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Auf einer Anhöhe brennt ein amerikanischer Oldtimer. Als die Flammen gelöscht sind, entdeckt man die Leiche des Geschäftsführers einer Firma für alternative Energie. In seinem Mund findet man eine Münze. Das erinnert Leyendecker an die griechische Mythologie. Danach wird den Toten die Bezahlung des Fährmanns, der sie über den Totenfluss bringt, unter die Zunge gelegt. Kurz darauf gibt es einen weiteren Toten. Wieder wird eine Münze gefunden. Ein junger Kollege von der Kripo Koblenz, der mit Ulla Stein und Christoph Leyendecker zusammenarbeitet, sieht Parallelen zum Freitod eines Kunsthändlers, der sich in seiner Galerie anzündete. War das der Anfang oder der Auslöser der Serie, oder liegt die Ursache doch weiter in der Vergangenheit?
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Dies ist ein Roman. Handlung und Personen sind frei erfunden.
Von Manfred Röder sind bisher erschienen:
Abrechnung – Abgefischt
Schneckentänzer
Offene Rechnung
Manfred Röder, Jahrgang 1951, war jahrelang bei einer Kommunalverwaltung beschäftigt. Zuletzt leitete er die Ordnungs- und Sozialabteilung. Zunächst schrieb er Liedtexte auf Wäller Platt. 2011 erschienen seine ersten Westerwaldkrimis um das Ermittlerduo Ulla Stein und Christoph Leyendecker.
Manfred Röder lebt mit Frau und Kater in Hachenburg im Westerwald.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Einige Tage später
Epilog
Es gab eine Zeit, da hieß die Agentur für Arbeit noch schlicht und einfach Arbeitsamt, und anstelle von Hartz IV erhielt man Arbeitslosenhilfe.
Blasius Schönfeld verließ die örtliche Zweigstelle des besagten Arbeitsamtes. Er hatte bereits jahrelange Erfahrungen mit dieser Behörde. Sie war aus seinem Leben kaum noch wegzudenken. Aber in letzter Zeit gab es da diesen übereifrigen jungen Mann, der allen Ernstes glaubte, er könne Schönfeld bekehren und ihn aus seinem gewohnten Trott herausreißen, und der ihn deshalb mit allen möglichen Angeboten für Praktika oder Trainingsmaßnahmen drangsalierte. Schönfeld atmete tief durch und grinste innerlich, als er auf der Straße stand. Das Schlimmste hatte er wieder einmal abbiegen können. Für die nächsten vier Wochen hatte er wohl seine Ruhe. „Einen alten Affen Fratzen schneiden lehren“, sagte er leise vor sich hin. Schließlich war er diesem Schnösel an Erfahrung weit voraus. An ihm hatten sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen.
Dass man ihn wieder einmal einbestellt hatte, war zwar lästig, aber Schönfeld verband das Unangenehme mit dem Nützlichen. Wenn er sich schon von Höchstenbach in aller Frühe per Anhalter nach Hachenburg begeben musste, bot es sich doch an, einige Straßen abzuklappern, und sich bei den Hausfrauen, die dort gerade bei der Zubereitung des Mittagessens waren, nach einer milden Gabe zu erkundigen. Die meisten kannten ihn, und da er sich stets freundlich und zuvorkommend verhielt, fiel doch so mancher Groschen oder sogar manche Mark für ihn ab. Diesmal nahm er sich den Bereich Steinweg, Stühlen und Teile des Ortsteils Altstadt in der Umgebung der romanischen Kirche vor. Er war wieder einmal recht erfolgreich und erreichte so um die Mittagszeit den Imbiss, der sich auf dem Gelände des Supermarktes an der Koblenzer Straße am Ortsausgang Hachenburgs befand. Es gehörte schon zu seiner Routine, nach getaner Arbeit diesen Imbiss aufzusuchen.
