70,99 €
Tribologie, Korrosion, Konstruktion und Werkstofftechnik sind Wissensbereiche, die sich zunächst parallel entwickelt haben. Das gleiche gilt für die verschiedenen Verfahren der Oberflächentechnik. Heute wird es zunehmend wichtiger, interdisziplinäre Ansätze zu finden, um die Problemstellungen der Zukunft, wie z.B. Umweltschutz oder Ressourcenschonung, gemeinsam zu lösen. Das Buch verfolgt den Ansatz, diese Wissensbereiche zu verknüpfen.
Es beginnt mit einer Beschreibung technischer Oberflächen hinsichtlich chemischer Zusammensetzung und geometrischer Struktur. Technische Systeme des Maschinenbaus (Bauteile oder Werkzeuge) sind Umgebungseinflüssen (Druck, Chemie, Temperatur) ausgesetzt, die zu Oberflächenschäden durch Verschleiß und Korrosion führen können. Um Oberflächen davor zu schützen, müssen die Grundlagen der Tribologie (Lehre von Reibung und Verschleiß) und Korrosion zunächst verstanden sein, weshalb die wichtigsten Begriffe und Definitionen zu Beginn des Buches beschrieben werden. Schwerpunkt des Buches ist die Behandlung der Verfahren der Oberflächentechnik, die im Maschinenbau Anwendung finden. Jedes Verfahren wird hinsichtlich Beschichtungsprozess, Anlagentechnik, Schichtwerkstoffen, typischen Schichtdicken, Beschichtungstemperaturen und Schichtwerkstoffen beschrieben und anhand von Anwendungsbeispielen vorgestellt. Wesentliches Element der Oberflächentechnik ist die Kombination unterschiedlicher Werkstoffe oder Werkstoffeigenschaften, um Volumen- und Oberflächeneigenschaften getrennt voneinander entsprechend der Anwendung optimieren zu können. Daher ist abschließend eine sehr kurze Einteilung wichtiger Werkstoffe gegeben (Metalle, Keramiken, Polymere). Die Kombination aus Tribologie, Korrosion, Verfahren der Oberflächentechnik und Werkstoffkunde ermöglicht eine strukturierte Herangehensweise bei der Auslegung von Oberflächen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 528
Veröffentlichungsjahr: 2013
Inhaltsverzeichnis
Lateinische Formelzeichen
Griechische Formelzeichen
Konstanten
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung in die Oberflächentechnik
1.1 Technische Oberflächen
1.2 Funktionen von Oberflächen
1.3 Methodischer Ansatz zur Entwicklung beschichteter Produkte
1.4 Verfahren der Oberflächentechnik
Literatur
2 Tribologie
2.1 Das tribologische System
2.2 Reibung
2.3 Verschleiß
2.4 Schmierung
2.5 Tribologische Prüfung
Literatur
3 Korrosion
3.1 Elektrochemische Korrosion
3.2 Hochtemperaturkorrosion
3.3 Metallphysikalische Korrosion
Literatur
4 Elektrochemische Metallabscheidung
4.1 Thermodynamische Grundlagen der Elektrochemie
4.2 Kinetische Grundlagen der Elektrochemie
4.3 Galvanische Metallabscheidung
4.4 Chemische Metallabscheidung
4.5 Schichtsysteme der elektrochemischen Metallabscheidung
Literatur
5 Konversionsverfahren
5.1 Anodisieren
5.2 Phosphatieren
5.3 Chromatieren
5.4 Vergleich des Chromatierens und Phosphatierens
5.5 Brünieren
Literatur
6 Thermochemische Diffusionsverfahren
6.1 Carburieren (Einsatzhärten)
6.2 Nitrieren
6.3 Nitrocarburieren
6.4 Borieren
6.5 Chromieren
6.6 Alitieren
6.7 Silizieren
6.8 Sheradisieren
Literatur
7 Physical Vapor Deposition (PVD)
7.1 Erzeugen der Gasphase / des Plasmas
7.2 Teilchentransport
7.3 Kondensation – Schichtwachstum
7.4 PVD-Verfahren
7.5 PVD-Werkzeugbeschichtung
7.6 PVD-Bauteilbeschichtung
7.7 PVD-Wärmedämmschichten
Literatur
8 Chemical Vapor Deposition (CVD)
8.1 Thermodynamik der chemischen Reaktion
8.2 Reaktionschemie
8.3 Kinetik der Schichtabscheidung
8.4 CVD-Verfahren
8.5 CVD-Werkzeugbeschichtung
8.6 CVD-Bauteilbeschichtung
Literatur
9 Sol-Gel-Deposition
9.1 Das Sol als Ausgangswerkstoff
9.2 Der Sol-Gel-Übergang
9.3 Beschichtungen mit Sol-Gel-Verfahren
9.4 Anwendungsbeispiele für Sol-Gel-Beschichtungen
Literatur
10 Schmelztauchverfahren
10.1 Feuerverzinken
10.2 Feueraluminieren
10.3 Feuerverzinnen
10.4 Feuerverbleien
Literatur
11 Thermisches Spritzen
11.1 Verfahrensprinzip des Thermischen Spritzens
11.2 Schichtbildung beim Thermischen Spritzen
11.3 Schichthaftung thermisch gespritzter Schichten
11.4 Verfahren des Thermischen Spritzens
11.5 Schichtwerkstoffe und Anwendungsbeispiele des Thermischen Spritzens
Literatur
12 Löten
12.1 Grundlagen des Lötens
12.2 Einteilung der Lötverfahren und Lotwerkstoffe
12.3 Auftraglöten von Hartstoff-Hartlot-Verbundsystemen
12.4 Auflöten von Panzerungen
Literatur
13 Auftragschweißen
13.1 Werkstoffverbunde durch Auftragschweißen
13.2 Verfahren des Auftragschweißens
13.3 Schichtwerkstoffe und Anwendungsbeispiele des Auftragschweißens
Literatur
14 Plattieren
14.1 Kaltwalzplattieren
14.2 Warmwalzplattieren
14.3 Sprengplattieren
Literatur
15 Werkstoffe
15.1 Grundlagen der Materialkunde
15.2 Metallische Werkstoffe
15.3 Nichtmetallische anorganische Werkstoffe
15.4 Organische Werkstoffe
15.5 Verbundwerkstoffe
Literatur
Stichwortverzeichnis
Beachten Sie bitte auch weitere interessante Titel zu diesem Thema
Callister, William D., Rethwisch, David G.
Materialwissenschaften und Werkstofftechnik
Eine Einführung
2012
ISBN: 978-3-527-33007-2
Mang, T., Bobzin, K., Bartels, T.
Industrial Tribology
Tribosystems, Friction, Wear and Surface Engineering, Lubrication
2011
ISBN: 978-3-527-32057-8
Oettel, H., Schumann, H. (Hrsg.)
Metallografie
Mit einer Einführung in die Keramografie
2011
ISBN: 978-3-527-32257-2
Worch, H., Pompe, W., Schatt, W. (Hrsg.)
Werkstoffwissenschaft
10., vollständig überarbeitete Auflage
2011
ISBN: 978-3-527-32323-4
Maaß, P., Peißker, P. (Hrsg.)
Handbuch Feuerverzinken
3. Auflage
2012
ISBN: 978-3-527-33251-9
Christ, H.-J.
Ermüdungsverhalten metallischer Werkstoffe
2. Auflage
2009
ISBN: 978-3-527-31340-2
Bach, F.-W., Möhwald, K., Laarmann, A., Wenz, T. (Hrsg.)
Moderne Beschichtungsverfahren
2005
ISBN: 978-3-527-30977-1
Lange, G. (Hrsg.)
Systematische Beurteilung technischer Schadensfälle
5. Auflage
2001
ISBN: 978-3-527-30417-2
Autor
Prof. Dr.-Ing. Kirsten Bobzin
RWTH Aachen University
Institut für Oberflächentechnik
Kackertstr. 15
52072 Aachen
1. Auflage 2013
Alle Bücher von Wiley-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
© 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Boschstr. 12, 69469 Weinheim, Germany
Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.
ISBN: 978-3-527-33018-8
Satz Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld
Umschlaggestaltung Formgeber, Eppelheim
Lateinische Formelzeichen
Griechische Formelzeichen
Konstanten
Abkürzungsverzeichnis
ABS:
Arc Bond Sputtering
ABS:
Acrylniril-Butadien-Styrol
AES:
Auger-Elektronenspektroskopie
AGG:
Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Galvanotechnik
AIP:
Arc Ion Plating
AO:
Antioxidantien, Oxidationsinhibitoren
AP:
Atmospheric Pressure
APS:
Atmosphärisches Plasmaspritzen
bf:
Basismolekül des Grundöls
BNE:
Bruttonationaleinkommen
BMBF:
Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMWi:
Bundesministerium für Wirtschaft
cBN:
kubisches Bornitrid
CBN:
kubisches Bornitrid, als Verbundwerkstoff hergestellter Schneidstoff
CFK:
kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff
CGS:
Cold Gas Spraying, Kaltgasspritzen
CI:
Korrosionsinhibitoren (Corrosion Inhibitor)
CMC:
Ceramic Matrix Composite
CVD:
Chemical Vapor Deposition
DBTT:
ductile-brittle transition temperature
DC:
Gleichstrom
DLC:
Diamond-Like Carbon
DVS:
Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e.V.
