November - Angelika Schmidt - E-Book

November E-Book

Angelika Schmidt

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Beschreibung

3.10.2020: Wir werden den 30. Jahrestag der Wiedervereinigung feiern. 30.12.1975: Des Sozialismus überdrüssig, unternehmen mein Mann und ich einen Fluchtversuch aus der DDR, der scheitert. 30.12.1975 – 29.06.1978: In den 30 Monaten unserer Haft müssen wir das wahre Gesicht der „Diktatur des Proletariats“ kennenlernen. Für 3 Monate ausgeliefert den tschechischen Justizbehörden; 8 Monate den Stasivernehmern; ihren Lügen und Intrigen; 19 Monate den „Erziehern“ und Wachleuten in Hoheneck, die auch brutal zugeschlagen haben. 29.06.1978 – 30.12.1979: Entlassung gegen unseren Willen in die DDR: Belegt mit Berufsverbot, Personalausweisentzug und damit Unterbindung aller Reisemöglichkeiten, Bespitzelung, dazu die Häme der Mitmenschen, die mit dem DDR-Regime kollaborieren. Ein berührender, schonungsloser Bericht einer ehemaligen politischen Gefangenen des DDR-Frauengefängnisses Hoheneck.

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Seitenzahl: 123

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Für

meinen Mann Ralfmeine Freundin Christel Schobeleitermeine Haftkameradinnen Angelika Allers (Geli)Heide-Lore Winkelmann (Winki)Maria SchickerRegina Eulenberger

ImpressumBibliografische Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-95894-160-1 (Print) / 978-3-95894-161-8 (E-Book)

© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2020

(„An euch, die das neue Haus bauen“, aus: Nelly Sachs, Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Herausgegeben von Aris Fioretos, Band 1: Gedichte 1940-1950. Herausgegeben von Matthias Weichelt. © Suhrkamp Verlag Berlin 2010)

Coverabb.: Stefan Kühn, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frauengef%C3%A4ngnis_Hoheneck_2012-05-27_sk_(16).jpg, Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Inhalt

Meine Zeit als politische Gefangene im Frauengefängnis Hoheneck

Vorwort: Im Sommer

November 1976

Die Verhaftung – vom Sanssouci nach Budweis

Von Budweis nach Prag – Knedliky und eine Sirene

Mein erster Flug nach Berlin und Weiterfahrt ins „Lindenhotel“ Potsdam

Anwälte kennen Latrinengerüchte und Vernehmer Krimis

Besuch von „Onkel“ Hase (Name geändert)

Ein Kassiber gegen die Lügen

Der Prozess

Ankunft in Hoheneck

Freundinnen in Haft

Viele Hemden und ein Kuss

Das Killerballett, der Bettenschreck und Zählappell

Das Tor öffnet sich: zurück in die Unfreiheit

Erledigungen in Luckenwalde und Berlin

Profen

Ein neues Jahr und viel Arbeit im Stift

Eine Hochzeit, eine kleine Reise …

… und endlich unsere Ausreise

Nachwort

Danksagung

Literaturhinweise

Sogar den Wind

wollten sie fangen

im Flüsterland

als sich der Sand erhob

über das randvolle Weh

Gerd Börner

An euch, die das neue Haus bauen

Wenn du dir deine Wände neu aufrichtest –

Deinen Herd, Schlafstatt, Tisch und Stuhl –

Hänge nicht deine Tränen um sie, die dahingegangen,

Die nicht mehr mit dir wohnen werden

An den Stein

Nicht an das Holz –

Es weint sonst in deinen Schlaf hinein,

Den kurzen, den du noch tun mußt.

Seufze nicht, wenn du dein Laken bettest,

Es mischen sich sonst deine Träume

Mit dem Schweiß der Toten.

Ach, es sind die Wände und die Geräte

Wie die Windharfen empfänglich

Und wie ein Acker, darin dein Leid wächst,

Und spüren das Staubverwandte in dir.

Baue, wenn die Stundenuhr rieselt,

Aber weine nicht die Minuten fort

Mit dem Staub zusammen,

Der das Licht verdeckt.

