Öfter mal die Sau rauslassen - Markus Keller - E-Book

Öfter mal die Sau rauslassen E-Book

Markus Keller

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Beschreibung

Unsere Ernährung hat einen bedeutenden Einfluss auf das Risiko für Zivilisationskrankheiten und den rasant fortschreitenden Klimawandel. Experten wissen: Eine gesunde und klimafreundliche Ernährung ist pflanzenbasiert. Vegan-Professor Dr. Markus Keller und Ernährungsexpertin Annette Sabersky zeigen auf undogmatische Art und Weise, wie der Weg zu viel mehr veggie und viel weniger Tier gelingt. Das Autorenteam fasst leicht verständlich den aktuellen Stand der Forschung zusammen und liefert endlich Klartext im Dschungel der Ernährungs- und Umweltstudien. Für alle, die JETZT endlich handeln und auf plant-based umsteigen wollen – für die eigene Gesundheit und für die unseres Planeten.

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Seitenzahl: 492

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Dr. Markus Keller Annette Sabersky

ÖFTER MAL

DIE SAU RAUS

LASSEN!

Wie wir mit pflanzenbasierter Ernährung ganz entspannt gesünder leben und das Klima retten

INHALT

Die Zeit ist reif

Für die Zukunft unserer Kinder und unseres Planeten

KAPITEL 1:

ERNÄHRUNGSMYTHENim Reality-Check

KAPITEL 2:

THE POWER OF PLANTSPflanzlich ist besser!

„Fleischlose“ Wissenschaft ohne Ansehen

Vegane Ernährung ist Teil des Ernährungsberichts der DGE

Die gesundheitlichen Vorteile überwiegen

Was genau heißt pflanzenbasiert?

Umwelt- und Tierschutz mit Messer und Gabel

KAPITEL 3:

GESÜNDER LEBENmit Pflanzenkost

Alles, was krank macht

Was zu kurz kommen kann, aber nicht muss

Plant-based schützt rundherum

Übergewicht: Pflanzenkost hält schlank

Pflanzenkost und Diabetes: Mit Grünzeug den Blutzucker in der Balance halten

Pflanzenkost und Bluthochdruck: Plant-based senkt den Druck

Pflanzenkost und Fettstoffwechselstörungen: Muss man sein Fett wegbekommen?

Pflanzenkost und Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Essen gegen den Herzinfarkt

Plant-based und Krebs: Was ist gesichert?

Veggiekost hält den Darm gesund – und der den Menschen

Pflanzenkost und Osteoporose: Brechen die Knochen schneller?

KAPITEL 4:

DIE UMWELT SCHONEN,den Planeten erhalten

Wir essen viel zu viel Fleisch

Fleischgenuss mit Umweltfolgen

Ist Fisch öko-korrekter als Fleisch?

Klimawandel – auch Folge unserer Ernährung

Klimafaktor Landwirtschaft

Sind Biolebensmittel besser für das Klima?

Essen für den Planeten

Lebensmittelverschwendung stoppen

Pflanzenessen ist Klimaschutz

Pflanzenkost muss normal werden

Auch pflanzenbasierte Ernährungsstile sind klimagerecht(er)

Geht Fleischerzeugung auch umweltfreundlich?

Pflanzliche Bioernährung muss nicht teurer sein

Die Zukunft heißt plant-based!

Industrie mischt massiv mit bei Pflanzenfood

Kann Bio die Welt ernähren?

KAPITEL 5:

TIERSCHUTZ:Öfter mal die Sau rauslassen!

Produziert für den Müll

700 Millionen Tiere leben in Massentierhaltung

Weniger ist mehr: Den Konsum reduzieren!

KAPITEL 6:

HUNGER BEKÄMPFEN,Fairness fördern

Fleischkonsum mit Folgen

Kinderarbeit weltweit an der Tagesordnung

Auch in Deutschland gibt es menschenunwürdige Arbeitsbedingungen

KAPITEL 7:

PFLANZENPOWERauf dem Teller

Auf einen Blick: Lebensmittelpyramiden

KAPITEL 8:

PFLANZLICH ESSEN –So geht es!

Gemüse und Obst: Fünf am Tag

Vollkorngetreide und Kartoffeln: Bitte zugreifen

Hülsenfrüchte, Tofu & Co.: Möglichst jeden Tag

Milch: Nur in Maßen – oder gleich zu Pflanzendrinks greifen

Nüsse, Samen, Mus: Ein Muss

Pflanzenöle: Her damit!

Süßigkeiten und Snacks: Klein, aber fein

Wasser – unser Lebenselixier

KAPITEL 9:

PLANETENGERECHTund gesund einkaufen

Nachlese

Literatur

Zum Weiterlesen

Bildquellen

Danke!

DIE ZEIT IST REIF

Dieses Buch kommt gerade noch rechtzeitig! Die Menschheit, wir alle, stehen vor enormen medizinischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen. Das ist eine Mammutaufgabe, die oft genug schier unlösbar scheint. Doch die erfolgreiche Bewältigung dieser Situation ist keineswegs unmöglich, denn die Lösung hat sehr viel mit Ernährung zu tun.

Seit Jahren werden immer mehr wissenschaftliche Daten veröffentlicht, die zeigen, dass die Ernährung die entscheidende Stellschraube ist, die sowohl unsere Gesundheit als auch die der Pflanzen, der Tierwelt und des ganzen Planeten bestimmt. Vor wenigen Jahren hat die renommierte Forschergruppe um Walter Willett von der Harvard Universität in den USA zum ersten Mal den Begriff „One Health“, eine Gesundheit, geprägt. Es geht dabei um nicht weniger als das fundamentale Verständnis, dass alles miteinander zusammenhängt. Dies umfasst wiederum die Tatsache, dass, wenn wir als Menschen gesund bleiben wollen, wir selbst auch dafür sorgen müssen, dass unser Planet gesund bleibt. „Planetare Gesundheit“ ist also nicht nur ein schicker Modebegriff, sondern bringt Problem und Lösung auf den Punkt.

Wir sprechen heute von der „Triple Crisis“, der dreifachen Krise, die den Klimawandel, neue Pandemien und die Abnahme der Biodiversität einschließt. Dass die Zeit eilt, ist keine Frage. Auf der Suche nach Lösungen ist es zwar ohne Frage wichtig, dass für alle diese Probleme auch nach spezifisch technischen und medizinischen Lösungen gesucht wird. Dies können CO2-sparende technologische Innovationen in der Industrie sein, die Entwicklung von 3-D-Röntgenbildern in Farbe oder Datenbanken und Labore, die den genetischen Code von aussterbenden Pflanzen erfassen und bewahren. Doch mit einer Maßnahme können wir sofort und auf der Stelle allen Bedrohungen gleichermaßen wirksam begegnen: der verstärkten Umsetzung einer pflanzenbasierten oder rein pflanzlichen Ernährung.

In diesem Buch erfahren Sie, welche Bedeutung die Ernährung in den verschiedenen Dimensionen hat: für Ihr persönliches Wohlbefinden und für weitergehende Aspekte der planetaren Gesundheit wie den Energie- und Wasserverbrauch, den CO2-Fußabdruck und den Klimaschutz. Doch es beschreibt auch die ethische Dimension der Ernährung, denn was immer wir auf dem Teller vorfinden, um uns satt zu essen – es hat soziale Folgen für den Menschen. Der Konsum darf also niemals auf dem Rücken der Menschen in fernen Produktionsländern ausgetragen werden. Leider sind Kinderarbeit und Landgrabbing, aber auch prekäre Arbeitsbedingungen in Europa einschließlich Deutschland nach wie vor an der Tagesordnung. Ich denke dabei auch an die noch gar nicht so lange zurückliegenden Skandale im Bereich der Fleischproduktion, in Wurstfabriken und in der Geflügelaufzucht. Doch unser Konsum muss auch das Wohl der Tiere achten. Es ist kein Geheimnis, dass die Zustände im Umgang mit Tieren oft desaströs sind. Gutes Essen sollte aber immer die Tiere als Mitbewohner dieser Erde achten.

Das ist ein großes Paket. Doch die Möglichkeiten, etwas Entscheidendes zum Guten hin zu verändern, waren noch nie so gut wie jetzt. Wir verfügen über umfangreiche und aussagekräftige wissenschaftliche Daten, die die Fakten auf den Tisch bringen. Immer mehr Menschen sind bereit, aktiv zum Klima- und Tierschutz beizutragen und ihren Konsum ethisch auszurichten. Es bedarf zwar noch mehr innovativer und kreativer Lösungen für ein gutes Miteinander von Mensch, Tier und Pflanze. Fakt aber ist auch: Wer fair einkauft und im Sinne einer pflanzenbasierten Ernährung isst, kann schon sehr viel für die planetare Gesundheit tun.

Dieses Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es alle wichtigen Informationen zur gesunden pflanzenbasierten und rein pflanzlichen Ernährung gibt. Es erklärt leicht verständlich und dennoch mit thematischer Tiefe, wie wir Konsumenten im Alltag einen gesunden, tiergerechten und nachhaltigen Lebensstil unter Berücksichtigung ethischer Aspekte umsetzen können. Dieses Buch ist aber auch einzigartig. Denn es beinhaltet das Fazit aller relevanten Studien zur vegetarischen und rein pflanzlichen Ernährung, sowohl in Bezug auf die Gesundheit als auch die Umwelt. Es ist mir daher eine große Freude, dieses wichtige Buch des renommierten Ernährungsforschers und Experten für pflanzenbasierte Ernährung, Dr. Markus Keller, und der Ernährungswissenschaftlerin und Bio-Food-Expertin Annette Sabersky zur Lektüre zu empfehlen.

Abschließend noch ein Tipp: Lesen Sie das Buch in Ruhe durch, betrachten Sie die wertvollen Informationen, die uns und die Welt gesünder machen können, nicht als Belehrung, sondern als eine Mut machende Inspiration zu mehr Lebensqualität. Zu Unrecht wird bei Diskussionen rund um die Ernährung immer wieder gemutmaßt, dass bei jeder Veränderung des Essens hin zu mehr Gesundheit der Genuss auf der Strecke bleibt und dies die Lebensfreude schmälert. Das Gegenteil ist der Fall: Eine pflanzenbasierte oder rein pflanzliche Ernährung ist äußerst wohlschmeckend, genuss- und lustvoll. Sie ist abwechslungsreich und befriedigt alle Sinne – am Ende mehr als herkömmliche Ernährungsformen.

