Oliver Cromwell - Dieter Berg - E-Book

Oliver Cromwell E-Book

Dieter Berg

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Beschreibung

Oliver Cromwell (1599-1658) gelang das einzigartige Kunststück, vom einfachen Landedelmann zum allmächtigen Lord Protector aufzusteigen. In seinem schillernden Leben und Wirken spiegelt sich zugleich eine der turbulentesten Epochen der englischen Geschichte, die von Bürgerkrieg, Revolution sowie der Errichtung des Commonwealth geprägt war. Dieter Berg entwirft aus den Quellen eine kritische Würdigung der Lebensgeschichte dieser bis heute äußerst umstrittenen aber faszinierenden Persönlichkeit. Dabei bietet der Autor einen ganz neuen Blick auf die englische und europäische Geschichte des 17. Jahrhunderts, deren überraschenden Wendungen und tiefgreifenden Wandlungen die Leser bis heute fesseln.

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Dieter Berg

Oliver Cromwell

England und Europa im 17. Jahrhundert

Verlag W. Kohlhammer

FÜR LUISE IN DANKBARKEIT

 

 

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

 

 

 

 

 

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-033160-0

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-033161-7

epub:  ISBN 978-3-17-033162-4

mobi:  ISBN 978-3-17-033163-1

 

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

Einführung

I.          Cromwell – Lebensphasen in chronologischer Perspektive (1599–1658)

1          Grundlagen (ca. 1599–1625)

1.1       Karl I. als Stuart-Prinz

1.2       Cromwell – Von Geburt ein Edelmann

2          Karl I. und Cromwell – Parallele Leben (1625–1640)

2.1       Karl I. als junger König

2.2       Cromwell als Lord of the Fens

3          Erste Konflikte (1640–1642)

3.1       Karl I. und die englisch-schottischen Auseinandersetzungen

3.2       Cromwell als Parlamentarier

4          Krieg in den Drei Königreichen (1642–1649)

4.1       Karl I. und Cromwell in den ersten beiden Bürgerkriegen

4.2       Apotheose – Cromwell und der Tod Karls I.

5          Cromwell und das Projekt einer Republik (1649–1653)

5.1       Cromwell und die Konstituierung des Commonwealth

5.2       Cromwell und die Expansion des Commonwealth

5.3       Cromwell und die Krise des Parlaments

6          Cromwell und neue Regierungsexperimente (1653–1658)

6.1       Cromwell und das Parlament der Heiligen

6.2       Cromwell und der Beginn des Protektorats

6.3       Cromwell und die Herrschaft der Major Generals

6.4       Cromwell und das »königsgleiche Protektorat«

II.       Cromwell – Handlungsstrukturen in systematischer Perspektive

7          Cromwell und Handlungssystematik

7.1       Cromwell und die Armee

7.2       Cromwell und Außenpolitik

7.3       Cromwell und Irland

7.4       Cromwell und die Ökonomie

8          Cromwell und Öffentlichkeit

8.1       Cromwell und Nonkonformisten

8.2       Cromwell und konstitutionelle Diskurse

8.3       Cromwell und Literatur sowie Bildung

9          Cromwells Nachleben

9.1       Cromwells politisches Erbe

9.2       Cromwell – Gedächtnis und Rezeption

III.       Resümee

10          Cromwell – Werk und Wirkung

Quellen- und Literaturverzeichnis

Zeittafel

Karte

Anmerkungen

Personenregister

Abbildungsnachweis

Einführung

 

 

 

Oliver Cromwell gehört zweifellos zu den umstrittensten Persönlichkeiten der englischen Geschichte, wobei bis zum heutigen Tage fanatische Gegner des Protektors ebenso entschlossenen Verehrern des Generals gegenüberstehen. Dennoch zählte er nach einer Umfrage, welche die BBC 2002 unter ihren Zuschauern in Großbritannien und Irland durchführen ließ, zu den größten Briten der Geschichte – nach Winston S. Churchill (Platz 1), Princess Diana of Wales (Platz 3), William Shakespeare (Platz 5), John Lennon (Platz 8) immerhin noch auf Rang 10. Ungeachtet dieser etwas fragwürdigen Platzierung hält die öffentliche Diskussion über die Person Cromwells, sein Wirken und sein Vermächtnis bis zum heutigen Tage an. Charakteristisch hierbei ist, dass diese Auseinandersetzungen zumeist höchst emotional geführt werden und oft mit wenig rationalen Beurteilungen bzw. Verurteilungen seiner Person verbunden sind. Bei den hierbei entworfenen Cromwell-Bildern sind bis heute gravierende Diskrepanzen zu konstatieren, wobei die Negativ-Bilder bei seinen Gegnern unverändert von der Einwirkung royalistischer bzw. nationalistischen Ideologien beeinflusst werden. Auch weiterhin sind hierbei auf Seiten der Königsanhänger seine Rolle als sog. »Königsmörder« (bei der Hinrichtung Karls I.) und auf Seiten irischer Nationalisten seine Aktivitäten als (angeblicher) »Schlächter« wehrloser Zivilisten (bei dem Irland-Feldzug) von entscheidender Bedeutung.1

