Ob wir wollen oder nicht - Karl-Heinz Ott - E-Book

Ob wir wollen oder nicht E-Book

Karl-Heinz Ott

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was passiert, wenn man nichs getan hat und dadurch schuldig wird? Wenn man im Gefängnis sitzt und sich durch Schweigen schützt, obwohl man sich unschuldig fühlt? In einem mitreißenden inneren Monolog entfaltet Karl-Heinz Ott das Seelen panorama einer Figur, die einmal aufgebrochen war, sich selbst und die ganze Welt zu verändern, um schließlich in jeder Hinsicht im Abseits zu landen. Die einzigen Menschen, auf die sich der Erzähler dieser Geschichte stützten konnte, sind auf der Flucht, während er an ihrer Stelle verhaftet wurde. Es sind seine Freundin Usa und ein ehemaliger Pfarrer, der vor Jahren vom Vorwurf des Kindesmissbrauchs freigesprochen wurde und seitdem am Rand eines verlorenen Dorfes als Eigenbrötler vor sich hin lebte. Jeden von ihnen holt der Alp seiner Vergangenheit ein, was Ott mit einer fulminanten Sprache erzählt, sodass Schrecken und Komik zuweilen kaum voneinander zu unterscheiden sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 252

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Karl-Heinz Ott

Ob wir wollen oder nicht

Roman

Hoffmann und Campe Verlag

Ob wir wollen oder nicht

Dass ausgerechnet ich hier sitzen muss, ausgerechnet ich, in diesem Loch mit einem Waschbecken, einer Kloschüssel und kahlen Wänden, Wänden mit Schmierereien, allen voran ein Venceremos mit zehn Ausrufezeichen, und das bei schönstem Wetter, an einem fast hochsommerlichen Herbstmorgen, von dem hier drinnen nur ein winziges Viereck zu sehen ist, ein wolkenloser Himmelsausschnitt, ausgerechnet heute, an einem Tag, zu dem Regen weit besser passen würde, einem Tag, der an mir hängen bleiben wird wie kein zweiter, weil längst alle wissen, dass ich abgeholt worden bin, zwar anonym, von sogenannten Zivilen, was aber nichts nützt, da den Walter aus dem Nachbardorf jeder kennt und es ihm mehr als peinlich war, ausgerechnet mich zum Mitkommen zwingen zu müssen, mich, von dem jedes Kind weiß, dass ich keinem etwas antun könnte, ausgerechnet ich, der überhaupt keinen Grund hätte, für etwas Vergeltung zu üben, das mir gar nicht angetan wurde. Als könnten diese Beamten nicht auf drei zählen, haben sie mich bloß deshalb festgenommen, weil Lisa und der Pfarrer verschwunden sind und der Maler gesehen haben will, wie ich an diesem Abend aus dem Hof der Wirtschaft gebogen sein soll, was nicht das Geringste bedeutet, weil man mich dort täglich ein- und ausgehen sehen kann, schließlich weiß ja jeder, dass wir etwas miteinander haben, und zwar bereits seit damals, als Bruno noch da war, obwohl Bruno nichts davon bemerkt haben wollte, und sei es, weil er heimlich froh war, entlastet zu sein, was mir zwar nie in den Kopf gehen mochte und ich mir nur sagen konnte, dass es Dinge gibt, die verstehen mag, wer will, Dinge, über die man nur staunen kann und die einem immer fremd bleiben werden. Doch dass ich hier jetzt einsitze, ausgerechnet ich, der nichts getan hat, geht auf keine Kuhhaut, was der Walter genauso sieht, auch wenn er es nicht laut sagen darf, was ihn aber ganz klein werden lässt, als wäre es ihm heute Morgen lieber gewesen, wir würden uns nicht kennen oder wenigstens per Sie miteinander verkehren. Immerhin steckt er, was unsere kleinen Geschäfte anbelangt, mit mir, wenn man so will, unter einer Decke, obwohl diese Geschäfte kaum der Rede wert sind, Geschäfte, die mir nicht viel mehr als eine Geldstrafe einbrächten, ihn jedoch seinen Posten kosten könnten. Und deshalb hätte er diese Fahrt am liebsten einem anderen überlassen, auch um nicht vor mir buckeln und gleichzeitig den Souveränen spielen zu müssen, was Leute wie ihn nur umso erbärmlicher aussehen lässt, Leute, die kein Rückgrat besitzen und sich ständig entschuldigen möchten, anstatt nach außen hin den Schein zu wahren und das Spiel mit Würde mitzuspielen, zumal der andere, der am Steuer saß und wahrscheinlich sein Untergebener war, von unseren Geschichten nichts wissen kann. Allein seinetwegen hätte Walter nicht so kleinlaut auftreten und mir ständig gut zureden dürfen, als wüsste ich nicht selbst, dass das Ganze sich als Missverständnis herausstellen wird, obwohl mir mehr bekannt ist, als ich je zugeben darf, doch das allein kann mich niemals zum Verdächtigen machen, was jeder, der halbwegs bei Sinnen ist, auch einsehen wird.

