Nowhere to hide - Michael Krausert - E-Book

Nowhere to hide E-Book

Michael Krausert

0,0

Beschreibung

Zwei Wochen nach dem Kampf in der Sternwarte ist die Reise noch immer nicht geschafft. Jeder Meter, den sie Tokio näher kommen, zählt. Denn noch immer bahnt sich das »Nichts« unaufhaltsam seinen Weg über den Globus. Doch auch weiterhin, ist das die schwarze Masse, nicht die einzige Gefahr. Denn Selbst nachdem sie ihre Verfolger besiegen konnten, verläuft die Reise alles andere als ruhig. Selbst Gott scheint ihnen inzwischen im Weg zu stehen. Immerhin nutzen ihre neuen Feinde, das Symbol des wohl bekanntesten kirchlichen Ritterordens, das Templerkreuz.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 363

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nowhere to hide

1. Auflage, erschienen 12-2022

Umschlaggestaltung: Romeon Verlag

Text: Michael Krausert

Layout: Romeon Verlag

ISBN: 978-3-96229-665-0

www.romeon-verlag.de

Copyright © Romeon Verlag, Jüchen

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Gewissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de/opac.htmabrufbar.

Michael Krausert

Nowhere to hide

INHALT

Kapitel 1 Jagen

Kapitel 2 Durst

Kapitel 3 Geschenke

Kapitel 4 Streit

Kapitel 5 Beziehungen

Kapitel 6 Fisch

Kapitel 7 Fremdes Haus

Kapitel 8 Boot

Kapitel 9 Krankheit

Kapitel 10 Korallenriff

Kapitel 11 Über die Planke

Kapitel 12 Land in Sicht

Kapitel 13 Hinterhalt

Kapitel 14 Feuerwache

Kapitel 15 Getrennt

Kapitel 16 Lügen

Kapitel 17 Erwischt

Kapitel 18 Verrückt

Kapitel 19 Alles offenbarender Anruf

Kapitel 20 Vorräte

Kapitel 21 Verschwunden

KAPITEL 1 JAGEN

»Ich bin am Verhungern.« Umekos Magen knurrte fast ununterbrochen.

»Das sind wir alle«, versuchte Nobu sie zu beschwichtigen. Schon seit zwei Tagen konnten sie nur noch morgens und abends etwas essen, doch selbst diese Rationen mussten kleiner ausfallen als sonst. Bis gestern hatten sie immerhin noch Proteinriegel, die sie zwischendurch essen konnten, doch Nobu hatte den letzten davon verspeist.

»Wir sind schon seit Tagen nicht mehr in einer größeren Stadt gewesen, wieso?« Nobu hatte vor einigen Tagen die Entscheidung getroffen größere Städte zu meiden, solange sie noch genug Essen hatten.

»Weil wir bei der letzten größeren Stadt noch genug zu essen übrighatten.« Er wollte Städten und damit eventuell verbundenen Konflikten aus dem Weg gehen. Nobu war nämlich der Meinung, dass je größer die Stadt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, mit anderen Gruppen zusammenzustoßen. Was zu Auseinandersetzungen führen könnte.

»Und wann kommt die nächste größere Stadt?« Sie hatten zwar kleinere Dörfer und Ähnliches durchquert. Doch der Erfolg war fast null. Es waren meistens nur kleinere Läden, die Lebensmittel verkauften. Diese waren aber immer schon geplündert worden, als Nobu und seine Freunde sie gefunden hatten. Deshalb hatten sie sich entschieden nur noch für größere Städte, in denen es wahrscheinlicher war, Essen zu finden, einen Abstecher zu machen. Ansonsten würden sie zu viel Zeit und Energie verlieren.

»Der Karte nach …« Nobu studierte noch einmal gründlich das verwirrende Stück Papier, es war immer eine Heidenarbeit sie auseinander- und wieder zusammenzufalten. »… sollte die nächste größere Stadt noch 3-Tages-Märsche entfernt.«

»Bis dahin sind wir doch längst verhungert.« Umeko beschwerte sich immer weiter.

»Sie hat Recht, hier in der Nähe muss es doch zumindest ein Dorf oder so was geben.« Nun begann auch Jinpei sich zu beschweren. »Ich meine, wir sind hier ja nicht im Regenwald oder so.«

»Wenn wir nicht bald was zu essen finden, gehen wir uns noch an die Gurgel«, dachte sich Nobu. Im Augenwinkel erkannte er, dass am Wegesrand Gänseblümchen, Haruis Lieblingsblumen, wuchsen. Er bückte sich und pflückte sich ein Bündel davon. Sowohl Rei als auch Daisuke wussten, was er plante. Daisuke ging auf die andere Seite des Weges und pflückte ebenfalls welche.

»Was macht ihr da?«, fragte Harui neugierig.

»Einen kleinen Snack zusammensammeln«, erklärte Rei ihr und den anderen.

»Aber sie pflücken doch nur Blumen.« Jinpei beäugte sie misstrauisch.

»Mein Vater hat mir mal gesagt, dass man Gänseblümchen essen kann.« Umeko erinnerte sich an einen Artikel über Blumen, als kleines Kind wollte sie ihr eigenes Parfum machen. Bis sie merkte, dass es nicht so einfach war, hatte sie schon einen ganzen Korb der unterschiedlichsten Blumen aus ihrem Garten gepflückt. Darunter auch ihre Lieblingsblumen, rote Rosen. Sie mag, dass sie sowohl schön als auch gefährlich sind. Am Ende fragte sie ihre Eltern, was sie mit den ganzen Blumen machen sollte, sie einfach wegzuwerfen kam ihr falsch vor. Ihr Vater griff sich daraufhin drei Gänseblümchen und biss rein, was Umeko mit offenem Mund enden ließ.

»Das stimmt zwar, doch sollte man immer darauf achten, wo man sie pflückt. Man sollte auf keinen Fall welche direkt neben der Straße oder in der Nähe eines Industriegebietes nehmen. Mit großer Wahrscheinlichkeit haben sie Schadstoffe in sich aufgenommen.«

»Hier ist es also ungefährlich, weil wir so tief im Wald sind«, schlussfolgerte Jinpei.

»Genau, allerdings sollte man auch davon nicht zu viel essen.« Nobu hatte ein richtiges Bündel in seiner Hand, als er wieder zu den anderen stieß.

»Richtig, in geringen Mengen sind sie völlig harmlos. In größeren jedoch sind sie giftig«, beendete Rei Nobus Satz. Auch wenn es Haruis’ Lieblingsblumen waren, war ihr dieser Fakt, wie auch der, dass sie essbar sind, völlig neu. Ihr gefiel nur, wie unauffällig sie aussahen.

