Ohne Blut - Alessandro Baricco - E-Book

Ohne Blut E-Book

Alessandro Baricco

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Beschreibung

Auf einem einsamen Bauernhof übt eine Gruppe von Männern grausame Rache. Sie töten einen Mann, der im Krieg Schreckliches getan hat. Wie nebenbei erwischt es auch den Sohn, nur die Tochter überlebt. Zwar wird die kleine Nina von einem der Mörder entdeckt, doch er verrät sie nicht. Jahrzehnte später steht sie wieder vor ihm. Der Mann fürchtet, dass ihn sein Schicksal nun einholen wird, denn die Mittäter von damals starben allesamt eines unnatürlichen Todes. Oder gibt es eine Chance, den Bann aus Rache und Tod zu durchbrechen?

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Seitenzahl: 83

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Alessandro Baricco

Ohne Blut

Roman

Aus dem Italienischen von Anja Nattefort

Atlantik

Vorbemerkung

Die Ereignisse und die Personen in dieser Geschichte sind fiktiv und haben keinerlei Bezug zu einer realen Situation. Die Entscheidung für die vielen hispanischen Namen basiert lediglich auf klanglichen Gründen und soll das Erzählte weder zeitlich noch geographisch einordnen.

Eins

Der alte Bauernhof Mato Rujo lag dunkel in der Landschaft, hob sich schwarz ab vor dem Licht des Abends. Der einzige Fleck auf dem verlassenen Profil der Ebene.

Die vier Männer kamen in einem alten Mercedes. Die Straße war holprig und ausgetrocknet – eine armselige Landstraße. Aus dem Bauernhaus sah Manuel Roca die Männer kommen.

Er trat an das Fenster. Erst sah er die Staubsäule über dem Mais aufsteigen. Dann hörte er das Geräusch des Motors. In dieser Gegend hatte keiner mehr ein Auto. Manuel Roca wusste das. Der Mercedes tauchte in der Ferne auf und verschwand wieder hinter einer Reihe von Eichen. Dann sah Manuel Roca nicht mehr hin.

Er ging zurück zum Tisch und strich seiner Tochter über den Kopf. Steh auf, sagte er zu ihr. Er nahm einen Schlüssel aus der Tasche, legte ihn auf den Tisch und nickte seinem Sohn zu. Sofort, sagte der Sohn. Sie waren Kinder, zwei Kinder.

An der Kreuzung am Bach bog der Mercedes nicht in die Straße zum Bauernhof ein, sondern fuhr Richtung Alvarez, als wollte er sich entfernen. Die vier Männer schwiegen. Der Mann am Steuer trug eine Art Uniform. Der, der vorne neben ihm saß, trug einen cremefarbenen Anzug. Frisch gebügelt. Er rauchte eine französische Zigarette. Fahr langsamer, sagte er.

Manuel Roca hörte, dass sich das Motorengeräusch in Richtung Alvarez entfernte. Wen wollen sie damit zum Narren halten?, dachte er. Er sah seinen Sohn ins Zimmer zurückkommen, mit einem Gewehr in der Hand und einem anderen unter dem Arm. Leg sie dorthin, sagte er. Dann wandte er sich seiner Tochter zu. Komm, Nina. Hab keine Angst. Komm her.

Der elegant gekleidete Mann drückte die Zigarette auf dem Armaturenbrett des Mercedes aus, dann ließ er den, der fuhr, anhalten. Hier ist gut, sagte er. Und stell diesen Krach ab. Das Geräusch der Handbremse ertönte, wie eine Kette, die in einen Brunnen fällt. Dann nichts mehr. Die Landschaft schien von einer unheilbaren Stille verschluckt.

Wir wären besser gleich zu ihm gefahren, sagte einer der beiden, die hinten saßen. Jetzt hat er genügend Zeit abzuhauen, sagte er. In der Hand hielt er eine Pistole. Er war noch ein Junge. Sie nannten ihn Tito.

Er haut nicht ab, sagte der elegant gekleidete Mann. Davon hat er die Schnauze voll. Gehen wir.

Manuel Roca schob die mit Obst gefüllten Körbe beiseite, bückte sich, öffnete eine versteckte Falltür und warf einen Blick hinunter. Es war kaum mehr als eine große, in die Erde gegrabene Mulde. Es sah aus wie die Höhle eines Tiers.