Ich brauche nur zu erzählen, was an diesem Abend gewesen sei, glaubte er ständig auf mich einreden zu müssen, als könne man sich nicht denken, dass wir entweder zu Abend gegessen oder miteinander geschlafen oder vor dem Fernseher gesessen oder alles zusammen oder Gott weiß was gemacht haben, ohne dass es sich lohnte, darüber auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Genau das gelte es eben zu klären, ich dürfe das nicht falsch verstehen, es sei doch eine Kleinigkeit, darüber Auskunft zu geben, nach einer kurzen Vernehmung sei alles erledigt, außer ich hätte etwas zu verschweigen, was er persönlich nicht im Geringsten glaube, da habe er volles Vertrauen, er habe hier nur seinen Job zu machen, so wie bei jedem anderen auch, da gebe es keine Unterschiede, im Grunde brauche ich keinerlei Angst zu haben, schließlich sei ich in die Sache doch nicht verwickelt, was man aber leider überprüfen müsse, da ich die beiden bestens kenne, so gut wie kein anderer, und an diesem Abend gesehen worden sei, weshalb sich diese Prozedur nicht vermeiden lasse, was jeder halbwegs vernünftige Mensch sicherlich einsehen würde.

Während Walter sich fast um Kopf und Kragen redete, als habe nicht ich, sondern er etwas zu befürchten, überholte der Fahrer, als sei er gereizt, ständig Lastwagen, Busse, Wohnmobile und Traktoren, sogar an Stellen, die nur Selbstmörder herausfordern können, wobei er während der gesamten Fahrt kein einziges Wort sagte, außer als Walter eine Kippe von ihm wollte, was er mit der verächtlich klingenden Frage quittierte: »Seit wann rauchst du?« – »Die zieht sich heute verdammt lange hin, diese Strecke«, fing Walter an zu stöhnen und begann auf die Windräder zu schimpfen, als könnte ein solches Thema uns ablenken. »Am Anfang dachte ich ja noch, das hat was, aber seit auf jeder Wiese zwanzig Stück von diesen Titanen die Landschaft verschandeln, würde ich sie am liebsten sprengen, alle auf einmal, bei Nacht und Nebel«, steigerte er sich in eine kleine Wut hinein, die einem Unwohlsein, das offensichtlich ganz andere Gründe hatte, Luft verschaffen sollte. Weil keiner von uns reagierte, fing er erneut an, mich zu beruhigen und nachzuhaken, warum ich nicht schlichtweg erzählen wolle, was sich an diesem Abend bei Lisa abgespielt habe, es könne doch nicht so schwer sein, auf eine klare Frage eine klare Antwort zu geben, schließlich würde mich das sofort entlasten, und die Sache wäre erledigt, Schluss, Aus, Amen, so einfach sei das.

Ja, so einfach sei das, dass es nicht das Geringste zu erklären gebe, das könne er sich doch denken, warum er sich denn dumm stelle, den Blöden spiele, schwachsinnige Fragen stelle. »Herrgottnochmal, seid ihr alle verrückt geworden?!«, fluchte ich in den Kurven das Höllental hinab, nachdem er mit seinen immergleichen Aufmunterungen und Ermahnungen keine Ruhe geben wollte und erst in der Stadt, als wir am Friedhof entlang im Stau standen, kopfschüttelnd in sich zusammensackte und endlich verstummte, wobei ich mich fragte, warum er nicht Streifenpolizist oder Strafzettelverteiler geworden ist, was ihn vor solchen Situationen bewahrte, zumal man nicht den beliebten Wirtshaussitzer und distanzierten Beamten zugleich geben kann. Als könnte es für lange Zeit meine letzte Fahrt über den Schwarzwald gewesen sein, hatte ich mir auf der Strecke hierher die Wald- und Wiesenwinkel, Kirchtürme und Felsvorsprünge wie etwas noch nie Gesehenes einzuprägen versucht, um – sollte es anders als erhofft kommen – in einer tristen Umgebung von diesen Bildern zehren zu können.

