Nutzen Sie Ihr zweites Gehirn - Tiago Forte - E-Book

Nutzen Sie Ihr zweites Gehirn E-Book

Tiago Forte

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Beschreibung

Wie man sein digitales Umfeld zum zweiten Gehirn macht Die anhaltende Informationsflut sorgt dafür, dass wir stets das Gefühl haben, nie genug zu wissen, und uns durch die ganzen Daten zunehmend gestresst fühlen. Wie soll man das alles auch im Griff behalten? Tiago Forte erläutert, wie wir es uns hier leichter machen können, indem wir ein ganz persönliches System des digitalen Wissensmanagements erstellen, ein sogenanntes »zweites Gehirn«. Der Produktivitätsexperte zeigt, wie wir unser digitales Leben mithilfe seiner 4-Schritte-Methode besser strukturieren, und so glücklicher und weniger gestresst werden. Er erklärt, wie man Ideen, Notizen und persönliche Informationen auf all seinen digitalen Geräten und Plattformen organisiert und synchronisiert. Von der Identifizierung guter Ideen über die Organisation der Gedanken bis hin zum schnellen und einfachen Wiederauffinden – in dem zweiten Gehirn lässt sich alles jederzeit abrufen und der Alltag sich so leichter, effizienter und produktiver gestalten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 336

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Tiago Forte

Nutzen Sie Ihr zweites Gehirn

Nutzen Sie Ihr zweites Gehirn

Eine bewährte Methode, sich im digitalen Zeitalter zu organisieren

TIAGO FORTE

Übersetzung aus dem Englischen von Jordan Wegberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

2. Auflage 2024

© 2023 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

© der Originalausgabe by Tiago Forte

Published by Arrangement with Tiago Forte

Die englische Originalausgabe erschien 2022 bei Atria Books unter dem Titel Building a Second Brain. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Jordan Wegberg

Redaktion: Friederike Moldenhauer

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: Coffeemill/Shutterstock

Abbildung Innenteil: Pablo Picasso, Le Taureau (Serie aus 11 Lithografien), 1945–46

© Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Satz: Daniel Förster

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-86881-920-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-482-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-483-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für Lauren, meine Partnerin, meine Muse und meine größte Inspiration bei allem, was ich tue

Inhalt

Einleitung: Die Vorteile eines zweiten Gehirns

Teil 1Die Grundlage

Erkennen, was möglich ist

1 Wie alles anfing

2 Was ist ein zweites Gehirn?

3 Wie ein zweites Gehirn funktioniert

Teil 2Die Methode

Die vier CODE-Schritte

4 Erfassen – festhalten, was nachhallt

5 Organisieren – für die Umsetzung speichern

6 Zusammenfassen – die Essenz finden

7 Ausdrücken – Ihre Arbeit präsentieren

Teil 3Die Veränderung

Etwas bewirken

8 Die Kunst der kreativen Umsetzung

9 Die grundlegenden Gewohnheiten der digitalen Ordnung

10 Eigene Ideen ausdrücken

Bonuskapitel: Wie man ein funktionierendes Schlagwortsystem erstellt

Weitere Ressourcen und Empfehlungen

Danksagung

Über den Autor

Anmerkungen

Einleitung

Die Vorteile eines zweiten Gehirns

Wie oft haben Sie schon versucht, sich etwas Wichtiges zu merken, und dann ist es Ihnen entfallen?

Vielleicht konnten Sie sich bei einer Unterhaltung nicht an eine Tatsache erinnern, die Ihre Argumentation gestützt hätte. Vielleicht kam Ihnen eine brillante Idee, während Sie am Steuer oder in einem Zug saßen, aber bis Sie am Ziel waren, hatte sie sich schon wieder in Luft aufgelöst? Wie oft haben Sie sich schon bemüht, wenigstens eine nützliche Erkenntnis aus einem Buch oder einem Artikel im Kopf zu behalten?

Je mehr Informationen uns zur Verfügung stehen, desto häufiger passiert uns das. Mehr als je zuvor werden wir mit Ratschlägen überflutet, die versprechen, uns klüger, gesünder und glücklicher zu machen. Wir konsumieren mehr Bücher, Podcasts, Artikel und Videos, als wir aufnehmen können. Was fangen wir mit all dem Wissen an? Wie viele der großartigen Ideen, die wir selbst haben oder denen wir begegnen, sind uns schon wieder entfallen, ehe wir auch nur die Gelegenheit hatten, sie in die Praxis umzusetzen?

Unzählige Stunden hören, lesen und sehen wir Tipps anderer dafür, was wir tun, wie wir denken und wie wir leben sollten, machen jedoch vergleichsweise wenig Anstalten, dieses Wissen anzuwenden und uns zu eigen zu machen. Die meiste Zeit sind wir nur »Informationshamsterer« und häufen unvorstellbare Mengen gut gemeinter Inhalte an, die letztlich nur dazu führen, Angst zu haben, etwas falsch zu machen.

Dieses Buch will das ändern. Die ganzen Inhalte, die Ihnen online und durch all die anderen Medien präsentiert werden, sind nicht nutzlos. Sie sind unglaublich wichtig und wertvoll. Das einzige Problem ist, dass Sie sie häufig zum falschen Zeitpunkt konsumieren.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Businessbuch, in dem Sie gerade lesen, genau das ist, was Sie im Augenblick brauchen? Wie wahrscheinlich ist es, dass jede einzelne Erkenntnis aus einem Podcast sofort umsetzbar ist? Wie viele der E-Mails in Ihrem Posteingang erfordern wirklich genau jetzt Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit? Wahrscheinlich sind einige davon im Moment relevant, die meisten jedoch haben auch noch Zeit.

Um die für uns wertvollen Informationen nutzen zu können, müssen wir sie irgendwie verpacken und durch die Zeit an unser künftiges Ich schicken. Wir müssen einen Wissensschatz kultivieren, der ganz allein unserer ist, damit wir bei der passenden Gelegenheit – sei es ein neuer Job, eine wichtige Präsentation, die Einführung eines neuen Produkts, die Gründung eines Unternehmens oder einer Familie – auf die Weisheit zurückgreifen können, die wir für gute Entscheidungen brauchen, und entsprechende Maßnahmen ergreifen können. Das alles beginnt mit dem einfachen Vorgang des Aufschreibens.

