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Nach sechs Jahren weiß doch jeder, wie der Beziehungshase läuft. Oder? Sind die Rollen im Gewohnheitsmodus festgefahren? Wer sitzt dann am Steuer? Wie Früchte werden Szenen vom Baum einer toxischen Beziehung gepflückt und im Anschluss detailgetreu analysiert. Für Elsa wird die Luft unter Tonis Dach immer dünner. Sie verliert sich im täglichen Marathon, seinen ständig wechselnden Anforderungen gerecht zu werden. Der Ausweg scheint plötzlich zum Greifen nahe. Wird Elsa die Chance nutzen?
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ohne Mich!
Die Leere vom narzisstischen Partner
Kerstin Dresing
©2025 Kerstin Dresing
Kerstin Dresing Bayernstr. 1 A-5411 Oberalm [email protected]
Lektorat/Korrektorat: Frauke Hansen, Manuskriptliebe Umschlaggestaltung/Buchsatzatz: ©Catrin Sommer, rauschgold coverdesign rausch-gold.com
Alle Rechte vorbehalten.
Über die AUTORIN
Kerstin Dresing, 1958 in Deutschland geboren, lebt seit vierzig Jahren in Salzburg. Sie veröffentlicht seit vielen Jahren Kurzgeschichten in Anthologien nach dem Motto:
Wer mit Worten fesselt, macht sich nicht strafbar.
In ihren Romanen
• Fadenscheinig – Liebe im Fokus
• Kaleidoskop – Liebe in Bewegung
beleuchtet sie das Phänomen toxischer Beziehungen im gelebten Alltag der Protagonisten, bis hin zu Narzissmus und Stalking.
Inhalt
Einführung
Willkommen
1 Ene mene muh, drauß bist du!
Analyse zu 1- Der Spielverderber
2 Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem Narzissten zu
Analyse zu 2- Der Anspruchsdenker und eigene Wahrheiten
3 Aber sonst geht’s dir gut?
Analyse zu 3 - Gaslighting oder Manipulation für Fortgeschrittene
4 Ich und du, Müllers Kuh, Müllers Esel ist wer?
Analyse zu 4Die Co-Narzisstin
5 Mein, ist dein ganzes Herz
Analyse zu 5 - Der Unverträgliche
6 Zickzack ist auch ein Kurs
Analyse zu 6 - Der Eiertanz on-off
7 Reden ist Silber, Schweigen ist Strafe
Analyse zu 7 - Der Schweigsame
8 Donna Quijota und der Kampf gegen Windmühlen
Analyse zu 8 - Hoovering: Vergessen Sie herkömmliche Staubsauger!
9 Ich fühle was, was du nicht siehst
Analyse zu 9 - Kognitive Dissonanz
10 Lesen Sie dasKleingedruckte
Analyse zu 10 - Der Übergriffige
11 Wer fürchtet sich vorm eigenen Mann?
Analyse zu 11 - Dummheit schützt vor Strafe nicht
12 Die Messe ist gelesen
Analyse zu 12 - Der Nägel-mit-Köpfen-Macher
13 Think outside the box
Analyse zu 13Wer andern eine Grube gräbt …
14 Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt
Analyse zu 14 - Zeichen erkennen
15 Aus der Fahrschule:
Analyse zu 15 - Zeit zu gehen
16 Wie Phönix aus der Asche
Analyse zu 16 - Auf zu neuen Ufern
17 Eins, zwei, drei, vier Eckstein, jeder muss versteckt sein!
Analyse zu 17 - Loslassen
18 Nicht mit – aber auch nicht ohne einander
Analyse zu 18 - Wechselbad der Gefühle
19 Das darf doch alles nicht wahr sein
Analyse zu 19 - Hilfe anzunehmen ist keine Schwäche
Und die Moral aus der Geschichte?
Anhang
Einführung
Der Begriff toxische Beziehung ist in den letzten Jahren populär geworden, allerdings nicht klar definiert. Wer hin und wieder selbstverliebt agiert, einen Mangel an Empathie zeigt oder manipulativ eigene Vorteile generiert, muss noch lange keine schwere Persönlichkeitsstörung haben.
