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Katharinenmarkt in Hachenburg. Wie in jedem Jahr schieben sich Anfang November Tausende durch die engen Straßen der kleinen Stadt im Westerwald. An diesem Tag bezieht der Amerikaner Robert Jordan ein Zimmer im Hotel zur Krone. Kurz darauf verlässt er das Haus und wird danach nicht mehr gesehen. Wenige Tage später explodiert eine Bombe vor dem Haus eines Politikers. In "Leyendeckers Stadt" gehen Dinge vor, die er nicht durchschaut. Er ist angefressen, zumal ihm zwei Kollegen vom BKA vor die Nase gesetzt werden.
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Seitenzahl: 194
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Dies ist ein Roman. Handlung und Personen sind frei erfunden.
Manfred Röder, Jahrgang 1951, war jahrelang bei einer Kommunalverwaltung beschäftigt. Zuletzt leitete er die Ordnungs- und Sozialabteilung. Zunächst schrieb er Songtexte auf Wäller Platt. 2011 veröffentlichte er die beiden ersten Fälle „Abrechnung“ und „Abgefischt“ um das Ermittlerduo Ulla Stein und Christoph Leyendecker, die in einem Buch zusammengefasst wurden. 2015 folgte dann „Schneckentänzer“.
Er lebt nach wie vor mit Frau und Kater in Hachenburg im Westerwald.
Oktober 2008
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Vorsichtig umkurvte der schwarze Benz die zahlreichen Krater. Genau wie die umliegenden Gebäude, war die Straße von zahlreichen Einschlägen verschiedener Geschosse aus den unterschiedlichsten Kriegswaffen getroffen worden. Die schwere, gepanzerte Limousine mit den abgedunkelten Fenstern war eigentlich zu schwerfällig für diese Straßenverhältnisse.
Der in gebührender Entfernung folgende Range Rover passte da schon eher hierher. In seinem Inneren konnte man vier Männer in pseudomilitärischen Uniformen mit schusssicheren Westen erkennen.
Plötzlich war da dieser alte, verrostete Kleinlaster, der aus einer der schmalen Seitenstraßen kam und den Daimler rammte. Man sah, wie der Fahrer aus der Rostlaube sprang und davoneilte. Von irgendwoher kamen Schüsse.
Der PKW und der Laster waren wohl ineinander verkeilt, denn die Räder des Mercedes drehten durch, und der Motor heulte auf, bevor sich die beiden Fahrzeuge mit einem plötzlichen Ruck voneinander lösten.
Zwischenzeitlich waren die vier Insassen aus dem Geländewagen gesprungen. In ihren Händen hielten sie schussbereite Maschinenpistolen. Für einen kurzen Moment schienen sie zu zögern, bevor einer, offenbar der Anführer, auf ein Haus deutete, das dann auch sofort unter Feuer genommen wurde. Die vier waren erfahrene Kämpfer und bestens aufeinander abgestimmt. Während der eine sich hinter dem Geländewagen verschanzte und weiter feuerte, stürmten die anderen durch eine Öffnung, in der wohl früher einmal die Eingangstür gehangen hatte, in das Gebäude. Zahlreiche Feuerstöße waren zu hören, bevor sie wieder auf die Straße traten. Der eine blickte noch kurz zurück, nahm etwas aus der Tasche seiner Uniformjacke und warf es mit einem zynischen Grinsen ins Haus. Kurz darauf ertönte ein lauter Knall, und eine Wolke von Staub und Rauch drang aus dem Gebäude.
Ohne sichtliche Eile bestiegen sie das Fahrzeug und folgten dem Mercedes.
Ein solches Gedränge hatte Robert Jordan nicht erwartet. Zahllose Menschen schoben sich durch die Straßen dieser kleinen Stadt im nördlichen Rheinland-Pfalz.
„Wir haben Katharinenmarkt, da sind unsere Zimmer lange im Voraus reserviert“, hatte man ihm am Telefon mitgeteilt, als er sich bei dem kleinen Hotel nach einer Übernachtungsmöglichkeit erkundigt hatte, „aber Sie haben Glück, heute Morgen hat jemand abgesagt.“
So war er in aller Frühe von Berlin nach Köln geflogen und hatte sich dort am Flughafen einen Leihwagen genommen. Seine Wahl war auf einen leistungsstarken BMW gefallen, hatte er doch gehofft, auf der Autobahn einmal richtig Gas geben zu können, was in den Staaten ja nicht möglich ist, da auf den Highways strenges Tempolimit herrscht. Leider wurde er enttäuscht, da die vielen Schilder, die die Geschwindigkeit einschränkten, und der zäh fließende Verkehr zügiges Fahren nicht zuließen.