Nobu und Daisuke händigten jedem ein halbes Dutzend Blumen aus, bevor sie völlig unvermittelt ihre eigenen verputzten. Während Harui und Jinpei nur unschlüssig zuschauten, hatte auch Rei ihre Blumen aufgegessen. Umeko schaffte es sie an ihren Mund zu führen, konnte sich aber nicht dazu überwinden sie zu essen. Trotz ihres großen Hungers schaffte sie es nicht die Blumen in ihrer Hand als etwas anderes als Blumen zu sehen.

»Wollt ihr eure Blumen nicht essen, sie machen zwar nicht satt, sind aber besser als nichts?« Daisuke schaute sie gespannt an.

»Ich kann mich nicht dazu durchringen«, gestand Harui ihm.

»Mehr als euch etwas anzubieten, kann ich nicht machen. Dann beschwert euch aber auch nicht über euren Hunger.« Nobu teilte ihnen die harte Wahrheit mit, woraufhin Jinpei nochmal auf die Blumen in seiner Hand schaute.

»Ich kann mich ja mal etwas genauer umschauen, kommt nicht selten vor, dass in Wäldern Beeren wachsen.« Daisuke verließ die Gruppe und machte sich auf die Suche nach Essbarem.

»Warte, ich komm mit.« Rei folgte ihm schnell auf dem unebenen Waldboden. Ihre ersten Schritte waren etwas beschleunigt, da sie versuchte ihm zu folgen. Wodurch sie sogar fast ihr Gleichgewicht verloren hätte.

Während die beiden sich durch das Dickicht bewegten, schlurfte der Rest der Gruppe weiter den Weg voran. Sie alle waren mittlerweile komplett verdreckt. Einzig Umeko achtete zumindest noch ein bisschen auf ihr Äußeres.

»Denkst du, dass die zwei was finden werden, nicht dass wir am Ende doch noch Gänseblümchen essen müssen, um nicht zu verhungern«, fragte Umeko ihre beste Freundin Harui. Sollte es wirklich um ihr Überleben gehen, könnte sie sich dazu schon irgendwie durchringen.

»Nobu vertraut ihnen und das sollten wir auch«, erwiderte Harui.

»Danke für das Vertrauen, aber ich kann leider für nichts garantieren.« Nobu klinkte sich in das Gespräch ein. »Wir können nichts anderes machen, als zu hoffen.«

Diese Hoffnung erreichte auch Daisuke und Rei und gab ihnen die nötige Kraft, um weiterzumachen.

»Bist du wirklich mitgekommen, um mir beim Suchen zu helfen?«, fragte Daisuke scherzhaft.

»Nicht wirklich«, antwortete sie schwach lächelnd. Sie wartete einen Augenblick, bevor sie seine leicht schwingende Hand ergriff. Er schaute zuerst auf die Hand, die seine umfasste, bevor er in ihr leicht dreckverschmiertes Gesicht schaute.

»Ist bei dir wirklich wieder alles in Ordnung?« Rei war auch weiterhin besorgt um ihn. Seit Ishikawas Tod lachte er bei weitem nicht so oft und herzhaft wie früher. Er ergriff nun auch ihre Hand und ihre Finger gingen ineinander über. Er war froh eine so fürsorgliche Freundin zu haben.

»Es geht einigermaßen.« Er näherte sich ihrem Gesicht, drückte seine rauen Lippen auf ihre vergleichsweise weichen und gab ihr einen Kuss. Als sie ihm ihrerseits einen Kuss geben wollte, drückte er sie weg.

»Warte mal kurz.« Er ließ ihre Hand los und ging an ihr vorbei.

»Was ist denn jetzt los?« Sie wollte eine gute Entschuldigung dafür, dass er diesen seltenen Moment der Zweisamkeit zerstört hatte. Obwohl sie jetzt schon über drei Wochen zusammen waren, hatten sie ihren Freunden noch nichts davon erzählt. Sie wussten selbst nicht wieso. Dadurch, dass sie es besonders in den ersten Tagen verheimlicht hatten, fanden sie bisher nicht den richtigen Zeitpunkt, um es ihnen mitzuteilen.Weshalb sie auch weiterhin nur im Verborgenen Zärtlichkeiten austauschen konnten. Daisuke ging auf ein paar kahle Büsche zu. »Bist du schon so dehydriert, dass du anfängst zu halluzinieren«, ergänzte sie etwas besorgt.

»Nein, komm mal her und schau es dir aus der Nähe an.« Seine Aufmerksamkeit galt nicht den Büschen im Vordergrund, sondern dem, was dahinter wuchs. Rei näherte sich ihm und schaute ebenfalls über die kahlen Büsche hinweg und sah dabei zwei vollgepackte Büsche mit reifen, wildwachsenden japanischen Weinbeeren.

»Oh mein Gott!« Aus Freude über den Fund schlang sie ihre Arme um seinen Hals und umarmte ihn. Dieser erwiderte die Umarmung mit vollen Kräften und konnte ihre Brüste auf seiner Brust spüren, was ihn leicht erröten ließ. Am liebsten hätte er sie noch länger umarmt, doch mussten sie mit ihrer Beute zu ihren Freunden zurück. Sie pflückten jede einzelne Beere und taten sie in einen Jutebeutel. Zusammen mit drei anderen hatten sie ihn in einem bereits geplünderten Laden gefunden und direkt mitgenommen. Leider war der Beutel, selbst als die Büsche kahlgepflückt waren, nur bis zu Hälfte gefüllt. Dafür hatten sie jetzt einige Kratzer an den Armen.

»Schaut mal, was wir gefunden haben.« Die beiden Turteltäubchen waren mit ihrer Beute zum Pfad zurückgekehrt. Bei dem Blick auf den Beutel riss die Gruppe ihre Augen weit auf. »Ist zwar nicht viel, aber für den Anfang nicht schlecht«, sagte Daisuke stolz.

»Jeder nimmt sich erstmal eine Handvoll von den Beeren.« Nobu hatte Pläne für die Beeren, doch wollte nicht, dass die anderen noch weiter hungern mussten. Nobu und Daisuke schlugen ein, während die Mädchen alle Rei und Daisuke umarmten. Alle schlangen sie die Beeren herunter, als wäre es ein Gericht eines 3-Sterne-Kochs. Die Beute reichte aus, damit jeder zwei Hände voll davon verspeisen konnte und trotzdem noch etwas übrigblieb.

»Du siehst aus, als hättest du versucht Lippenstift aufzutragen, und wärst dabei ordentlich gescheitert.« Reis Lippen wie auch der Bereich drum herum waren mit dem dunkelroten Saft der Beeren bedeckt.

»Du siehst auch nicht viel besser aus.« Umekos fuhr sich mit den Fingern über die Lippen und hatte jetzt noch mehr Saft an der Hand. Alle lachten, bevor sie ihre Lippen und Finger ableckte. Denn alle sahen genauso aus wie Rei und Umeko.