Ich werde Ihnen zeigen, dass diese schlichte Angewohnheit der erste Schritt in einem System ist. Der Aufbau eines zweiten Gehirns, wie ich es bezeichne, basiert auf den jüngsten Fortschritten auf dem Gebiet des persönlichen Wissensmanagements (PWM).[1] So wie PCs unsere Beziehung zur Technologie revolutioniert haben, Online-Banking unseren Umgang mit Geld verändert und das Büro zu Hause unsere Arbeitsweise neu geformt hat, hilft uns das persönliche Wissensmanagement, das volle Potenzial dessen auszuschöpfen, was wir wissen. Technische Innovationen und neue Generationen leistungsstarker Apps schaffen zwar ständig neue Chancen, aber die Lektionen, die Sie auf diesen Seiten finden, beruhen auf zeitlosen und bewährten Prinzipien.

Das System des zweiten Gehirns bringt Ihnen bei, wie Sie

binnen Sekunden alles wiederfinden, was Sie gelernt, was Sie berührt oder worüber Sie nachgedacht haben;

Ihr Wissen organisieren und nutzen, um Ihre Projekte und Ziele kontinuierlicher voranzubringen;

Ihre besten Gedanken speichern, damit Sie den Denkprozess nicht erneut vornehmen müssen;

in verschiedenen Lebensbereichen Ideen verknüpfen und Muster erkennen, die Ihnen das Leben erleichtern;

ein zuverlässiges System einführen, um mit anderen vertrauensvoller und einfacher zusammenzuarbeiten;

nach getaner Arbeit abschalten können im Bewusstsein, dass nichts verloren geht;

weniger Zeit damit verbringen, nach Informationen zu suchen und mehr Zeit damit, besser und kreativer Leistung zu erbringen.

Wenn Sie Ihre Haltung zu Informationen verändern, betrachten Sie Technologie nicht mehr nur als Speichermedium, sondern als Denkwerkzeug. Sie ist wie ein Fahrrad für den Verstand.[2] Haben wir erst einmal gelernt, sie richtig einzusetzen, kann die Technologie unsere kognitiven Fähigkeiten verbessern und uns viel schneller an unsere Ziele bringen, als wir es ohne schaffen würden.

In diesem Buch zeige ich Ihnen, wie Sie sich ein Wissensmanagementsystem, ein »zweites Gehirn«[3]1, schaffen. Ob Sie es nun als »persönliche Cloud« bezeichnen, als »Feldnotizen« oder »externes Gehirn« wie einige meiner Studierenden, es ist ein digitales Archiv Ihrer wertvollsten Erinnerungen, Ideen und Kenntnisse. Es unterstützt Sie bei Ihrer beruflichen Tätigkeit, in Ihrem Unternehmen oder im Alltag, ohne dass Sie jedes Detail im Kopf behalten müssen. Wie eine persönliche Bibliothek in der Hosentasche lässt ein zweites Gehirn Sie alles abrufen, an das Sie sich erinnern wollen, damit Sie alles erreichen können, was Sie sich wünschen.

Ich bin davon überzeugt, dass persönliches Wissensmanagement eine der größten Herausforderungen ist – aber auch unglaubliche Chancen bietet. Wir alle brauchen dringend ein System, um mit der ständig wachsenden Informationsflut zurechtzukommen. Dieses Anliegen habe ich von Studenten und Geschäftsführerinnen gehört, bei Entrepreneuren und Managerinnen, bei Ingenieurinnen und Autoren und bei vielen anderen, die sich wünschen, mit Informationen produktiver und effektiver umzugehen.

Wer lernt, die Technologie für sich zu nutzen und die Informationsflut zu beherrschen, ist in der Lage, alles zu erreichen, was er sich vorgenommen hat. Gleichzeitig werden jene, die sich weiterhin nur auf ihre fragilen biologischen Gehirne verlassen, von der steigenden Komplexität des Alltags überrollt.

Jahrelang habe ich untersucht, wie erfolgreiche Autoren, Künstlerinnen und Denker der Vergangenheit ihre kreativen Prozesse organisiert haben. Zahllose Stunden habe ich erforscht, wie der Mensch die Technologie nutzen kann, um seine natürlichen kognitiven Fähigkeiten zu erweitern und zu verbessern. Ich selbst habe mit sämtlichen heute verfügbaren Tools, Tricks und Techniken experimentiert, wie ich Informationen sinnvoll nutzen kann. In diesem Buch fasse ich meine Erkenntnisse zusammen, während ich Tausenden Menschen weltweit half, das Potenzial ihrer Ideen auszuschöpfen.

Mit einem zweiten Gehirn in Reichweite können Sie das Potenzial Ihrer verborgenen Stärken und kreativen Instinkte ausschöpfen. Dieses System ist eine Gedächtnisstütze, wenn Sie vergesslich sind, und macht Sie umso effektiver, wenn Sie stark sind. Mit weniger Mühe und Stress lernen und schaffen Sie viel mehr als je zuvor.

Im nächsten Kapitel erzähle ich Ihnen, wie ich mein zweites Gehirn geschaffen habe und was ich herausgefunden habe, wie Sie dasselbe erreichen können.

Teil 1

Die Grundlage

Erkennen, was möglich ist

Kapitel 1

Wie alles anfing

Sie haben Ihren Verstand, um Ideen hervorzubringen, nicht um sie festzuhalten.

– David Allen, Autor von Wie ich die Dinge geregelt kriege

An einem Frühlingstag in meinem ersten Semester bekam ich plötzlich ohne erkennbaren Grund ein bisschen Halsschmerzen. Zuerst dachte ich, ich bekäme eine Erkältung, aber mein Arzt konnte nichts diagnostizieren. In den nächsten paar Monaten wurde es allmählich schlimmer, und ich ging zu anderen, spezialisierteren Medizinern. Sie kamen alle zum selben Schluss: »Ihnen fehlt nichts.«

Doch die Schmerzen wurden immer schlimmer und kein Gegenmittel war in Sicht. Schließlich wurden sie so stark, dass ich Schwierigkeiten beim Sprechen, Schlucken oder Lachen hatte. Ich ließ jede nur vorstellbare diagnostische Untersuchung vornehmen auf der verzweifelten Suche nach den Ursachen für meine Beschwerden.

Monate, schließlich Jahre vergingen. Ich verlor alle Hoffnung auf Besserung. Ich fing an, ein starkes Antikonvulsivum zu nehmen, das die Schmerzen vorübergehend milderte, aber es hatte furchtbare Nebenwirkungen, darunter ein Taubheitsgefühl am ganzen Körper und schlimme kurzfristige Gedächtnisausfälle. Die Reisen, die ich damals unternahm, die Bücher, die ich las, und kostbare Erlebnisse mit meinen Lieben waren aus meiner Erinnerung getilgt, als hätte es sie nie gegeben. Ich war vierundzwanzig Jahre alt und hatte das Gedächtnis eines Achtzigjährigen. Während ich immer weniger in der Lage war, mich verbal auszudrücken, verwandelte sich meine Mutlosigkeit in Verzweiflung. Ohne die Fähigkeit frei zu sprechen, schien so vieles von dem, was das Leben zu bieten hat – Freundschaften, Liebesbeziehungen, Reisen und die Suche nach einem Beruf, für den ich mich begeistern konnte –, mir einfach zu entgleiten. Es fühlte sich an, als wäre ein dunkler Vorhang vor die Bühne meines Lebens gezogen worden, noch ehe ich eine Chance gehabt hatte aufzutreten.

