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Richard H. Thaler

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Beschreibung

Nudge – so heißt die Formel, mit der man andere dazu bewegt, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Denn Menschen verhalten sich von Natur aus nicht rational. Nur mit einer Portion List können sie dazu gebracht werden, vernünftig zu handeln. Aber wie schafft man das, ohne sie zu bevormunden? Wie erreicht man zum Beispiel, dass sie sich um ihre Altervorsorge kümmern, umweltbewusst leben oder sich gesund ernähren? Darauf gibt Nudge die Antwort. Das Konzept hat bereits viele Entscheidungsträger überzeugt, darunter  US-Präsident Barack Obama. Anschaulich und unterhaltsam präsentieren der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler und Cass Sunstein einen neuen Ansatz der Verhaltensökonomie, der schon heute das Denken und Handeln in Politik und Wirtschaft prägt.

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Richard H. Thaler Cass R. Sunstein

Nudge

Wie man kluge Entscheidungen anstößt

Aus dem Amerikanischen von Christoph Bausum

Eco

Inhalt
Titelei
Inhalt
Widmung
Einleitung
Teil I – Humans und Econs
Von systematischen Fehlern und falschen Annahmen
Der Versuchung wederstehen
Der Herde folgen
Wann brauchen wir einen Nudge?
Entscheidungsarchitektur
Teil II – Geld
Save More Tomorrow
Investmententscheidungen
Kredite
Teil III – Gesellschaft
Privatisierte Sozialversicherungen à la Smörgåsbord
Reformen im Gesundheitssystem
Ein Nudge kann leben retten: Mehr Organspender
Umweltschutz
Die Privatisierung der Ehe
Teil IV – Ausblicke und Einwände
Ein Dutzend Nudges
Einwände
Der echte Dritte Weg
Nachwort: Die Finanzkrise von 2008
Anhang
Anmerkungen
Bibliographie
Danksagung
Impressum
Anzeigen
Alles, außer gewöhnlich
Lexikon der Finanzirrtümer
Die Gier war Grenzenlos
Die 4-Stunden Woche
Klassik Radio

Für France, die alles in meinem Leben besser macht, sogar dieses Buch.

RHT

Für Samantha, mit der jeder Tag eine Freude ist.

CRS

Einleitung

Die Cafeteria

Stellen Sie sich vor, eine Ihrer Bekannten, nennen wir sie Carolyn, wäre Leiterin des für Schulverpflegung zuständigen Dezernats einer großen Stadt. Das heißt, sie ist verantwortlich für Hunderte von Schulen, und Hunderttausende von Kindern essen jeden Tag in ihren Kantinen und Cafeterias. Carolyn ist ausgebildete Ernährungswissenschaftlerin mit Hochschulabschluss. Sie ist ein kreativer Typ und legt gerne schon mal eine unkonventionelle Weise an den Tag. Carolyns Freund Adam ist Managementberater und Statistikexperte; er berät hauptsächlich Supermarktketten.

Eines Abends brüten die beiden bei einer guten Flasche Wein eine interessante Idee aus. Sie wollen untersuchen, ob die Art und Weise, wie die Speisen in der Schulcafeteria angeordnet und arrangiert sind, einen Einfluss darauf hat, für welches Essen sich die Kinder entscheiden – ohne das Angebot zu verändern. Carolyn gibt anschließend Dutzenden von Schulkantinen genaue Instruktionen, wie sie die Gerichte anbieten sollen. Die Plazierung ist von Schule zu Schule unterschiedlich. In einigen Schulen ist der Nachtisch nun am Anfang der Theke erhältlich, in anderen am Ende, oder die Kinder müssen sich dafür an einer gesonderten Ausgabe anstellen. In manchen stehen die Pommes frites auf Augenhöhe, in anderen die Karottenstäbchen.

Adam hat bereits Grundrisse von Supermärkten konzipiert, deshalb ist er überzeugt, dass die Ergebnisse sehr aussagekräftig sein werden – und er behält recht. Nur aufgrund ihrer Positionierung kann Carolyn den Kauf vieler Speisen um bis zu 25 Prozent steigern oder senken. Sie hat viel daraus gelernt: Schulkinder lassen sich – ebenso wie Erwachsene – schon durch kleine Veränderungen der Rahmenbedingungen stark beeinflussen. So kann man sowohl Gutes als auch Schlechtes bewirken. Carolyn kann beispielsweise auf diese Art und Weise den Konsum von gesundem Essen fördern und gleichzeitig den Genuss ungesunder Lebensmittel reduzieren.

Nachdem sie ihren Versuch an Hunderten von Schulen durchgeführt und mit der Hilfe studentischer Freiwilliger die Ergebnisse gesammelt und analysiert hat, ist sie davon überzeugt, beeinflussen zu können, wie die Kinder sich ernähren. Carolyn überlegt, wie sie ihre neuentdeckte Macht einsetzen soll. Hier einige teils ernst, teils ironisch gemeinte Vorschläge ihrer Freunde und Kollegen:

Arrangiere die Speisen so, dass es den Schülern unterm Strich den größten Nutzen bringt. Ordne die Speisen nach dem Zufallsprinzip an. Versuche das Angebot so zu gestalten, dass die Kinder sich für die Speisen entscheiden, die sie auch von sich aus gewählt hätten. Erhöhe den Umsatz von Produkten, deren Lieferanten die höchsten Schmiergelder zahlen. Maximiere den Gewinn und fertig.

Die Vorzüge der ersten Empfehlung liegen auf der Hand. Allerdings würde man die Kinder quasi bevormunden – man könnte auch von Paternalismus sprechen. Die Alternativen sind jedoch schlimmer!

Variante 2, die zufällige Anordnung, könnte man als fair, prinzipientreu und in gewissem Sinne neutral bezeichnen. Doch wenn alles dem Zufall überlassen bleibt, dann werden sich die Kinder in einigen Schulen weniger gesund ernähren als in anderen. Ist das wünschenswert? Soll Carolyn sich neutral verhalten, wenn es ihr ein Leichtes ist, den meisten »ihrer« Schüler etwas Gutes zu tun? Wenn sie doch sogar dazu beitragen kann, ihre Gesundheit zu verbessern?

Ratschlag 3 wirkt wie der ehrenwerte Versuch, jegliche Einmischung zu vermeiden und sich an den Wünschen der Kinder zu orientieren. Doch bei genauem Hinsehen wird einem bewusst, dass das gar nicht zu bewerkstelligen ist. Das Experiment hat ja gerade gezeigt, dass die Wahl der Schüler davon abhängt, wie die Speisen dargeboten werden. Was sind also ihre echten Vorlieben? Welche Lebensmittel würden die Kinder »von sich aus« wählen? Es ist ja schließlich unmöglich, in einer Cafeteria das Essensangebot nicht in irgendeiner Weise zu sortieren.

Möglichkeit 4 gefiele Carolyn vielleicht dann, wenn sie korrupt und darauf aus wäre, ihre Macht zu missbrauchen. Doch unsere Carolyn ist ehrlich und denkt über diese Option nicht ernsthaft nach. Wie die Varianten 2 und 3 hat auch Nummer 5 etwas für sich, besonders, wenn Carolyn diejenige Cafeteria für die beste hält, die am meisten Geld verdient. Doch sollte Carolyn wirklich versuchen, den Gewinn zu maximieren, wenn das bedeutet, dass sich die Kinder weniger gesund ernähren? Schließlich ist ihr Arbeitgeber der Schulbezirk.

Carolyn kann in ihrer Position also das Umfeld organisieren, in dem Menschen Entscheidungen treffen – wir bezeichnen sie deshalb als Entscheidungsarchitektin. Zwar haben wir uns Carolyn nur ausgedacht, doch viele Menschen erweisen sich genau gesehen als ebensolche Entscheidungsarchitekten – oft, ohne dass sie sich dessen überhaupt bewusst sind. Wenn Sie beispielsweise die Stimmzettel gestalten, mit denen Kandidaten für ein Amt gewählt werden, dann sind Sie ein Entscheidungsarchitekt. Wenn Sie Arzt sind und einem Patienten die verschiedenen Therapiemöglichkeiten für seine Krankheit erklären müssen, sind Sie ebenfalls einer. Das Gleiche gilt, wenn Sie das Formular entwerfen, mit dem sich neueingestellte Mitarbeiter bei der Krankenversicherung ihres Arbeitgebers anmelden, oder wenn Sie als Mutter oder Vater Ihrem Kind erklären, welche Bildungsoptionen ihm offenstehen. Und wenn Sie Verkäufer sind, dann sind Sie ebenfalls ein Entscheidungsarchitekt – aber das haben Sie sich bestimmt schon gedacht.