»Was machen wir mit den restlichen Beeren?«, fragte Daisuke seinen besten Freund. »Sollen wir die auch untereinander aufteilen?«

»Nein, damit habe ich andere Pläne«, erwiderte er mit einem breiten Grinsen, als er den ausgetretenen Saft von seinen Fingern leckte.

»Und welche?« Rei, die ebenfalls bei der Ernte geholfen hatte, besaß trotz des kleinen Snacks noch nicht wieder genug Energie, um richtig nachdenken zu können.

»Ich will damit heute Abend versuchen ein Reh oder so anzulocken und zu erlegen.« Er war davon überzeugt, dass sein Plan funktionieren würde. »Immerhin trauen sich die Tiere inzwischen näher an Städte und auch an Menschen. Durch unsere fehlende Präsenz lässt ihre Angst vor uns langsam, aber sicher nach.«

»Und was ist, wenn die auch schon längst das Weite gesucht haben?« Jinpei, der den Plan mit angehört hatte, gab seine Bedenken preis.

»Wäre das hier ein Erdbeben, würde ich dir Recht geben, aber auch die Tiere können nicht spüren, dass sich das ›Nichts‹ nähert. Bester Beweis sind die Vögel.« Er schaute hinauf in die Baumkronen, in denen die Vögel noch immer fröhlich vor sich her zwitscherten.

»Ich hoffe mal, du hast recht.« Jinpei blieb skeptisch, er hätte lieber noch eine Handvoll Beeren gegessen, anstatt sich darauf zu verlassen, dass sie es vielleicht schaffen ein Reh anzulocken und zu erlegen.

Die Sonne verschwand langsam hinterm Horizont, was symbolisierte, dass es Zeit wurde ein Lager aufzuschlagen. Ein gutes Stück davon entfernt, legte Nobu die verbliebenen Weinbeeren aus. An diesem Abend war ihr Lager ein bisschen höher gelegen, was es ihnen ermöglichte trotz der großen Entfernung die Falle, welche weiter unten ausgelegt war, noch gut im Blick zu behalten. Das erste Mal seit Ishikawas Tod sollten die Jagdgewehre wieder zum Einsatz kommen, diesmal sogar für ihren vorherbestimmten Zweck, die Jagd. Das Abendessen musste so wie die letzten Tage auch sehr klein ausfallen, es reichte noch nicht mal, um den Hunger zu lindern. Außerdem wurde das Feuer an diesem Abend kleingehalten, um keine Tiere in unmittelbarer Umgebung abzuschrecken.

»Müssen wir wirklich ein Reh töten?« Obwohl Jinpei Fleischesser war, hatte er während der Nachtwache Bedenken. In dieser Nacht musste einer der beiden nicht das Camp, sondern die Falle im Auge behalten. In der ersten Schicht übernahm Daisuke diesen Job. Durch das Zielfernrohr des Jagdgewehrs hatte er die Stelle, an der Nobu die Beeren ausgelegt und mit einem Stein zerdrückt hatte, gut im Blick. Durch das Zerdrücken wurden die Duftstoffe freigesetzt, wodurch die Tiere es auch aus einer größeren Entfernung noch riechen konnten.

»Wenn du lieber verhungern willst, musst du ja nicht mitessen. Aber ich habe kein Problem damit.« Wenn sich ein Tier den Beeren nähern würde, hätte Daisuke sofort schießen können. »Aber ich kann dich schon verstehen, es ist etwas anderes einfach zum Metzger zu gehen und sich da Fleisch zu holen.« Zu Daisukes Glück hatte es die letzten zwei Tage nicht geregnet, wodurch das Laub unter ihm nicht nass war. Trotzdem wurde sein Bauch immer kühler, weshalb er Jinpei bat ihm seinen Schlafsack zu holen.

»Da hast du vermutlich Recht. Trotzdem bewundere ich, wie ruhig du dabei bleiben kannst.« Jinpei hatte an diesem Abend schon Probleme damit ruhig sitzen zu bleiben, wenn er daran dachte ein unschuldiges Tier umzubringen.

»So kalt das jetzt vielleicht klingen mag, aber sobald du einmal bei einem Menschen abgedrückt hast, ist es gar kein Problem mehr bei einem Tier zu schießen. Besonders dann, wenn man kurz vorm Verhungern ist,«, erklärte Daisuke ihm sachlich

»Trotzdem ist es ein Unterschied, ob man jemanden erschießt, der versucht einen umzubringen, oder ein unschuldiges Tier.«

»Solange es kein unschuldiger Mensch ist, außerdem hat Nobu es doch bereits gesagt, jeder muss bereit sein abzudrücken, wenn es notwendig wird. Das hier ist genau so eine Situation.« Daisuke versuchte ihm zu erklären, dass es manchmal nicht anders geht als zu töten, weil man sonst selbst getötet werden würde, sah jedoch keine große Hoffnung. »Eigentlich ist deine Einstellung gar nicht so falsch. Nur die wenigsten werden dasselbe durchmachen wie wir«, dachte er sich. »Du isst doch auch Fleisch oder nicht?«, er versuchte es weiter.

»Ja schon, aber das ist doch was anderes. Wir mussten unser Essen noch nie selbst jagen.«

»Jemand, der nicht bereit ist sein Essen notfalls selbst zu töten, sollte lieber Vegetarier werden.« Diese Sichtweise hatte er von Ishikawa. Besonders in Zeiten wie diesen fand er sie passend.

»Die Tiere, die wir normal essen, werden dafür gezüchtet, um gegessen zu werden, doch das hier ist was völlig anderes. Diese Tiere würden sonst noch leben.« Jinpei versuchte weiterhin seine Ansichten zu vertreten, da er gleichzeitig aber auch derselben Meinung wie Daisuke sein wollte, gab er ein bisschen nach.

»Ich sehe schon, es ist nicht einfach dich davon zu überzeugen. Na gut, solange du nicht weiter meckerst, werde ich es töten, ohne dass du es sehen musst. Und wenn du willst, kannst du dich auch weigern es zu essen. Bleibt mehr für mich und den Rest.« Die Aussichten auf mehr Essen ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

»Nein, da ist mein Hunger dann doch zu groß.« Mit einem kleinen erzwungenen Lächeln antwortete er. Daisuke konnte nur den Kopf schütteln, gab es aber auf, ihn von seiner Meinung zu überzeugen.

Zu Jinpeis Glück kam während ihrer Schicht kein Tier vorbei. Während Daisuke die Falle im Auge behielt, weckte Jinpei seine Schwester und Nobu auf. Nobu ging mit seinem Gewehr in der Hand auf Daisuke zu und legte sich neben ihn in das trockene Gras gemischt mit heruntergefallenen Blättern und Ästen, das Gemisch fing schwach zu knacken an, unter seinem Gewicht. Als Nobu sich endlich ausgerichtet hatte, wünschte Daisuke ihm noch schnell eine gute Nacht, ehe er mit seinem Schlafsack zu seinen Sachen kroch und sich eine verdiente Mütze Schlaf abholte.

