerlich seine Augen zusammen. „Du willst tatsächlich mir die Schuld daran geben? Das ist jetzt aber nicht dein Ernst.“

„Mein voller Ernst. Es ging mir gut. Richtig gut sogar. Bis ich dein Hemd entdeckte. Bis ich erkennen musste, dass der Mann, den ich liebte, der Vater meines ungeborenen Kindes, mich betrügt.“

„Was?“

„Ich habe dein Hemd gefunden. Ich habe es für dich waschen wollen, wie eine treu sorgende Frau es eben tut.“ Mit jedem Wort wurde ihre Stimme rauer wegen der Tränen, die sich in ihr aufstauten.

Verwirrung zeigte sich in seinen Zügen. „Wovon redest du?“

„Von dem Lippenstift auf dem Hemdkragen. Du erinnerst dich doch bestimmt daran, wie er darauf gekommen ist, oder?“

Tobias erbleichte. So sehr, dass es Emma gleich ein wenig besser ging.

„Ich … ich kann dir das erklären! Es war … ganz anders, als du denkst“, stammelte er.

„Was denke ich denn?“ Wut hielt die Tränen in Schach. „Dass mein Verlobter seine Sekretärin vögelt, während ich seine Hemden wasche? Während ich sein Kind in mir herumtrage?“

Tobias sah sie schockiert an. „Ich wusste ja nicht … Bitte, Liebling, lass uns später darüber reden, ja? Wenn du dich etwas beruhigt hast. Du stehst immer noch unter Schock, du weißt nicht, was du sagst.“

Emma war plötzlich unsagbar müde. Sie hatte keine Kraft für eine derartige Auseinandersetzung. Es war ein Fehler gewesen, Tobias hier und jetzt mit seinem Fehltritt – wenn es denn einer war – zu konfrontieren. Erst musste sie wieder zu Kräften kommen. Sie nickte schwach, um ihre Zustimmung zu signalisieren.

Am folgenden Abend besuchte Tobias sie wieder. Emma hatte fast die ganze Zeit über geschlafen, sie vermutete, aufgrund eines starken Beruhigungsmittels, denn wenn sie einmal wach war und nachdenken wollte, funktionierte es nicht. Ihre Gedanken schwammen in ihrem Kopf herum wie Kaulquappen und entglitten ihr immer wieder. Nun, als sie Tobias in der Tür erkannte, fühlte sie sich immer noch wie betäubt. Ging alles wieder von vorne los? Das schwarze Loch, die Depressionen? Noch einmal würde sie so etwas nicht durchstehen, das wusste sie. Und Tobias auch nicht. Wenn sie sich noch einmal in die Tiefen eines Burnouts fallen ließ, wäre ihre Beziehung endgültig am Ende. Und trotz ihres Schocks wegen des Lippenstifts, trotz der Katastrophe, die danach geschehen war – das wollte sie nicht. Tobias war doch alles, was sie noch hatte.

„Hi“, sagte er leise. „Geht’s dir schon etwas besser?“

„Ich weiß nicht. Ich habe fast nur geschlafen.“

„Das ist gut. So kann sich dein Körper am schnellsten erholen.“

„Um meinen Körper mache ich mir keine Sorgen. Es ist nur … in mir drin ist alles leer, verstehst du? Ich kann nicht mehr denken, und ich fühle auch nichts mehr. Ich bin … wie tot.“

„Ach, Liebling.“ Tobias strich sacht über ihre Wange. „Das gibt sich wieder. Es ist gestern erst geschehen, du darfst keine Wunder erwarten. Hab Geduld.“

Die Gedanken flatterten in Emmas Kopf herum wie Vögel, sie bekam keinen zu fassen. „Sei mir nicht böse, ja? Ich … bin so müde.“ Emma fielen die Augen zu.

„Kein Problem. Ich komme morgen wieder, ja? Warte, ich rufe die Schwester. Du gefällst mir gar nicht. Nicht, dass du wieder das Bewusstsein verlierst wie im Krankenwagen.“

Einen Augenblick später beugte sich die Schwester über sie, und hinter ihrem Lächeln erkannte Emma tiefe Besorgnis.