EB-PVD:
Electron Beam – Physical Vapor Deposition
ECCI:
Electron Channeling Contrast Imaging
EFDS:
Europäischer Förderverein Dünne Schichten e.V.
EMK:
Elektromotorische Kraft
EP:
Epoxidharz
EP/AW:
Extreme Pressure/Anti-Wear (Verschleißschutz)-Additiv
EPDM:
Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk
ESCA:
Elektronenspektroskopie zur chemischen Analyse (identisch mit XPS)
ESMA:
Elektronenstrahl-Mikroanalyse
FM:
Reibminderer-Additiv (Friction Modifier)
FS:
Flammspritzen
FSZ:
vollständig stabilisiertes Zirkonoxid (fully stabilized Zirconia)
FVK:
Faserverbundkunststoffe
GfT:
Gesellschaft für Tribologie e.V.
GfKORR:
Gesellschaft für Korrosionsschutz e.V.
GFK:
glasfaserverstärkter Kunststoff
GJM:
Temperguss (früher GT)
GJN:
Hartguss (früher GH)
GJL
Grauguss mit Lamellengraphit (früher GG)
GJS:
Grauguss mit Kugelgraphit (früher GGG)
GLY:
Sondergusslegierungen
GTW:
weißer Temperguss
GTS:
schwarzer Temperguss
GTS:
Gemeinschaft Thermisches Spritzen e.V.
hBN:
hexagonales Bornitrid
hdp:
hexagonal dichteste Kugelpackung
HF:
Hochfrequenz
HIP:
High Ionisation Pulsing
HIS®:
High Ionisation Sputtering
HL:
Hartlöten
HM:
Hartmetall
HP:
High Purity
HPPMS:
High Power Pulse Magnetron Sputtering
HPPS:
High Power Plasma Spritzen
HSS:
Schnellarbeitsstahl (High Speed Cutting Steel)
HT:
Hochtemperatur
HT-CVD:
High Temperature Chemical Vapor Deposition
HTL:
Hochtemperaturlöten
HVOF:
High Velocity Oxy-Fuel Spraying, Hochgeschwindigkeitsflammspritzen
HVAF:
High Velocity Air-Fuel Spraying, Hochgeschwindigkeitsflammspritzen
IB:
Ion Beam Sputtern
IBAD:
Ion Beam Assisted Deposition
IC PS:
Inductive Coupled Radio Frequency Plasma Spraying
IFV:
Industrieverband Feuerverzinken e.V.
IPS:
Inertgas-Plasmaspritzen
kfz:
kubisch flächenzentriert
krz:
kubisch raumzentriert
KSS:
Kühlschmierstoff
LDS:
Lichtbogendrahtspritzen
LP:
Low Pressure
LPPS:
Low Pressure Plasma Spraying
LT-CVD:
Low Temperature Chemical Vapor Deposition
MD:
Metalldesaktivator-Additiv
MF:
Mittelfrequenz
MMC:
Metal Matrix Composite
MO-CVD:
Metallorganisches CVD
MPS:
Mikro-Plasmaspritzen
MS:
Magnetron-Sputtern
MSIP:
Magnetron Sputter Ion Plating
MT-CVD:
Middle Temperature Chemical Vapor Deposition
NBR:
Nitrilkautschuk
NE-Metalle:
Nichteisenmetalle
NR:
Naturkautschuk
NVB:
Niedervoltbogenentladung
ODS:
Oxide Dispersion Strengthened
PA:
Polyamid
PACVD:
Plasma-assisted Chemical Vapor Deposition
PC:
Polycarbonat
PE:
Polyethylen
PECVD:
Plasma-enhanced Chemical Vapor Deposition
PEEK:
Polyetheretherketon
PEO:
plasmaelektrolytische Oxidation, Plasmaanodisation
PET:
Polyethylenterephtalat (auch PETP)
PE-UKMW:
ultrahochmolekulares Polyethylen
PKD:
polykristalliner Diamant, als Verbundwerkstoff hergestellter Schneidstoff
PLD:
Pulsed Laser Deposition
PMC:
Polymer Matrix Composite
PMMA:
Polymethylmethacrylat
PP:
Polypropylen
POM:
Polyoxymethylen (Polyformaldehyd)
PSZ:
teilstabilisiertes Zirkonoxid, partielly stabilized zirconia
PTFE:
Polytetrafluorethylen
PTWA:
Plasma Transfer Wire Arc Spraying
PVD:
Physical Vapor Deposition
REM:
Rasterelektronenmikroskop
RPS:
reaktives Plasmaspritzen
RT:
Raumtemperatur
SBR:
Styrol-Butadien-Kautschuk
SLPM:
Standardliter pro Minute
SpRK:
Spannungsrisskorrosion
SPS:
Shrouded Plasma Spraying
SwRK:
Schwingungsrisskorrosion
TEOS:
Tetraethylorthosilikat
TGO:
thermisch gewachsenes Oxid
TLP:
Transient-Liquid-Phase
UHV:
Ultrahochvakuum
UP:
ungesättigtes Polyesterharz
UPS:
Unterwasser-Plasmaspritzen
VCI:
Verband der chemischen Industrie e.V.
VDI:
Verein Deutscher Ingenieure
VPS:
Vakuum-Plasmaspritzen
WDS:
Wärmedämmschicht
WL:
Weichlöten
WSC:
Wolframschmelzkarbid
XPS:
Röntgenphotoelektronenspektroskopie (identisch mit ESCA)
YPSZ:
yttriumoxidteilstabilisiertes Zirkoniumoxid (Yttria partielly stabilized Zirconia)
Rund zwei Drittel aller technologischen Innovationen gehen auf Werkstoffentwicklungen zurück, da oft die herkömmlich eingesetzten Werkstoffe den steigenden Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Damit sind neue Werkstoffe mit erweiterter Funktionalität und Leistungsgrenze in zahlreichen Branchen die treibende Kraft für neue Produkte und Schlüssel für eine bessere Wettbewerbsfähigkeit. Die Möglichkeiten der Oberflächentechnik, Volumen- und Oberflächeneigenschaften von Werkstoffen getrennt voneinander zu optimieren, hat sich in vielen Bereichen der Ingenieurwissenschaften als ebenso nützlich wie notwendig erwiesen, um den Anforderungen moderner Spitzentechnologie gerecht zu werden. Die Oberflächentechnik ist eine Querschnittstechnologie. Verfahren der Oberflächentechnik finden sich in allen Branchen des produzierenden Gewerbes. Bedeutende Industriezweige wie die Automobilindustrie, die Luftfahrt oder die Energietechnik sind heutzutage auf moderne Verfahren der Oberflächentechnik angewiesen. Ebenso hätten jüngere Industriezweige wie die Medizintechnik, Mikrosystemtechnik und Kommunikationstechnik ohne die Verfahren der Oberflächentechnik nicht so stark wachsen können.
Treibende Kraft bei der Verbreitung von Oberflächentechnologien ist die Ressourcenschonung, der Umweltschutz und steigende Anforderungen an die Sicherheit. Die Wertschöpfung durch die Oberflächen- und Beschichtungsindustrie allein in Deutschland wird jährlich auf 20 Mrd. € geschätzt [1], dennoch geht man davon aus, dass insgesamt lediglich 10–15 % des eigentlichen Potentials an beschichtbaren Produkten ausgeschöpft wird. Die Ansprüche, die an technische Oberflächen gestellt werden, sind vielfältig. In einer Umfrage der Forschungsagenda Oberfläche wurden die verschiedenen Forderungen aus Industrie und Forschung erfasst und ausgewertet. In Tabelle 1.1 sind die TOP 10 dieser Umfrage aufgeführt.
Alleine das Anforderungsspektrum, welches aus diesen zehn genannten Oberflächeneigenschaften resultiert, zeigt eine große und facettenreiche Varianz auf. Es wird auch deutlich, dass der Oberfläche in Zukunft mehr Funktionalität zugesprochen wird als jemals zuvor. Dieses Potential, welches in technischen Oberflächen steckt, ist der Grund für das stetig wachsende Interesse an Oberflächentechnologien und dem steigenden Marktschöpfungswert.