Harui kauerte sich neben Nobu und behielt ebenfalls alles im Auge. Nachdem die Schicht schon fast zur Hälfte vorbei war, fragte Nobu: »Soll ich dir mal beibringen, wie das mit dem Schießen funktioniert?«

»Ich weiß nicht«, antwortete sie verunsichert. Harui war zwar interessiert, gleichzeitig hatte sie aber auch Angst davor, selbst abdrücken zu müssen.

»Es ist besser es zu können und dann niemals abdrücken zu müssen als andersrum.« Nobu versprach sein Bestes zu tun.

»Okay, ich werde versuchen alles zu verstehen.«

»Gut dann leg dich da hin.« Sie legte sich neben ihn auf den Waldboden, an dieselbe Stelle, an der Daisuke zuvor gewesen war. Er reichte ihr das Gewehr rüber.

»Keine Sorge, es ist gesichert, es kann also nichts passieren.« Sie nahm sich das Gewehr und versuchte es genauso zu halten, wie sie es bei Nobu gesehen hatte.

Sie schreckte zusammen, als sie plötzlich die Wärme eines anderen Körpers spürte. Früher hätte sie aufgrund des Schweißgeruchs die Nase gerümpft, doch inzwischen waren alle an den Gestank gewöhnt.

»Du musst versuchen deinen Herzschlag zu beruhigen.« Nobu lag mit seinem Körper halb auf Harui und umfasste ihre Hände mit den seinen. Ihre Herzfrequenz wurde immer höher, und der Junge, der auf ihr lag, konnte ihren Herzschlag spüren.

»Solange du noch auf mir liegst, wird mein Puls so hoch bleiben.« Seitdem sie ihm ihre Liebe gestanden hatte, war es ihr nicht mehr so peinlich, ihre Gefühle für ihn zu zeigen.

»Da musst du jetzt durch, so kann ich dir am besten zeigen, wie du das Gewehr halten und dich hinlegen musst.«

»Ich versuch’s.« Ein bisschen genoss sie die Situation sogar. So nah wie in diesem Moment waren sie sich noch nie gekommen.

»Dann lass uns mal beginnen. Fang damit an durch das Zielfernrohr zu schauen und die Stelle mit den Beeren zu suchen.« Nobu half ihr dabei den Griff des Gewehres mit der einen Hand zu greifen, während die andere Hand vorne für die Stabilität sorgen musste. Während allem schaffte er es noch immer die Stelle, an der er wenige Stunden zuvor die Beeren ablegte, nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn er sie mit bloßem Auge nur schlecht sehen konnte, hätte er erkannt, wenn sich ein Tier nähern würde.

»Musst du das machen?« Mit hoher Stimme drehte sie sich um und flüsterte ihm zu, als er seine Hände gerade an ihrem Oberschenkel hatte, um auch ihre restliche Haltung zu korrigieren.

»Ja muss ich, also dreh dich wieder nach vorne«, flüsterte er zurück.

»Nobu.« Mit Aufregung in der Stimme hauchte sie ihm aufgeregt entgegen.

»Wenn du mal etwas gelassener bist, wäre ich schneller fertig.«

»Nein, das mein ich nicht, schau mal.« Nun drehte er sich um und lag wieder halb auf ihr, um durch das Fernrohr sehen zu können. Ein Reh war gerade dabei, zusammen mit seinem Jungen nach den verstreuten Weinbeeren zu schnuppern.

»Okay, jetzt ganz ruhig, ich behalt sie im Auge.« Er riss das Gewehr an sich und legte an. Schnell hatte er das Reh im Visier. »Hol bitte Daisuke und sag ihm, dass er sein Gewehr mitnehmen muss.« Harui schlich sich zu Daisuke und als sie ihn wachrütteln wollte, schnappte seine Hand nach ihrem Unterarm.

»Ganz ruhig, ich bin’s nur«, sagte Harui aufgeregt.

»Was ist denn, hat ein Reh angebissen?«, fragte Daisuke sie im Halbschlaf.

»Eine Mutter und ihr Junges.« Daisuke war freudig überrascht. Mit seinem Gewehr unterm Arm und in Unterhose wand er sich aus dem Schlafsack, raus in die kühle Nacht. Er nahm rechts neben Nobu, dort wo zuvor Harui gelegen hatte, Platz.

»Sind sie noch da?«

»Ja, sie haben die Beeren inzwischen entdeckt und angefangen zu essen«, informierte er ihn.

»Das ist gut.«

»Dai, du übernimmst das große Tier, wir das kleine.« Nobu wollte, dass Harui abdrückt, aber die Mutter auf jeden Fall erwischen, dann hätten sie, selbst wenn Harui danebenschoss, gute Beute gemacht. Im Umkehrschluss hatte Harui damit das kleinere Ziel. Allerdings blieb ihm nichts anderes übrig, wenn er ihr das Schießen beibringen wollte. Sie hatten nicht genug Munition für ein anständiges Schießtraining. Wären die Rehe nicht ihre nächste Mahlzeit gewesen, hätte auch Daisuke jemand anderen schießen lassen – Rei. In den letzten zwei Wochen hatte er ihr einiges über das Schießen beigebracht. Seiner Meinung nach könnte sie ein Naturtalent sein. Er hatte bisher aber nicht die Möglichkeit seine These zu bestätigen.

»Alles klar.« Daisuke legte an und wartete nur auf das Kommando von Nobu. Harui zielte derweil mit Hilfe auf das Rehkitz und ging mit dem Zeigefinger an den Abzug der Waffe, die von Nobu bereits entsichert wurde, als er auf Daisuke gewartet hatte.

»Okay, auf mein Kommando.« Er schaute erneut durch das Fernrohr und wartete noch kurz, bevor er »Jetzt« flüsterte und beide abdrückten, auch wenn Harui ein wenig verzögert schoss.

Wie Donnergrollen ertönten die Schüsse in der Stille des Waldes. Die Vögel, die bis jetzt ruhig in ihren Nestern schlummerten, schreckten auf und erhoben sich in einem riesigen Schwarm gen Himmel. Daisukes Schuss war, wenig verwunderlich, direkt tödlich.

Harui hatte das Tier nur schwer verletzt und, jetzt, da es sich am Boden vor Schmerzen wand, Angst erneut abzudrücken. Weswegen Nobu Daisuke zuflüsterte, dass er es beenden sollte, damit das Tier nicht zu leiden brauchte. Ein weiterer Schuss und es war erledigt.

»Tut mir leid.« Harui entschuldigte sich dafür, dass sie nicht richtig traf.

»Das macht nichts, es war ja immerhin das erste Mal, dass du geschossen hast. Dafür sogar echt gut.« Nobu tröstete sie.

