Notärztin Andrea Bergen 1465 - Caroline Thanneck - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1465 E-Book

Caroline Thanneck

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Beschreibung

"Hier Dr. Kästner, hallo?!" Angespannt lauscht Mick in sein Handy, doch alles, was er hört, ist ein leises Wimmern. "Hallo, so sprechen Sie doch!"
Der Anruf hat den jungen Chirurgen mitten in seinem Nachtdienst erreicht, und sogleich spürt Mick, dass es sich hierbei um einen verzweifelten Notruf handelt! Als er endlich eine leise, abgehackte Stimme vernimmt, weiß er: Es ist die Frau mit dem zugeschwollenen, blutunterlaufenen Auge, die er neulich nachts im Park getroffen und der er seine Hilfe angeboten hat! Ihre nächsten Worte lassen Mick das Blut in den Adern gefrieren: "Sie müssen mir helfen, Dr. Kästner! Sonst schlägt er mich tot!" Die Adresse, die sie ihm nennt, geht in Schluchzen unter, dann bricht das Gespräch jäh ab ...
Nur kurz zögert Mick, dann verlässt er eiligst das Krankenhaus und springt draußen in seinen Wagen. Seine Patienten auf der Station wähnt er bei der Nachtschwester in guter Obhut. Doch diese Entscheidung erweist sich als geradezu fatal - für seine bisher so erfolgreiche Karriere, aber vor allem für seine Patientin, die herzkranke Gudrun ...


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Inhalt

Cover

Notruf einer Unbekannten

Vorschau

Impressum

Notruf einer Unbekannten

In Dr. Kästners Haut möchte ich wirklich nicht stecken! Gestern Nacht hat der Chirurg seinen Posten auf der Station verlassen, ohne einem Kollegen Bescheid zu geben. Er ist dem Notruf einer ihm unbekannten Frau außerhalb des Krankenhauses gefolgt! Und deshalb ist die von uns allen so geschätzte Seniorin Gudrun Seibold beinahe gestorben! Intensive Wiederbelebungsmaßnahmen konnten das Schlimmste vorerst verhindern – doch noch immer ist nicht abzusehen, ob Gudrun überleben wird! Mick Kästner wurde sofort vom Dienst suspendiert, aber er schweigt über seine Motive!

Was hat den normalerweise so verantwortungsvollen Arzt dazu gebracht, seine Pflicht so schmählich zu vernachlässigen? So impulsiv und unbedacht zu handeln, sieht Mick gar nicht ähnlich! Ich werde noch mal versuchen, seine Gründe zu erforschen. Denn nur so kann ich mich bei unserem Klinikleiter für ihn einsetzen. Aber ich fürchte, wenn nicht ein Wunder geschieht und Gudrun am Leben bleibt, ist Micks Karriere hier und jetzt zu Ende ...

»Kommst du nach der Arbeit noch mit ins Joe´s?« Schwester Olga blickte von ihrem Computer hoch. Sie hatte an diesem Tag OT-Dienst und damit die Organisation der Zentralen Notaufnahme unter sich. Wie ein Lotse verteilte sie Patienten auf die Behandlungsräume, nahm Anrufe entgegen, kümmerte sich um Schreibarbeiten und jonglierte mit Belegungsplänen und Kapazitäten. Ihr Arbeitsplatz war mit mehreren Bildschirmen ausgestattet und durch einen Tresen vom Rest des Flurs abgetrennt – wie eine Insel inmitten des hektischen Treibens der Notaufnahme.

»Tut mir leid. Ich bin schon verplant.« Notärztin Andrea Bergen lehnte sich vor und langte nach der Kaffeekanne. »Ich muss einen Kuchen backen.«

»Du? Einen Kuchen?«

»Warum denn nicht?«

»Vielleicht ...« Olga dehnte das Wort mit einem Augenzwinkern, »weil beim vorigen Mal die Feuerwehr anrücken musste und du dir vorgenommen hast, in Zukunft beim Skalpell zu bleiben und das Backen den Profis zu überlassen?«

»Daran war nur der verflixte Rauchmelder schuld. Mein Kuchen war in Ordnung. Höchstens ein wenig sehr ... nun ja, gebräunt.«

»Wenn du das sagst.« Olga versuchte nicht einmal, ihr Lachen zu kaschieren.