Nelly Sachs

Familientreffen in Profen im Sommer 1973Von vorn links im Uhrzeigersinn:Cousine, Schwester, Mutter, Ich, Ralf, Cousin, Großmutter

Vorwort: Im Sommer

Mein Vater bringt mich in seinem großen Dienstwagen nach Profen. Die schlechte Luft aus der dortigen Brikettfabrik und der Schwelerei dringt in das Auto. Reisende auf der Bahnstrecke Leipzig-Gera erschnupperten es stets, ohne aus dem Fenster zu schauen oder eine Bahnhofsdurchsage zu hören: Jetzt sind wir in Profen. Aber ich atme den Gestank gern ein. Er verheißt: Ferien. Ich bin zehn Jahre alt.

Wir öffnen die Tür zum Hof vorsichtig. Der Wachhund auf dem Grundstück ist schlecht erzogen und bissig.

Meine Oma steht in der Küche und strahlt. Sie freut sich über unseren Besuch. Es duftet köstlich nach Bratkartoffeln. Omi verarbeitet ihre restlichen Kartoffeln vom Mittagessen immer zu Röstis. Sie stehen auf dem Kohleherd, werden langsam braun und verbreiten den Geruch von gebratenem Speck und Majoran. Natürlich dürfen wir gleich davon essen.

Im Schlafzimmer auf der Kommode mit der Marmorplatte stehen zwei Kuchenbleche: Hefeteig, Obst aus dem Garten, eine Masse aus Pudding und Quark und darüber Butterstreusel. Auch davon dürfen wir uns noch vor dem Schlafengehen ein Stück abschneiden; der Duft ist einfach zu betörend. Bei Omi dürfen wir eben alles. Auch abends ihre herrliche selbstgekochte Marmelade essen, keine Wurstbrote, wenn wir nicht mögen. Und heimlich mit meinem ältesten Cousin vom Eierlikör naschen, von Omi hergestellt aus den Eiern ihrer Hühner und „Kumpeltod“ – Deputatschnaps für die Werktätigen im Bergbau.

Im Garten begrüße ich meine Tante und die drei Cousins. Tante Sonja sitzt unter einem großen Kirschbaum und bereitet die Herzkirschen auf das Einwecken vor. Ebenso verfährt sie im Herbst mit ihren geliebten Birnen „Clapps Liebling“. In der DDR ist Obst immer ein Engpass und so bereiten sich vor allem die Frauen auf dem Land auf den Winter vor. An einem der nächsten Ferientage treffe ich die Nachbarstochter. Sie ist mein Jahrgang und lebt mit Eltern und Großeltern in einem Haus. Wenn alle vier Erwachsenen ausgeflogen sind, können wir es uns gemütlich machen, in der Speisekammer heimlich ein Schmalzbrot und eine eingelegte Salzgurke essen.

Meine Aufgabe wird wieder die Ernte der Johannisbeeren und Stachelbeeren sein, welche einen süffigen Obstwein ergeben. Der Glasballon steht immer auf einem Schränkchen in der Küche und ich beobachte die Gärung. Ich unterstütze meine Oma sehr gern im Haushalt und Garten: sie ist nur 40 Jahre älter als ich und noch berufstätig. Viele Kinder treffe ich hier jeden Sommer wieder. Einer heißt Ralf und gefällt mir immer besser.

Ich habe viele schöne Erinnerungen an die DDR: Kindheitserinnerungen, die Freiheit der Sommerferien.

Dazu gehören auch Erfahrungen mit Familien, die andere Werte haben als wir. Meine Eltern wirken nach außen hin fest verankert im System. Dabei ist es vor allem mein linientreuer Vater, der angepasst auch durch seinen Beruf die offizielle DDR-Haltung stützt. Anders meine Mutter: Was sie im Krankenhaus an Mangelwirtschaft und Kadergehorsam erlebt, erzählt sie uns. Oft ist sie kritisch und enttäuscht vom real existierenden Sozialismus. Ich glaube an die DDR, gestützt durch die vielen Gespräche mit meinem Vater beim Abendessen. Er schreibt in mein Poesiealbum, dass Karl Marx‘ Banner ein Drittel der Welt „beherrscht … trotz Spott und Hohn, trotz Mord und Krieg, trotz Mühsal und Beschwerde…“ Mutti zitiert Goethe.

