Nowhere to go - Michael Krausert - E-Book

Nowhere to go E-Book

Michael Krausert

5,0

Beschreibung

„Das Nichts“, so nennen Forscher schon nach kurzer Zeit die Bedrohung, die von einer schwarzen Masse ausgeht, welche sich langsam, aber sicher über die gesamte Erde zieht. Auf ihrem Weg verschlingt die Masse alles, was ihr in den Weg kommt. Nach etwa einem Jahr befindet sie sich vor den südlichsten Küsten Japans. Doch fast genauso schnell, wie der Bevölkerung die Bedrohung nahegelegt wird, wird ihr auch eine angeblich sichere Stadt präsentiert. Tokio soll in ganz Japan der einzig sichere Ort sein, den es zu erreichen gilt. Nobu versucht sich gemeinsam mit seinen Freunden einen Weg dorthin zu bahnen. Schnell wird ihnen klar, dass „das Nichts“ nicht die Bedrohung ist, um die sie sich jetzt wirklich Sorgen machen müssen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 364

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (2 Bewertungen)
2
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nowhere to go

1. Auflage, erschienen 2-2021

Umschlaggestaltung: Romeon Verlag

Text: Michael Krausert

Layout: Romeon Verlag

ISBN (E-Book): 978-3-96229-731-2

www.romeon-verlag.de

Copyright © Romeon Verlag, Jüchen

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Gewissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

MICHAEL KRAUSERT

NOWHERE TO GO

INHALT

Kapitel 0 (Prolog)

Kapitel 1 Hiobsbotschaft

Kapitel 3 Training

Kapitel 4 Miyazaki

Kapitel 5 Gewitter

Kapitel 6 Letzter Tag

Kapitel 7 Die erste Begegnung

Kapitel 8 Arzt

Kapitel 9 Warten

Kapitel 10 Kleiner Ausflug

Kapitel 11 Die Reise beginnt

Kapitel 12 Erinnerungen

Kapitel 13 Der brennende Mann

Kapitel 14 Der Wald und seine Wunder

Kapitel 15 Schüsse

Kapitel 16 Verfolger

Kapitel 17 Fehlgeleitete Seelen

Kapitel 18 Rettung

Kapitel 19 Unterirdisch-Oberirdisch

Kapitel 20 Fernglas

Kapitel 21 Sternwarte

Kapitel 22 Der Plan

Kapitel 23 Die Konfrontation

Kapitel 24 Das Leben geht weiter

KAPITEL 0 (PROLOG)

Bis jetzt war es ein Tag wie jeder andere, hier in dieser kalten Einöde, besser bekannt als Südpol. Ein amerikanischer Forscher war mit seinem Schneemobil auf dem Weg, die Proben eines Virenstammes abzuholen. Sie wurden einige Kilometer vom Basislager entfernt im Schnee vergraben. Das Control Disease Center, oder auch CDC, wollte herausfinden, was Kälte für Auswirkungen auf dieses Virus hat. Doch die Entdeckung, die er in Folge dieses Ausfluges machte, waren interessanter sowie gefährlicher, als es das Virus jemals hätte werden können.

Vor ihm tat sich ein riesiger Krater auf. Als Tage zuvor einer seiner Kollegen nach dem Virus geschaut hatte, war dieser noch nicht da gewesen. Um herauszufinden was passiert war, trat er näher heran. Er vermutete das es einen Erdrutsch gab. Denn dass das Eis seit dem letzten Besuch, dermaßen verschwinden würde war nahezu unmöglich. Denn sollte das Eis am Südpol schmelzen, würde eine Stelle im Landesinneren noch lange davon verschont bleiben und erstmal die Gebiete, die nah am Wasser liegen würden, verschwinden. Nur wenige Meter vom Abgrund entfernt sah er es vor sich.

Doch was er dort genau sah, konnte er sich nicht erklären. Eine undefinierbare, pechschwarze Masse schien sich langsam, aber sicher genau in seine Richtung zu bewegen. Mit bloßem Auge war es nur schwer zu erkennen, erst das Geräusch von sich berstendem Eis brachte ihm Sicherheit. In dieser Substanz war nicht das geringste bisschen einer Lichtreflexion zu erkennen. Nachdem er den Schock der Entdeckung überwunden hatte, griff er sofort nach seinem Funkgerät. Er wollte unverzüglich seinen Kollegen in der Basis über seinen Fund berichten. Es gab ein leichtes Knacken beim Anschalten, dann sprach er hinein:

„Ich habe hier etwas sehr Ungewöhnliches gefunden, ihr werdet es mir zwar nicht sofort glauben, aber ich versichere euch, dass es real ist.“ Die kalte Luft brannte bei jedem Wort in seiner Kehle.

Von der anderen Seite auch erst ein leichtes Knacken danach die Worte:

„Was denn genau, versuch es doch wenigstens, vielleicht glauben wir dir ja doch, immerhin begegnet man hier oft etwas Ungewöhnlichem?“ Jeder von ihnen wurde immer wieder aufs Neue überrascht. Für sie war es vor ihrer Abreise nichts weiter als ein weißer Kontinent, auf dem es nichts als Schnee und Eis zu finden gab. Schon am ersten Tag wurden sie deshalb vom Gegenteil überzeugt.

„Ich steh hier direkt vor einem riesigen Krater, darunter ist so eine komische pechschwarze Masse oder Substanz, keine Ahnung, was es genau ist, aber es scheint sich auf jeden Fall langsam …“

Stille, bis die andere Seite fragte:

„Alles in Ordnung, kannst du mich hören?“ Zuerst dachten sie daran, dass er ihnen einen Streich spielte, da sie ihm seine Entdeckung wirklich nicht glauben wollten. Doch nachdem einige Minuten vergangen waren, in denen sie immer noch keine Antwort hatten, begannen sie langsam sich Sorgen zu machen. In dieser Situation hätte es wenig gebracht einen Suchtrupp loszuschicken. Wenn jemand an diesem Ort verloren geht hilft es nur noch einen Satelliten anzufordern. Sie machten sich Gedanken, ob er vielleicht den Krater runtergefallen war. Als die Bilder des Satelliten ankamen, dachten sie allerdings, es sei ein Fehler bei der Übertragung oder so Ähnliches aufgetreten. Sie wollten noch weitere Bilder aus derselben Gegend, doch auch auf diesen Aufnahmen hatten sie im wahrsten Sinne des Wortes fast nur schwarz gesehen. Sie erinnerten sich dann jedoch an das, was sie alle zuerst für einen Scherz gehalten hatten, weshalb folgende Frage in den Raum geworfen wurde.