Dabei gibt es zahlreiche Parallelen zur traditionellen Architektur. Eine davon ist, dass es so etwas wie neutrale Gestaltung oder Bauart nicht gibt. Stellen Sie sich vor, ein Architekt müsste ein neues Universitätsgebäude entwerfen. Dafür bekommt er eine Reihe von Vorgaben. Es muss Platz sein für 120 Büros, 8 Seminarräume, 12 Gemeinschaftsräume für Studenten und so weiter. Das Gebäude soll auf einem bestimmten Grundstück errichtet werden. Daneben wird es Hunderte von weiteren Vorgaben geben, die juristischer, ästhetischer und praktischer Art sind. Am Ende muss der Architekt ein konkretes Gebäude planen, mit Türen, Treppen, Fenstern und Fluren. Jeder gute Bauherr weiß, dass scheinbar willkürliche Entscheidungen – wo sich beispielsweise die Toiletten befinden – subtile Auswirkungen auf die Menschen in diesem Gebäude haben. Der Gang zur Toilette kann etwa die Chance oder das Risiko (je nachdem) in sich bergen, Kollegen über den Weg zu laufen. Ein gutes Gebäude ist so gesehen nicht nur schön, es »funktioniert« auch.

Kleine und scheinbar unwichtige Details können großen Einfluss darauf haben, wie Menschen sich verhalten. Eine gute Faustregel ist, davon auszugehen, dass alles wichtig ist. Einzelne Faktoren können die Aufmerksamkeit der Benutzer in eine bestimmte Richtung lenken und sehr wirkungsmächtig sein. Ein wundervolles Beispiel findet sich – ausgerechnet – auf der Herrentoilette des Amsterdamer Flughafens Schiphol. Dort hat die Flughafengesellschaft in jedem Urinal das Bild einer schwarzen Stubenfliege anbringen lassen. Offenbar achten Männer nämlich meist nicht so genau darauf, wo sie hinzielen, was recht unschöne Folgen haben kann. Sobald sie allerdings ein Ziel erblicken, werden Aufmerksamkeit und damit auch Zielgenauigkeit deutlich gesteigert. Nach Aussage des Mannes, der diese Idee hatte, wirkt der Trick Wunder. »Es wird besser gezielt«, erklärt Aad Kieboom. »Wenn ein Mann eine Fliege sieht, dann versucht er, sie zu treffen.« Kieboom ist Ökonom und leitet die Erweiterung der Flughafengebäude. Sein Team hat Untersuchungen über die Wirkung der Fliege im Urinal angestellt und herausgefunden, dass nun 80 Prozent weniger »danebengeht«.1

Die Erkenntnis, dass alles wichtig ist, kann sowohl lähmend als auch inspirierend sein. Ein guter Architekt weiß, dass es zwar unmöglich ist, das perfekte Gebäude zu bauen, dass seine baulichen Entscheidungen aber trotzdem positive Auswirkungen haben können. Offene Treppenhäuser zum Beispiel sorgen für mehr Interaktion am Arbeitsplatz und dafür, dass mehr gelaufen wird. Beides ist zu begrüßen.

Genauso wie ein Architekt also ein konkretes Gebäude baut, muss sich ein Entscheidungsarchitekt wie Carolyn schließlich auf eine bestimmte Anordnung der Speisen in der Cafeteria festlegen. Dadurch kann sie andere beeinflussen und ihnen bei ihrer Entscheidung einen kleinen Schubs geben – einen Nudge*.

Libertärer Paternalismus

Wenn Sie alles in allem der Meinung sind, dass Carolyn ihre Einflussmöglichkeit nutzen und die Kinder ein wenig in Richtung einer besseren Ernährung schubsen sollte (also Variante 1), dann möchten wir Sie in Ihrer neuen Bewegung willkommen heißen: dem libertären Paternalismus. Uns ist vollkommen klar, dass diese Bezeichnung auf den ersten Blick nicht unbedingt einladend aussieht. In der Tat schrecken beide Worte eher ab und sind zuweilen mit Klischees aus populärer Kultur und Politik behaftet. Hinzu kommt noch, dass die dahinterstehenden Ideen einander zu widersprechen scheinen.

Warum sollte man also zwei weithin abgelehnte und widersprüchliche Konzepte verbinden? Wir sind der Meinung, dass beide Begriffe, wenn man sie richtig versteht, den gesunden Menschenverstand repräsentieren und dass sie kombiniert viel attraktiver sind als einzeln.

Wir beharren konsequent auf Entscheidungsfreiheit – das ist der libertäre Aspekt unseres Ansatzes. Alle Menschen sollen generell frei entscheiden können, was sie tun möchten und was sie lieber ablehnen wollen. Um es mit den Worten des verstorbenen Milton Friedman zu sagen: Libertäre Paternalisten wollen, dass die Leute »frei sind zu entscheiden«2. Deshalb ist es unser Ziel, Politikrichtlinien zu entwerfen, die die Entscheidungsfreiheit erhalten oder sogar vergrößern. Wenn wir das Adjektiv »libertär« im Zusammenhang mit »Paternalismus« benutzen, so wollen wir damit einfach hervorheben, dass die Freiheit des Einzelnen gewahrt wird. Und wenn wir davon sprechen, die Freiheit zu bewahren, dann meinen wir das auch so. Libertäre Paternalisten wollen es den Menschen leichtmachen, ihren eigenen Weg zu gehen; sie möchten niemanden daran hindern, von seinen Freiheitsrechten Gebrauch zu machen.

Paternalismus ist deshalb wichtig, weil es unserer Überzeugung nach für Entscheidungsarchitekten legitim ist, das Verhalten der Menschen zu beeinflussen, um ihr Leben länger, gesünder und besser zu machen. Anders gesagt, wir sind dafür, dass private Institutionen, Behörden und Regierungen bewusst versuchen, die Entscheidungen der Menschen so zu lenken, dass sie hinterher besser dastehen – und zwar gemessen an ihren eigenen Maßstäben.3Denn wir werden anhand anerkannter sozialwissenschaftlicher Studien zeigen, dass Menschen in vielen Situationen ziemlich schlechte Entscheidungen treffen – Entscheidungen, die sie nicht treffen würden, wenn sie richtig aufgepasst hätten, umfassend informiert wären und unbegrenzte kognitive Fähigkeiten sowie absolute Selbstkontrolle besäßen.

Es handelt sich hierbei um eine relativ leichte, weiche und unaufdringliche Art des Paternalismus, weil die Auswahl der Möglichkeiten nicht eingeschränkt und keine der Optionen mit überaus strengen Auflagen versehen wird. Wenn jemand Zigaretten rauchen, jede Menge Süßigkeiten essen, eine ungeeignete Krankenversicherung abschließen oder nicht für sein Alter vorsorgen möchte, dann werden libertäre Paternalisten ihn weder daran hindern noch ihm Steine in den Weg legen. Dennoch versuchen private und öffentliche Entscheidungsarchitekten nicht nur, die vermuteten Vorlieben der Menschen vorherzusehen und umzusetzen, sondern sie geben den Leuten außerdem einen kleinen Stups in die richtige Richtung – einen Nudge. Unter Nudge verstehen wir also alle Maßnahmen, mit denen Entscheidungsarchitekten das Verhalten von Menschen in vorhersagbarer Weise verändern können, ohne irgendwelche Optionen auszuschließen oder wirtschaftliche Anreize stark zu verändern. Ein Nudge muss zugleich leicht und ohne großen Aufwand zu umgehen sein. Er ist nur ein Anstoß, keine Anordnung. Das Obst in der Kantine auf Augenhöhe zu drapieren zählt als Nudge. Junkfood aus dem Angebot zu nehmen hingegen nicht.

Viele der Dinge, die wir empfehlen, können im Privatsektor verwirklicht werden. Eine ganze Reihe davon wurde an verschiedenen Stellen bereits umgesetzt, teilweise mit, teilweise ohne einen Nudge vonseiten der Politik. In vielen der Beispiele dieses Buches sind Arbeitgeber wichtige Entscheidungsarchitekten. Gerade im Gesundheitswesen und in der Altersvorsorge können sie ihren Angestellten manch hilfreichen Schubs geben. Privatunternehmen, die Geld verdienen und gleichzeitig Gutes tun wollen, können von Umwelt-Nudges, die die Luftverschmutzung und CO2-Emissionen reduzieren, sogar profitieren. Die Argumente, die für einen libertären Paternalismus in Privatunternehmen sprechen, gelten aber auch für die Politik – das werden wir ebenfalls zeigen.