»Na schön, er war verbrannt, aber das passiert mir nicht mehr wieder. Diesmal werde ich mich einfach an das Rezept halten. Wie schwer kann das schon sein?«

»Warum musst du denn unbedingt backen?«

»Weil in Franzis Schule morgen ein Kuchenbasar veranstaltet wird und meine Schwiegermutter, die sonst bei uns das Backen übernimmt, heute verhindert ist. Mit dem Basar wollen die Schüler zu einer Typisierungsaktion beitragen. Ein Junge aus der siebten ist an Leukämie erkrankt. Er braucht eine Knochenmarkspende, aber die Suche nach einem Spender gestaltet sich schwierig. Die Tests kosten Geld, und davon wollen die Kinder welches auftreiben.«

»Das ist eine gute Sache.«

»Finde ich auch. Darum muss der Kuchen auch unbedingt gelingen.«

»Dann verschieben wir unser Essen. Auf nächste Woche?«

»Einverstanden. Wenn wir Glück haben, ist es dann auch nicht mehr so heiß.« Notärztin Andrea Bergen strich sich über die Stirn. Hier in der klimatisierten Notaufnahme merkte man nichts von den tropischen Temperaturen, die draußen herrschten, aber sobald man einen Fuß ins Freie setzte, brach einem sofort der Schweiß aus. »Ich glaube, ich bleibe heute bei flüssiger Kost: Kaffee, Wasser und Milchshake ...«

»Gegen einen Milchshake hätte ich jetzt auch nichts einzuwenden.« Olga leckte sich über die Lippen.

Hinter ihr saß ein untersetzter Mann um die vierzig auf einer Behandlungsliege und wartete auf einen Arzt. Er trug eine blaue Arbeitshose mit zahlreichen Taschen, aus denen Werkzeuge ragten. Dazu ein kariertes Hemd mit aufgerollten Ärmeln. Seine Haut war sommerlich gebräunt, und seine Muskeln verrieten, dass er zupacken konnte. Er rutschte auf dem Rand der Liege herum und vermied es, seine linke Hand anzusehen. Die war mit einem Verband versehen, der blutrot gefärbt war.

Ein fingerlanger Dachdecker-Nagel ragte daraus hervor.

Dr. Krug stand bei ihm und war soeben dabei, den Verband abzuwickeln, was den Patienten unter seiner sommerlichen Bräune erblassen ließ.

Während sich Olga ihrem Computer zuwandte, wollte Dr. Bergen die Pause zwischen zwei Einsätzen für eine Stärkung nutzen und schwenkte prüfend die Kaffeekanne. »Die ist ja leer.«

»Leider. Es war wieder einer dieser Tage ...« Olga wedelte mit der Hand. Eine Geste, die wohl sagen sollte, dass sie kaum zum Luftholen gekommen war, geschweige denn zu irgendetwas anderem.

Andrea Bergen verstand. Sie war selbst seit dem frühen Morgen mit dem Rettungswagen unterwegs und sehnte sich nach einem Muntermacher. Ihr Pager konnte sie jeden Moment zum nächsten Einsatz rufen, deshalb verzichtete sie auf einen Abstecher zum Personalrestaurant und entschied sich für den kürzeren Weg ...

»Bin gleich wieder da.« Sie machte kehrt, eilte durch den Korridor und drückte auf den Schalter, der die Tür zum Wartebereich öffnete. Hier trat sie vor den Kaffeeautomaten, der leise summte, und warf eine Münze in den Schlitz. Kurz darauf spuckte die Maschine einen Becher mit Kaffee aus.

Während sie die Prozedur wiederholte, spürte sie die Blicke der Wartenden auf sich. Ihre rot-gelbe Weste mit der Aufschrift NOTÄRZTIN wies sie als Mitarbeiterin aus. Vermutlich fragten sich viele, ob sie wusste, wie es ihren Angehörigen in der Notaufnahme ging – oder wie lange sie selbst noch warten mussten, bis sie zu einem Arzt vorgelassen wurden.

Ob ihnen wohl bewusst war, dass sie streng genommen von Glück sagen konnten, wenn sie länger warten mussten? Das Team hatte genau im Blick, bei wem die Zeit drängte und wem es gut genug ging, um eine Weile zu warten, während dringendere Fälle versorgt wurden. Hier in der Notaufnahme kam nicht der zuerst an die Reihe, der als Erster da gewesen war, sondern der, dem es am schlechtesten ging ...