Dem Rat seiner Telefonpartnerin folgend, war er nicht über die Graf-Heinrich-Straße in die Innenstadt gefahren, sondern hatte die Bundesstraße erst später verlassen und sich der Stadt von Westen her genähert. So war er über die Leipziger Straße und den Alexanderring nahe an die Innenstadt gekommen. Bevor die Marktstände ihm den Weg versperrten, war er links abgebogen und in das relativ neue Parkhaus gelangt. Hier hatte er tatsächlich das Glück, noch eine Parkmöglichkeit zu finden, denn gerade verließ ein anderes Fahrzeug seinen Platz.
Zwischen den vielen Menschen, die sich im Schankraum des Hotels zur Krone drängten, war für ihn mit seinem schweren Koffer kaum ein Durchkommen gewesen. Man hatte auch kaum Zeit für ihn gehabt und ihn zwar freundlich, aber nur flüchtig begrüßt, er sehe ja, was hier los wäre, und die Formalitäten auf den nächsten Tag vertagt. Man hatte ihn in aller Eile in ein rustikales, aber gemütliches Zimmer geführt und ihm ohne viel Federlesens den Schlüssel ausgehändigt. Er konnte der Dame gerade noch seine Visitenkarte in die Hand drücken, da war sie auch schon verschwunden. Er war noch nicht einmal dazu gekommen, ihr ein Trinkgeld auszuhändigen, welches wohl recht ansehnlich gewesen wäre, denn Robert Jordan war ein wohlhabender Mann und im Gegensatz zu vielen seiner Art, durchaus großzügig. Zu eilig war sie verschwunden.
Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Koffer auszupacken, sondern sich lediglich etwas frisch gemacht, bevor er sich erneut durch die überfüllte Kneipe drängelte.
Nun stand er auf der kleinen Terrasse des Hotels und blickte auf den Alten Markt Hachenburgs. Eigentlich ein sehr schöner Marktplatz, auch wenn nicht alle Gebäude in ihrem historischen Ursprung erhalten waren. Gegenüber fielen die mehrgeschossigen Fachwerkbauten ins Auge. Linker Hand führte eine wuchtige Bruchsteintreppe zum Eingang einer Kirche. Jordan war kein Fachmann, so konnte er nicht sagen, aus welchem Jahrhundert die wohl stammte. Aber es war vermutlich wie so oft, dass über die Jahrhunderte immer wieder Um- und Anbauten erfolgt waren und so das Gotteshaus seine jetzige Form gefunden hatte. Die kleine Gasse links von ihm mit dem Torbogen war wohl der Aufgang zu dem Barockschloss, das ihm bereits ins Auge gefallen war, als er an diesem gepflegten Park vorbeifuhr. Einen wirklichen Gesamteindruck konnte er jedoch nicht gewinnen, den überall standen Marktstände, zwischen denen sich Unmengen von Menschen hindurchschoben. Der historische Brunnen war zwischen dem geschäftigen Treiben kaum zu sehen. Wie Jordan jedoch erkennen konnte, sah der ziemlich ramponiert aus. Außerdem hatte den Brunnen sicher einmal eine Figur oder Ähnliches geziert, die jetzt verschwunden war. Wie es schien, fanden in der Innenstadt des kleinen Städtchens umfangreiche Sanierungsarbeiten statt. Trotzdem hatte man wohl nicht auf die Ausrichtung des Marktes verzichten wollen, und der große Besucherandrang zeigte, dass dies die richtige Entscheidung gewesen war.
Vor zwei Wochen hatte er noch nicht gewusst, dass es dieses Hachenburg überhaupt gab, geschweige denn in Erwägung gezogen, es während seines Deutschlandaufenthaltes aufzusuchen. Eigentlich war sein Ziel lediglich die Hauptstadt Berlin gewesen. Aber dann hatte er eine Entdeckung gemacht, die ihn dazu veranlasste, hierher zu kommen.