Schon früh wurde das Bild des Protektors in der zumeist englischsprachigen Historiographie, deren Entwicklung bis zur Gegenwart in wenigen Stichworten charakterisiert werden soll, durch zumeist publizistische Attacken auf seine Person und sein Wirken geprägt (Kap. 9.2).2 Bereits unmittelbar nach der Thronbesteigung Karls II. (1660) begannen royalistische Gefolgsleute und Opportunisten damit, durch Schmähschriften, Pamphlete etc. das Andenken Cromwells wenn nicht zu zerstören, so doch wenigstens negativ zu gestalten. In einer Serie an polemischen Schriften in den 1660er Jahren wurde er als sog. »Königsmörder«, skrupelloser Heerführer und Gewalttäter diffamiert bzw. geradezu diabolisiert. Diese Tendenzen setzten sich bis zum Ende des 17. Jahrhunderts fort, wobei sogar frühere Gefolgsleute dem Protektor Machtstreben, Verrat an der Englischen Revolution etc. vorwarfen. Im 18. Jahrhundert blieb sein Negativ-Bild weitgehend erhalten, obwohl nun mitunter sogar seine Verdienste um das Inselreich und um dessen Ansehen gewürdigt wurden; zudem schenkte man seinen Kampfgefährten und ihrer Rolle im politischen Geschehen größere Beachtung.

Tiefgreifende Veränderungen des Cromwell-Bildes erfolgten erst seit den 1840er Jahren sowohl durch Thomas Babington Macaulay mit seiner Berücksichtigung Cromwell-freundlicher oraler Traditionen (1848–1855), als auch durch Thomas Carlyle mit seiner Edition der Werke des Protektors (Letters and Speeches, 1845).3 Zwar wollte der Herausgeber seinen »Helden« vor allem durch seine Schriften »selbst sprechen lassen«, doch betonte er in seinen Kommentierungen die Ausnahme-Existenz Cromwells. Dieser hätte »unter Führung des Herrn« eine »Puritanische Revolution« angestrebt und erfolgreich die Streitkräfte und Verwaltung durch Einführung einer ›Meritokratie‹ reorganisiert. In dem Protektor erblickte daher Carlyle wie andere Viktorianer einen ›Geistesverwandten‹, dessen Erbe zu pflegen war. Auch sie glaubten bei Cromwell eine ähnliche Wertschätzung von Armee bzw. Navy, den Drang nach Erwerb von Kolonien als Grundlage für das Empire und ein Machtbewusstsein wie bei den viktorianischen Zeitgenossen erkennen zu können; Liberale würdigten den Protektor hingegen wegen seines Nonkonformismus und seines Strebens nach Gewissensfreiheit.4 Diese Wertschätzung zeigten auch zahlreiche Whig-Historiographen und insbesondere Samuel Rawson Gardiner in seinen voluminösen Schriften zum Leben Cromwells und zur Geschichte des Englischen Bürgerkriegs (1882–1903). Auch für ihn war der Protektor in seinem Handeln von religiösen Idealen geleitet, hatte die Strukturen in Staat und Kirche reformiert und Politik nach puritanischen Moralvorstellungen gestaltet.

Etwas kritischer beschrieb Charles Firth Cromwell, dessen militärischen und politischen Leistungen er zwar würdigte, jedoch ihm in seinem politischen Handeln große Inkonsistenz und die Schaffung eines – puritanisch geprägten – Herrschaftssystems vorwarf, das zu stark auf seine Person konzentriert und daher »auf Sand gebaut« war (1901). Gemeinsam war viktorianischen Geschichtsschreibern, dass sie Cromwells Schriften mit den Darstellungen der Zielsetzungen und Beweggründe für seine Handlungen uneingeschränkt Glauben schenkten. Während der Protektor sich hierbei ständig als »Instrument Gottes« stilisierte und damit einen eigenen »Mythos« zu schaffen begann, hielten zahllose Historiker hingegen seine Schriften bis weit ins 20. Jahrhundert für glaubwürdige, »objektive« Darstellung der historischen Wirklichkeit – eine fatale Fehleinschätzung, wie sich erst spät zeigen sollte.

Während der »Cromwellianismus« nach dem Ende der Herrschaft Kaiserin Viktorias (1901) allmählich abebbte und der Protektor in den beiden folgenden Jahrzehnten in der historischen Forschung – abgesehen von einigen Handbuchbeiträgen etc. – eher geringeres Interesse fand, kam es in den 1930er Jahren zu einem Boom an einschlägigen Publikation. Hierbei standen die meisten Autoren unter dem Eindruck der zeitgenössischen politischen Entwicklungen, insbesondere des Aufstiegs des italienischen Faschismus und des Nationalsozialismus. Dies galt besonders für Wilbur Cortez Abbott, der nicht nur eine vierbändige Edition der Schriften Cromwells (Writings and Speeches) vorlegte, sondern in Kommentaren dessen Großtaten rühmte und ihn als bewundernswerten Vorläufer zeitgenössischer Diktatoren wie Hitler und Mussolini würdigte (1937–1947).5

Ähnliche Tendenzen sind in anderen englischsprachigen Biographien über den Protektor in den 1930er erkennbar – etwa bei Ernest Baker, der – ungeachtet des Kampfes Cromwells für Glaubensfreiheit – große Ähnlichkeiten zwischen Cromwell und Hitler konstatierte (1934).6 Vergleichbare tagespolitische Bezüge wies auch die Cromwell-Biographie von Maurice Percy Ashley auf, der seinen »Helden« als »Conservative Dictator« würdigte (1937). Sogar die Erfolgsautorin Cicely Veronica Wedgwood konstatierte in ihrer Lebensbeschreibung des Protektors den angeblichen zeitgenössischen »triumph of the dictatorships« und stellte hierbei Vergleiche mit Cromwell an (1939). Später wurde dessen Würdigung durch die Autorin in ihrer großen, royalistisch geprägten Monographie über Karl I. und sein »Martyrium« relativiert.7