„Was wäre, wenn das gar kein Fehler, sondern irgendeine Art Lebewesen oder Sturm ist?“, kam es aus der einen Ecke des Forschungszeltes.

„Also ich will hier nicht bleiben und es herausfinden, wenn es sich wirklich auf uns zubewegt, wie er uns vermutlich sagen wollte, als der Kontakt abgebrochen ist. Wenn das wirklich so ist, verschwinden wir früher oder später noch genauso wie er da draußen. Wir wissen ja nicht, wie schnell was auch immer das ist sich fortbewegt“, schallte es aus einer Ecke des Forschungszeltes.

„Wollt ihr ihn etwa einfach so zurücklassen“, fragte ein Kollege, der öfter mit dem verschwundenen Mann zusammengearbeitet hatte.

„Wir wissen nicht, was das ist und ich habe ehrlich keine Lust darauf es herauszufinden. Zumindest nicht aus dieser Nähe. Und jeder, der auch dafür ist, sollte jetzt die Hand heben.“ Am Ende hob jeder die Hand und es war beschlossene Sache.

Der Militärhubschrauber, der sie abholen sollte, müsste in 12 Stunden zur Stelle sein, um sie und die gesamte Ausrüstung zurückzubringen. Eigentlich genug Zeit, um alles abreisebereit zu machen und sogar noch mal etwas Herzhaftes zu essen. Was hier viel eher hieß sich dieselben Fertiggerichte wie jeden Tag reinzuziehen. Wenn es etwas gab, auf das sie sich deshalb nach ihrer Rückkehr freuten, dann war es das gute Essen in der Heimat. Auch wenn sie bei jeder weiteren Mahlzeit an ihren verschollenen Kollegen denken würden, den sie einfach so zurückgelassen hatten.

Erst eine Stunde vor der voraussichtlichen Ankunft fingen sie an das Zelt abzubauen, da sie sonst noch zu lange in der klirrenden Kälte hätten warten müssen. Zum Glück gab es keine Probleme und die Mitfluggelegenheit konnte gut landen. Auch wenn die Masse noch sehr weit weg war, beeilten sich alle mit dem Beladen. Als alles eingeladen war und alle eingestiegen waren, ging es zurück in die Heimat, wo sie sehnsüchtig von den führenden Politikern und anderen Wissenschaftlern erwartet wurden. Jeder von ihnen hatte auf dem einen oder anderen Weg davon erfahren. Doch dieses Mal hatte man es geschafft die Medien aus allem rauszuhalten. In einem abhörsicheren Raum sollten sie dann über ihre Entdeckungen berichten. Auch hier machte sich anfangs wieder Unglaube breit, doch als sie ihnen dann die Bilder vorlegten, glaubten ihnen selbst die Skeptischsten unter ihnen und leiteten alles Mögliche in die Wege.

Die Öffentlichkeit wurde erstmal nicht über die Umstände informiert, da man verhindern wollte, dass eine Massenpanik ausbrach. Doch mit wem Kontakt aufgenommen wurde, waren die Regierungen anderen Länder, doch nicht, um sie über die neue Entdeckung zu informieren, sondern um von ihnen Unterstützung bei der Untersuchung und möglicherweise auch bei der Lösung zu erhalten. Natürlich alles im Geheimen.

Seitdem waren bereits eineinhalb Jahre ins Land gezogen und die schwarze Masse steht bereits vor den südlichsten Inseln Japans. Doch obwohl man etwas gefunden hat, was diese Substanz aufhalten kann, sind Millionen von Menschen bereits davon verschlungen worden. Schwarze Verdammnis, Schwarze Decke, im Laufe der Zeit wurden der Bedrohung von Leuten, die davon wussten, alle möglichen Namen gegeben.

KAPITEL 1 HIOBSBOTSCHAFT

Nobu, ein Junge mit kurzen hellbraunen Haaren, saß gerade auf seinem Fensterplatz im zweiten Stock. Die Oberschule, auf die er ging, befand sich in der Präfektur Miyazaki in Japan. Dort war er gerade dabei seine grauen Zellen sowie seine Augen auszuruhen, während der Lehrer versuchte den Schülern anhand eines auf die grüne Tafel gemalten Graphen etwas über Exponentialfunktionen beizubringen. Das jedoch war Nobu herzlich egal. Er war einer der wenigen Schüler, die sich ein solches Verhalten überhaupt und ganz besonders drei Monate vor den Abschlussprüfungen leisten konnte. Er war immerhin der Zweitbeste des gesamten Jahrgangs.

Da der Lehrer wusste, dass das Thema für ihn kein Problem darstellen würde, ließ er ihn einfach weiter schlafen. Währenddessen versuchte er einen anderen schlafenden Schüler aufzuwecken, indem er ihn mit einem Stück Kreide bewarf. Wenige Zentimeter vor seinem Kopf traf sie auf dem Tisch auf und brach in zwei Teile. Einer der beiden Teile traf den Schüler dann am Kopf und weckte ihn auf.

„Im Unterricht wird nicht geschlafen“, ermahnte ihn der Lehrer.

„Und was ist dann mit Nobu, der pennt doch in so gut wie jeder Stunde“, verteidigte er sich.

„Würdest du so gute Noten schreiben wie er, dürftest du auch schlafen, da du das aber nicht tust, musst du weiterhin aufpassen. Also Augen auf die Tafel.“ Mit einem leichten Klapps gegen die Tafel bekräftigte er seinen letzten Satz. Die Anderen im Klassenzimmer begannen zu lachen, eigentlich hätte er es besser wissen müssen. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass er das getan hatte, und jedes Mal wurde er vom Lehrer ermahnt.

All das störte Nobu in seinem Schlummer nicht im Geringsten, bis plötzlich aus den im Klassenzimmer angebrachten Lautsprechern die Stimme des Direktors ertönte und ihn aus dem Schlaf zurück in die Realität riss. Um der Ansprache besser folgen zu können, hob er genervt seinen Kopf, der ihm in diesem Moment so schwer vorkam, als hätte jemand Gewichte daran befestigt. Jetzt kamen auch seine tiefschwarzen, noch verschlafenen Augen zum Vorschein.

Den ersten Teil der Durchsage hatte er nicht komplett mitbekommen. Alles, was er mitbekam, war, dass der Direktor alle Schüler und Lehrer in die Sporthalle gerufen hatte. Dort hatte er wohl eine wichtige Verkündung zu machen, die das sofortige Erscheinen von allen in der Sporthalle der Schule voraussetzte.