Zwischen einem unangenehmen Charakter und emotionalem Missbrauch liegt ein breites Band. In den hiergeschilderten Szenen ist die rote Linie zum Narzissmus eindeutig überschritten.
Die Dosis macht das Gift.
Die Personen in dieser Geschichte sind frei erfunden.
Die Szenen der fiktiven Beziehung aus der Ich-Perspektive bieten beim Lesen einen leichten Zugang.
Männlicher und weiblicher Narzissmus zeigen geschlechtsspezifische Unterschiede in den Verhaltensmustern. In diesem Buch liegt der Fokus bewusst und ausschließlich auf dem männlichen Narzissten.
In fortlaufenden Szenen einer Beziehung sind Beispiele aus dem Alltag geschildert, die im Anschluss betrachtet werden, um sie auf narzisstische Merkmale zu untersuchen.
Symptome und Muster dieser Persönlichkeitsstörung sind nicht scharf voneinander abgegrenzt, sondern werden von einem Meister der Manipulation dicht verknüpft, bis das geschaffene Netz Opfern die Luft zum Atmen nimmt.
Betroffene, die sich beim Lesen an bekannte Verhaltensmuster erinnern, finden im Anhang hilfreiche
Kontakte.
Einen Absprung zu wagen, neue Lebensbereiche zu erschließen, fällt oft nicht leicht. Eine toxische Beziehung zu beenden ist umso schwieriger. Aber nicht unmöglich.
Es gibt Hilfe. Nicht selten gehört auch Mut dazu, sie anzunehmen.
Manchmal ist die Frage nicht, mit wem es dir gutgeht, sondern ohne wen es dir besser geht.
Willkommen
Mein Name ist Elsa. Ich bin neununddreißig, habe Kommunikationswissenschaft und Publizistik studiert und arbeite in der Verwaltung einer österreichischen Tageszeitung.
Ich lebe in Salzburg zusammen mit Toni, einem selbstständigen und sehr erfolgreichen Bauunternehmer Anfang vierzig. Vor sechs Jahren bin ich zu ihm in sein trendiges Einfamilienhaus gezogen.
Wir haben keine Kinder. Toni will noch ein wenig warten. Der Job fordert ihn sehr.
1Ene mene muh, drauß bist du!
Wolke sieht mich mit diesem Blick an. Ich mag das nicht, er ist so entwaffnend. Ihre großen grünen Augen, klar und tief wie ein Bergsee. Zum Reinspringen und Tiefseetauchen.
Sie weiß zu viel von mir, um auf meine Erklärungen falsch zu reagieren.
»Wie lange seid ihr jetzt zusammen?«
Blöde Frage, das weiß sie ganz genau. Wir arbeiten bei derselben Zeitung. Sie in der Graphikabteilung, ich bei der Kundenbetreuung. Wir kennen uns schon aus der Schulzeit, hatten uns dann aus den Augen verloren. Ein Zufall führte uns bei einer Veranstaltung zusammen und ein zweiter Jahre später zum selben Arbeitgeber.
»Dein Vierziger. Überleg mal«, sagt Wolke und zieht die Brauen hoch. Das macht ihre Augen noch größer. Ihr Gesicht ist überzogen von winzigen Sommersprossen, als hätte sie jemand mit einem feinen Lufthauch dahin gestaubt. Bis unter die roten Haare, die in üppigen Locken über die Schultern fallen.
»Ja, was?« Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht hat er sich was anderes überlegt.«
»Und darum sagt er nichts zu deinem Wunsch, diesen besonderen Geburtstag in Venedig zu verbringen?«
»Was soll er denn sagen? Wenn er mich vielleicht überraschen will.«
»Wann hat er dich schon mal überrascht?«
Sie schiebt mir ein A-4-Blatt hin, dicht beschriftet. Eine Liste mit Links und Beschreibungen. Ich sehe sie fragend an.
»Ein Best-of venezianischer Hotels und Restaurants, garniert mit ein paar Geheimtipps von Reisebloggern. Du hast im März Geburtstag. Nicht die ideale Reisezeit, aber vielleicht gerade deshalb ein spezielles Erlebnis.«
Ich bin gerührt. So viel Mühe, dabei hat sie doch gar nichts davon.