Der Zweite Weltkrieg und seine weitreichenden Folgen hatten auch Auswirkungen auf die Cromwell-Forschung, da erst in den 1950er Jahren wieder größere Biographien zu Cromwell erschienen – etwa von Robert Sydney Paul, der sich in seinem Werk von tagespolitischen Bezügen löste und die zentrale Bedeutung von Glauben und Religion im Leben des Protektors hervorhob.8 Für den Geistlichen schien Cromwell aufgrund seiner tiefen religiösen Überzeugungen, seinem Streben nach Glaubensfreiheit und nach Überwindung religiöser Gegensätze ein »fellow ecumenicist« zu sein (1955). Diese Würdigung wurde in folgenden Monographien zum Leben des Protektors nicht rezipiert; vielmehr berücksichtigte man eher »traditionelle« Aspekte seines Lebens – etwa die Entwicklung seiner militärischen Karriere (durch Peter Young, 1962). Hinzu kam, dass sich die Cromwell-Forschung seit den 1950er Jahren hinsichtlich der Untersuchungsgegenstände sowie der Methodik veränderte.9 Nun ging es nicht mehr um die Darstellung des Lebens einzelner Personen (d. h. Cromwells), sondern man erweiterte das Untersuchungsspektrum, indem außer den Bürgerkriegen vor allem Veränderungen in der englischen Gesellschaft und Wirtschaft sowie die Bedeutung sozialer Gruppen (wie Aristokratie, Gentry, Middle Class) untersucht wurden (von Hugh Redwald Trevor-Roper, Jack H. Hexter u. a.).

Hierbei erlangte die marxistisch geprägte Forschung größeren Einfluss – insbesondere Christopher Hill mit seinen Studien über die English Revolution und über das Wirken Cromwells (1970).10 Zwar würdigte er diesen als God’s Gentleman und als exzellenten Heerführer, doch analysierte er gleichzeitig dessen Rolle im zeitgenössischen »Klassenkampf« zwischen königlich-reaktionären Elementen und fortschrittlichen Kräften in Landwirtschaft, Industrie und Handel. Hierbei nahmen Hill und andere Marxisten (wie Richard H. Tawney) die Existenz einer weiteren Revolution (»Revolution in der Revolution«) an, die von »progressiven Kräften«, wie den Diggers, zur radikalen Besitzumverteilung etc. initiiert, jedoch von Cromwell (mit »falschem Klassenbewusstsein«) und konservativen Kräften, wie der Gentry, unterdrückt wurde. Langanhaltende Diskussionen, in denen generell die Existenz entsprechender Revolutionen bestritten wurde (u. a. von Austin Woolrych), waren die Folge, brachten aber keine abschließende Klärung.

Weniger umstritten waren andere Cromwell-Biographien in den 1970er Jahren11 – etwa das bedeutende Werk von Antonia Fraser. Hierbei gab sie eine quellenmäßig gut fundierte Darstellung aller Lebensabschnitte Cromwells in dem Bemühen, dessen seelische Entwicklung, seine psychischen Schwierigkeiten und vor allem sein religiöses Selbstverständnis einfühlsam zu verdeutlichen. So entstand ein differenziertes Bild von »our Chief of Men«, dessen Verdienste wie Fehler gleichermaßen gewürdigt wurden (1973). Ähnlich gelungen war das Werk von Roger Howell, in dem er quellennah nach einer Beschreibung der wichtigsten Lebensabschnitte Cromwells dessen Leistungen sowohl als Heerführer als auch als Politiker und Staatsmann hervorhob, der hierdurch »ein Teil der Geschichte der Nation« wurde (1973).

In den folgenden 1980er Jahren stagnierte in England die Publikation von Lebensbeschreibungen des Protektors erneut, während in Deutschland – abgesehen von der Übersetzung des Werkes von Howell – die einzigen deutschsprachigen Biographien Cromwells erschienen.12 Die erste stammt von Heinz Kathe, der in marxistischer Tradition zwar Cromwells Kampf gegen »feudale Mächte« – insbesondere das Königtum – und seinen Einsatz für die Englische Republik würdigte, ihn ansonsten aber als Vertreter seiner Klasse mit einem entsprechenden (falschen) Bewusstsein kritisierte. Dieser habe die erforderlichen tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen in England im Interesse seiner sozialen Schicht bzw. der Bourgeoisie unterdrückt (1984). Noch weniger brauchbar ist das zweite deutschsprachige Werk über Cromwell von Karl Heinz Metz, in welchem er die »Geschichte eines schließlichen Helden« zu beschreiben versucht. Zwar behandelte der Verfasser kursorisch die wichtigsten Lebensabschnitte Cromwells, doch bemühte er sich vor allem, in einer psychologisierenden Betrachtungsweise die ›äußere Geschichte‹ des Protektors als Ausdruck seiner »inneren Geschichte« darzustellen. Dieses Unterfangen misslingt weitgehend, zumal sich der Autor – auf der Grundlage überholter Forschung – einer oft sehr blumigen Sprache befleißigt (1993).

