Nur mit Handgepäck - Gabriele Romagnoli - E-Book

Nur mit Handgepäck E-Book

Gabriele Romagnoli

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Unser Menschenleben – ein Lidschlag. 23 Jahre schlafen wir, 20 Jahre frisst die Arbeit, 228 Tage stehen wir im Bad. Die knappe freie Restzeit sollten wir uns wirklich auf das Wesentliche konzentrieren. Doch meist gelingt uns das nicht. Der bekannte italienische Journalist Gabriele Romagnoli machte während einer Reporterreise durch Südkorea eine heilsame Erfahrung: Er wohnte seiner eigenen Beerdigung bei. Sein Buch erzählt, wie diese Erfahrung ihm einen neuen Blick auf die Welt ermöglichte und ihm die Augen öffnete für das Glück des einfachen Lebens. Es spart sich Predigt und Besserwisserei, dafür leistet es sich einen wunderbaren Refrain: Für eine Neugeburt ist es nie zu spät.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 116

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Unser Menschenleben – ein Lidschlag. 23 Jahre schlafen wir, 20 Jahre frisst die Arbeit, 228 Tage stehen wir im Bad. Die knappe Restzeit sollten wir dem widmen, was wesentlich ist.

Der bekannte italienische Journalist Gabriele Romagnoli macht in Südkorea eine heilsame Erfahrung: Er wohnt seiner eigenen Beerdigung bei. Was ihm dabei durch den Kopf geht, eröffnet ihm einen neuen Blick auf die Welt. Es führt ihn dazu, alles abzuwerfen, was überflüssig ist, denn nur mit Handgepäck bewegt man sich deutlich leichter – im Leben wie auf Reisen.

Gabriele

Romagnoli

Nur mit

Handgepäck

Wie ich lernte,

mich auf das Wesentliche

zu konzentrieren

Aus dem Italienischen

von Andrea Panster

Kösel

Deutsche Erstausgabe

Der Kösel-Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © der deutschsprachigen

Ausgabe 2016 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2015 Gabriele Romagnoli

Originaltitel: Solo Bagaglio a Mano

Originalverlag: Giangiacomo Feltrinelli Editore Milano

Durch freundliche Vermittlung von Kylee Doust Agency

Umschlag: Weiss Werkstatt, München, unter Verwendung eines

Entwurfes von elaborazione dell’Ufficio grafico Feltrinelli

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-18885-6V001

www.koesel.de

Inhalt

Ich war auf meiner Beerdigung …

1. Nur mit Handgepäck

2. Kein Leben in Reserve

3. Die Metapher vom Matchbeutel

4. Lost is found

5. Erinnere dich daran, dich nicht zu erinnern

6. Selig sind die Kinder von Sting

7. Ballast

8. Die Leiche im Koffer

… und wurde wiedergeboren

Ich war auf meiner Beerdigung …

Ich war auf meiner Beerdigung und habe etwas über das Leben gelernt. Es war nicht viel, aber nach meiner Rückkehr in die Welt beherzigte ich es und lebe seither besser.

Die Zeremonie fand an einem Morgen Ende November in der Stadt Naju im Süden Südkoreas statt. Sie endete mit den Worten: »Du hattest ein anstrengendes Leben, und jetzt ruhst du dich aus.« Dann verschlossen sie meinen Sarg mit vier Hammerschlägen auf die Nägel, warfen etwas Erde auf den Deckel und gingen. Ich blieb dort, im Dunkel der Zeit, und dachte an alles, was gewesen war, was nicht mehr sein würde, und akzeptierte es, so wie ich akzeptierte, dass ich gestorben war, dass ich dort wirklich gestorben war.