„Dieses Mal sollen alle kommen, ja auch du Nobu“, sagte er mit Nachdruck in der Stimme, wodurch wieder alle in der Klasse zu lachen begannen, der Betroffene jedoch stöhnte erst leicht und ließ seinen Kopf dann wieder sanft auf die Tischplatte fallen. Doch er wusste, dass der Rektor in Wirklichkeit recht hatte. Bei den meisten Veranstaltungen, außer bei denen mit wirklicher Anwesenheitspflicht, ging er für gewöhnlich auf das Dach und wartet dort auf die Pause und seine Freunde, die ihm dann in aller Kürze sagten, worum es ging. Noch nie war es vorgekommen, dass er dafür Ärger bekommen hätte. Im Allgemeinen war Nobu ein für die Lehrer meist unantastbarer Schüler, und all das nur wegen seiner Noten und weil er sich auch sonst nie etwas hat zu Schulden kommen lassen. Durch seine guten Noten konnten sie ihn nicht damit unter Druck setzen, dass er sein Leben wegwerfen würde, so wie sie es gerne bei den anderen Störenfrieden machten. Doch der Lehrer unterbrach das Lachen der Schüler mit der Aufforderung sich langsam, in Zweier-Reihen in die Sporthalle zu begeben.

Auf dem Weg in die Sporthalle schaute Nobu, welcher einen schlanken, aber dennoch gut gebauten Körper hatte, aus dem Fenster neben sich. Der Himmel war leicht bewölkt und gerade deswegen wunderschön. Das brachte ein schwaches Lächeln auf seine Lippen.

„Was glaubst du, worum es geht, wenn sogar du hinkommen sollst?“, fragte die Schülerin, die neben Nobu herging.

„Vielleicht ist einem Schüler oder Lehrer etwas passiert, oder die Polizei will etwas von uns. Ganz ehrlich, ich hab keine Ahnung“, gab Nobu zurück, während er sich den restlichen Schlaf aus den Augen rieb. Sie nickte nur stumm und lief weiter den Flur entlang. Der weitere Weg wurde von Schweigen erfüllt. Mit Nobu zu sprechen galt unter den meisten Schülerinnen als besonderer Moment. Er gehörte zu den beliebtesten Schülern der ganzen Schule, was besonders daran lag, dass er trotz seiner rebellischen Art zusammen mit seinen guten Noten nicht arrogant war. Auch sein gutes Aussehen war daran nicht ganz unschuldig. Ein weiterer Punkt war aber sicher auch, dass er jedem, der Hilfe brauchte, diese auch gab, ohne sich darüber lustig zu machen, dass diese Person etwas nicht kann.

In der Sporthalle angekommen konnte er trotz eingeschalteter Lüftung und der einen Spalt weit geöffneten Fenster, mehr war nicht möglich, immer noch den leichten Geruch von Schweiß wahrnehmen. Er wurde in all den Sportstunden, die dort schon stattgefunden hatten, in harter Arbeit von den Schülern bei allen erdenklichen Sportarten vergossen. Für andere war das nur der Gestank, den sie intensiver noch aus der Umkleide kannten und über den sie nicht weiter nachdachten. Doch nicht für Nobu, für ihn war dieser Geruch das Ergebnis von harter Arbeit und Leuten, die immer wieder über sich selbst hinausgewachsen sind. Manche von ihnen wurden später sogar prominente Sportler, doch die hatte er nie selbst kennengelernt.

Auch wenn Nobu eher der Denker war, erkannte er harte Arbeit egal welcher Art immer an, da es im Grunde von jedem Menschen ein und dasselbe abverlangte, nämlich Willenskraft, die bei weitem nicht alle haben. Und auch wenn es so schien, dass er sie nicht besaß, dadurch dass er immer wieder sein Desinteresse zeigte, sobald er sich für etwas interessierte, hatte er mehr Willenskraft als jeder andere. Den selbst wenn man etwas gut kann, ist es letztendlich die Willenskraft, die darüber entscheidet, ob du Erfolg hast oder nicht. Und Nobu hatte immer Erfolg, wenn er wollte.

Die Halle war gefüllt mit Stühlen, die für die Schüler bestimmt waren. Die Lehrer mussten sich neben die Reihen ihrer Klasse stellen und überwachen, dass keiner aus der Reihe tanzte. Die einzelnen Klassen kamen nun Schlag auf Schlag und füllten die vorher so leere Halle im Handumdrehen mit Leben. Wobei Nobus Klasse ungefähr in der Mitte saß. Neben Nobu saß rechts der Klassensprecher, ein Durchschnittstyp, kurze schwarze Haare und Brille, auch seine Noten befanden sich eher im besseren Drittel. Bei der Wahl wurde auch Nobu von vielen vorgeschlagen, lehnte aber ab, da er kein Interesse an dem Amt hatte. Links von Nobu saß das Mädchen, mit dem er dorthin gelaufen war. Erst jetzt machte er sich die Mühe sie näher anzusehen, dabei stellte er fest, dass das Zusammenspiel aus ihren Sommersprossen und den gefärbten roten Haaren recht süß wirkte. Die Luft im Raum wurde immer stickiger, selbst die Lüftung und die Fenster konnten nur noch bedingt helfen. Alle warteten bereits gespannt darauf, dass der Direktor oder einer der Lehrer das Sprachpult betrat, damit die angeblich so wichtige Verkündung beginnen konnte.

Zehn Minuten, nachdem der Saal vollgefüllt war, betrat der Rektor endlich das Rednerpult und begann mit seiner Ansprache. Anders als allerdings angenommen hielt nicht er die Rede, sondern er war nur der Mittelsmann, der die Ehre hatte den eigentlichen Redner vorzustellen. Nachdem der Direktor seine kurze Ansprache also beendete, betrat auch schon der Ehrengast die Bühne. Es war ein großer, schlank gebauter Mann in einem teuer aussehenden Anzug. Viele der Schüler kannten ihn aus den Nachrichten, es war der Governor von Miyazaki: Shunji Koto. Er sprach zu den Schülern über eine weltverändernde Nachricht. Wieso er gerade an dieser Schule diese Nachricht verkündete, war unbekannt.

Er begann damit, dass er von einer schwarzen Substanz berichtete, die sich langsam und unaufhaltsam über die Erde ausbreiten soll und dabei alles und jeden dabei verschlinge. Laut seinen Angaben blieben noch etwa zehn Tage, bis Japan davon betroffen sein würde, mit den südlichen Inseln würde es beginnen, bis dann Richtung Norden immer mehr Land verschlungen werden würde. In der ihnen noch verbleibenden Zeit sollten sich die Menschen in den Gefahrenregionen Richtung Norden aufmachen und dort auf weitere Anweisungen von Seiten der Regierung warten. Innerhalb der nächsten neun Tage würden in den Nachrichten Anweisungen für die Evakuierung gesendet werden.