„Ihr Verlobter sagte, es gehe Ihnen nicht gut. Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel, in Ordnung? Dann schlafen Sie die Nacht durch. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus, Sie werden sehen.“

Plötzlich war es Emma, als zöge jemand einen Schleier aus ihrem Gesichtsfeld. „Geht das wieder weg?“, fragte sie leise.

Die Schwester beugte sich näher zu ihr. „Was meinen Sie? Haben Sie noch Schmerzen?“

Schwach schüttelte Emma den Kopf. „Nein. Keine Schmerzen. Eher das Gegenteil. Ich fühle – nichts mehr. Gar nichts. Verstehen Sie?“

„Das ist vollkommen normal.“ Geübt schloss die Schwester einen Beutel an den Tropf an und kontrollierte den Schlauch, der zu Emmas Armbeuge führte. „Sie haben Schlimmes erlebt. Sie stehen unter Schock. Geben Sie sich Zeit. So etwas verarbeitet man nicht an einem Tag.“

Mitfühlend sah sie Emma noch einmal an, als sie sich aufrichtete. „Schlafen Sie jetzt. Ruhen Sie sich aus. Und wenn etwas ist, melden Sie sich. In Ordnung?“ Sie wandte sich Tobias zu. „Und Sie sollten jetzt gehen. Ihre Verlobte braucht Ruhe. Und Sie sicher auch.“

Die Gedanken verschwammen, während Emma langsam in den Schlaf glitt. Schwärze hüllte sie ein wie ein Mantel, und sie fühlte sich seltsam getröstet.

Als sie am frühen Morgen erwachte, hatte sie so starke Kopfschmerzen, dass sie meinte, ihr Schädel müsse zerspringen. Die Krankenschwester gab ihr eine Kopfschmerztablette und stellte ihr eine Kanne Tee ans Bett. „Trinken Sie die, es wird Ihnen guttun. Und nachher können Sie aufstehen. Ihr Kreislauf muss wieder in Schwung kommen.“

Doch kurz darauf nickte Emma wieder ein.

Als erneut die Tür geöffnet wurde, fuhr Emma aus dem Dämmerschlaf hoch, in den sie wieder verfallen war. Kam Tobias zurück? Sie war sich nicht sicher, ob sie sich das wünschte. Aber er war es nicht.

„Emma! Was machst du denn für Sachen?“, fragte Laura, ihre beste Freundin. In der rechten Hand trug sie einen riesigen Blumenstrauß und in der linken eine große Schachtel Pralinen.

Mühsam setzte sich Emma im Bett auf. „Wie schön, dass du mich besuchst. Ich freu mich! Aber woher weißt du …?“

„Ich wollte dich gestern anrufen. Aber mehrmals ging niemand ran. Erst abends erwischte ich Tobias, und der erzählte mir alles. Er hat mir den Schock meines Lebens verpasst! Ach, Emma, es tut mir so leid! Das ist alles so furchtbar.“ Sie beugte sich hinunter und nahm Emma vorsichtig in die Arme.

„Wie geht es dir? Es tut mir so leid, was passiert ist!“

„Ich bin furchtbar traurig. Ich kann das alles noch gar nicht richtig realisieren. Es kommt mir vor wie ein Albtraum, aus dem ich gleich erwache, und dann ist alles wieder gut. Nur leider ist es das nicht.“

„Ach, Süße!“ Erneut umarmte Laura ihre Freundin, und ihre Stimme war voller Mitgefühl. „Wie ist es denn eigentlich passiert?“

Emma zögerte. War es richtig, jetzt schon damit herauszurücken? Reichte nicht eine Katastrophenmeldung für einen Tag? „Ich habe herausgefunden, dass Tobias mich betrügt“, platzte sie heraus, ehe sie sich bremsen konnte. Es musste raus. Wenn sie es für sich behielt, würde sie daran ersticken.

„Was?“ Laura riss entsetzt die Augen auf.