»Und wenn du wieder da bist, machen wir ein großes Fest: eine italienische Nacht.«
»Bei uns zu Hause?« Ich schlucke, stelle mir vor, was Toni dazu sagen wird. Er macht sich gerne über die Tintenfritzen bei der Zeitung lustig, geht nie mit, wenn im Verlagshaus Veranstaltungen sind oder Vorträge im Großen Saal.
»Na, sicher nicht«, sagt Wolke. »Das machen wir hier bei uns in einem der Seminarräume.«
An meinem Geburtstag gehen wir ins italienische Restaurant Acquarello. Toni hat das vorgeschlagen und mich gebeten, dort zu reservieren. Er hat keine Zeit zu verreisen. Der März ist nass, aber mit mäßigen Temperaturen, das müssen sie im Baugewerbe nutzen. Auch dort wachsen keine Bäume in den Himmel, erinnert mich Toni. Ich habe angeboten, dass wir statt an meinem Geburtstag am Wochenende nach Venedig fahren. Da wird auf der Baustelle nicht gearbeitet. Er hat mir ganz lieb über die Wange gestreichelt und versprochen, dass wir das nachholen. Irgendwann geht es nach Venedig, wenn das Wetter besser ist.
Das Essen ist sehr gut.
»Italien, wie man es nicht besser zelebrieren kann«, schwärmt Toni.
Er und Mario, der Chefkoch, sind sicher, dass es sich beim Acquarello um die beste mediterrane Gourmetküche nördlich der italienischen Grenze handelt, was Handwerk und Produkte angeht. Darauf stoßen wir gemeinsam an.
Ich lese viel und gern. Toni hat mir zum Geburtstag alle sechsundzwanzig Krimis von Donna Leon geschenkt, weil die in Venedig spielen.
»So musst du nur ein Buch aufschlagen und schon bist du in deiner Lieblingsstadt, wann immer du willst.«
Ich bin eigentlich nicht so der Krimi-Typ, aber das war schon eine süße Idee. Die Bücher nehmen ein ganzes Fach in meinem übervollen Bücherregal ein. Ich kann einfach ein paar meiner alten Schinken ausmisten, schlug Toni vor. So habe ich immer eine Erinnerung an den schönen Tag, findet er.
Analyse zu 1Der Spielverderber
Elsa will ihren Geburtstag feiern. Vielleicht, weil das einfach ein schöner Anlass ist. Und diesmal sogar ein besonderer: ein Runder.
An so einem Tag steht das Geburtstagskind im Mittelpunkt. Alles dreht sich um Elsa, nicht um Toni. Darauf kann er gut verzichten.
Freunde gratulieren, Wünsche werden erfüllt. Zu dem Zweck müsste sich Toni mit Elsa beschäftigen. Sich an Wünsche erinnern, sie nach Wünschen fragen.
Elsa macht es ihm leicht, äußert sich ganz offen: Sie möchte eine Städtetour nach Venedig machen. Und nicht nur das. Sie überlegt sogar, wie man ihre Wünsche und seine Ansprüche ohne Abstrich kombinieren kann. Tatsächlich findet Elsa einen Kompromiss, besteht nicht auf genau dem einen Tag, bietet ein Wochenende an.
Toni ist nicht einmal zu diesem besonderen Anlass bereit, eine Lösung zu suchen. Er schaltet auf Durchzug, macht leere Versprechungen, vertröstet auf irgendwann.
Fazit
Der Narzisst ignoriert den Geburtstag, den feierlichen Abschluss, das erreichte Ziel, nicht. Das könnte ihm eine schlechte Bewertung einbringen, die würde seinem Image schaden.
Er macht den Anlass zu einem kleinen banalen Ereignis, das von der Partnerin eindeutig überbewertet wird.
Statt einer Reise bekommt sie Krimis, die am Zielort spielen, bekommt Schein statt Sein.