Er hatte keine Eile, denn er hatte keinen Termin vereinbart. Er hielt es für besser, überraschend dort aufzutauchen. Falls er niemanden antraf, war das nicht weiter schlimm. Er hatte Zeit und konnte es ein andermal versuchen. Also entschloss er sich, die Atmosphäre des Marktes hautnah zu genießen. Er machte drei Schritte nach vorne, und schon befand er sich mitten in dem Strom von Menschen, der ihn mit sich zog. Es ging langsam aber stetig voran. Lediglich an den Stellen, an denen irgendwelche alkoholischen Getränke ausgeschenkt wurden, kam es doch zu einigem Geschiebe, obwohl man diese Stände etwas zurückgesetzt hatte. Trotzdem schufen die Menschtrauben, die davor verharrten, künstliche Engpässe und brachten den vorwärts strebenden Fluss zum Stocken. Ein Mann, der ihm mit einer Bratwurst eine gehörige Portion Senf auf seinen Kaschmirmantel schmierte, erinnerte ihn daran, dass er heute außer der Banane, die ihm ein Marktschreier zugeworfen hatte, noch nichts gegessen hatte. Im Flugzeug hatte er auf das pappige Sandwich, wofür die Billigairline auch noch fünf Euro verlangte, verzichtet. So kaufte er sich an einem der Stände eine Currywurst. Obwohl es aus Berlin kam, hatte er eine solche in Deutschland bisher nicht gegessen. Natürlich bekam man in den USA auch Currywürste, aber die hier schmeckte ihm besser. Vermutlich bildete er sich das nur ein, da er die Currywurst nun einmal mit Deutschland verband. Dieses Phänomen war ja hinreichend bekannt. Den Rotwein, der einem am Urlaubsort so gut schmeckte, empfand man zu Hause eher fad und langweilig. Es war zwar nicht kalt, sondern eher warm, einige Grad höher als die Durchschnittstemperatur im November. Die hatte er vor seiner Reise im Internet nachgesehen. Trotzdem erstand er an einem anderen Stand einen Glühwein, irgendetwas musste ja an diesem Getränk dran sein, sonst hätten sich nicht so viele Menschen an diesem Stand gedrängelt. Aber diese Erfahrung hätte er sich ersparen können, denn er bekam kurz darauf Sodbrennen. Sein Magen war mit dem Alter doch etwas empfindlicher geworden.
So ließ er sich ziellos weitertreiben. Gelegentlich verließ er die Schlange, um sich die Auslagen eines Standes näher anzusehen oder einem der Marktschreier zuzuhören, der irgendeine unverzichtbare Neuerung anpries. Er widerstand der Versuchung, sechs Topfblumen für vierzehn Euro zu kaufen, auch wenn der Mann auf dem LKW ihn lauthals dazu aufforderte.
Mit der Zeit schmerzten ihn die Füße. Seine Versuche, in irgendeiner Gaststätte einen Sitzplatz zu ergattern, scheiterten kläglich, da die Kneipen rappelvoll waren und sich die Besucher bereits an den Eingangstüren stauten, oder die Eingangstüren waren verschlossen, und es wurden nur neue Gäste hereingelassen, wenn andere die Gaststätte verließen. Daher schien es ihm an der Zeit, das Vorhaben in die Tat umzusetzen, welches ihn nach Hachenburg geführt hatte. Er drängte sich zwischen zwei Ständen hindurch und ging über den Hof zu dem Haus und läutete. Nach einigen Sekunden hörte er drinnen Schritte, die sich der Haustür näherten. Wie es schien, hatte er Glück, denn es war jemand zu Hause.
Horn spielte den Herzkönig aus. Starck warf schulterzuckend die Sieben von Kreuz dazu. Berger trank in aller Ruhe sein Glas leer und stach den König mit dem Herzass, wofür er erstaunte Blicke Starcks erntete. Unbeeindruckt spielte Berger die Herzneun aus, die Horn triumphierend mit der Zehn übernahm. Die Kreuzacht von Starck spielte keine Rolle mehr.
Kopfschüttelnd tadelte Starck: „Du hättest die Zehn schnippeln müssen.“
Berger antwortete mit einem überlegenen Lächeln: „Was wäre gewesen, wenn die Zehn im Stock lag? Er hatte ein Zweifarbenspiel, sieben Trumpf und vier Herz. Wenn er keinen Trumpf drücken wollte, musste er ein Herz legen. Es hätte gut sein können, dass er die Zehn gedrückt hatte. Du solltest dir auch einmal angewöhnen, die Augen mitzuzählen. Wir haben einundsechzig. Wenn das nicht gereicht hätte, hätte ich selbstverständlich geschnippelt.“ Dann sah er Horn an. „Das Spiel war mit Kontra, da brauche ich erst gar nicht zu rechnen. Du hast Gäste geladen.“
Kopfschüttelnd winkte Horn nach der Wirtin.