„Ich habe Lippenstift an seinem Hemd gefunden.“

„Was sagt denn Tobias dazu?“

„Er versucht, sich herauszureden. Es wäre ganz anders, als ich denke.“

„Und wenn es wirklich so ist? He, er liebt dich doch. Er würde dir doch nicht so etwas antun.“

„Das versuche ich mir auch ständig einzureden. Aber wie um Himmels willen soll dann der Lippenstift an seinen Hemdkragen gekommen sein?“

„Keine Ahnung. Kein Wunder, dass du schockiert warst.“

„Es war schlimm. Erst wurde mir kotzübel, und später kamen die Krämpfe und die Blutungen.“

„Ach, Süße, wie furchtbar! Was willst du denn jetzt machen?“

Emma zuckte die Schultern. „Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Bisher war irgendwie alles wie in Watte gepackt, ich fühlte mich wie betäubt. Ich weiß nicht, wie alles weitergehen soll.“

„He, ihr seid schon so lange zusammen. Ihr habt euch schon so viel aufgebaut. Und ihr habt schon so viele Krisen gemeinsam gemeistert. Dies hier schafft ihr auch. Alles weitere ergibt sich schon.“

Emma war sich da nicht so sicher. „Wie geht es dir denn so?“, fragte sie, um vom Thema abzulenken. Es gelang ihr sogar, ihre Stimme einigermaßen lebhaft klingen zu lassen. Die Wahrheit aber war, dass sie momentan nichts interessierte. Gar nichts. Alles, woran sie dachte, war ihr Baby, das sie verloren hatte. Den kleinen Alien, dessen Umrisse sie wieder und wieder mit dem Finger nachgefahren war und sich dabei vorgestellt hatte, wie sich seine Haut anfühlen, wie es duften würde. Mit jeder Sekunde, die verstrich, vermisste sie es mehr. Sie hatte ja nicht geahnt, wie sehr sie es schon geliebt hatte, obwohl es doch noch kaum mehr als ein Zellhaufen in ihr gewesen war, kleiner als eine Erdnuss. All ihre Ziele, ihre Träume waren innerhalb weniger Stunden wie Seifenblasen zerplatzt. Und sie hatte keine Ahnung, wie alles weitergehen sollte.

Aber etwas Ablenkung konnte nicht schaden. Und so lauschte sie Lauras Geplapper, aber bald schweiften ihre Gedanken ab.

Zwei Tage später untersuchte die Gynäkologin Emma noch einmal. „Es ist soweit alles in Ordnung, Frau Hoffmann. Wir können Sie nach Hause entlassen.“

Emma zögerte. „Und ähm … was meinen Sie, kann ich wieder …?“

Die Ärztin lächelte. „Sie meinen, ob Sie wieder Kinder bekommen können? Nun, aus gynäkologischer Sicht spricht nichts dagegen. Anatomisch sind Sie gesund, wenn auch extrem anfällig für äußerliche Störungen. Allerdings sollten Sie eine Pause einlegen. Nicht nur Ihr Körper muss sich von dem Verlust erholen, auch Ihre Psyche hat gelitten. Gönnen Sie sich Erholung und Ruhe.“

Emma atmete auf. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht. Zwar war sie sich nicht sicher, ob sie das Abenteuer einer Schwangerschaft noch einmal wagen würde, aber es war ein beruhigender Gedanke, dass alles mit ihr in Ordnung war.

Kurz darauf stand Emma auf der Straße. Tobias hatte sich entschuldigt, dass er sie nicht würde abholen können, weil ihm die Arbeit gerade über den Kopf wuchs. Emma verstand das nicht. Sie hatte ihr gemeinsames Kind verloren, und er konnte sich nicht einmal eine Stunde für sie freischaufeln? Sie versuchte, das Beste daraus zu machen. Es war nicht allzu weit nach Hause, und etwas Bewegung würde ihr nach der tagelangen Liegerei sicher guttun.

Doch als sie losging, fühlte sie, wie sich alles in ihr dagegen zu sträuben begann, den Weg zu ihrer Wohnung einzuschlagen. Sie fürchtete, dass dort all die Erinnerungen an die letzten Augenblicke vor der Fehlgeburt erneut über sie herfallen würden. Aber was blieb ihr übrig? Sie lebte dort, es war ihr Zuhause. Sie hatte eine schöne Wohnung in einer Doppelhaushälfte, die sie in monate-, nein, jahrelanger Arbeit gemütlich eingerichtet hatte. Dort hatte sie sich wohlgefühlt, dort gehörte sie hin. Und je eher sie sich mit ihrem Verlust auseinandersetzte, desto schneller kam sie darüber hinweg.