Die Reise hatte an einem Julitag in einem Flugzeug begonnen. Ich hatte an Bord in der Financial Times geblättert und gelesen, dass Südkorea den Weltrekord im Selbstmord hält – mit durchschnittlich 33 Suiziden am Tag. Und dass man, um einen weiteren Anstieg zu verhindern, sogar Beerdigungen simulierte. Große Unternehmen wie Samsung oder Allianz ließen es sich etwas kosten, dass ihre Beschäftigten einen Tag nicht mit Arbeit verbrachten, sondern damit, sich von sich selbst zu verabschieden – in der Hoffnung, dass sie dann im echten Leben von einem Selbstmord absähen. Es gab sogar ein eigenes Unternehmen namens Korea Life Consulting, das sich um alles kümmerte und bereits 50000 Zeremonien abgehalten hatte. Bei der Landung dachte ich mir, dass ich Nummer 50001 sein wollte. Nicht, weil ich je gefährdet gewesen wäre, mich umzubringen, oder glaube, dass ich je gefährdet sein werde. Ich wollte vielmehr wissen, ob man über das – und sei es nur mittels einer Inszenierung erlangte – Gefühl, dass es zu Ende ist, auch nur ein klein wenig vom banalisierten »Sinn des Lebens« erhaschen kann, ob es eine Art Gebrauchsanweisung liefert.

Also bin ich in ein Flugzeug nach Seoul gestiegen. Und dort in ein Flugzeug nach Gwangju. Und dort in ein Taxi nach Naju. Die Fahrt dauert eine halbe Stunde. Der Wagen dringt in einen Wald aus durchnummerierten Mehrfamilienhäusern vor. Es gießt in Strömen. Der Himmel ist undurchdringlich grau. Das Navigationssystem hat kapituliert. Ein Passant weist uns den Weg zur Korea Life Consulting: Die Firma befindet sich in einem anonymen Bürogebäude, die Zufahrt von einer Schranke geschützt.

Ein freundlicher Herr namens Lied – Song – erwartet mich mit aufgespanntem Regenschirm und bringt mich in einen Raum, wo ich den Unternehmensgründer kennenlerne, Herrn Ko Min-su. Er ist vierzig Jahre alt und kommt aus der Versicherungsbranche. Sein Leben wurde durch den Tod seiner beiden großen Brüder in jungen Jahren gezeichnet. Der eine starb bei einem Flugzeugunglück, der andere im Auto. Das Überleben hat ihn geprägt und mit Zweifeln erfüllt, auf die er mit seiner Tätigkeit eine Antwort geben möchte. Er vertagt jede weitere Diskussion auf die Zeit nach der »Wiedergeburt« und empfiehlt mir fortzufahren.

Wir gehen in einen anderen, deutlich größeren Raum, der wie ein Klassenzimmer eingerichtet ist, mit vielen Bänken, einem Pult und einer interaktiven Tafel. Ich werde fotografiert, das Bild wird sofort ausgedruckt und in einen Rahmen mit gelben Chrysanthemen und schwarzen Bändern gesteckt. Ich sitze an einem der Tische und lausche der Einführung, die der Zeremonie vorausgeht. Ko Min-su zeigt ein Video, das er für diesen Anlass gemacht hat. Man sieht eine Mutter im Kreißsaal. Das Kind, das sie zur Welt bringt, explodiert aus ihrem Unterleib, durchschlägt ein Glas und fliegt schreiend durch die Luft. Ohne je zu verstummen, fliegt es weiter, wird erst zum Jungen, dann zum Mann. Der Himmel um ihn herum verfärbt sich, die Erde durchläuft die Jahreszeiten, er verliert erst die Haare, dann die Zähne, wird zum Greis, es ist Winter, Sonnenuntergang, er zerschellt in einem Grab – er wird nicht hinabgelassen, er zerbirst. 20 Sekunden sind vergangen. Es erscheint der Schriftzug Life is short, das Leben ist kurz. Ko Min-su sieht mich an und sagt: »Du weiß nie, wann es so weit ist. In deinem Fall endet es jetzt. Glaubst du, dass du bereit bist? Dass du die dir vergönnte Zeit so gut wie möglich genutzt hast?« Die Fragen sind rhetorisch. Noch nie hat sie jemand mit Ja beantwortet. Nicht einer von 50000 Menschen – und einem.