Tabelle 1.1 Die TOP 10 der Anforderungen an technische Oberflächen der Zukunft [1]
Eigenschaften
Nennung
Selbstreinigende Eigenschaften
100 %
Sensorik
71 %
Tribologische Eigenschaften
65 %
Kratzfestigkeit
63 %
Härte, Elastizität
62 %
Umweltverträglichkeit
57 %
Verarbeitbarkeit/ Applizierbarkeit
56 %
Langzeitstabilität
56 %
Chemische Beständigkeit
49 %
Optische Eigenschaften
48 %
Alles was wir sehen ist Oberfläche. Oberflächen reflektieren Licht- und Schallwellen, sie bilden die Grenze zwischen zwei Phasen. Wechselwirkungen zwischen den angrenzenden Phasen werden als Phasengrenzreaktionen bezeichnet. Bei Phasengrenzreaktionen zwischen Festkörpern und einer angrenzenden flüssigen oder gasförmigen Phase spricht man auch von Oberflächenreaktionen. Infolge von Phasengrenzreaktionen unterscheiden sich die Eigenschaften der Oberflächen aller fester und flüssiger Phasen von den Eigenschaften im Inneren des Volumens. Die Oberfläche ist im technischen Sinne nicht als 2-dimensionale Fläche zu verstehen. Insbesondere bei festen Phasen bestehen die Randbereiche häufig aus mehreren Zonen unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung und physikalischer Eigenschaften. Die Oberflächeneigenschaften können mit den Methoden der Oberflächentechnik verändert werden, um bestimmte Funktionen zu übernehmen.
Die chemischen und physikalischen Phasengrenzreaktionen an Oberflächen basieren auf atomaren Wechselwirkungen. Jede Phase, die fest, flüssig oder gasförmig sein kann, lässt sich durch ihre chemische Zusammensetzung, die wirkenden Bindungskräfte und ihre Struktur charakterisieren. Der Zusammenhalt der einzelnen Atome innerhalb einer Phase basiert auf chemischen Bindungen (Abb. 1.1). Man unterscheidet metallische Bindungen, Ionenbindungen und kovalente Bindungen (Elektronenpaarbindung) mit in dieser Reihenfolge steigender Bindungskraft. Viel schwächer als diese drei Bindungsarten sind die zwischenmolekularen Bindungen (van-der-Waals-Kräfte), die den Zusammenhalt zwischen Molekülen in einem Kristallgitter (z.B. festem Kohlendioxid) oder in einer Flüssigkeit (z.B. Wasser) bewirken [2].
In Abhängigkeit der Zustandsgrößen Druck und Temperatur stellen sich die Aggregatzustände fest, flüssig oder gasförmig ein. Dieses Phänomen ist darauf zurückzuführen, dass jede Phase bestrebt ist, einen thermodynamischen Gleichgewichtszustand zu erreichen. Durch Materietransport, wie z.B. Diffusionsvorgänge, wird innerhalb einer Phase das kleinstmögliche Energieniveau erreicht. Die physikalischen und chemischen Eigenschaften im Inneren einer Phase unterscheiden sich von denen an der Phasengrenze. Die Phasengrenze erstreckt sich immer über eine Tiefe von mehreren Atom- oder Moleküldurchmessern. Die hier vorliegenden Teilchen unterliegen nicht einer allseitig gleichmäßigen Krafteinwirkung wie die Teilchen im Phaseninneren, was ein Minimum potentieller Wechselwirkungsenergie zur Folge hat (Abb. 1.2). Daraus folgt, dass Phasengrenzen immer energiereichere Gebiete sind. Sind die Teilchen einer kondensierten Phase wie bei Flüssigkeiten frei beweglich, werden sich immer Kugeln ausbilden: die geometrische Form mit der kleinsten Oberfläche.
Abb. 1.1 Aufbau und Eigenschaften atomarer Bindungen [3]
Abb. 1.2 Schematische Darstellung zwischenmolekularer Wechselwirkungen im Inneren und an der Oberfläche einer Phase [4]
Die Wechselwirkungen an der Phasengrenze zur Umgebung sind in der Praxis häufig nicht klar voneinander zu unterscheiden. Die Übergänge von physikalischer Adsorption, Chemisorption, chemischer oder elektrochemischer Reaktionen sind oft fließend. Bei Festkörpern mit hochenergetischen Oberflächen, vor allem bei Metallen und Ionenbindungen, bleibt der Adsorptionsvorgang häufig nicht auf der Stufe der physikalischen Adsorption stehen. Die Wirkung der starken Metallbindungs- oder Coulomb-Kräfte auf die Adsorbatteilchen führt vielmehr dazu, dass ihre intermolekularen Bindungen stark deformieren und teilweise gelöst werden [4]. Im chemisorbierten Zustand liegen die Teilchen des Adsorbats in einer Form vor, die einer Oberflächenverbindung nahekommt.
Der Übergang von Physisorption zur Chemisorption erfordert eine höhere Aktivierungsenergie EAChs, wodurch der Vorgang bei niedrigen Temperaturen stark gehemmt werden kann. Die starken Bindungskräfte im Chemisorptionskomplex haben andererseits eine weitgehende Irreversibilität des Vorgangs zur Folge. Ein Chemisorptions-Desorptionsgleichgewicht stellt sich daher höchstens bei hohen Temperaturen ein. Die Energieverhältnisse beim Übergang eines Teilchens zunächst in den Physisorptionszustand und aus diesem in den Zustand der Chemisorption ist am Beispiel der Adsorption von Sauerstoff O2 an einer Metalloberfläche (Abb. 1.3) schematisch dargestellt.
Die bei einer Chemisorption auftretenden Deformationen der Elektronenhülle der chemisorbierten Teilchen führen dazu, dass diese unter anderem leichter mit anderen Verbindungen reagieren können. Reine hochenergetische Festkörperoberflächen, besonders von Metallen, sind praktisch nur im Ultrahochvakuum und durch spezielle Verfahren, z.B. der Ionenstrahltechnologie, zu erhalten. Schon bei tiefen Temperaturen werden geringste Spuren gasförmiger Verbindungen einschließlich der permanenten Gase adsorbiert. Bereits bei normalen Temperaturen bilden sich fast immer aus den geschlossenen Chemisorptionsschichten echte Verbindungsschichten, wie z.B. Oxid- oder Nitridschichten.
Neben diesen atomaren Wechselwirkungen, die zu stofflichen Abweichungen an der Werkstoffoberfläche führen, weichen alle technischen Oberflächen herstellungsbedingt auch von der idealen geometrischen Gestalt ab. Nach DIN 4760 [14] werden Gestaltabweichungen 1. bis 6. Ordnung unterschieden. Die Gestaltabweichungen 1. bis 4. Ordnung (Abb. 1.4) überlagern sich in der Regel zur Istoberfläche.
Abb. 1.3 Schematische Darstellung der Potenzialkurven der Physisorption und der Chemisorption von O2 an einer Metalloberfläche [4]
Abb. 1.4 Schematische Darstellung der Gestaltabweichung 1. bis 4. Ordnung nach DIN 4760 [14]
Die mikroskopischen Gestaltabweichungen 3. und 4. Ordnung werden üblicherweise mittels Tastschnittverfahren ermittelt und als Rauheitswerte angegeben. Die Messverfahren sind nach DIN EN ISO 4287 [13] genormt. Die in der Praxis am häufigsten verwendeten Rauheitsangaben sind die gemittelte Rautiefe Rz (Abb. 1.5) und der Mittenrauwert Ra (Abb. 1.6). Sie werden üblicherweise in [µm] angegeben.
Die Gestaltabweichungen 5. und 6. Ordnung beziehen sich auf Abweichungen der Gefügestruktur und den Gitteraufbau von Werkstoffen. Insbesondere die Gefügestruktur von Werkstoffoberflächen unterscheidet sich herstellungsbedingt fast immer vom Innern des Werkstoffs. Bei schmelzmetallurgisch hergestellten Werkstoffen ist die Korngröße in der Bauteilrandzone häufig kleiner. Durch mechanische Belastungen bei der Materialbearbeitung entstehen plastisch verformte Randzonen. Aufgrund von Kaltverfestigung besitzt die Randzone dann eine höhere Härte, Streckgrenze und Zugfestigkeit. Infolge thermischer Belastungen können Diffusionsvorgänge an der Randzone zu Veränderungen der chemischen Zusammensetzung, Verfestigungen und/oder Rekristallisationseffekten führen. Der Eigenspannungszustand in der Randzone, vor allem bei metallischen Werkstoffen, kann teilweise erheblich vom Wert im Werkstoffinneren abweichen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Randzone technischer Oberflächen aus mehreren Grenzschichten aufgebaut ist (Abb. 1.7). Die Festigkeitseigenschaften, Eigenspannungszustände und die chemische Zusammensetzung dieser Grenzschichten haben maßgeblichen Einfluss auf die technischen Eigenschaften eines Festkörpers.
Abb. 1.5 Gemittelte Rautiefe Rz: Mittelwert aus den Einzelrautiefen (Rz1… Rz5) fünf aufeinander folgender Einzelmessstrecken le (nach DIN 4760 [14])
Abb. 1.6 Mittenrauwert Ra: arithmetischer Mittelwert aller Abweichungen des Rauheitsprofils R von der mittleren Bezugslinie innerhalb der Messstrecke lm (nach DIN 4760 [14])
Abb. 1.7 Aufbau einer metallischen Oberfläche
Berühren sich zwei kondensierte Phasen, so bestimmen die in die Grenzschicht reichenden Wechselwirkungen beider Phasen die geometrische Form der Phasengrenze [5]. Besonders deutlich wird dies beim Kontakt einer Flüssigkeit mit einem Festkörper. Dabei wird ein zunächst nur der äußeren Wirkung der Schwerkraft ausgesetzter Flüssigkeitstropfen deformiert in Abhängigkeit von den im Festkörper herrschenden zwischenmolekularen Adhäsionskräften (van-der-Waals-Kräften). Die Größe der Grenzfläche und die geometrische Form der Flüssigkeitsoberfläche werden durch die Gesetzmäßigkeit festgelegt, dass die freie Energie des Gesamtsystems ein Minimum annehmen muss. Aus der Form eines Flüssigkeitstropfens lassen sich umgekehrt Rückschlüsse auf Art und Größe der in der Grenzfläche wirkenden Adhäsionskräfte ziehen.