Humans und Econs: Warum ein Schubs oft helfen kann

Wer jede Form von Paternalismus ablehnt, argumentiert oft damit, dass die Menschen in der Lage seien, für sich selbst die besten Entscheidungen zu treffen – bessere jedenfalls als irgend jemand sonst (ganz besonders, wenn dieser Jemand für die Regierung arbeitet). Viele Leute, ob sie nun Wirtschaft studiert haben oder nicht, glauben zumindest implizit an das Konzept des Homo oeconomicus und haben die Vorstellung, dass jeder von uns ohne Ausnahme richtig denkt und entscheidet.

Schaut man sich ökonomische Lehrbücher an, dann liest man dort, dass dieser Homo oeconomicus denkt wie Albert Einstein, Informationen speichert wie IBMs Supercomputer Big Blue und eine Willenskraft hat wie Mahatma Gandhi. Die Leute, die wir kennen, sind freilich nicht so. Echte Menschen haben ohne Taschenrechner Schwierigkeiten mit der Division, vergessen manchmal den Geburtstag ihres Ehepartners und haben am Neujahrsmorgen einen Kater. Ein echter Mensch ist in der Regel kein Homo oeconomicus, sondern ein Homo sapiens. Um uns nicht gleich zu Beginn unseres Buches in lateinischen Vokabeln zu verheddern, unterscheiden wir im Folgenden zwischen den idealen, aber unrealistischen Econs und den fehlerhaften, aber echten Humans.

Denken Sie an das Problem mit dem Übergewicht. Fast 20 Prozent der US-Bürger leiden mittlerweile an Fettleibigkeit, und mehr als 60 Prozent aller Amerikaner gelten als übergewichtig. Weltweit gibt es etwa 1 Milliarde Erwachsene mit Übergewicht, von denen 300 Millionen adipös sind. Der Anteil von Fettsüchtigen an der Gesamtbevölkerung reicht von unter 5 Prozent in Japan, China und einigen afrikanischen Staaten bis über 75 Prozent in urbanen Gegenden Samoas. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO haben sich die Anteile in einigen Gebieten in Nordamerika, Großbritannien, Osteuropa, im Nahen Osten, auf den pazifischen Inseln sowie in Australien und China seit 1980 verdreifacht. Es ist bewiesen, dass Fettleibigkeit das Risiko für Herzkrankheiten und Diabetes erhöht und die Lebenszeit verkürzt. Es wäre also lächerlich zu behaupten, dass sich alle Menschen richtig ernähren. Mit Sicherheit verbessern sich ihre Essgewohnheiten, wenn sie den einen oder anderen Nudge in die richtige Richtung bekommen.

Natürlich geht es beim Essen nicht nur um die Gesundheit, sondern auch um Geschmack und sinnlichen Genuss. Wir beharren auch nicht darauf, dass jeder Übergewichtige sich irrational verhält. Aber wir weisen die Behauptung zurück, dass alle oder fast alle Amerikaner sich optimal ernähren. Und was für das Essen gilt, gilt auch für andere risikoreiche Genussmittel wie etwa Zigaretten und Alkohol, die für mehr als 500 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich sind. So gesehen kann man beim besten Willen nicht behaupten, dass die Menschen für ihr Wohlergehen immer das Richtige tun. Tatsächlich gibt es ja auch viele Raucher, Trinker und Übergewichtige, die Geld dafür ausgeben, sich von ihren schlechten Gewohnheiten kurieren zu lassen.

Unsere Hauptinformationsquelle auf diesem Gebiet ist die noch junge Entscheidungswissenschaft, die sich fundierter sozialwissenschaftlicher Studien aus den letzten vier Jahrzehnten bedient und die Rationalität menschlicher Urteile und Entscheidungen ernsthaft in Frage stellt. Um als Econ zu gelten, muss man nicht in der Lage sein, perfekte Prognosen abzugeben (dazu müsste man allwissend sein). Die Voraussagen eines Econ sind vielmehr unvoreingenommen, das heißt, sie dürfen falsch sein, aber eben nicht systematisch (also vorhersehbar) falsch. Anders als Econs unterlaufen Humans vorhersehbare Irrtümer.

Nehmen wir zum Beispiel die sogenannte Planning Fallacy – die systematische Tendenz, den Aufwand zu unterschätzen, der nötig ist, um ein Projekt zu Ende zu bringen. Dieses Phänomen wird niemanden überraschen, der jemals mit Handwerkern zu tun hatte und erfahren musste, dass alles länger dauerte als gedacht.

Hunderte von Studien bestätigen, dass menschliche Prognosen fehlerhaft und voreingenommen sind. Der menschliche Entscheidungsprozess ist ebenfalls alles andere als perfekt. Auch hier nur ein Beispiel: das Phänomen Status Quo Bias. Gemeint ist damit einfach eine Art Trägheit. Aus einer Reihe von Gründen, die wir noch kennenlernen werden, haben Menschen eine starke Neigung, den Status quo oder die vorgegebene Option jeder Veränderung vorzuziehen.

Wenn Sie beispielsweise ein neues Handy bekommen, haben Sie eine Reihe von Wahlmöglichkeiten. Je ausgefallener das Handy, umso mehr Entscheidungen müssen Sie treffen: Wie soll der Hintergrund des Displays gestaltet sein? Welcher Klingelton gefällt mir? Wie oft soll es klingeln, bevor die Mailbox den Anruf übernimmt? Der Hersteller hat für jede dieser Wahlmöglichkeiten eine Standardvoreinstellung vorgenommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele diese Werkseinstellungen einfach beibehalten, egal, wie sie aussehen.

Zwei wichtige Erkenntnisse können wir an dieser Stelle festhalten. Erstens: Man darf niemals die Macht der Trägheit unterschätzen. Zweitens: Diese Macht kann man auch gezielt nutzen. Wenn Unternehmen oder Behörden glauben, dass eine bestimmte Vorgehensweise bessere Ergebnisse verspricht als eine andere, dann können sie die Entscheidung der Menschen dahingehend beeinflussen, indem sie diese Option als Standardvorgabe wählen. Je nachdem, wie die Auswahl der Entscheidungsmöglichkeiten präsentiert wird, können die Auswirkungen auf das Ergebnis riesig sein: So können etwa höhere Sparquoten erreicht, die Gesundheitsvorsorge verbessert oder mehr Organspender gewonnen werden.

Das ist aber nur ein Beispiel für die sanfte Macht des Nudge. Nach unserer Definition ist jeder Faktor, der das Verhalten von Humans signifikant verändert, während er von Econs ignoriert würde, ein Nudge. Econs reagieren vor allem auf ganz konkrete Anreize im Sinne der Nutzenmaximierung. Wenn Süßigkeiten besteuert werden, dann kaufen sie weniger davon. Sie würden sich aber niemals von solchen »irrelevanten« Faktoren wie etwa der Reihenfolge, in der ihnen verschiedene Optionen vorgestellt werden, beeindrucken lassen. Humans hingegen kann man sowohl durch Anreize, die einen konkreten Vorteil versprechen, als auch mit Nudges beeinflussen.*

Wenn wir beides geschickt einsetzen, können wir das Leben der Menschen verbessern und gleichzeitig dazu beitragen, viele der großen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen. Und all dies, ohne die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen einzuschränken.

Eine falsche Annahme und zwei Missverständnisse

Viele Menschen, denen die Entscheidungsfreiheit am Herzen liegt, sind gegen jede Form des Paternalismus. Sie wollen, dass die Regierung die Bürger für sich selbst entscheiden lässt. Die übliche Forderung an die Politik lautet: Gebt den Leuten so viele Optionen wie möglich und lasst sie sich für diejenige entscheiden, die ihnen am besten gefällt – und zwar ohne sie in eine bestimmte Richtung zu schubsen.