Zumindest die englischsprachige Cromwell-Forschung erwies sich in den 1990er Jahren als innovativer und ertragreicher.13 So legte Barry Coward nach einer exzellenten Handbuchdarstellung des Stuart Age eine Biographie des Protektors vor, in der er im Handeln des Protektors eine »mixture of complex motives« – insbesondere in der Außenpolitik – wirksam sah. Zudem betonte der Autor den Einfluss einer »vision of godly reformation« Cromwells auf seine Aktionen, der zwar seine idealistischen Ziele verfehlte, aber nach den Normen der »Realpolitik« erfolgreich war (1991). Weniger kritisch erwies sich – nach der biographie-ähnlichen Textsammlung von David Lawrence Smith (1991) – Peter Gaunt in seiner Cromwell-Biographie, in der er nach einer Analyse des vom Protektor selbst geschaffenen ›Mythos‹ sechs Phasen in dessen Leben darstellt und hierbei dessen höchst verschiedene Gesichter beschreibt. Biographie-ähnliche Züge besaß schließlich auch die von John Morrill edierte Sammlung von Studien, in der zahlreiche Cromwell-Forscher bedeutende Beiträge zu verschiedenen Aspekten seines Lebens vorlegten (wie Jugend, Karriere als Parlamentarier und Heerführer, Sozialreformer, 1990/1999).

Nach der Jahrtausendwende wurde ein erneuter Wandel in der Cromwell-Forschung sichtbar, die sich wieder von umfassenden Gesamtdarstellungen seines Lebens abwandte und sich mehr auf Einzelaspekte seines Wirkens konzentrierte.14 So untersuchte etwa James C. Davis das Leben Cromwells unter dem Gesichtspunkt seiner »reputations«, wobei er nach einer kritischen Überprüfung der überkommenen, widersprüchlichen Bilder des Protektors (als Hypokrit oder Auserwählter, Krieger oder Friedensstifter etc.) zu einer modifizierten Bewertung seiner Rolle in der Englischen Revolution und damit auch in der Geschichte des Landes gelangte (2001). Eine ähnliche Konzentration auf einen Aspekt des Wirkens Cromwells ist auch bei Allan Marshall – über dessen militärische Karriere (2004) – und bei Martyn Bennett feststellbar. Dieser untersuchte nicht nur die Ursprünge des religiösen und politischen Denkens des Protektors, sondern betonte auch dessen mentale Einbindung in das überkommene Sozial- und Herrschaftssystem, von der er sich nur mühsam und partiell im Verlauf der Englischen Revolution zu lösen vermochte.

Die beschriebenen Tendenzen in der Cromwell-Forschung mit weitgehendem Verzicht auf umfassende biographische Werke und mit Konzentration auf thematisch eng begrenzte Einzelaspekte des Lebens des Protektors setzten sich in beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts fort.15 Während John Morrill und David Horspool kleine biographische Skizzen zu Cromwell für das breitere Publikum vorlegten (2007, 2017), folgte Patrick Little dem genannten Trend zur thematischen Konzentration in der von ihm edierten Sammlung von Aufsätzen zu einzelnen Aspekten des Cromwell-Lebens (u. a. über die Jugend, die Irland- und Schottland-Politik, die Beziehungen zu den Levellern, 2009). Gleiches gilt grundsätzlich für das Werk von Ian Gentles, der einzelne Aspekte des Protektor-Lebens untersuchte und sich kritisch mit überkommenen Cromwell-Bildern auseinandersetzte – wie Parliamentary Extremist, Greedy Puritan etc. (2010). Ebenfalls verdienstvoll ist – abgesehen von der Studie von Andrew Barclay über die Entwicklung Cromwells zum Politiker (2011) – das Werk von Blair Worden, der auch eine Fülle an Einzelaspekten zum Leben des Protektors untersuchte (wie Providence and Politics, Toleration, Civil and Religious Liberty, 2012).

In Anbetracht der beschriebenen Forschungslage ist zu konstatieren, dass zwar im deutschsprachigen Raum eine große Lücke hinsichtlich einer aktuellen Cromwell-Biographie besteht. Dennoch erscheint es hinsichtlich der skizzierten Entwicklungen in der englischsprachigen Cromwell-Forschung für einen deutschen Autor als wenig sinnvoll, eine »traditionelle«, ausschließlich chronologisch strukturierte Lebensbeschreibung des Protektors vorzulegen. Daher soll im Folgenden eine Darstellung geboten werden, die sich nicht allein »eindimensional« auf die Person Cromwells und seines Wirkens beschränkt, sondern dieses im europäischen Kontext unter Berücksichtigung möglichst zahlreicher gesellschaftlicher und politischer Faktoren würdigt, die hierauf einwirkten. Mit einem neuen methodischen Ansatz bietet daher die folgende Darstellung sowohl eine biographische als auch eine systematische Dimension, indem sie eine Kombination von biographisch-thematischen Längs- und Querschnitten aufweist. Hierbei werden einerseits die drei wichtigsten Lebensphasen Cromwells mit stärker biographischen Bezügen weitgehend chronologisch behandelt. Andererseits sind danach einige wichtige Problembereiche des Wirkens Cromwells als Heerführer und Staatsmann in struktureller bzw. systematischer Perspektive zu analysieren.