Zuerst dachten die Schüler, sie würden verarscht werden, bis er ihnen Satellitenbilder zeigte, auf denen die Substanz zu sehen war, im Zeitraffer konnte man erkennen, dass es, was auch immer es war, sich wirklich voran bewegte; dadurch verstummten die meisten ungläubigen Stimmen.

„Warum wurden wir nicht früher über so etwas Gefährliches informiert?“ Es war ein Lehrer, der diese Frage stellte.

„Weil wir verhindern wollten, dass eine Panik ausbricht“, erklärte er ihm.

„Klar, ihr wolltet doch nur als Erstes euren Arsch retten“, sagte er leise in sich hinein. Der Governor konnte versichern, dass aktuell an einer „Safe-Zone“, wie er es nannte, gearbeitet wurde. Schon bald würde in den Nachrichten davon berichtet werden, und zwar noch bevor Japan betroffen sein soll. In dieser Safe-Zone soll es alles geben, was man für eine Weile zum Überleben benötigen würde, nur der Platz sei etwas begrenzt und auch wenn sie die einzelnen Wohnbereiche auf das Minimum reduzierten, würde nicht genug Platz für alle in Japan lebenden Menschen bleiben. Deshalb wurde entschieden, dass Menschen, die krankheits- oder altersbedingt kurz vor ihrem Tod stehen, nicht in die Stadt gelassen werden dürfen. Auch wenn es hart klingen mochte, musste die Regierung das Überleben von Japan im Gesamten sichern, da könne keine Rücksicht auf den Einzelnen genommen werden, wurde behauptet. Außerdem würden die Lebensmittel nicht lange genug reichen, wenn einfach jeder hineingelassen werden würde. Ebenfalls würden Verbrecher, die wegen schwerwiegenden Verbrechens verurteilt wurden und bei denen es seitdem keine Besserung in ihrem Verhalten gab, ausgeschlossen.

Man solle sich deswegen darauf einstellen, dass nicht alle Familienmitglieder gerettet werden können.

Auf einen Zuruf eines Schülers, was dann mit ihnen passieren wird, antwortete er ganz trocken, so als ob es ihm komplett egal wäre, dass wohl nichts anderes übrig bleiben würde, als sie in ihrem Zuhause oder im Gefängnis ihrem Schicksal zu überlassen. Auf weitere Fragen der Schüler wurde nicht mehr eingegangen, bevor er die Halle durch den Hinterausgang verließ, wo bereits weitere Anzugträger und eine Limousine auf ihn warteten.

„Typisch Politiker“, dachte Nobu sich, „das Problem wurde mal wieder detaillierter beschrieben als die Lösung, von der man nur wusste, dass es sie irgendwie schon gibt, aber weder in welcher Form noch wo oder wann.“

Der Direktor ergriff wieder das Wort und versicherte den Schülern noch einmal, dass alles, was sie gerade gesehen und gehört hatten, der Wahrheit entsprach. Außerdem teilte er den Schülern mit, dass sie ohne Umwege nach Hause gehen sollen und in den kommenden Tagen nicht mehr in die Schule zu kommen brauchen, sie wäre ab jetzt geschlossen. Die Klassen, die bald ihren Abschluss hätten, würden diesen in der Safe-Zone machen müssen. Sie sollen sich aber erst einmal um ihre Familie und deren Zukunft kümmern, die Schule sei in so einer Situation zweitrangig. Mit diesen Worten wurde die Infoveranstaltung beendet.

Es war kurz ganz still, da alle diese Nachricht erst einmal verarbeiten mussten. Doch dann brachen die ersten Unruhen aus und die Schüler liefen panisch zu den Ausgängen. Diese wurden dadurch allerdings total verstopft, sodass es nur noch spärlich voranging. Nobu war einer der wenigen, der auf seinem Platz darauf wartete, dass es ruhiger wurde und die Halle sich lehrte. Er suchte unter denen, die sitzen geblieben waren, nach seinen Freunden, doch es war zu viel los, als dass er jemand hätte ausmachen können. Die Lehrer, die zuvor auch nichts wussten, versuchten vor den Schülern die Fassung zu wahren und wieder für Ruhe an den Ausgängen zu sorgen. Man sah ihnen allerdings an, dass auch sie Angst hatten und nicht wussten, was sie jetzt tun sollten.

Weiter vorne fingen mehrere Schüler an sich zu streiten. Selbst die mahnende Stimme des Direktors über die Lautsprecher konnte sie nicht mehr beruhigen. Im Gegenteil, sie wurden noch lauter, bis ein paar der Lehrer die Störenfriede aus der Menge isolierten. Zum Glück half das, die anderen Schüler beruhigten sich wieder einigermaßen. Jetzt ging es zwar nicht unbedingt schneller, aber dafür leiser voran.

Es dauerte fast 20 Minuten, bis sich ein Großteil der Schüler wieder zurück in den einzelnen Schulgebäuden befand. Jetzt war es auch für Nobu an der Zeit, sich in sein Klassenzimmer zurück zu begeben, um seine Tasche zu holen.

Auf dem Weg in sein Klassenzimmer kamen ihm die anderen Schüler entgegen, die einfach nur so schnell wie möglich nach Hause zu ihren Familien wollten. Er stieß mit einigen von ihnen zusammen, diese bemerkten es aber nicht mal und liefen ohne irgendeine Reaktion weiter.

Im Klassenzimmer musste er feststellen, dass ein paar der Streithähne aus seiner Klasse kamen und der Streit von zuvor noch nicht beendet war. Es ging sogar einen Schritt weiter, gerade als Nobu den Raum betrat, fingen zwei von ihnen an sich zu prügeln. Schnell bildete sich eine Traube um die beiden und die kurz vorher noch so panischen Schüler beobachteten den Kampf, einige fingen an einen der beiden anzufeuern, wohl ebenfalls welche von den Unruhestiftern, während andere nur stumm nebendran standen.

„Hey!“, schrie Nobu, während er dabei war sein Zeug zusammenzusuchen. Damit hörte er auf und ging zwischen die beiden, um den Streit zu beenden.

„Ich weiß nicht, wer angefangen hat oder worum es überhaupt geht, und ich weiß auch nicht, wieso ich der Einzige bin, der dazwischengeht, es ist mir auch scheißegal. Aber ihr hört jetzt sofort auf damit, aufeinander einzuprügeln und vertragt euch. Sonst bekommt ihr es mit mir zu tun“, drohte Nobu ihnen.