Der Wendepunkt – die Entdeckung der Macht des Niedergeschriebenen

Als ich eines Tages mal wieder in einem Sprechzimmer saß und auf eine Untersuchung wartete, hatte ich eine Erleuchtung. Schlagartig erkannte ich, dass ich an einem Scheideweg stand. Entweder übernahm ich von nun an die Verantwortung für meine Genesung und meine Behandlung, oder ich würde den Rest meines Lebens von einem Arzt zum nächsten rennen, ohne dass es je zu einer Lösung kam.

Ich zog mein Tagebuch hervor und schrieb auf, was ich empfand und dachte. Ich schrieb zum ersten Mal aus meiner eigenen Perspektive und in eigenen Worten die Geschichte meiner Erkrankung auf. Ich listete auf, welche Behandlungen geholfen hatten und welche nicht. Ich schrieb auf, was ich wollte und was ich nicht wollte, was ich zu opfern bereit war und was nicht und was es für mich bedeuten würde, endlich dem Schmerz zu entkommen, der mich gefangen hatte.

Als meine Krankengeschichte auf dem Papier Form anzunehmen begann, wusste ich, was ich tun musste. Ich stand abrupt auf, ging zu der Sprechstundenhilfe und bat um meine gesamte Patientenakte. Sie sah mich irritiert an, aber nachdem ich ein paar Fragen beantwortet hatte, nahm sie die Unterlagen hervor und kopierte sie.

Meine Patientenakte umfasste Hunderte Seiten, und ich wusste, auf dem Papier würde ich sie niemals nachvollziehen können. Also scannte ich jede Seite zu Hause auf meinem Computer ein und verwandelte sie in digitale Akten, die ich durchsuchen, neu ordnen, kommentieren und verschicken konnte. Ich wurde zum Projektmanager meines eigenen Gesundheitszustands, machte mir detaillierte Notizen zu allem, was die Ärzte mir gesagt hatten, probierte jeden ihrer Vorschläge aus und listete Fragen auf, die ich bei meinem nächsten Termin mit ihnen besprechen wollte.

Nachdem ich all diese Informationen an einem Ort zusammengefasst hatte, erkannte ich ein Muster. Mithilfe meiner Ärzte entdeckte ich eine Kategorie namens »funktionelle Sprachstörungen«, wozu auch Probleme mit den über fünfzig Muskelpaaren gehörten, die für das Schlucken von Nahrung erforderlich sind. Mir wurde klar, dass die Medikamente meine Symptome nur linderten, ich aber immer noch nicht dahinterkam, was die Ursache war. Ich litt weder unter einer Krankheit noch Infektion, die mit einer Pille behoben werden konnte – es war eine funktionelle Störung und ich musste lernen, anders mit meinem Körper umzugehen.

Ich begann zu erforschen, wie sich Atmung, Ernährung, Sprechgewohnheiten und sogar zurückliegende Kindheitserlebnisse im Nervensystem auswirken können. Ich begann, die Verbindung zwischen Geist und Körper zu begreifen und dass meine Gedanken und Gefühle sich unmittelbar auf mein körperliches Befinden auswirkten. Während ich mir Notizen zu all meinen Erkenntnissen machte, plante ich ein Experiment: Ich würde ein paar einfache Veränderungen in meiner Lebensweise ausprobieren, zum Beispiel mich besser ernähren und regelmäßig meditieren. Außerdem absolvierte ich eine Reihe von Stimmübungen, die mir meine Logopädin auftrug. Zu meiner Verblüffung funktionierte das fast augenblicklich. Meine Schmerzen verschwanden nicht, wurden aber weitaus besser erträglich.[4]

Rückblickend betrachtet waren meine Notizen für die Suche nach Linderung ebenso wichtig wie alle Medikamente oder Behandlungen. Durch sie war ich in der Lage, mich von den Details meines Zustands zu lösen und meine Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sowohl für die äußere Welt, die Medizin, als auch für die innere Welt, meine Empfindungen, erlaubten meine Aufzeichnungen, sämtliche neuen Informationen, die ich bekam, unmittelbar in praktische, direkt anwendbare Lösungen umzuwandeln.

Von da an beschäftigte ich mich intensiv damit, welches Potenzial die Technologie hatte, um alle meine verfügbaren Informationen zu kanalisieren. Mit schwante, dass das einfache Notieren auf einem Computer nur die Spitze des Eisbergs war. Denn waren sie erst mal digitalisiert, waren meine Notizen nicht mehr auf kurze, handgeschriebene Kritzeleien beschränkt – sie konnten jede Form annehmen: Bilder, Links und Dateien jeder Form und Größe. Im digitalen Reich konnten Informationen formiert, verändert und praktikabel gemacht werden – eine magische Naturgewalt!

Ich begann, digitale Notizen auch in andere Bereiche meines Lebens zu integrieren. In meinen Uni-Seminaren verwandelte ich stapelweise Spiralnotizbücher in eine elegante Sammlung von Lektionen, die ich durchsuchen konnte. Fortan beschränkte ich mich darauf, nur die wichtigsten Punkte meiner Kurse aufzuschreiben, sie bei Bedarf zu überarbeiten und für das Verfassen von Hausarbeiten oder die Prüfungsvorbereitung zu verwenden. Ich war immer ein mittelmäßiger Schüler mit durchschnittlichen Noten gewesen. In den ersten Schuljahren schickten die Lehrer mich regelmäßig mit Benachrichtigungen an meine Eltern nach Hause, in denen sie meine geringe Aufmerksamkeitsspanne und meine Ablenkbarkeit beklagten. Sie können sich meine Freude vorstellen, als ich das Studium mit Auszeichnung abschloss.

Ich hatte das Pech, mich danach mitten in den Nachwehen der Finanzkrise von 2008 bewerben zu müssen. Die Arbeitsmarktsituation war ziemlich miserabel für meine Generation. Angesichts der mageren Beschäftigungsaussichten in den USA beschloss ich, dem Peace Corps beizutreten, einer ehrenamtlichen Organisation, mit der Amerikaner in Entwicklungsländern arbeiten. Ich bewarb mich, wurde angenommen und einer kleinen Schule in der Ostukraine zugeteilt, wo ich zwei Jahre lang auf dem Land Acht- bis Achtzehnjährigen Englischunterricht erteilte.