So werden im ersten Hauptteil der Darstellung, der chronologisch und stärker ereignisgeschichtlich orientiert ist, die drei wichtigsten Phasen im Leben Cromwells analysiert, wobei die erste (1599–1640) zumeist von dessen Existenz in weitgehender öffentlicher Nicht-Beachtung (obscurity) gekennzeichnet war. Infolge Quellenmangels für diese Phase lassen sich nur schwer die verschiedenen Abschnitte seines sozialen und politischen Aufstiegs von einem Gentleman über den Lord of the Fens bis zu einem Parlamentsabgeordneten nachvollziehen bzw. beschreiben. Von zentraler Bedeutung ist ferner die Untersuchung der in dieser Zeit erfolgenden »religiösen Berufung« Cromwells, die sein gesamtes späteres Handeln prägte und ihn zu einem »god-intoxicated man« machte. Wesentlich ist zudem die Tatsache, dass der lange unbedeutende Landedelmann Cromwell in seiner Existenz weitgehend von den Handlungen seines späteren Gegenspielers, König Karl I., abhing. Insofern muss auch dessen innen- und außenpolitisches Handeln ausführlicher gewürdigt werden, da der Stuart wie Cromwell gleichermaßen »parallele« Leben führten, wobei die jeweiligen Handlungsmotive und Zielsetzungen der beiden Akteure analysiert werden (Kap. 1–2).

In der folgenden Behandlung der zweiten Lebensphase des späteren Protektors (1640–1653) soll die Rolle der beiden Protagonisten Karl und Cromwell im Krieg in den Drei Königreichen untersucht und die Bedeutung des Generals als Schöpfer einer Nationalarmee analysiert werden, die bald eine dominierende Stellung im politischen Geschehen des Landes erlangte. Zu berücksichtigen ist zudem das Engagement des Inselreiches im Dreißigjährigen Krieg sowie die unzureichende Beteiligung an der machtpolitischen Neuordnung des Kontinents in den Westfälischen Frieden. Hieran schließt sich eine Klärung der Rolle Cromwells bei dem folgenden Prozess bzw. bei der Hinrichtung des Stuarts an, wobei die Funktion der anschließenden royalistischen Propaganda bei der Schaffung und Tradierung des verheerenden »Image« Cromwells als angeblich skrupelloser »Königsmörder« zu verdeutlichen ist. Gemäß der Handlungschronologie erfolgt danach sowohl eine Skizze der Konstituierung und der Expansion der englischen Republik als auch eine Klärung deren konstitutionellen Grundlagen, die in der Folgezeit Gegenstand dauerhafter Auseinandersetzungen des Generals mit dem Parlament waren (Kap. 3–5).

Schließlich folgt eine Behandlung der letzten Lebensphase Cromwells (1653–1658), der unablässig mit neuen Regierungsformen experimentierte – von einem »Parlament der Heiligen« über die Herrschaft von Major Generals bis hin zur Konstituierung eines »königsgleichen Protektorats«. Hierbei ist die Untersuchung der konkurrierenden konstitutionellen Vorstellungen, die unterschiedliche Gruppierungen in Armee und Gesellschaft vertraten, von Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, ob das Bild Cromwells zutrifft, dieser habe gleichsam als Alleinherrscher bzw. später als Diktator einsame Entscheidungen getroffen. Vielmehr sind hierbei die Aktivitäten der Netzwerke zu prüfen, in denen sich der spätere Protektor seit der Zeit in St. Ives bzw. Ely befand und die ihn – wie Kampfgefährten in der Armee – möglicherweise in seinen Maßnahmen beeinflussten. Dies gilt auch für eine Untersuchung der Bedeutung des wachsenden Spannungsverhältnisses zwischen dem Protektor und den Streitkräften, die bald nach dessen Tode für ein Ende des Commonwealth und für die Wiedererrichtung der Monarchie sorgten (Kap. 6).

Im anschließenden zweiten Hauptteil der Darstellung erfolgt die Untersuchung der »Handlungsstrukturen« Cromwell aufgrund ausgewählter Problembereiche seines Wirkens in systematischer Perspektive. Hiermit soll die chronologisch orientierte Analyse seiner Aktivitäten des ersten Hauptteils durch die systematisierende Betrachtung verschiedener Facetten seiner Persönlichkeit und seines Wirkens ergänzt werden, um ein möglichst komplexes und differenziertes Bild zu erhalten. Dies betrifft zum einen seine »Handlungssystematik«, die für vier exemplarische Handlungsbereiche verdeutlicht wird: Etwa Cromwells spannungsreiches Verhältnis zur Armee, die in seiner zweiten und dritten Lebensphase die Grundlage seiner militärischen und politischen Existenz war. Gleiches gilt für seine Außenpolitik (in der dritten Lebensphase), die nicht nur mit den außenpolitischen Traditionen der Tudor- und Stuart-Monarchen brach, sondern auch Grundlagen für die Entstehung des Empires legte. Einen Sonderfall stellt hierbei seine Irland-Politik dar, die das ›Image‹ Cromwells bei den Zeitgenossen und in der Nachwelt nachhaltig prägte und die im Folgenden möglichst vorurteilsfrei analysiert werden soll. Schließlich werden die gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen für die Aktivitäten des Generals ebenso verdeutlicht wie seine Motive für die Gründung englischer Kolonien bzw. für die Schaffung eines Empire. Hierbei ist auch zu prüfen, ob der Protektor – wie oftmals behauptet – die wirtschaftspolitischen Interessen des Landes zugunsten einer Verwirklichung seines Traumes von einem europaweiten Bündnis protestantischer Fürsten zum Kampf gegen die Feinde des Protestantismus (bes. Spaniens) vernachlässigte (Kap. 7).

