Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Für Eva ist es die letzte Möglichkeit, diesen Schreibwettbewerb zu gewinnen. Die Zeit drängt. Nur die Flucht in die Heide, nach "da draußen" könnte helfen, oder? Dort, wo es keine Ablenkung gibt, sondern "nur frische Luft und eine Nachtruhe, die den Namen verdient." Peter lässt sie ziehen, eine willkommene Verzögerung, sozusagen von selbst, denn er schiebt auf, was er Eva schon längst hätte sagen sollen. In "Oder? Sozusagen von selbst" kämpft ein Paar, jeder für sich mit den selbst gesteckten Zielen und Träumen. Es geht um das Zusammensein, das Aufschieben, um unwichtige Dinge, die wichtiger werden als das Wesentliche, um Ameisenhaufen, um Liebe und lebensverändernde Entscheidungen, um unausgesprochene Zweifel und um Eichenzipfelfalterblau und Zitronengelb.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 64
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Oder?
Sozusagen von selbst
Impressum
Texte: © Copyright by S. Harmuth Umschlag: © Copyright by G. Harmuth
Verlag: Sabine Harmuth
Druck: epubli ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
ISBN 978-3-7418-961-18
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Maria
Neugierige Gärtnerin und
geduldige Hüterin geistiger Ableger
„NurdieDinge verdienten
aufgeschrieben zu werden,
über die man sich mit keinem Menschen
zu reden getraue.“
Adolf Muschg, Der Turmhahn
„Die Frage kann nur heißen:
Kreativ bis in das letzte Komma.
Deutsche Gesellschaft für Zeichensetzung
Eine längst überfällige, einzigartige Hommage an die kleinen Wörter.
Vielfalt-in-der-Sprache-pflegen e.V.
So etwas habe ich noch nie gelesen.
T.R. aus B.
Wir warten schon auf Anni und John.
Lesekreis „Wegwarte“
Wenn aus dem Leben Kunst wird, dann wird hier aus der Kunst Leben. Wir kennen E. und P. gut.
Polemischer Zirkel
Ich habe mich nicht gelangweilt.
DIE Stimme der Literatur
Eine Aproximation an die Ubiquität
des Zweifelns?
Eine diskrete Eloge der Prokrastination?
In dubio pro reo.
Das bipolare Kolorit generiert immerhin den symbolträchtigen Diskurs einer impliziten Fusion: Grün.
Kritische Akademie
Lovely.
German Readers, Little Drowsing (UK)
Gute Ideen behält man am besten für sich. Es sind, im übertragenen Sinne, zarte Triebe, schüchterne oder verwegene Ableger, die der Sonne, dem Wind, den Wühlmäusen und Nacktschnecken, um im Bild zu bleiben, noch nicht standhalten können.
Aber wie immer habe ich gleich loserzählt. Ich kann nicht anders. Peter hört mir zu und nickt. Darum erzähle ich ihm alles. Spontane Eingebungen, aberwitzige Plots, rasante Pointen, meist unausgegorenes Zeug. Fast alles, was mir in den Sinn kommt und alles, was ich für den Anfang einer guten Geschichte halte.
Peter weiß, dass ich seine Zustimmung brauche. Er nickt ein paar Mal, er ist ein sanfter Gärtner, dann lächelt er und sagt: Das klingt gut, mach das mal.
Für mich ist das der beste Anschub. Sein Nicken treibt mich an. Er fragt vielleicht noch, ob ich schon angefangen habe. Aber eigentlich meint er: Worauf wartest du? Leg los. Jetzt gleich! Schreib es genauso auf. Das ist eine ungewöhnliche Sicht, oder? Mir geht es sofort gut, auch wenn mich dieses oder, das Peter gern und häufig am Ende einer Frage platziert, etwas stört.
„Ich werde für zwei Wochen in die Heide fahren“, verkünde ich. „Die Zeit drängt. Du weißt schon, der Wettbewerb“, füge ich noch hinzu. „Da draußen gibt es keine Ablenkung, nur frische Luft und eine Nachtruhe, die den Namen verdient … dann schaffe ich es rechtzeitig. Was denkst du?“
Peter lächelt mich an. Ihm ist schon klar, dass ich nicht daran denke, ihn mitzunehmen (sonst hätte ich ja wir gesagt und nicht ich), und mir ist ebenso klar, dass ihm genau dies an meinem Vorschlag nicht sonderlich gefallen wird. Aber er lächelt. Es ist ein hinreißendes, ehrliches Lächeln. Peter heuchelt nicht.
Mach das, sagt er nach einer kurzen Pause. Er will mir nicht im Weg stehen. Ich nicke hilflos. Ein wenig mehr Widerstand oder wenigstens einen Anflug von Unzufriedenheit, einen kleinen flüchtigen, vorüberziehenden Schatten auf seinem Gesicht hätte ich schon erwartet. Aber Peter hat bereits alles akzeptiert. Zwei Wochen allein. Ich stehe da, mit hängenden Armen. Für Peter ist es erledigt. Ich fahre ins Landhaus, schreibe eine Geschichte und schicke sie rechtzeitig ein.