Das Schöne an dieser Denkweise ist, dass sie für viele komplexe Probleme eine simple Lösung bietet: Einfach die Anzahl und die Vielfalt der Auswahlmöglichkeiten maximieren – fertig! Dies wird in vielen Bereichen forciert, vom Bildungswesen bis hin zu Krankenversicherungen. In manchen Kreisen ist der Ruf nach möglichst großer Auswahl zu einem politischen Mantra geworden. Andere glauben, die einzige Alternative dazu sei eine von der Regierung verordnete Einheitslösung für alle. Dabei übersehen beide Seiten, dass zwischen »So viel Auswahl wie möglich« und »Eine Lösung für alle« noch jede Menge Raum ist. Die Anhänger der maximalen Auswahlmöglichkeiten sind gegen Paternalismus – jedenfalls glauben sie das –, und sie misstrauen Nudges. Wir indes glauben, dass diese Skepsis auf einer falschen Annahme und zwei Missverständnissen beruht.

So wird von vielen der Standpunkt vertreten, dass fast alle Menschen fast immer Entscheidungen treffen, die in ihrem Interesse sind oder doch zumindest besser für sie als diejenigen, die andere für sie treffen würden. Wir behaupten, dass diese Annahme falsch ist – und zwar nachweislich falsch.

Angenommen, ein Schachneuling spielt gegen einen erfahrenen Spieler. Es ist abzusehen, dass er verlieren wird, eben weil er schlechte Entscheidungen trifft. Mit einigen hilfreichen Tipps könnte ihm geholfen werden. Oft ist Otto Normalverbraucher nichts anderes als so ein Neuling, umgeben von erfahrenen Profis, die ihm Dinge verkaufen wollen. Allgemeiner ausgedrückt: Die Frage nach der Qualität der Entscheidungen, die Menschen treffen, ist eine empirische, und die Antwort hängt davon ab, ob sich Menschen in einem bestimmten Bereich auskennen oder nicht. Wenn sie genug Erfahrung haben und umfassend informiert sind oder wenn sie hinsichtlich der Qualität ihrer Entscheidung sofort Feedback bekommen, darf man annehmen, dass sie sich richtig entscheiden – zum Beispiel bei der Auswahl von Eiskremsorten. Jeder weiß, ob er Schokolade, Vanille, Mokka, Malaga oder eine andere Geschmacksrichtung mag. Weniger gut sieht es in Bereichen aus, in denen die Betroffenen keine Erfahrung haben, schlecht informiert sind und nur langsam oder selten mit den Folgen ihrer Entscheidungen konfrontiert werden. Wenn zum Beispiel jemand zwischen Obst und Eis wählen muss, dann wird er die Auswirkungen dieser Ernährungsentscheidung nicht unmittelbar zu spüren bekommen. Bei der Wahl zwischen verschiedenen medizinischen Therapiemöglichkeiten oder Investitionsstrategien ist es ähnlich. Und wenn man Ihnen 50 Krankenversicherungen mit jeweils unterschiedlichen Konditionen zur Auswahl anbietet, sind Sie wahrscheinlich dankbar für eine kleine Hilfestellung. Dieses Hilfsangebot sollte sich allerdings immer an Ihren eigenen Präferenzen orientieren und nicht an denen irgendeines Bürokraten.

Nun zu den oben erwähnten Missverständnissen. Das erste entspringt der Vorstellung, es sei möglich, das Entscheidungsverhalten anderer Menschen nicht zu beeinflussen. In vielen Situationen muss eine Organisation oder ein Einzelner freilich einen Entschluss fassen, der unweigerlich die Entscheidungen anderer Menschen mitbestimmen wird. Die Betroffenen werden dadurch in eine Richtung geschubst, und das hat – egal, ob beabsichtigt oder nicht – Auswirkungen darauf, wie sie handeln. Denken Sie nur an Carolyns Cafeterias!

Natürlich sind viele Nudges unbeabsichtigt – dennoch können sie eine große Wirkung haben. Arbeitgeber können zum Beispiel entscheiden, ob sie ihre Angestellten monatlich oder alle zwei Wochen bezahlen, ohne dabei eine Einflussnahme im Sinn zu haben. Wahrscheinlich wären sie überrascht zu erfahren, dass die Mitarbeiter bei zweiwöchentlicher Lohnzahlung mehr sparen, weil sie so zweimal im Jahr gleich drei Gehaltsschecks im Monat bekommen. Es stimmt auch, dass viele private und öffentliche Institutionen sich auf unterschiedliche Art und Weise um Neutralität bemühen – zum Beispiel, indem sie auf das Zufallsprinzip vertrauen oder zu ergründen versuchen, was die Leute mehrheitlich wollen. Allerdings ist das in vielen Bereichen weder praktikabel noch erstrebenswert, wie wir an vielen Beispielen sehen werden.

Einige Menschen akzeptieren diese Sichtweise, solange es um private Institutionen geht; doch sie verwahren sich strengstens dagegen, dass die Regierung versucht, sich in die Entscheidungen der Menschen einzumischen, um ihr Leben zu verbessern. Sie vertrauen weder auf die Kompetenz noch auf die guten Absichten des Staates. Sie befürchten, dass gewählte Offizielle und Bürokraten ihre eigenen Interessen verfolgen oder sich von Lobbygruppen beeinflussen lassen. Wir teilen diese Bedenken und sind davon überzeugt, dass Regierungen tatsächlich gelegentlich Fehler machen, voreingenommen sind oder auch überreagieren. Das kann manchmal gravierende Folgen haben. Deshalb sind Nudges auch besser als Befehle, Vorgaben und Verbote. Regierungen müssen allerdings ebenso wie Cafeterias oder Kantinen irgendwelche Rahmenbedingungen festlegen – das lässt sich nicht umgehen. Sie tun das Tag für Tag, indem sie Dinge anordnen und Regeln erstellen, sie nehmen somit ohnehin Einfluss auf Entscheidungen und Ergebnisse. So gesehen kann man Nudges realistisch betrachtet gar nicht ganz vermeiden.

Das zweite Missverständnis entsteht, wenn Paternalismus mit Zwangsausübung gleichgesetzt wird. In unserem Cafeteria-Beispiel zwingt die Anordnung der Speisen aber niemandem eine bestimmte Ernährungsweise auf. Trotzdem können Carolyn und andere in vergleichbarer Position sich dafür entscheiden, die Lebensmittel aus paternalistischen Gründen bewusst anzuordnen. Oder würde sich irgendjemand dagegen wehren, wenn in einer Grundschulcafeteria das Obst und die Salate vor den Nachspeisen plaziert werden, wenn das dazu führt, dass die Kinder mehr Äpfel und weniger Süßigkeiten essen? Und wenn es sich bei den Kunden der Cafeteria nicht um Kinder, sondern um Jugendliche oder gar Erwachsene handelt – ist das ein grundsätzlicher Unterschied? Da niemand zu etwas gezwungen wird, glauben wir, dass diese Form des Paternalismus selbst für große Verfechter der Entscheidungsfreiheit akzeptabel sein sollte.

Auf Basis unseres Ansatzes werden wir konkrete Vorschläge für so unterschiedliche Bereiche wie Geldanlagen, Organspenden, Eheschließungen, Gesundheitswesen und Altersvorsorge machen. Und weil wir es ablehnen, die Wahlmöglichkeiten einzuschränken, und für absolute Entscheidungsfreiheit plädieren, glauben wir, dass das Risiko von falscher oder gar korrupter Einflussnahme damit sogar verringert wird.

Entscheidungsarchitektur im Alltag

Entscheidungsarchitekten können anderen Menschen das Leben erleichtern, indem sie ein benutzerfreundliches Umfeld schaffen. Viele der erfolgreichsten Unternehmen haben genau damit Menschen geholfen oder sich am Markt behauptet, weil es ihnen auf diese Weise gelungen ist, Konsumenten und Benutzer zu begeistern. iPod und iPhone sind gute Beispiele, weil sie nicht nur ein elegantes Design haben, sondern es dem Benutzer auch leichtmachen, das zu tun, was er will.

Manchmal wird die »Architektur« einer Sache oder eines Entscheidungsumfelds einfach als gegeben vorausgesetzt – dabei könnte man davon profitieren, wenn man ihr ein wenig Aufmerksamkeit schenkte. Nehmen wir unseren eigenen Arbeitgeber, die Universität von Chicago. Wie viele andere bietet auch sie jeden November ein Open Enrollment an. Angestellte können dann den Status ihrer Gehaltszusatzleistungen wie Krankenversicherung oder Altersvorsorge überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Diese Anpassungen müssen online vorgenommen werden; dafür können an der Universität allgemein zugängliche Computer genutzt werden. Vorher bekommen alle Angestellten per Post Informationsmaterial, das ihnen erklärt, welche Optionen sie haben und wie sie sich einloggen und ihre Wahl treffen können. Außerdem werden sie sowohl postalisch als auch per E-Mail an das Open Enrollment erinnert.