Bei meiner Arbeit als Lehrer, dem nur geringe Ressourcen und wenig Unterstützung zur Verfügung standen, wurde mein Notizsystem erneut zu meinem Rettungsanker. Ich speicherte Beispiele und Übungen, wo immer ich sie fand: in Schulbüchern, auf Websites und auf USB-Sticks, die ich von anderen Lehrern bekam. Ich erstellte Wortspiele mit englischen Redewendungen, Ausdrücken und Slangbegriffen, mit denen ich meine lebhaften Drittklässler begeistern konnte. Den älteren Schülern brachte ich die Grundlagen bei, wie man produktiv ist – wie man sich an einen Plan hält, wie man sich im Unterricht Notizen macht und wie man für die spätere Ausbildung Ziele und Pläne entwickelt. Nie werde ich ihre Dankbarkeit vergessen, als sie erwachsen wurden und diese Fertigkeiten einsetzten, um sich bei Universitäten zu bewerben oder erste berufliche Erfolge erzielten. Auch Jahre später bekomme ich immer noch Dankesschreiben von meinen ehemaligen Schülern, weil die Skills, die ich ihnen beigebracht habe, Früchte tragen.

Nach zweijährigem Dienst kehrte ich in die USA zurück und war begeistert, eine Stelle als Analyst bei einer kleinen Consultingfirma in San Francisco zu bekommen. So sehr ich mich auch darauf freute, mein Berufsleben zu beginnen, stand ich doch auch vor einer enormen Herausforderung: Das Arbeitstempo war hektisch und überforderte nicht nur mich. Da ich aus der ländlichen Ukraine direkt ins Epizentrum des Silicon Valley gezogen war, war ich völlig unvorbereitet auf die ständige Flut von Eindrücken, die zu einem modernen Arbeitsplatz einfach dazu gehört. Jeden Tag bekam ich Hunderte von E-Mails, jede Stunde Dutzende Nachrichten, und die »Pings« und »Dings« sämtlicher Geräte verschmolzen zu einer unaufhörlichen Melodie, die meine eigentliche Arbeit unterbracht. Ich weiß noch, wie ich meine Kollegen ansah und dachte: »Wie kann irgendjemand hier etwas geschafft kriegen? Was ist ihr Geheimnis?«

Ich kannte nur einen Trick und der fing damit an, sich etwas aufzuschreiben.

Ich begann, mir alles Neuerlernte in einer Computerapp zu notieren. Ich machte mir Notizen während Besprechungen, bei Telefongesprächen und bei Online-Recherchen. Ich schrieb mir Fakten aus Forschungsberichten auf, um sie bei unseren Kundenpräsentationen zu verwenden. Ich schrieb mir Informationshäppchen auf, denen ich in sozialen Netzwerken begegnete, um sie in unseren eigenen Kanälen zu teilen. Ich schrieb mir die Rückmeldungen meiner erfahreneren Kollegen auf, um sie mir zu merken. Wann immer wir ein neues Projekt begannen, richtete ich mir auf meinem Computer einen eigenen Platz für die damit zusammenhängenden Informationen ein, um sie sortieren und entsprechend eine Strategie entwickeln zu können.

Als mich die Informationsflut nicht mehr ganz so sehr überforderte, gewann ich ein gewisses Vertrauen in meine Fähigkeit, genau das Benötigte zum genau richtigen Zeitpunkt zu finden.

Im Büro wurde ich zu dem Ansprechpartner, wenn eine bestimmte Akte gesucht, eine bestimmte Information ausgegraben oder präzise zitiert werden musste, was ein Kunde vor drei Wochen gesagt hatte. Kennen Sie diese Befriedigung, wenn Sie die einzige Person im Raum sind, die sich an ein wichtiges Detail erinnert? Dieses Gefühl war der Lohn dafür, dass ich immer versuchte, mein Wissen zu nutzen.

Noch eine Veränderung – die Entdeckung der Macht des Teilens

Meine gesammelten Notizen und Dateien hatten immer nur meinen persönlichen Zwecken gedient, aber da ich nun an Consultingprojekten für einige weltweit wichtige Organisationen arbeitete, wurde mir klar, dass sie auch ein Aktivposten sein konnten.

Aus einem Bericht, den wir veröffentlicht hatten, erfuhr ich, dass der Wert des physischen Kapitals in den Vereinigten Staaten – Grundstücke, Maschinenausstattung und Gebäude zum Beispiel – ungefähr 10 Trillionen Dollar beträgt. Die Summe wird aber vom Gesamtwert des Humankapitals in den Schatten gestellt wird. Es wird auf das Fünf- bis Zehnfache dieses Betrags geschätzt. Zum Humankapital gehören »das durch Menschen verkörperte Wissen und Know-how – ihre Ausbildung, ihre Erfahrung, ihre Weisheit, ihre Qualifikationen, ihre Beziehungen, ihr gesunder Menschenverstand, ihre Intuition«.1

Wenn das stimmte, war meine persönliche Notizensammlung möglicherweise ein Wissensgut, das im Laufe der Zeit wachsen und komplexer werden konnte? Ich fing an, meine Notizen (zu diesem Zeitpunkt nannte ich es noch nicht mein »zweites Gehirn«) nicht nur als Werkzeug zu betrachten, sondern als loyalen Vertrauten und Sparringspartner beim Denken. Wenn ich vergesslich war, bot es mir immer eine Gedächtnisstütze. Wenn ich mich verzettelte, erinnerte es mich daran, wohin ich steuern wollte. Wenn ich feststeckte und Ideen brauchte, schlug es Möglichkeiten und Wege vor.

Irgendwann baten mich einige meiner Kollegen, ihnen meine Organisationsmethode beizubringen. Ich stellte fest, dass sie allesamt bereits verschiedene Produktivitätstools nutzten, zum Beispiel Notizblöcke aus Papier oder die Apps in ihren Smartphones, aber die wenigsten taten das systematisch und bewusst. Eher verschoben sie Informationen willkürlich von hier nach dort, reagierten auf die Anforderungen des jeweiligen Augenblicks und vertrauten nie recht darauf, etwas wiederzufinden. Jede neue Produktivitätsapp versprach einen Durchbruch, war aber am Ende nur ein weiterer Faktor, der organisiert werden musste.