Einer der beiden schaute schuldig auf den Boden. Der andere hingegen fasste die Drohung von Nobu wohl als Herausforderung auf und ging auf Nobu los. Unter den Jungs gab es immer wieder welche, die Nobus Art als Arroganz bezeichneten und die ihm gerne mal das Maul gestopft hätten. Doch auch dieser schaffte es nicht, Nobu wich seinem planlosen Angriff seitlich aus und verpasste ihm einen gezielten Treffer mit dem Ellenbogen auf die Nase. Sein Gegner wurde von seinem eigenen Schwung und dem Schlag auf Nase zu Boden geworfen. Er windete sich vor Schmerzen und hielt sich seine blutende Nase. Jetzt interessierte es Nobu doch, worum es ging, weshalb er den anderen fragte. Es ging darum, dass Nobu trotz dieser Nachricht so ruhig bleiben konnte. Nobu verstand nun auch, wieso er ebenfalls angegriffen wurde. Mit enttäuschter Miene und schüttelndem Kopf ging er zu seinem Platz zurück.

„Nur noch Idioten“, dachte er in seinem Kopf und nahm seine Tasche, ehe er mit ihr auf das Dach des Gebäudes ging. Seine Freunde warteten dort bereits auf ihn. Nachdem sie mal alle zusammen einen Film über eine Zombieapokalypse gesehen hatten, schworen sie sich, sie würden sich auf dem Dach der Schule treffen, sollte so etwas passieren. Obwohl es damals eher als Scherz gedacht war, war Nobu sich sicher, dass sie sich alle daran halten würden. Dennoch hatte niemand damit gerechnet, dass es je passieren würde, geschweige denn so schnell. Denn dass sie den Film gesehen hatten, war an seinem Geburtstag vor einem Dreivierteljahr.

Auch auf dem Weg zum Dach kamen ihm Schüler mit hastig gepackten Taschen entgegen, es waren jedoch schon erheblich weniger als zuvor. Er und seine Freunde waren vermutlich der Einzigen, die nun auf das Dach der Schule oder überhaupt in der Schule bleiben wollten.

Als er die Tür zum Dach öffnete, strahlte ihm die Sonne direkt ins Gesicht. Zu dieser Tageszeit schien sie genau auf die Tür. Normal würden sie erst eine ganze Stunde später, nämlich zur Pause, auf das Dach kommen und da wäre die Sonne lange nicht mehr so blendend. Um sich zu schützen, hielt also er seinen linken Arm vor sein Gesicht, bis er sich einigermaßen an das Licht gewöhnt hatte. In der Zwischenzeit füllte die Sonne seinen ganzen Körper bis in die Knochen mit Wärme. Endlich war er richtig wach.

Als er seine Augen endlich auch wieder ohne den Arm vor seinem Gesicht öffnen konnte, sah er seine Freunde, die bereits auf ihn gewartet hatten.

Ganz links stand Jinpei, ein schüchterner, eher stiller Junge mit mittellangen, schwarzen Haaren und ebenfalls schwarzen Augen, die aber anders als die von Nobu von Selbstzweifel und nicht von Selbstvertrauen erfüllt waren. Er war eine Klasse unter ihm. Durch seine schmächtige Statur und seine eher schüchterne Art war er früher das Opfer von Mobbing, bis Nobu ihn daraus befreite.

Rechts von ihm stand die beste Freundin von Jinpeis Schwester, ein Mädchen aus reichem Hause mit leicht welligen, für Japan eher untypischen langen blonden Haaren, womit sie farblich der Gegenpart zu dem schwarzen Rock der Schuluniform waren. Sie hatte unschuldig reinschauende grüne Augen. Ihr Name war Umeko. Mit ihren 1,60 Metern war sie ein gutes Stück größer als Jinpei und seine Zwillingsschwester.

Neben ihr stand die Hände verlegen hinter ihrem Rücken haltend Harui, ihre beste Freundin und Jinpeis Zwillingsschwester, anders als ihr Bruder wurde sie jedoch nicht gemobbt, war aber dennoch relativ schüchtern. Ebenfalls ein Unterschied zu ihrem Bruder war das kastanienbraune schulterlange Haar. Auf jeder Seite hatte sie sich mit einem schwarzen Haargummi einen Zopf gebunden, die ihr ganz entspannt auf den Schultern lagen. Die Haare wurden erst an der Spitze zusammengebunden und hatten ihr Volumen deshalb nicht verloren. Doch genau wie ihr Bruder und Nobu hatte sie schwarze Augen. Sie und Umeko waren sowohl in der Klasse als auch privat unzertrennlich.

Der Zweite von rechts war wieder ein Junge mit schulterlangen, außer beim Sport offengetragenen schwarzen Haaren und dunkelblauen Augen. Es war Nobus bester Freund Daisuke, der mit leicht angewinkelten Beinen auf dem Boden hockte. An seiner Schuluniform fehlte immer die Krawatte und der oberste Knopf war geöffnet. Er kannte Nobu schon seit der Grundschule und da die beiden keine Geschwister hatten, wurden sie schnell zu Brüdern im Geiste.

Ganz rechts außen lehnte sich mit verschränkten Armen Rei, die Einzige, die es notentechnisch mit Nobu mithalten konnte, am Zaun, der das Dach vom Boden trennte. Sie war eher still und ließ sich oft ihre Emotionen nicht anmerken. Sie war schlank und hatte langes tiefschwarzes Haar, das sie stets offen trug. Außerdem besaß sie braune Augen. Sowohl ihr gutes Aussehen als auch ihre Noten sowie ihre Persönlichkeit waren Gründe dafür, dass sie zu den beliebtesten Mädchen der Schule gehörte.

Jinpei brach das Schweigen als Erstes. Er fragte mit hörbarer Angst in der Stimme in die Runde, was als Nächstes kommen würde.

„Genau was passiert jetzt?“ Daisuke wiederholte die Frage allerdings diesmal ganz klar an Nobu gerichtet, da er sich gut vorstellen konnte, dass er auf dem Weg hierher bereits einen Plan entworfen hatte. Das stimmte zwar, war aber nichts Großes.

Er sah vor, dass sie erstmal irgendwo gemeinsam verharren würden und dort auf weitere Anweisungen von Seiten der Regierung warten würden. Jinpei wollte wissen, was passiere, wenn sich nichts tue. Rei unterbrach ihn dann aber, da der Regierungsbeamte sonst nicht so selbstsicher aufgetreten wäre. Umeko schlug vor, dass sie bei ihr und ihren Eltern wohnen könnten, bis sich was Neues ergeben würde. Bei den meisten der anderen wäre nämlich vermutlich niemand zuhause.