An einem kleinen Fenster besorgte er sich eine Frikadelle und eine Flasche Bier und setzte sich an einen der bereitstehenden Tische im Freien. Er nahm einen großen Schluck. Das kühle Bier tat bei dieser Hitze richtig gut. Aber es musste möglichst schnell getrunken werden, denn hier in der Sonne war es im Nu gehopft und wurde bitter. Deshalb nahm er noch einen zweiten Schluck. Er wollte sich gerade der Frikadelle widmen, als er irgendetwas in seinem Rücken spürte. Er fühlte sich irgendwie beobachtet. Er blickte sich um. In einer Entfernung von etwa eineinhalb Metern stand ein zehn oder elf Jahre altes Mädchen, das ihn aus großen blauen Augen ansah. Das Kind war irgendwie seltsam. Schönfeld schüttelte den Kopf, sagte aber nichts sondern kümmerte sich weiter um seine Frikadelle. Aber irgendwie wollte die ihm nicht so recht schmecken. In seinem Rücken fühlte er weiter die Blicke des Mädchens. Was wollte diese Göre von ihm? Er drehte sich erneut um und herrschte das Kind an: „Du gehst mir auf die Nerven, verschwinde hier!“
Das Mädchen machte keinerlei Anstalten, seiner Aufforderung zu folgen und schaute ihn weiter furchtlos an.
Schönfeld wollte sich wieder ungestört seiner Frikadelle zuwenden, aber es gelang ihm nicht. Er wurde immer unruhiger und schließlich wütend. Konnte man denn nicht einmal in Ruhe sein Mittagessen genießen? Das hatte er sich schließlich redlich im Schweiße seines Angesichts verdient. „Was ist los mit dir? Warum starrst du mich so an? Hat dir niemand beigebracht, dass es unhöflich ist, einen Erwachsenen beim Essen zu stören?“
Die Kleine nahm Schönfelds Ausbruch ungerührt zur Kenntnis. Seelenruhig griff sie in die Tasche ihrer Jeans und zog einen Schein hervor. „Hier sind zehn Mark. Damit gehst du jetzt in den Supermarkt und holst eine Flasche Apfelkorn und eine Schachtel Ernte! Das Wechselgeld ist für dich.“
Er traute seinen Ohren nicht. War die Kleine komplett übergeschnappt. Wie kam das Kind nur auf eine solche Idee? „Du hast sie nicht mehr alle! Mach, dass du davonkommst, sonst wirst du mich kennenlernen! “
Ungerührt sah sie ihn weiter an. „Wenn du nicht tust, was ich dir sage, werde ich schreien und behaupten, du wolltest mir was tun. Die werden das bezeugen.“
Schönfelds Blick fiel auf eine Gruppe Kinder, die ungefähr im gleichen Alter des Mädchens waren. Sie standen etwa fünf Meter entfernt. Schönfeld konnte nicht sagen weshalb, aber irgendwie kamen ihm die Knirpse bedrohlich vor. „Das wagst du nicht! Hau einfach ab, und wir werden deinen Auftritt hier vergessen!“
Sie stieß einen kurzen spitzen Schrei aus. Die wenigen Gäste, die an den Tischen saßen, unterbrachen ihr Essen und sahen aufmerksam zu ihnen herüber.
„Hör auf! Du machst mich ja unmöglich“, flüsterte er. „Ist ja schon gut, du hast gewonnen“, fügte er sich in sein Schicksal. „Gib schon her! Ich mache, was du willst.“
„Du kannst erst fertig essen“, erklärte sie.
„Mir ist der Appetit vergangen“, antwortete er und trank seine Flasche leer.