Doch auch Angestellte sind nur Menschen, und so gibt es immer einige, die sich nicht einloggen. Umso mehr kommt es dar auf an, welche Regelungen in so einem Fall greifen. Nehmen wir an, es gäbe zwei Alternativen: Wer sich nicht um die Anpassung seiner Zusatzleistungen kümmert, wird entweder genauso wie im letzten Jahr eingestuft, oder er wird auf null zurückgesetzt. Angenommen, eine Angestellte namens Janet hat im letzten Jahr 1000 Dollar in ihre Altersvorsorge eingezahlt. Wenn Janet in diesem Jahr keine aktive Entscheidung trifft, werden entweder automatisch wieder 1000 Dollar für ihre Altersvorsorge abgeführt, oder es wird überhaupt kein Beitrag eingezogen. Welcher Option sollte man Vorrang geben?

Libertäre Paternalisten bemühen sich in diesem Fall, die Wünsche der Angestellten zu berücksichtigen. Diese mögen nicht immer eindeutig sein, doch die Vorgehensweise ist in jedem Fall besser, als das Ganze dem Zufall zu überlassen. Es ist zum Beispiel wenig wahrscheinlich, dass viele Angestellte den Wunsch haben, ihre (vom Arbeitgeber stark bezuschusste) Krankenversicherung zu kündigen. Also wäre es im Fall der Krankenversicherung sinnvoll, den Status quo beizubehalten, denn alles andere würde bedeuten, dass der Angestellte nicht mehr krankenversichert wäre.

Ein anderes Beispiel ist der sogenannte Flexible Spending Account,in den ein Angestellter jeden Monat steuerbefreit einen Teil seines Gehalts einzahlen kann, um damit besondere Ausgaben (etwa für unversicherte medizinische Leistungen oder die Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen) zu decken. Das Geld auf diesem Konto muss innerhalb eines Jahres bestimmungsgemäß ausgegeben werden, sonst verfällt es. Die zu erwartenden Ausgaben können sich aber von Jahr zu Jahr stark voneinander unterscheiden, zum Beispiel, wenn die Betreuungskosten für ein schulpflichtig gewordenes Kind wegfallen. In diesem Fall wäre es deshalb sinnvoller, die Zahlungen auf null zu setzen, wenn vom Angestellten selbst keine eigene Entscheidung getroffen wird.

Dieses Problem ist durchaus nicht nur hypothetisch. Wir hatten einmal ein Meeting mit drei der obersten Verwaltungsangestellten unserer Universität, um über ähnliche Fragen zu sprechen. Dieses Meeting fand zufälligerweise am letzten Tag der Frist für das Open Enrollment statt. Wir erwähnten dies und fragten unsere Gesprächspartner, ob sie daran gedacht hätten, ihre Änderungen fristgerecht vorzunehmen. Einer sagte, er habe vor, es später an diesem Tag noch zu tun, und sei froh, daran erinnert zu werden. Der Zweite gab zu, es vergessen zu haben; der Dritte sagte, er hoffe, dass seine Frau dran denken würde! Daraufhin diskutierten wir, wie die Standardvorgabe für ein steuerbegünstigtes Ansparprogramm für Gehaltszusatzleistungen aussehen solle – bisher waren die Beiträge immer auf null zurückgesetzt worden. Da die Zahlungen jedoch jederzeit (nicht nur zum Termin) eingestellt werden können, einigten wir uns darauf, von nun an den Status quo als Standard zu wählen. Wir sind überzeugt, dass aufgrund dieser Regelung viele zerstreute Professoren in ihrem Ruhestand besser versorgt sein werden.

Dieses Beispiel verdeutlicht einige grundlegende Prinzipien. Weil es sich bei den Betroffenen um Humans handelt, sollten Sie als Entscheidungsarchitekt versuchen, ihnen das Leben so leicht wie möglich zu machen. Erinnern Sie sie daran, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, und versuchen Sie, den Schaden für diejenigen, die trotz aller Bemühungen jegliche Termine verschlafen, möglichst gering zu halten. Sie werden sehen, dass diese Prinzipien (und viele andere) sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Sektor anwendbar sind – und dass es reichlich Potential gibt, ein paar Zustände zu verbessern.

Ein neuer Weg

Wir werden in diesem Buch eine Menge zu Nudges in der Privatwirtschaft sagen. Aber viele wichtige Beispiele sind auch für Regierungen relevant, und wir werden eine ganze Reihe von Empfehlungen für Politik und Gesetzgebung geben. Wir hoffen, dass diese Empfehlungen bei allen politischen Parteien Beachtung finden, denn wir sind davon überzeugt, dass die Politik des libertären Paternalismus von Konservativen ebenso wie von Linken vertreten werden kann. Politiker wie der britische Tory-Chef David Cameron und der frisch gewählte US-Präsident Barack Obama haben bereits einige solcher Maßnahmen in ihr Programm aufgenommen. Ein zentraler Grund dafür ist sicherlich, dass Nudges meist wenig oder gar nichts kosten; sie belasten den Steuerzahler in keiner Weise.

Viele Mitglieder der Republikanischen Partei sind mittlerweile auch nicht mehr automatisch gegen jede staatliche Einmischung. Wie die Erfahrungen beim Hurrikan Katrina gezeigt haben, ist es oft nötig, dass eine Regierung das Heft des Handelns in die Hand nimmt, weil sie die einzige Instanz ist, die die notwendigen Ressourcen beschaffen, organisieren und verteilen kann.

Republikaner wollen das Leben der Menschen verbessern, aber sie sind zu Recht skeptisch, wenn es darum geht, die Wahlmöglichkeiten der Leute zu beschränken. Die Demokraten auf der anderen Seite sind inzwischen in vielen Fällen bereit, ihre Begeisterung für staatliche Planungswut aufzugeben. Vernünftige Demokraten hoffen natürlich, dass die öffentlichen Institutionen die Menschen unterstützen und ihnen ein besseres Leben ermöglichen. Doch in vielen Bereichen sind inzwischen auch sie der Meinung, dass Entscheidungsfreiheit eine gute und unverzichtbare Grundlage jeder Politik ist. Deshalb sehen wir im libertären Paternalismus eine vielversprechende Basis für Überparteilichkeit.

In vielen Bereichen wie etwa Umweltschutz, Familienrecht und Bildung argumentieren wir für bessere Lösungen, die weniger Zwang und Gängelei durch Staat und Behörden bedeuten und mehr Entscheidungsfreiheit garantieren. Wo konkrete Anreize und Nudges Gebote und Verbote ersetzen, wird automatisch auch der Regierungsapparat kleiner und bescheidener. Um es klar zu sagen: Wir sind nicht für mehr staatliche Vorgaben, sondern lediglich für bessere.

Wir haben sogar Belege dafür, dass unser Optimismus (der zugegebenermaßen unserer beruflichen Voreingenommenheit entspringen mag) mehr als nur Wunschdenken ist. Die weiter unten vorgestellten libertär-paternalistischen Ansätze in Bezug auf die private Altersvorsorge sind im amerikanischen Kongress über die Parteigrenzen hinweg enthusiastisch begrüßt worden – und zwar von konservativen Senatoren der Republikaner ebenso wie von liberalen Demokraten. Im Jahr 2006 wurden einige der Schlüsselkonzepte still und leise in Gesetze gegossen. Die neuen Regelungen werden dazu beitragen, dass viele Amerikaner einen sorgenfreieren Ruhestand erleben, ohne dem Steuerzahler im Großen und Ganzen zusätzliche Kosten aufzubürden.

Kurz gesagt: Libertärer Paternalismus ist weder links noch rechts, weder demokratisch noch republikanisch. Wir hoffen deshalb sehr, dass beide Seiten trotz bestehender Differenzen dazu bereit sind, zusammenzuarbeiten und den einen oder anderen sanften Schubs in die richtige Richtung zu unterstützen.