Das folgende Kapitel über »Cromwell und die Öffentlichkeit« ist von besonderer Wichtigkeit, weil hier in den Kapiteln über seine Beziehungen zu Nonkonformisten und zu Verfassungstheoretikern wesentliche Elemente der zeitgenössischen Diskussionen über tiefgreifende Reformen von Staat und Gesellschaft verdeutlicht werden sollen. Vor allem die zu skizzierenden Konzeptionen von Sozialreformern wie den Levellern waren innovativ und erwiesen sich – obwohl von Zeitgenossen wie Cromwell unterdrückt – als wegweisend für entsprechende spätere Entwicklungen in anderen Ländern (u. a. Nordamerika). Gleiches galt für staatstheoretische Konzeptionen u. a. von Hobbes, die in ihrer Bedeutung sowohl für die einschlägigen Diskurse im Inselreich als auch für später konstitutionelle Entwicklungen besonders im Ausland zu würdigen sind. Hieran schließen sich Hinweise auf die Bedeutung von Literatur und Bildung für den angeblich so bildungsfeindlichen Cromwell und seine Förderung zeitgenössischer Bildungseinrichtungen an (Kap. 8).

Im anschließenden Kapitel der Untersuchung über »Cromwells Nachleben« wird zum einen sein »politisches Erbe« geklärt, wobei die Gründe für das Scheitern der Republik und die Rückkehr Karls II., der hierfür selbst weitgehend untätig blieb, zu analysieren sind. Zum anderen ist zu verdeutlichen, welches politische Ideengut aus der Zeit des Commonwealth trotz der Restauration und ihrer Bemühungen, das Andenken der Republik auszulöschen, in der Herrschaftszeit der letzten beiden Stuart-Könige wirksam blieb. Gleiches gilt für die Rolle des Parlaments, welche dieses nicht nur im Commonwealth, sondern auch unter den letzten Stuarts spielte. Schließlich ist das »Gedächtnis« an die Person Cromwells sowie seine »Rezeption« in konkurrierenden Bildern seiner Existenz und seines Wirkens in der öffentlichen Kultur und in Medien wie Spielfilm bzw. TV anhand ausgewählter Beispiele zu untersuchen (Kap. 9).

Abgeschlossen wird das Werk durch einen dritten Hauptteil, in dem »Werk und Wirkung« resümierend zu würdigen sind. Hierbei wird einerseits die Frage nach »Cromwell – Königsmörder oder Freiheitsheld« beantwortet. Andererseits ist zu klären, ob die Regierungszeit Cromwells bzw. das Commonwealth – wie von Royalisten behauptet – nur ein »Interregnum« darstellte, welches die Herrschaft der Stuart-Könige ungerechtfertigt und gewaltsam unterbrach, oder ob die einzige englische Republik eine Existenzberechtigung mit weitreichenden Wirkungen auf die weitere Geschichte Englands bzw. sogar der gesamten Welt besaß (Kap. 10).

Schließlich betrachtet es der Verfasser als seine gern zu erfüllende Pflicht, den zahlreichen Personen und Institutionen herzlich zu danken, die zum Entstehen des vorliegenden Werkes beigetragen haben. So ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der British Library (London), der Universitätsbibliothek der Ruhr-Universität Bochum und der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen zu danken, die bei der Beschaffung der umfangreichen und zum Teil entlegenen Spezialliteratur behilflich waren. Ferner gebührt The Cromwell Association Dank, die in unterschiedlicher Weise dem Autor behilflich war.

Auch ist der Verfasser Herrn Dr. Peter Kritzinger (Kohlhammer Verlag) für die Betreuung dieses Werkes zu Dank verpflichtet.

Am 360. Todestag Oliver Cromwells – 3. September 2018

I.          Cromwell – Lebensphasen in chronologischer Perspektive (1599–1658)

1             Grundlagen (ca. 1599–1625)

 

 

 

1.1       Karl I. als Stuart-Prinz

Oliver Cromwell (* 1599) und sein späterer Gegenspieler Karl (I.) (* 1600) wurden in einer politischen Umbruchphase in England geboren, die mit der Herrschaftsübernahme durch eine neue Dynastie – der Stuarts – verbunden war. Der neue anglo-schottische Monarch Jakob VI./I., verheiratet mit Anna von Dänemark, sah sich mit einer Vielzahl ungelöster, von seiner Tudor-Vorgängerin Elisabeth I. († 1603) übernommener politischer Probleme konfrontiert.1 Vorrangig war für ihn die Schaffung eines neuen Großreiches (Great Britain), die aber am Widerstand der Parlamente scheiterte. Daraufhin bemühte sich Jakob, die Zuneigung seiner neuen Untertanen sowie des Hofes in London zu gewinnen. Hierzu überschüttete er u. a. die Höflinge mit Geschenken, Ämtern etc. und dokumentierte seinen umfassenden Herrschaftsanspruch durch kostspielige Patronage-Maßnahmen (Bauten, Schauspiele etc.). Dennoch bildeten sich – wie bei den Tudors – bald konkurrierende Hoffraktionen, die – über hübsche Günstlinge – Einfluss auf den Stuart zu nehmen versuchten. Dieser wollte schließlich seine drei Königreiche auch religionspolitisch einen, indem er (auf der Basis des Settlements von 1558) einen Ausgleich zwischen den Konfessionen bzw. mit den Evangelikalen suchte – Bemühungen, die jedoch nach dem Anschlag von Katholiken auf Königshaus und Parlament (Gunpowder Plot 1605) scheiterten. Lediglich eine neue Bibelübersetzung (als King James Bible, 1611) entstand danach und sollte in den Kirchen von Great Britain verwendet werden.2

