Nur mal schnell das Faultier wecken - Knut Krüger - E-Book

Nur mal schnell das Faultier wecken E-Book

Knut Krüger

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Beschreibung

Alle lieben Fred, das Faultier. Finn, Zoe und Henry staunen nicht schlecht, als sich eines Tages ein Faultier zu ihnen in die Küche schwingt. Und was für ein Faultier das ist! Fred hängt nicht nur freundlich-lässig an der Deckenlampe, sondern futtert ihnen bald die Schoko-Pops weg und ist ausgesprochen anhänglich. Als er auch noch anfängt, einzelne Wörter nachzusprechen, ist allen klar: Fred gehört zur Familie. Doch im Gebüsch lauert bereits Faultierforscher Stockmann. Vor ihm müssen die Kinder ihren Fred unbedingt beschützen ...

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Seitenzahl: 140

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Knut Krüger

Nur mal schnelldas Faultier wecken

Mit Illustrationen von Verena Körting

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Pluto

Es ist noch gar nicht lange her, da hatte ich einen Hund, der hieß Pluto. Das war der süßeste Hund, den man sich nur vorstellen kann. Jedes Mal, wenn ich von der Schule nach Hause gekommen bin, ist er an mir hochgesprungen und hat mir vor Freude das halbe Ohr weggeschlabbert. Aber dann ist er plötzlich immer dünner geworden, obwohl sowieso nicht viel an ihm dran war, und ist einfach gestorben – vor vier Wochen ist das gewesen, während ich beim Fußballtraining war. Als ich dann mit dem Fahrrad nach Hause kam, stand meine Mutter schon in der Tür und hat mich so komisch angeguckt. Da wusste ich gleich Bescheid.

Sie meint, Pluto ist jetzt im Hundehimmel. Natürlich weiß ich, dass es so was nicht gibt, doch irgendwie gefällt mir die Vorstellung, dass Pluto da oben auf seiner Lieblingswolke liegt, den Mond anknabbert und gegen die Sterne pinkelt. Da fällt mir ein, dass es ja auch einen Planeten gibt, der Pluto heißt, und wie ich mir so vorstelle, dass Pluto jetzt dem Pluto ganz nahe ist, höre ich, wie es unten an der Haustür klingelt.

Ich beiße sofort die Zähne zusammen und wische mir die Tränen aus den Augen. Denn zum Heulen ist jetzt keine Zeit mehr, weil …

»Finn, wo bleibst du denn?«

Weil meine Schwester mich aus der Küche ruft. Meine beiden besten Freunde Henry und Zoe sind gerade gekommen und wundern sich bestimmt, wo ich bleibe.

Ich schlucke heftig, lege mich flach auf den Bauch und angele mir die Jumbotüte Marshmallows, die ich seit gestern unter meinem Bett gebunkert habe.

»Soll ich dir tragen helfen?« Das ist Henrys Stimme.

»Komm ja schon.«

Ich drücke die Tüte gegen meinen Bauch und flitze die Treppe runter.

 

»Na endlich, gib her!«

Ich werfe Zoe die Tüte zu, auf der ein brennendes Lagerfeuer und ein Stock mit drei Marshmallows drauf abgebildet sind. SUPERGRILLMARSHMALLOWS steht in knubbeligen Buchstaben darunter. FÜRDRINNENUNDDRAUSSEN.

»Das sind die Richtigen«, stellt Zoe zufrieden fest und reißt gierig die Verpackung auseinander, als wäre sie ein Weihnachtsgeschenk, auf das sie sich schon lange gefreut hat.

Es gibt einen kleinen Knall.

Weiße und rosa Gummiteile fliegen durch die Gegend.

»Hoppla!«, ruft Zoe und ich denke, das ist so was von typisch für sie.

Henry ist schon auf den Knien und klaubt die Dinger vom Boden auf. Zwei davon sind in Norberts Trinknapf gelandet, doch Norbert kümmert das gar nicht. Er hebt nur kurz den Kopf und sagt das, was er immer sagt: »Jau!«

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Norbert kein Hund ist, sondern ein Mammut.

Und wenn jetzt irgendein Schlaumeier mit hochnäsiger Stimme einwirft, dass Mammuts doch längst ausgestorben sind, dann kann ich nur sagen, das haben wir bisher auch gedacht. Manchmal gibt es eben Dinge, die es nicht geben sollte, so wie Fußpilz oder fiese Lehrer. Die gibt es aber trotzdem, und genauso ist das eben mit unserem gemeinsamen Haustier, das angeblich aus der Steinzeit stammt.