Spätestens morgen, wenn nicht noch heute Abend, sei ich wieder daheim in meinen eigenen vier Wänden, fing Walter nochmals an, bevor wir von einem Polizisten durch einen Torbogen gewinkt wurden, ein Eisentor sich öffnete und am Ende des Innenhofs uns ein weiterer Beamter mit der Frage »Kommt ihr von Dornbach herab?« begrüßte. Als sei ich ein Gast, der sich freiwillig auf den Weg hierher gemacht hat, bat man mich einzutreten und im Flur Platz zu nehmen. »Heiß ist’s heut, man möchte nicht glauben, dass wir Ende September haben! Was haben Sie denn dabei?«, zeigte der Polizist auf meine Tasche, wartete aber eine Antwort erst gar nicht ab, sondern erklärte: »Sie sind nur ein paar Stunden hier, allenfalls eine Nacht, dann sehen wir weiter, ob Sie bei uns bleiben oder wieder nach Hause dürfen«, als würden wir beide entscheiden, er und ich, ob ich wieder entlassen oder eingebuchtet werde, als sei ich ein Kind oder ein seniler Patient, zu dem die Krankenschwestern sagen: »Heute essen wir aber schön auf, und dann gehen wir brav schlafen.«

 

Und jetzt sitze ich hier, ausgerechnet ich, bloß weil sie keinen anderen zu fassen kriegen, sitze hier, gehe auf und ab, drei Schritte hin, drei Schritte her, vom Bett zur Tür, vom Fensterloch zur Kloschüssel zurück, wie Tiere im Zoo, nur dass dort mehr Abwechslung herrscht, Tiere aber manchmal genauso dreinblicken wie ich jetzt im Spiegel, Tiere, von denen man denkt, sie müssten sich gerade etwas denken, wobei sie gleichzeitig ausschauen, als sei ihr Kopf vollkommen verstopft, was Tobsuchtsanfälle oder sonstige Jähigkeiten keineswegs ausschließen muss, zumal man es in so engen, ausweglosen Räumen bereits nach einer halben Stunde bloß dadurch auszuhalten vermag, dass man dumpf vor sich hinzubrüten oder sinnlos zu wüten beginnt. Und all das nur, weil der Maler mich gesehen hat, ausgerechnet dieser Maler, der – seit es bei uns keinen Laden mehr gibt – bloß noch alle paar Wochen im Dorf auftaucht, ausgerechnet er, mit dem ich im Grunde Mitleid gehabt habe, seit Lisas Kusine in der Wirtschaft zum Besten gab, wie Kerr ihn behandelt, um nicht zu sagen vernichtet hat, diesen Maler, der drüben am Hang in einem Wochenendhaus, in einer Hütte mit Ofenrohr und Pergola, lebt und von dem keiner weiß, ob er je ein Bild verkauft hat, außer dass er von Kerr vor drei, vier Jahren mit einem gigantischen Auftrag beglückt worden ist, einem Auftrag für das neue Foyer seiner Fuhrparkzentrale, für diesen gläsernen Tempel, den ein zehn auf zwei Meter großes Gemälde krönen sollte, ein Gemälde in feurig roten Farben, die etwas Freudiges ausstrahlen und einen Willen zum Wollen vermitteln sollten, wie Kerr sich ausgedrückt habe.

»Da habe ich was springen lassen, einen Riesenbatzen für ein Riesengemälde, so einen Auftrag hat der noch nie bekommen, der kann ein ganzes Jahr von mir leben!«, soll er überall verkündet haben, und tatsächlich sei der Maler von da an in Liedberg kein einziges Mal mehr gesehen worden, als müsse er Tag und Nacht arbeiten, bis er, pünktlich zum Ablieferungstermin, morgens um acht mit einem Lastwagen vorgefahren sei, um Hilfe beim Entladen gebeten und das ellenlange, vielfach verschnürte und verpackte Ungetüm mit dem Hausmeister unter ständigen Vorsichtsrufen hereingeschleppt, es vor dem Empfangstresen abgestellt und dabei wie ein unruhiges Tier herumgespäht habe, in fiebriger Erwartung, der Chef werde das Werk sofort begutachten wollen, was aber nicht der Fall gewesen sei, im Gegenteil, denn beim zufälligen Vorbeikommen habe der ihn mit einem »Du kannst wieder gehen!« weggeschickt, was dieser habe überhören oder nicht richtig verstehen wollen und stattdessen damit angefangen habe, auf das leichenfahle Neonlicht zu schimpfen, das Gift sei für sein Gemälde, wobei der Chef längst verschwunden und der Maler, wie nicht von dieser Welt, sprachlos dagestanden sei, nicht wissend, ob er toben oder heulen soll, bis er, ohne jedes weitere Wort, mit wehendem Mantel und seiner schiefen Baskenmütze hinausgeeilt sei und vergeblich die automatisch sich schließende Tür zuzuschlagen versucht habe.