Die Maschine beendete prustend ihre Arbeit. Andrea Bergen nahm den zweiten Becher, öffnete die Tür mit ihrer Schlüsselkarte und kehrte zu Olga zurück. »Der ist für dich«, sagte sie und stellte einen Kaffee ab.

»Danke, Lebensretterin.« Olga trank einen Schluck.

Andrea Bergen schlang die Hände um ihren Becher ... und hörte im selben Augenblick das Piepen ihres Pagers.

Einsatz!

»Anscheinend ist der zweite Kaffee auch für dich.« Seufzend setzte sie den Becher ab und eilte zum Seiteneingang des Elisabeth-Krankenhauses, wo der Rettungswagen bereitstand.

Beim Verlassen der Klinik schlug ihr die Hitze entgegen wie ein unsichtbarer Knüppel.

Jupp Diederichs saß bereits hinter dem Steuer und ließ den Motor an. Der Rettungssanitäter war durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Der Rettungsassistent im Team, Ewald Miehlke, kaute auf den letzten Resten eines Brötchens herum, ehe er eilig schluckte.

»Was haben wir?« Andrea Bergen kletterte in das Fahrzeug, nahm ihren Platz ein und schnallte sich an.

»Explosion in einem Labor. Ein Verletzter. Bei dem Verkehr haben wir zwanzig Minuten Fahrt vor uns.« Jupp las die Adresse ihres Einsatzortes vom Display neben dem Lüfter ab.

Ein Stromstoß schien durch den Körper der Notärztin zu rasen. »Sind Sie sich bei der Adresse sicher?«

»Absolut.« Er wiederholte den Einsatzort, während er den Wagen die Zufahrt hinunterlenkte und das Martinshorn einschaltete. »Stimmt damit etwas nicht?«

»An dieser Adresse befindet sich Franzis Schule.« Die Notärztin sprach von ihrer zwölfjährigen Tochter Franziska.

»Verstehe.« Der Rettungsassistent nahm den Blick nicht von der Straße, während er einen Fluch murmelte. »Franzi ist bestimmt nichts passiert. Laut Einsatzbeschreibung handelt es sich bei dem Verletzten um einen der Lehrer.«

Das konnte Andrea Bergen nicht beruhigen. Eine Explosion! Himmel! Sie fuhr lange genug im aktiven Dienst mit, dass ihr Verstand ihr grauenvolle Bilder vorgaukelte. Doch das Grübeln brachte nichts. Sie musste sich konzentrieren.

Energisch schob sie die Gedanken beiseite und atmete langsam ein und wieder aus. Derweil schlängelte sich der Rettungswagen durch den dichten Berufsverkehr.

Achtzehn Minuten später stoppten sie vor dem Schulgebäude.

Zur ihrer Erleichterung ringelten sich weder Rauchschwaden aus einem der Fenster, noch war von außen eine Beschädigung des Gebäudes zu erkennen. Ein auffallend blasser junger Mann mit hellblonden Haaren, in weißem Hemd und einer Jeans, die ihm deutlich zu lang war, erwartete sie bereits am Tor, winkte und ließ sie herein. Er führte sie zu einem Chemielabor in der ersten Etage. Hier empfing sie ein würzig-süßlicher Geruch.

Auf dem Boden saß ein Mann. Er hatte die Arme um sich selbst geschlungen und wiegte sich vor und zurück. Dabei biss er die Zähne so fest aufeinander, dass es hörbar knirschte. Offenbar versuchte er, nicht vor Schmerzen zu schreien.

Kein gutes Zeichen.

Dr. Bergen stellte ihre Einsatztasche neben ihm ab und kniete sich zu ihm. »Hallo, ich bin Andrea Bergen, die Notärztin. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.«

»Frau ... Doktor.« Der Lehrer hob den Kopf. Oh nein. Sein Gesicht, die Schultern und Arme wiesen Anzeichen einer Verbrennung zweiten Grades auf, die Haut war hochrot und von Blasen übersät. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen und sein Gesicht schmerzverzerrt. Trotzdem erkannte sie ihn auf Anhieb: Es war Thilo Finck, Franzis Chemielehrer.

»Ich muss Sie untersuchen, Herr Finck, dann kann ich Ihnen etwas gegen die Schmerzen geben.«

»Klingt ... gut«, presste er hervor.