Aus den gelegentlichen Unterhaltungen mit meinen Kollegen beim Mittagessen wurde eine Lesegruppe, die sich zu einem Workshop entwickelte, aus dem letztlich ein kostenpflichtiger Kurs für die Öffentlichkeit entstand. Während ich immer mehr Menschen unterrichtete und den unmittelbaren Einfluss auf ihre Arbeit und ihr Leben erkannte, dämmerte mir, dass ich etwas ganz Besonderes entdeckt hatte. Aufgrund meiner Erfahrungen im Umgang mit meiner chronischen Erkrankung hatte ich ein Organisationssystem entwickelt, das ideal war, um Probleme zu lösen und Ergebnisse hervorzubringen, und zwar sofort, nicht in der fernen Zukunft. Indem ich meine Vorgehensweise auf andere Lebensbereiche anwandte, hatte ich eine Methode entdeckt, Informationen ganzheitlich zu organisieren – für eine Vielzahl von Zwecken, für jedes beliebige Projekt oder Ziel – statt nur für eine einmalige Aufgabe. Darüber hinaus wurde mir bewusst, dass ich diese Informationen, wenn sie mir einmal zur Verfügung standen, auch mühelos und großzügig mit meinen Mitmenschen teilen konnte, um ihnen damit zu helfen.

Die Ursprünge des zweiten Gehirns

Ich begann, das von mir entwickelte System als mein zweites Gehirn zu bezeichnen, und schrieb einen Blog, in dem es darum ging, wie es funktionierte. Das fand viel mehr Anklang, als ich je vermutet hätte, und schließlich wurde meine Arbeit in Publikationen wie Harvard Business Review, The Atlantic oder Fast Company, Inc. und vielen anderen vorgestellt. Einer meiner Artikel über die Nutzung digitaler Notizen, um die eigene Kreativität zu steigern, ging in der Community viral. Schließlich wurde ich als Redner und Workshopleiter zu einflussreichen Unternehmen wie Genentech, Toyota und der Inter-American Development Bank eingeladen. Anfang 2017 beschloss ich, einen Online-Kurs mit dem Titel »Das Zweite Gehirn« zu entwickeln, um meine Herangehensweise in größerem Maßstab zu unterrichten.[5] Seither haben Tausende Menschen aus über hundert Ländern und in allen möglichen Lebenssituationen den Kurs abgeschlossen und eine engagierte, wissbegierige Community geschaffen, die die Ideen dieses Buches gewürdigt und optimiert hat.

In den folgenden Kapiteln zeige ich Ihnen, dass der Aufbau eines zweiten Gehirns zu dem Vermächtnis von Denkern und Innovatorinnen gehört, die uns vorausgegangen sind – Autoren, Wissenschaftlerinnen, Philosophen, Führungspersönlichkeiten und ganz normale Menschen, die sich besser erinnern und mehr erreichen wollten. Danach stelle ich Ihnen ein paar Grundprinzipien und Tools für Ihren Erfolg vor. In Teil 2, »Die Methode«, stelle ich Ihnen die vier Schritte zum Aufbau eines zweiten Gehirns vor. Damit können Sie sofort anfangen, Ideen zielgerichteter festzuhalten und mit anderen zu teilen. Und in Teil 3, »Die Veränderung«, lernen Sie eine Reihe leistungsstarker Einsatzmöglichkeiten für Ihr zweites Gehirn kennen, um Ihre Produktivität zu steigern, Ihre Ziele zu erreichen und beruflich wie privat voranzukommen.

Ich habe Ihnen meine Geschichte erzählt, um zu betonen, dass es in diesem Buch nicht darum geht, eine Art Idealleben perfekt zu optimieren. Wir alle erleben Schmerz, machen Fehler und geraten an bestimmten Punkten des Lebens ins Straucheln. Auch ich hatte meine Schwierigkeiten. Doch in jeder Phase meiner Reise war das entscheidende Element, das mich Hindernisse überwinden und meine Ziele erreichen ließ, dass ich meine Gedanken wie Schätze behandelt habe, die zu bewahren sich lohnt.

Vielleicht sehen Sie dieses Buch in der Kategorie »Selbstoptimierung«, aber in einem tieferen Sinne ist es das Gegenteil davon. Es geht um die Optimierung eines Systems außerhalb Ihrer selbst, eines Systems, das nicht Ihren Einschränkungen und Grenzen unterliegt. Sie können fröhlich unoptimiert und frei sein, zu entdecken, neugierig zu sein, um sich dem zuzuwenden, was Sie in jedem Augenblick lebendig fühlen lässt.

Kapitel 2

Was ist ein zweites Gehirn?

Wir gehen nicht über unsere Grenzen hinaus, indem wir unser Gehirn aufmotzen wie eine Maschine oder aufpumpen wie einen Muskel – sondern indem wir unsere Welt mit vielfältigen Materialien durchziehen und sie in unser Denken einweben.

– Annie Murphy Paul, Autorin von The Extended Mind

Informationen sind der Grundstein von allem, was Sie tun.

Was auch immer Sie erreichen wollen – ein berufliches Projekt umsetzen, eine neue Stelle finden, eine neue Qualifikation erwerben, ein Unternehmen gründen –, Sie müssen dafür die richtigen Informationen finden und nutzen. Ihr beruflicher Erfolg und Ihre Lebensqualität hängen unmittelbar von Ihrer Fähigkeit ab, zielgerichtet mit Informationen umzugehen.

Der New York Times zufolge konsumieren wir mittlerweile im Durchschnitt bemerkenswerte 34 Gigabyte an Informationen täglich.1 Eine weitere, von der Times zitierte, Studie schätzt, dass wir tagtäglich an Inhalten das Äquivalent von 174 kompletten Zeitungen konsumieren, das ist fünf Mal mehr als im Jahr 1986.2

Statt uns voranzubringen, werden wir von dieser Unmenge an Informationen häufig eher überrollt. Der Informationsüberfluss ist zur Informationserschöpfung geworden, der unsere mentalen Ressourcen abgreift und uns ständig das Gefühl gibt, etwas zu vergessen. Der unmittelbare Zugriff auf das Wissen der Welt durch das Internet sollte uns eigentlich bilden und informieren, stattdessen hat er jedoch einen Aufmerksamkeitsmangel hervorgerufen.[6]

Einer Studie von Microsoft zufolge verbringt ein durchschnittlicher amerikanischer Beschäftigter 76 Stunden im Jahr damit, verlegte Notizen, Gegenstände oder Akten zu suchen.3 Und ein Bericht der International Data Corporation stellte fest, dass 26 Prozent des Tages einer typischen Wissensarbeiterin heutzutage mit der Suche nach und Bestätigung von Informationen verbracht werden, die über verschiedene Systeme verteilt sind.4 Unglaublich, dass sie nur in 56 Prozent ihrer Arbeitszeit die für ihre Tätigkeit notwendigen Informationen finden können.