Vor allem aber gibt sie ein gutes Gefühl. Indem wir pflanzlich essen, verleiben wir uns sozusagen zugleich die Aussicht auf eine gute Zukunft ein – mit mehr Lebensfreude, Sicherheit und Gesundheit für alle Lebewesen dieser Erde. Ja, pflanzenbasiertes Essen kann der tatsächliche Gamechanger zum Besseren, zum Guten für unsere Zukunft werden!

Ich wünsche Ihnen viel Freude und Inspiration bei der Lektüre dieses wichtigen Werkes.

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen

Charité Universitätsmedizin Berlin im Januar 2022

FÜR DIE ZUKUNFTUNSERER KINDER UND UNSERES PLANETEN

Dieses Buch liegt mir besonders am Herzen. Nicht nur, weil die vielen Erkenntnisse meiner wissenschaftlichen Forschungsarbeit der vergangenen Jahrzehnte in anschaulicher und allgemein verständlicher Form eingeflossen sind, denn so können Sie sie als Leserin und Leser für sich noch besser nutzen. Das Buch ist mir auch aus einem weiteren Grund ein wichtiges Anliegen: Immer wieder haben mir meine Kinder beim Schreiben über die Schulter geschaut und gefragt, worum es in den einzelnen Kapiteln geht. Dann habe ich gesagt: Es geht um eure Zukunft und die Zukunft unserer Erde. Sie haben dann fragend geguckt und so habe ich erklärt, dass wir Erwachsenen es sind, die durch unseren Lebens- und Ernährungsstil viele Probleme verursacht haben: die Ausplünderung unserer Ressourcen, die Verschmutzung von Böden, Wasser und Luft, die weitere Erhitzung des Klimas, die Abholzung der Regenwälder, die Ausbeutung von Menschen in anderen Ländern und die der Tiere. Ich habe auch betont, dass es nun auch unsere Pflicht ist, endlich Verantwortung zu übernehmen und Veränderungen einzuleiten. Das haben sie sofort verstanden.

Wenn ich dies alles unter Erwachsenen erläutere, wird zwar auch kräftig genickt, doch es kommt oft der Einwand: „Aber was soll ich denn als Einzelner tun?“ Kennen Sie das Bild von den Streichhölzern in der Schachtel, die alle denken, sie könnten allein nichts ausrichten? Doch ein Streichholz ist anders und denkt anders und es entzündet sich einfach – und schon bald stehen auch die anderen in Flammen. Dasselbe können auch wir tun: Wenn wir uns für eine gute Sache begeistern, wird der Funke auch auf andere überspringen. Jede und jeder von uns hat so viele Möglichkeiten, eine bessere Zukunft mitzugestalten!

Ich bin mir sicher, dass wir uns aktuell in einem der größten Veränderungsprozesse seit Menschengedenken befinden. Die Corona-Krise ist nur ein Symbol für den inneren Wandel, den viele von uns spüren und bereits eingeleitet haben. Auf einmal bewerten wir die Bedeutung vieler Dinge völlig neu. Manches ist unwichtig geworden, während andere Lebensbereiche einen ganz neuen Stellenwert haben. Nehmen wir als Beispiel den enormen Boom von Bio-Abokisten und die Nachfrage nach pflanzlichen Lebensmitteln. Er zeigt den Wunsch nach hochwertigen, regional erzeugten Produkten und einer möglichst lokalen Lebensmittelversorgung, die unabhängig(er) von globalen Lieferketten ist. Vielen Menschen erscheint dies auf einmal sehr sinnvoll. Mehr pflanzliche Lebensmittel sind also nicht nur gut für unsere Gesundheit, sondern ganz besonders auch für unsere Erde. Und natürlich auch für die Menschen in fernen Ländern und die Tiere – mit ihnen allen teilen wir diesen wunderbaren Planeten ja. Behandeln wir sie alle, ebenso wie uns selbst, mit Respekt.

Dieses Buch soll ein kleiner Beitrag sein, unseren Kindern, Enkelinnen und Enkeln einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Ich halte nichts von Zwängen aller Art, weder von staatlichen noch von anderen. Der Mensch sollte sich immer frei entscheiden können, was er tut und was er lässt, sofern sein Handeln nachweislich keinem anderen schadet.

Doch ist es nicht schlauer, auch für uns selbst nur das Beste zu wollen, indem wir uns auf eine gesundheitsfördernde pflanzenbasierte Ernährung umstellen? Auch wenn wir vermutlich nicht mehr viel Zeit haben – gehen Sie diesen Weg in Ihrem eigenen Tempo. Wichtig ist nicht, dass Sie gleich alles perfekt machen, sondern dass Sie einfach anfangen loszulaufen! Es steckt so viel Weisheit in dem Satz, der dem chinesischen Philosophen Konfuzius zugeschrieben wird: „Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt!“

Es würde mich sehr freuen, wenn ich Sie zum Nachdenken anregen und inspirieren könnte. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihren Start in eine pflanzenbasierte Zukunft!

Ihr Markus Keller

KAPITEL 1

ERNÄHRUNGSMYTHENIM REALITY-CHECK

Wer sich als Genießer von überwiegend pflanzlichem Essen oder sogar als Veganer outet, wird immer noch mit Vorurteilen und Bedenken überschüttet. So zu essen sei ungesund, das ganze Grünzeug biete zu wenig Eiweiß und Vitamine, und für Kinder sei das sogar lebensgefährlich. Außerdem werde der Regenwald geschädigt bei all dem Soja, das auf den Teller komme. Leider verderben solche und andere Fehlinformationen vielen den Appetit, die es mit vegetarischem Essen probieren möchten. Doch was stimmt wirklich? Lesen Sie in diesem Kapitel, warum Veggiekost keineswegs den Bizeps schrumpfen lässt, sondern sehr gutes Eiweiß liefert, und warum auch Kinder, die pflanzlich essen, topfit sind.

Seit vielen Jahren werde ich von Fernsehteams, Radiosendern und Zeitungsredaktionen zu Veggiethemen interviewt. Meistens geht es darum, zu klären, ob eine Ernährung, bei der vor allem pflanzliche Lebensmittel auf den Tisch kommen, die also „plant-based“ ist, wie man heute so schön sagt, gesund ist oder nicht. Die Journalisten fragen mich auch, warum jetzt überhaupt so viele auf dem Grünzeug-Trip seien und nur noch Obst, Gemüse und Körner essen? Der Mensch sei doch von Natur aus ein Fleisch(fr)esser. Schon in der Steinzeit hätten die Menschen vor allem Fleisch gegessen, nicht Früchte und Gemüse. Meist kommt noch der Hinweis, dass selbst viele Ärzte vom rein pflanzlichen Essen abraten, weil es ungesund sei: Eiweiß und verschiedene Vitamine kämen zu kurz. Vor allem für Kinder sei das gefährlich.

Mit solchen Vorbehalten werde ich manchmal sogar auf Fachkongressen und Ärztefortbildungen konfrontiert. Mich stört das nicht. Im Gegenteil: Ich finde es gut, wenn die Rede auf plant-based kommt und die bestehenden Vorbehalte und Befürchtungen angesprochen werden. Es zeigt, dass sich die Menschen mit dem auseinandersetzen, was sie essen und trinken – und was in aller Munde ist. Doch leider gibt es bei diesem Thema immer noch viele Vorurteile und Falschinformationen. Mit diesen will ich in diesem Kapitel aufräumen!

Das ist heute zum Glück kein großes Problem mehr. Anders als früher, also vor 20, 30 Jahren, haben wir jetzt nicht nur sehr viele Studien rund um die vegetarische Ernährung vorliegen, also um das fleischlose Essen, das Milchprodukte und Eier einschließt. Auch rein pflanzliche Kost ist immer öfter Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Prof. Claus Leitzmann, der bekannte (emeritierte) „Vollwert-Papst“ der Universität Gießen, und ich haben für die neueste Auflage unseres Lehrbuchs über vegetarische und vegane Ernährung über 1500 Studien ausgewertet. Das ist ein reichhaltiger Fundus, aus dem wir schöpfen und auf den wir uns berufen können (und von dem Sie in diesem Buch profitieren). Auch bei der Frage, ob pflanzlich zu essen gesund ist.

Bevor ich weiter ins Detail gehe, möchte ich zunächst jedoch die häufigsten Mythen rund um plant-based aufgreifen. Denn es wäre schade, wenn wegen solcher Vorbehalte pflanzliches Essen seltener auf Ihrem Teller landet oder Sie darauf verzichten, auch ganz darauf zu setzen.

MYTHOS 1:„DER MENSCH IST VON NATUR AUS EIN FLEISCH(FR)ESSER.“

Das ist wohl eine der häufigsten Behauptungen, wenn Fleischliebhaber und Veggies aneinandergeraten. Wo die Frage nach der „richtigen“ oder „artgerechten“ Ernährung auftaucht, geht es wirklich um die Wurst. Genauer, um die Frage, ob wir nun Fleisch essen müssen oder nicht. Diejenigen, die Fleisch für unverzichtbar halten, argumentieren, der Mensch habe schon immer Fleisch gegessen. Nur durch Fleischverzehr habe sich unser Gehirn im Laufe der Evolution so gut entwickelt. Die Befürworter von vegetarischem oder rein pflanzlichem Essen sagen hingegen, der Verdauungstrakt und das Gebiss des Menschen seien ganz eindeutig auf eine (rein) pflanzliche Ernährung ausgerichtet. Aber: Beides stimmt so nicht! Der Mensch ist biologisch gesehen weder ein reiner Fleischfresser – wie zum Beispiel der Löwe oder der Wolf – noch ein 100-prozentiger Pflanzenesser – wie etwa Pferde oder Rinder. Tatsächlich ist er beides: In den Millionen von Jahren der Menschwerdung hat es immer Phasen der Ernährung gegeben, in denen der Schwerpunkt auf unterschiedlichen Nahrungsmitteln lag: Mal wurde mehr Pflanzliches, mal mehr Fleisch gegessen.