Die erste und bekannteste Beschreibung eines Benetzungszustandes machte T. Young im Jahre 1805 [6]. Die Young’sche Gleichung beschreibt das Kräftegleichgewicht zwischen den Grenzflächenspannungen σij an der 3-Phasengrenze (Abb. 1.8). Damit wird der Kontaktwinkel β, als Maß für die Benetzung, von den Materialeigenschaften der beteiligten Phasen bestimmt [7].
β
:
Kontaktwinkel
σ
sv
:
Oberflächenspannung fest/gasförmig (solid/vapor)
σ
sl
:
Grenzflächenspannung fest/flüssig (solid/liquid)
σ
lv
:
Oberflächenspannung flüssig/gasförmig (liquid/vapor)
Während der Kontaktwinkel β und die Oberflächenenergie σlv messbare Größen sind, können σsv und σsl nur als Differenz (σsv – σsl) bestimmt werden. Der Term (σsv – σsl) wird Haftspannung oder auch Benetzungsspannung genannt. 60 Jahre nach Young formulierte Dupré den Zusammenhang zwischen Oberflächenspannung und Adhäsionsenergie WA als [8]:
Abb. 1.8 Spannungsverhältnisse an der 3-Phasengrenze eines Flüssigkeitstropfens auf einem Festkörper (nach Young)
Thermodynamisch lässt sich dieser Ausdruck anschaulich erklären: Trennt man eine Flüssigkeit reversibel von einer Festkörperoberfläche, verschwindet die gemeinsame Grenzfläche Asl und die Grenzflächenspannung σsl verschwindet. Es entstehen jedoch zwei neue Grenzflächen Alv und Asv, für die die Oberflächenspannungen σlv und σsv nötig sind. Setzt man die Young’sche Gleichung ein, erhält man die
Analog kann die Kohäsionsenergie WK berechnet werden. In diesem Fall wird eine homogene Substanz auseinandergerissen.
Nach der Spreitungsbedingung S > 0 ist ein Spreiten nur zu erwarten, wenn eine Flüssigkeit mit einer niedrigeren Oberflächenspannung auf einen Festkörper mit größerer Oberflächenspannung aufgebracht wird. Spreitung tritt dann ein, wenn die Wechselwirkungen zwischen den Teilchen der Flüssigkeit und des Festkörpers (Adhäsionsenergie WA) stärker sind als die Wechselwirkungen der Flüssigkeitsteilchen (Kohäsionsenergie WK) untereinander. Während σlv und σsv stets positiv sind, kann σsl auch negativ sein, also genau dann, wenn die Wechselwirkung zwischen Atomen des Festkörpers und Molekülen der Flüssigkeit größer ist als die Wechselwirkung der Moleküle der Flüssigkeit untereinander. Im chemischen Gleichgewicht wird die Energie des Systems durch die Vergrößerung der Grenzfläche zwischen Festkörper oder Flüssigkeit abgesenkt. Im chemischen Nichtgleichgewicht ist eine niedrige oder gar negative Grenzflächenspannung σsl ein Anzeichen dafür, dass zwischen Festkörper und Flüssigkeit nicht nur eine Vergrößerung der Kontaktfläche, sondern auch ein Stoffaustausch stattfindet. Bei der Wechselwirkung von Metallen mit Loten kann dies auf der Bildung intermetallischer Phasen, aber auch auf Löslichkeitsprozessen oder auf Diffusionsströmen von Lot- oder Metallkomponenten über die Grenzfläche beruhen, ohne dass chemische Reaktionen beteiligt sein müssen [9].
Die Eigenschaften einer Oberfläche und ihr Aufbau hängen im Wesentlichen von der fertigungstechnischen Vergangenheit ab. Dieser Eigenschaftszustand der Oberfläche ist für eine nachfolgende oberflächentechnische Behandlung von elementarer Bedeutung. Denn diese Eigenschaften bestimmen die Haftungsmechanismen, die sich zwischen der Oberfläche des Grundwerkstoffs und der Schicht, dem so genannten Interface, ausbilden. Für jede Beschichtung ist das Anhaften der Schicht auf dem Grundwerkstoff von entscheidender Bedeutung. Ohne ausreichende Haftung entsteht kein funktionierender Verbund. Sogar nachteiliges Verhalten kann durch einen mangelhaften Verbund ausgelöst werden, sodass in solchen Fällen ein unbeschichteter Grundwerkstoff im direkten Funktionsvergleich besser abschneiden würde.
Abb. 1.9 Haftungsmechanismen zwischen Oberflächenwerkstoff und Grundwerkstoff
Schon in der Natur gibt es unzählige Beispiele für Funktionen von Oberflächen (Abb. 1.10). Wie etwas aussieht oder sich anfühlt entscheidet seine Oberfläche. Natürliche Oberflächen tarnen, locken oder warnen. Andere Oberflächen schützen als Panzer, dienen zur Photosynthese, besitzen selbstreinigende Fähigkeiten oder besondere strömungstechnische Eigenschaften.
Auch wenn der Begriff „Bionik“ noch nicht besonders alt ist, hat der Mensch schon immer versucht die Natur nachzuahmen. Genauso versucht er, Eigenschaften von technischen Produkten durch Oberflächenbehandlungen zu verbessern. Zunächst ging es um den Schutz der eigenen Haut durch Kleidung oder Rüstungen. Mit der Nutzung von Holz und Eisen versuchte man die Werkstoffe zunehmend stärker vor Verfall oder Korrosion durch Lackieren und Anstreichen zu schützen. Diese Techniken wurden immer ausgereifter und man entwickelte zunehmend mehr Verfahren, um Oberflächen zu behandeln.
Auch heute noch lernen wir von der Natur. Zu den bekanntesten Beispielen gehört der „Lotus-Effekt“. Mitte der 1970er Jahre erforschte das Botanik-Institut der Universität Bonn das Phänomen der Selbstreinigung von Pflanzen (z.B. Lotus, Kohl, Schilf, Akelei, Tulpe) und Tieren (z.B. Libellen- und Schmetterlingsflügel). Die Untersuchungen zeigten, dass eine besondere Mikrostruktur von Wasser abstoßenden Wachskristallen an der Oberfläche zu vollständig unbenetzbaren Oberflächen führt. Wässrige Flüssigkeiten bilden auf solchen Oberflächen Kugeln, die leicht abrollen und dabei Schmutzpartikel abtragen [10]. Diese Erkenntnisse werden heutzutage genutzt, um selbstreinigende Oberflächen zu entwickeln, die für viele Anwendungen, wie z.B. Architektur- oder Autoglas, interessant sind.
Abb. 1.10 Beispiele für funktionale Oberflächen aus der Natur
Ein zweites, häufig genanntes Beispiel für Bionik in der Oberflächentechnik ist die Haifischhaut. Ein natürliches Hindernis für Körper, die sich schnell durch Wasser oder Luft bewegen, sind Verwirbelungen, die an der Außenfläche entstehen. Die Hautstrukturen von Delphinen und Haien sind in der Lage, diese Wirbel zu verringern. D. W. Bechert et al. von der Abteilung Turbulenzforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumforschung (DLR) an der TU Berlin erhielten 1992 den 1. Bionik-Preis (Gesellschaft für technische Biologie und Bionik, GTBB) für die Entwicklung strukturierter Folien, die der Haifischhaut nachempfunden sind. Als Folie auf einen Flugzeugrumpf aufgebracht, kann so die Reibung um bis zu 8 % reduziert werden. Dadurch verbraucht ein Flugzeug pro Langstreckenflug bis zu 3 % weniger Treibstoff.
Die Oberfläche von Werkstoffen kann eine ganze Reihe unterschiedlicher Funktionen übernehmen (Abb. 1.11). Zunächst lassen sich die Werkstoffeigenschaften anpassen. Als Beispiel sei hier der Rauchgaskanal eines Kraftwerkes in den Wäscherturm einer Rauchgasentschwefelungsanlage genannt. Neben Müllverbrennungsanlagen treten hier die schärfsten Korrosionsbeanspruchungen auf, die wir kennen. Um die Konstruktion zu schützen, werden die Wände des Wäschertums und der Gaskanäle mit sehr teuren, hochlegierten Stahlwerkstoffen bis hin zu Nickelbasislegierungen ausgekleidet. Die Konstruktionen vollständig aus diesen Materialien herzustellen, wäre weder bezahlbar noch herstellbar. Daher plattiert man preiswerte Baustähle mit mehreren Millimeter dicken Blechen.