„Noch eine Runde?“, fragte erkundigte sie sich..
„Ja, leider“, bestätigte Horn. „Er ist ein alter Maurer. Nicht dieser Wiener Baulöwe, der kürzlich eine junge Wittlicherin geheiratet hat, hätte den Namen Mörtel verdient, sondern Karlchen. Mit zwei Jungen gerade mal achtzehn sagen und sich dann verpissen. Und dann auch noch Kontra geben! Das ist nun wirklich unfair und gehört verboten.“
Der so Gescholtene hatte dafür nur ein müdes Lächeln. Wenn es seine Schicht zuließ, versäumte der hünenhafte Polizeibeamte keinen der wöchentlichen Skatabende. Das Nachkarten und die Diskussionen machten den eigentlichen Reiz dieser Abende aus, auch wenn sie sich gelegentlich heftig in die Haare gerieten. Aber das war spätestens beim nächsten Bier wieder vergessen. Die anderen hätten längst nicht mehr mit ihm gespielt, gewann er doch meistens. Das glich er nachher immer durch ein paar freiwillige Runden aus. Er zehrte heute davon, dass er in jungen Jahren eine Menge Lehrgeld gezahlt hatte, weil er sich mit den Großmeistern der Zunft gemessen hatte. Er erinnerte sich noch an den Dreizentnerkoloss mit der dicken, stinkenden Zigarre, den alle nur Bombig nannten. Dieser besagte Bombig war einer der führenden Bundesligaspieler in der Mannschaft aus dem nahen Unnau. Er dachte auch an den fast blinden Alten, der jede Karte aufnahm, nachdem sie ausgespielt war und sie vor seine Augen hielt, der am Ende des Spiels jeden Stich haarklein rekonstruieren und analysieren konnte.
Die Wirtin brachte die bestellten drei Bier und vier Korn dazu. „Ich störe euch nur ungern, aber kann ich dich mal kurz sprechen, Karlchen?“, fragte sie zögerlich.
„Aber klar, du doch immer. Was liegt an, Martha?“, erwiderte Berger und deutete auf den freien Stuhl.
„Erst wollen wir mal einen Kurzen trinken.“ Die Wirtin stellte die drei Korn vor die Skatspieler, deutete mit dem vierten ein Prost an und trank ihn leer.
„Schieß los, Martha. Was hast du auf dem Herzen?“, forderte Berger, nachdem er auch noch einen Schluck von dem frischen Bier genommen hatte.
Martha schien verunsichert. Sie strich sich über die weiße Schürze. Dann begann sie zögerlich. „Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll. Aber die Sache ist wirklich komisch. Einer meiner Gäste ist verschwunden.“
„Was heißt verschwunden? Niemand verschwindet so einfach, außer meiner Frau, die ist auch einfach verschwunden“, bemerkte Horn und lachte gepresst.
„Ich wette, er hat nicht bezahlt“, warf Starck ein. „Was ist denn an einem Zechpreller komisch? Das ist zwar ärgerlich, aber kommt halt hier und da mal vor.“
„Last doch Martha erst einmal erzählen“, forderte Berger. „Es wird schon etwas mehr dahinterstecken als so ein ganz gewöhnlicher Zechpreller.“
„Richtig“, bestätigte Martha, „es stimmt, dass er nicht bezahlt hat, aber darum geht es nicht. Damit hätte ich dich nicht in deiner Freizeit belästigt. Ich wäre morgen zu euch auf die Wache gekommen, hätte Anzeige erstattet und alles wäre seinen Weg gegangen. Aber ich fürchte, das ist nicht die ganze Wahrheit. Der Mann ist einfach verschwunden.“
„Erzähl einfach von vorne“, forderte Berger sie auf.
„Das war letzten Samstag.“
„Da war doch Katharinenmarkt“, meldete sich Starck erneut.
„Jetzt halt doch mal den Mund und hör zu! Da erzählst du uns nichts Neues.“ Berger war doch etwas ungehalten. „Lass dich nicht stören“, forderte er die Wirtin auf.