Entschlossen setzte sie ihren Weg fort. Die frische Luft tat ihr gut. Mit jedem Schritt atmete sie freier durch.

Tobias’ Wagen stand noch nicht da, als sie zur Haustür ging. Klar, er hatte ja viel Arbeit. Aber hätte er sich nicht an diesem Tag mal ein paar Stunden freinehmen können? Als sie die Tür aufschloss, verspürte Emma eine starke Angst. Wie dringend hätte sie ihn jetzt gebraucht, bei diesem schweren Gang.

Als sie den Küchenstuhl sah, auf dem sie gesessen hatte, während ihr Baby aus ihr herausgespült worden war, begann sie zu zittern. Das Ultraschallbild war vom Tisch verschwunden. Wo hatte Tobias es hingelegt? Hatte er es gar – Emmas Herzschlag stockte – weggeworfen? Sie musste sich mit aller Kraft beherrschen, nicht wie eine Wilde die Schränke zu durchwühlen. Nein, sobald er nach Hause kam, würde sie ihn fragen.

Sie musste auf die Toilette. Vor dem Badezimmer hatte sie ganz besondere Angst, und sie wartete so lange, bis sie es nicht mehr aushielt. Als sie es betrat, verkrampfte sich ihr Magen, und sie musste mehrmals tief durchatmen, ehe sie es fertigbrachte, zur Toilette zu gehen.

Wo war das Hemd mit dem Fleck? Emma öffnete die Waschmaschine. Tatsächlich lagen Tobias’ Hemden immer noch ungewaschen darin. Sie lachte bitter. Hätte er ihr nicht wenigstens diese eine Aufgabe abnehmen können? Er müsste sich doch denken können, wie schwer es ihr fiel. Doch seit sie als Nur-Hausfrau zu Hause war, tat er im Haushalt gar nichts mehr. Bisher hatte sie das als gerecht empfunden. Nun begann sich Unwillen in ihr zu regen. War es zu viel verlangt, dass er ihr diese Arbeit ein einziges Mal abnahm?

Und wo war denn nun das verfluchte Hemd mit dem Lippenstift am Kragen? Sie hatte es auf den Boden fallen lassen. Dort lag es jedoch nicht mehr. Hatte Tobias es einfach zu den anderen Hemden in die Waschmaschine gesteckt? Emma zögerte. Doch sie musste es einfach wissen. Mit klopfendem Herzen nahm sie die Kleidungsstücke aus der Maschine und sah sie gründlich durch. Das Hemd mit dem Fleck fand sie nicht. Wo sie schon dabei war, stellte sie die Waschmaschine gleich an. Dann lief sie in die Küche und sah in den Mülleimer. Vielleicht hatte er es einfach weggeworfen? Doch auch dort lag es nicht.

Und wenn es besser so war? Hatte sie nicht gerade genug Sorgen? Sollte sie nicht erst einmal den Verlust ihres Kindes verarbeiten, ehe sie das nächste Problem anging? Ja, das wäre das Vernünftigste. Und sie sollte am besten gleich damit beginnen.

Vor der Kinderzimmertür zögerte sie. Seit dem Tod des Babys war sie nicht mehr in diesem Raum gewesen. Sie sah sich selbst vor sich, wie sie voller Eifer und Vorfreude die Wände dekoriert hatte. Langsam drückte sie die Klinke herunter.

Als sie den Raum betrat, hielt sie unwillkürlich die Luft an. Alles war so, wie sie es verlassen hatte. Plötzlich meinte sie, die wilden Schreie der bunten Vögel zu hören, und das Einhorn warf seinen Kopf hoch, dass seine weiße Mähne flog und die Strahlen der Sonne einfing.

Emma lächelte wehmütig. Niemals würde hier ihr Kind spielen und sich an den bunten Bildern erfreuen. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, und sie ließ sie fließen. Die Ärztin hatte gesagt, sie solle auf keinen Fall ihre Gefühle unterdrücken. Jede Träne brachte sie der Heilung näher.

Als sie einen Schlüssel hörte, der sich im Schloss drehte, wischte sie sich schnell über die Augen. Tobias war zurück. Rasch verließ Emma das Zimmer und verschloss die Tür. Sie musste schnell gesund werden, damit sie das nächste Problem angehen konnte – das mit ihm.