»Hör zu, Nina. Gleich kommen Leute, und ich möchte nicht, dass sie dich sehen. Du musst dich hier drin verstecken, am besten versteckst du dich hier und wartest, bis sie wieder weg sind. Hast du mich verstanden?«

»Ja.«

»Du musst hier unten bleiben und ganz leise sein.«

»…«

»Was auch geschieht, du darfst nicht herauskommen, dich nicht rühren, du musst leise sein und warten.«

»…«

»Alles wird gut.«

»Ja.«

»Hör zu. Vielleicht muss ich mit diesen Herren fortgehen. Du kommst nicht eher raus, bis dein Bruder dich holt, verstanden? Oder bis du hörst, dass niemand mehr da ist und alles vorbei ist.«

»Ja.«

»Du musst warten, bis niemand mehr da ist.«

»…«

»Keine Angst, Nina, dir kann nichts passieren. In Ordnung?«

»Ja.«

»Gib mir einen Kuss.«

Das Mädchen berührte mit den Lippen die Stirn ihres Vaters. Der Vater fuhr ihr mit der Hand durch das Haar.

»Alles wird gut, Nina.«

Er stand da, als müsste er noch etwas sagen oder tun.

»Das habe ich nicht gewollt«, sagte er.

»Denk immer daran, dass ich das nicht gewollt habe.«

Das Mädchen suchte in den Augen des Vaters instinktiv etwas, das ihr helfen würde zu verstehen. Sie sah nichts. Der Vater beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie auf die Lippen.

»Komm, Nina. Jetzt klettere hinein.«

Das Mädchen ließ sich in die Mulde fallen. Die Erde war hart, trocken. Sie legte sich hin.

»Warte, nimm die hier.«

Der Vater reichte ihr eine Decke. Sie breitete sie auf der Erde aus, dann legte sie sich wieder hin.

Sie hörte den Vater etwas zu ihr sagen, dann senkte sich die Falltür. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Durch die Bodendielen sickerten Lichtstrahlen. Sie hörte die Stimme ihres Vaters, der immer noch redete. Sie hörte das Geräusch der Obstkörbe, die über den Boden geschleift wurden. Es wurde dunkler dort unten. Ihr Vater fragte sie etwas. Sie antwortete. Sie hatte sich auf der Seite ausgestreckt. Mit angewinkelten Beinen lag sie da, zusammengekauert wie in ihrem Bett, als müsste sie nur noch einschlafen und träumen. Sie hörte ihren Vater wieder etwas zu ihr sagen, liebevoll, über den Fußboden gebeugt. Dann hörte sie einen Schuss und das Geräusch eines Fensters, das in tausend Stücke ging.

»ROCA! … KOMM RAUS, ROCA … MACH KEINEN UNSINN UND KOMM RAUS.«

Manuel Roca sah seinen Sohn an. Er kroch zu ihm, immer darauf achtend, in Deckung zu bleiben. Er streckte sich nach dem Gewehr auf dem Tisch.

»Mach, dass du hier wegkommst. Versteck dich im Holzschuppen. Komm nicht raus, mach dich nicht bemerkbar, mach gar nichts. Nimm das Gewehr mit, und sorg dafür, dass es geladen ist.«

Der Junge starrte ihn an, ohne sich zu rühren.

»Geh schon. Tu, was ich dir sage.«

Doch der Junge machte einen Schritt auf ihn zu.

Nina hörte einen Kugelhagel oben durch das Haus fegen. Glassplitter und Staub rieselten durch die Bodenritzen. Sie rührte sich nicht. Draußen hörte sie eine Stimme brüllen.

»ALSO, ROCA. MÜSSEN WIR DICH HOLEN KOMMEN …? ICH REDE MIT DIR, ROCA. MUSS ICH DICH HOLEN KOMMEN?«

Der Junge stand immer noch da, ohne Deckung. Er hatte sein Gewehr genommen, doch er richtete es auf den Boden. Er hielt es in einer Hand und ließ es hin- und herbaumeln.

»Weg da«, sagte der Vater. »Hörst du nicht? Du sollst da weggehen.«

Der Junge kam auf ihn zu. Er dachte daran, sich hinzuknien und von seinem Vater umarmen zu lassen. So etwas in der Art stellte er sich vor.