Als handle es sich um eine überlange Tischplatte, habe das unausgepackte Ding bis zum Abend am Tresen gelehnt, bis kurz vor Dienstschluss der Chef seine drei Bürobüttel um sich versammelt und mit Blick auf Lisas Kusine, seine Sekretärin, anzüglich von einer Enthüllung geredet habe, worauf die drei die Schnüre aufgerissen, das Packpapier zerfetzt und beim Anblick des Bildes alle drei wie ihr Chef zu schauen, genauer gesagt, auf das Gemälde und gleichzeitig auf ihn zu blicken versucht hätten, um jede Wandlung seiner Miene mitzuvollziehen und genauso dreinzuschauen wie er, da die drei ja nicht hätten wissen können, was ihr Chef jetzt denke, weshalb keiner etwas zu äußern gewagt habe, nichts Gutes, nichts Schlechtes, kein Hüsteln, kein Räuspern, im Unklaren, ob sie in Begeisterung oder Gelächter ausbrechen sollten, bis schließlich Kerr, als genieße er diese Situation, nach einer langen, stummen Weile die drei genauso fragend wie diese ihren Chef angestarrt habe, als erwarte er von ihnen, dass sie endlich eine Regung zeigen, eine Regung, die natürlich die seinige spiegeln sollte, von der sie aber nichts Genaues hätten wissen können, weshalb sie sich zwischen einem halbherzigen Nicken und unentschiedenen Grinsen so lange gewunden hätten, bis er die Stirn gerunzelt und mit einem krachenden »So ein Schmarren!« die drei von ihrer Ungewissheit erlöst habe. Die gläserne Wand sei bis heute frei geblieben, und alle hätten es unglaublich gefunden, dass man diesem Dahergelaufenen, der sich als Maler ausgebe, noch Geld dafür hinschmeiße, dass er eine rote Fläche, wie jedes Kind sie malen könne, abzuliefern wage. »Bringt es ihm auf der Stelle zurück, bezahlt ist es ja!«, habe Kerr gehöhnt, und mit einem Sattelschlepper hätten sie den Schmarren, wie es von da an nur noch geheißen habe, vor seiner Hütte abgeworfen.

Und just dieser Habenichts, für den ich erst vor ein paar Monaten ein spottbilliges Auto besorgt habe, musste jetzt dem Walter unter die Nase binden, ich sei an besagtem Abend aus dem Hof von Lisa gekommen, als sei das der Dank für mein Mitleid und dafür, dass ich ihm nach der Geschichte mit Kerr auf die Schulter geklopft und ihn mit einem »Mach dir nichts aus diesem Idioten!« aufgemuntert habe, und als verbinde uns nicht bereits der Umstand, dass wir, ganz unabhängig voneinander und ohne uns zu kennen, vor dreißig Jahren hierhergezogen sind und schon deshalb nicht richtig dazugehören, weil wir in dieser Gegend keine Häuser, Wiesen, Äcker und Wälder, wie sie seit Generationen den Einheimischen gehören, vererbt bekommen werden, nur dass der Maler sich im Unterschied zu mir mit den Hiesigen so gut wie nie an einen Tisch setzt und sich lediglich alle paar Wochen im Dorf sehen lässt, wobei er ausgerechnet an diesem Abend mit seinem klapprigen Rad die Straße hinabfahren musste.

 

Das Venceremos an der Wand mit seinen zehn Ausrufezeichen wirkt lächerlich, doch damals, als ich das Bahnwärterhäuschen renoviert hatte, prangte über unserem Kühlschrank eine rote Fahne mit der gleichen Aufschrift. Es ist, als runde sich hiermit eine Geschichte ab, die damals begann und jetzt ein unvorstellbares Ende finden sollte, ein Ende, das nicht in einem Sieg, sondern in einem Entsetzen gipfelt, wie man es sich nicht einmal in den schlimmsten Träumen hätte ausmalen können. Obwohl ich nichts gemacht habe, könnte mir genau dieses Nichts zum Verhängnis werden, da vor dem Gesetz dieses Nichtstun ja als Tat erscheinen mag, gleichgültig wie die Paragraphen im Einzelnen lauten und die Einschätzungen der Staatsanwälte, Richter, Schöffen, Verteidiger, und wie sie sonst noch alle heißen mögen, ausfallen werden. Indem ich nichts getan habe, bin ich schuldig geworden, so jedenfalls würden sie mir meine Nichtbeteiligung an der Geschichte auslegen, ohne mir das Recht zuzugestehen, dass man für andere nicht in jedem Augenblick und immerzu verantwortlich ist, wobei Lisas Drohung, sie werde, sollte ich die Polizei rufen, den Beamten postwendend meine Polengeschichten auftischen, mir immer absurder, um nicht zu sagen ungeheuerlicher vorkommen will, als ließen sich ein paar läppische Autoschiebereien mit einem solchen Grauen auch nur im Geringsten vergleichen.