»Glückstreffer«, brachte Harui gerade so hervor.

»Dann hoffe ich, dass dein Glück dich niemals verlässt.« Daisuke stand auf und ging zu seinem Rucksack. Er zog sich schnell etwas an, zuvor hatte er zu große Eile und es vergessen. Außerdem zog er sein Messer, das an seinem Gürtel hing, aus der Scheide.

»Wir sollten uns beeilen, bevor der Geruch von Blut noch irgendwelche Raubtiere oder anderes Ungeziefer anlockt.«

Harui versuchte ebenfalls aufzustehen, sackte aber wieder zusammen, weshalb Nobu sie packte und festhielt.

»Du solltest warten, den Rückstoß muss man erstmal verarbeiten.« Zusammen mit ihr sackte er zusammen und nahm sie in den Arm. Sie erwiderte seine Umarmung und blieb eine Weile in dieser Position knien.

»Fang du schon mal an, ich komm mit den anderen dann nach«, bat Nobu Daisuke, der noch immer hinter ihm wartete.

»Du musst mir nur beim Tragen helfen, da brauchen wir die anderen nicht.« Er wollte die beiden nicht hetzen und ihnen diesen gemeinsamen Moment gönnen.

»Okay, ich komm gleich nach.«

»Bis gleich.«

Nobu wartete noch ein bisschen, bevor er sie fragte: »Kannst du wieder aufstehen?«

»J-ja« Sie versuchte langsam wieder aufzustehen. »Daisuke wartet bestimmt schon auf dich«, sagte sie ihm, als sie wieder stand.

»Ja, weck bitte in der Zwischenzeit den Rest auf«, bat er Harui, die mit einem Nicken bestätigte.

»Was ist denn los, habt ihr was erwischt?« Umeko, wie auch die anderen, waren bereits von den Schüssen geweckt worden. Umeko hatte sich am schnellsten angezogen, was vor allem daran lag, dass sie bis auf ihre Stiefeletten nie etwas auszog und diese dank des Reißverschlusses schnell anziehen konnte.

»Wir haben zwei Tiere erwischt, Nobu und Daisuke holen sie jetzt her«, setzte Harui die anderen ins Bild.

»Das ist doch super, dann können wir endlich mal wieder was Ordentliches essen.« Rei war mittlerweile hellwach und dabei sich auf ihrem Schlafsack anzuziehen. Seitdem sie nicht mehr verfolgt wurden, trug sie beim Schlafen nur eine Unterhose und ein T-Shirt.

Nobu ging derweil mit gezücktem Messer auf die Stelle zu, an der Daisuke bereits auf ihn wartete. Die Äste unter seinen Füßen gaben knackend nach, während ihn das Rauschen der Blätter im Wind beruhigte. Da er sich nicht anschlich, konnte Daisuke ihn schon von weitem hören.

»Also wenn hier noch Tiere in der Nähe waren, sind sie spätestens jetzt weg«, scherzte Daisuke.

Nobu konterte mit: »Und was ist mit dir, ich dachte, du wolltest schon mal anfangen, das Tier auszunehmen.«

»Ich habe mir gedacht, dass wir es lieber vor den anderen machen sollen, damit sie sich daran gewöhnen und es vielleicht sogar selbst machen können. Vor allem Jinpei würde ich das Ganze gerne mal näherbringen.« Während sich Daisuke das erwachsene Reh über die Schultern warf, nahm Nobu das Rehkitz. Sie nahmen denselben Weg, den sie gekommen waren, zurück zum Lager. Sie warfen die beiden Tiere völlig entkräftet auf den Boden vor ihren Freunden.

»Was machen wir jetzt mit den Tieren«, fragte Umeko neugierig.

»Wir müssen sie häuten und ausnehmen.« Bei dem Gedanken schauten alle, außer Rei, angeekelt auf die beiden Tiere am Boden. Daisuke wusste zwar viel darüber, doch hatte es selbst noch nie gemacht. Er nahm das Messer in die Hand und setzte seinen ersten Schnitt. In dieser Schnittwunde ging er dann weiter voran und versuchte das Fell von innen zu lösen. Es war anstrengender, als er es sich vorgestellt hatte. Die anderen schauten nur angeekelt zu, Rei und Nobu konnten es aushalten, doch der Rest musste einen Brechreiz unterdrücken. Der Geruch der Eingeweide machte es nicht leichter, dieses Gefühl zu unterbinden. Doch auch Daisuke war nicht ganz wohl dabei, konnte es allerdings durchziehen. Das flackernde Licht des noch schwachen Feuers erschwerte das Ganze noch einmal. Nobu legte zum Glück schon Holz nach, auch damit sie das Fleisch danach grillen konnten.

»Schaut hin, wir müssen das zur Not noch öfter machen und ihr solltet dann nicht alles, was ihr noch an Essen im Magen habt, erbrechen.« Nobu wollte alle abstumpfen.

KAPITEL 2 DURST

Nachdem sie sahen, wie Daisuke die Innereien der Tiere in Händen hielt, hatten die aus dem 2ten Jahr kurz keinen Appetit mehr. Dennoch sammelten sie alle eifrig Brennholz, um das Feuer für die Zubereitung des Fleisches wieder ordentlich anzufachen. Schnell brannte das Feuer wieder lichterloh. Das Fleisch wurde währenddessen in kleine gut zubereitbare Stücke von den Knochen gelöst. Das zarte, rosa Fleisch wurde auf mehreren angespitzten Ästen im Kreis um die Feuerstelle aufgespießt, um es zu grillen.

Der fehlende Appetit wurde wieder erweckt, als der Fleischsaft austrat und ins Feuer tropfte, wobei es in kleinen Wölkchen zischend verdampfte. Das Wasser lief ihnen bereits im Munde zusammen und sie konnten es kaum noch erwarten das Fleisch endlich vom Feuer zu nehmen. Derweil wurden die Pappteller vorbereitet. Vor einigen Tagen hatten sie nochmal eine ganze Menge davon gefunden.

»Das riecht ja schon richtig gut, ich kann es kaum erwarten, was zu essen.« Rei starrte bereits eine Weile einen der Stöcke an.

»Nachdem ich gesehen hab, wie Fleisch gewonnen wird, ist mir der Hunger ein bisschen vergangen, dir etwa nicht?« Umeko, die so etwas noch nie erlebt hatte, wollte zwar auch etwas essen, doch sie freute sich nicht mehr so darauf wie davor. Selbst das allmorgendliche Yoga ließ sie ausfallen. Seit dem Kampf in der Sternwarte hatte Umeko wieder angefangen jeden Morgen, trotz ihres straffen Zeitplans, 10–15 Minuten Yoga zu machen. Jeden Tag merkte sie, wie es ihr Stück für Stück besser ging.