* Das englische Verb »to nudge« bedeutet »sanft schubsen« oder »leicht in die Rippen stoßen, besonders mit dem Ellbogen«. Es geht darum, jemandem auf diese Weise einen Schubs zu geben, um ihn auf etwas aufmerksam zu machen, an etwas zu erinnern oder sanft zu warnen. »Nudge« spricht sich mit kurzem »a« und weichem »sch« nach dem d. Da wir schon einmal hier unten sind, möchten wir noch eine kleine Anmerkung zu den Fußnoten und Belegen machen: Fußnoten, die wir für lesenswert halten (so wie diese hier), sind mit einem Symbol gekennzeichnet und werden unten auf der gleichen Seite erläutert, damit sie leicht zu finden sind. Wir haben uns bemüht, sie auf ein Minimum zu begrenzen. Nummerierte Endnoten enthalten Informationen über Quellenmaterial. Diese sind in erster Linie für akademische Leser interessant. Wenn die Autoren von zitiertem Material im Text genannt werden, haben wir manchmal eine Jahreszahl in Klammern angefügt – beispielsweise: Smith (1982) –, damit der Leser die entsprechenden Texte direkt in der Bibliographie finden kann, ohne den Umweg über die Endnoten zu gehen.

*Wache Leser wissen natürlich, dass es Anreize ganz unterschiedlicher Art gibt. Wenn man etwa das Obst auf Augenhöhe und die Süßigkeiten an einer weniger prominenten Stelle plaziert, dann könnte man sagen, dass jemand, der Süßigkeiten essen will, nun mehr kognitive Anstrengung, also mehr »Kosten« aufbringen muss. Manche Nudges bringen in gewissem Sinne solche kognitiven (keine materiellen) »Kosten« mit sich. Dadurch werden Anreize verändert. Nudges zählen aber nur als solche, wenn die damit verbundenen Kosten niedrig sind.

TEIL1

Humans und Econs

Von systematischen Fehlern und falschen Annahmen

Werfen Sie einen Blick auf diese beiden Tische:

Zwei Tische (nach Shepard [1990])

Angenommen, Sie wollen einen von beiden als Couchtisch in Ihr Wohnzimmer stellen. Welcher, glauben Sie, ist der größere? Schätzen Sie einmal das Längenverhältnis der Tischseiten zueinander – einfach nach Augenmaß.

Die meisten Menschen denken, der linke Tisch sei schmaler und länger als der rechte. Sie schätzen das Seitenverhältnis beim linken Tisch auf etwa 3:1 und beim rechten auf ungefähr 1,5:1. Nehmen Sie jetzt ein Lineal und messen Sie nach. Sie werden feststellen, dass die beiden Tischplatten identisch sind. In diesem Fall kann man seinen Augen nicht trauen. (Als Thaler im gemeinsamen Stammlokal Sunstein dieses Beispiel vorlegte, benutzte dieser eines seiner Essstäbchen, um sich zu vergewissern.)

Was zeigt uns dieses Beispiel? Wenn Sie den linken Tisch als länger und schmaler sehen, entspricht das nachweislich Ihren normalen menschlichen Fähigkeiten. Mit Ihnen ist alles in Ordnung (soweit wir das nach diesem kleinen Test beurteilen können). Trotzdem hat Ihre Wahrnehmung Ihnen einen Streich gespielt, und das ist kein Zufall. Niemand glaubt, dass der rechte Tisch genauso schmal wie der andere ist. Wahrscheinlich waren auch Sie fest davon überzeugt, richtigzuliegen. Weit gefehlt! (Wenn Sie wollen, können Sie diesen Test gewinnbringend einsetzen, wenn Sie mit anderen zusammensitzen, die ebenso menschlich sind wie Sie und die gerne ihr Geld verwetten – zum Beispiel in einer Bar.)

Tischplatten (nach Shepard [1990])

Jetzt schauen Sie sich dieses Bild an. Sehen die Flächen gleich oder verschieden aus? Wenn Sie menschlich veranlagt sind und einigermaßen gut sehen, werden Ihnen beide identisch erscheinen. Und das sind sie auch! Es handelt sich einfach um die Tischplatten aus dem ersten Bild, die hier ihrer Beine beraubt und nebeneinandergelegt wurden. Sowohl die Tischbeine als auch die Ausrichtung im ersten Bild fördern die Illusion, dass die Platten verschiedener Größe sind. Erst wenn uns diese Details nicht mehr ablenken, können wir uns ein akkurates Bild vom tatsächlichen Zustand machen.*

Diese Beispiele bringen eine Grundeinsicht auf den Punkt, die die Verhaltensökonomie aus der Psychologie übernommen hat. Normalerweise funktioniert das menschliche Gehirn wirklich gut. Wir können Menschen erkennen, die wir jahrelang nicht gesehen haben, unsere Muttersprache in all ihrer Komplexität verstehen und eine Treppe hinunterrennen, ohne hinzufallen. Einige Menschen können sogar zwölf Sprachen sprechen, die kompliziertesten Computer noch verbessern oder die Relativitätstheorie aufstellen. Doch selbst Einstein wäre wahrscheinlich auf diese Tische hereingefallen. Das heißt nicht, dass mit uns Menschen etwas nicht stimmt, aber es bedeutet, dass wir systematisch irren. Das sollten wir uns klarmachen, denn erst dann können wir unser nur allzu menschliches Verhalten verstehen.

Schauen wir uns nun das menschliche Denken genauer an. Roger Shepard (1990), ein Psychologe und Künstler, konnte diese trügerischen Tische zeichnen, weil er etwas über unser visuelles System wusste. Ihm war klar, was er zeichnen musste, um unsere Wahrnehmung in die Irre zu führen. Wenn man also weiß, wie das kognitive System funktioniert, kann man systematische Fehler des menschlichen Denkens aufdecken.

Wie wir denken: Zwei Systeme

Die Funktionsweise des menschlichen Gehirns ist mehr als schwer zu verstehen. Wie kann es sein, dass wir bei manchen Aufgaben geradezu genial zu Werke gehen, während wir anderen nahezu hilflos gegenüberstehen? Beethoven schrieb seine unglaubliche neunte Symphonie, als er schon taub war, aber es überrascht uns nicht im Geringsten zu erfahren, dass er regelmäßig die Haustürschlüssel verlegte. Wie können Menschen gleichzeitig so schlau und so dumm sein? Viele Psychologen und Neurowissenschaftler haben sich einer Beschreibung der Funktionsweise des Gehirns angenähert, die uns hilft, diese scheinbaren Widersprüche zu verstehen. Ihr Ansatz unterscheidet zwei Arten des Denkens: eine intuitiv-automatische und eine reflektierend-rationale.1Wir werden in diesem Zusammenhang von einem automatischen und einem reflektierenden System sprechen. In der psychologischen Fachliteratur ist manchmal auch die Rede von System 1 (Intuition) und System 2 (Nachdenken). Die Hauptmerkmale der beiden Systeme sind in der untenstehenden Tabelle dargestellt.

Zwei kognitive Systeme

Das automatische System funktioniert schnell und instinktiv – zumindest fühlt es sich so an. Wir verstehen darunter nicht, was wir normalerweise mit dem Begriff »Denken« bezeichnen. Das System reagiert beispielsweise, wenn Sie sich ducken, weil unerwartet ein Ball nach Ihnen geworfen wird, wenn Sie nervös werden, weil Ihr Flugzeug in Turbulenzen gerät, oder wenn Sie lächeln, weil Sie süße Welpen sehen. Gehirnforscher haben festgestellt, dass diese Aktivitäten in den ältesten Teilen unseres Gehirns verarbeitet werden – in den Bereichen, die wir mit Echsen (und mit Welpen) gemeinsam haben.2

Das reflektierende System arbeitet hingegen eher bedacht und bewusst. Wir greifen darauf zurück, wenn wir gefragt werden: »Wie viel ist 411 mal 37?« Die meisten Menschen setzen es auch ein, um zu entscheiden, welchen Weg sie nehmen oder ob sie besser Jura oder BWL studieren sollen. Beim Schreiben dieses Buches gebrauchen wir (meistens) unser reflektierendes System, aber manchmal haben wir auch spontane Einfälle, wenn wir gerade spazieren gehen oder unter der Dusche stehen und überhaupt nicht an das Buch denken. Diese werden dann wahrscheinlich durch unser automatisches System ausgelöst. Übrigens verlassen sich auch Wähler offenbar in erster Linie auf ihre Intuition.3Wenn ein Kandidat einen schlechten ersten Eindruck hinterlässt oder versucht, mit komplizierten Argumenten um Wählerstimmen zu werben, wird er wahrscheinlich Probleme bekommen.*

In den meisten Ländern der Welt reagieren die Leute mit ihrem automatischen System, wenn man ihnen die Temperatur in Celsius angibt, aber sie müssen ihr reflektierendes System einsetzen, um eine Temperaturangabe in Fahrenheit einordnen zu können; in Amerika ist es genau umgekehrt. Die Menschen verstehen »automatisch«, also intuitiv ihre Muttersprache, sie müssen aber darüber »reflektieren«, wenn sie sich mit Fremdsprachen abmühen. Wirklich zweisprachig zu sein bedeutet, dass man zwei Sprachen nur über sein automatisches System spricht. Auch hochklassige Schachspieler und Profisportler haben eine ziemlich ausgeprägte Intuition – ihr automatisches System erlaubt es ihnen, komplexe Situationen mit einem Blick zu erfassen und darauf mit erstaunlicher Genauigkeit und gleichzeitig außergewöhnlicher Schnelligkeit zu reagieren.