Im August werde ich vierzig. Ich habe nur noch dieses eine Mal, um an dem Wettbewerb teilnehmen zu können. Im nächsten Jahr bin ich zu alt.
Selbstverständlich gibt es andere Wettbewerbe, und nicht alle begrenzen aus rätselhaften Gründen das Alter ihrer Teilnehmer auf 40 oder 35 Jahre. Doch dieser hier ist etwas Besonderes für mich. Charly hatte ihn einmal gewonnen. Allerdings war das vor zehn Jahren auch viel einfacher. Alles war in Bewegung und das Thema war irgendetwas mit Ost und West. Ziemlich vage, wenn ich mich recht erinnere. Seine Geschichte war auch nicht gerade überragend, fand ich schon damals. Ein Osthund aus Treptow erzählt einer verwöhnten Steglitzer Westkatze von seinen verlorenen Jahren als Wachhund auf dem Grenzstreifen. Na ja. Aber drei Jahre später hatte Charly sein erstes Buch veröffentlicht. Ganz ohne Hund und Katze. Ich habe es nicht gelesen, um es gleich zu sagen. Charly ist ein Blender, so sehe ich das heute. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, wo er jetzt steckt und ob er immer noch schreibt. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn es Charly mit einem naiv-verbissenen Kampfhund und einer rolligen, alternden Schlosskatze geschafft hatte …
Im Grunde war es unnötig, Peter noch einmal ausführlich zu erklären, warum mir das alles so wichtig war. Die Geschichte mit Charly hatte ich ausgespart (obwohl es im Grund keine Geschichte gibt, nie gegeben hat). Ich schloss meine kleine Rede damit, dass ich mich dieses Mal einfach durchsetzen müsste. In diesem letzten Jahr zu gewinnen, wäre für mich jedenfalls ein gutes Omen. Peter ist Mathe-Lehrer, aber er hütete sich, die Wahrscheinlichkeit zu skizzieren, mit der ich als Gewinner hervorgehen würde; bei so und so vielen Einsendern, von denen dreißig Prozent eine wunderbare Idee und dreißig Prozent einen beängstigend guten Text geschrieben haben. Weitere dreißig Prozent … egal. Wenn ich so herangehe, habe ich schon verloren. Erfolg lässt sich nicht berechnen.
Vor einigen Jahren hatte ich einen Beitrag eingeschickt, aber Anschreiben und Absender vergessen. Ich hätte anrufen können und Bescheid geben, aber ich rief nicht an.
Ein anderes Mal passte mein Text angeblich nicht zum Thema „Metropolen“. Ein junges Mädchen, das sich in einem Provinznest ihre Megalopolis erträumte, passte nicht in das Konzept? Ich erinnere mich, ausdauernd auf die Stimme am anderen Ende eingeredet zu haben. Nicht dass meine gereizte Erklärung zu den Hintergründen der Handlung noch irgendetwas geändert hätte, doch ich redete weiter und schraubte meine Stimme in die Höhe. Ich gebe nicht so schnell auf. Anni sagt immer, lass sein, es ist aussichtslos, Energieverschwendung. Aber ich mag es nicht, wenn man mich am Telefon mit einer schwammigen Begründung abspeist. Manchmal denke ich, umso aussichtsloser etwas erscheint, umso mehr Energie sammelt sich in meinen Zellen. Je steiler der Berg, desto schneller versuche ich hinaufzurennen.
Peter meinte, bei solchen Wettbewerben würden viele Texte gar nicht oder nur oberflächlich gelesen. Er findet immer einen tröstenden Grund, mit dem er leben kann und sucht ihn ebenso für mich.
Letztes Jahr saß ich am Schreibtisch und starrte abwechselnd auf die Stadtautobahn und das „Frühstück der Ruderer“. Meine Mutter hatte mir die Postkarte aus ihrem Urlaub in Frankreich geschickt. Ich mag das Bild. Ich hatte es eingerahmt und links neben meinen Schreibtisch gehängt.
Es war Ende Juli wie jetzt auch. Die Vormittagssonne fiel auf Renoirs Freunde und heizte den Morgen auf, und mir fiel nicht ein, wie ich diese Geschichte über eine „Geheimnisvolle Begegnung bei Nacht“ zu Ende bringen sollte. Ein Thema für den November, den Winter, die im zähen Dunkel festfrierenden Nächte. Das einsame Flackern eines bläulichen Lichts irgendwo.
Ich weiß nicht mehr, wie oft Anni mich gefragt hatte:
Wie weit bist du?
Halbfertig.
(Man kann nicht wissen, wann die Hälfte einer Geschichte geschrieben ist! Aber es klingt, als müsste man jetzt den Berg nur noch wieder hinunterrennen, um fertig zu werden.)