Sie beeilte sich, seine wichtigsten Werte festzustellen: Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung. Sein Herz raste, die Atmung war flach und unregelmäßig.

Ein Schock bahnte sich an!

Während Jupp Diederichs die Beine des Verletzten hochlagerte, machte Ewald eine Infusion mit einem Volumenersatz bereit. Andrea Bergen legte den Zugang und hoffte, die Flüssigkeit würde den Kreislauf ihres Patienten rasch stabilisieren.

Während die Kochsalzlösung durchlief, injizierte sie dem Lehrer ein Schmerzmittel. Anschließend deckte sie sein verletztes Auge mit einer sterilen Kompresse und einer Augenbinde ab. Mehr konnte sie hier nicht für ihn tun. Er musste dringend im Krankenhaus weiterbehandelt werden!

»Ich habe meine Schüler nach Hause geschickt«, murmelte der Chemielehrer mit kratziger Stimme. »Wir hatten unsere AG, als das Missgeschick passierte.«

»Ein Missgeschick?«

»Mein Referendar wollte Brennspiritus in eine scheinbar leere Porzellanschale nachfüllen. Allerdings war noch ein Rest darin – und leider auch eine unsichtbare Flamme. Die Spiritusflasche flog mitsamt einer gewaltigen Stichflamme quer durch den Raum und erwischte mich. Zum Glück ... keines der Kinder.«

»Ihr Referendar?« Die Notärztin blickte sich zu dem hageren jungen Mann um, der an der Tür stehen geblieben war und die Schultern hängen ließ. Er machte ganz den Eindruck, als wünschte er sich, der Boden würde sich auftun und ihn verschlingen. »Sind Sie auch verletzt?«

»Nein, mir geht es gut.« Er räusperte sich. »Ich wünschte, es hätte mich erwischt. Das hier ... Es tut mir so leid.«

»Es war ein Unfall«, begütigte Thilo Finck.

»Trotzdem ...«

»Wir müssen Sie ins Krankenhaus bringen«, schaltete sich die Notärztin ein. »Die Brandwunden sollten gereinigt und versorgt werden. Keine Sorge, das geschieht unter Lokalanästhesie. Sie werden nichts spüren.«

Er nickte matt. »Felix, bitte räumen Sie das Labor auf, ja? Die Schüler sollen sich nicht an den Scherben verletzen.«

»Natürlich. Sie können sich auf mich verlassen. Gute Besserung, Herr Finck. Und ... es tut mir schrecklich leid.«

»Das wird schon. Mit ein bisschen Kokelei bringen Sie mich nicht um.« Ein Lächeln schwang in der Stimme des Lehrers mit.

Sie halfen ihm auf die Trage, dann brachten die Sanitäter ihn hinaus zum Rettungswagen und rollten die Trage hinein. Kurz darauf waren sie auf dem Weg zurück zum Elisabeth-Krankenhaus.

Andrea Bergen überwachte den Zustand ihres Patienten aufmerksam. Falls sein Kreislauf absackte, würde sie bereitstehen, um einzugreifen. Doch nun, da das Schmerzmittel wirkte, wurde er deutlich ruhiger.

»Wird das verheilen, Frau Doktor? Und mein Auge ...«

»Das werden sich die Kollegen von der Augenheilkunde ansehen. Sie sind bei uns im Elisabeth-Krankenhaus in den besten Händen, versprochen. Was die Verbrennungen angeht, kann ich Sie beruhigen. Sie werden ein paar Tage lang Verbände tragen müssen, aber mit der Zeit sollten die Spuren verblassen.«

»Von heute an werden mich die Schüler vermutlich nur noch ›Herr Kawumm‹ nennen, was?« Ein schiefes Lächeln verzerrte die Züge des Lehrers.

»Gut möglich.« Andrea Bergen schmunzelte. Sein Auge bereitete ihr indes Sorgen. Splitter der geborstenen Flasche schienen es getroffen zu haben. Wie schlimm die Läsionen waren, würde sich erst bei näherer Untersuchung sagen lassen.

Hoffentlich verlor er das Auge nicht!

Eine gute Viertelstunde später kamen sie am Elisabeth-Krankenhaus an. Hier übernahm das Team der Notaufnahme die Sorge für den Patienten.