Mit anderen Worten, wir gehen zwar an fünf Tagen in der Woche zur Arbeit, verbringen aber im Durchschnitt mehr als einen davon mit der Suche nach Informationen, die wir brauchen, um unsere Tätigkeit zu erledigen. Und die Hälfte der Zeit gelingt uns das nicht mal.

Es ist an der Zeit, dass wir unser paläolithisches Gedächtnis aktualisieren. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass wir nicht »unseren Kopf benutzen« können, um alles zu speichern, was wir wissen müssen, und das Erinnern an intelligente Maschinen delegieren müssen. Wir müssen einsehen, dass die kognitiven Anforderungen des modernen Lebens Jahr für Jahr steigen, wir aber immer noch über dieselben Gehirne verfügen wie vor 200.000 Jahren, als der moderne Mensch sich in der ostafrikanischen Tiefebene entwickelte.

Jedes bisschen Energie, das wir für das Erinnern aufbringen, wird nicht auf die Art Denken verwandt, das nur Menschen beherrschen: Neues erfinden, Geschichten ersinnen, Muster erkennen, unserer Intuition folgen, mit anderen zusammenarbeiten, neue Themen erforschen, Pläne schmieden, Theorien überprüfen. Jede Minute, in der wir geistig mit alldem beschäftigt sind, was wir noch tun müssen, lässt uns weniger Zeit für die sinnvolleren Aktivitäten wie Kochen, Selbstfürsorge, Hobbys, Ausruhen und Zeit mit Freunden und Familie verbringen.

Die Sache hat jedoch einen Haken: Jede Veränderung, wie wir Technologien nutzen, erfordert auch eine Veränderung unseres Denkens. Um die Macht eines zweiten Gehirns wirklich ausschöpfen zu können, brauchen wir eine neue Beziehung zu Informationen, zur Technologie und sogar zu uns selbst.

Das Vermächtnis der Kollektaneenbücher

Um Erkenntnisse über unsere Zeit zu gewinnen, können wir in der Vergangenheit danach Ausschau halten, was auf anderen Gebieten funktioniert hat. Die Gewohnheit, Gedanken und Notizen aufzuschreiben, um der Welt einen Sinn zu geben, hat eine lange Tradition. Jahrhundertelang haben Künstler und Intellektuelle von Leonardo da Vinci bis zu Virgina Woolf, von John Locke bis zu Octavia Butler die interessantesten Ideen in einem Buch notiert, das sie immer bei sich trugen, dem »Kollektaneenbuch«.[7]

Große Beliebtheit erlangte das Kollektaneenbuch in einer Phase der Informationsüberflutung, nämlich während der industriellen Revolution des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, in der es mehr war als ein Tagebuch oder die Aufzeichnung persönlicher Gedanken. Es diente als Lerninstrument, das die gebildete Schicht nutzte, um eine sich schnell verändernde Welt und ihren Platz darin zu begreifen.

In The Case for Books5 beschreibt der Historiker und ehemalige Leiter der Harvard-Universitätsbibliothek Robert Darnton die Rolle der Kollektaneenbücher folgendermaßen:

Anders als moderne Leser, die dem Verlauf eines Narrativs von Anfang bis Ende folgen, las der frühe moderne Engländer häppchenweise und sprang von einem Buch zum anderen. Er zerlegte Texte in Fragmente und fügte sie zu neuen Mustern zusammen, indem er sie in unterschiedliche Abschnitte seines Notizbuches übertrug. Dann las er die Abschriften erneut und ordnete die Muster neu an, indem er weitere Exzerpte hinzufügte. Lesen und Schreiben waren daher untrennbar voneinander. Sie gehörten zu dem kontinuierlichen Streben nach Sinn, denn die Welt war voller Zeichen: Man konnte sich durch sie hindurchlesen, und indem man Aufzeichnungen über seine Lektüre machte, schuf man sich ein eigenes Buch, das von der eigenen Persönlichkeit gekennzeichnet war.[8]

Kollektaneenbücher waren ein Portal, durch das gebildete Menschen sich mit der Welt auseinandersetzten. Bei Gesprächen schöpften sie aus ihren Notizbüchern und nutzten sie, um Wissen aus verschiedenen Quellen zu verknüpfen und so ihr individuelles Denken inspirieren zu lassen.

Als Gesellschaft könnten wir alle vom modernen Äquivalent eines Kollektaneenbuches profitieren. Die heutige Medienlandschaft orientiert sich an dem, was neu und öffentlich ist – die jüngste politische Kontroverse, der aktuelle Promi-Skandal oder das virale Meme des Tages. Die Wiederbelebung des Kollektaneenbuches ermöglicht es uns, dieser Flut Herr zu werden und unsere Beziehung zu Informationen zum Zeitlosen und Privaten hin zu verlagern.

Statt immer mehr Inhalte zu konsumieren, könnten wir eine geduldigere, bedachtsamere Vorgehensweise wählen, die das Nachlesen, das Nachformulieren und das Betrachten betont, wie sich Implikationen von Vorstellungen im Zeitverlauf verändern. Das könnte nicht nur zu zivilisierteren Diskussionen über die wichtigen Tagesthemen führen, sondern uns auch helfen, unsere geistige Gesundheit zu bewahren und unsere fragmentierte Aufmerksamkeit zu stärken.

Doch das bedeutet nicht einfach eine Rückkehr in die Vergangenheit. Jetzt haben wir die Chance, die Gepflogenheit der Kollektaneenbücher in ein modernes Zeitalter zu übertragen. Wir haben die Chance, diese historische Vorgehensweise zu flexibilisieren und bequemer zu machen.

Das digitale Kollektaneenbuch

Sind unsere Notizen und Beobachtungen erst einmal digital, können sie durchsucht, organisiert und auf all unseren Geräten synchronisiert werden, und sie lassen sich in der Cloud speichern. Statt willkürlich etwas auf Papier zu kritzeln und zu hoffen, dass wir es später wiederfinden, können wir unseren ganz persönlichen »Wissensschatz« so anlegen, dass wir immer genau wissen, wo wir nachsehen müssen.

Der Autor und Fotograf Craig Mod schrieb: »Es besteht die erstaunliche Chance, unsere unzähligen Marginalien[9] in einem sogar noch robusteren Kollektaneenbuch zusammenzutragen. Eins, das durchsuchbar ist, jederzeit verfügbar, das sich leicht anderen mitteilen lässt und in den von uns konsumierten digitalen Text eingebunden ist.«6

Dieses digitale Kollektaneenbuch ist es, was ich als zweites Gehirn bezeichne. Stellen Sie es sich vor wie eine Kombination aus Studienaufzeichnungen, persönlichem Tagebuch und Skizzenbuch für neue Ideen. Es ist ein Vielzweckinstrument, das Sie im Laufe der Zeit Ihren wechselnden Bedürfnissen anpassen können. In der Schule oder bei Lehrgängen kann es genutzt werden, um sich Aufzeichnungen zu machen. Bei der Arbeit kann es Ihnen beim Koordinieren Ihrer Projekte helfen. Zu Hause können Sie damit Ihren Haushalt organisieren.