»Ich habe schon oft Kadaver gesehen, wenn ich mit meinem Vater unterwegs war.« Ihre Mutter war zwar immer dagegen, doch als sie sah, wie viel Spaß es Rei machte, Zeit mit ihrem Vater zu verbringen, konnte sie nichts dagegen sagen. Das Einzige, das ihr Mann ihr versprechen musste, war, dass Rei nichts passieren würde.

Jeder bekam in etwa die gleiche Menge an dem saftigen Fleisch. Nach ein paarmal Pusten biss Nobu auch schon in das warme Fleisch. Vor Freude fingen seine Geschmacksknospen an zu tanzen. Das Fleisch war kein Vergleich zu den paar Beeren und der Nudelsuppe vom Vortag. Wenn man das Rehfleisch mit anderen Sachen streckte, reichte es für mehrere Mahlzeiten. Die nächste Portion sollte es aber erst wieder am Abend geben.

»Fleisch hat noch nie so gut geschmeckt.« Alle pflichteten Umeko zu.

Die Sonne hatte es inzwischen auch geschafft, sich einen Weg durch die Bäume zu bahnen, der Morgen war angebrochen.

»Fürs Erste haben wir noch genug zu essen, doch wir brauchen immer noch Wasser. Unsere Flaschen sind fast komplett leer. Wenn also jemand einen Bach findet, sofort Bescheid geben, damit wir alle Flaschen wieder auffüllen können«, bat Nobu.

»Du willst also, dass wir uns aufteilen?« Daisuke fand die Idee gar nicht so schlecht.

»So hatte ich es mir gedacht. Wie wollen wir die Teams aufteilen?« Nobu schaute vor allem Rei und Daisuke an.

»Warum nehmen wir nicht einfach die Zweierteams der Nachtwache«, schlug Harui vor.

»Dann wäre das ja geklärt. Jetzt müssen wir nur noch die restlichen Reserven an Trinkwasser untereinander aufteilen.« Nobu wusste, dass Rei und Daisuke bestimmt etwas gegen die Teameinteilung hatten, weshalb er sich schon einen Weg überlegte, wie er die beiden in ein Team bringen konnte, ohne ihre Beziehung zu offenbaren. Währenddessen wurden alle Flaschen, ob leer oder voll, herausgeholt und unter allen aufgeteilt. Jeder sollte dieselbe Menge an vollen und leeren Flaschen haben. Am Ende blieb für jedes Team etwa zwei Liter zum Trinken übrig und je fünf leere Flaschen.

Rei und Daisuke waren schon dabei sich damit abzufinden sich erstmal nicht mehr zu sehen, als Nobu reagierte.

»Wie wäre es, wenn Umeko und Jinpei ein Team bilden?«, schlug er auf einmal vor.

»Wieso das denn?«, fragte Umeko überrascht.

»Ihr beide solltet auch mal ein bisschen was über das Orientieren in der Natur lernen und wenn immer Rei oder Daisuke dabei sind, folgt ihr ihnen einfach nur und konzentriert euch gar nicht darauf einen Weg zu finden.« Diesen Grund hatte er sich zwar gerade erst ausgedacht, doch er klang nicht nur für ihn plausibel.

»Aber was ist, wenn wir uns verirren?«, gab Jinpei berechtigterweise zu bedenken.

»Wir werden ein Handy pro Team anschalten; solltet ihr euch wirklich verlaufen, ruft einfach Dai oder mich an.«

»Und was, wenn wir keinen Empfang haben?«

»Auch wenn es in Filmen immer so aussieht, hat man mit etwas Glück im Wald durchaus Empfang, zumindest, solange man nicht zu weit von der nächsten Stadt oder dem nächsten Dorf entfernt ist.«

»Außerdem habe ich dir einiges beigebracht in den letzten Tagen, du solltest dich also ganz gut zurechtfinden.« Daisuke wusste genau, dass Jinpei sich ihm beweisen wollte, darum war das genau der Ansporn, den er gebraucht hatte. Danach kam Daisuke zu Nobu und flüsterte ihm ein fröhliches »Danke« zu, dieser gab nur ein »Bitte« zurück. Zuletzt ging er noch zu Jinpei und gab ihm den Rat die Zeit zu zweit mit Umeko zu nutzen, um ihr etwas näherzukommen.

»Denkst du, es war wirklich nur, damit wir beide etwas Selbstständigkeit lernen?«, fragte Umeko mit leicht schwingender Stimme.

»Was sollte es denn sonst sein, denkst du, er will uns loswerden?« Jinpei verstand nicht, worauf sie hinauswollte, und schaute sie fragend an.

»Das mein ich doch nicht«, antwortete sie genervt. »Du bemerkst aber auch wirklich gar nichts, oder«, fuhr sie ihren Begleiter an, während sie stehen blieb und ihre Arme vor der Brust verschränkte.

»Was meinst du dann?« Jinpei blieb ein paar Schritte vor ihr stehen, als er merkte, dass auch sie stehen geblieben war. Er fragte sich ernsthaft, wovon sie sprach, als ihm Daisukes Worte wieder ins Gedächtnis kamen. Doch so wie es aussah, würden sie sich danach nicht unbedingt besser verstehen.

»Ich rede von Rei und Daisuke. Dass zwischen den beiden was läuft, erkennt doch wohl jeder.«

»Was, meinst du das ernst?« Er war ehrlich überrascht davon zu hören.

»Manchmal frage ich mich wirklich, wie jemand so wenig auf seine Mitmenschen achten kann. Du würdest es vermutlich selbst dann nicht merken, wenn sie direkt vor deinen Augen rummachen würden, oder?« Sie konnte nicht verstehen, wie jemand so blind für andere Menschen sein konnte.

»Was willst du denn damit schon wieder sagen?« Er verstand Umeko einfach nicht, manchmal war sie die liebste Person der Welt, auch wenn sie ihn ein bisschen triezte, doch dann wird sie urplötzlich wütend. Außerdem stimmte es nicht ganz, wenn es etwas mit Umeko zu tun hatte, hätte er es gemerkt. Aber das würde er ihr bestimmt nicht sagen.

»Ich will damit sagen, dass du dich mehr für deine Mitmenschen interessieren solltest«, fuhr sie ihn weiterhin an.

»Ich schätze eben ihre Privatsphäre.« Jinpei versuchte sich zu verteidigen, jedoch ohne Erfolg.

»Das ist ja auch schön und gut, du sollst sie ja auch nicht direkt stalken, sondern einfach ein bisschen aufmerksamer durch die Welt gehen.« Sie konnte nur seufzen.

»Und wie lange, denkst du, geht das Ganze jetzt schon?«

»Ich glaube, seitdem wir damals in der Wohnung von Ishikawa waren und er mich zusammengeflickt hat. Da scheint es zwischen den beiden irgendwie gefunkt zu haben. Es ist wirklich unfassbar, dass es dir nicht aufgefallen ist. Du bist vermutlich der Einzige, der es nicht gemerkt hat.« Langsam beruhigte sie sich wieder.