Abb. 1.11 Funktionen technischer Oberflächen a) ThyssenKrupp VDM GmbH; b) Norbert Wollweber, fantastic-dreams.de; c) UCY Energy; d) Wilhelm Barthlott)
Die wohl häufigste Funktion technischer Oberflächen ist ihre Barrierewirkung. Beschichtungen werden eingesetzt als Barriere gegen elektrischen Strom, Wärme, Diffusion und Licht. Hier sei als Beispiel eine Architekturverglasung genannt, mit der sich sowohl Wärmeeinbringung als auch Lichtverhältnisse manipulieren lassen. Beschichtungen schützen als Barriere vor Oberflächenschäden wie Verschleiß und Korrosion. Oberflächen können auch Funktionen übernehmen. Magnetische Eigenschaften dienen als Informationsspeicher, elektrische Eigenschaften zur Stromleitung oder Energiegewinnung, wie z.B. in der Photovoltaik. Mit den Verfahren der Oberflächentechnik lassen sich Oberflächeneigenschaften wie Benetzung oder Reibung beeinflussen. Dazu gehört auch der riesige Markt dekorativer Schichten. Die Haptik von Gegenständen ist ebenso ein Phänomen der Oberfläche und lässt sich gezielt auslegen.
In diesem Buch werden Oberflächenschutzschichten gegen betriebsbedingte Zerstörungsarten und zur Reibminderung in tribologischen Systemen behandelt. Bei betriebsbedingten Zerstörungsarten unterscheidet man zwischen Schäden, die im Volumen auftreten, und denen, die an der Oberfläche entstehen (Abb. 1.12) [11]. Zerstörungsarten, die den Wirkungsbereich Volumen betreffen, werden durch mechanische oder thermische Überlastung oder eine Kombination aus beiden verursacht. Nur in wenigen Fällen können Beschichtungen ausreichenden Schutz gewährleisten. Ein Beispiel sind Wärmedämmschichten in Verbrennungskraftmaschinen, die in Kombination mit ausgefeilten Kühlkonzepten höhere Betriebstemperaturen erlauben. Es ist auch möglich z.B. bei Gussformen, die Brandrissentstehung an der Oberfläche des Werkzeugs durch Schichten zu verhindern. Gezielt eingebrachte Druckeigenspannungen in der Oberfläche steigern den Widerstand gegen Rissentstehung. Wesentlich bei beschichteten Bauteilen, die auf Verformung ausgelegt sind (Zug, Druck, Biegung, Torsion) oder mit extremen Temperaturen beansprucht werden, ist die Kompatibilität der Werkstoffpaarungen von Schichtund Grundwerkstoff. Größere Unterschiede bei Elastizitätsmodul und/oder Wärmeausdehnung können zum frühzeitigen Bauteilversagen beitragen.
Abb. 1.12 Betriebsbedingte Zerstörungsarten technischer Werkstoffe (nach [11])
85 % aller Bauteilschäden sind auf Angriffe an der Oberfläche zurückzuführen. Dazu zählen neben mechanischen Angriffen wie Verschleiß vor allem korrosive Angriffe. Fast immer kommt es zu einer Überlagerung verschiedener Angriffsformen. Durch sinnvolle Oberflächentechnik können hier Lösungen angeboten werden. Ein Schutz durch Verfahren der Oberflächentechnik ist grundsätzlich möglich. Verschleiß wird durch Reibung infolge einer Relativbewegung zwischen zwei Körpern verursacht. Die Lehre zu Reibung und Verschleiß heißt „Tribologie“. Will man Oberflächen vor Verschleiß oder Korrosion schützen, muss man zunächst die Phänomene von Verschleiß und Korrosion verstehen. Die wichtigsten Grundlagen und Begriffe hinsichtlich Tribologie und Korrosion werden daher in den nachfolgenden Kapiteln 2 und 3 beschrieben.
Eine Schicht hat keinen Selbstzweck. Die Schichtentwicklung ist abhängig von einer Anwendung (Top-down-Methode, Abb. 1.13). Der Oberflächentechniker muss die Anwendung verstehen. Der „Kunde“ ist häufig nicht allein in der Lage, ein Anforderungsprofil aus Sicht des Oberflächentechnikers zu definieren. Daher muss sich der Beschichter in die Anwendung hineindenken können und das Belastungskollektiv gemeinsam mit dem Kunden möglichst vollständig beschreiben. Erst dann kann eine theoretische Werkstoffauswahl für die Oberfläche erfolgen. Der Kunde erwartet vom Oberflächentechniker das entsprechende Werkstoffwissen. Entsprechend der Anwendung, Konstruktion und Funktion kann die geeignete Prozesstechnik ausgewählt werden. Die Schichtentwicklung beinhaltet eine Prozessentwicklung und erste Werkstoffauswahl an einfachen Proben mithilfe der Werkstoffanalytik und Werkstoffprüfung. Ziel ist die Ermittlung geeigneter Prozessfenster für die Herstellung der Werkstoffverbunde unter Berücksichtigung des Anforderungsprofils der Anwendung. Im nächsten Schritt erfolgen die Bauteilapplikation mit möglichen Anpassungen der Bauteilgeometrie für eine beschichtungsgerechte Konstruktion und abschließend anwendungsnahe Funktionstests. Basis für einen guten Oberflächentechniker ist ein ausreichendes Grundlagenwissen hinsichtlich Werkstofftechnik, Tribologie, Korrosion und Oberflächentechnik. Prozessdiagnostik, Modellierung und Simulation sind unverzichtbar für ein tieferes Verständnis der eingesetzten Prozesse.
Abb. 1.13 Methodischer Entwicklungsansatz in der Oberflächentechnik
Die Entwicklung beschichteter Produkte beinhaltet die in Abbildung 1.14 dargestellte Bewertungsmatrix zur Analyse und Charakterisierung von:
Schichteigenschaften
Verbundeigenschaften
Systemeigenschaften
Als „Schichteigenschaften“ werden diejenigen Werkstoffeigenschaften des Schichtwerkstoffes verstanden, die unabhängig vom Grundwerkwerkstoff sind. Die Analyse der Schichteigenschaften dient dem Oberflächentechniker im Wesentlichen bei der Entwicklung geeigneter Prozessfenster für den Beschichtungsprozess. Bei allen Verfahren der Oberflächentechnik entstehen Werkstoffverbunde mit anderen „Verbundeigenschaften“ als die Schicht oder der Grundwerkstoff allein hat. Der Werkstoffverbund muss grundsätzlich als Einheit betrachtet werden und als Einheit funktionsfähig sein. Die Oberfläche ist immer Teil des beschichteten Produktes. Die Stoff- und Formeigenschaften des Grundwerkstoffs und der Schicht beeinflussen sich dabei gegenseitig und bilden als Einheit die Verbundeigenschaften. Z.B. können innere Spannungen im Oberflächenbereich das Festigkeitsverhalten des Bauteils beeinflussen. Entscheidend für die Einsatzfähigkeit von harten Verschleißschutzschichten ist unter anderem die Stützwirkung des Grundwerkstoffs. Grundvoraussetzung ist eine ausreichende Haftung zwischen Oberflächenwerkstoff und Grundwerkstoff. Die Entwicklung beschichteter Bauteile ist immer eine Verbundentwicklung, wobei sich der Verbund zusammensetzt aus Grundwerkstoff, Schichtwerkstoff und der Grenzfläche zwischen Grundwerkstoff–Schicht (Interface) sowie der Bauteilgeometrie.
In der technischen Anwendung wird das beschichtete Bauteil äußeren Belastungen ausgesetzt, wodurch die Betrachtungsgrenze im dritten Schritt um die Umgebungsbedingungen, das Umgebungsmedium, das Belastungskollektiv und den Gegenkörper erweitert werden muss. Zusammen definieren sie die „Systemeigenschaften“. Verschleißbeständigkeit oder Korrosionsbeständigkeit sind keine Werkstoffeigenschaften, sondern Systemeigenschaften. Genauso wie Permeabilität, Reibwert, oder Benetzung sind Verschleißbeständigkeit oder Korrosionsbeständigkeit Größen, die nur unter Berücksichtigung des jeweiligen tribologischen Systems bzw. Korrosionssystems o.ä. gelten.
Abb. 1.14 Bewertungsmatrix zur Charakterisierung beschichteter Produkte unter Berücksichtigung der Stoff- und Formeigenschaften von Schicht, Grundkörper, Gegenkörper, Zwischenstoffen sowie Umgebungsmedium und Belastungskollektiv
Genauso vielfältig wie die Funktionen von Oberflächen sind die Verfahren der Oberflächentechnik. Ziel der Oberflächentechnik ist die Wertsteigerung von Werkstoffen. Bei der Gestaltung und Auslegung technischer Oberflächen ist das Verständnis für einen dreidimensionalen Oberflächenbereich wichtig. Herstellungsbedingt und durch Wechselwirkung mit der Umgebung bilden sich auf allen Werkstoffen mehrere Grenzschichten aus (Abb. 1.7). Allen Verfahren der Oberflächentechnik ist gemein, dass diese äußeren Grenzschichten zunächst durch geeignete Vorbehandlungen entfernt werden müssen. Auf der Oberfläche haftende Oxidschichten, Wasserfilme und Verunreinigungen wie Fette verschlechtern die Haftung von Beschichtungen. Geeigneten Vorbehandlungsmethoden muss daher ausreichend Rechnung getragen werden. In der Produktion sind die Vorbehandlungen kein unerheblicher Kostenfaktor und können häufig mehr Zeit beanspruchen als die eigentliche Beschichtung.