Es dauerte nicht lange, und er kam mit dem Gewünschten in einer Plastiktüte zurück. „Und jetzt macht euch davon! Wenn ich das jemand erzähle, glaubt mir kein Mensch! In diesem Alter eine solche Unverfrorenheit zu besitzen!“
Sie waren praktisch unzertrennlich, eine verschworene Gemeinschaft. Die beiden Mädchen Birgit und Petra und die Jungs Michael, Thomas, Dirk, Jürgen, Oliver und Bernd. Das würde sich nach den großen Ferien wohl ändern, denn die Grundschule war zu Ende, und sie würden dann unterschiedliche weiterführende Schulen besuchen, zwei gingen nach Altenkirchen auf das Gymnasium, einige nach Marienstatt. Die anderen blieben in Hachenburg und besuchten die Real- oder die Hauptschule.
Daran verschwendeten sie jedoch noch keine Gedanken. Jetzt galt es, die Sommerferien in vollen Zügen zu genießen. Und das bedeutete auch, einigen Blödsinn anzustellen, von dem die Eltern nichts erfahren durften. Die Sache mit dem Apfelkorn und den Zigaretten war so ein Abenteuer, das sie gemeinsam ausgeheckt hatten. Dirk hatte den Alten für ihr Vorhaben ausgesucht, und Birgit, die wohl mutigste unter Ihnen, die Ausführung übernommen.
Sie waren stolz und aufgeregt, dass sie ihr Vorhaben in die Tat hatten umsetzen können. Etwas unsicher waren sie denn doch gewesen. Es ging ihnen eigentlich nicht um den Alkohol und die Zigaretten, die sie unauffällig in einer Schultasche verstaut hatten. Es war so eine Art Mutprobe gewesen, und sie hatten sie bestanden.
Sie suchten den Ort auf, an dem sie oft ihre Treffen durchführten. Sie hatten die alte Feldscheune irgendwann zu ihrem Hauptquartier auserkoren. In deren hinterem Bereich waren zwei Bretter locker, die sie beiseiteschoben, und über altes Heu, das bereits etwas muffig roch, kletterten sie in das Innere. Staubpartikel tanzten im Sonnenlicht, das durch die Lücken zwischen den Brettern fiel. Man konnte einen alten Leiterwagen erkennen. Er hatte noch Speichenräder. Außerdem befand sich in der Scheune ein Sammelsurium an alten Gerätschaften und Werkzeugen, die heute nicht mehr benutzt wurden, die aber ein Bauernmuseum gerne als Spende genommen hätte. Ein Pflug und eine Egge, die früher wohl Kühe oder Pferde gezogen hatten und anderes landwirtschaftliches Zubehör standen scheinbar wahllos herum. Vermutlich wurde die Scheune schon seit Jahren nicht mehr genutzt und diente lediglich als Unterstand für den alten Kram.
Kurz vor dem großen Tor war noch etwas Platz frei, wo sie sich im Kreis niedersetzten und die Zigarettenpackung und ein Einwegfeuerzeug hervorkramten. Die beiden Mädchen zögerten etwas, griffen schließlich aber doch zu. Nacheinander zündeten sie die Glimmstängel an und zogen daran. Keinem von ihnen schmeckte der Rauch. Sie inhalierten nicht, aber es kam doch ein gewisser Hustenreiz auf, den sie tapfer unterdrückten. Dann ging die Flasche Apfelkorn reihum, und jeder nahm einen Schluck. Obwohl der ihnen genauso wenig wie die Zigaretten schmeckte, nickten die meisten anerkennend. So saßen sie einige Zeit zusammen und philosophierten über die Probleme, die man in so jungen Jahren eben hat.
Jürgen schnupperte irritiert. „Irgendetwas stimmt hier nicht. Es riecht nach Rauch“, stellte er fest.
„Kein Wunder“, erwiderte Michael, „das liegt an den Zigaretten.“
„Das ist kein Zigarettenrauch“, widersprach Jürgen und schaute sich um. „Verdammt, es brennt!“, rief er, sprang auf und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Da sahen die anderen es auch. Aus dem gelagerten Heu schlugen Flammen und beißender Qualm zog in ihre Richtung. Vermutlich hatte einer von Ihnen seine Zigarettenkippe wahllos weggeworfen und so den Brand verursacht. Der Weg, den sie gekommen waren, war ihnen versperrt.