Direkt nebenan gibt es eine ganz andere Welt. An einem Nachmittag im Dezember sitze ich mit meiner Freundin Christel und ihren zwei Schwestern um den Adventskranz, gemeinsam mit meinen beiden Schwestern. Mir ist als atheistisch erzogenem Menschen gar nicht bewusst, dass Jesus an Weihnachten das Licht der Welt erblickt hat. Die Stimmung ist feierlich und ich hebe an zu sagen: „Es lebe …“ Alle rechnen mit „Weihnachten“, „Jesus“ oder etwas in der Art. Nein, bei mir ist es „… der Weltfrieden“. Das laute Gelächter habe ich heute noch im Ohr. Obwohl der Weltfrieden ja ganz im Sinne Christus ist – das ist mir damals nur noch nicht klar. Schon uns Kindern ist bewusst, dass es neben der konformistischen Haltung zum Staat und seiner Ideologie auch Alternativen gibt.

So lässt Christel die Jugendweihefahrt nach Ost-Berlin mit Aufnahme in die FDJ nur zusätzlich zur Konfirmation über sich ergehen, um Abitur machen und studieren zu können. Ihre Großmutter, eine ehemalige Gouvernante, lerne ich auch kennen. Sie lebt mit im Haushalt der Familie meiner Freundin. Die alte Dame ist sehr streng uns Mädchen gegenüber. Ich sehe sie noch vor mir mit ihren Rüschenblusen, Gemme, Kamee und die Haare im Nacken zu einem Dutt gebunden. Eine Frau, die während der Nazi-Zeit aus christlicher Überzeugung jüdische Nachbarn versteckt hat, wie ich viel später erfuhr. Die ganze Familie beeindruckt mich mit ihrer Haltung und ihrer Fähigkeit, sich eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren.

Dass schon Kindern ein hohes Maß an Anpassung abverlangt wird, lerne ich bei einer Kur im Kindererholungsheim. Zu Beginn der Nachtruhe müssen sich die Kinder der einen Bettenreihe nach rechts, die der anderen nach links drehen. Unterhaltung ist nach dem Zubettgehen streng verboten. Meine kleine Schwester muss eine Nacht stehend im Schrankraum verbringen, weil sie nicht schlafen kann. Ich fühle heute noch die Ohnmacht, weil ich meiner siebenjährigen Schwester nicht helfen konnte. Und frage mich, in welchem Kinderheim die Erzieherinnen wohl früher gearbeitet haben. Die Frage wurde damals beantwortet, als wir nach Hause kamen und voller Stolz unser neu gelerntes Lied „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ trällerten. Dabei war unter dem SED-Regime jedes Nazi-Liedgut verpönt. Mein Vater war entsetzt und erklärte, dass das Lied zur Zeit des Nationalsozialismus beliebt gewesen sei, weil die Farbkombination Schwarz-Braun mit den Uniformen der Faschisten assoziiert wurde. Dass man ungewollt viele Fehler machen kann, lerne ich schon als Kind.

Eigene Werte abseits der marxistisch-leninistischen Staatsideologie und Widerstandsgeist begegnen mir im Internat. Hier kommen die ersten großen Zweifel. Mitteilen kann ich mich nur an den Heimfahrtwochenenden. Während der Woche passe ich mich an und ertrage die Gängelei. In Staatsbürgerkunde, der DDR-Gesellschaftskunde, leide ich, bin aber weder alltagsgewitzt noch aufmüpfig. Wir Schülerinnen sind politisch ganz unterschiedlich eingestellt. Auch stumme Protestlerinnen haben wir in unserer Klasse: Jeden Montag ist im Internat „Tag der russischen Sprache“. Wir müssen den ganzen Tag russisch sprechen; es gibt vor Schulbeginn einen Fahnenappell und wir tragen FDJ-Kleidung. Unsere Mitschülerin I. reißt sich, kaum dass die letzte Stunde vorbei ist, die Bluse vom Leib und stopft sie in ihren Ranzen.