»Ich bin mir sicher, dass meine Schwester es auch nicht gemerkt hat.« Jinpei versuchte irgendwie die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, mit Erfolg so wie es schien.

»Die hat aber auch andere Sorgen, als sich um die Beziehung anderer zu kümmern. Sie muss sich immerhin um ihre eigene kümmern.«

»Was, seit wann hat sie denn eine Beziehung?« Jinpei dachte, er hätte schon wieder was verpasst, und machte große Augen.

»Sie hat keine Beziehung, aber sie hat Nobu ihre Gefühle gestanden.«

»Gut, ich dachte schon, ich hätte wieder etwas nicht mitbekommen.« Er dachte kurz über das nach, was Umeko gesagt hatte. »Moment, sagtest du gerade, sie habe ihm ihre Gefühle gestanden?« Er war sich nicht sicher, ob er es wirklich richtig verstanden hatte.

»Hörst du mir überhaupt zu?« Wieder wurde sie sauer. »Genau das habe ich doch gerade gesagt. Kein Wunder, dass sie es dir nicht gesagt hat, dir fällt auch wirklich gar nichts auf.« Umeko wunderte es, wie wenig Jinpei von den anderen mitbekommen konnte, obwohl sie schon seit über zwei Wochen zusammen unterwegs waren.

»Mir ist aufgefallen, dass meine Schwester Gefühle für ihn hat, aber ich wusste nicht, dass sie bereits so weit gegangen war.«

»Ich auch nicht, in letzter Zeit hat sie sich geändert, sie ist mutiger geworden. Vielleicht hatte das ja was mit unserem Gespräch damals zu tun.«

»Was denn jetzt schon wieder für ein Gespräch?«

»Hmm, ach vergiss am besten, dass ich das gesagt habe.«

Sie redete von dem Gespräch im großen Bad am letzten Abend bei sich zu Hause, dass die drei Mädchen für sich behalten wollten.

»Na gut, wenn du es sagst.« Er wollte keinen Streit vom Zaun brechen, hätte aber schon gerne gewusst, wovon sie sprach.

»Und genau deswegen kriegst du auch nichts mit.« Umeko war noch nicht fertig mit ihm.

»Was, was habe ich den jetzt schon wieder falsch gemacht?«

»Du gibst einfach zu schnell auf. Jeder andere wäre jetzt viel zu neugierig, um das Gespräch jetzt zu beenden. Normalerweise würde man jetzt nachbohren.« Sie fuhr ihn wieder an und pikste mit ihrem Zeigefinger in seine Brust.

»Würdest du mir denn sagen, worum es ging?« Er rieb sich die Stelle, Umeko schnitt und feilte ihre Nägel noch immer. Sie achtete aber immer darauf, dass sie noch über die Fingerkuppe reichten, wodurch ein Pikser damit nicht gerade harmlos war. Überhaupt war Umeko die, die aus reiner Gewohnheit noch am meisten auf ihr Aussehen achtete.

»Nein, aber es geht ums Prinzip, ein- oder zweimal nachfragen ist nicht schlimm. Komm jetzt aber nicht auf die Idee nachzufragen, ich werde es dir nämlich nicht sagen.« Sie erwartete, dass er direkt nachfragen würde, hatte aber keine Lust darauf.

»Aber …« Jinpei gab auf. »Na gut, ich versuche mehr auf meine Mitmenschen zu achten.«

»Das will ich hören und jetzt lass uns als Erstes eine Wasserquelle finden.« Nachdem sie endlich mal Dampf ablassen konnte, war sie Feuer und Flamme einen Fluss zu finden. Jinpei wirkte in diesem Moment eher wie ein Schoßhündchen, das nicht widersprechen konnte, geschweige denn wollte.

»Was ist eigentlich mit deiner Wunde, tut sie noch weh?«

»Ähm.« Fast schon reflexartig schob Umeko ihre rechte Hand unter ihren Rucksack und fasste auf die Wunde. »Sie tut ab und zu noch weh. Ist aber normal, hat Rei mir gesagt. Deshalb habe ich schon ’ne Weile nicht mehr nachgeschaut. Aber das kann ich ja sowieso nicht, also selbst hinschauen.« Ihr Mund formte ein schmerzliches Lächeln. Es tat ihr sichtlich weh, an die Wunde erinnert zu werden. »Dafür bin ich nicht gelenkig genug.« Weil sie niemandem eine Last sein wollte, versuchte sie das ganze Thema mit Humor runterzuspielen.

Dennoch, auch wenn sie nicht gelenkig genug gewesen wäre, um ihren eigenen Rücken anzuschauen, war sie dadurch, dass sie früher täglich Yoga gemacht hatte, doch sehr beweglich gewesen. Und auch wenn es von Tag zu Tag wieder besser wurde, war sie noch lange nicht so gelenkig wie damals. Dadurch, dass ihre Narbe jedes Mal zu ziehen begann, wenn sie versuchte sich zu dehnen, machte sie nur kleine Fortschritte.

»Oh, okay, dann ist es ja gut.« Jinpei war wirklich erleichtert das zu hören.

Plötzlich hatte sie eine Idee. »Aber du kannst ja mal nachsehen.« So freundlich wie jetzt hatte ihre Stimme den ganzen Tag noch nicht geklungen.

»Ähm, also ich weiß nicht, ob ich das sollte.« Jinpei traute sich nicht.

»Jetzt schau einfach nach, oder willst du mir sagen, dass du dich sogar vor einem nackten Rücken scheust?« Sie wollte ihn damit aufziehen.

»Also, an sich schon, ja.« Jinpei war dieser Satz ziemlich peinlich.

»Du willst mir doch nicht ernsthaft sagen, dass du noch nie ein Mädchen gesehen hast, das freizügig herumgelaufen ist?« Allein bei dem Gedanken wurde er rot im Gesicht. Umeko konnte nicht fassen, was gerade passiert war. Ihr war bekannt, dass die meisten Japaner sehr verklemmt waren, was Freizügigkeit anging, doch das schlug dem Fass den Boden aus. Sie jedoch fand es noch nie schlimm etwas Haut zu zeigen. »Ist das wirklich dein Ernst?« Vorsichtig nickte Jinpei zustimmend.

»Dann musst du es auf jeden Fall tun.« Sie legte noch schnell ihren Rucksack auf den Boden, bevor sie mit dem Rücken zu ihm stehen blieb und auf ihn wartete.

»Willst du nicht wenigsten dein Shirt hochziehen?« Er ging bereits hinter ihr in die Knie.

»Nein, das musst du schon selbst machen«, sagte sie mit einem breiten Grinsen. »Weißt du eigentlich, wie viele Jungs jetzt gerne mit dir tauschen würden.« Sein Herz schlug ihm schon bis zum Hals, als er nur das T-Shirt aus dem Weg schob.