Man kann, wenn man so will, das automatische System mit dem Bauchgefühl und das reflektierende mit dem rationalen Denken gleichsetzen. Das Bauchgefühl liegt oft richtig, aber viele Fehler werden auch deshalb begangen, weil wir uns zu sehr darauf verlassen. Der Bauch befürchtet etwa: »Das Flugzeug wackelt, ich muss sterben.« Doch der Verstand beschwichtigt: »Flugzeuge sind ausgesprochen sicher!« Das automatische System zetert: »Dieser große Hund wird mich beißen.« Und das reflektierende System entgegnet: »Die meisten Haustiere sind absolut harmlos.«

Wenn man eine neue Sportart wie etwa Golf oder Tennis erlernt, ist das automatische System noch nicht darauf trainiert. Doch zahllose Übungsstunden erlauben es einem fortgeschrittenen Golfer, das Nachdenken gewissermaßen zu umgehen und sich auf sein automatisches System zu verlassen. Das geht sogar so weit, dass gute Golfspieler und andere Top-Sportler die Gefahr kennen, »zu viel zu denken«. Sie wissen, dass sie oft besser damit fahren, wenn sie »auf den Bauch hören« oder »einfach machen«.

Das automatische System kann durch viele Wiederholungen trainiert werden – aber solches Training erfordert Zeit und Anstrengung. Ein Grund, warum Teenager so unsichere Autofahrer sind, ist ebenfalls, dass ihr automatisches System noch nicht vertraut ist mit der neuen Tätigkeit und das reflektierende System viel langsamer reagiert.

Um zu sehen, wie intuitives Denken funktioniert, eignet sich dieser kleine Test: Schreiben Sie für jede der drei folgenden Fragen die Antwort auf, die Ihnen zuerst in den Kopf kommt. Dann denken Sie darüber nach.

Ein Baseballschläger und ein Ball kosten zusammen 1,10 Dollar. Der Schläger kostet 1 Dollar mehr als der Ball. Wie teuer ist der Ball? ________ Cent 5 Maschinen brauchen 5 Minuten, um 5 Toaster zu produzieren. Wie lange dauert es, bis 100 Maschinen 100 Toaster gefertigt haben? ________ Minuten Ein Teich ist zum Teil mit Seerosen bewachsen. Diese verdoppeln jeden Tag ihre Fläche. Es dauert 48 Tage, bis der Teich ganz bedeckt ist. Wie lange dauert es, bis er halb zugewachsen ist? ________ Tage

Wie lauten Ihre spontanen Antworten? Die meisten Menschen sagen 10 Cent, 100 Minuten und 24 Tage. Doch das ist alles falsch. Wenn Sie kurz nachdenken, erkennen Sie warum. Wenn der Ball 10 Cent kostet und der Schläger 1 Dollar mehr – also 1,10 Dollar –, dann kosten beide zusammen 1,20 Dollar und nicht 1,10 Dollar. Niemand, der sich die Mühe macht, diese Aufgabe tatsächlich zu durchdenken, wird die Frage falsch beantworten. Shane Frederick (2005) aber fand heraus, dass spontan fast immer die falsche Lösung vorgeschlagen wird, selbst von intelligenten Studenten.

Die richtigen Antworten sind 5 Cent, 5 Minuten und 47 Tage. Aber das wussten Sie sicher schon – zumindest wenn Sie sich die Mühe gemacht haben, Ihr reflektierendes System zu befragen. Econs treffen niemals eine wichtige Entscheidung, ohne dieses zu Rate zu ziehen (sofern sie die Zeit dazu haben). Doch Humans richten sich, ohne lange nachzudenken, auch manchmal nach der Antwort, die ihnen ihr Bauch einflüstert.

Wenn Sie gerne Fernsehen schauen, dann kennen Sie vielleicht Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise als jemanden, dessen reflektierendes System immer die Kontrolle über ihn hat:

CAPTAIN KIRK: Sie würden einen großartigen Computer abgeben, Mr. Spock.

MR. SPOCK: Das ist sehr freundlich von Ihnen, Captain!

Im Gegensatz dazu scheint etwa Homer Simpson vergessen zu haben, dass er so etwas wie einen Verstand besitzt:

VERKÄUFER: Ich muss Sie darauf hinweisen, dass das Gesetz eine fünftägige Wartefrist vorschreibt, bevor man eine Waffe kaufen kann.

HOMER: Fünf Tage? Aber ich bin jetzt wütend!

Eines der Hauptziele unseres Buches ist es, für die Homers unter uns (und für den Homer in uns allen) die Welt leichter und sicherer zu machen. Wenn die Menschen sich bedenkenlos auf ihr automatisches System verlassen können, ohne sich damit in Schwierigkeiten zu bringen, wird ihr Leben leichter, besser und länger sein.

Faustregeln

Wir sind meistens schwer beschäftigt, unser Leben ist kompliziert, und wir können nicht die ganze Zeit damit verbringen, alles zu überdenken und zu analysieren. Wenn wir schnell eine Einschätzung abgeben müssen, zum Beispiel wie alt Angelina Jolie ist oder wie weit Cleveland und Philadelphia voneinander entfernt liegen, dann bedienen wir uns einfacher Faustregeln, weil diese in den meisten Fällen hilfreich sind und uns wenig Zeit kosten. Tom Parker hat sogar ein ganzes Buch mit Faustregeln gefüllt, eine tolle Sammlung mit dem Titel Rules of Thumb. Darin kann man zum Beispiel lesen »Ein Straußenei reicht für einen Brunch mit 24 Leuten« oder »Zehn Menschen lassen die Temperatur in einem durchschnittlich großen Raum um 1 Grad pro Stunde ansteigen«. Und eine Regel, auf die wir noch zurückkommen werden: »Wenn die Universität ein festliches Dinner veranstaltet, dürfen nicht mehr als 25 Prozent der Gäste der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät angehören, sonst wird sich an diesem Abend niemand gut unterhalten.«

Faustregeln sind in vielen Fällen nützlich, aber sie können auch zu systematischen Irrtümern führen. Diese Einsicht, die vor Jahrzehnten von den israelischen Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman (1974) formuliert wurde, hat starke Auswirkungen darauf, wie Psychologen (und schließlich auch Wirtschaftswissenschaftler) heute über das Denken denken. Sie identifizierten zunächst einmal drei sogenannte Urteilsheuristiken (oder Faustregeln) – die Heuristik der Verankerung, die Verfügbarkeitsheuristik und die Repräsentativitätsheuristik – sowie die jeweiligen Fehleinschätzungen, die daraus resultieren können. Ihre Untersuchungen sind auch als der Heuristics and Biases-Ansatz der Urteilsforschung bekannt. In jüngerer Zeit haben Psychologen erkannt, dass sowohl Heuristiken als auch Urteilsfehler (im Englischen spricht man von »bias«) auf das Zusammenspiel von automatischem und reflektierendem System zurückgehen. Schauen wir einmal, was das heißt.