Beeindruckend finde ich die Mädchen, die sich offen auflehnen, bis sie die Schule verlassen müssen. So war ich nicht. Das Gefühl, gehen zu müssen, reift aber schon während dieser Zeit. Vielleicht auch durch meinen Freund Ralf und seine Familie im Westteil Deutschlands hat die DDR-Staatsdoktrin es mit mir schwer: Die offizielle Schwarzmalerei über das schreckliche Leben im Kapitalismus kann nur auf meinen Widerspruch treffen. Immer stärker wird mein Bedürfnis nach mehr Freiheit. Ich muss das Land verlassen, gemeinsam mit Ralf, der bald mein Ehemann wird. Unsere Fluchtpläne werden immer konkreter.

Die Entscheidung dazu muss kurzfristig erfolgen, da mein Mann spätestens im Jahr 1976 zum eineinhalbjährigen Grundwehrdienst in der NVA eingezogen werden soll. Wesentlich höhere Strafen drohen dann bei einer gescheiterten Flucht. Sobald es einen Einberufungsbefehl gegeben hätte, wäre ein Fluchtversuch als Fahnenflucht besonders hart bestraft worden. Oft versucht die Stasi in solch einem Fall sogar, einen Spionageparagrafen zusätzlich ins Spiel zu bringen. Deshalb muss es noch im Dezember 1975 sein. Ich bin gerade 20 Jahre alt geworden.

November 1976

Ich trage einen schwarzen Rock. Er ist ungewohnt eng und lässt keine größeren Schritte zu. Die Bluse ist grau und kratzt auf der Haut. Besonders ungewohnt ist der Strumpfhaltergürtel. Jahrelang habe ich keine langen Strümpfe mehr getragen; ausschließlich Strumpfhosen. Die Metallteile sind kalt auf der Haut. Die Novemberkälte kriecht an den nackten Oberschenkeln empor. Noch ein wenig kleidsam ist die Jacke. Eine Uniformjacke, der die Schulterstücke abgetrennt wurden, aus ehemaligen NVA-Beständen.

Ich gehe durch das Zellenhaus. Neben mir Frauen in ähnlich dunkler und trister Kleidung. Sie laufen vor mir und sehen sonderbar aus in ihren dicken braunen Strümpfen mit Naht und den schwarzen klobigen Schuhen, die an orthopädische erinnern.

Plötzlich ein bekanntes Gesicht unter den vielen unbekannten. Ich winke und rufe ihren Namen: „Christel!“

Sie reagiert nicht und ist auch schon vorbei.

Wir waren viele Frauen in einem der letzten Zugänge vor Weihnachten. So müssen wir jetzt stundenlang auf die ärztliche Untersuchung warten. Ich schaue in blasse Gesichter und weiß nicht, was mich erwartet. Was über Gefangenentransporte in den Westen gesagt wird, sauge ich auf: Dass vielleicht vor Weihnachten noch ein Transport geht. Dass beim letzten Mal die Frauen noch während der Schicht von den Nähmaschinen abgeholt worden sind. Dass manche riesiges Glück hatten und noch vor Verbüßung der Hälfte ihres Strafmaßes abgeschoben worden sind. Einige der Frauen, die tätowiert sind und schlechte Zähne haben, versuchen die Stimmung zu drücken: Dass mit Sicherheit vor Weihnachten kein Transport mehr gehe und dass sich überhaupt beim Häftlingsfreikauf einiges ändern werde. Für Republikflucht sei „lebenslänglich“ im Gespräch. Ich bin neu hier in Hoheneck und erschüttert.