Nehmen wir beispielsweise den Australopithecus, unseren Vorfahren aus der Altsteinzeit, der vor etwa viereinhalb bis zwei Millionen Jahren in Afrika lebte. Er hat sich überwiegend vegan ernährt, also Nüsse, Samen und stärkehaltige Wurzelknollen zu sich genommen. Das Ganze wurde mit einigen Insekten und Aas angereichert. Die ersten Vertreter der Gattung Homo, wie etwa der Homo habilis vor rund zwei Millionen Jahren, waren schon Allesfresser, denn mit zunehmender Ausbreitung der Savannen wurde gejagt und gefischt. Das Nahrungsspektrum war somit deutlich breiter und erweitert um Fleisch und Fisch. Schließlich hing die jeweilige Ernährung immer davon ab, was die Natur, je nach Jahreszeit, gerade im Angebot hatte. Die klimatischen Bedingungen und die geografische Lage beeinflussten die Essensauswahl natürlich ebenfalls.

Das alles ist heute nicht viel anders, wie sich an den noch lebenden Sammler- und Jägergesellschaften beobachten lässt. Manche Völker in tropischen Regionen leben überwiegend plant-based, während die naturnahen Völker der kargen Arktis das essen, was das Meer hergibt, und das sind vor allem fetter Fisch sowie Fleisch von Meeressäugern, also zum Beispiel von Robben oder Walen.

Verfechter tierischer Lebensmittel führen auch gern ins Feld, dass sich unser Gehirn erst durch den Genuss von Fleisch so weit entwickelt habe. Unser Hirn brauche langkettige ungesättigte Omega-3-Fettsäuren wie DHA (Docosahexaensäure), die zwar reichlich in fettem Fisch und im Gehirn von Säugetieren, nicht jedoch in Pflanzen vorkommen. Tatsächlich können wir diese beiden Fettsäuren in gewissen Mengen auch in unserem Körper selbst herstellen. Dafür müssen wir allerdings auf eine ausreichende Zufuhr von pflanzlichen Omega-3-Fettsäuren achten, also regelmäßig zu Lein-, Hanf- oder Walnussöl bzw. zu Walnüssen greifen (siehe Seite 68).

Leider wissen wir nicht genau, wie die Ernährung unserer Vorfahren aussah und was entscheidend für die Größenentwicklung des Gehirns war. Vermutlich haben unsere Vorfahren, sie werden als Homininen bezeichnet, eine Mischung aus energiereicher Nahrung wie Fleisch und Aas sowie Knollen, Nüssen und Samen zu sich genommen. Knochenmark und Hirn lieferten die wichtigen langkettigen Omega-3-Fettsäuren, die zum Wachstum des Gehirns beigetragen haben. Doch nach neuerer Forschung war auch die Stärke aus Knollen, genauer die daraus gebildete Glukose, als Energiequelle für das Hirnwachstum wichtig. Zudem gibt es Hinweise, dass Wildhonig eine gewisse Rolle spielte. Der darin enthaltene Zucker spendete nicht nur Energie. Wildhonig enthielt, anders als in den heutigen kommerziellen Sorten, auch Spuren von eiweiß- und fetthaltigen Bienenlarven. Bestes Hirnfutter also.

Auch wenn manches bislang nicht geklärt ist: Sicher ist, dass die Gehirnentwicklung des Menschen in Bezug auf die Größe seit etwa 200 000 bis 300 000 Jahren abgeschlossen ist. Steak und Schnitzel muss also niemand essen in der Hoffnung, damit noch etwas an der Hirngröße zu ändern.

MYTHOS 2:„VEGAN ESSEN IST WAS FÜR FRAUEN. MÄNNER BRAUCHEN FLEISCH.“

Auf den ersten Blick scheint an diesem Vorurteil etwas dran zu sein. Schauen wir uns dazu einfach eine typische Uni-Mensa oder Betriebskantine an: In der Schlange bei der Currywurst stehen vor allem Männer, Frauen eher beim vegetarischen oder veganen Essen. Wenn wir vom Forschungsinstitut für pflanzenbasierte Ernährung solche Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung beraten, sorgen sich daher die Verantwortlichen häufig, dass mit der Ausweitung der vegetarischen oder rein pflanzlichen Mahlzeiten die Mittagsgäste ausbleiben, genauer gesagt: vor allem die Männer. Besonders an Hochschulen mit eher technischen Studiengängen oder in Industriekantinen ist diese Befürchtung groß.

Es ist wohl so: In unserer Gesellschaft haben viele den Glauben stark verinnerlicht, dass Fleisch Männersache sei. Tatsächlich zeigt der Ernährungsreport 2021, der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft herausgegeben wird: Rund 33 Prozent der Männer, aber nur 18 Prozent der Frauen geben an, mindestens einmal täglich Fleisch zu konsumieren.

Fleisch hat nach wie vor die kulturelle Bedeutung von männlicher Kraft, Stärke, Macht und Potenz. Dies geht weit zurück, bis in die Urzeit. Damals waren Männer die Jäger, die das Mammut erlegten und in die Höhle schleppten, während Frauen Früchte, Nüsse und Wurzeln sammelten und die Nahrung zubereiteten. Diese tief verankerte archaische Sichtweise, ob bewusst oder unbewusst, und auch die Sorge, als reiner Pflanzenesser als unmännlich zu gelten, dürfte viele Männer immer noch abschrecken, es mit dem Veggieburger oder einem komplett fleischfreien Leben zu versuchen.

Doch langsam tut sich was. Es hat sich herumgesprochen, dass zahlreiche sogenannte Zivilisationskrankheiten mit einem zu üppigen Konsum von Fleisch und zu wenigen pflanzlichen Lebensmitteln einhergehen. Besonders Wurst und andere Fleischwaren spielen bei der Entstehung von Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs eine Rolle (siehe Seite 91, 128 und 140).

Dass das viele Fleischfuttern ein gesundheitliches Risiko darstellt, haben aber nicht nur die Frauen verstanden, es wird auch immer mehr Männern bewusst. Aus Umfragen wissen wir, dass es vor allem jüngere Männer sind, die Fleisch öfter mal weglassen und pflanzenbetonter essen. Das machen sie zwar nicht primär, um dem Herzinfarkt vorzubeugen – obwohl ihnen die gesundheitlichen Aspekte oft bekannt sind. Bei ihnen spielen vor allem der Tierschutz und ethische Motive eine Rolle. Viele junge Menschen wollen nicht länger ein System unterstützen, in dem Schweine, Rinder und Hühner in einem kurzen, qualvollen Leben dahinvegetieren und am Ende für Nahrungszwecke getötet werden. Sie lehnen es strikt ab, dass männliche Küken geschreddert und männliche Kälber bis nach Marokko gekarrt werden, weil ihre Aufzucht hierzulande unwirtschaftlich ist.

Vielen ist auch bewusst, dass unser Fleischhunger Auswirkungen auf das Leben der Menschen in den Ländern des Globalen Südens hat – sie werden häufig auch mit dem umstrittenen Begriff Entwicklungsländer benannt. Hier sind besonders die Zerstörung des tropischen Regenwaldes für den Anbau von Soja als Futtermittel und die damit zusammenhängende Vertreibung indigener Völker zu nennen (siehe Seite 264). Gerade junge Menschen verbannen also tierische Produkte aus ihrem Einkaufskorb, um ethisch anständig zu essen und Tierleid zu beenden. Dieses Verantwortungsbewusstsein finde ich übrigens total männlich.

Doch für Männer ist es mitunter immer noch mühsam, sich zu einer vegetarischen oder sogar ausschließlich pflanzlichen Ernährung zu bekennen. Zwar wird ihnen einiges Verständnis entgegengebracht, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen kein Fleisch mehr essen, nach dem Motto: „Mein Arzt hat mir geraten, ich soll mal weniger Wurst essen.“ Doch in Bezug auf ethische oder ökologische Motive fehlt ihnen dieses Verständnis oft (noch). Die Zeitung Berlingske beispielsweise berichtete über die Erfahrungen von Männern in Dänemark, die sich für einen fleischfreien Ernährungsstil entschieden hatten. Einer erzählte, dass er in Gruppen, in denen gemeinsam gegessen wurde, von vielen Männern nicht mehr akzeptiert wurde, egal ob im hippen Fitnessclub oder klassischen Schützenverein. Als ihm ein nichtveganer Proteinriegel angeboten wurde, er aber dankend ablehnte und dies mit seiner Ernährungsweise erklärte, sei dies überhaupt nicht gut angekommen.

Doch von solchen Reaktionen darf Mann sich nicht unterkriegen lassen. Die Ablehnung geht oft auf das schlechte Gewissen des Gegenübers zurück. Wenn der Kumpel aus dem Fußballclub merkt, dass der Vegetarier oder der 100-prozentige Pflanzenesser etwas macht, das er selbst nicht schafft, also auf den Burger aus Quälfleisch zu verzichten, reagiert er mit Ablehnung – obwohl er es insgeheim wahrscheinlich sogar gut findet. Das Problem liegt also häufig bei unserem Gegenüber, nicht bei uns selbst. Ich finde es hilfreich, wenn wir uns das immer wieder bewusst machen. Unabhängig davon führt Missionieren sicher nicht zum Erfolg – auf beiden Seiten.

MYTHOS 3:„WER NUR GRÜNZEUG ISST, BEKOMMT ZU WENIG EIWEISS.“

Oft geht es bei der ersten Frage an Menschen, die sich als Pflanzenesser outen, um Eiweiß. Dann heißt es sofort: „Kommt das bei dir nicht zu kurz?“ Doch da kann ich ganz klar Entwarnung geben! Bei den meisten Vegetariern ist die Eiweißzufuhr sehr gut und auch bei reinen Pflanzenessern ist sie üblicherweise absolut ausreichend! Bei Vegetariern liegt sie sogar meist über dem, was die Ernährungsgesellschaften für die Eiweißzufuhr empfehlen. Gleichzeitig aber ist sie wiederum nicht ganz so üppig wie bei allen, die Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier essen. Doch genau dies ist ein Pluspunkt, wie wir später noch sehen werden. Denn besonders beim Eiweiß – in der Fachsprache sagt man Protein – gilt nicht: „Viel hilft viel.“ Es kommt dabei vielmehr auf die Qualität des Proteins an (siehe Mythos 4).