„Wo hast du das Bild hingetan?“, fragte sie, nachdem Tobias sie aus einer langen Umarmung entließ. Merkwürdigerweise hatte sie nichts dabei empfunden, weder Freude noch Trost oder Ärger. Es war, als würden alle Gefühle an ihr abprallen.

„Welches Bild?“

„Das weißt du doch. Es lag hier auf dem Tisch.“

„Ach so … Ich habe es weggelegt.“

Entsetzt starrte Emma Tobias an. „Du hast es weggeworfen? Es ist das einzige Bild unseres …“

„Beruhige dich. Natürlich nicht. Warte.“ Er ging ins Wohnzimmer. Emma folgte ihm. Tobias holte es aus einer Schublade der Anrichte und hielt es ihr hin. „Hier ist es doch.“

Behutsam nahm Emma das Bild entgegen. Sie wagte kaum, es anzusehen, fürchtete den Schmerz, den der Anblick auslösen würde.

„Es war so schön“, sagte Tobias leise. Er trat neben sie und schloss sie in die Arme.

Obwohl Emma es nicht wollte, begann sie zu weinen. Bei der Erinnerung an ihren Verlust standen ihr wieder die Bilder des Auslösers vor Augen, aber sie hatte jetzt noch nicht die Kraft, Tobias erneut darauf anzusprechen. Nein, das musste noch warten, bis sie wieder stärker geworden war.

Am Abend bestellten sie etwas zu essen. Asiatisch, das hatte Emma immer besonders geliebt. Doch nun schmeckte sie kaum etwas. „Ich bin müde“, sagte sie früh.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich noch aufbleibe? Ich muss noch etwas für die Arbeit vorbereiten.“

„Natürlich nicht. Mach nur.“ Emma war froh, dass Tobias nicht mitkam. Sie wusste nicht, wie sie reagiert hätte, wenn er sie im Bett umarmt hätte.

Drei Tage vergingen, und es kam Emma mehr und mehr so vor, als wären sie und Tobias zwei Katzen, die umeinander herumschlichen, aber keine offene Konfrontation wagten. Sie hatte gehofft, sich hier zu Hause erholen zu können, spürte aber mehr und mehr, dass der Druck zwischen ihnen beständig zunahm. Am Abend des dritten Tages hielt sie es nicht mehr aus. Sie musste diese Sache klären, sonst würde sie wahnsinnig werden.

„Komm mal mit, ich muss dir etwas zeigen“, sagte sie nach dem Abendessen.

Mehr unwillig als neugierig stand er auf und folgte ihr. Als er sah, dass sie ihn zum Kinderzimmer führte, blieb er stehen. „Was soll das, Emma? Es ist wirklich schlimm, was passiert ist, das empfinde ich ebenso, aber du musst doch einmal …“

Sie nahm den Schlüssel, den sie stets mit sich herumtrug, und steckte ihn ins Schloss. Währenddessen versuchte sie sich für den Schmerz zu wappnen, der unweigerlich auf sie einstürmen würde, sobald sie den Raum betrat. Aber es war wichtig. An genau diesem Ort wollte sie Tobias mit dem Thema konfrontieren, dem sie seit Tagen tunlichst aus dem Weg gingen. Schweigend stieß sie die Tür auf und hielt sie für ihn auf.

Er holte Luft, während er eintrat, um weiter zu schimpfen – und ließ sie hörbar wieder aus. Stumm stand er vor der von ihr bemalten Wand und ließ seine Blicke über die bunten Bilder wandern, die sie gezaubert hatte.

„Das … das ist … unglaublich! Das hast du ganz allein gemacht?“ Ungläubig starrte er sie an.