Um Hilfe rufend rannten sie panisch umher. Michael versuchte, klaren Kopf zu behalten und die in das große Tor eingelassene Tür zu öffnen. Aber sie war verschlossen. Verzweifelt schlug er dagegen, doch es war vergeblich. Mittlerweile tränten allen die Augen. Ihre Angst wurde immer größer. Kaum einer war noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Sollte das jetzt schon das Ende sein?
„Wir werden alle verbrennen!“, jammerte Petra. „Wer ist nur auf diese blöde Idee mit den Zigaretten gekommen?“
Aber sie erhielt keine Antwort. Planlos liefen sie durcheinander. Keiner hörte dem anderen mehr zu.
Thomas sah nach oben. Die beiden Flügel des großen Tores wurden durch ein Kantholz verschlossen, das in einer Halterung aus Stahl lag. Er versuchte, das Kantholz anzuheben, erreichte es aber gerade einmal mit den Fingerspitzen. Verzweifelt sah er sich nach etwas um, auf das er steigen konnte, aber er konnte auf die Schnelle keinen geeigneten Gegenstand erkennen, den er hätte herbeischaffen können. „Knie dich vor das Tor hin!“, befahl er Dirk, der ihn jedoch nur entgeistert ansah.
„Glaubst du, beten würde jetzt Sinn machen?“, fragte er stattdessen.
„Red keinen Blödsinn!“, schrie Thomas. „Das ist unsere einzige Chance, das Tor zu öffnen. Ich steige auf deine Schultern. Mach schon! Viel Zeit haben wir nicht mehr!“
Nun verstand auch Dirk, was Thomas vorhatte und kniete sich auf denn Boden.
Thomas stieg auf seine Schultern. Die anderen sahen, dass die beiden eine Möglichkeit gefunden hatten, den Flammen zu entgehen. In ihrer Panik reagierten sie jedoch genau falsch. Mit aller Macht warfen sie sich gegen den einen Torflügel, wodurch sie Druck auf das Holz ausübten, das sich dadurch kaum bewegen ließ. Thomas´Anweisungen, das Tor in Ruhe zu lassen, fanden kein Gehör. Als der Druck ein wenig nachließ, gelang es ihm dann doch mit letzter Kraft, das Kantholz aus der Halterung zu hebeln, und das Tor flog auf. Thomas fiel nach vorne, und die ganze Meute stürzte über ihn und Dirk nach draußen. Ohne zurückzusehen, rannten sie in sichere Entfernung, wo sie hustend erschöpft ins Gras niedersanken.
Als sie zurücksahen, schlugen bereits Flammen aus dem Dach des Gebäudes.
„Wo ist Oliver?“, frage Michael, aber er erntete nur betroffenes Schweigen.
Die Sonne würde bald aufgehen, und laut Wettervorhersage würde es kühl und wechselhaft werden, was im Vergleich zum Rest des bisherigen Sommers gar nicht so schlecht war. Offensichtlich war doch etwas an der Bauernregel, dass das Wetter sieben Wochen so bleibt, wie es am Tag des Siebenschläfers ist. An diesem Tag hatte es geregnet. Berger und Starck hatten noch einige Stunden ihrer Nachtschicht vor sich, aber beide mochten es, wenn sie praktisch in den Sonnenaufgang fuhren und ihre Schicht am hellen Tag endete. In den Wintermonaten war es da schwieriger, wenn während der gesamten Dienstzeit tiefe Dunkelheit herrschte.