Der Arzt ist klein und zierlich. Er hat einen kurzen Haarschnitt und graublaue Augen. Er macht auf mich eher den Eindruck eines Hochschullehrers als eines Majors. Er weiß, warum ich hier bin, aber ich weiß nicht, was er von mir denkt. Ich weiß überhaupt nicht, was ich von ihm halten soll. Später, als er mich untersucht, spüre ich seine Hände an meinem Hals. Ich schlucke. Fast ein Jahr hat mich niemand mehr zärtlich berührt.

Auf dem Rückweg in die Zelle nimmt mich meine Ordnerin heraus: „Frau Oberleutnant will dich sprechen!“ Warum? Ich habe Angst vor dieser Frau, die groß ist und kräftig. Ihre Fragen dulden keine Ausflüchte: „Strafgefangene! Wen haben Sie hier erwartet? Wem haben Sie vorhin zugerufen und gewunken?“ Ich kann es kaum fassen, wie effektiv die Spitzel hier arbeiten und wie schnell es dem Gefängnispersonal zugetragen wird.

Ich denke an meine langjährige Freundin Christel. Wir lernten uns in der Schule kennen. Sie hat, ebenso wie ich, zwei Schwestern. Ich erinnere mich an die lustigen Geburtstags- und Faschingsfeiern, die wir gemeinsam erlebten. An die Zeit im Internat in einem Zimmer. Sie war glücklich, etwas Abstand zu ihrer strengen Mutter gewinnen zu können. Glücklich über ein Leben ohne Klavier und Kirche. Später hatte sie einen ausländischen Freund, der in der DDR Chemie studierte. Sie wollten heiraten und in sein Heimatland ausreisen, nach Syrien. Das wusste ich aus einem der letzten Briefe, den ich vor unserem Fluchtversuch erhielt. Hatte man ihren Ausreiseantrag abgelehnt? Hatte sie ebenfalls versucht zu fliehen? Das ging mir sekundenschnell durch den Kopf, als ich glaubte, meine Freundin erkannt zu haben. Ich erfuhr erst Jahre später, dass meine Freundin ausreisen durfte. Sie war bereits in Sicherheit, als ich sie mit einer ähnlichen Person verwechselt hatte.

„Strafgefangene! Sie werden es schwer hier haben, wenn Sie sich weiterhin so auffällig verhalten! Es ist strengstens verboten, Kontakte zu anderen Gefangenen aufzunehmen

Er war fast in Vergessenheit geraten, mein 21. Geburtstag. Noch vor ein paar Tagen wusste ich nicht, wo ich überhaupt sein würde an dem Tag. Noch in Untersuchungshaft oder auf dem nicht enden wollenden Transport in den Strafvollzug. Jetzt bin ich hier und mit mir noch 14 andere Frauen in der Zelle. Durch die kleinen Fenster fällt kaum Licht. Es ist ohnehin ein trüber Tag. Die Mitgefangenen mustern mich. Ich bin ihnen fremd. Ich fühle mich auch fremd hier und einsam. Von einigen erfahre ich, dass sie ebenfalls in die Bundesrepublik ausreisen wollen. Das schafft Verbundenheit und ich fühle mich etwas besser.

Im Waschraum frage ich später die Ordnerin unseres Kommandos: „Wie viele Jahre hast du?“ Sie sagt: „Lebenslänglich.“

Ich verspüre ein Schwindelgefühl. 13 Jahre ist sie schon hier in dieser Zelle mit fünf Dreistockbetten, zwei Tischen und acht Hockern. Dreizehn Jahre mit sechs Wasserhähnen und zwei Toiletten für 30 Frauen, deren Doppelzelle durch einen Waschraum miteinander verbunden ist. Dreizehn Jahre lang der Essensraum, in dem die Gefangenen einer Schicht „ausgespeist“ werden und in dem der Putz von den Wänden fällt. Dreizehn Jahre lang die Arbeit am Fließband in der Näherei.

Später erfahre ich, dass sie „lebenslänglich“ bekam, weil sie ihre beiden kleinen Söhne hatte verhungern lassen.