Ob die Partnerin ein Krimi-Fan ist, spielt keine Rolle. Der Narzisst hat seine Schuldigkeit getan. Bei der Einladung zum Essen vergisst er nicht zu erwähnen, wie speziell das Ambiente ist und lässt sich selbst feiern für Idee und Aufwand. Darauf wird angestoßen, nicht auf das Geburtstagskind.
Die Partnerin atmet auf, wenn alles überstanden ist. Er hat den Anlass gewürdigt, wenn auch auf eine Art, die mit ihrem Wunsch gar nichts zu tun hat. Sie muss dankbar sein, kann sich ganz sicher nicht beschweren. Was will sie denn noch?
Er hat ihr seine kostbare Zeit geschenkt, zahlt das
Essen und legt noch ein Geschenk seiner Wahl obenauf.
Er ist an ihrer Seite, aber sie fühlt sich erbärmlich allein.
Für einen Narzissten ist es kein Maßstab, ob sich andere wohlfühlen. Er bestimmt, wann was ein Anlass zum Feiern ist. Selbst als Spielverderber, also mit negativer Aufmerksamkeit, ist die Regie in seinen Händen.
Die Partnerin könnte die Konsequenzen ziehen und mit Freundinnen wegfahren oder einen besonderen Tag verleben.
Sie ist längst gebrandmarkt, ist ein Puzzlestück in der Welt des Narzissten. Sie weiß, ein solches Verhalten würde ihn bis aufs Blut reizen. Das will sie nicht, versucht Streit zu vermeiden.
Augen zu und durch sieht auf den ersten Blick nach der leichteren Variante aus. Die Seele ist aber ein zartes Pflänzchen, das dem Entzug von Licht und Liebe auf Dauer nicht gewachsen ist.
2 Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem Narzissten zu
Wolke, Dodo und Tessa wollen im Mai für ein verlängertes Wochenende nach Paris. Ich würde gerne mitfahren und erzähle Toni von dem Plan.
Seine Reaktion: »Ach, dann ist Venedig abgesagt?«
»Ich wusste gar nicht, dass es angesagt war.«
»Wer wollte denn unbedingt nach Venedig?«
»Zu meinem Geburtstag, im März.«
»Da ging es nicht, wie du weißt. Und weil die Chance verpasst ist, kann ich mir Venedig jetzt abschminken?«
»Du? Aber es war doch wegen dir, dass wir nicht gefahren sind.«
»Ach, jetzt bin ich schuld? Und darum bestrafst du mich und fährst mit deinen Mädels nach Paris?«
»Aber ich will dich doch nicht bestrafen! Ich kann doch beides machen.«
»Ja, klar. Für deine Mädels kannst du alles.«
»Nein, überhaupt nicht. Irgendwer kam auf die Idee und dann haben sie mich gefragt. Während des Studiums waren wir öfter dort. Ist sozusagen eine alte Tradition.«
»Kein Problem, fahr nur. Mit uns wird es dann eben keine alte Tradition geben, wenn du deine freie Zeit lieber mit Freunden verbringst.«
»Freundinnen! Und von lieber kann keine Rede sein. Du hast doch nie Zeit.«
»Heißt im Klartext, ich vernachlässige dich? Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Das hast du mir noch nie gesagt, wie du unter mir leidest.«
»Was? Nein! Das habe ich doch gar nicht gesagt. Natürlich fahre ich viel lieber mit dir. Paris oder Venedig oder sonst wohin. Was schlägst du vor? Ich bin dabei!«
»Das hört sich schon besser an. Wir liegen mit dem Erweiterungsbau beim Wirtschaftshof gut in der Zeit. Ich muss das mal checken, und dann überlegen wir uns was.«
Ich sage schweren Herzens ab. Mit den anderen zu verreisen, käme mir jetzt gegenüber Toni provokant vor. Womöglich überschneidet sich das, wenn er eine Städtetour vorschlägt.
Die Mädels schicken mir unzählige Fotos, bei denen ich unzählige Male schlucken muss. All die Ecken und Winkel, die mit unseren gemeinsamen Erlebnissen verbunden sind.