Norbert ist ein süßes, kleines, freches, verspieltes, verschmustes, intelligentes Kreta-Zwergmammut. Darum ist es auch doppelt traurig, dass Pluto nicht mehr da ist. Wenn sich die beiden besser kennengelernt hätten, wären sie bestimmt dicke Freunde geworden.

Wie wir herausgefunden haben, dass Norbert ein Zwergmammut ist, dessen Vorfahren auf der griechischen Insel Kreta gelebt haben, das ist eine lange Geschichte. Henry hat ihn in den Faschingsferien zufällig im Wald gefunden, halb erfroren und im Tiefschlaf. Wir haben Norbert dann bei Henry zu Hause vorm Kamin aufgetaut und aufgepäppelt und mussten die ganze Zeit höllisch aufpassen, dass Henrys Oma nichts mitkriegt. Die war nämlich damals für Henry verantwortlich, weil seine Eltern im Urlaub waren.

Norbert hat sich am Anfang auch super gemacht, aber dann hat er diese komischen Anfälle gekriegt, bei denen er immer ganz kalt und starr geworden ist. Wir hatten totalen Bammel, dass er bald im Mammuthimmel landet – mich gruselt’s jetzt noch, wenn ich daran zurückdenke. Und als sich Norberts Zustand nicht gebessert hat, sind wir mit ihm in die Berge gefahren, weil wir dachten, Mammuts stammen doch eigentlich aus Eis und Schnee und vielleicht kommt er da oben wieder auf die Beine, aber nix da. Der hat sich nur erkältet und ist noch schwächer geworden. Und wie wir ihn dann total verzweifelt in den Zoo zu den Elefanten gebracht haben – kleines Familientreffen sozusagen –, da ist er vom verrückten Otto entführt worden. Da haben wir endgültig geglaubt, jetzt ist zappenduster, weil über Otto, oha, da hatte man so einige Schreckgeschichten gehört, und wir dachten, bestimmt murkst er unseren armen Norbert sofort ab und macht Mammuthackfleisch aus ihm. So weit ist es dann aber nicht gekommen.

In der Zwischenzeit hatten wir nämlich im Internet rausgekriegt, dass so ein Kreta-Zwergmammut eingeht wie ein Fisch auf dem Trockenen, wenn es keine Zitronen kriegt.

Ist das nicht verrückt, ich meine, wer ahnt denn so was?

Wir also jede Menge Zitronen gekauft und nix wie hin zu Unhold Otto, um Norbert im letzten Moment dem sicheren Tod zu entreißen. Da hat sich dann herausgestellt, dass Otto gar kein Fiesling ist, sondern eine Seele von Mensch, und so konnten wir unser krankes Mammut buchstäblich in letzter Sekunde retten und wieder gesund machen.

Und das Allerbeste kommt zum Schluss: Als Norbert wieder topfit war, hat Henrys Oma seine Eltern dazu überredet, ein kleines Mammut als Haustier zu akzeptieren, obwohl sie früher nicht mal einen Hund haben wollten.

Mannomann, war echt viel los in den Faschingsferien.

Und jetzt sitzen wir also fünf Monate später zu Beginn der Sommerferien bei uns in der Küche und wollen Marshmallows grillen und Scrabble spielen – ihr wisst schon, dieses Spiel, bei dem man Buchstaben zu Wörtern zusammenlegen muss. Unsere Deutschlehrerin wäre bestimmt stolz auf uns.

Fred

»Jau ist kein Wort«, protestiert Zoe.

»Klar ist Jau ein Wort«, gibt Henry zurück, nimmt seinen Marshmallowstock und kitzelt Norbert hinter dem Ohr.

Norbert schüttelt sich. »Jau!«

»Siehste! Gibt acht Punkte.«

»Was für ein mieser Trick«, meckert Zoe mit finsterer Miene.

»Mia!«

Mein Schwesterherz tippt wie wild auf ihrem Handy rum.

»MIA!«

»Hm?«

»Ist Jau ein gültiges Wort?«, fragt Zoe.

»Meinetwegen«, murmelt Mia zerstreut.

»Och menno!« Zoe haut wütend auf den Tisch, sodass die Buchstaben hochspringen.