In der Oberflächentechnik unterscheidet man zwischen Verfahren zur Oberflächenmodifikation und Verfahren der Beschichtungstechnik (Abb. 1.15). Oberflächenmodifikationen sind Verfahren, die in den Werkstoff eindringen und dadurch die Oberflächeneigenschaften verändern. Das kann thermisch, z.B. durch Diffusion wie beim Nitrieren oder Einsatzhärten, chemisch, aber auch mechanisch, z.B. durch Kugelstrahlen zur Einbringung von Druckeigenspannungen, erfolgen. Bei den Verfahren der Beschichtungstechnik werden neue Werkstoffe aufgebracht. Schichten können als Einzelschichten aufgebracht werden, in der Regel werden aber Schichtsysteme, Legierungs-, Komposit- oder auch Gradientenschichten erzeugt. Die Grenzen zwischen Modifikation und Beschichtung sind nicht immer eindeutig. Bei thermischen Diffusionsverfahren wächst auch Material nach außen, genauso wie bei einigen Beschichtungsverfahren Schichtmaterial in den Grundwerkstoff eindringen kann. Hinzu kommt, dass viele Verfahren auch kombiniert angewendet werden.
Die Verfahren der Oberflächentechnik sind Fertigungstechnologien, die nach DIN 8580 [15] (Tab. 1.2) in 6 Hauptgruppen unterteilt werden. Je nachdem, ob auf eine Oberfläche eine Schicht aufgetragen wird (Beschichten) oder ob die Oberfläche im Randbereich des Werkstücks modifiziert wird, können die Verfahren der Oberflächentechnik den Hauptgruppen zugeordnet werden. Häufig werden die Verfahren der Oberflächentechnik nach dem Aggregatzustand der Ausgangsstoffe zur (Rand-) Schichterzeugung eingeteilt (Abb. 1.16). Je nach Anforderungsprofil und Funktion erfolgt die Auswahl der geeigneten Oberflächentechnik hinsichtlich geeigneter Schichtwerkstoffe, der Schichtdicke, der Beschichtungstemperaturen und prozessbedingter Einschränkungen beschichtbarer Geometrien.
Abb. 1.15 Einteilung der Verfahren in Oberflächenmodifikation und Beschichtungstechnik
Tabelle 1.2 Einteilung der Fertigungsverfahren (nach DIN 8580 [15])
Gruppe
Merkmal
Verfahrensbeispiele aus der Oberflächentechnik
Urformen
Zusammenhalt schaffen
Gießplattieren, elektrolytische Abscheidung als Aufbautechnik
Umformen
Zusammenhalt beibehalten
Eindrücken, Walzen, Strahlen
Trennen
Zusammenhalt vermindern
Reiben, Drehen, Fräsen, Bohren, Läppen, Hobeln, Honen, Räumen, Schleifen, Polieren, Elektroerodieren
Fügen
Zusammenhalt vermehren
Kleben, Löten, Walzplattieren, Sprengplattieren
Beschichten
Zusammenhalt vermehren
Lackieren, elektrolytische Abscheidung, PVD, CVD, Thermisches Spritzen, Schmelztauchverfahren, Auftragschweißen, Auftraglöten
Stoffeigenschaften ändern
Wärmebehandeln, Randschichthärten, Glühen, thermochemische Diffusionsverfahren, Randschichtumschmelzen
Zur Erzeugung der hier betrachteten Schutzschichten gegen Verschleiß und Korrosion sowie zur Reibminderung oder Wärmedämmung eignen sich die in den nachfolgenden Kapiteln beschriebenen Verfahren:
Abbildung 1.17 zeigt eine Übersicht zu Marktanteilen wichtiger Verfahren der Oberflächentechnik in Deutschland aus dem Jahr 2005. Den weitaus größten Marktanteil nehmen dabei die galvanischen Verfahren ein. Zu den Wärmebehandlungen zählen unter anderem thermochemische Diffusionsverfahren wie das Nitrieren und Einsatzhärten. Einen bedeutenden Anteil findet man auch in der mechanischen Bearbeitung. Hierzu gehören neben Strahlverfahren vor allem spanende Verfahren wie das Polieren, Schleifen, Honen.
Abb. 1.16 Einteilung der Verfahren der Oberflächentechnik nach Aggregatzuständen der Ausgangsstoffe mit Näherungswerten typischer Schichtdicken (ohne organische Beschichtungen wie z.B. Lackierungen oder Gummierungen) (in Anlehnung an [11])
Abb. 1.17 Marktanteile der Oberflächentechnologien in Deutschland [12]
Literatur
1 Roth K., Gochermann J. (2007) Forschungsagenda Oberflächentechnik. DFO Service GmbH, Neuss, ISBN-Nr. 3-89943-068-9.
2 Schröter W., Latenschläger K.-H., Bibrack H. (1995) Taschenbuch der Chemie. Verlag Harri Deutsch, Thun, Frankfurt am Main.
3 Wilk, P. (2006) Vorlesung „Korrosion“. Leibniz Universität Hannover.
4 Weißmantel Ch., Lenk R., Forker W., Linke D. (1982) Kleine Enzyklopädie Struktur der Materie. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig.
5 Rabel W. (1971) Einige Aspekte der Benetzungstheorie und ihre Anwendung auf die Untersuchung und Veränderung der Oberflächeneigenschaften von Polymeren. Farbe und Lack, 77 (10), S. 997–1005.
6 Young T. (1805) Phil. Trans. Roy. Soc. 9, S. 255, London.
7 Frederikson M., Ström G., Stenius P. (1987) Contact Angles, Work of Adhesion and Interfacial Tensions at a Dissolving Hydrocarbon Surface. Journal of Colloid and Interface Science 119 (2), S. 352–361.
8 Dupré A. (1869) Théorie Méchanique de la Chaleur. Gauthier-Villars, Paris, S. 369.
9 Reiss H. (1992) Warum gibt es Benetzung? Physik in unserer Zeit 23 (5), S. 204–212.
10 Barthlott W., Neinhuis C. (1997) Purity of the Sacred Lotus, or Escape from Contamination in Biological Surfaces. Planta 202, S. 1–8.
11 van Oeteren K.-A. (1980) Korrosionsschutz durch Beschichtungsstoffe, Band 1. Carl Hanser Verlag, München, Wien, ISBN 3-446-12547-7.
12 Statistisches Bundesamt (2005).
13 DIN EN ISO 4287. (2010) Geometrische Produktspezifikation (GPS) – Oberflächenbeschaffenheit: Tastschnittverfahren – Benennungen, Definitionen und Kenngrößen der Oberflächenbeschaffenheit (ISO 4287:1997 + Cor 1:1998 + Cor 2:2005 + Amd 1:2009); Deutsche Fassung EN ISO 4287:1998 + AC:2008 + A1:2009, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin; Beuth Verlag GmbH, Berlin.
14 DIN 4760. (1982) Gestaltabweichungen; Begriffe, Ordnungssystem, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin; Beuth Verlag GmbH, Berlin.
15 DIN 8580. (2003) Fertigungsverfahren – Begriffe, Einteilung, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin; Beuth Verlag GmbH, Berlin.
Im Rahmen tribologischer Untersuchungen werden Reibung und Verschleiß seit den 50er Jahren verstärkt erforscht. Dies liegt vor allem an den Kosten, die durch Ausfallerscheinungen und andere Auswirkungen bedingt durch Reibung und Verschleiß verursacht werden. Eine BMFT-Studie (BMFT: Bundesministerium für Forschung und Technik) aus dem Jahre 1983 [3] spricht von einer Summe von 1–2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eines Industrielandes, die hierfür aufgewendet werden muss. Umgerechnet auf die Bundesrepublik Deutschland bedeutet das bei einem BIP von ca. 3,31 Bill. US $ im Jahr 2010 einen volkswirtschaftlichen Schaden von 33–66 Mrd. US $ an Rohstoffen und Energie in diesem Jahr.
Die Aufgaben der wissenschaftlichen Betrachtung tribologischer Effekte bestehen vorwiegend darin, die Systemeigenschaften Reibung und Verschleiß für die verschiedensten tribologischen Systeme zu optimieren [4]. Ziel dabei ist die Reduktion von stofflichen (Verschleiß) und energetischen Verlusten (Reibung), damit die Funktion der tribologischen Kontaktpartner über einen ausreichend langen Zeitraum erhalten bleibt. Die Tribologieforschung unterscheidet dabei qualitative und quantitative Forschung:
Die qualitative Forschung behandelt Art (tribologische Beanspruchung), Form (wahrnehmbare Vorgänge) und Ursache (Mechanismen).