„Ja. Unser Kind sollte jede Nacht von wunderbaren Dingen träumen.“

„Ich wusste ja nicht, dass du so etwas kannst.“

„Das dachte ich mir. Du hast mich schon immer unterschätzt, nicht wahr?“

Er sah sie verwirrt an. „Was meinst du damit? Das ist doch Unsinn. Natürlich habe ich …“

„Das tut jetzt auch nichts mehr zur Sache. All meine Mühe war vergebens. Hier wird niemals unser Kind schlafen oder spielen.“

„Das weiß ich doch. Wie oft willst du das noch …?“

„Und du weißt, warum!“

Tobias starrte sie an. „Was soll das denn jetzt? Fängst du schon wieder damit an?“

„Es ist eine Tatsache, Tobias. Ich verlor unser Kind, nachdem ich den Beweis fand, dass du mich betrügst. Und ich will, dass du mir hier und jetzt sagst, was du da treibst.“

Anstelle von erneutem Zorn stand nun Scham in Tobias Zügen. „Also gut, ich gebe es zu. Ich hatte einen One-Night-Stand mit Constanze. Mit der Sekretärin. Es ist mir schleierhaft, woher du weißt, dass sie es war. Aber ich verspreche dir, Emma, es war nur eine einmalige Sache, vollkommen bedeutungslos.“

„Warum?“

„Weil … Meinst du etwa, für mich war es leicht? Du hattest zwei Fehlgeburten, und nach beiden warst du vollkommen fertig. Verständlicherweise natürlich. Besonders nach der zweiten warst du doch monatelang kaum ansprechbar.“

„Ich hatte Depressionen.“

„Das weiß ich doch. Aber das macht es nicht besser. Für mich war es ebenso schwer, Emma. Auch ich hatte ein Kind verloren, auf das ich mich gefreut hatte. Und ich hatte niemandem zum Reden. Meine Verlobte verließ das Bett nicht mehr und war kaum noch ansprechbar. Ich … ich brauchte jemanden, verstehst du das denn nicht? Und Constanze war für mich da. Sie hörte mir zu, verstand mich.“

„Und zum Dank bist du dann mit ihr ins Bett gehüpft.“ Es gelang Emma nicht, den Sarkasmus in ihrer Stimme zu unterdrücken.

„Natürlich nicht deshalb! Ich war einsam, fühlte mich verloren.“

Emma dachte über seine Worte nach. Doch dann fiel ihr etwas ein, und sie kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Dass es mir so schlecht ging, ist lange her. Das Hemd mit den Lippenstiftflecken habe ich aber gerade erst gefunden. Wie erklärst du mir das denn?“

Tobias schluckte. Plötzlich ließ er die Schultern sinken. „Also gut. Wir hatten eine kleine Feier im Büro, der Chef hatte Geburtstag. Es wurde spät. Ich trank ein paar Gläser Wein. Und Constanze … wir waren uns immer noch so vertraut. Es tut mir leid, Emma. Aber du musst mir glauben, mehr ist da nicht. Wirklich.“

Emma sah Tobias an, wie er da stand, mit hängenden Schultern und zerknirschtem Gesichtsausdruck. Zu ihrer Bestürzung stellte sie fest, dass es gar nicht wehtat, was er ihr erzählte. Ja, nicht einmal Wut empfand sie. Was bedeutete das? War er ihr wirklich gleichgültig geworden? Oder war es immer noch der Schmerz, der sie betäubte? Würden die Gefühle für ihn zurückkehren? In diesem Moment wünschte sie, sie könnte etwas spüren, und sei es Zorn. Nun, vielleicht würde er eines Tages kommen. Bis es so weit war, konnte sie keine Entscheidung treffen.

„Sag doch etwas“, bat Tobias. „Es tut mir leid, wirklich.“

„Ich brauche Zeit, ich muss nachdenken.“

Verzogen sich seine Lippen, wurde er ärgerlich? Wenn, dann hatte er sich rasch wieder in der Gewalt. „Klar. Nimm dir die Zeit, die du brauchst.“ Das klang wie auswendig gelernt, emotionslos und gleichgültig.

„Ich fahre ein paar Tage zu meinen Eltern“, erklärte Emma, ehe sie darüber nachdenken konnte.

„Ja, das ist wohl eine gute Idee.“

Emma hoffte, sich zu täuschen. Doch sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, Erleichterung in Tobias’ Zügen lesen zu können.

Kapitel 3

Ihre Mutter schloss Emma so fest in die Arme, als wollte sie sie gar nicht mehr loslassen, und auch ihrem Vater standen Tränen in den Augen, als er sie umarmte.