Sie hatten mit ihrem Streifenwagen gerade das Casa Conviva passiert, als Berger den Feuerschein auf der gegenüberliegenden Bergkuppe bemerkte. Er konnte erst nicht glauben, was er da sah. „Siehst du das? Ist es denn möglich? Irgend so ein Idiot hat ein Riesenfeuer auf dem Hebeberg entzündet, ganz in der Nähe des Kreuzes.“
Der Westerwald liegt ja nun nicht gerade in den Alpen und Gipfelkreuze sind hier nicht an der Tagesordnung. Aber vor einigen Jahren hatten sich einige Bürger des Ortsteils Altstadt zusammengetan und am Rothenbach eine Grotte und auf dem Hebeberg ein Kreuz errichtet. Neben diesem Kreuz steht auch eine Bank, von der man einen herrlichen Ausblick auf die gesamte Stadt Hachenburg mit ihrem Schloss hat. Leider wird diese Stelle auch von einigen uneinsichtigen Jugendlichen gerne benutzt, die dann häufig Fast-Food-Verpackungen, leere Dosen und Flaschen hinterlassen. Aber dass diese Jugendlichen um diese Uhrzeit dort ein Feuer entzüdeten, kam den beiden Streifenpolizisten doch recht unwahrscheinlich vor. Obwohl, so ganz undenkbar war das nicht, gestand sich Berger ein, hatte er doch in seiner Jugend mit einigen Gleichaltrigen anlässlich einer Nachtwanderung beim Schmanddippen, dem Turm der Burgruine im nahen Hartenfels, ein beachtliches Feuer aus Reisigbündeln, die sie im Dorf hatten mitgehen lassen, entzündet. Aber auf diese Idee hatten er und seine Kumpane quasi das Copyright, und diese Nachahmer mussten sofort in ihre Schranken verwiesen werden.
„Fahr mal da hin“, bat er seinen Kollegen. „Das wollen wir uns doch einmal näher ansehen.“
Starck bestätigte mit einem kurzen Nicken. Da die Ortsdurchfahrt des Ortsteils Altstadt wegen Bauarbeiten gesperrt war, mussten sie einen Umweg nehmen. Sie erreichten kurze Zeit darauf den Gipfel des Hebebergs. Zuerst hatte Berger ja noch in Erwägung gezogen, dass eventuell das in unmittelbarer Nähe liegende Fichtenwäldchen brennen würde, es wäre nicht das erste Mal gewesen, aber sie sahen schon von Weitem, dass dem nicht so war.
„Das ist kein normales Feuer, da brennt ein Fahrzeug, ruf die Feuerwehr!“
Mehr konnten sie derzeit nicht tun. Der Wagen brannte lichterloh. Jeder Versuch, sich mit einem Feuerlöscher zu nähern, wäre aussichtslos und darüber hinaus auch gefährlich gewesen.
„Das scheint ein Amischlitten zu sein“, bemerkte Starck.
Berger nickte. Da sich in Hachenburg das Cadillac-Museum befand und im nicht weit entfernten Linden Ersatzteile für diese Straßenkreuzer vertrieben wurden, gehörten amerikanische Oldtimer fast schon zum Straßenbild. Aber das war kein Cadillac, der da brannte. Berger kannte dieses Fahrzeug, und es hatte ihm schon immer ausnehmend gut gefallen. Das war ein 1965er Ford Mustang V8 Cabriolet. Obwohl das inzwischen kaum noch zu erkennen war, wusste er, dass dieser Mustang komplett restauriert war und mit seinem tiefschwarzen Lack und den schwarzen Ledersitzen einmal das Herz eines jeden Autoliebhabers höher schlagen ließ. Und dieses Schmuckstück hatte irgend so ein Banause mir nichts dir nichts abgefackelt. Es war eine Schande.
Die Feuerwehr kam auch recht schnell und hatte auch keine Mühe, den Brand unter Kontrolle zu bringen. Der Mustang war allerdings völlig zerstört. Als sich der schwarze Rauch etwas verzogen hatte, nahmen sie auf dem Fahrersitz einen verkohlten Leichnam wahr.