Die quantitative Forschung, auch „
Tribometrie
“ genannt, erfasst Beanspruchungskollektive, Energieverluste (Reibungskraft, -wärme, Schallabstrahlung), Verschleiß (Formänderung, abgelöste Partikel), geometrische Verhältnisse in der Kontaktzone (Kontaktfläche) und Änderungen von Werk- und Schmierstoffen.
Obwohl in den letzten Dekaden ein enormer Wissenszuwachs auf dem Gebiet der Tribologie zu verzeichnen ist, sind die komplexen Vorgänge bis heute nicht vollständig verstanden oder abbildbar. So ist es bis heute nicht möglich, für ein beliebiges tribologisches System den Reibungskoeffizienten vorherzusagen, geschweige denn die Verschleißrate. Der tribologischen Prüfung kommt daher nach wie vor eine besondere Bedeutung bei der Auslegung tribologischer Systeme zu.
Ein tribologisches System hat eine Funktion. Es übernimmt technische Aufgaben, die entweder energie-, stoff- oder signalbezogen sind [5] (Tab. 2.1). Die tribologischen Eigenschaften des Systems sind abhängig von der Funktion, dem Belastungskollektiv und der Struktur. Die vollständige Beschreibung des tribologischen Systems (Abb. 2.1) ist Grundvoraussetzung bei der Betrachtung, Bewertung und Auslegung. Aus der Definition des Begriffs Tribologie geht hervor, dass Reibung und Verschleiß keine Werkstoffkenngrößen sind, sondern Eigenschaften eines Systems. Wird dieses System auch nur leicht abgewandelt, verändern sich die Eigenschaften Reibung und Verschleiß zum Teil sogar beträchtlich.
Tabelle 2.1 Funktionsbereiche tribologischer Systeme (in Anlehnung an [6])
Funktionsbereiche
Beispiele für Tribosysteme bzw. tribotechnische Bauteile
Führung
Gleitlager, Wälzlager, Linearführung, Spielpassung, …
Bewegungshemmung
Reibungsbremse, Stoßdämpfer, …
Kraft-/Energieübertragung
Getriebe, Riementrieb, Kupplung, Kolbenring/Zylinder, Nocken/Stößel, Turbine, Gelenk, …
Informationsübertragung
Steuergetriebe, Relais, Leseköpfe, Drucker, …
Abdichtung
Lineardichtung, Stopfbuchsdichtung, Radialwellendichtung, Gleitringdichtung, Kolbendichtung, Einlaufbeläge, …
Materialtransport
Rad/Schiene, Reifen/Straße, Förderband, Baggerschaufel, Rutsche, Pipeline, Pumpe, Herzklappe, …
Materialtrennung
Zentrifugen, Zerspanwerkzeuge für Drehen, Fräsen, Bohren, Schleifen, …
Materialzerkleinerung
Kugelmühle, Backenbrecher, Schredder, …
Materialumformung
Umformwerkzeuge für Schmieden, Ziehen, Strangpressen, Walzen, Biegen, …
Materialurformen
Urformwerkzeuge für Spritzguss, Druckguss, Kokillenguss, Sintern, …
Abb. 2.1 Vollständige Beschreibung eines Tribosystems [6]
Ein tribologisches System beschreibt nur einen Ausschnitt eines Gesamtsystems. Für die Analyse ist damit maßgebend, wie das System gegenüber dem Gesamtsystem definiert ist. Es wird hierbei zwischen offenen und geschlossenen Tribosystemen unterschieden.
Als „geschlossene Tribosysteme“ werden solche tribologischen Systeme bezeichnet, bei denen die Systemelemente über die Beanspruchungsdauer feste Bestandteile des Systems sind und auch stetig an den tribologischen Prozessen partizipieren. Damit müssen die Verschleißvorgänge aller beteiligten Systemelemente in Bezug auf die Funktionsfähigkeit berücksichtigt werden. Beispiele hierfür sind lebensdauergeschmierte Lagerungen.
„Offene Tribosysteme“ hingegen sind dadurch gekennzeichnet, dass ein oder mehrere Triboelemente das Tribosystem durchlaufen und nicht ständig im tribologischen Kontakt stehen. Dies ist z.B. bei strömenden Zwischenstoffen oder Gegenkörpern wie einem Kettenantrieb gegeben. Die Verfahren der Materialbearbeitung sind offene Systeme, bei denen ständig neues Material der Bearbeitung zugeführt wird. Bei offenen Tribosystemen werden nur die Verschleißvorgänge der dauerhaft im Tribosystem verbleibenden Elemente berücksichtigt, wie z.B. das Werkzeug bei der Materialbearbeitung oder das Förderband einer Schüttgutanlage.
Das tribologische System beschreibt einen Reib- und Verschleißkontakt. In der Abstraktion besteht es aus zwei relativ zueinander bewegten Körpern (Grund- und Gegenkörper) mit oder ohne Zwischenmedium in einer Umgebung (Abb. 2.2), die zu Wechselwirkungen an der Festkörperoberfläche führen. Während der Grundkörper immer ein Festkörper ist, können der Gegenkörper sowie der Zwischenstoff fest, flüssig oder gasförmig sein. Das Beanspruchungskollektiv und die Struktur bestimmen das Verschleißverhalten des Tribosystems. Die Analyse eines tribologischen Systems erfolgt in vier Stufen [2] und liefert Anhaltspunkte, wo Optimierungsmöglichkeiten vorliegen, um den auftretenden Verschleiß zu vermindern:
Abb. 2.2 Schema eines tribologischen Systems (nach [2])
Bei der Analyse eines Tribosystems müssen auftretende Wechselwirkungen zwischen allen Elementen berücksichtigt werden. Die zeitlichen Veränderungen der Triboelemente hinsichtlich ihrer Stoff- und Formeigenschaften erfordert eine zeitabhängige Analyse. Als Ergebnis erhält man die Nutzgrößen. Der Wirkungsgrad ist abhängig von den Verlustgrößen (Reibungskraft, Verschleißbetrag).
Reibung und Verschleiß sind Oberflächenphänomene. Sie sind abhängig von den Werkstoffeigenschaften der beteiligten Elemente, der Tribokontaktfläche, sowie den chemischen, mechanischen und thermischen Belastungen. Unter technischen Randbedingungen wird ein dreidimensionaler Oberflächenbereich mit einer Tiefe von wenigen Atomlagen bis hin zu mehreren 100 µm berücksichtigt. Werden oberflächenbehandelte Tribokörper eingesetzt, kann das die Grenzfläche zwischen Grundwerkstoff und Schichtwerkstoff (Interface) einschließen (Abb. 2.3). Diese Betrachtung ist sinnvoll, da die meisten mechanischen und thermischen Belastungen einer tribologischen Beanspruchung in dieser Größenordnung wirksam sind.
Abb. 2.3 Einflussgrößen in einem Tribosystem mit beschichtetem Grundkörper
Die Tribokontaktfläche beschreibt die Kontaktfläche sich berührender Körper, in der die tribologische Beanspruchung wirksam ist [6]. Durch das Verhältnis der Normalkraft FN zur Tribokontaktfläche A ist die Flächenpressung p gegeben.
A
:
Tribokontaktfläche
F
N
:
Normalkraft
Beim Kontakt zweier Tribokörper tritt infolge der Mikrogeometrie technischer Oberflächen eine Berührung nur in diskreten Mikrokontakten auf, die sich unter der Wirkung der Normalkraft deformieren. Nach Abbildung 2.4 muss deshalb zwischen der geometrischen und nominellen Kontaktfläche A0 und der meist erheblich kleineren realen Kontaktfläche Ar, d.h. der Flächensumme der Mikrokontaktflächen unterschieden werden. Die wahre Kontaktfläche ist für alle tribotechnischen Systeme von zentraler Bedeutung, da in ihr primär die Reibungs- und Verschleißvorgänge ablaufen. [7]
Abb. 2.4 Geometrische (nominelle) Kontaktfläche A0 und reale Kontaktfläche Ar an Rauheitsspitzen [7]
Der makroskopische Kontakt zwischen den Tribokörpern wird durch die Konstruktion bestimmt. Es wird unterschieden in konforme Kontaktformen, die zu einer Flächenberührung führen, und kontraforme Kontaktformen, die sich wiederum einteilen lassen in Kontakte mit Linien- und Punktberührung. Die wichtigsten Kontaktformen für geschlossene Tribosysteme sind in Abbildung 2.5 zusammengestellt.
Die Relativbewegung zweier Körper mit Oberflächenkontakt führt zu Reibung. Reibung verursacht Verschleiß. Die tribologische Beanspruchung ist neben der Relativbewegung durch physikalische und chemische Wechselwirkungen zwischen Oberflächen unter Einfluss von Kräften gekennzeichnet [2] (Abb. 2.6). Über die Belastungsdauer verändert sich aufgrund dieser Wechselwirkungen das Tribosystem kontinuierlich. Die Geschwindigkeit der ablaufenden Reaktionen an der Werkstoffoberfläche ist dabei stark von den sich einstellenden Drücken (Pressungen) und Temperaturen abhängig. Das mechanische Werkstoffversagen hängt zudem auch von der Bewegungsform und dem zeitlichen Belastungsablauf (dynamisch oder statisch) und der damit verbundenen Krafteinleitung zusammen.