Dabei saß ich, wie jede Woche, mit dem Pfarrer noch vor ein paar Tagen zusammen, das heißt, wir hörten, wie so oft bei ihm, zehn Mal hintereinander auf einer kratzigen Platte seine Lieblingsarie, eine Arie, von der er gar nie genug bekommen konnte, einen Gesang aus Haydns Schöpfung, der erregt beginnt und sanft mit den Worten endet: »Leise rauschend gleitet fort im stillen Tal der helle Bach«, Sätze, die ich längst auswendig kenne, auch wenn es nicht meine bevorzugte Musik ist, eine Musik, die ich mir zu Hause nie auflegen würde, weil mir dabei ein Rhythmus fehlt, ein Rhythmus, bei dem man mitwippen kann, was wiederum der Pfarrer nicht mochte, wobei ich mich an diese Arien durch tausendmaliges Hören durchaus gewöhnte, schließlich gehörten sie zu diesen Abenden und strahlten sogar etwas Heilsames aus, eine Klarheit, die etwas Gefasstes besaß wie der Pfarrer selbst, eine Gefasstheit, die vor Wutausbrüchen nie gefeit war, Wutausbrüchen, mit denen man rechnen musste, auch wenn sie nur alle halbe Jahre stattfinden sollten, vor allem bei Themen, die im Grunde überhaupt nichts Persönliches an sich hatten, sondern – ganz im Gegenteil – mit diesen biblischen Übersetzungsfragen und dem ganzen weltanschaulichen Wirrwarr um sie herum zusammenhingen, mit einem Wirrwarr, der dem Pfarrer unendlich abgründig erscheinen wollte, Wortklaubereien, mit denen ich schon deshalb nicht viel anfangen konnte, weil Fragen, die sich mit Ja oder Nein beantworten lassen, mir näher sind als jene unlösbaren Gedankengespinste, wie sie dem Pfarrer, seit er seine Kutte an den Nagel gehängt hat, immer wichtiger werden sollten.

Doch was soll all das jetzt noch für eine Rolle spielen, schließlich wird es solche Abende nie wieder geben, Abende, die meinem Leben in den letzten Jahren eine Ordnung, um nicht zu sagen einen Sinn verliehen haben, Abende, an denen wir oft nur stumm zusammensaßen, er in seinem quietschenden Schaukelstuhl, ständig die Pfeife im Mund, fast unerträglich gemächlich hin- und herwippend, scheinbar die Ruhe in Person, ganz anders als ich, der Stille nicht selten als etwas Beklemmendes empfindet, zumindest zwischen zwei Leuten, die ganze Stunden miteinander verbringen, wobei ich mich an dieses Schweigen mit der Zeit ebenso wie an diese Arien gewöhnt habe, als könne man, wenn die Dinge und Stimmungen sich wiederholen, mit allem vertraut werden, obwohl ich meinen Rededrang nur deshalb unterdrücken konnte, weil ich Angst hatte, den Pfarrer mit meinen belanglosen Gedanken zu langweilen, mich jetzt jedoch, im Nachhinein, wundere, dass bei dem wenigen, was über all die Jahre zwischen uns gesprochen wurde, dennoch eine ganze Menge zusammenkam. Dabei hatte ich bis zuletzt den Eindruck, meine Besuche seien ihm nicht wirklich wichtig, als hätte ich mehr von ihm als er von mir, obwohl er, wenn es um Besorgungen ging, meine Hilfe nicht nur ganz selbstverständlich in Anspruch nahm, sondern sich sogar einen Ton angewöhnt hatte, der ans Befehlen grenzte, einen Ton, bei dem ich mich am meisten über mich selbst und meinen Gehorsam wunderte, einen Gehorsam, der zwar grundlos, aber zur Gewohnheit geworden war und über den ich mich manchmal durchaus ärgerte, mir dann aber wieder sagte, es lohne sich nicht, solche Dinge eigens zur Sprache zu bringen, da sonst diese Abende hätten auf dem Spiel stehen können, Abende, die in mir gerade deshalb, weil der Pfarrer nur selten das Bedürfnis zu reden hatte, ihre eigene Unruhe hervorbrachten, die ich jedoch niemals hätte missen wollen, zumal es, nicht erst seit die meisten von hier weggezogen sind, in unserem Dorf außer Lisa und ihm niemanden gibt, mit dem ich hätte etwas anfangen können.

 