„Da sitzt noch einer drin. Das ist kein gewöhnlicher Fahrzeugbrand. Da steckt mehr dahinter“, bemerkte Berger. „Das müssen sich Ulla und Christoph ansehen. Ich rufe sie gleich an.“
Schmeling maunzte verärgert, als der Klingelton von Leyendeckers Handy ertönte. Es war immer noch die Anfangssequenz dieses alten Songs der Rolling Stones. Schmeling war der jüngere der beiden Kater von Frau Hein, die im Erdgeschoss von Leyendeckers Elternhaus wohnte. Er und Balboa, der ältere der beiden Stubentiger, hatten sich inzwischen mehr oder weniger zusammengerauft. Trotzdem gingen sie sich häufig lieber aus dem Weg. So kam es, dass oft einer der Kater bei Ulla und Christoph Unterschlupf suchte, den die beiden ihnen auch gerne gewährten. Das führte dann dazu, dass der rote Schmeling dann bei Ullas Füßen schlief, während der graue Balboa auf dem kleinen Teppich vor Leyendeckers Bett lag, der ständig über den Kater stolperte, wenn er nachts noch einmal aufstehen musste.
Christoph Leyendecker, der Leiter der örtlichen Polizeiinspektion, und seine Lebensgefährtin Ulla Stein waren gemeinsam vom Landeskriminalamt nach Hachenburg gewechselt. Ulla Stein war für die Kriminaldelikte zuständig. Christophs Tätigkeitsbereich hätte sich eher auf das Administrative beschränken sollen, aber bei interessanten Fällen schaltete er sich immer wieder ein, und gemeinsam hatten sie auch schon einige Erfolge gehabt. Die vorgesetzten Behörden hielten sie aufgrund ihrer Vergangenheit beim LKA doch eher an der langen Leine und ließen sie auch bei schwereren Verbrechen ermitteln.
Christoph schreckte hoch, als sein Handy klingelte. „Es sind die Kollegen“, informierte er Ulla, die ebenfalls wach geworden war. „Was gibt es zu so früher Stunde?“, erkundigte er sich.
„Entschuldige die frühe Störung, aber es ist wichtig“, erklärte Karl Berger, den alle nur Karlchen nannten, obwohl er ein Hüne von annähernd zwei Metern war. Über sein Gewicht konnte man nur mutmaßen, aber es bereitete immer wieder Mühe, eine passende Uniform für ihn zu finden. „Wir haben hier eine Leiche in einem verbrannten Fahrzeug. Das müsst ihr euch ansehen.“
„Ein Unfall?“, erkundigte sich Leyendecker.
„Das wohl kaum“, antwortete Berger. „Was dahinter steckt, ist unklar. Am besten, ihr macht euch selbst ein Bild. Wir sind auf dem Hebeberg. Du kannst uns nicht verfehlen.“
„Da hat sich aber einer eine exponierte Position ausgesucht“, stellte Ulla fest, als sie am Brandort eintrafen.
„Fragt sich nur wofür“, meinte Leyendecker. „Wenn es sich um ein Verbrechen handelt, hat derjenige wenigstens nicht versucht, das geheim zu halten. Das sieht eher aus wie ein Exempel. Alle sollen es brennen sehen. Falls es Suizid ist, dann wollte derjenige mit einem Knalleffekt abtreten.“
„So oder so, wir brauchen wieder mal das volle Programm. Spurensicherung, KTU und Pathologie. Die werden sich freuen, die haben ja mehr als ein halbes Jahr nichts mehr von uns gehört. Die haben uns sicher vermisst. Ich werde gleich mal telefonieren.“ Ulla trat etwas abseits, um kurz darauf Vollzug zu melden. „Alles erledigt. Sollen wir hier warten?“
„Das wird wohl nicht nötig sein. Wir haben ja alles gesehen und würden denen nur im Wege stehen. Karlchen soll unseren Anwärter, den Schneider, aus dem Bett klingeln. Der kann hier auf die Spurensicherung warten. Für uns ist vordringlich, dass wir die Identität des Toten feststellen. Da ist wohl der Halter des Mustangs erste Wahl.“
„Ich glaube, da kann ich euch weiterhelfen“, schaltete sich Karlchen ein. „Ich kenne den Wagen. Er gehört Thomas Herbst.“
„Dem Herbstwind? Dem Inhaber der gleichnamigen Firma für alternative Energien? Ich glaube, du hast recht. Ich meine den schon einmal mit einem Mustang gesehen zu haben“, erklärte Leyendecker.