Kritiker von rein pflanzlicher Ernährung und plant-based zitieren manchmal eine Studie, die gezeigt habe, dass Veganer sehr schlecht mit Eiweiß versorgt seien. Sie meinen die Deutsche Vegan-Studie, die in den Jahren 1994/1995 durchgeführt wurde. Sie ergab, dass 41 Prozent der Frauen und 31 Prozent der Männer die täglichen Empfehlungen für die Proteinzufuhr nicht erreichten. Diese Studie ist jedoch kaum aussagekräftig für die heutige Situation, weil die Daten über 25 Jahre alt sind. Damals war zum einen das Ernährungswissen der Veganerinnen und Veganer und zum anderen das Informations- und Lebensmittelangebot viel schlechter als heute. Inzwischen gibt es jede Menge Bücher sowie Blogs zu dem Thema und in jedem beliebigen Supermarkt oder Discounter kann man gezielt aus einem riesigen Angebot an pflanzlichen Lebensmitteln schöpfen. Darunter sind auch viele Produkte, die nur so vor Eiweiß strotzen: Zu Hülsenfrüchten wie roten Linsen, Kichererbsen und Kidneybohnen, Getreide und Pseudogetreide wie Quinoa und Amaranth sowie Nüssen aller Art haben sich im Lauf der Zeit auch Sojadrinks, Tofu, Tempeh und Seitan sowie Proteinmüslis und andere Powerprodukte mit viel Eiweiß gesellt. Dass Pflanzenesser zu wenig Eiweiß bekommen, widerlegen außerdem auch alle neueren Studien. Diese Behauptung gehört definitiv in den Bereich der Mythen.

MYTHOS 4:„PFLANZLICHES EIWEISS IST WENIGER WERTVOLL ALS DAS VOM TIER.“

Fleischverfechter betonen gern, dass Protein aus pflanzlichen Lebensmitteln nicht so wertvoll sei wie das von Steak und Schnitzel. Grundsätzlich stimmt das und es ist auch seit Langem bekannt. Tatsächlich ist die Eiweißqualität eines Lebensmittels umso höher, je mehr die Zusammensetzung der Eiweißbausteine – der sogenannten Aminosäuren – unserem Körperbedarf entspricht. Dabei sind tierische Proteine näher dran als die meisten pflanzlichen. Doch durch schlaues Kombinieren verschiedener eiweißreicher Lebensmittel lässt sich die Eiweißqualität deutlich steigern. Topkombinationen sind zum Beispiel Roggenvollkornbrot mit Cashewmus, Vollkornreis mit Linsensoße oder Falafel im Fladenbrot. Die Eiweißqualität entspricht dann sogar jener von Eiern, Milch und Rindfleisch, die in Sachen Protein als besonders hochwertig gelten, oder übersteigt sie sogar.

MYTHOS 5:„SALAT LÄSST DEN BIZEPS SCHRUMPFEN.“

Zahlreiche vegetarisch oder vegan lebende Hochleistungssportler beweisen eindrucksvoll, dass diese Behauptung wirklich ein Märchen ist. Sie essen pflanzenbasiert oder verzichten ganz auf Tierisches – und erbringen dennoch Topleistungen. Ein prominentes Beispiel von vielen ist der vegan essende Kraftsportler Patrik Baboumian, der im Jahr 2011 nach den Strongman-Meisterschaften offiziell zum stärksten Mann Deutschlands gekürt wurde! Auch die preisgekrönten Boxer Mike Tyson, Michael Wallisch und ihre Sportkollegin Leonie Giebel sowie der Extremläufer Mark Hofmann und die Marathonläuferin Sally Eastall essen vegan und erbringen Höchstleistungen. Körperliche Leistungsfähigkeit und Regeneration sind nämlich keine Frage des Gemüse- oder Fleischverzehrs. Entscheidend ist, dass die Ernährung insgesamt abwechslungsreich und vollwertig ist. Sie muss also ausreichend Energie, Kohlenhydrate, Fette und Eiweiß sowie Vitamine und Mineralstoffe bereitstellen.

Während für alle Freizeit- und Breitensportler die üblichen Empfehlungen für eine vollwertige Ernährung gelten (siehe Seite 287–290), müssen Leistungssportler noch eins draufsetzen, also etwas für ihren erhöhten Bedarf an Energie und Nährstoffen tun. Power-Lebensmittel wie Vollkornprodukte, Nüsse und Nussmus, Samen, Trockenobst, Avocados sowie naturbelassene Pflanzenöle sind dafür ideal, denn sie können den höheren Kalorienbedarf decken und sind randvoll mit Nährstoffen.

Ein wichtiges Thema bei Veggiesportlern ist immer das Eiweiß, weil es der wichtigste Muskelbaustoff ist. Tatsächlich müssen Sportler, die viel trainieren und am Muskelaufbau arbeiten, das Protein im Blick haben. Während für (ambitionierte) Freizeitsportler zwischen 0,8 und einem Gramm Eiweiß je Kilo Körpergewicht am Tag empfohlen wird, steigt der Bedarf im Hochleistungssport an: auf 1,4 bis zwei Gramm Eiweiß je Kilo Körpergewicht und Tag, so die Empfehlung der International Society of Sports Nutrition. Doch auch dies ist leicht umsetzbar. Tofu und andere Sojaprodukte, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide, Amaranth und Quinoa sowie Nüsse sind sehr gute Eiweißquellen, die, schlau kombiniert, alle wichtigen Aminosäuren liefern. Die Sorge, dass pflanzliche Ernährung den Bizeps schrumpfen lässt, ist also unbegründet.

Für eine gute Ausdauerleistung sind hingegen vor allem die Kohlenhydrate wichtig, und zwar sowohl die von der langsamen als auch die von der schnelleren Sorte. Lange satt machen Müsli, Vollkornbrot, Naturreis und Getreideflocken. Für schnell verfügbare Energie sorgen Rosinen, Datteln, getrocknete Aprikosen und frisches Obst. Studien, die Vor- oder Nachteile einer vegetarischen oder rein pflanzlichen Ernährung im (Leistungs-)Sport eindeutig belegen oder widerlegen, gibt es bisher kaum. Eine Studie aus Dänemark zeigte aber, dass es zwischen Sportlern, die entweder vegetarisch aßen oder eine fleischreiche Kost zu sich nahmen, keine signifikanten Unterschiede in der Ausdauerleistung gab. Auch eine unserer Studien, in der wir die Volleyballmannschaft der 3. Liga des ASV Dachau auf eine vollwertige vegane Ernährung umgestellt haben, ergab im zwölfwöchigen Beobachtungszeitraum keine Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der jungen Sportler im Vergleich zum Studienstart. Am Ende der Saison war die Mannschaft in der Tabelle sogar weiter nach oben gerückt! Obwohl noch Forschungsbedarf besteht, ist also längst klar: Gut geplantes pflanzenbasiertes Essen lässt die Leistungsfähigkeit nicht sinken, und zwar weder im Kraft- noch im Ausdauersport.

MYTHOS 6:„FÜR KINDER IST REIN PFLANZLICHES ESSEN GEFÄHRLICH.“

Auch das ist eine beliebte Behauptung. In einem der Interviews, die ich regelmäßig gebe, erzählte die Journalistin von ihrem Besuch beim Kinderarzt mit ihrem Sohn einige Tage zuvor. Sie hatte den Arzt im Hinblick auf unser Gespräch gefragt, was er von „vegan für Kinder“ halte. „Rein gar nichts“, habe der sofort geantwortet, „das ist lebensgefährlich!“ Er habe schon einige mangelernährte Säuglinge und Kleinkinder in der Praxis gesehen, betonte der Arzt.

Doch so pauschal kann man das einfach nicht sagen. Zwar berichten ärztliche Fachzeitschriften immer wieder von vegan ernährten Kleinkindern, die schwere Gesundheitsstörungen aufweisen. Doch erstens sind das stets Einzelfallberichte, die nicht verallgemeinert werden können. Zweitens zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass diese Kinder eben nicht vollwertig pflanzlich ernährt wurden, wie wir es empfehlen. Einige erhielten extrem einseitig und schlecht zusammengestelltes veganes Essen. Teils war es sogar roh-vegan und das Kind bekam ausschließlich ungekochte (!) Linsen, Erbsen, Bohnen und Karotten zu essen – was für mich tatsächlich an Körperverletzung grenzt. Einem anderen Kind wurden praktisch alle Lebensmittel vorenthalten, die reichlich Kalzium liefern, also den unverzichtbaren Mineralstoff für die Knochenbildung. Wenn Kleinkinder massiv mit Vitamin B12 unterversorgt waren und auch schon klinische Mangelerscheinungen hatten, zeigte sich, dass die vegan lebende Mutter meist schon während der Schwangerschaft kein Vitamin B12 ergänzt hatte. Dann enthielt natürlich auch die Muttermilch viel zu wenig davon. Solches Verhalten ist absolut fahrlässig und sehr bedauerlich – aber gänzlich vermeidbar! Mein Team und ich haben daher eine vegane Lebensmittelpyramide für Kinder (siehe Literatur Seite 391) entwickelt, um Eltern zu unterstützen, die ihre Familie rein pflanzlich und vollwertig ernähren möchten.

Dass vegane Kinderernährung funktioniert, haben unsere beiden VeChi-Studien (Vegetarian and Vegan Children Studies) gezeigt. Die VeChi-Diet-Studie mit 430 Kleinkindern im Alter von ein bis drei Jahren überprüfte den Ernährungszustand sowie verschiedene Körpermaße von 139 vegan und 127 vegetarisch lebenden Kindern sowie von 164 Jungen und Mädchen, die Fleisch im Sinne einer Mischkost erhielten. Im Ergebnis zeigte sich: Zwischen den drei Ernährungsgruppen gab es keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf die durchschnittliche Körpergröße und das Gewicht. Die Kinder aller drei Gruppen waren im Schnitt altersgemäß entwickelt. Auch die VeChi-Youth-Studie mit rund 400 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren kam zu ähnlich positiven Ergebnissen.