»Und was siehst du?« Er kam in Fahrt und fuhr unbewusst über die Stelle, an der sich die Narbe bildete. Die Berührung seiner Hand überraschte Umeko, weshalb sie kurz zusammenzuckte. »Nun sag schon, was siehst du?« Sie war froh, dass er es nicht bemerkt hatte, und versuchte sich schnell wieder zu fassen.

»Die Wunde ist vollständig verheilt, aber leider ist eine Narbe zurückgeblieben.« Fast tranceartig antwortete er ihr. Die Haut unter seinen Fingern war rau und überhaupt nicht so weich wie der Rest ihres Körpers. Die Narbe sah im Vergleich zur restlichen, leicht gebräunten Haut aus wie eine Tomate.

»Okay, das ist gut, danke.« Er reagierte nicht, sondern fuhr weiter über die Narbe. »Es ist gut.« Durch diesen Satz schreckte er zusammen und ging einen Schritt zurück. »War das etwa so faszinierend für dich? Sei ehrlich.« Ihr schelmisches Grinsen war wieder zurück.

»Na ja, also ich war nur verwundert, wie weich deine Haut immer noch ist.« Beiden war diese Unterhaltung mittlerweile peinlich geworden, weswegen sie an dieser Stelle auch beendet wurde.

Harui hatte währenddessen schon fast einen Liter getrunken, während Nobu gerade mal zwei Schluck genommen hatte. Er hielt es zu Haruis Wohl aus. Auch auf Haruis Frage hin, ob er etwas trinken möchte, verzichtete er und sagte, sie brauche es dringender, und dass er es bedeutend länger, ohne etwas zu trinken, aushalten könnte als sie. Auch sie hatten bis jetzt keinen Erfolg bei ihrer Suche gehabt. Und das bei immer wärmer werdenden Temperaturen. Der Wind, der ab und zu für Milderung sorgte, war das Einzige, was sie nicht verzweifeln ließ, je etwas zu finden.

»Was ist, wenn es hier gar keinen Fluss in diesem Wald gibt?« Harui verlor langsam die Hoffnung.

»Keine Sorge, in jedem Wald gibt es zumindest einen Bach oder eine kleine Quelle. Sonst könnten diese Bäume niemals so gut wachsen und die Tiere wie zum Beispiel die Rehe, die wir heute Nacht erlegt haben, hätten keine Wasserquelle«, erklärte Nobu ihr. Harui wiederum hoffte, dass sie nicht schon daran vorbeigelaufen waren.

»Hast du das von Ishikawa? Du und Daisuke haben doch sehr viel Zeit mit ihm verbracht, oder?« Harui hatte inzwischen kaum noch Hemmungen mit Nobu zu sprechen.

»Ja, wir waren öfter zu dritt zelten, da hat er uns schon das ein oder andere beigebracht.«

»Standet ihr euch sehr nahe, also du und Ishikawa?« Sie merkte, dass ihre Frage vielleicht ein bisschen zu persönlich war. »Tut mir leid, das hätte ich nicht fragen sollen.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Wir standen uns nahe. Da meine Eltern selbst kurz nach meiner Geburt oft verreist waren, haben meistens unsere Nachbarn auf mich aufgepasst. Bis zu dem Punkt, an dem ich Daisuke kennengelernt habe. Seine Eltern haben dann immer öfter auf mich aufgepasst, nach ihrem Tod hat Ishikawa diesen Job übernommen. Zumindest als ich noch jünger war, irgendwann durfte ich dann allein zuhause wohnen.« Auf einmal vermisste er ihn mehr als je zuvor.

»Er war wohl ein sehr netter Mann, ich wünschte, ich hätte ihn besser gekannt.«

»Das war er.«

Nach einem kurzen Moment der Stille wechselte Harui das Gesprächsthema. »Wie lange, denkst du, wird es noch dauern, bis wir in Tokio sind?«

»Wenn es in dem Tempo weitergeht, brauchen wir noch zwischen sechs und acht Wochen, schätze ich mal.« Doch darum machte er sich im Moment eher weniger Gedanken. Es war mehr, dass sie den letzten Teil parallel zum »Nichts« laufen würden.

Daisuke und Rei konnten trotz dieser seltenen Chance kein Gespräch anfangen. Daisuke dachte, dass er im Zugzwang war, da er das letzte Gespräch der beiden abgebrochen hatte. Jedoch hatte er vergessen, was das letzte Mal passiert war. Das Einzige, was er noch wusste, war, dass sie sich aus heiterem Himmel geküsst hatten, bevor er die Sträucher voll mit den japanischen Weinbeeren fand. Rei wiederum wusste nicht, wie sie anfangen sollte. Sie hatten immerhin auch eine Aufgabe, die sie nicht einfach so vernachlässigen konnten.

»Ich hoffe, die anderen finden einen Bach oder Fluss, dann haben wir vielleicht noch genug Zeit für uns.« Rei sprach ihre Gedanken einfach aus.

»Hoffe ich auch, trotzdem wäre es ganz schön, wenn wir eine Wasserquelle finden würden, denn auch unsere Vorräte werden nicht ewig halten.« Daisuke hatte dieselben Gedanken. Auch ohne mit ihr zu sprechen, genoss er die Zeit mit seiner wunderbaren Freundin sehr.

»Aber wir hatten doch noch genug dabei, und so viel haben wir jetzt auch nicht getrunken.«

»Offenbar doch, wir haben schon die Hälfte getrunken.« Daisuke war auch überrascht, aber da sie nicht erst seit heute Morgen Probleme mit ihren Wasservorräten hatten, konnten sie den Durst nicht wirklich unterdrücken.

»Dann müssen wir hoffen, dass wir oder einer der anderen etwas zu trinken findet.«

»Und ich dachte, wir hätten das Schlimmste bereits hinter uns. Wir können uns doch schnell durch unser Gebiet durchkämpfen, dann haben wir genug Zeit für uns.« Den Vorschlag fand auch Rei gut. Daisuke ging ein paar Zentimeter hinter ihr. Der Wind strich durch die tiefschwarzen Haare seiner Freundin, als er eine Raupe entdeckte, die auf ihren Haaren lief. Er versuchte sie wegzumachen, blieb aber an einem Knoten hängen und zog ihr damit unbeabsichtigt an den Haaren.

»Tut mir leid, alles gut bei dir?« Daisuke entschuldigte sich sofort bei ihr.

»Alles gut.« Er zeigte ihr die Raupe, die er aus ihren Haaren gefischt hatte, sie verstand sofort. »Ich würde mir gerne mal wieder die Haare waschen.« Sie nahm ihre verfetteten Haare nach vorne und fuhr vorsichtig mit der Hand hindurch. »Du nicht auch?« Sie drehte sich um und schaute ihm direkt in die Augen.