„Wie gesagt, es war ja Katharinenmarkt. Eigentlich waren wir ausgebucht, aber es hatte jemand abgesagt. Da hat er angerufen und nach einem Zimmer gefragt, und wir haben selbstverständlich zugesagt. Als er dann kam, konnten wir uns nicht weiter um ihn kümmern. Ihr könnt euch ja vorstellen, was an dem Tag los war. Hier ging alles Drunter und Drüber. Das Mädchen hat ihm sein Zimmer gezeigt. Den ganzen Meldekram haben wir auf den nächsten Tag verschoben. Ich weiß, dass das falsch war.“
„Schon gut“, beschwichtigte Berger, „daraus wir dir niemand einen Strick drehen. Wie ging es weiter?“
„Kurz darauf kam er durch die Gaststube und ist dann auf den Markt. Und das war es dann. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er ist nicht wieder aufgetaucht.“
„Was ist mit seinem Gepäck?“, fragte Berger.
„Sein Koffer steht ungeöffnet oben. Das Bett ist unbenutzt.“
„Er wird jemand kennengelernt haben. Oder er war schon verabredet. Vermutlich geht es um eine Frau“, nahm Horn an.
„Kann schon sein“, bestätigte Berger. „Aber ein einigermaßen gewissenhafter Mensch hätte sich doch gemeldet. Wie lang hat er das Zimmer denn gemietet?“
„Darüber haben wir gar nicht gesprochen. Das sollte alles am nächsten Tag geschehen. Aber er hat einen zuverlässigen Eindruck gemacht. Ich glaube schon, dass er wenigstens angerufen hätte.“
„Er ist erwachsener Mensch. Der kann grundsätzlich machen, was er will. Es besteht kein Grund, jetzt in aller Eile eine Fahndung einzuleiten. Aber ich kann ja morgen einmal nachhören, ob er irgendwo aufgetaucht ist. Wie sah er denn aus?“
„Ein feiner Mann. Sehr gepflegt. So um die sechzig, etwa eins achtzig groß, graue Haare, Brille mit dunklem Gestell. Er trug eine dunkle Wollhose und einen edlen Mantel. Der war mit Sicherheit teuer, Kaschmir eventuell. In einer Manteltasche steckte eine Zeitung. Aber so genau habe ich ihn ja nicht gesehen. Ihr wisst schon, die ganze Hektik.“
„Dafür ist die Beschreibung doch sehr gut“, lobte Berger. „Sonst noch was?“
„Er war Amerikaner.“
„Woher weißt du das? Hat er mit Akzent gesprochen, oder hat er gesagt, dass er Amerikaner sei?“
„Ich kann mich nicht erinnern, dass er mit Akzent gesprochen hat, aber ich habe ja auch kaum mit ihm geredet. Das ging aus der Karte hervor, die er dem Mädchen gegeben hat.“
„Du hast seine Karte?“ Berger schüttelte missbilligend den Kopf. „Warum sagst du so was denn nicht gleich? Da steht doch sicher eine Telefonnummer drauf.“
„Das habe ich doch versucht. Die Handynummer ist tot. Und unter der Nummer in Amerika ist er ja wohl auch nicht erreichbar. Schließlich ist er ja hier in Deutschland.“
„Hast du da mal angerufen?“, erkundigt sich Karlchen. „Vielleicht stehen die ja mit ihm in Verbindung.“
„Das habe ich nicht“, erklärte sie zögerlich.
„Dann solltest du das nachholen, am besten sofort. Dort ist noch heller Tag. Du kannst also jetzt anrufen. Vielleicht klärt sich dann alles auf.“
Martha verschwand, um nach etwa zehn Minuten wiederzukommen, „Ich habe tatsächlich jemand erreicht, es war seine Tochter. Sie sprach ausgezeichnet deutsch. Sie hatte auch nichts von ihm gehört. Ich glaube, sie war sehr beunruhigt. Es würde mich nicht wundern, wenn sie herkommen würde. Sie will wohl eine größere Suchaktion starten.“
„Das wird hoffentlich nicht notwendig sein. Vermutlich gibt es eine ganz simple Erklärung. Wir sollten jetzt nicht die Pferde scheu machen. Wie ich schon sagte, ich werde morgen versuchen, etwas herauszufinden“, erklärte Berger. „Möglicherweise klärt sich dann alles auf. Mach mir mal eine Kopie von der Karte, und bring uns noch eine Runde.“
Die Wirtin brachte die drei Bier und gab Berger einen Zettel. „Die Runde geht auf mich“, erklärte sie, „zum Wohl!“
„Robert Jordan, von Jordan, Jordan und Partnern, Boston, Massachusetts, eine Anwaltskanzlei“, übersetzte er.