In einigen Bereichen konnten die „Pflanzenkinder“ sogar besonders punkten. Bei ihnen war unter anderem die Zufuhr von Ballaststoffen und Kohlenhydraten höher als bei den Kindern der anderen beiden Gruppen. Die vegan ernährten Kinder aßen außerdem deutlich mehr Gemüse, Obst und gesunde Vollkornprodukte. Sie hatten auch eine bessere Zufuhr von lebenswichtigen Fettsäuren, von Kalium, Magnesium und sogar von Eisen. Auch bei Vitamin C, Folsäure und anderen Vitaminen sah es sehr gut aus. Positiv überrascht waren wir, dass die veganen Kinder mit der höchsten durchschnittlichen Vitamin-B12-Zufuhr punkteten: Die Eltern hatten ihrem Nachwuchs dieses Vitamin sehr gewissenhaft über Nahrungsergänzungsmittel gegeben. Dieses erfreuliche Ergebnis muss ich betonen, weil Vitamin B12 nur in tierischen Lebensmitteln in nennenswerten Mengen enthalten ist und deswegen bei rein pflanzlicher Ernährung als Präparat ergänzt werden muss.

Allerdings gab es, wie wir vorher bereits vermutet hatten, auch kritische Nährstoffe. Vor allem die Zufuhr von Kalzium und die Versorgung mit Vitamin D und Jod war bei den Kindern nicht optimal. Das betraf aber alle drei Ernährungsgruppen, wenngleich die veganen Kinder bei Kalzium und Jod noch mehr Nachholbedarf hatten als die vegetarischen und die Fleisch essenden Kinder.

Die Sorge, dass vegan essende Kinder automatisch blass, dünn und unterernährt sind, stimmt jedoch keineswegs, im Gegenteil: Sie sind meistens topfit! Dieses Wissen sollten auch Kinderärzte berücksichtigen.

MYTHOS 7:„WER SOJA ISST, KILLT DEN TROPISCHEN REGENWALD UND ISST GENTECHNIK.“

Ja, es stimmt: Der Anbau von Sojabohnen ist oft extrem umweltschädlich und die verantwortlichen Konzerne missachten vielfach die Menschenrechte. Für Sojabohnen werden in Erzeugerländern wie Brasilien und Argentinien riesige Waldflächen abgebrannt oder es wird wie in der brasilianischen Savanne Cerrado wertvoller Trockenwald in Ackerland umgewandelt. Dieses Vorgehen entzieht den dort lebenden Menschen ihre Nahrungsgrundlage. Der Anbau von Soja in Monokulturen erfordert außerdem einen hohen Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln, die die Böden schädigen, ins Grundwasser gelangen und die Trinkwasserqualität verschlechtern. Das alles ist gut belegt.

Doch es gilt zu unterscheiden: Nur etwa sechs Prozent der global erzeugten Sojabohnen kommen als Tofu, Bohne oder Sojasoße in den Kochtopf und auf den Teller, berichtete die Umweltschutzorganisation WWF in der Studie Sojaboom: Auswirkungen und Lösungswege aus dem Jahr 2014. Ein weiterer Teil ist Rohstoff für Kosmetika und Körperpflegemittel oder kommt als Biodiesel in den Tank. Drei Viertel der weltweiten Sojaproduktion jedoch landen als Futtermittel in den Trögen unserer Nutztiere, so die WWF-Studie.

Wer aber heute in Europa Tofu, Veggiewürstchen oder Sojaburger isst, verzehrt fast immer europäisches Soja, das vor allem in Rumänien, der Ukraine, in Frankreich, Italien, Österreich und zu einem kleinen Teil auch in Deutschland angebaut wird. Es kommt überwiegend aus ökologischer Landwirtschaft und wird somit ohne Brandrodung, Vertreibung indigener Völker, Pestizide und mineralische Düngemittel erzeugt. Einige einheimische Biohersteller von Tofu oder Sojadrinks setzen sogar ausschließlich auf deutsche Sojabohnen und weisen auf der Packung auch darauf hin. Wer Produkte aus Biosoja isst, schädigt also keineswegs die Umwelt. Diese Sojakonsumenten tragen vielmehr zum Umweltschutz bei, indem sie die heimische oder europäische Biolandwirtschaft unterstützen und sich außerdem gegen Gentechnik entscheiden. Denn für Bio werden nur Bohnen angebaut, die nicht gentechnisch verändert sind – anders als bei konventionellem Soja.

MYTHOS 8:„PFLANZLICHE ERNÄHRUNG SCHADET DER UMWELT: BEIM ANBAU VON MANDELN UND AVOCADOS WIRD IRRE VIEL WASSER VERGEUDET.“

Diese Behauptung wird sehr oft als Argument ins Feld geführt, sobald man sich als Pflanzenköstler outet. Tatsächlich lässt es sich auch nicht wegdiskutieren: Mit mehr als 16 000 Liter Wasser pro Kilo zählen Mandeln zu den größten Wasserschluckern. Grund ist, dass ein großer Teil der Weltproduktion in kalifornischen Monokulturen angebaut wird und wegen der Trockenheit intensiv bewässert werden muss. Durch die zunehmenden Dürren der letzten Jahre verstärkt sich so der Wassermangel in der Region. Auch Avocados schlucken viel Wasser, je Kilo Frucht sind es satte 2000 Liter.

Doch ich möchte auch das einordnen. Für den Anbau der meisten pflanzlichen Lebensmittel wird im Durchschnitt sehr viel weniger Wasser benötigt als für die Erzeugung tierischer Lebensmittel. Je Kilo Gemüse sind es rund 300 Liter, für Obst etwa 1000 Liter und für Getreide rund 1600 Liter Wasser. Je Kilo Käse müssen aber rund 5000 Liter, für Butter 5600 Liter, für Schweinefleisch rund 6000 Liter und für ein Kilo Rindfleisch sogar über 15 000 Liter Wasser aufgewendet werden. Der Unterschied zwischen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln liegt im Einsatzbereich: Während pflanzliche Lebensmittel „nur“ direkt Wasser brauchen, vervielfacht die Produktion tierischer Lebensmittel auf mehreren Ebenen den Wasseraufwand. Es wird vor allem für den Anbau der Futtermittel benötigt. Da aus einem Kilo Futter aber nicht ein Kilo Fleisch oder Käse werden, sondern sehr viel weniger (siehe Seite 160), ist die Erzeugung tierischer Lebensmittel so wasserintensiv. Zusätzlich schluckt auch die Verarbeitung der Rohwaren zu Fleisch, Wurst, Schinken und Milchprodukten einiges an Wasser. Es gibt also durchaus pflanzliche Lebensmittel, deren Anbau viel Wasser benötigt, doch im Vergleich zur Erzeugung tierischer Produkte sind die Mengen fast immer deutlich geringer.

MYTHOS 9:„FLEISCHALTERNATIVEN BESTEHEN FAST NUR AUS ZUSATZSTOFFEN UND AROMEN.“

Das ist ein häufiges Vorurteil, das schon fast automatisch genannt wird, wenn es um fleischfreie Salami und Sojawurst geht. Da wir wissen wollten, was genau in die Veggiewurst kommt, gingen mein Team und ich diesem Thema vor ein paar Jahren in einer Studie nach. Dabei nahmen wir 80 vegane und vegetarische Fleischalternativen sowie 27 klassische Fleischprodukte ins Visier, darunter biologisch und konventionell erzeugte Produkte. Im Fokus standen neben der Eiweißmenge und -qualität, dem Energie- und Fettgehalt, dem Gehalt an Zucker und Salz auch der Einsatz von Zusatzstoffen und Aromen.

Wir fanden heraus, dass die biologischen Fleischalternativen im Vergleich am besten abschnitten: Sie hatten einen etwas höheren Eiweißgehalt, weniger Kalorien und Fett und sogar deutlich weniger gesättigte Fettsäuren als „echte“ Fleischwaren. Auch wurden ihnen keinerlei Aromen zugesetzt. Die Bioprodukte kamen mit deutlich weniger Zusatzstoffen aus als die vergleichbaren konventionellen Produkte. Unsere Studie zeigte, dass biovegane und biovegetarische Produkte im Schnitt nur einen (!) Zusatzstoff pro Produkt enthielten, vergleichbar also mit Wurst aus echtem Fleisch. Konventionelle vegane Produkte hatten hingegen durchschnittlich zwei und konventionelle vegetarische Produkte 3,5 Zusatzstoffe pro Produkt. Das ist zwar deutlich mehr als bei den Bioprodukten, aber immer noch meilenweit von dem Vorurteil entfernt, dass sie vor Zusatzstoffen nur so strotzen. Pflanzliche Fleischalternativen benötigen keine langen Zusatzstofflisten, kann ich Ihnen versichern. Dabei müssen wir jedoch unterscheiden: Konventionelle Fleischalternativen machen eine deutlich schlechtere Figur als Bioprodukte.

MYTHOS 10:„PLANT-BASED IST KOMPLIZIERT.“

In den Presseinterviews, zu denen ich immer wieder eingeladen werde, ist oft die alltägliche Umsetzung und Praxis ein Thema. Es sei sehr schwierig, plant-based zu essen: Man müsse sich sehr gut auskennen, Vitaminpräparate schlucken und zudem regelmäßig zum Arzt gehen, zum Vitamincheck, um das Blut auf Nährstoffmängel untersuchen zu lassen. Das klingt tatsächlich kompliziert. Doch sollten wir uns nicht alle mit dem auseinandersetzen, was wir essen und trinken, egal, ob dies rein pflanzlich, vegetarisch oder mischköstlich ist? Wer sich mit Fleisch und Wurst ernährt, sollte auch nicht wahllos alles in sich hineinstopfen, sondern Abwechslung und Vielfalt im Blick haben – und damit meine ich nicht möglichst viele Wurstsorten! Auch müssen Veganer, abgesehen von Vitamin B 12, nicht mehr oder weniger Vitaminpräparate schlucken als Nichtveganer. Tatsächlich gibt es sogenannte kritische Nährstoffe, auf die bei veganer Ernährung besonders geachtet werden muss. Aber das ist gut machbar (siehe ab Seite 65)!

Dass Pflanzenkost besonders kompliziert und aufwendig sei, lässt sich also pauschal nicht bestätigen. Es kommt immer auf das Vorwissen und die eigene Lust an, in der Küche auch neue Dinge auszuprobieren. Schließlich erfordert jede Ernährungsform Kenntnisse und Umsicht in Bezug auf das, was täglich auf den Teller kommt.