„Genau der“, bestätigte Karlchen. „Auch wenn ein solcher Wagen sicher nicht zu den hehren Zielen der erneuerbaren Energien passt. Er wohnt …“
„Das weiß ich“, erklärte Leyendecker. „Die Villa ist uns gut bekannt. Wir sind dann mal weg. Mal sehen, ob wir dort jemand antreffen.“
Ulla grinste, als sie vor der kubistischen Villa hielten. Hier waren sie mehrfach gewesen, als sie an ihrem ersten gemeinsamen Fall in Hachenburg gearbeitet hatten. Damals hatte man einen Hachenburger Geschäftsmann erstochen in der Gasse zwischen Katholischer Kirche und dem Gasthaus zur Krone aufgefunden. Im Verlauf der Ermittlungen hatte sich Leyendecker etwas zu sehr um die trauernde Witwe gekümmert. Die Versteigerung der Villa hatte nur einen Bruchteil der Forderungen gedeckt, die gegen den Ermordeten und die später verschwundene Witwe erhoben wurden.
Das Gebäude war unverändert. Nach wie vor umgab es eine Mauer, in die ein schmiedeeisernes Tor eingelassen war. Leyendecker drückte den sich in der Mauer befindenden Klingelknopf. Nichts rührte sich. Er versuchte es erneut. „Scheint niemand da zu sein“, stellte er fest. „Ich weiß, dass er verheiratet ist. Die Ehefrau scheint aber nicht zu Hause zu sein. Irgendwie müssen wir sie ausfindig machen.“
„Wir, beziehungsweise die Spurensicherung, sollten Herbsts Haus eingehend auf Hinweise untersuchen.“
„Du hast schon recht. Wir sollten keine Zeit verlieren. Aber ehrlich gesagt habe ich ein ungutes Gefühl, jetzt dort einzudringen. Ich habe auch meine Zweifel, ob wir nicht einen Durchsuchungsbeschluss benötigen. Jedenfalls müssen wir dafür sorgen, dass keine Spuren vernichtet werden. Niemand darf in der Zwischenzeit das Haus betreten. Möglicherweise haben die eine Haushälterin, die vermutlich auch einen Schlüssel besitzt. Wir suchen die Firma von Held gleich heute früh auf. Sicher werden wir da mehr erfahren. Ich denke, die haben auch Möglichkeiten, Frau Held zu erreichen, wenn ich richtig orientiert bin, arbeitet die ja in der Firma mit. Ich lasse hier absperren. Morgen früh müssen auch die Anwohner befragt werden. Wenn wir Glück haben, haben die ja etwas mitbekommen, oder sie wissen, wie wir die Frau erreichen können.“
Er bat Berger telefonisch, das Haus zu bewachen. Er könne ja in aller Frühe mit der Befragung der Nachbarn beginnen, während Starck die Villa im Auge behielt.
Danach rief er Schneider an, damit der die Kollegen von der Spurensicherung informierte, dass noch mehr Arbeit auf sie zukommen würde.