Mit ihrer Vermutung hatte sie auch recht, denn Nobus Eltern waren wie so oft wieder beruflich im Ausland unterwegs. Diesmal würden sie sogar für mehrere Wochen außer Landes sein. Das war für ihn jedoch alles andere als schlimm, da er bis dahin das Haus ganz für sich alleine hatte und er machen konnte, was er wollte.

Daisukes Eltern sind schon vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, weshalb er seitdem bei dem Ausbilder seines Vaters aus Militärzeiten und einem seit jeher guten Freund der Familie wohnte. Ishikawa wollte ihm so viel Freiraum lassen, wie er sich von seiner Rente leisten konnte, doch mehr als eine kleine Wohnung für ihn alleine war nicht drin. Dennoch tat er sein Bestes, damit Daisuke aufwachsen konnte, ohne dass es ihm an irgendetwas mangelte.

Rei hat zwar ihre eigene Wohnung, doch zu ihrem Leidwesen hatte sie ihr nicht sehr viel Platz bieten können. Das lag daran, dass ihre Eltern aus beruflichen Gründen in eine weit entfernte Stadt ziehen mussten. Doch ihre Tochter wollten sie nicht aus ihrer vertrauten Umgebung reißen und waren damit einverstanden ihr die Miete für eine kleine Wohnung zu bezahlen, solange sie für die Schule lernte und sich gleichzeitig um das Essen kümmerte.

Bei Harui und Jinpei war zwar normal jemand zuhause, doch der würde sich, sobald er die Nachricht über die schwarze Verdammnis bekommen hätte, so schnell wie möglich aus dem Staub machen und die beiden einfach so zurücklassen.

Und das obwohl er nach dem Tod ihrer Mutter sogar das alleinige Sorgerecht für die Kinder bekommen hatte, genauso wie das Kindergeld. Das nutzte er aber meistens, um sich zu besaufen. Er war der letzte Freund ihrer Mutter, doch schon vor ihrem Tod war der Mann nicht im Ansatz freudlich zu den Kindern.

Alle bis auf Harui und Jinpei waren komplett mit ihrer Wohnsituation zufrieden, selbst Daisuke und Rei. Nach anfänglichen Schwierigkeiten in der kleinen Wohnung konnten sich beide daran gewöhnen und machten es sich zur Aufgabe, das Beste aus ihrer derzeitigen Situation herauszuholen. Doch wenn es darum ging, etwas mit den Freunden zu machen, trafen sie sich doch meistens bei anderen, wie zum Beispiel bei Nobu oder Umeko, oder einfach ganz woanders.

Es war also beschlossene Sache, dass sie sich alle bei Umeko treffen würden und dort abwarten wollten, was geschieht. Jedoch musste jeder zuvor noch einmal nach Hause und dort ein paar Sachen, die er für die Zeit dort brauchen würde, einpacken. Darunter fielen vor allem Klamotten und andere Dinge, ohne die sie nicht auskommen würden.

„Bis später.“ Mit diesen Worten verabschiedeten sich die sechs voneinander und gingen alle ihrer Wege. Auch wenn das bedeutete, dass sie sich fürs Erste nur in zwei Gruppen aufteilen würden.

Während Daisuke, Rei und Umeko schon längst nicht mehr da waren, hielt Hauri Nobu am Schultor auf und bat ihn mit ihnen zu gehen. Für den Fall, dass der Freund sich doch noch in der Wohnung aufhielt und auf Ärger aus sein sollte. Gerade weil es eine sichere Tatsache war, dass er Stress machen würde, ging er nur zu gerne mit. Zu allem Überfluss war es für ihn kein allzu großer Umweg. Denn die beiden wohnten auf dem Weg zwischen seinem Haus und der Schule. Wenn er gewollt hätte, hätte er jeden Morgen mit den beiden zur Schule laufen können.

Dass die beiden verunsichert waren, war kaum zu übersehen. Besonders für Nobu nicht, der Menschen meist wie ein offenes Buch lesen konnte. Aber selbst wenn er das nicht könnte, war diese Reaktion der beiden etwas, das nur allzu verständlich war. „Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen machen, es wird alles gut gehen.“ Er hoffte, dass das nicht nur ein leeres Versprechen war, um sie zu beruhigen.

In der kleinen Wohnung angekommen, kam Nobu zwar mit hinein, doch zum Glück für alle war der Peiniger der Geschwister nicht mehr dort, also half er Jinpei dabei seine Sachen zu packen. Sein Zimmer war eingerichtet wie das eines kleinen Kindes. Was vermutlich daran lag, dass er schon seit langem keine neuen Möbel oder andere Sachen bekam. Sogar die Tapete ähnelte der in einem Kinderzimmer. Das lag einfach daran, dass sie schon immer in eher ärmlichen Verhältnissen gelebt hatten. Da ihre Mutter keinen Vollzeitjob finden konnte, musste sie sich von Aushilfsjob zu Aushilfsjob hangeln. Trotzdem hatte sie alles, was sie verdiente, dafür ausgegeben, dass ihre Kinder eine einigermaßen angenehme Kindheit haben konnten.

Keiner von den beiden konnte es sehen, doch Harui war traurig, dass Nobu nicht ihr half. Wenn die beiden alleine waren, traute sie sich öfters mit ihm zu sprechen, denn die Stille, die dann herrschte, war für sie sogar noch peinlicher. Als sie ihren Kleiderschrank öffnete, hatte sie plötzlich nicht mehr so viel dagegen, dass er ihrem Bruder und nicht ihr half. Denn dort waren einige Kleidungsstücke verstaut, die er besser nicht sehen sollte. Alle waren es Geschenke von Umeko. Selbst hätte sie sich diese Sachen entweder nicht leisten können oder einfach nie geholt, weil es für sie viel zu freizügig gewesen wäre oder auch beides. Deswegen hatte sie viele von denen nur ein einziges Mal an, und zwar als sie gezwungen wurde sie anzuprobieren. Und auch wenn die Einzige, die sie dann gesehen hatte, ihre beste Freundin gewesen war, war es ihr unendlich peinlich. Es waren Klamotten, die Umeko normal privat trug. In der Regel wäre sie an solchen Sachen einfach vorbeigelaufen, doch Umeko hatte es immer geschafft sie davon zu überreden, sie zumindest einmal anzuprobieren, und sie am Ende dann für Harui gekauft. Diese Ausgabe war ihr der Spaß, den sie zuvor hatte, so gut wie immer wert gewesen. Trotzdem hatte sie ihr nicht nur solche Klamotten gekauft. Wenn überhaupt, war es ein solches Kleidungsstück im Monat, der Rest waren ganz übliche Sachen. Harui war keinesfalls wegen des Geldes mit Umeko befreundet, für sie war es sogar immer unangenehm, wenn Umeko für sie etwas zahlte.