Der Hinweis, wie sehr ich ihnen fehle, ist regelmäßig angefügt. Wie bei einem Zeitungsartikel, der alle belastenden Indizien nahtlos auflistet und dann pro forma anfügt: Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Städtetour mit Toni ist aufgeschoben. Er erwähnt das Thema nicht mehr. Augenscheinlich ist er sehr beschäftigt und so gestresst, dass ich lieber nicht nachfrage. Im Job kann ich nichts tun, ihm aber privat zumindest den Rücken freihalten und nicht auch noch mit privatem Kleinkram nerven.
»Deine Sorgen möchte ich haben«, sagt er dann nur. Das kenne ich schon.
Analyse zu 2Der Anspruchsdenker und eigene Wahrheiten
Toni erwartet, bevorzugt behandelt zu werden. Für Elsas Wünsche und Bedürfnisse bleibt kein Raum in seiner Welt.
Elsa hat die Enttäuschung runtergeschluckt, dass sie sich Venedig abschminken musste. Sie kann mit ihren Freundinnen fahren. Schon blinken bei Toni die Alarmleuchten, signalisieren eine Störung. Sein Anspruch auf uneingeschränkte Aufmerksamkeit meldet Gefahr.
Er verdreht die Tatsachen zu seinen Gunsten.
• Venedig war zum Geburtstag nicht möglich.
War es doch, Elsa hatte eine Alternative angeboten.
• Entweder Venedig mit Toni oder Paris mit Freundinnen. Es geht doch beides, sagt Elsa richtigerweise.
Sofort wird dieser Kompromiss zum Vorwurf: Für deine Freundinnen geht alles, nur ich armer Toni komme zu kurz.
Mit einfacher Täter-Opfer-Umkehr macht sich Toni zum Opfer. Elsa hat es in der Hand, ihm zu helfen.
Die Rechnung geht auf. Um des lieben Friedens willen gibt sie nach und verzichtet auf die Reise, bleibt wehmütig zu Hause. Toni denkt gar nicht daran, zumindest einen minimalen Ersatz zu schaffen: mit einer Einladung, einem Ausflug, besonderer Zuwendung.
Wozu auch? Er hat in seinem Verständnis nur das bekommen, was ihm zusteht: uneingeschränkte Aufmerksamkeit.
Würde Elsa mit ihren Freundinnen nach Paris fahren, wäre Toni in der Zeit out of order – außer Betrieb. Er würde für sein Verständnis in Elsas Welt keine Rolle mehr spielen. Die hätte ihren Spaß – auch ohne ihn.
Tatsächlich könnte Elsa spüren, wie gut ihr der Kontakt mit den anderen tut. Sie könnte sich folglich auch zu Hause öfter mit den Freundinnen treffen und austauschen. Toni liefe Gefahr, seinen Einfluss zu verlieren.
Das weiß er geschickt zu verhindern, indem er signalisiert: Du hast es in der Hand, dass es mir gutgeht. Genau das will Elsa und ordnet Tonis Bedürfnisse ganz selbstverständlich über ihren eigenen ein.
Fazit
Zwischenmenschlich nutzt der Narzisst die Beziehung, um eigene Wünsche oder Bedürfnisse zu befriedigen. Um seine Ziele zu erreichen, hält er die Partnerin immer auf Abruf im emotionalen Standby.
Die fühlt sich nicht selten fremdbestimmt, fürchtet aber Nichtbeachtung oder Ablehnung, wenn sie widerspricht oder sich den Ansprüchen verweigert.
Unter Co-Narzissmus versteht man den Gegenpart zum Narzissmus, in diesem Fall die Partnerin, die süchtig danach ist, gebraucht zu werden. So wie der Narzisst auf seine Co-Narzisstin angewiesen ist, deren Welt sich um ihn dreht. Damit ist seine Großartigkeit dokumentiert, während umgekehrt ihr Wohlbefinden mit dem Gefühl verknüpft ist, von ihm gebraucht zu werden.
Ein ideales Zusammenspiel, allerdings auf Dauer allein für den Narzissten fruchtbar. Er benötigt Bewunderung wie die Luft zum Atmen. Dabei ist die Co-Narzisstin seine verlässliche Konstante. Solange er in ihrem Fokus ist, hat er die Kontrolle und Bestätigung seiner eigenen Wichtigkeit.