»Entschieden ist entschieden«, sage ich, drehe mich auf dem Stuhl halb herum und halte meinen Stock, auf dem zwei rosa Marshmallows stecken, über die glühend heiße Herdplatte. Ruckzuck werden die rosa Dinger braun.

Leider ist Mia als Schiedsrichterin ein Totalausfall, weil sie bis über beide Ohren verknallt ist und ihrem neuen Schwarm ständig Knutschlippen und rote Herzen und so was schickt – also, per WhatsApp natürlich.

»Dann hätte das Wort Murks vorhin auch zählen müssen«, beschwert sich Zoe.

»Hätte, hätte, Fahrradkette«, kommentiert Henry mit leiernder Stimme.

Zoe verwandelt sich sofort in einen Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Jedenfalls kann ich mir genau vorstellen, wie sie als wütende Comicfigur aussehen würde: aus Nase und Ohren qualmt dunkler Rauch und in ihren Augen brodelt rote Lava.

Irgendwie ist Scrabble ein Spiel mit eingebauter Streitgarantie, denke ich, während ich zwei Butterkekse mit Nutella beschmiere und die gegrillten Marshmallows dazwischenklemme – fertig ist der Burger. Zumindest können wir stundenlang Uno, Kniffel oder Mau-Mau spielen, ohne uns in etwas zu verwandeln, das jeden Moment explodieren kann. Bei Scrabble unmöglich.

Henry steht auf, füllt Norberts leeren Trinknapf mit kaltem Wasser aus dem Hahn und gibt ein paar Zitronenscheiben dazu. Unser Mammut schlingt zuerst die Zitronenscheiben runter, lässt dann seinen Rüssel ins Wasser gleiten, trinkt einen Schluck, indem es sich den Rüssel ins Maul steckt, und spritzt den Rest Wasser zurück in den Napf. »Jau!«

»Boah, ist das heiß hier!«, stöhnt Zoe, stapft zum Küchenfenster und reißt es sperrangelweit auf. Wir können nämlich auch stundenlang Marshmallows grillen, obwohl es draußen seit drei Tagen so dampfig und schwül ist wie in einem Dschungel.

Zoe schiebt drei Marshmallows auf ihren Stock und grummelt mit zusammengebissenen Zähnen: »Finn ist dran.«

Ich mustere das Spielbrett. Vor dem Wort Bär sind mehrere Felder frei, eines davon mit dreifachem Buchstabenwert. Nach kurzem Grübeln kommt mir eine geniale Idee: Ich nehme ein F von meinem Ablagebänkchen, dann ein R, gefolgt von einem E …

»Fressbär?«, ruft Zoe entgeistert.

»Ein Bär, der frisst«, erkläre ich bereitwillig.

»So wie Trinkmammut«, fügt Henry hinzu und zeigt auf Norbert, der einen weiteren Schluck Zitronenwasser schlürft.

»Mia, bitte!«, ruft Zoe genervt. »Sag den beiden Hirnis, dass es Eisbären oder Braunbären, aber keine Fressbären …«

Den Rest des Satzes verstehe ich nicht, weil von draußen ein lautes Knacken zu hören ist. Irgendwas raschelt im Baum, der vor dem Fenster steht. Die grünen Blätter geraten in Bewegung.

Im nächsten Moment schwingt sich ein affenähnliches Wesen zu uns in die Küche. Es fährt in Seelenruhe seinen langen Arm aus, hält sich an einer Ecke des Hängeschranks fest und baumelt ein paar Sekunden später an der Lampe über unseren Köpfen.

Ich bin so verdattert, dass mir mein halber Marshmallow-Burger aus dem Mund quillt. Mia guckt endlich von ihrem Handy hoch, ihre Augen so groß wie Zitronenscheiben. Henry sieht aus, als hätte er das ganze Nutellaglas verschluckt. Zoe lacht kurz auf, aber es klingt wie ein Schluckauf. Nur Norbert ist die Ruhe selbst und betrachtet sein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche des Trinknapfs.

»Was … was ist das?«, stottert Zoe.

»Vielleicht ein Fressbär …«, murmelt Mia in sich hinein.

Irgendwo hab ich so ein Tier schon mal gesehen, und dass wir nicht in Panik ausbrechen, liegt wahrscheinlich daran, dass es so harmlos, ja lustig aussieht – ein zotteliger Clown mit langen ungekämmten Haaren. Sein Gesicht ist klein und rund mit einer niedlichen Stupsnase mittendrin. Die glänzenden Knopfaugen sind schwarz umrandet, als hätte es sich geschminkt. Zwei dunkle Streifen ziehen sich von den Augen zur Seite, als wäre die Schminke dort verlaufen. Der Mund lächelt von einem winzigen Ohr zum anderen.