Wie auch immer Sie es nutzen möchten, Ihr zweites Gehirn ist eine private Wissenssammlung, die Ihr Leben lang dem Lernen und dem Wachstum dienen soll, nicht nur der einmaligen Nutzung. Sehen Sie es als ein Labor, in dem Sie Ihre Gedanken allein entwickeln und optimieren können, ehe Sie sie anderen mitteilen. Ein Studio, in dem Sie mit Ideen experimentieren können, bis sie reif sind, um in der Welt draußen angewendet zu werden. Ein Whiteboard, auf dem Sie Ihre Ideen skizzieren und mit anderen daran arbeiten können.

Sobald Sie verinnerlicht haben, dass wir ganz natürlich digitale Tools nutzen, um unser Denken über die Grenzen unseres Schädels hinaus zu erweitern, fangen Sie an, überall zweite Gehirne zu entdecken.

Eine Kalenderapp ist eine Erweiterung Ihres Gehirns, die Sie an Ereignisse erinnert und dafür sorgt, dass Sie keine Verabredung mehr vergessen. Ihr Smartphone ist eine Erweiterung Ihrer Kommunikationsfähigkeit, mit deren Hilfe Ihre Stimme über Ozeane und Kontinente hinwegreichen kann. Die Cloudspeicherung ist eine Erweiterung Ihres Gedächtnisses und lässt Sie Tausende Gigabyte speichern und von überall abrufen.[10]

Es ist an der Zeit, unserem Repertoire digitale Notizen hinzuzufügen und mithilfe der Technologie unsere natürlichen Kapazitäten zu erweitern.

Das neue Notieren: Notizen als Bausteine des Wissens

In vergangenen Jahrhunderten brauchte nur die intellektuelle Elite Kollektaneenbücher – Schriftstellerinnen, Politiker, Philosophen und Wissenschaftlerinnen, die einen Grund hatten, ihre Schriften oder Forschungen zusammenzufassen.

Heutzutage braucht fast jeder Mensch eine Methode, um Informationen zu verwalten.

Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten gilt als Wissensarbeiter« – also Berufstätige, deren wichtigstes Gut das Wissen ist. Sie verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, große Mengen an Information zu verwalten. Außerdem müssen wir alle, unabhängig von unserer formalen Position, immer wieder neue Ideen entwickeln, neuartige Probleme lösen und mit anderen kommunizieren. Und das müssen wir regelmäßig und zuverlässig tun, nicht nur gelegentlich mal.

Wenn Sie zu diesen Menschen gehören, wo befindet sich dann Ihr Wissen? Wohin entschwindet es, wenn es erschaffen oder entdeckt ist? »Wissen« mag wie ein hochtrabendes Konzept erscheinen, das Gelehrten und Akademikern exklusiv vorbehalten ist, aber auf der praktischen Ebene beginnt Wissen mit der einfachen Gewohnheit, sich etwas zu notieren.

Viele von uns haben das Verständnis des Notierens in der Schule bekommen. Wahrscheinlich hat man Ihnen zum ersten Mal gesagt, dass Sie sich etwas aufschreiben sollten, weil es in einer Prüfung vorkommen würde. Das implizierte, dass Sie diese Aufzeichnungen nie wieder brauchen würden, sobald die Prüfung vorüber war. Das Lernen wurde als im Wesentlichen entsorgbar behandelt, ohne die Intention, dass dieses Wissen langfristig von Nutzen sein sollte.

Wenn wir ins Berufsleben eintreten, verändern sich die Anforderungen an unsere Notizen vollständig. Die gesamte Vorgehensweise des Notierens, die wir in der Schule gelernt haben, ist nicht nur obsolet, sondern das genaue Gegenteil dessen, was wir brauchen.

Im Berufsleben

ist überhaupt nicht klar, worüber Sie sich Notizen machen sollten;

sagt Ihnen keiner, wann oder wie Ihre Notizen verwendet werden;

kann die »Prüfung« jederzeit und in jeder Form erfolgen;

dürfen Sie jederzeit auf Ihre Notizen zurückgreifen, vorausgesetzt, Sie haben sich überhaupt welche gemacht;

wird von Ihnen erwartet, dass Sie mit Ihren Notizen etwas anfangen und sie nicht einfach nur reproduzieren.

Das ist nicht dasselbe Notieren, das Sie in der Schule gelernt haben. Es ist Zeit, den Status Ihrer Notizen von Prüfungsvorbereitungen und bescheidenem Gekritzel auf etwas viel Interessanteres und Dynamischeres anzuheben. Für das moderne berufliche Notieren ist eine Notiz ein »Baustein des Wissens« – eine eigenständige Informationseinheit, die aus Ihrer individuellen Perspektive interpretiert und außerhalb Ihres Kopfes gespeichert wird.

Gemäß dieser Definition könnte eine Notiz ein Abschnitt aus einem Buch oder einem Artikel sein, der Sie inspiriert hat; ein Foto oder Bild aus dem Internet mit Ihren Anmerkungen oder eine Stichpunktliste verschiedener Gedanken zu einem Thema und vieles andere mehr. Eine Notiz könnte ein einziges Zitat aus einem Film sein, das Sie wirklich berührt hat, bis hin zu Tausenden Wörtern, die Sie aus einem ausführlichen Buch kopiert haben. Länge und Format spielen keine Rolle – wenn ein Inhalt durch Ihre Sichtweise interpretiert, Ihrem Geschmack entsprechend kuratiert, in Ihre eigenen Worte übersetzt oder Ihrer Lebenserfahrung entnommen und an einem sicheren Ort gespeichert wurde, spreche ich von einer Notiz.

Ein Wissensbaustein ist eigenständig. Er steht für sich selbst und hat einen intrinsischen Wert, aber Wissensbausteine können auch zu etwas viel Größerem kombiniert werden – einem Bericht, einer Argumentation, einem Vorschlag oder einer Geschichte.

Wie die LEGO-Steine, mit denen Sie als Kind vielleicht gespielt haben, können diese Bausteine rasch durchsucht, wiedergefunden, umhergeschoben, zusammengesetzt und zu neuen Formen angeordnet werden, ohne dass Sie irgendetwas von Grund auf neu erfinden müssen. Sie müssen sich nur einmal die Mühe machen, eine Notiz zu verfassen, und dann können Sie so lange mit bereits vorhandenen mischen und austauschen und verschiedene Kombinationen ausprobieren, bis es klick macht.