„Er hätte dich wenigstens herfahren können“, sagte ihre Mutter vorwurfsvoll, nachdem sie sie losgelassen hatte. „Ihr habt so ein großes Auto in der Garage, und nach alldem lässt er dich allein mit dem Zug herkommen.“

Emma zuckte die Schultern. „Er hat viel Arbeit, lass ihn doch. Ich habe die Zugfahrt genossen. Es war so schön, durch die endlosen Wiesen zu fahren. Hier hat sich ja überhaupt nichts verändert. Dabei ist es viel zu lange her, seit ich das letzte Mal hier war.“

Ihre Mutter drückte sie auf einen Stuhl am gedeckten Tisch. „Du wolltest ja unbedingt in die Großstadt. Dabei weißt du, dass wir von Anfang an dagegen waren, dass du so weit wegziehst, und dann noch zu diesem … Karrieremenschen.“

„Lass sie doch erst einmal zur Ruhe kommen“, mischte sich ihr Vater ein und schenkte Emma einen liebevollen Blick.

Ihre Mutter schnaufte. „Stimmt. Iss erst einmal etwas, du bist ja ganz dünn geworden. Traurig genug, dass dein eigener Verlobter so etwas nicht zu merken scheint.“ Sie legte ein riesiges Stück Käsesahne auf Emmas Teller und schenkte Kaffee ein.

Still nahm Emma den ersten Bissen. Sobald sie das süße Aroma auf der Zunge spürte, schossen ihr die Tränen in die Augen. Käsesahne war seit ihrer Kindheit ihr Lieblingskuchen, und ihre Mutter hatte ihn immer für sie gebacken, wenn sie Kummer hatte. Der Geschmack erinnerte sie an all die Stunden, in denen sie Trost und Wärme in ihrem Elternhaus gefunden hatte. Bevor sie zu Tobias nach Berlin gezogen war. Tapfer schluckte sie, während sich die Tränen eine salzige Bahn ihre Wangen hinab bahnten.

„Ach, Kindchen.“ Ihre Mutter ließ die Gabel sinken, stand auf und umarmte Emma von hinten. „Was hast du bloß alles durchgemacht? Warum hast du uns von deinen Problemen mit Tobias nicht schon früher erzählt?“

„Ich … ich wollte euch nicht damit belasten. Ihr habt es doch auch nicht leicht.“

„Meinst du etwa mein künstliches Hüftgelenk? Oder Wolfgangs chronische Bronchitis? Das ist doch nichts im Vergleich zu deinen Problemen. Du hättest jederzeit zu uns …“

„Papa wäre fast gestorben! Er hatte eine Lungenentzündung! Und ihr habt es mir erst erzählt, als er schon wieder gesund war.“

„Ruhig jetzt, alle beide.“ Ihr Vater hob die Hand, aber in seinem Gesicht stand keine Strenge, sondern nur Kummer und Liebe. „Man merkt eben, dass sie unsere Tochter ist, Margret“, fuhr er fort. „Immer wollen wir uns gegenseitig schützen und alles mit uns allein ausmachen.“

„Das hat jetzt ein Ende“, rief Emmas Mutter resolut. „Wir sind doch eine Familie. Nun iss erst einmal deinen Kuchen. Und dann erzählst du uns alles von Anfang an, ja?“

Es war später Abend, als Emma mit ihrem Bericht fertig war. Sie fühlte sich total ausgelaugt, aber auch seltsam erleichtert. Wie von einer schweren Last befreit.

„Wie kann er nur“, zischte ihre Mutter böse.

„Du weißt ja, dass wir ihn noch nie besonders mochten“, sagte ihr Vater. „Aber dass er dich betrügt, nein, das hätten wir nicht für möglich gehalten. Und dass du deshalb euer Kind verloren hast …“

„Das dritte“, erinnerte Emma ihn leise. „Für ihn war es auch nicht leicht. Monatelang war ich kaum ansprechbar. Er muss sich sehr alleingelassen gefühlt haben.“

„Das ist keine Entschuldigung“, donnerte ihre Mutter. „Du warst krank. Er hätte für dich da sein müssen, statt … Am liebsten würde ich ihn herzitieren und ihm gewaltig den Kopf waschen.“

Emma schüttelte den Kopf. „Ich bin hergekommen, um Abstand zu bekommen. Ich werde schon noch mit ihm reden, keine Sorge.“

„Nun gut, das ist ja auch eure Angelegenheit. Aber versprich mir, dass du ihn damit nicht durchkommen lässt.“

„Mach ich. Ich bin müde. Lasst mich erst einmal eine Runde schlafen, okay?“

In dieser Nacht, im Gästebett ihrer Eltern, schlief Emma zum ersten Mal seit der Fehlgeburt wieder fest und traumlos.