Verankerung

Angenommen, wir sollten die Einwohnerzahl von Milwaukee schätzen, einer Stadt etwa zwei Stunden nördlich unseres Wohnorts Chicago. Keiner von uns weiß besonders viel über Milwaukee, aber wir denken, dass es die größte Stadt in Wisconsin ist. Wie sollen wir nun beim Schätzen vorgehen? Eine Methode ist, von den Informationen, die wir haben, auszugehen. Wir wissen zum Beispiel, dass Chicagos Einwohnerzahl bei etwa 3 Millionen liegt und dass Milwaukee zwar eine Großstadt, aber eindeutig nicht so groß wie Chicago ist. Hmmm, vielleicht hat sie ein Drittel an Bewohnern, sagen wir 1 Million. Jetzt stellen wir uns jemanden aus Green Bay, Wisconsin, vor, dem die gleiche Frage gestellt wird. Er kennt die richtige Antwort ebenso wenig wie wir, aber er weiß, dass Green Bay etwa 100 000 Einwohner hat und dass Milwaukee größer ist, sagen wir, dreimal so groß – das wären 300 000 Einwohner.

In der Sozialpsychologie spricht man von Verankerung beziehungsweise Anpassung. Man setzt zunächst einen Anker bei einer Zahl, die man kennt, und versucht davon ausgehend, eine Einschätzung vorzunehmen. So weit, so gut. Der systematische Fehler schleicht sich ein, weil die Anpassung, die vorgenommen wird, in der Regel zu vorsichtig ausfällt. Experimente haben gezeigt, dass die Bewohner Chicagos meist eine zu hohe Zahl annehmen (weil sie den Anker hoch ansetzen) und die Menschen aus Green Bay mit ihrer Einschätzung oft darunterliegen (weil sie einen niedrigeren Anker wählen). Übrigens: Milwaukee hat etwa 580 000 Einwohner.4

Selbst offensichtlich irrelevante Anker schleichen sich in den Entscheidungsprozess mit ein. Probieren Sie einmal Folgendes: Nehmen Sie die letzten drei Ziffern Ihrer Telefonnummer und addieren Sie 200. Schreiben Sie das Ergebnis auf. So, und jetzt: Wann, glauben Sie, hat Attila der Hunne Europa heimgesucht? War es vor oder nach diesem Jahr? Was schätzen Sie? Wir geben Ihnen einen Tipp: Es war nach Christi Geburt.

Selbst wenn Sie sich in der europäischen Geschichte nicht besonders gut auskennen, dann wissen Sie doch auf jeden Fall, dass Attila – was auch immer er für eine Rolle spielte – nichts mit Ihrer Telefonnummer zu tun hat. Trotzdem: Immer wenn wir dieses Experiment mit unseren Studenten durchführen, bekommen wir von denen, die sich hohe Zahlen notiert haben, Antworten, die mehr als 300 Jahre höher liegen als von Studenten, die ein niedriges Ergebnis aufgeschrieben haben. Die richtige Antwort ist übrigens 441 nach Christus.

Anker können sogar beeinflussen, wie Sie Ihr eigenes Leben beurteilen. In einem Experiment wurden Studenten zwei Fragen gestellt: (a) Wie glücklich sind Sie? (b) Wie oft haben Sie Verabredungen? Wenn in dieser Reihenfolge gefragt wurde, dann korrelierten die Antworten kaum. Erkundigte man sich jedoch zuerst nach den Verabredungen, dann wurde deutlich, dass für die Testperson plötzlich beide Fragen zusammenhingen. Offensichtlich setzte die Verabredungsfrage etwas in Gang, das bei der Bewertung der Lebenszufriedenheit zum Tragen kam – man könnte in diesem Fall auch von »Verabredungsheuristik« sprechen: »Du liebe Zeit, ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal verabredet war. Ich muss unglücklich sein!« Ähnliche Resultate erhält man, wenn man Verheiratete befragt, ob sie glücklich sind und wann sie zuletzt Sex hatten.5

Es gibt auch Nudges, die so funktionieren. Wir können beeinflussen, welche Zahl Sie in einer bestimmten Situation wählen, indem wir ganz subtil eine Vorgabe machen, bei der Ihr Gedankenprozess dann einen Anker setzt. Wenn gemeinnützige Organisationen um Spenden bitten, dann bieten sie oft mehrere Optionen an – zum Beispiel 100, 250, 1000, 5000 Dollar oder »sonstiger Betrag«. Wenn die Fundraiser einer Organisation etwas von ihrem Handwerk verstehen, dann sind diese Vorgaben nicht zufällig gewählt, denn die angebotenen Optionen haben einen Einfluss darauf, wie groß die Spenden letztlich ausfallen. Die Leute geben nämlich mehr, wenn 100, 250, 1000 und 5000 Dollar als Optionen angegeben werden, als wenn um 50, 75, 100 oder 150 Dollar gebeten wird.

Dieser Effekt – je mehr man verlangt, desto mehr bekommt man – lässt sich in vielen Bereichen nachweisen. Anwälte, die Sammelklagen gegen die Tabakindustrie anstrengen, bekommen für ihre Mandanten oft astronomisch hohe Schadenersatzsummen zugesprochen – teilweise deshalb, weil sie es geschafft haben, gleich zu Beginn des Prozesses irgendwelche Multimillionenbeträge in den Köpfen der Jury zu verankern. Wer clever verhandelt, kann oft erstaunliche Vergleiche für seine Klienten abschließen, wenn er ein Eröffnungsangebot vorlegt, angesichts dessen der Prozessgegner sich glücklich schätzt, wenn er nur die Hälfte dieser Summe bezahlen muss.

Verfügbarkeit

Wie viel Angst sollte man vor Hurrikans, Atomenergie, Terrorismus, BSE, Alligatorangriffen oder Vogelgrippe haben? Und welche Anstrengungen sollte man unternehmen, den Risiken, die mit diesen Gefahren verbunden sind, aus dem Weg zu gehen? Was genau sollte man tun, um die Gefahren des Alltags zu bannen?

Um Fragen wie diese zu beantworten, setzen die meisten Menschen die sogenannte Verfügbarkeitsheuristik ein. Sie schätzen die Wahrscheinlichkeit von Risiken ab, indem sie sich fragen, wie schnell ihnen Beispiele dazu einfallen. Wenn sie sofort eines bei der Hand haben, machen sie sich eher Sorgen, als wenn ihnen keines einfällt. Eine Gefahr, die einem konkret bekannt ist, wie etwa ein Terrorangriff im Gefolge des 11. September 2001, wird man für bedrohlicher halten als weniger vertraute Risiken, die etwa das Sonnenbaden und die Erderwärmung in sich bergen. Mordbeispiele sind uns geläufiger als Fälle von Suizid, deshalb glauben die meisten Menschen fälschlicherweise, dass mehr Leute ermordet werden als Selbstmord begehen.

Ebenso spielt bei der Urteilsbildung eine Rolle, wie gut wir uns eine Sache vorstellen können und ob wir selbst einmal in letzter Zeit damit Erfahrungen gemacht haben. Wenn Sie persönlich ein schweres Erdbeben miterlebt haben, dann glauben Sie eher, dass ein solches wahrscheinlich ist, als wenn Sie nur in einer Zeitschrift darüber lesen. Ebenso wird die Wahrscheinlichkeit von Todesursachen, die wir uns lebhaft vorstellen können (zum Beispiel Tornados), überschätzt. Weniger leicht vorstellbare Ursachen (wie beispielsweise Asthmaanfälle) werden hingegen als selten eingestuft, auch wenn sie tatsächlich viel häufiger vorkommen. Jüngste Ereignisse beeinflussen unser Verhalten und unsere Ängste stärker als weiter zurückliegende.

All diese Risiken weithin bekannter Gefahren sind unserem automatischen System sehr präsent (vielleicht zu präsent), und wir haben deshalb auch nicht das Bedürfnis, uns anhand langweiliger Tabellen und Statistiken eingehender zu informieren.

Die Verfügbarkeitsheuristik erklärt viele Verhaltensweisen, die mit Risiko zu tun haben, darunter auch politische und private Entscheidungen über Schutzmaßnahmen. Ob jemand eine Versicherung gegen Naturkatastrophen abschließt, hängt stark von seinen jüngsten Erfahrungen ab.6Nach einem Erdbeben steigt der Verkauf von Erdbebenversicherungen sprunghaft an – sobald die Erinnerungen daran verblassen, gehen auch die Neuabschlüsse wieder zurück. Wenn es einige Jahre keine Fluten gegeben hat, dann werden Leute, die in Überschwemmungsgebieten leben, viel seltener eine Versicherung gegen Flutschäden abschließen. Und wer jemanden kennt, der eine Überschwemmung erlebt hat, entscheidet sich häufiger als andere Menschen für eine Flutpolice – egal, wie hoch das Risiko tatsächlich ist.