Abb. 2.5 Konstruktionsbedingte Kontaktgeometrien tribologischer Systeme nach Weingarber und Abou-Aly, 1989 [7]
Abb. 2.6 Mögliche Wechselwirkungen zwischen den Elementen eines Tribosystems [8]
Nach dem GfT-Arbeitsblatt 7 [2] setzt sich das Beanspruchungskollektiv zusammen aus:
Neben diesem für die Erfüllung der technischen Funktion des Tribosystems notwendigem Beanspruchungskollektiv können zusätzliche Störgrößen, wie z.B. äußere mechanische Schwingungen oder Strahleinwirkungen, den Verschleißvorgang beeinflussen [2]. Durch die Kraft- oder Energieübertragung tritt bei allen tribotechnischen Systemen eine Beanspruchung der Bauteile in den Tribokontaktflächen auf, die als „Werkstoffanstrengung“ bezeichnet wird [7]. In der allgemeinen Festigkeitslehre werden zur Beurteilung der Werkstoffanstrengung mit Hilfe von Festigkeitshypothesen Vergleichsspannungen σv berechnet, z.B.:
Schubspannungshypothese (SH) nachTresca:
σ
1
größte Normalspannung
σ
2
kleinste Normalspannung
τ
max
maximale Schubspannung
Gestaltänderungsenergiehypothese (GEH) nach Huber und von Mises:
σ1, σ2, σ3: Normalspannungen
Für den Bereich der Tribologie müssen diese allgemeinen Hypothesen der Werkstoffanstrengung auf Kontaktvorgänge übertragen werden. Ein Werkstoffversagen kann auftreten, wenn σv größer ist als der für die gegebene Beanspruchungsart zutreffende Werkstoffkennwert [7], z.B.:
Streckgrenze
R
p
für Fließbeginn
>Zugfestigkeit
R
m
für Bruch
Wechselfestigkeit
σ
W
für Dauerwechselbeanspruchung
Reibung tritt überall dort auf, wo zwei Oberflächen mechanisch aufeinander einwirken. Reibung ist ein mechanischer Widerstand in der gemeinsamen Berührungszone, der eine Relativbewegung zwischen zwei aufeinander gleitenden, rollenden oder bohrenden Körpern hemmt (Bewegungsreibung) oder verhindert (Ruhreibung, Haftreibung). Dies kann sowohl innerhalb eines Körpers (innere Reibung) geschehen, z.B. an Versetzungsgrenzen eines Kristallgitters oder zwischen Polymerketten bei Scherung innerhalb von Schmierstoffen, als auch außerhalb von Körpern (äußere Reibung), d.h. zwischen zwei Körperoberflächen.
Die ersten Erkenntnisse über das Phänomen der Reibung werden auf Leonardo da Vinci (1452–1519) zurückgeführt, der die ersten systematischen Experimente zur Reibung durchgeführt hat [19]. Die von Guillaume Amontons (1663–1705) postulierten Gesetze (1699) stellten die Wiederentdeckung des Wissens da Vincis dar:
Amontons postulierte für eine ungeschmierte Gleitreibung folgenden Zusammenhang:
F
R
:
Reibkraft
F
N
:
Normalkraft
µ
R
:
Reibungszahl, Reibwert
Die aufgestellten Theoreme riefen jedoch in der damaligen wissenschaftlichen Fachwelt des 17. Jahrhunderts Skepsis hervor. Erst Charles Augustin de Coulomb (1736–1806) bestätigte 1781 die Gesetze von Amontons, wobei er zum ersten Mal Unterschiede zwischen statischen und kinetischen Reibungsvorgängen formulierte [9]. Coulomb stellte auch Thesen zur Entstehung der Reibung auf. Die Möglichkeit, dass Reibung auf molekularer Adhäsion basiert, verwarf er jedoch und präferierte die These, dass Reibung aufgrund von sich berührenden und zu überwindenden Rauheitsspitzen auftritt. Damit stand selbst Coulomb im Konflikt mit den beiden vorherrschenden Theorien zur Reibung. Erst 1939 einigte man sich auf die „doppelte Natur“ der Reibung, was ein Kompromiss beider Theorien darstellt:
Um Reibungsvorgänge in einem tribologischen System zu beschreiben, spricht man von „Reibungszuständen“ und „Reibungsarten“. Reibungszustände sind in Abhängigkeit des Aggregatzustands der beteiligten Stoffbereiche definiert. Reibungsarten werden nach kinematischen Aspekten unterschieden. Dabei wird noch zwischen dem Bewegungszustand der Körper und der Bewegungsform unterschieden. Im Folgenden sind die verschiedenen Reibungsdefinitionen aufgeführt.
Die Reibungszustände beschreiben die Reibung in Abhängigkeit der Aggregatzustände der beteiligten Stoffbereiche. Um Energieverluste, die durch Reibung entstehen, zu reduzieren, versucht man die Festkörperoberflächen durch einen Gas- oder Flüssigkeitsfilm oder durch scherweiche, feste Substanzen voneinander zu trennen. Man unterscheidet folgende vier Reibungszustände: Festkörperreibung, Mischreibung, Flüssigkeitsreibung und Gasreibung, mit in dieser Reihenfolge sinkender Reibungszahl und gleichzeitig steigendem Verschleißwiderstand. In Abbildung 2.7 sind Gleitkontakte bei Flüssigkeitsreibung, Mischreibung und Festkörperreibung schematisch dargestellt [10].
Im Fall der Flüssigkeitsreibung werden die Oberflächenrauheiten des Grund- und Gegenkörpers vollständig voneinander getrennt. Der Schmierstoff haftet an der Werkstoffoberfläche und die Reibungskraft wird ausschließlich vom Scherwiderstand im Flüssigkeitsfilm bestimmt. Bei hydrodynamischer Flüssigkeitsreibung (HD-Kontakt) bleibt die Energiedissipation auf den Flüssigkeitsfilm beschränkt. Zum Druckaufbau wird i. A. eine Schrägstellung der Oberflächen benötigt. Die Elastohydrodynamik (EHD-Kontakt) ist eine Sonderform der Hydrodynamik. Bei ihr wird der hohe Druck über den dünnen Schmierfilm auf die Festkörperoberfläche übertragen und berücksichtigt die elastische Deformation der Rauheitsspitzen in der Kontaktflächen [11]. Die Festkörperoberfläche wird somit bei der elastohydrodynamischen Schmierung mechanisch belastet und hat damit auch Einfluss auf die Energiebilanz des Systems. Von Mischreibung spricht man, wenn sowohl ein direkter Kontakt zwischen den Oberflächenrauheiten von Grund- und Gegenkörper auftritt, als auch eine stellenweise Trennung durch einen Flüssigkeitsfilm vorliegt. Hohe Belastungen, geringe Relativgeschwindigkeiten und relativ raue Oberflächen führen zu Bedingungen der Mischreibung. Bei der Festkörperreibung befindet sich keine oder nur wenig Flüssigkeit, z.B. adsorbierte Wassermoleküle, zwischen den Festkörperoberflächen.
Abb. 2.7 Gleitkontaktbedingungen bei Flüssigkeitsreibung, Mischreibung und Festkörperreibung (HD: Hydrodynamik, EHD: Elastohydrodynamik) [10]
In geschmierten Systemen können je nach Schmierfilmausbildung die verschiedenen Reibungszustände auftreten. Das Kriterium, welcher Reibungszustand auftritt, beschreibt die spezifische Schmierfilmdicke λR, das Verhältnis aus minimaler Schmierfilmdicke h0 zur gemittelten Oberflächenrauigkeit Ra beider Kontaktpartner A und B. Nach [12] gilt:
h
0
:
minimale Schmierfilmdicke
Ra
A
:
Mittenrauwert des Körpers A
Ra
B
:
Mittenrauwert des Körpers B
Festkörperreibung:
λ
R
→
0
Grenzschichtreibung oder Grenzreibung:
λ
R
< 1
Mischreibung:
1 < λ
R
< 3
Flüssigkeitsreibung:
λ
R
> 3
Gasreibung:
λ
R
> 3
Abb. 2.8Stribeck-Kurve (in Anlehnung an [13])
Beschichtungen oder Oberflächenmodifikationen beeinflussen auf mehrere Arten den Reibkontakt. Der Schichtwerkstoff kann ein Festschmierstoff sein, der über schwerweiche Gitterstrukturen verfügt und dadurch Grenzreibung bewirkt. Die mechanische Eigenschaften Festigkeit und E-Modul der Schicht verändern das elastisch-plastische Verhalten im Mikrokontakt der Rauheitsspitzen bei EHD-Kontakt, Mischreibung oder Festkörperreibung. Die chemische Zusammensetzung beeinflusst die Benetzung, die Reaktionsschichtbildung und letztendlich auch den Reibwert.