Andrea Bergen wünschte ihm alles Gute, bevor er in den Behandlungsraum vier gefahren wurde. Dann strebte sie durch den Flur zurück zu Olga. Ihr Kaffeebecher war vom Tresen verschwunden. Und die Schwester hinter den Bildschirmen schien sie gar nicht zu bemerken, sondern blickte gebannt an ihr vorbei – ein versonnenes Lächeln auf den Lippen. Nanu?

»Wen himmelst du denn da an?« Andrea Bergen drehte sich um und sah Mick Kästner vor einem Behandlungsraum stehen – ein großer Mann mit blonden Haaren und den feingliedrigen Händen eines Chirurgen. Sein weißer Kittel spannte sich über kräftigen Schultern, und seine Augen waren von einem unfassbar intensiven Blau. Er blickte stets ruhig und konzentriert, schien jedes Detail seines Gegenübers aufzunehmen. Gerade war er in ein Gespräch mit Dr. Homberg, dem Leiter der Notaufnahme, vertieft. »Unser neuer Kollege scheint dich ja regelrecht zu fesseln.« Sie drehte sich wieder zu Olga um, die sich nicht vom Fleck rührte. »Olga?«

»Was?« Ein Ruck ging durch die Schwester. »Entschuldige, was hast du gesagt?«

»Unser neuer Chirurg hat es dir wohl angetan?«

»Oh, nun ...« Verräterische Röte überzog die Wangen ihres Gegenübers. »Er ist großartig, findest du nicht? Warmherzig und engagiert. Kein Wunder, dass ihn die halbe Belegschaft anhimmelt. Wäre ich nicht mit Georg glücklich, wer weiß?«

»Das würde vermutlich ein Traum bleiben. Er ist nämlich bereits vergeben.«

»Bist du sicher? Er trägt keinen Ring.«

»Vermutlich wegen der Arbeit. Er wohnt mit seiner Familie in unserer Nähe. Die Tochter geht mit Franzi in die Schule.«

»Na dann.« Olga richtete sich auf. »Ich habe frischen Kaffee gekocht Wenn du also ...« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, weil sich der Pager der Notärztin erneut meldete.

»Es soll wohl einfach nicht sein«, stellte Andrea Bergen seufzend fest. »Dabei habe ich noch nicht einmal den Einsatzbogen für den vorigen Noteinsatz ausgefüllt.«

Sie strebte zurück zum Rettungswagen und hatte wenig später erneut alle Hände voll zu tun. Zwei weitere Einsätze folgten dicht aufeinander: ein Badeunfall und ein Sturz vom Trampolin in einer Gartenanlage. Als sie zwei Stunden später wieder in der Klinik war, kam ihr Dr. Mick Kästner im Flur entgegen. Der Kollege schien sie allerdings gar nicht zu bemerken, denn er hatte den Blick gesenkt. Er hielt sich ein Handy ans Ohr. Seine Miene war besorgt, die Körperhaltung angespannt.

Andrea Bergen drehte sich alarmiert nach ihm um. Irgendetwas stimmte da nicht!

***

»Papa? Kannst du mich bitte abholen?« Die Kinderstimme klang ganz verzagt am Telefon.

Mick Kästner runzelte alarmiert die Stirn, auch wenn seine Tochter das durchs Handy hindurch natürlich nicht sehen konnte. »Wo bist du denn, Spätzchen?«

»Vor dem Haus von Frau Lind.«

»Was, jetzt noch? Wollte deine Mutter dich nicht längst abgeholt haben?«

»Wollte sie, aber sie ist nicht gekommen.«

Das darf doch nicht wahr sein! Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten zu fluchen. Seine Tochter ging freitags zum Klavierunterricht. Von der Schule war das nur ein kurzer Fußweg, aber der Heimweg war deutlich länger, deshalb holten sie Sophie ab. An diesem Nachmittag hatte ihre Mutter versprochen, das zu tun, während Mick die Einkäufe erledigen wollte. Oder besser gesagt: musste, weil ihnen die Vorräte ausgingen. Die Einkaufsliste war so lang wie sein Arm. Allerdings konnte er seine Tochter nicht vor dem Haus ihrer Klavierlehrerin stehen lassen ...

»Also gut. Ich bin in einer Viertelstunde da, Sophie. Rühr dich nicht vom Fleck und lauf nicht auf die Straße, hast du verstanden?«