Über distanziertes Verhalten oder Ablehnung kann er die Partnerin zurück an den Start, zurück zu angepasstem Verhalten bringen. Warum? Sie hat Angst, ihn zu verlieren. Diese Angst suggeriert der Narzisst wie aus einem Lehrbuch für Manipulation: durch Gestik, Mimik, zielorientiertes Verhalten – dazu gehört auch Schweigen und Rückzug.
3Aber sonst geht’s dir gut?
Seit dem Gespräch, ausgelöst durch den Plan, meine Freundinnen nach Paris zu begleiten, sind drei Wochen vergangen. Ich habe das Thema nicht mehr erwähnt, war zu ängstlich, einen Streit vom Zaun zu brechen.
Toni ist heute ausgesprochen gut gelaunt nach Hause gekommen. Gerade habe ich ein paar Gesprächsfetzen aufgefangen, als er am Handy telefonierte. Im Job scheint es zu brummen. Ich fühle den Schalk im Nacken und will die gute Stimmung nutzen.
»Sag mal, was macht eigentlich der Anbau beim Wirtschaftshof? Immer noch alles im grünen Bereich? Der müsste doch bald fertig sein.«
Toni atmet tief durch, sieht mich von der Seite an und holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
»Seit wann interessierst du dich für meine Arbeit?«
»Hey, schon immer. Aber du erzählst kaum was. Ich weiß gerade mal, welches Projekt du am Start hast.«
Er lacht auf. »Danke, wenn ich mal eine Beraterin brauche, bist du meine erste Wahl.«
Das geht jetzt in eine ganz falsche Richtung. So war das doch gar nicht gemeint. Ich weiß selbst, dass ich vom Baugewerbe keine Ahnung habe. Mal sehen, ob ich die Kurve kriege.
»Nein, ich dachte nur, wegen unserer Städtetour. Du wolltest das doch mal checken, wie es zeitlich bei dir aussieht.«
»Was für eine Städtetour?«
»Na, irgendeine: Venedig, Paris, Rom. Eigentlich kann doch jedes Fleckchen eine Stadt der Liebe sein.«
Toni sieht mich an, als rede ich wirres Zeug. Er hat sicher zu viel im Kopf und ich will ihm auf die Sprünge helfen.
»An meinem Geburtstag war keine Zeit für Venedig, und statt mit den Mädels nach Paris wollten wir beide doch mal eine Städtetour machen.«
»Wenn dir nach Städtetouren ist, warum bist du nicht mit nach Paris gefahren?«
Mir bleibt kurz die Spucke weg. »Aber darüber haben wir doch gesprochen. Du wolltest das im Büro checken, wann du dich mal frei machen kannst. Für ein verlängertes Wochenende mit mir.«
»Ich verbringe jedes Wochenende mit dir.«
»Ja, aber für eine Reise. Eine Kurzreise. Jetzt wäre auch eine gute Zeit für Venedig. Das Wetter ist herrlich und es ist noch Vorsaison.«
»Das Wetter ist hier auch herrlich. Dafür muss ich nicht nach Venedig.«
»Aber ein Tapetenwechsel hat noch niemandem geschadet. Und zu meinem Geburtstag hast du doch auch gesagt, wenn es zeitlich besser passt und das Wetter schöner ist.«
»Das habe ich nie gesagt. Du wolltest an deinem Geburtstag Italienisch essen gehen und das haben wir gemacht, oder?«
»Ja, aber ursprünglich wollte ich nach Venedig. Das ging nicht, weil du keine Zeit hattest.«
»Für dich habe ich immer Zeit. Was soll dieser versteckte Vorwurf?«
»Das ist kein Vorwurf. Es muss auch nicht Venedig sein. Einfach zusammen wegfahren wäre schön.«
»Weil ich einen geländegängigen Wagen fahre, betest du ständig deine Hinweise zum ökologischen Fußabdruck herunter, aber wenn es dir in den Kram passt, ist der Klimawandel kein Thema mehr.«
»Was? Wieso? Was hat denn jetzt eine Städtereise mit deinem SUV zu tun? Wir können ja mit dem Zug fahren. Da gibt es tolle Angebote mit dem Nacht-Express.«