„Es ist etwas später geworden, der Dienstplan von morgen musste geändert werden, weil ein Kollege ausgefallen ist. Hast du schon etwas gegessen, Ulla?“, fragte Christoph Leyendecker, als er die Wohnung betrat.
Ulla Stein saß auf der Ledercouch im Wohnzimmer und blätterte in einem Journal. „Noch nicht“, erwiderte sie, „ich wollte auf dich warten. „Außerdem habe ich nicht viel Hunger. Sollen wir uns ein paar Brote machen?“
„Mir ist eher nach Nudeln“, erwiderte er. „Die sind ja auch schnell gemacht.“
Wenn man Ulla Stein gefragt hätte, ob sie die vor etwa einem Jahr getroffene Entscheidung, das LKA in Mainz zu verlassen und zusammen mit ihrem Lebensgefährten nach Hachenburg zu wechseln, bereut hätte, hätte sie dies deutlich verneint.
Damals war die Leitung der Dienststelle vakant gewesen, und man hatte den Posten Christoph auch damit schmackhaft gemacht, die Position für die Aufklärung der Kriminalfälle an seine Lebensgefährtin zu vergeben. Eigentlich galt das nur für die kleineren Delikte. Bei Gewaltverbrechen waren wohl eher die Kollegen aus Koblenz zuständig. Aber da sie beide vom Landeskriminalamt kamen und so über die entsprechende Erfahrung verfügten, ließ man sie doch eher gewähren. Auch wenn sie offiziell nicht hauptverantwortlich waren. So hatten sie doch vor Kurzem einige Mordfälle fast im Alleingang aufgeklärt. Die Wohnung im Obergeschoss von Christophs Elternhaus nutzten sie immer noch, obwohl die doch etwas klein war und nicht so ganz Ullas Ansprüchen entsprach. Das Erdgeschoss war immer noch an Frau Hein, eine gutmütige Rentnerin, mit ihrem Kater Balboa vermietet.
Hätte man bei Ulla etwas nachgebohrt, wäre die Frage, ob sie den Wechsel bereut habe, doch etwas weniger vehement beantwortet worden. Im Gegensatz zu Christoph, der ja hier geboren war, tat sie sich mit dem Einleben etwas schwer. Was sie begeisterte, waren die hervorragenden Laufstrecken, die ihr hier zur Verfügung standen. Nach wenigen Metern lief man immer durch freies Feld oder durch den Wald. Auch die Mountainbikestrecke, die sie sich inzwischen auserkoren hatte, gefiel ihr ausnehmend gut. Meist fuhr sie durch die Gemarkungen von Hattert, Winkelbach und Wahlrod bis zur Mündung des Rothbachs zwischen Wahlrod und Mudenbach, um dann dem Oberlauf der Wied in Richtung Quelle bis zum Dreifelder Weiher zu folgen, den sie umrundete. Danach fuhr sie in Richtung Gräbersberg, um dann vom höchsten Punkt der Strecke über Gehlert nach Hachenburg zurückzukehren.
Die Lauf- und Mountainbikestrecken waren das eine, aber bisher hatte sie sich einen dauerhaften Wechsel aufs Land nicht vorstellen können. Zu sehr war sie doch Stadtpflanze. Selbst Mainz war ihr eigentlich zu klein gewesen. Sie hatte ihre Zukunft eher in einer Stadt wie Köln oder Berlin gesehen. Obwohl sie beide befördert worden waren, fürchtete sie tief in ihrem Inneren, dass dies nun das Ende der Fahnenstange sei.
Leyendecker ging in die Küche und setzte Nudelwasser auf. Das Gericht, das er kochte, war so was wie eine Mischung aus italienischer und bayrischer Küche. Es erinnerte etwas an die bayrischen Kaasspatzen. Er schnitt eine Zwiebel in kleine Würfel, Frühstücksspeck in schmale Streifen und briet beides in reichlich Olivenöl, bis die Zwiebeln glasig waren. Abgeschmeckt wurde mit Salz, Pfeffer und etwas Chili. Diese Soße vermischte er mit den Nudeln und rieb würzigen Bergkäse darüber. Hierzu genehmigten sie sich ein Bier.