Allerdings wird mir doch ein bisschen mulmig zumute, als ich die gebogenen Krallen an Händen und Füßen entdecke, mit denen es sich an der Lampe festklammert. Den Kopf hat es weit in den Nacken gelegt und grinst zu uns runter.

»Ich glaube, ihr solltet mal lieber …«, Henry steht auf, schiebt langsam seinen Stuhl zurück und kniet sich neben Norbert, »… eure Eltern anrufen.«

Mia nickt und fängt an zu tippen, während ihr Blick ängstlich zwischen dem haarigen Wesen und ihrem Display hin- und herflitzt.

Das grinsende Tier hat inzwischen festgestellt, dass man an so einer Lampe wahnsinnig gut schaukeln kann. Wie ein Kind auf dem Spielplatz schwingt es hin und her und schließt dabei genüsslich die Augen.

Mir kommt ein verwegener Plan: »Hört mal zu«, flüstere ich. »Wenn es bis zum Fenster schaukelt, dann können wir’s vielleicht rausschubsen und schnell das Fenster zuknallen.«

Zoe schüttelt den Kopf und knabbert an ihren Haaren. »Viel zu gefährlich.«

Weiße Brösel rieseln auf das Spielbrett. Ich gucke nach oben. Der Haken, an dem die Lampe befestigt ist, löst sich knirschend aus der Zimmerdecke.

Auch das noch.

Wir springen hektisch auf und drücken uns an die Wand. Jeder von uns weiß, was gleich passieren wird – nur das fröhlich schaukelnde Tier nicht.

Als es im nächsten Augenblick zusammen mit der Lampe durch die Küche segelt, schreien wir wie in der Geisterbahn. Und natürlich tun uns Tier und Lampe nicht den Gefallen, gemeinsam aus dem Fenster zu fliegen. Das haarige Wesen lässt im Flug die Lampe los, die gegen den Kühlschrank kracht, und landet – oh nein! – mit beiden Beinen auf der heißen Herdplatte. Ich beiße mir vor Schreck auf die Zunge. Das Tier stößt ein gequältes Quieken aus, hopst panisch auf den Küchentisch und fegt die Spielsteine zur Seite. Auch die Reste meines Marshmallow-Burgers klatschen auf den Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hüpft das Tier quer durch die Küche, aber das Seltsame daran ist, dass es sich dabei total langsam bewegt, wie in Zeitlupe. Von meiner Stuhllehne macht es schließlich einen Riesensatz auf die Arbeitsplatte, prallt von der Wand ab und landet mit den Füßen voraus in der Spüle, in der sich kaltes Abwaschwasser befindet. Ein erleichtertes Lächeln huscht über sein Clownsgesicht.

Ich bin total durchgeschwitzt und spüre mein Herz in der Kehle schlagen. Doch während ich fieberhaft überlege, was wir jetzt tun sollen, trottet Norbert gemächlich zur Spüle, stellt sich auf die Hinterbeine und guckt das rätselhafte Tier interessiert an. »Jau.«

Das Tier guckt genauso interessiert zurück, spitzt den Mund und stößt einen seltsamen Ton aus. Er klingt wie ein lang gezogenes Pfeifen.

Allmählich entspannt sich die Lage. Was auch immer passiert, Norbert wird uns beschützen, denke ich. Wir setzen uns wieder auf unsere Stühle, obwohl das haarige Wesen immer noch im Seifenwasser der Spüle steht.

»Ich weiß, was das für ein Tier ist«, sagt Mia plötzlich.

»Und es hat sogar seinen Namen gelegt«, fügt Zoe kichernd hinzu.

»Hä?«

Alle Köpfe drehen sich in Zoes Richtung.

»Guckt euch das mal an.«

Sie zeigt auf das Spielbrett, auf dem nur noch vier Spielsteine vorhanden sind. Die ersten drei Buchstaben meines Fressbären sind liegen geblieben und ein paar Zentimeter weiter ein einzelnes D.

FRED.

Geht das jetzt immer so weiter?