»Ja, genau. Und dann muss ich mir wieder anhören, dass es so unbequem war, dass du nicht schlafen konntest, dass die Luft schlecht war, dass es so laut war.«
»Aber ich habe mich noch nie beschwert. Ich schlafe im Zelt auf dem Boden wie ein Baby.«
»Und wie war das beim letzten Thermen-Urlaub? Wellness, Sauna, Dampfbäder, Massagen bis der Arzt kommt.«
»Aber den Urlaub hattest du ausgesucht.«
»Ja, genau. Als ob ich mir was aus Wellness mache. Wer hat denn alles in Anspruch genommen, was im Spa geboten wurde?«
»Weil du das ganze Paket gebucht hattest, ohne das vorher mit mir abzusprechen.«
»Gut zu wissen, dann können wir den nächsten Urlaub auf einem Campingplatz buchen. Mir soll’s recht sein. Aber fang dann bloß nicht an zu jammern.«
Analyse zu 3Gaslighting oder Manipulation für Fortgeschrittene
Tonis Taktik zielt darauf ab, Elsas Wahrnehmung so lange und konsequent zu verzerren, bis sie selbst daran zu zweifeln beginnt.
Sie war schließlich dabei:
als Toni ihren Geburtstagswunsch, nach Venedig zu fahren, in ein Abendessen beim Italiener vor Ort umwandelte. Nun stellt er es dar, als sei das Essen ihr Wunsch gewesen;als er Elsa erfolgreich manipulierte, so dass sie nicht an der Paris-Reise mit ihren Freundinnen teilnahm. Nun sagt er, dass er gar nichts dagegen gehabt hätte, wenn sie denn so gerne Städtereisen macht.Von einer Reise zu zweit ist gar nicht mehr die Rede, obwohl die doch angeblich nur vom Baufortschritt bei seiner Arbeit abhing.Elsa hat im Wellness-Urlaub das volle Programm genutzt. Tatsächlich war es so von Toni gebucht, ohne vorher ihre Zustimmung einzuholen.Tatsachen, die Elsa selbst gehört, gesehen oder erlebt hat, werden uminterpretiert. Worte sind zwar gefallen, waren aber anders gemeint. Dasselbe gilt für Handlungen, die sie eben falsch verstanden hat. Rückschlüsse, die sie genauso gezogen hat, wie es der Logik entspricht, sind völlig aus der Luft gegriffen. So kann man nur ticken, wenn man nicht richtig tickt.
Fazit
Der Narzisst ist ein Meister der Manipulation. Die Szene ist ein weiteres Beispiel für Macht und Machtmissbrauch. Gaslighting bedeutet, dass ein Mensch gezielt verunsichert wird. Je besser das bei der Partnerin gelingt, desto besser hat sie der Narzisst unter Kontrolle. Der eigenen Wahrnehmung kann sie scheinbar nur einen gegenwärtigen Moment lang glauben. In anderer Konstellation, zu einer anderen Zeit, sind alle Vorzeichen unangekündigt geändert. Der Narzisst streitet alles ab oder stellt richtig, wie das gemeint war, was er früher gesagt hat.
Es gibt keine Regeln, auf den Narzissten ist kein Verlass.
Typische Äußerungen:
Du bist doch sonst nicht so empfindlich.Du übertreibst, wie immer.Alle anderen finden auch …, nur du bist anders.Das war doch nur Spaß! Hast du das echt geglaubt?Das hast du ganz falsch verstanden.Wenn du mich wirklich lieben würdest …Die Betroffene fühlt sich immer unwohler in ihrer Haut. Hat sie das womöglich wirklich falsch verstanden? Ist sie tatsächlich überempfindlich, dünnhäutig und Teil des Problems?
Aber das passiert ihr doch sonst nie. In der Interaktion und Kommunikation mit anderen, Freunden, Bekannten, Kolleginnen, gibt es keine Widersprüche. Missverständnisse können schnell und gegenseitig aufgeklärt werden.
Umso wichtiger ist es für den Narzissten, seine Co-Narzisstin soweit es geht zu isolieren.