Er wollte gerade die Teller wegräumen, als er sah, dass ein Schirm im Schirmständer wackelte. Was zunächst wie ein unerklärliches Phänomen aussah, klärte sich dann kurz danach auf. Zuerst erschien der kleine Kopf und dann der Rest eines roten Kätzchens. „Wen haben wir denn da? Haben wir einen neuen Mitbewohner, von dem ich noch nichts weiß?“, fragte er erstaunt.
„Das ist Schmeling“, erklärte Ulla, „der neue Kater von Frau Hein. Der alte Balboa ist in letzter Zeit doch etwas träge geworden, und da hat sie geglaubt, es würde ihn etwas munterer machen, wenn sie ihm einen kleinen Spielgefährten zur Verfügung stellt.“
„Lass mich raten, das ist schiefgegangen“, vermutete Leyendecker. „Balboa hat den kleinen Kerl angegriffen.“
„Ganz so war es nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall. Balboa kommt mit dem Temperament des Kleinen nicht klar. Der Knirps will ununterbrochen unterhalten werden. Springt auf seinen Rücken, beißt ihn in den Schwanz, was ihm gerade einfällt. Der arme Kerl ist total gestresst. Er ist hier, weil Balboa dringend mal etwas Ruhe braucht.“
„Und deshalb haben wir jetzt einen Kater?“
„Nur mal ganz kurz. Die beiden werden sich schon aneinander gewöhnen. Jedenfalls hoffe ich das. Ansonsten, was wäre denn so schlimm, wenn wir uns des Kleinen auf Dauer annehmen würden?“
„Wir haben keine Zeit, um uns dauerhaft um ein Tier zu kümmern.“ Schmeling kletterte an Leyendeckers Bein hoch, wobei die kleinen, spitzen Krallen durch den Stoff seiner Jeans drangen, machte es sich auf seinem Schoß bequem und gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er nun gekrault werden müsse. „Aber ins Bett kommt der nicht“, erklärte er. „Das gewöhnen wir ihm gar nicht erst an. Du weißt ja, wie schnell die Katzen einem auf dem Kopf herumtanzen.“
Bevor Leyendecker abends zu Bett ging, rief er regelmäßig die Internetseiten der Westerwälder Zeitung auf. Er wollte gewappnet sein, falls am nächsten Tag etwas in der Zeitung stand, das seine Arbeit betraf. Heute erwartete ihn eine Überraschung. „Ulla“, rief er. „Komm mal her! Schau doch mal, was die morgen in der Zeitung bringen!“
US-BÜRGER BEIM KATHARINENMARKT VERSCHWUNDEN
Das Blatt berichtete, dass der US-Amerikaner Robert Jordan seit dem Katharinenmarkt spurlos verschwunden sei. Er habe am frühen Nachmittag des siebten November das Hotel zur Krone in Hachenburg verlassen und sei seitdem nicht wieder aufgetaucht. Die Familie des Vermissten sei in großer Sorge. Die Polizei hätte bisher nichts unternommen. Die Familie habe daher eine Belohnung von zweitausend Euro für denjenigen ausgesetzt, dessen Hinweise zum Auffinden Robert Jordans führen würden. Die Redaktion habe sich gerne bereit erklärt, diese Hinweise entgegen zu nehmen. Gezeigt wurde das Bild eines grauhaarigen Mannes, der an einem schweren Schreibtisch saß.
„Was hat das nun wieder zu bedeuten?“, fragte Leyendecker. „Weißt du etwas davon?“
„Nicht wirklich," erwiderte Ulla. „Ich weiß nur, dass Karlchen nach irgendjemand suchte, er hat Berichte eingesehen, verschiedene Krankenhäuser angerufen, solche Sachen halt. Ob es da um diesen Amerikaner ging, weiß ich nicht.“
„Wir werden ihn morgen fragen.“
Als sie ins Bett kamen, lag Schmeling auf der Bettdecke.
„Lass ihn doch“, sagte Ulla.
„Was hab ich dir gesagt?“, entgegnete er kopfschüttelnd und legte sich vorsichtig neben das Kätzchen.
Als am nächsten Morgen Karl Berger Leyendeckers Zimmer betrat, hob er beschwichtigend die Hand. „Ich weiß schon, was du sagen willst. Ich habe die Zeitung auch gelesen.“