Bitte Türen sch ießen!, steht an allen Türen am Ende der Flure, Türen, die in einen anderen Trakt oder weißgottwohin führen, nur dass es kaum die Gefangenen gewesen sein können, die das fehlende l von den auf die Glastüren geklebten Plastikbuchstaben abgerubbelt haben, weil sie, so sauber wie es aussieht, dazu keine Zeit gehabt hätten, zumal sie ständig beaufsichtigt werden, weshalb es die Beamten selbst gewesen sein müssen, als wollten sie zeigen, wie witzig sie sein können, nur dass einem solche Witze bereits bei der zweiten Tür nicht mehr witzig vorkommen, Bitte Türen sch ießen!, da kann einer, der tatsächlich hier drinnen sitzt, allenfalls verquält grinsen, wobei ich mir immer wieder sagen muss, dass ich zu denen ja noch längst nicht gehöre und hier allenfalls eine einzige Nacht verbringe, eine Nacht, aus der sich einmal eine Anekdote machen lässt, obwohl die Geschichte als ganze sich überhaupt nicht für so etwas eignet und ich dieses blutüberströmte, von Tränen verwässerte, vollkommen aufgeweichte, wie nicht mehr sich selbst gehörende Gesicht, dieses Wimmern und Flehen nie werde vergessen können und keine Ahnung habe, warum sie das getan haben, auch wenn es gleichzeitig so leicht wie nichts anderes zu erklären ist, nur dass diese anderen Ereignisse inzwischen sieben Jahre zurückliegen und der Pfarrer so gut wie nie darüber reden wollte und eher ich es war, der ihn immer wieder angestachelt hat, was mich jetzt, im Nachhinein, beinahe zum Täter hinter dem Täter macht, zu einem Täter, der nie und nimmer etwas anzetteln, aber den Pfarrer mit diesen alten Geschichten auch nicht in Ruhe lassen wollte, und sei es nur, weil ich oft nicht so richtig wusste, was ich mit ihm reden sollte, und mich bei ein paar Gläsern Wein in eine gnadenlose Gerechtigkeitserregung hineingesteigert habe, bei der man hätte meinen können, ich selbst sei es gewesen, den man unschuldig vor Gericht gezerrt hat. Und jetzt, von heute auf morgen, gleichsam über Nacht, sozusagen aus heiterem Himmel, bricht aus dem Pfarrer ein Hass heraus, von dem all die Jahre über nicht das Geringste zu spüren war, weshalb ich mich frage, ob es damit zu tun haben könnte, dass die beiden offensichtlich zusammen sind und sich – ganz abgesehen davon, dass sie mich betrogen haben – durch eine Irrsinnstat aneinanderschweißen wollten, was zwar absurd anmutet, aber Lisa zuzumuten wäre, zumal sie von Phantasien angestachelt ist, die mein Vorstellungsvermögen, zumindest wenn sie ausgelebt werden wollen, zuweilen übersteigen, wobei sie von einer derart widerwärtigen Idee bislang noch nichts verraten hätte. Weil sie mich just in dem Augenblick zu sich gerufen hat, da der Pfarrer zusammengekauert, das Hemd bis zur Hose offen, neben dieser zugerichteten Frau auf dem Boden saß, dachte ich, was haben denn ausgerechnet diese drei miteinander, zumal Lisa noch nie etwas mit dem Pfarrer, aber auch nicht mit dieser Frau zu tun hatte, bloß dass solche Gedanken gar keine Rolle mehr spielen konnten und sofort klar war, warum Lisa am Telefon nur noch aus herrischer Panik bestand. »Komm sofort!«, schrie sie, ohne jede Erklärung, immer schriller, nachdem ich wissen wollte, was eigentlich los ist. Am liebsten wäre ich, schon weil ihr Befehlston unerträglich ist, daheim geblieben, aber die Neugier trieb mich, nachdem ich wie zum Trotz noch zehn Minuten verstreichen ließ, dann doch zu ihr hinüber. Dass diese zehn Minuten noch hätten etwas retten können, ist so gut wie ausgeschlossen, schließlich muss das, was ich zu Gesicht bekam, so weit fortgeschritten gewesen sein, dass die beiden nicht mehr ein noch aus wussten und mich aus heilloser Hilflosigkeit heraus meinten rufen und dadurch zum Mitwisser, um nicht zu sagen Mitschuldigen, machen zu müssen. Welche Rollen die beiden dabei im Einzelnen spielten, ist mir mehr als rätselhaft, wobei Lisa, wie es ja zu ihr passt, auf fürchterliche Weise alles in den Griff kriegen wollte, während Johannes gekrümmt an der feuchten, bröseligen Kellerwand lehnte, wie irr oder betäubt, als sei er selbst das Opfer, das Hemd, wie man erst beim zweiten Hinschauen sehen konnte, am Ärmel zerfetzt, als habe es einen Kampf gegeben, nur dass er, ein Bein von sich gestreckt, so nah und ohne jede ersichtliche Feindseligkeit neben dieser Frau saß, dass er sie hätte anfassen, ja umarmen können, in seinem abwesenden, verquälten Gesicht jedoch auch etwas Versonnenes aufzuleuchten schien, sodass man hätte meinen können, Erlösung und Entsetzen seien darin eins geworden.