Ihre Eltern lebten in dem kleinen Dorf Coppum in der Marsch unweit der Nordsee. Auch die elf Jahre ältere Schwester ihrer Mutter, ihre Tante Lisbeth, wohnte noch hier. Zu ihr hatte Emma seit ihrer Kindheit ein sehr enges Verhältnis gehabt, fast so, als wäre sie ihr eine zweite Mutter. Seit Lisbeths Mann vor einigen Jahren gestorben und Harald, ihr einziger Sohn, nach Amerika ausgewandert war, lebte sie allein in ihrem Häuschen etwas außerhalb des Dorfs.

Am nächsten Morgen wurde Emma mit einem üppigen Frühstück gemästet. Ihre Mutter ließ sie nicht eher vom Tisch aufstehen, ehe sie zwei Spiegeleier und zwei Brötchen mit Schinken und Käse sowie einige Tassen Milchkaffee verdrückt hatte. Doch als sie ihr die selbstgemachte Himbeermarmelade hinschob und sie aufmunternd ansah, streikte Emma.

„Ich bin satt, wirklich. Ich möchte doch nicht gleich am ersten Tag schon drei Kilo zunehmen.“

„Du bist viel zu dünn. Es wird Zeit, dass du wieder etwas auf die Rippen bekommst.“

„Aber doch nicht innerhalb eines Tages.“ Emma lächelte gerührt. Die Fürsorge ihrer Eltern tat ihr unglaublich gut. Wahrscheinlich war man nie zu alt, um die Liebe seiner Eltern zu brauchen, egal, ob man sieben, fünfzehn oder wie sie zweiunddreißig Jahre alt war. Sie wünschte, sie wäre bereits nach ihrer ersten, spätestens der zweiten Fehlgeburt hergekommen. Vielleicht hätte sie sich wesentlich schneller erholt. Aber sie wusste ja, wie ihre Eltern zu Tobias standen, und sie hatte sich verpflichtet gefühlt, bei ihm zu bleiben und so zu ihm zu stehen.

Plötzlich musste sie wieder an ihr eigenes Kind denken. Gewiss hätte sie es ebenso umsorgt und umhegt, wie ihre Eltern es bei ihr taten. Nun würde dieses Kind niemals zur Welt kommen. Dabei hätte sie ihm so gern ihre Liebe geschenkt.

Schnell stand Emma auf und schob den Stuhl nach hinten, ehe ihre Mutter sah, dass ihre Augen schon wieder feucht wurden. „Ich mache einen kleinen Spaziergang, ja? Ich bin schon gespannt, was sich hier in den letzten Jahren alles verändert hat.“

„Nichts. Hier bei uns ist die Zeit stehen geblieben. Für jemanden aus der Stadt ist das bestimmt ziemlich rückständig.“

„Unsinn. Also bis später.“ Emma war aus der Tür, ehe ihre Mutter noch mehr sagen konnte.

Denn Emma wusste, dass sie recht hatte. Damals konnte sie ihr Dorf gar nicht schnell genug verlassen. In Coppum gab es gerade mal einen Bäcker und einen Tante-Emma-Laden. Die Kinder in der Schule hatten Emma immer wegen ihres Vornamens veräppelt, hatten sie Tante Emma genannt und gefragt, ob sie bei ihr Butter, Haarshampoo oder Hundefutter kaufen konnten. Als sie älter wurde, musste sie zusammen mit Freunden stets weit in den nächsten größeren Ort fahren, wenn sie zum Tanzen oder ins Kino wollte. Und verglichen mit Berlin waren selbst die damals für sie aufregenden Orte wie Otterndorf oder Cuxhaven nur langweilige Kuhdörfer.