Der Vater zielte mit dem Gewehr auf ihn. Er sprach mit leiser, aber zorniger Stimme.

»Hau ab, oder ich bringe dich eigenhändig um.«

Nina hörte wieder diese Stimme.

»LETZTE WARNUNG, ROCA.«

Ein Feuerstoß tobte durch das Haus, vor und zurück wie ein Pendel, es schien gar nicht zu enden, vor und zurück wie der Lichtkegel eines Leuchtturms auf dem Bitumen des schwarzen, geduldigen Meers.

Nina schloss die Augen. Sie legte sich flach auf die Decke, kauerte sich dann noch mehr zusammen und zog die Knie an die Brust. Es gefiel ihr, so dazuliegen. Sie spürte die kühle Erde unter ihrer Hüfte, die sie schützte – sie würde sie nicht verraten. Und sie spürte ihren eigenen gekrümmten Körper, eingerollt wie eine Muschel – das gefiel ihr –, sie war Schale und Tier, ihr eigener Unterschlupf, alles, sie war sich selbst alles, nichts konnte ihr etwas anhaben, solange sie in dieser Position verharrte – sie schlug die Augen wieder auf und dachte: Nicht bewegen, du bist glücklich.

Manuel Roca sah seinen Sohn durch die Tür verschwinden. Dann richtete er sich gerade so viel auf, dass er einen Blick aus dem Fenster werfen konnte. Gut, dachte er. Er wechselte zu dem anderen Fenster, stand auf, zielte kurz und schoss.

Der Mann in dem cremefarbenen Anzug warf sich fluchend auf den Boden. So ein Hurensohn, sagte er. Er schüttelte den Kopf. So ein Arschloch. Er hörte noch zwei Schüsse aus dem Bauernhaus. Dann hörte er die Stimme von Manuel Roca.

»DU KANNST MICH MAL, SALINAS.«

Der Mann in dem cremefarbenen Anzug spuckte auf den Boden. Du mich auch, Hurensohn, sagte er. Er blickte nach rechts und sah El Gurre grinsen, der sich hinter einem Holzstapel versteckte. Er bedeutete ihm zu schießen. El Gurre grinste immer noch. In der Rechten hielt er die Maschinenpistole, mit der Linken kramte er in seiner Tasche nach einer Zigarette. Er schien es nicht eilig zu haben. Er war klein und mager, auf dem Kopf trug er einen dreckigen Hut und an den Füßen zwei riesige Bergstiefel. Er sah Salinas an. Er fand die Zigarette. Er steckte sie sich zwischen die Lippen. Alle nannten ihn El Gurre. Er stand auf und begann zu schießen.

Nina hörte den Feuerstoß durch das Haus oben fegen. Dann Stille. Und gleich darauf noch eine längere Salve. Ihre Augen waren geöffnet. Sie betrachtete die Bodenritzen. Sie betrachtete das Licht, den Staub, der von dort kam. Ein paar Mal sah sie einen Schatten vorbeihuschen, das war ihr Vater.

Salinas kroch zu El Gurre hinter den Holzstapel.

»Wie lange braucht Tito, um hineinzukommen?«

El Gurre zuckte mit den Schultern. Er grinste immer noch. Salinas sah zu dem Bauernhaus.

»Von dieser Seite kommen wir nie rein, wenn er es nicht schafft, sitzen wir in der Scheiße.«

El Gurre zündete die Zigarette an. Dann sagte er, das sei ein aufgewecktes Kerlchen, er würde es schaffen. Er sagte, er könne kriechen wie eine Schlange, man müsse ihm vertrauen.

Dann sagte er: Jetzt machen wir mal ein bisschen Krach.

Manuel Roca sah El Gurre hinter dem Holzstoß auftauchen und warf sich auf den Boden. Der Feuerstoß war lang und präzise. Ich muss hier weg, dachte er. Die Munition. Erst die Munition, dann in die Küche kriechen und von dort über die Felder. Ob sie hinter dem Haus auch jemanden stehen haben? El Gurre ist nicht blöd, hinten wird auch jemand stehen. Aber von da schießt keiner. Wenn da jemand wäre, würde