MYTHOS 11:„WER VIEL PFLANZLICHES ISST, HAT STÄNDIG HUNGER. SALAT MACHT NICHT SATT.“

Woher dieser Mythos kommt, ist mir nicht ganz klar. Denn Pflanzenköstler essen nicht nur Salat und gedämpfte Möhrchen. Je nach Rezept kommen bei den Veggies jede Menge unterschiedliche Lebensmittel in den Topf und auf den Tisch – Vollkornprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse, Sonnenblumenkerne und andere Samen, Oliven-, Lein- und Walnussöl und natürlich viel Gemüse und Obst aller Art. Zwar sind die meisten pflanzlichen Lebensmittel längst nicht so gehaltvoll wie Käse und Wurst, fetter Fisch und Braten, trotzdem wird man von ihnen sehr gut satt: Gemüse wird schließlich nicht nur pur von der Hand in den Mund gegessen, sondern kreativ und vielfältig mit sättigenden Zutaten wie Vollkornreis, Olivenöl, Kokosmilch oder Cashewnüssen zubereitet. Außerdem liefern vor allem Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte, aber auch Obst und Gemüse reichlich Ballaststoffe. Die machen schön satt und sind außerdem richtig gut für die Verdauung. Hunger muss also niemand schieben, der vor allem Pflanzliches isst.

MYTHOS 12:„ALS VEGANER KANN MAN JA GAR NICHTS MEHR ESSEN.“

Das ist eine häufige Befürchtung, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Es ist zunächst ungewohnt und bedeutet eine Umstellung, wenn kein Fleisch, kein Käse, keine Wurst, kein Ei und auch kein Fisch gegessen wird. Doch die pflanzliche Küche ist enorm vielfältig und bunt. Kichererbsen, Linsen und Bohnen sind eine tolle Basis für Burger und Bratlinge. Reis, Nudeln und Quinoa schmecken lecker im Mix mit Gemüse aller Art. Aufs Brot gibt es köstliche Gemüseaufstriche und Linsenpasten, Pizzen werden mit knackigem Gemüse belegt und bekommen ein raffiniertes Pestotopping aus Basilikum oder Rucola mit Pinienkernen. Wer Anregungen sucht, findet in mehreren Hundert veganen Kochbüchern oder auch im Internet jede Menge tolle Rezepte mit ausschließlich pflanzlichen Zutaten. Einfach mal ausprobieren und genießen.

Veganerinnen und Veganer wollen Fleischessern das Steak madig machen und andere missionieren.

Es gibt sicher Veganer, die sehr wenig tolerant sind, und Fleischesser – oder sogar Vegetarier – als „Mörder“ und Ähnliches bezeichnen. Sie wollen ihre Mission von der fleischfreien Welt verbreiten und andere von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugen. Das ist meiner Ansicht nach völlig unnötig und wenig zielführend. Doch unangemessene oder sogar radikale Sprüche beobachte ich genauso seitens der „Fleischfanatiker“. Im Netz gibt es sogar Anti-Veganforen, in denen Menschen, die rein pflanzlich essen, von den „Fleischies“ richtig diffamiert werden. „Veganer essen meinem Essen [damit sind die Tiere gemeint] das Essen weg“ oder „Veganer sind Knalltüten, die allen Ernstes meinen, der Mensch könne ohne tierische Erzeugnisse leben.“

Diffamierung und Verunglimpfung sind aber die Ausnahme – auf beiden Seiten. Aus Studien wissen wir, dass Veganer nur selten „sehr negative Reaktionen“ in Bezug auf ihre Ernährungsweise erhalten. Das ergab beispielsweise eine Untersuchung mit Pflanzenköstlern, die das Bundesinstitut für Risikobewertung 2017 veröffentlichte. Etwa sieben Prozent der Veganer, die an der Studie teilnahmen, hatten im Kontext mit ihrer Ernährung klare Ablehnung erfahren. Mehr als die Hälfte der Befragten sagte hingegen, Familie und Freunde hätten „sehr“ oder „eher positiv“ auf ihr „Coming-out“ als Veganer reagiert. Das spricht eher für Toleranz seitens der nichtveganen Umwelt.

Meiner Erfahrung nach wollen die meisten Menschen, die plant-based oder rein pflanzlich essen, einfach in Ruhe gelassen werden, ihr Essen genießen und nicht bei jeder Gelegenheit diskutieren. Viele Veganer vermeiden es sogar komplett, die eigene Ernährung in Gegenwart anderer zum Thema zu machen. Denn erfahrungsgemäß beginnen Nichtveganer sonst gern Diskussionen darüber, ob es nicht ungesund, unökologisch, unsinnig und so weiter sei, gar keine tierischen Produkte zu essen. Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ihr eigener Fleischverzehr ja sowieso gaaanz niedrig sei …

WAS MENSCHEN DENKEN, WAS VEGANER*INNEN ESSEN:

WAS VEGANER*INNEN WIRKLICH ESSEN:

Ananas • Äpfel • Aprikosen • Artischocken • Avocados • Bagel* • Bananen • Bohnen • Brokkoli • Brownies* • Burger* • Burritos* • Cashewkerne • „Chicken“ Nuggets* • Cookies* • Croissants* • Donuts* • Erbsen • Erdbeeren • Frühlingsrollen* • Gemüse-Wraps* • Grapefruit • Grünkohl • Guacamole • Gurke • Haselnüsse• Himbeeren • Hotdogs* • Hummus • Karotten • Käse* • Käsekuchen* • Kartoffelecken* • Kartoffeln • Kartoffelpüree* • Kekse* • Kichererbsen • Kirschen • Lasagne* • Linsen • Mandarinen • Mandeln • Mangos • Maronen • Nudeln • Okraschoten • Orangen • Paella* • Pfirsiche • Pizza* • Pommes • Quinoa • Reis • Samosas* • Sandwiches* • Schnitzel* • Seitan • Sellerie • Soja-Drink • Spargel • Suppe* • Sushi* • Süßkartoffel • Tabouleh • Tacos* • Tempeh • Tempura • Tofu • Tomaten • Vegane Eiscreme • Veggie-Wraps •Vollkorngetreide • Walnüsse • Zitronen • vieles andere

*vegane Variante

Veganer*innen essen bunt (Quelle: Peta, erweitert).

KAPITEL 2

THE POWER OF PLANTSPFLANZLICH IST BESSER!

Vegetarische und vor allem rein pflanzliche Ernährung wurden lange Zeit belächelt. Über „Körnerfresser“ wurden Witze gerissen und auf Kongressen Experten zu alternativen Ernährungsweisen besonders kritisch beäugt. Doch das hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Inzwischen ist pflanzenbasiertes Essen mit nur wenigen oder ganz ohne tierische Lebensmittel fast schon Mainstream – weil es lecker und zugleich gesund ist und nachweislich unseren Planeten schützt. Lesen Sie in diesem Kapitel, welche Widerstände es seitens der Kritiker gab, wie es zum Wandel kam und wer die Vorreiter bei dieser wichtigen Wende in der Wissenschaft sind.

Mein erster Mensabesuch zu Beginn meines Studiums an der Universität Gießen im Herbst 1989 war ein kleiner Realitätsschock. Ich war schon seit ein paar Jahren Vegetarier und dachte, es sei in einem Studiengang wie Ernährungswissenschaften völlig selbstverständlich, vegetarisch zu essen. Doch in der Mittagspause strömten die anderen Erstis meiner Studieneinführungsgruppe mehrheitlich nicht zum vegetarischen Menü, sondern zur Essensausgabe mit der Currywurst! Wo war ich denn hier gelandet? Auch im Studium selbst lernten wir zunächst wenig über pflanzenbasiertes Essen. Vegetarisch war zwar okay, aber das (wissenschaftliche) Maß der Dinge war die klassische Mischkost, wie das Essen mit Fleisch, Fisch und Milchprodukten, Getreide, Kartoffeln, Gemüse und Obst unter Ernährungsfachleuten auch heißt.

Damals war das einfach so. Wer zum Arzt ging und sich als Vegetarier oder gar Veganer outete, wurde umgehend gewarnt: „Mach das ja nicht, sonst bekommst du Mangelerscheinungen.“ Auch in der Ernährungswissenschaft war die Mehrheit davon überzeugt, dass eine „ausgewogene“ Ernährung das Beste, also am gesündesten, sei. Apropos: „Ausgewogen“ steht ganz oben auf meiner persönlichen Top-Ten-Liste der nichtssagenden Begriffe. Eine Kost mit 50 Prozent Fleisch und 50 Prozent Weißbrot ist irgendwie auch „ausgewogen“, aber sicher nicht förderlich für die Gesundheit. Immerhin war es aber damals nicht mehr so, wie noch in den Jahren davor. Da ging man noch davon aus, dass eine Ernährung ohne Fleisch, Milch, Butter, Käse und Eier zwangsläufig krank machen müsse. Denn es fehlt ja das tierische Eiweiß, außerdem Eisen und Vitamin B12 – jenes Vitamin, das nur in Lebensmitteln tierischen Ursprungs enthalten ist. Doch diese Befürchtungen und Annahmen beruhten primär auf Vermutungen, Vorurteilen und Einzelfallberichten, sie waren nicht wissenschaftlich fundiert. Aus einem einfachen Grund: Es gab nur wenige Studien, die den Gesundheitszustand von Vegetariern, und sehr, sehr wenige, die reine Pflanzenköstler systematisch untersucht hatten.

„Fleischlose“ Wissenschaft ohne Ansehen

In den 1970er-Jahren hatten „alternative“ Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit vegetarischen und rein pflanzlichen Kostformen auseinandersetzten, in der klassischen Wissenschaft wenig Ansehen. Ja, ihnen wurden häufig Dogmatismus, unwissenschaftliches Arbeiten oder gar eine fehlgeleitete Weltanschauung vorgeworfen. Behauptet wurde auch gern, dass ihre Ansichten und Erkenntnisse, die in Büchern oder auf Veranstaltungen weitergegeben wurden, „nur zur Verunsicherung der Allgemeinheit beitragen“ würden.