Bevor er das Gespräch beendete sagte Schneider: „Warten Sie Chef, nicht auflegen. POK Berger erwähnte, dass das verbrannte Auto diesem Herbstwind gehört, so nennen ihn die Leute doch. Vielleicht ist das ja wichtig. Ich habe ihn gestern Abend gesehen. Es war doch „Treffpunkt Alter Markt“, dieses Open-Air-Konzert. Da saß er vor dem Gasthaus zum Alten Markt.“
Eigentlich hatten Leyendecker und Ulla auch das Konzert der Hachenburger Kultband Booze Brothers im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe besuchen wollen, die an verschiedenen Donnerstagen im Sommer in der guten Stube Hachenburgs stattfindet. Aber irgendwie hatten sie es versäumt. Und als sie dann die Musik hörten, konnten sie sich nicht mehr aufrappeln. „Das ist sicher wichtig. So haben wir wenigstens einen Anhaltspunkt, wo er sich aufgehalten hat. Wir reden noch genauer darüber.“
Die Sonne war inzwischen längst aufgegangen. Es war noch etwas früh, um Herbsts Firma aufzusuchen. Allerdings wollten sie auch zu so früher Stunde die Nachbarn nicht aus den Betten klingeln. Aber sie hatten Glück. Die Tür des Nachbarhauses ging auf, und ein älterer Mann trat aus der Haustür. Er war groß und schlank mit vollem weißen Haar. Bekleidet war er mit einer beigen Leinenhose und einem weißen Poloshirt, über dem er jedoch eine warme Weste trug. An der Leine lief ein Jack-Russel-Terrier voraus, der, bis auf ein schwarzes Ohr, komplett weiß war. Der Mann kam auf sie zu. Die gerade Haltung erinnerte irgendwie an einen Offizier.
In drei Metern Entfernung blieb er stehen. Der Jack-Russel hätte sie sicher gerne näher in Augenschein genommen und zerrte an der Leine. „Ruhig Ramses!“, befahl der Alte. „Platz!“ Der Hund schien zu überlegen, ob er der Aufforderung seines Herrn Folge leisten sollte, setzte sich aber schließlich doch zögernd hin.
„Guten Morgen, die Dame, guten Morgen, der Herr. Was führt die Polizei zu so früher Stunde in unsere ruhige Wohngegend?“
Ulla lächelte. „Auch ihnen einen guten Morgen, mein Name ist Stein, und das ist unser Chef, Herr Leyendecker. Vielleicht können Sie uns ein paar Fragen beantworten.“
„Aber gerne. Ich war früher fast so etwas wie ein Kollege von Ihnen. Allerdings nur fast, ich war Amtsrichter, zuerst hier in Hachenburg auf dem Schloss, später dann in Westerburg. Um was geht es denn? Wollen Sie zu Herrn Herbst oder seiner Frau?“
„Richtig“, bestätigte Leyendecker. „Wir haben geläutet. Anscheinend ist niemand da. Wissen Sie vielleicht, wo sich Frau Herbst aufhält?“
„Da kann ich Ihnen leider nicht helfen. Die beiden pflegen keinen sehr intensiven Kontakt zu ihren Nachbarn. Ist ja auch etwas beschwerlich, wenn das gesamte Grundstück von einer hohen Mauer umgeben ist. Heute Nacht war jedenfalls noch jemand da.“
„Sie haben jemand gesehen?“, erkundigte sich Ulla.
„Nicht gesehen, nur gehört. Mitten in der Nacht habe ich sein Auto gehört. Wissen Sie, er fährt so einen Oldtimer, einen amerikanischen Mustang. Der ist nicht so leicht zu überhören. Übrigens ein toller Wagen. Als ich gegenüber meiner Frau einmal erwähnte, dass ich auch gerne so einen hätte, hat sie nur gelacht und gefragt, ob meine Midlife-Crisis immer noch nicht beendet sei. Aber das tut wohl hier nichts zur Sache. Um auf ihre Frage zurückzukommen, ich habe einen sehr leichten Schlaf, das muss so gegen drei Uhr gewesen sein, da habe ich gehört, dass er davongefahren ist.“
„Haben Sie sonst noch etwas gehört oder gesehen? War gestern Abend vielleicht noch Besuch da?“
„Nicht dass ich wüsste. Gestern Nachmittag gegen halb sieben habe ich den Wagen gehört. Da kam er sicher aus der Firma. Um halb acht, ich habe gerade meine Runde mit Ramses gemacht, verließ er das Haus. Er war zu Fuß, was sonst gar nicht seine Art ist.“
„Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen, Herr …?“