Hätte Nobu diese Klamotten gesehen, wäre sie vor Scham gestorben. Allein der Gedanke daran, er hätte sie darin gesehen, ließ ihr Gesicht auf einen Schlag erröten. Erst jetzt fiel ihr die Unordnung, die in ihrem Zimmer herrschte, auf, auch hier war sie froh, dass er es nicht gesehen hatte. Doch war sie keinesfalls unordentlich, es lag einfach daran, dass sie der Wohnung so lange wie möglich fernbleiben wollte. Das war auch der Grund, warum sie fast jeden Tag etwas mit Umeko unternahm. Aber auch mit den anderen aus der Gruppe traf sie sich öfters.

Obwohl Nobu ihnen sagte, dass er auch alleine zurechtkommen würde, sie also schonmal zu Umeko gehen können, haben sie ihn noch bis zu seinem Haus begleitet, um ihm Gegenzug dabei zu helfen sein Zeug zu packen. Harui war immer wieder darüber erstaunt, wie ordentlich sein Zimmer und auch das Haus im Allgemeinen aussahen. Wo er doch in der Schule eher den Eindruck machte, dass er ziemlich unordentlich war. Als sie fertig waren, bat er die beiden draußen auf ihn zu warten. Er sagte, er würde gleich kommen, er müsste nur noch schnell eine Nachricht für seine Eltern hinterlassen für den Fall, dass sie vorzeitig nach Hause kommen würden. Sie sollten sich nicht unnötig Sorgen um ihn machen. Die fertig geschriebene Nachricht legte er gut sichtbar auf den Küchentisch und kam dann heraus.

Währenddessen teilte Umeko ihren Eltern zuhause alles mit und bat um ihr Einverständnis. Ihre Eltern waren sehr verständig und stimmten zum Glück zu.

Zur gleichen Zeit packte Rei in ihrer kleinen Wohnung nicht viel ein. Bis auf ein paar Sachen, die ihr ihre Eltern schon früher kauften, besaß sie nicht wirklich viel. Denn seit knapp einem Jahr musste sie sich alles, was sie haben wollte, mit dem kleinen Lohn ihres Aushilfsjobs in einer Buchhandlung kaufen. Meistens ging dieser aber schon für die Lebensmittel drauf. Darum war das Einzige, was sie neben ihren Lieblingsklamotten einpackte, ein altes Holzschachbrett, das ihr Vater ihr vor langer Zeit schenkte. Damit hatte er ihr das Schachspielen beigebracht. Sie hatte vor sich mit Nobu damit hin und wieder die Zeit zu vertreiben, während sie auf das, was auch immer kommen würde, warteten.

Auch Daisuke hatte bis auf ein paar Klamotten nichts einzupacken. Was sich aber als weitaus schwieriger erwies, als zuerst angenommen, war Ishikawa, den Ausbilder seines Vaters, dem Daisuke viel zu verdanken hatte, davon zu überzeugen mit ihm zu kommen. Ishikawa jedoch wollte diese Woche lieber in seiner eigenen Wohnung und nicht bei irgendwelchen mehr oder weniger Fremden verbringen. Daisuke versprach ihm das er ihn wenigstens abholen würde, wenn es wohin auch immer losgehen sollte.

Wegen dieser kleinen Diskussion kam er auch als Letztes bei der etwas abseits der Stadt erbauten Villa von Umekos Familie an. Sie wurde damals von Umekos Großeltern mütterlicher Seite errichtet und hatte sogar den Zweiten Weltkrieg überstanden. Seitdem wurden immer wieder Anbauten errichtet.

Daisuke stand vor den großen Eingangstoren, die er passieren musste, um in den Innenhof zu gelangen, als er hörte, wie die Motoren ganz leise ihren Dienst taten, um das riesige Tor aufzuschieben. Der Vorhof bestand aus einem Pfad, der von wunderschönen Blumen gespickt war, daneben war eine Grünfläche, die offensichtlich mit größter Mühe gepflegt wurde. An der Haustür angelangt sah er, dass sie bereits offen stand und dort jemand bereits auf ihn wartete. Aus der Ferne konnte er es nicht erkennen, doch als er immer näher kam, wurde das Bild zunehmend klarer und er konnte ganz deutlich einen Frack, wie er von Butlern getragen wird, erkennen. Vor ihm stand einer der Butler des Anwesens. Es war ein bereits etwas in die Jahre gekommener Mann, der aber dennoch pflichtbewusst seinen Dienst tat.

„Guten Tag junger Herr, Ihr müsst Daisuke sein.“ Er hatte einen ernsten Blick. Daisuke nickte und verbeugte sich zur Begrüßung. Er war immer wieder aufs Neue davon überrascht, wie reich Umekos Familie war. Beide waren Ärzte und könnten damit schon im Luxus leben. Da kam aber noch das Erbe von Umekos Großmutter hinzu, ihre Familie gehört zu den reichsten in ganz Japan.

Der Butler zeigte ihm den Weg zu seinem Zimmer wie auch den anderen wichtigen Räumen, die er seiner Meinung nach in der Woche benutzen würde, er bestätigte ihm, dass er der letzte von seinen Freuden war und die anderen schon dabei waren sich in ihren Zimmern einzurichten. Es waren so viele Informationen auf einmal, dass er sich nicht alles merken konnte. Was er sich zum Glück merken konnte, waren die Wege zu Speisesaal, Toilette wie auch der Dusche. Das Wichtigste vom Wichtigen sozusagen.

Genau wie die der anderen lag auch sein Zimmer im ersten Stock des dreistöckigen Anwesens. Er bekam das Zimmer neben Harui, die ihr Zimmer wiederum neben dem von Nobu hatte. Auf der anderen Seite des Flures waren die Zimmer von Rei, die das Zimmer direkt gegenüber von Nobu bekam, daneben war das von Jinpei. Daisuke gegenüber hatte sich Umeko ihr Zimmer für die kurze Zeit eingerichtet. Eigentlich hatte sie es im zweiten Stock, doch sie wollte nicht von ihren Freunden getrennt sein, wenn sie schon mal alle zusammen bei ihr wohnten. Da Rei als Erstes vor Ort war, hatten sie und Umeko ihre Zimmer schon bezogen und waren nun dabei den anderen zu helfen. Umeko half ihrer besten Freundin ihren Koffer auszupacken. Nobu, der sein Bett seit Jahren selbst machte, war bereits fertig und musste nur noch seine Tasche auspacken und wollte danach Jinpei in seinem Zimmer helfen. Aus diesem Grund ging Rei zu Daisuke und half dem gerade erst Angekommenen dabei sich im Zimmer zurechtzufinden.