Ein zentrales Problem für Jakob und auch für seinen Nachfolger bildeten die Finanzen der Krone, die schon unter den Tudors desolat waren. Hierzu zählte die enorme Verschuldung des Hofes (1603 ca. 400 000 £), die auch eine Konsequenz der strukturell bedingten finanziellen Unterversorgung der Krone darstellte.3 Hinzu kamen unter Jakob eine aufwändige Hofhaltung sowie eine teure Patronage der Schönen Künste. Mehrfache Versuche königlicher Berater, durch eine Neuregelung der Einkünfte des Monarchen dessen finanzielle Autonomie mit Hilfe des Parlamentes zu ermöglichen (Great Contract, 1610) schlugen infolge von Konflikten mit den Abgeordneten um Fragen königlicher Herrschaftsrechte (Divine-Right-Theorien) fehl. Somit kam es nicht nur zu einem tiefen Dissens zwischen Parlament und Monarch, dessen finanzielle Probleme weiter ungelöst blieben; auch Versuche von Beratern, neue Einnahmequellen für ihn zu erschließen (u. a. durch Impositions auf Handelsgüter, Ämter- und Titel-Verkäufe), brachten angesichts der unverändert exzessiven Ausgabepolitik des Stuarts keine grundsätzliche Klärung.

Einen weiteren wichtigen Ausgabenfaktor für Jakob stellten die von Elisabeth I. »übernommenen« Kriege dar, die England u. a. mit Spanien und in Irland führte. Auch hier versuchte der Stuart, neue Wege zu gehen und eine europaweite »Friedenspolitik« zu führen, die zudem seine Finanzen entlasten konnte. So beendete er umgehend die Konflikte mit Spanien (1604) und strebte eine Befriedung der Grünen Insel an (seit 1603). Gleichzeitig näherte er sich den Niederländern an, welche ihn (angesichts des spanisch-niederländischen Krieges) in die Rolle eines Schutzherrn der Protestanten auf dem Kontinent zu drängen versuchten (1608). Klugerweise ließ Jakob sein folgendes außenpolitisches Handeln nicht primär von konfessionellen Gesichtspunkten leiten; vielmehr strebte er als »blessed peacemaker« die Sicherung eines »kontinentalen Kräftegleichgewichts« unter den Herrschern an. Dennoch wurde er bald nicht nur in den Jülisch-Klevischen-Erbfolgestreit (seit 1609), sondern – infolge der Heirat seiner Tochter Elisabeth (* 1596)4 mit einem der Führer der Protestantischen Union, dem calvinistischen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz – auch in weitere innerdeutsche Konflikte involviert.5 Zwar intervenierte der Stuart eine Zeitlang militärisch im Erbfolgestreit, doch zog er sich bald aus den folgenden Kämpfen zurück, die zum Dreißigjährigen Krieg führten. Ein wesentlicher Grund hierfür bestand wieder in den anhaltenden finanziellen Schwierigkeiten des Stuart, dessen Vertraute zwar versuchten, die Einkünfte zu verbessern; doch diese Bemühungen schlugen fehl und führten lediglich zu weiteren Konfrontationen mit dem Blessed Parliament.6

Auch aufgrund der Finanzprobleme verzichtete der Stuart auf kostspielige militärische Unternehmungen und setzte stattdessen seine Bemühungen um einen Kräfteausgleich in Europa fort. So strebte er (nach Friedensinitiativen in Dänemark/Schweden) als Gegengewicht für zwischenzeitliche bourbonisch-habsburgische Ehebündnisse nun eine Heirat eines seiner Söhne mit einer spanischen Prinzessin an. Mit diesen Plänen stieß der Monarch auf härtesten Widerstand nicht nur bei einer katholiken-feindlichen Hoffraktion, sondern vor allem beim Thronfolger Heinrich (* 1594).7 Dieser stand in wachsendem Gegensatz zum Vater wegen dessen überhandnehmenden Günstlingswirtschaft (zuerst Robert Parr, dann George Villiers) und der lasziven Lebensweise bei Hofe, die zu wachsender Ablehnung in der Öffentlichkeit führte. Der Thronfolger setzte sich hiervon bewusst durch eine vorbildliche Lebensführung ab, versammelte einen Kreis junger, chevaleresker Gleichgesinnter um sich und schuf eine Art »zweiten Hof«. Von hier aus führte er eigenständige, im Gegensatz zum Vater stehende politische Aktionen aus (u. a. durch Kontakte zu Heinrich IV. von Frankreich), welche auch den Heiratsplänen Jakobs potentiell gefährlich werden konnten. Der überraschende Tod Heinrichs an Typhus († 6. November 1612) ersparte dem Monarchen einen offenen Konflikt mit dem überaus befähigten Thronfolger.