Sicher gab es zu allen Zeiten auch selbst ernannte Experten, die mit Halbwissen tatsächlich zur Verwirrung beitrugen. Doch die Mehrheit der „alternativen“ Forscher war und ist an der Sache und vor allem den wissenschaftlichen Fakten interessiert. Abgesehen davon ist eine der grundlegenden und wichtigsten Eigenschaften von Wissenschaft, dass vermeintliche Wahrheiten immer wieder kritisch hinterfragt werden! Das gilt übrigens auch – und vielleicht ganz besonders – für eigene Forschungsergebnisse.

In der Ernährungswissenschaft war einer dieser Forscher der inzwischen emeritierte Prof. Claus Leitzmann von der Universität Gießen. Schon seit Anfang der 1980er-Jahre hatte er sich mit vegetarischer Ernährung und alternativen Ernährungsformen befasst. („Alternativ“ bedeutet übrigens „eine andere Möglichkeit“. Es ging also um Ernährungsweisen, die eine andere Möglichkeit als die übliche Mischkost darstellten.)

Unter seiner Leitung wurde eine der weltweit ersten Studien zur Gesundheit von Vegetariern, die Gießener Vegetarier-Studie, durchgeführt. Er war auch der Grund, warum ich unbedingt in Gießen studieren wollte. Besonders fasziniert hatte mich sein Seminar Ernährungsökologie, in dem wir über die Zusammenhänge und Wechselwirkungen der Ernährung mit dem einzelnen Menschen, der Umwelt, der Gesellschaft und der Wirtschaft diskutierten. Häufig wurden dort auch externe Fachleute als Referenten eingeladen, was zu einem enorm fruchtbaren Gedankenaustausch führte – nicht selten ging es in den Diskussionen hoch her! Dies hat mich in meinem eigenen späteren wissenschaftlichen Arbeiten und in meiner Haltung zur Ernährung sehr geprägt. Die aus den Erkenntnissen der Ernährungsökologie abgeleitete Kost ist die heute bekannte Gießener Konzeption der Vollwert-Ernährung, die auf vollwertigen und frisch zubereiteten, überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln basiert.

Vegane Ernährung ist Teil des Ernährungsberichts der DGE

Im Laufe der Zeit haben auch weitere Studien dazu beigetragen, dass vegetarisches und rein pflanzliches Essen heute einen ganz anderen Stellenwert hat als früher. Möglicherweise wurden einzelne dieser Untersuchungen noch mit dem Ziel durchgeführt, zu zeigen, dass eine pflanzliche Ernährung zu Mangelerscheinungen führen müsse. Entsprechend befassten sich die Studien aus den 1970er- und 1980er-Jahren primär mit Engpässen bei der Nährstoffversorgung und den Risiken pflanzenbasierter Kostformen. Doch bald wandelte sich das Bild. In den Untersuchungen kam nicht nur heraus, dass eine gut umgesetzte Pflanzenkost keine grundsätzlichen gesundheitlichen Risiken birgt, sondern im Gegenteil sogar ein großes gesundheitliches Potenzial aufweist. Aspekte der Prävention und der Therapie, also der Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten durch pflanzenbasierte Ernährung rückten in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses.

Seit den frühen 2000er-Jahren war plant-based dann ein regelmäßiges Thema auf wissenschaftlichen Kongressen von Ärzten und Ernährungswissenschaftlern. Immer neue Studien lieferten Erkenntnisse zum gesundheitlichen Potenzial pflanzenbasierter Ernährung. Die Studienlage ist zwar noch immer lückenhaft, aber viel besser als in den Anfängen. Im aktuellen Ernährungsbericht 2020 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der wie immer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegeben wurde, habe ich zusammen mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen auf über 60 Seiten sogar über unsere Studienergebnisse zur vegetarischen und veganen Ernährung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, der VeChi-Youth-Studie, berichtet. Das war ein thematisches Novum und zeigt, wie sich die Zeiten und Haltungen geändert haben. Der Ernährungsbericht ist ein dickes Buch, das alle vier Jahre erscheint und über die Ernährungssituation in Deutschland informiert. Ernährungsverhalten, Nährstoffversorgung und spezielle aktuelle Themen zur Ernährung in Deutschland werden auch mit eigens in Auftrag gegebenen Studien dargestellt und analysiert. Dieser Bericht hat also Gewicht – ganz besonders unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Da fällt mir noch eine weitere, wenn auch späte, Genugtuung ein. Mit Grauen erinnere ich mich daran, dass mir mein Mentor Prof. Claus Leitzmann einmal in einer stillen Stunde berichtete, wie ihm damals in den 1970ern und 1980ern der Wind seitens der Kollegenschaft ins Gesicht blies – nur weil er sich für vegetarische Ernährung einsetzte. Von persönlichen Angriffen im Sitzungssaal der ernährungswissenschaftlichen Fakultät bis hin zu öffentlichen Anfeindungen reichte das Repertoire. Doch er ließ sich trotz allem nicht unterkriegen und forschte beharrlich weiter. Immer wieder hörte ich von ihm in Vorlesungen und Vorträgen das bekannte Zitat von Mahatma Gandhi: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ Auch Leitzmann sollte recht behalten und recht bekommen, denn heute ist eine pflanzenbasierte Ernährung nicht nur en vogue, sondern gilt als alternativlos, um die Gesundheit der Menschen und die des gesamten Planeten für die Zukunft zu sichern (siehe Seite 153). Im Jahr 2013 wurde Leitzmann übrigens in die Liste der Living Legends, der lebenden Legenden, der International Union of Nutritional Sciences aufgenommen. Diese Ehrung erhalten Persönlichkeiten, die sich um die Ernährungswissenschaft verdient gemacht haben und über 80 Jahre alt sind. Wer hätte es mehr verdient als er!

Bei Studien zählt die Qualität

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einige Anmerkungen zu wissenschaftlichen Studien machen und dazu, welche Erkenntnisse man daraus gewinnen kann – und welche nicht. Immer wieder geistern sensationelle Studienergebnisse durch die Medien wie „Vegetarier seltener herzkrank“ oder „Veganer erleiden viel häufiger Knochenbrüche“. Zu meinen Lieblingsmeldungen aber zählen „Currywurst gegen das Vergessen“ (hier ging es um den Schutz vor Alzheimer bei Spiegel online) und „Bier hemmt Brustkrebs“ (ebenfalls bei Spiegel online). Das Leben kann doch so einfach sein!

Selbst wenn manche dieser Aussagen zumindest im Kern zutreffen: Meistens erfährt man nicht so genau, was für eine Art von Studie zu welchem Ergebnis genau geführt hat und vor allem, welche Qualität sie hatte. Die Aussagekraft einer Studie ist aber sehr wichtig, um wissenschaftliche Ergebnisse einzuordnen. In der Wissenschaft wird dies auch Evidenz genannt. Es ist der empirisch erbrachte (wörtlich: auf Erfahrung und/oder Beobachtung beruhende) Beweis, dass beispielsweise eine Ernährungsveränderung eine bestimmte Wirkung hat (oder auch ein Medikament in der Medizin). Um zu einer Einschätzung zu kommen, wie aussagekräftig die Ergebnisse sind, werden die Studien verschiedenen Evidenzleveln zugeordnet. Mir ist es wichtig, die Theorie hinter den Studien zu erklären, weil man erst dadurch besser einschätzen kann, welche Daten in Bezug auf Essen und Gesundheit gesichert sind und welche (noch) nicht.

Die geringste Qualität oder Evidenz in der Ernährungsforschung haben Fallstudien, Expertenberichte oder Erfahrungen anerkannter Autoritäten (hier sprechen Wissenschaftler augenzwinkernd auch von „eminenzbasiert“ statt „evidenzbasiert“). Es werden also nur Einzelfälle, die Erfahrungen kleinerer Gruppen oder gar von einzelnen Experten beschrieben.

Eine höhere Evidenz haben sogenannte epidemiologische Studien, denn hier werden (unterschiedlich große) Gruppen von Menschen untersucht. Diese Studien wollen vor allem prüfen, ob zwei (oder mehr) Faktoren miteinander gekoppelt sind. Ob also beispielsweise der höhere Verzehr von Gemüse mit weniger Übergewicht einhergeht. Es wird demnach eine Korrelation, ein Zusammenhang, zwischen zwei Aspekten hergestellt. Selbst wenn nun Gemüseesser schlanker als Gemüsemuffel sind, ist das aber noch kein Beweis dafür, dass sie wegen des Gemüsekonsums schlanker sind. Die Wirkung könnte auch daher kommen, dass die Gemüseesser viel mehr Sport treiben als die Kontrollgruppe, die kein Gemüse mag. Oder daher, dass sie durchschnittlich zehn Jahre jünger sind. Wir haben also zunächst eine Korrelation, aber (noch) keine Kausalität, also keinen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Um nun der Wahrheit möglichst nahe zu kommen, werden die sogenannten Störfaktoren – alle Umstände und Verhaltensweisen, die auch zu schlanker Taille führen könnten – statistisch herausgerechnet. Wir vergleichen auf diese Weise, vereinfacht gesagt, nur die Gemüseesser und Gemüsemuffel miteinander, die gleich alt sind, ähnlich viel Sport treiben und gleich viel (oder wenig) Alkohol trinken. In der Fachsprache nennt man das adjustieren. Wenn wir also herausfinden wollen, ob Veganer seltener an Bluthochdruck erkranken als Fleischesser, müssen wir möglichst viele bzw. alle bekannten Störfaktoren berücksichtigen. Bleibt am Schluss dann immer noch ein geringeres Risiko bei den Pflanzenessern, dann liegt das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich an der Ernährung. Doch woran genau, ist dann schon die nächste Frage …

Sie sehen, es ist schon bis zu diesem Punkt nicht so ganz einfach mit den Studien. Doch die Sache wird noch komplexer, denn es gibt bei den epidemiologischen Studien verschiedene Arten. Da gibt es beispielsweise die retrospektiven Studien. Sie untersuchen rückblickend (retrospektiv), ob sich das Verhalten und die Gewohnheiten von Menschen in der Vergangenheit auf ihre heutige Gesundheit ausgewirkt haben. Oft wird das in sogenannten Fall-Kontroll-Studien durchgeführt. Es wird also beispielsweise geprüft, ob heute an Brustkrebs erkrankte Frauen (das sind im Fachjargon die „Fälle“) in der Vergangenheit mehr Fleisch gegessen haben als heute nicht an Brustkrebs erkrankte Frauen (das sind die „Kontrollen“). Doch der tatsächliche Zusammenhang von Ursache und Wirkung ist damit nur schwer zu beurteilen. Vor allem werden die Ergebnisse auch dadurch beeinträchtigt, dass sich die Probandinnen erinnern müssen, was sie vor langer Zeit – teilweise vor Jahrzehnten – gegessen haben. Ich muss gestehen, dass ich schon nicht mehr genau weiß, was ich letzte Woche am Mittwoch gegessen habe. Dieses Studiendesign ist also fehleranfällig.