Dabei saß ich noch zwei Tage zuvor mit ihm zusammen, habe ihn bereits in der Mittagszeit, weil der Tag so schön war, aufgesucht, kam nach einem Morgenspaziergang vom Wald herüber aufs Bahnwärterhäuschen zuspaziert, habe von weitem gewinkt, was er aber nicht sah oder nicht sehen wollte. Da saß er, ein reines Friedensbild, zwei Tage vor diesem Grauen noch draußen unter seinem Kletterrosenbaldachin, einer Pergola, die ich ihm, als er dort einzog, eigenhändig zusammengezimmert habe, saß da mit seinen zwei Dutzend Bibeln und Wörterbüchern und der verschnörkelten, blau geblümten, aus Omas Zeiten stammenden Porzellanteetasse, während von drinnen, als besitze er keine einzige andere Platte, wieder einmal diese immergleichen Arien heraustönten. Anstatt mich zu begrüßen, zeigte er zum Himmel hinauf, verglich die weißen Wölkchen, das Himmelsblau und den Dunst am Horizont wieder einmal mit verwaschenen Watteau-Wolken oder solchen von Tintoretto oder von weißgottwelchen Malern, die mir nichts sagen, nur dass ich mir diesmal die Bemerkung erlaubte, er scheine die gemalten für die echten und die wirklichen für nachgemachte zu halten. In diesem Jahr, so behauptete er dann noch, werde entweder überhaupt kein Schnee mehr fallen oder der Winter bereits Anfang November beginnen, wozu ich nickte, obwohl mir schleierhaft war, wie er zu solchen Prognosen gelangte. Wie so oft redete er, ohne mich anzuschauen, einfach vor sich hin, als spinne er jene Gedanken, die ihm sowieso gerade durch den Kopf gehen, einfach fort, schließlich hätte er sich sonst nicht völlig unvermittelt darüber erregen können, dass zu Beginn der Bibel nicht von Gottes Geist, sondern von dessen Sturmwind die Rede sei, was einen himmelweiten Unterschied ausmache, zumal man sich unter einem wilden, wüsten, wütenden Orkan ja das gewaltige Gegenteil eines ungreifbaren, sanft und friedlich über den Wassern schwebenden Odems vorstelle.

Warum er sich, obwohl der Prozess damals gut für ihn ausgegangen ist und ihm von der Kirche weit attraktivere Stellen angeboten worden sind, ausgerechnet in das von mir vor dreißig Jahren kläglich renovierte, zwischenzeitlich wieder zerfallene, abseits des Dorfes inmitten von Wiesen gelegene Bahnwärterhäuschen zurückgezogen und mit jemandem wie mir vorliebgenommen hat, bleibt mir bis heute ein Rätsel, obwohl er doch hätte wegziehen, eine andere Pfarrei übernehmen oder ins Kloster gehen und sich mit Leuten umgeben können, die ihm etwas ganz anderes zu bieten haben. Vor allem hätte sich dann das, was jetzt geschehen ist, kaum zutragen können, zumal er dieser Frau, deren Name mir beim besten Willen nicht mehr einfallen will, woanders noch weit weniger als hier je wieder begegnet wäre und es nur Zufall sein konnte, dass sie letzten Samstag bei Lisa aufeinandergestoßen sind. Doch durch das, was jetzt passiert ist, bekommt seine Entscheidung hierzubleiben, etwas geradezu Unheimliches, eine Unheimlichkeit, von der damals, als er seine letzte Predigt hielt, nicht das Geringste zu erahnen war, eine Predigt, bei der die Kirche voll wie noch nie war, wobei jeder die erigierten Schwänze und wüsten Worte begutachten konnte, die über Wochen hinweg in die Bänke geschnitzt worden waren, Ausdrücke, von denen Schweinepriester und Triebficker noch zu den sanftesten gehörten, nur dass bei diesem Hochamt keiner von all denen zu sehen war, die zuvor bloß deshalb die Messe besucht hatten, um einen Perversen zu begaffen, einen Perversen, der es wagte, weiterhin öffentlich aufzutreten, obwohl auch diesmal fast nur Neugierige herbeigeströmt kamen, Neugierige, die sehen wollten, wie der Pfarrer sich verhalten, ob er über die jüngsten Ereignisse reden, das Gerichtsurteil kommentieren oder, als sei nichts gewesen, schlichtweg zum kirchlichen Alltagsgeschäft zurückkehren würde. Immerhin gab es auch Stimmen, die von einem lauwarmen Freispruch und einem bloßen Mangel an handfesten Beweisen sprachen, nicht zuletzt ein Schreiberling des Donauboten, der sich zu orakeln erlaubt hatte, dass das so häufige, scheinbar demütige Schweigen des Angeklagten und dessen schmallippige Beteuerungen, nicht zu wissen, worum es eigentlich geht, sich noch einmal als Zeichen einer ganz besonders satanischen Verruchtheit entpuppen könnten.