In der Schule lernt man viele unnütze Sachen über Tiere. Zum Beispiel, wie viele Zähne ein Eichhörnchen hat. Oder dass es in Österreich 54 Arten von Regenwürmern gibt, in Deutschland aber nur 46. Ich meine, wer will denn so was wissen? Aber wie man ein Faultier aus der Küchenspüle rauskriegt, ohne sich an seinen Krallen wehzutun, das lernt man natürlich nicht. Mia ist sich zu hundert Prozent sicher, dass es ein Faultier ist. Und ich bin mir noch sicherer, dass sie recht hat. Denn erstens ist Mia schon siebzehn und sollte sich ein klein bisschen mit Tieren auskennen. Und zweitens hab ich neulich im Kino einen Film mit Faultieren gesehen. Die waren zwar gezeichnet und nicht echt, sahen aber genauso aus wie Fred und waren auch genauso langsam.

Was so ein Tier ausgerechnet in unserer Küche zu suchen hat, ist natürlich eine andere Frage.

Norbert steht immer noch auf seinen Hinterbeinen und glotzt Fred an. Und Fred badet seine Füße weiterhin im Abwaschwasser und glotzt Norbert an. Als würden die beiden ein Spiel spielen – wer zuerst blinzelt, hat verloren. Aber Norbert, der blinzelt nicht, da kann Fred lange drauf warten. Norbert ist sozusagen Weltmeister im Gucken und Nichtstun. Der schaut dich mit seinen gemütlichen braunen Kulleraugen an, ohne eine Miene zu verziehen, und wenn du dich gerade fragst, was bloß in seinem dicken Mammutschädel vor sich geht, dann klatscht er dir eine mit dem Rüssel oder macht irgendeinen anderen Blödsinn.

Wir drängen uns alle hinter Norberts breitem Rücken zusammen, sicher ist sicher. Könnte ja sein, dass dieses Dauerlächeln nur Tarnung ist und dir so ein Tier plötzlich mit breitem Grinsen die Nase abbeißt.

Zoe wickelt sich eine blonde Locke um ihren Zeigefinger und schiebt sich die Spitzen zwischen die Lippen.

Knabber, knacks, knabber, knacks.

»Meint ihr, es lässt sich anfassen?«, fragt sie mit den Haaren in Mund.

»Glaub schon«, murmelt Henry. Aber seine Stimme klingt so, als würde er das mit dem Anfassen lieber uns überlassen.

»Hast du Mama und Papa geschrieben?«, will ich von Mia wissen.

Sie schüttelt ganz leicht den Kopf. Es ist nur eine winzige Bewegung. Das macht sie immer, wenn sie mit ihren Gedanken woanders ist. Es kann also Nein oder Nicht jetzt oder Halt die Klappe bedeuten.

Eine Weile stehen wir unschlüssig da und warten darauf, dass von selbst was passiert. Aber von selbst passiert nichts. Nur Mias Handy macht dreimal nacheinander pling.

Schließlich wird Norbert die Warterei zu blöde. Er schiebt seinen Rüssel über die Kante der Spüle. Seine Nasenlöcher, die aussehen wie eine Steckdose, plustern sich auf und fangen an zu zucken.

Bestimmt müssen sich Tiere, die sich noch nie gesehen haben, erst mal beschnuppern, denke ich. Doch statt zu schnuppern, greift dieses Faultier mit einer Hand um Norberts Rüssel und zieht sich wie in Zeitlupe nach vorne. Ein kleiner nasser Fuß patscht auf den schmalen Streifen vor dem Spülbecken. Und erst jetzt kapiere ich, warum Norbert ihm seinen Rüssel entgegengestreckt hat. Er hat Fred eine Brücke gebaut.

Ich bin total baff, wie er da nur draufgekommen ist. Norbert überrascht uns wirklich immer wieder.

Fred hat inzwischen einen Faultierzahn zugelegt und die Rüsselbrücke erklommen. Dann klettert er über einen Stoßzahn und das rechte Schlappohr hinweg auf Norberts Rücken und macht es sich dort gemütlich. Das heißt, er klammert sich fest wie ein kleiner Koalabär und sieht total zufrieden aus, als wäre Norbert seine Mama, ach was, sein Papa, den er nach langer Suche endlich wiedergefunden hat.

Norbert ist nun auf allen vieren und trabt im Chaos der Küche ein bisschen hin und her. Die Reste meines Marshmallow-Burgers stampft er zu Brei, aber egal. Den hätte ich sowieso nicht mehr gegessen. Fred schaukelt auf seinem Rücken und pfeift leise vor sich hin.