Querschnittstudien bewerten das Ernährungsverhalten und den Gesundheitszustand einer oder mehrerer Probandengruppen zu einem bestimmten Zeitpunkt. So kann beispielsweise die Frage geklärt werden, ob Vegetarier bessere Cholesterinwerte haben als Mischkostesser und mit welchen der gegessenen Lebensmitteln das zusammenhängen könnte. Allerdings ist das Ergebnis „nur“ eine Momentaufnahme, die in einem Monat schon wieder anders aussehen könnte. Auch hier können die Ergebnisse keine direkte Auskunft über Ursache und Wirkung geben.

Die aussagekräftigste unter den epidemiologischen Studien ist die prospektive (vorausschauende, auf die Zukunft gerichtete) Kohortenstudie, eine Langzeitstudie. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden beispielsweise nach ihrer Ernährungsform in Gruppen eingeteilt und es wird erfasst, welche Krankheiten im Laufe der Zeit bei welcher Kostform wie häufig auftreten. Also beispielsweise die Frage, ob Vegetarier seltener einen Herzinfarkt erleiden als Fleischesser. Zu Beginn der Studie dürfen die Probanden noch keine der Krankheiten haben, die untersucht werden. Wie bei allen epidemiologischen Studien – zumindest bei den gut gemachten – werden im Zuge der Auswertungen wiederum möglichst viele Störfaktoren herausgerechnet und dadurch die Aussagekraft erhöht. Um zu belastbaren Ergebnissen zu kommen, ist eine hohe Teilnehmerzahl nötig (meist mehrere Zehntausend oder noch besser mehrere Hunderttausend Menschen) und ein möglichst langer Beobachtungszeitraum, gern 20 Jahre und mehr. Sie können sich sicher vorstellen, dass diese Studien dadurch sehr teuer sind. Beispiele für prospektive Kohortenstudien zum Thema pflanzenbasierte Ernährung und Gesundheit sind die Adventist Health Study 2 und die EPIC-Oxford-Studie, von denen noch häufiger die Rede sein wird (siehe Seite 49).

Eine noch höhere Aussagekraft haben randomisierte kontrollierte Interventionsstudien. Hier wird beispielsweise untersucht, inwiefern sich bestimmte Lebensmittel oder eine komplette Essensumstellung auf die Gesundheit oder auf bereits bestehende Krankheiten auswirken. Es kann also eine konkrete Aussage darüber getroffen werden, ob und in welchem Ausmaß sich etwa die Änderung der Ernährung von einer üblichen fleischlastigen Kost auf rein pflanzliches Essen auf das Risiko für einen (erneuten) Herzinfarkt auswirkt. Dabei ändern die Teilnehmer der Interventionsgruppe ihre Ernährung und die der Kontrollgruppe essen weiter wie bisher. Manchmal werden auch zwei Ernährungsumstellungen, zum Beispiel vegan versus Low Carb, miteinander verglichen. Die randomisierte kontrollierte Interventionsstudie gilt als der Goldstandard unter den Ernährungsstudien. Die Teilnehmer dürfen sich ihre Gruppe nicht aussuchen, sondern werden nach dem Zufallsprinzip einer der beiden Testgruppen zugeordnet (randomisiert). Dadurch lassen sich Störfaktoren (wie z. B. der Anteil von Rauchern) und Unterschiede in der Alters- und Geschlechterverteilung meist gleichmäßig auf die Gruppen verteilen. Dieser Studientyp eignet sich am besten dafür, Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in der Ernährungsforschung herzustellen. Allerdings sind auch diese Studien teuer. Zudem kann es schwierig sein, genügend Teilnehmer zu finden oder die Teilnehmer der Kontrollgruppe zu motivieren, weil sie ja „nur“ als Vergleichsgruppe dabei sind. Zu viele Studienabbrecher schmälern dann die Aussagekraft der Ergebnisse.

Außerdem gibt es noch die Metaanalysen. Dabei werden mehrere bereits durchgeführte (kleinere oder größere) Studien mit derselben Fragestellung kombiniert und die Daten so ausgewertet, als würde es sich um nur eine Studie handeln. Anders als einzelne Studien haben die gebündelten Ergebnisse eine deutlich höhere Aussagekraft, zumal Studien höherer Qualität mehr Gewicht erhalten als Studien von geringerer Qualität. Unterschiedliche bzw. widersprüchliche Ergebnisse aus den verschiedenen Studien können relativiert werden, weil alle Studien in einer Art Gesamtschau statistisch ausgewertet werden. Allerdings hängt die Qualität der Metaanalysen natürlich davon ab, wie gut die Einzelstudien sind. Metaanalysen von Kohortenstudien haben schon eine sehr hohe Evidenz, aber die Königsklasse stellen Metaanalysen von randomisierten kontrollierten Interventionsstudien dar.

Fazit: Es ist enorm wichtig, sich die Gesamtheit der Studienlage anzuschauen und vor allem auch auf die Qualität der Studien zu achten. Einzelne Studien können durchaus interessant sein, sind aber allein wenig aussagekräftig. Wenn viele Studien zu den gleichen oder zumindest ähnlichen Ergebnissen kommen, dann nähern wir uns der Wirklichkeit immer weiter an.

Übrigens schützt Currywurst nicht vor Alzheimer – da gingen mit dem Journalisten leider die Pferde durch. Tatsächlich ging es um Curcumin, das gelbe Farbpigment im Currypulver, das ja eine Zutat der Sauce zur Currywurst ist. Im Reagenzglas (!) und im Gehirn von Mäusen (!!) verringerte Curcumin die Ansammlung bestimmter Eiweißfragmente. Ob das irgendeine Relevanz für die menschliche Gesundheit hat, ist allerdings völlig unklar.

Die großen Veggiestudien

Wie gesund sind Vegetarier und wie fit Menschen, die rein pflanzlich essen? Wie hoch oder niedrig ist ihr Risiko für verschiedene Wohlstandskrankheiten? Wie steht es um die Nährstoffversorgung von all jenen, die komplett oder häufig Lebensmittel von Tieren weglassen? Fragen über Fragen, um die es in diesem Buch immer wieder gehen wird und auf die ich Antworten geben möchte.

Bei der Beantwortung muss ich selbstverständlich wissenschaftlich korrekt vorgehen. Daher beziehe ich mich bei all meinen Aussagen auf die Vielzahl von Studien, die ich gelesen und mithilfe meines Teams ausgewertet habe. Eine Abfrage der biomedizinischen Literaturdatenbank PubMed für die Suchbegriffe „vegetarian“ und „vegan“ im Titel oder in der Kurzfassung der Publikation ergibt aktuell rund 4300 Treffer. Das sind also Studien, die sich explizit mit vegetarischer und/oder veganer Ernährung befasst haben. Das ist zwar im Vergleich zu anderen ernährungsmedizinischen Themen immer noch überschaubar, aber die Anzahl der Studien hat gerade in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. Zwei besonders wichtige (und große!) Studien, die den Fokus auf vegetarische und vegane Ernährung legen und die uns immer wieder spannende neue Forschungsergebnisse liefern, möchte ich hier genauer vorstellen, denn von ihnen wird im Buch noch öfter die Rede sein.

Die Adventist Health Study 2, kurz AHS-2, ist eine US-amerikanische Langzeitstudie, die vor rund 20 Jahren begonnen wurde, genau war es im Jahr 2002. Mit mehr als 96 000 Teilnehmenden ist sie die größte Veggiestudie weltweit. Alle Probandinnen und Probanden gehören der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten an, einer christlichen Glaubensgemeinschaft, die aus religiösen Gründen angehalten ist, besonders gesund zu leben. Viele ihrer Mitglieder ernähren sich vegetarisch oder rein pflanzlich, die meisten rauchen nicht und trinken keinen Alkohol. Sie leben also relativ gesund. Das hat aus wissenschaftlicher Sicht den Vorteil, dass es sich bei den Teilnehmern um eine sehr einheitliche Gruppe handelt, und zwar auch was den Konsum von Genussmitteln und die Lebensführung insgesamt betrifft. Diese sogenannten Störfaktoren, die neben der Ernährung unsere Gesundheit beeinflussen, sind also in der gesamten Studiengruppe relativ ähnlich. Somit eignet sich die Studie besonders gut dazu, die Auswirkungen verschiedener Ernährungsformen auf die Gesundheit zu untersuchen.

Die teilnehmenden Adventisten wurden hier in fünf Gruppen eingeteilt: Fleischesser, Selten-Fleischesser, Fischesser, Lakto-Ovo-Vegetarier (siehe Seite 54) und Veganer. Die Fleischesser dienen als sogenannte Kontrollgruppe, eine Gruppe also, mit der die anderen Gruppen in Bezug auf das Risiko für verschiedene Krankheiten verglichen werden. Das Besondere der AHS-2 ist, dass sie Gesundheitsdaten einer relativ großen Gruppe von Veganern liefert, nämlich über 7000. Ein Ergebnis ist, so viel will ich schon verraten, dass Veganer ein um 50 Prozent verringertes Risiko für Diabetes Typ 2 und für Bluthochdruck haben – zwei der verbreitetsten Wohlstandskrankheiten weltweit überhaupt.

Schon seit 1993 läuft die EPIC-Oxford-Studie in Großbritannien, die vom Studienzentrum an der Universität Oxford geleitet wird. Sie ist Teil der größeren EPIC-Studie (die Abkürzung steht für European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition, auf Deutsch: Prospektive europäische Studie über Zusammenhänge zwischen Krebs und Ernährung), die mehr als 500 000 Teilnehmer in zehn europäischen Ländern umfasst. An der EPIC-Oxford-Studie