„Tasche oder Bett?“ Sie fragte ihn, was er übernehmen wollte, das andere würde sie erledigen.

„Bett, vielleicht find ich auch mal was zum Anziehen, das nicht komplett zerknittert ist, wenn sich jemand anderes darum kümmert.“ Beide lachten und machten sich dann an die Arbeit. Während Daisuke sich also über das Bettlaken und die Bezüge hermachte, ging Rei zu seiner Tasche, die bereits vor dem Schrank stand. Sie fand darin einen Haufen zerknüllter Klamotten.

„Da hab ich einiges zu tun.“ Der Inhalt der Tasche wurde erstmal komplett auf den Boden ausgeleert, nicht dass das noch etwas an dem Zustand der Sachen geändert hätte. Auf einem Haufen lagen dort nun Hosen, Shirts, Unterwäsche und Pullover. Rei machte sich erstmal daran alles zu sortieren, um es dann zusammengelegt im Schrank verstauen zu können.

„So ordentlich war mein Kleiderschrank, glaub ich, noch nie. Danke.“ Gerade als sie das letzte Stück in den Schrank legte, lehnte sich Daisuke an die Tür und schaute über Reis Schulter in den Schrank hinein. Er war erstaunt, freute sich richtig, als er einen ordentlichen Kleiderschrank vor sich sah. Das Zusammenlegen hatte so viel Zeit gekostet, dass sich in der Zwischenzeit alle in ihren Zimmern eingerichtet hatten.

Erst jetzt fiel Daisuke auf, dass sich alle bereits von ihren Schuluniformen befreit hatten und nun Freizeitkleidung trugen. Alle bis auf Nobu, der nur die Krawatte von seiner Uniform entfernte und das Hemd aus der Hose zog, so dass es den Hosenbund überdeckte. Jetzt sah er so aus wie Daisuke.

Umeko war die Einzige, die ein bisschen overdressed war. Sie trug zwei Schmuckstücke, die sie zuvor nicht getragen hatte. Dadurch, dass ihre Knöchel nicht verdeckt wurden, konnte man am rechten Fußgelenk ein kleines Goldkettchen sehen, das mit einer Muschel verziert war. Ihre blonden Haare hatte sie mit einem schwarzen mit Samt überzogenen Haarreif davon abgehalten in ihr Gesicht zu fallen. Diesen hatte sie nur privat an, nicht aber in der Schule.

Auch Daisuke entschied sich dafür die Schuluniform abzulegen und in etwas Bequemeres zu schlüpfen.

Als dann endlich alle ihre Zimmer bezogen hatten und in bequemere Klamotten geschlüpft waren, war es Zeit gemeinsam im Speisesaal zu Mittag zu essen. Da das Küchenpersonal nicht viel Vorbereitungszeit hatte, um für alle im Haus etwas zu Essen zu kochen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als schnell eine paar Spaghetti Bolognese zu machen. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Simplizität waren alle komplett mit dem Essen zufrieden. Selbst Umeko, die weitaus exquisitere Kost gewohnt war, hatte die Speise sehr genossen. Für die meisten war es aber auch das die beste Mahlzeit, die sie seit langem zu sich genommen hatten, größtenteils weil das jeweilige Budget nur für Fertiggerichte reichte.

Mit gefülltem Magen machten sich alle noch einmal zusammen daran das Gelände ganz in Ruhe eingehend zu studieren. Vom Keller, in dem sich ein Fitnessraum befand, bis hin zum Dachgeschoss, an dem ein großer Balkon angebaut war, von dem aus man eine wunderbare Sicht über alles hatte, hatten sie alles untersucht. Immer wieder konnte man erkennen, dass viel Zeit und Arbeit in die Gestaltung nicht nur des Hauses, sondern des gesamten Grundstückes gesteckt wurden. Dabei fand jeder einen Ort, der wie für ihn geschaffen war.

Rei fand ihren Rückzugsort genauso wie Nobu ihm japanischen Steingarten mit einem Buch in der Hand. Dieser machte ein Viertel des gesamten Gartens aus. Hinter sich ein großer Stein, an den sie sich anlehnte, vor sich ein recht großer Teich mit einigen Fischen. Sie genoss vor allem die Stille, die nur vom Rauschen der Blätter oder dem Plätschern des kleinen Wasserfalls gestört wurde, was es für sie aber nur noch schöner machte. Denn so konnte sie alles um sich herum vergessen und teilweise ganz in die Welt des Buches eintauchen.

Daisuke machte sich den Trainingsraum im Keller zunutze, um auch weiterhin in Form bleiben zu können. Die meiste Zeit war er so für sich. Hin und wieder hatte er aber auch Gesellschaft. Doch das störte ihn nicht, ganz im Gegenteil, er freute sich jedes Mal darüber.

Nobu wiederum ruhte sich unter einem Baum aus, wenn er dort nicht gerade mit Rei Schach spielte oder mit Daisuke und Rei zusammen trainierte. Er genoss genau wie Rei die Stille, die dort herrschte, welche sich perfekt für ein Nickerchen eignete. Nachts konnte man von dort perfekt den wunderschönen Sternenhimmel, der sich nicht vom Smog der Stadt verdecken ließ, betrachten.

Auch wenn Umeko ein gutes Buch zu schätzen wusste, war ihr Alltag nicht mehr der gleiche, denn sie konnte keine großen Shoppingtouren mehr mit ihrer besten Freundin unternehmen. Das hatte sie zuvor fast täglich gemacht, auch wenn nur noch selten etwas auf einer dieser Touren gekauft wurde. Für gewöhnlich ging sie nämlich sowohl an freien Tagen wie auch nach der Schule gemeinsam mit Harui in die Stadt. Ihren besonderen Spaß fand sie immer wieder daran Harui Klamotten anprobieren zu lassen, die sie unter normalen Umständen niemals anziehen würde, da sie für sie zu freizügig wären. Also eigentlich ihrem eigenen Stil entsprachen. Umeko hatte einen für Japan allgemein eher auffälligen Kleidungsstil, der genau wie ihre Haarfarbe sehr an die westliche Welt erinnerte. Da das allerdings nicht mehr möglich war, musste sie einen neuen Weg finden, damit sie und Harui diese Tradition weiter aufrechterhalten konnten. Es fiel ihr nicht schwer etwas zu finden, denn anstatt sich durch die vollen Gänge einer Shoppingmal zu kämpfen, gingen sie nun ihre eigene Sammlung durch, die sogar mehr Auswahl hatte als so manch ein Modegeschäft.