Auf der Tafel ist jetzt ein Text zu sehen. Man hat mehr als hundert über 80-jährige Männer befragt. Im Durchschnitt verbrachten sie ihr Leben wie folgt: 23 Jahre mit Schlafen, 20 mit Arbeiten, sechs mit Essen, fünf mit Rauchen und Trinken, weitere fünf damit, auf einen Termin zu warten, vier mit Nachdenken, 228 Tage mit Gesichtwaschen und Zähneputzen, 26 Tage im Spiel mit Kindern, 18 mit Krawattenbinden. Und zum Schluss 46 Stunden damit, glücklich zu sein. Die Worte leuchten weiter, kommentarlos, Stille. Ein Leben: 46 Stunden Glück. Sie dimmen das Licht, stellen eine Kerze auf den Tisch, bringen mein mit Trauerflor geschmücktes Bild, ein Blatt Papier und einen Stift.

»Du musst jetzt dein Testament machen. Richte einen letzten Gruß an die Menschen, die dir am meisten bedeuten, verfüge über deinen materiellen Besitz und unterzeichne dann mit Datum und Unterschrift. Du hast eine halbe Stunde Zeit. Denk daran, dass dein Leben bald vorüber sein wird und dir keine Zeit mehr bleibt, irgendetwas zu ändern. Du hast, was du hast, und die Menschen, die zählen, sind, wer sie sind.«

Sie lassen mich mit der Kerze, dem Blatt Papier und dem Stift allein. Ich fange an zu schreiben. Wie es scheint, war diese Übung für viele der 50000 Teilnehmer erhellend. Sie wurden sich – oft schmerzlich – bewusst, welche Beziehungen wirklich zählten und was sie aufgebaut hatten. Das ist auch bei mir nicht anders: wenige Dinge, sehr wenige Namen. Beim Schreiben wird mir etwas Wichtiges klar: Meiner Ansicht nach läuft es dann perfekt, wenn es am Ende nichts mehr zu vererben gibt, weil du dich längst aller Dinge entledigt hast. Und niemand mehr da ist, dem du sie geben könntest, für den dein Tod schmerzhaft wäre. Nur so kannst du in Frieden gehen, wie ein Windhauch: Es war, es ist vorüber, es ist nicht nötig, sich zum Gruß noch einmal umzudrehen. Das Problem ist vielmehr, dass alles endet, wenn du am wenigsten damit rechnest, und wenn es jetzt wirklich so weit wäre, müsste ich den Schmerz anderer Menschen in Betracht ziehen und etwas verfügen. Ich tue es und überrasche mich mit meinen Entscheidungen selbst.

Als ich den Stift niederlege, nähert sich der freundliche Herr namens Lied. Er bittet mich, das Testament mitzunehmen und ihm zu folgen: »Es ist Zeit für deine Beerdigung.«

Wir gehen wieder in den Vorraum. Er zeigt auf einen Flur, der zu einer Treppe führt. Davor wartet ein weiterer Mann. Er ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt einen riesengroßen Hut. In der koreanischen Tradition ist er der Todesbote. Er geht gemessenen Schrittes voran. Wir steigen in den Keller hinab. Es ist sehr kalt. Am Geländer hängen gelbe Laternen, an den Wänden die Porträts berühmter Verstorbener. Es ist eine seltsame Auswahl: Ich erkenne John F. Kennedy, Lady Diana, Ronald Reagan und Stanley Kubrick. Die Dunkelheit nimmt zu, die Temperatur ab. Im letzten Saal ist es eiskalt, am hinteren Ende befindet sich ein Altar. Auf dem Boden stehen Reihen von Särgen im schwachen Schein gedämpften roten Lichts. Es sind etwa zwanzig. Sie zeigen mir den meinen, stellen mein Bild auf ein Podest und legen das Testament dazu. Dann bekomme ich eine weiße Kutte, das koreanische Totengewand. Dass es keine Taschen haben würde, hatte Ko Min-su bereits angekündigt: »Denn du bist ohne alles auf diese Welt gekommen, und ohne alles wirst du sie verlassen«. Auch in Neapel sagt man: »Das letzte Hemd hat keine Taschen«.