Wir alle, die an diesem Sonntag in die Kirche gingen, dachten wahrscheinlich, solche Beleidigungen könne der Pfarrer nicht unbeantwortet lassen, doch als handle es sich um eine ganz gewöhnliche Predigt, stand er so gelöst vor uns, als komme er gerade aus den Ferien zurück, nur ein wenig abgemagert, aber mit umso markanteren, um nicht zu sagen schöner hervortretenden Gesichtszügen, wie noch nie zuvor barfuß in Sandalen, als wolle er schlichter denn je, gleichsam wie der heilige Franziskus, vor uns hintreten, um bis zum Ende kein einziges Wort über die vergangenen Wochen und sich selbst zu verlieren und stattdessen auf die herabstürzende Taube und das Flammenzeichen über dem Altar zu verweisen, ein schlichtes Deckengemälde, das neben dem goldenen Dreifaltigkeitsauge das einzige Fresko am geweißelten Gewölbe ist. Wir alle reckten, als er mit seiner Rechten in die Höhe wies, die Köpfe hinauf, als handle es sich um eine Bilderklärung, wie man sie in Museen erlebt, nur dass der Pfarrer, wie man es gar nicht an ihm kannte, in geradezu grotesker Ausführlichkeit über das Herabstürzen dieser Taube zu philosophieren anfing, über ein Herabstürzen, das in Wirklichkeit kein Stürzen, sondern ein jähes, unerwartetes Herbeieilen sei, ein Herbeieilen aus heiterem, gewittrigem oder nächtlichem Himmel, je nachdem, wie man es empfinden wolle, schließlich könne die unverhoffte Ankunft des Heiligen Geistes jeder anders wahrnehmen, nur dürfe man, wenn es so weit sei, sich dieser Art von Advent nicht verschließen, einem Advent, der nicht auf Weihnachten hinziele, sondern sich jederzeit ereignen könne, in jedem einzelnen Leben, als eine plötzlich geschenkte Gnade, als ein Licht, das weit mehr als bloße Einsichten eröffne, da Einsichten alleine noch keinerlei Erlösung verbürgten, wobei man diese Gnade umso überwältigender erlebe, wenn es sich um ein Herabstürzen im Augenblick größter Gefahr, im Augenblick einer nicht mehr aufzuhaltenden Vernichtung handle, einer Vernichtung, in der man wie noch nie die Kraft eines Aufschwungs in sich spüre, eines Aufschwungs, der sich genausowenig wie das Fallen dem eigenen Willen verdanke, sondern sich zum allergrößten Erstaunen von jetzt auf gleich in ebenso mächtiger wie sanfter Weise von alleine ergebe, als werde man von lichttrunkenen Gewalten getragen, um dabei wie nie zuvor zu erfahren, was es heiße, freier denn je zu atmen, als habe ein Feuer alles Verhärtete, Verkrampfte und in sich Verschanzte vernichtet und die Brust von allem Verstockten von Grund auf erlöst, sodass man eine nie dagewesene Kraft und Klarheit in sich verspüre, eine Kraft, die aus der größtmöglichen Erschöpfung erwachse und einen Frieden über Geist und Seele bringe, wie man ihn aus eigenem Antrieb niemals erzwingen, sondern sich ihm nur öffnen und überlassen könne, weshalb dies seine allerletzte Predigt sei, die er im Leben halte, was bedeute, dass er mit diesen Worten sein Amt für immer niederlegen und mit der wunderlichen Kraft der Kraftlosigkeit Abschied von den Ansprüchen einer unerträglich gewordenen Aufgabe nehmen werde.

Wie versteinert saßen wir in unseren Kirchenbänken und starrten auf den Pfarrer, als müsse die Predigt weitergehen oder als hätten wir nicht richtig gehört und trotzdem nur zu genau verstanden, obwohl von einem wirklichen Verstehen keine Rede sein konnte, auch wenn das, worauf es hinauslief, leicht zu begreifen war. Spätestens am Ende wusste jeder, welche Botschaft sich hinter diesem Begriffs- und Bildertaumel versteckte, als habe da einer tatsächlich in fremden Zungen und dennoch in aller Klarheit zu uns gesprochen. Nie hatte ich in der Kirche eine solche Stille erlebt, eine Stille, die selbst von den sonst so munteren Spatzen und Schwalben nicht gestört wurde, sodass man hätte meinen können, die ganze Welt halte für eine Weile den Atem an. Um diese Stille zu durchbrechen, in der ein Hüsteln oder Räuspern oder auch nur das Knistern eines Kleides wie ein unerhörter Kommentar gewirkt hätte, schienen einige sogar klatschen zu wollen, was der Pfarrer aber mit einer abwehrenden Geste seiner rechten Hand sofort zu verhindern wusste. Als er, ohne jedes Anzeichen einer besonderen Rührung, die Messe schließlich ganz gewöhnlich weiter zelebrierte, setzte rundum ein Murmeln ein, das erst enden wollte, als er uns zum Abschied ein geradezu heiteres, um nicht zu sagen fast spöttisches Friede sei mit euch! zurief, das so klang, als bedürften ab jetzt nur noch wir, aber keineswegs mehr er dieses Segens. Mit dem Rücken zur Gemeinde verließ er dann, von zwei Ministranten flankiert, den Altarraum und erschien dabei wie ein Bühnenstar, der in einer überfüllten Dorfkirche, unscheinbar triumphierend, seinen Abschied gegeben und uns wie Verlorene zurückgelassen hat.