Die Technologie macht nicht nur das Notieren effizienter. Sie verändert auch die Beschaffenheit von Notizen. Wir müssen unsere Gedanken nicht mehr auf Post-its oder Notizzettel schreiben, die zerreißen können, leicht verloren gehen und bei denen es unmöglich ist, sie nach etwas Bestimmtem zu durchsuchen. Jetzt schreiben wir Notizen in die Cloud, und die Cloud folgt uns überallhin. Wir müssen nicht mehr endlose Stunden damit verbringen, unsere Gedanken sorgfältig zu katalogisieren und auf Papier zu übertragen. Jetzt sammeln wir Wissensbausteine und verbringen unsere Zeit damit, uns die Möglichkeiten vorzustellen, was aus ihnen werden könnte.

Die Geschichte von zwei Gehirnen

Lassen Sie mich einen Tag im Leben eines Menschen schildern, der kein zweites Gehirn hat, und eines Menschen, der eins hat. Schauen wir mal, ob Ihnen eine der beiden Beschreibungen bekannt vorkommt.

Nina erwacht am Montagmorgen, und noch ehe sie überhaupt die Augen öffnet, wird ihr Gehirn von Gedanken überschwemmt. Ihr geht durch den Kopf, was sie noch tun muss, worüber sie nachdenken muss, was sie entscheiden muss. Das alles steigt aus den Tiefen ihres Unterbewusstseins auf, wo es das ganze Wochenende gesiedet hat.

Auch während Nina sich für die Arbeit fertig macht, schwirren ihr die Gedanken durchs Gehirn. Wie nervöse Vögel flattern und flitzen sie in ihrem Kopf herum, weil sie sonst nirgends zur Ruhe kommen. Sie hat sich an dieses ständiges Hintergrundrauschen der Angst bereits gewöhnt, während sie sich fragt, was ihre Aufmerksamkeit benötigt und was ihr entgehen könnte.

Nach einem hektischen Morgen setzt sich Nina endlich an den Schreibtisch, um ihren Arbeitstag zu beginnen, öffnet ihr E-Mail-Postfach und wird augenblicklich von einer Flut neuer Mitteilungen überrollt: überall dringende Betreffzeilen und wichtige Absender. Die Anforderungen verpassen ihr einen kalten Adrenalinschub. Sie weiß, dass ihr Morgen gelaufen ist und ihre Planung umsonst war. Nina schiebt die wichtige Aufgabe beiseite, um die sie sich heute Vormittag hatte kümmern wollen, und begibt sich auf die Ochsentour der Mailbeantwortung.

Als sie aus der Mittagspause zurückkommt, hat Nina endlich die dringlichsten Probleme geklärt. Es ist Zeit, sich mit den Prioritäten zu befassen, die sie sich selbst gesetzt hat. Doch da tritt die Realität auf den Plan: Nachdem sie den ganzen Vormittag mit Löscharbeiten zugebracht hat, ist sie jetzt viel zu zerstreut und zu müde, um sich zu konzentrieren. Wie schon so oft fährt Nina ihre Erwartungen herunter und macht sich daran, langsam ihre ständig wachsende Aufgabenliste abzuarbeiten, die sich nach den Prioritäten anderer richtet.

Nach der Arbeit hat Nina noch eine letzte Chance, an dem Projekt zu arbeiten, von dem sie weiß, dass sie dabei ihre Talente einsetzen und ihre Karriere voranbringen kann. Sie macht ihr Sportprogramm, isst zu Abend und verbringt ein bisschen Qualitätszeit mit den Kindern. Als sie ins Bett gehen, ist sie vollkommen begeistert, dass sie endlich ein bisschen Zeit für sich selbst hat. Sie setzt sich an den Computer, und schon tauchen die Fragen auf: »Wo hab ich letztes Mal aufgehört? Wo hab ich diese Akte hingetan? Wo sind denn meine ganzen Notizen?«

Bis Nina alles zusammengesucht hat und startbereit ist, ist sie viel zu müde, um noch wirklich voranzukommen. Dieses Muster wiederholt sich Tag für Tag. Nach einigen Fehlstarts gibt sie schließlich auf. Warum soll sie sich überhaupt bemühen? Warum weiterhin das Unmögliche versuchen? Warum der Verlockung widerstehen, noch eine Netflix-Folge zu gucken oder in den sozialen Netzwerken zu scrollen? Welchen Sinn hat das Ganze ohne die Zeit und die Energie, die Dinge entschlossen voranzubringen?

Nina ist eine kompetente, verantwortungsvolle und hart arbeitende Frau. Viele würden es als Privileg empfinden, an ihrer Stelle zu sein. Sowohl über ihre Arbeit als auch über ihr Leben kann sie sich nicht beschweren, doch hinter der respektablen Fassade fehlt ihr irgendetwas. Nina könnte mehr, sie erfüllt ihre eigenen Standards nicht. Sie hat Pläne für sich selbst und für ihre Familie, die sie scheinbar ständig aufschiebt, während sie darauf wartet, »eines Tages« die Zeit und den Raum zu haben, sie zu realisieren.

Kommt Ihnen etwas an Ninas Erfahrungen bekannt vor? Jede Einzelheit dieser Geschichte ist real und stammt aus Mails, die mir Leser im Laufe der Jahre zugeschickt haben. Ihre Geschichten vermitteln ein anhaltendes Gefühl von Verdruss und Unzufriedenheit. Es ist das Bild eines endlosen Ansturms von Anforderungen auf die eigene Zeit, was die Neugier und Vorstellungskraft, mit der wir alle geboren werden, unter dem erdrückenden Gewicht der Verpflichtungen dahinwelken lässt.

Viele von uns kennen dieses Gefühl, von Wissen umgeben zu sein und dennoch nach Weisheit zu hungern. Dass trotz all der erstaunlichen Ideen, die uns zur Verfügung stehen, unsere Aufmerksamkeit immer stärker leidet. Dass wir wie gelähmt sind von dem Konflikt zwischen unseren Verantwortlichkeiten und unseren Leidenschaften, sodass wir uns nie so richtig konzentrieren und zur Ruhe kommen können.

Aber es geht auch anders. Folgende Geschichte basiert auf den Eindrücken von Menschen, die sich ein zweites Gehirn geschaffen haben.

Sie wachen am Montagmorgen auf und freuen sich darauf, Ihren Tag und Ihre Woche zu beginnen. Während Sie aufstehen, duschen und sich anziehen, kommen die Gedanken. Sie haben ebenso viele Sorgen und Verantwortlichkeiten wie jeder andere Mensch, aber Sie besitzen eine Geheimwaffe.