Ich werde gefragt, ob ich noch etwas sagen will. Ich antworte nicht einmal mehr, sondern schüttle nur den Kopf. Ich muss mich in den Sarg legen. Es ist keiner von denen, wie man sie in manchen Filmen sieht, mit Satin ausgeschlagen und schön bequem. Es ist eine Holzkiste, ein Sarg wie aus dem Spaghettiwestern. Ich bin 1,90 Meter lang (von groß kann ich hier ja nicht mehr sprechen) und stoße mit Kopf und Füßen an. Ich habe keinen Platz für meine Arme und muss sie verschränken. Ich versuche noch, mich daran zu gewöhnen, da sehe ich, wie sich der Deckel schließt. Und schließlich denke ich: Wer zwingt mich dazu? Der Zweifel kommt zu spät. Mit einem Hammer werden die Nägel in die vier Seiten geschlagen, eine Hand voll Erde landet dröhnend auf dem Sarg. Dann ist alles still. Dunkel.

Und ich kann anfangen zu erzählen, was ich gedacht und gelernt habe, während ich tot war.

Kapitel 1

Nur mit Handgepäck

An verschiedenen Punkten unseres Lebens erstellen wir Listen der Ziele, auf die wir uns konzentrieren möchten. So mancher tut es zu Beginn jedes neuen Jahres. Da ich lange Zeit nicht wusste, wie man lang- oder auch nur mittelfristig plant, habe ich es erst im Alter von rund fünfzig Jahren gewagt, mir ein Ziel zu stecken: in meinem Leben hundert Länder zu bereisen. Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich bei 73, aber bis Ende des Jahres werden noch mindestens zwei dazukommen, sodass es dann 75 sein werden. Ich gehe davon aus, dass ich es schaffen werde, die 100 vollzumachen. Ich weiß nicht, was ich durch diese Weltreise gewinnen werde, aber ich kann sagen, was es mir gebracht hat, 73 Länder gesehen, auf 4 Kontinenten (Europa, Amerika, Asien, Afrika), in 8 Städten (Bologna, Turin, Rom, Mailand, Paris, Kairo, Beirut, New York) und in 27 Wohnungen gelebt zu haben. Bis jetzt. Ich weiß nicht, ob meine abschließenden Überlegungen die Schlüsselfrage meines Vaters beantworten werden. Als ich ihm sagte, dass ich von Kairo nach Beirut umziehen würde, sah er – ein Installateur aus Bologna, der sich mit weit über achtzig Jahren noch schwarzer Haare rühmen kann und deshalb von meinen Freunden Highlander genannt wird – von seinem Teller auf und fragte: »Wozu soll das gut sein?« Ein Elektroschrauber ist zu etwas gut. Eine Million Euro sind zu etwas gut. Aber wenn man von Ägypten in den Libanon zieht, um eine andere Sicht auf den Nahen Osten zu bekommen, wenn man nach Luxemburg fährt, um eine Zahl in ein blaues Notizbuch schreiben zu können, wenn man eine Wohnung in Manhattan verkauft und sich eine in Brooklyn kauft, um aus der Aussicht zu verschwinden und sie dadurch endlich zu genießen, dann sind diese Dinge zu nichts »gut«. Sie sind (sehr) anstrengend, (hin und wieder) amüsant und (sofern man lernwillig ist) lehrreich.

ENDE DER LESEPROBE



Tausende von E-Books und Hörbücher

Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.