Nach dem Tod Heinrichs wuchs seinem jüngeren Bruder Karl I. (* 19. November 1600 in Dunfermline Palace/Fife), der bislang im Schatten des Thronfolgers gestanden hatte, eine neue Rolle als heir apparent zu. 8 Wie Heinrich hatte auch er nach der Erziehung in Schottland eine gründliche humanistische Ausbildung erhalten, wobei ihm jedoch seine labile Gesundheit Schwierigkeiten bereitete. Er litt – wahrscheinlich infolge von Rachitis sowie von Mangelernährung – an schweren Wachstumsschäden mit Beeinträchtigung seiner Gliedmaßen (Gelenkschwäche, Verkrümmung der Beine). Hinzu kamen Sprachstörungen mit Stottern und Artikulationsschwierigkeiten, welche ihn zeitlebens belasteten. Dennoch gelang es ihm mit einem selbst auferlegten »Fitnessprogramm«, seine physische Leistungsfähigkeit zu steigern und sogar Fertigkeiten in den »ritterlichen Disziplinen« (wie Reiten, Fechten) zu erwerben. Hinzu kam ein Besuch der Universität Cambridge (März 1615), an der er aber keine längere Ausbildung erfuhr; schließlich wurde er zum Prinzen von Wales ernannt (4. November 1616).

So entwickelte sich Karl zu einem zurückhaltenden, unverändert schüchternen jungen Mann von mittlerer Größe, schlankem Wuchs, schmalem Gesicht mit hellem Teint, blonden Haaren, jedoch schmalen Gliedern und leicht gebogenen Beinen sowie Gehbehinderung. Wie sein Bruder stand er aufgrund seines tief empfundenen protestantischen Glaubens dem lasziven Treiben bei Hofe ablehnend gegenüber, während der König den jüngeren Sohn noch stärker als Heinrich unter Kontrolle zu halten versuchte, um eine neuerliche Konkurrenz zweier »Höfe« auszuschließen. Konsequent schloss er ihn von einer Beteiligung an Regierungsgeschäften aus, so dass sich dieser weitgehend vom königlichen Lebenskreis separierte und sich auch mental zurückzog. Nach dem Auftauchen eines neuen Favoriten des Vaters (Villiers, Earl von Buckingham, 1617)9 änderte sich die Lage, da dieser weitschauend auch gute Beziehungen zum Thronfolger aufbaute. Dieser war – nach anfänglichen Kommunikationsschwierigkeiten – in seiner Isolation nur zu gerne bereit, Buckingham auch seinerseits als Vertrauten und Ratgeber zu akzeptieren, wobei nicht (wie beim Vater) von der Existenz homosexueller Beziehungen auszugehen ist.

Beide Gefährten erlangten im letzten Jahrzehnt der Herrschaft Jakobs größeren politischen Einfluss, wobei – abgesehen von finanziellen und innenpolitischen Schwierigkeiten – außenpolitische Probleme dominierten. Unverändert vergrößerten der Stuart und die Königin die Finanzmisere durch ihre exzessive Ausgabenpolitik mit umfangreichem Bauprogramm und Mäzenatentum für Maler, Musiker und Komponisten.10 Gleichzeitig bestanden die Konflikte mit dem Parlament u. a. über die königlichen Prärogativen sowie über die Wirksamkeit des Common Law angesichts der autoritären Herrschaftsformen des Monarchen fort. Als weitschauender erwies sich der Stuart hingegen in der Wirtschaftspolitik, indem er die Aktivitäten von Joint-stock-Companies (mit privaten Investoren) zur Gründung von Kolonien in der Neuen Welt und zur Förderung des weltweiten Handels unterstützte (Kap. 7.4). Mit seiner Emigrationsgenehmigung für Puritaner (Mayflower 1620) konnte er sich gleichzeitig eines drängenden religionspolitischen Problems entledigen. Dies misslang ihm hingegen in Irland, wo er nach einer Revolte die Repressionspolitik der Tudors wiederaufnahm, neue Plantations gründen und Teile der irischen Bevölkerung vertreiben ließ, um neue, englisch geprägte Verwaltungs- und Herrschaftsstrukturen einführen zu lassen. Trotz partieller religionspolitischer Konzessionen Jakobs fühlten sich viele Iren durch die Engländer unterdrückt und ihres kulturellen Erbes beraubt, so dass der Widerstand (latent) anhielt (Kap. 7.3).

Als noch schwieriger für den Stuart erwiesen sich die politischen Entwicklungen auf dem Kontinent bzw. im Deutschen Reich, wo die religionspolitischen Konflikte anhielten. Zudem drohte Jakob nach der Heirat seiner Tochter Elisabeth mit Kurfürst Friedrich V. (Februar 1613) in diese Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, die durch Machtkämpfe im Hause Habsburg zwischen Kaiser Rudolf II. und seinem Bruder Matthias bzw. später mit Erzherzog Ferdinand verstärkt wurden.11 Zum Auslöser für den Dreißigjährigen Krieg wurden schließlich die Kämpfe um die böhmische Königskrone, in deren Verlauf böhmische Oppositionelle eine weitere habsburgische Regentschaft zu verhindern suchten (Zweiter Prager Fenstersturz, 23. Mai 1618) und im Verlauf des Böhmisch-pfälzischen Krieges (1618–1623) auch eine neue Verfassungsordnung gegen die Habsburger realisieren wollten. In dieser politisch unübersichtlichen Lage entschloss sich Friedrich V. von der Pfalz, seine Wahl zum böhmischen König durch die Oppositionellen anzunehmen (26. August 1619), obwohl Ferdinand II. unmittelbar darauf einstimmig (d. h. auch mit pfälzischer Stimme) zum Kaiser gewählt wurde.12 Damit konnte die Königswürde des Pfälzers zum einen als Gegenkönigtum zu einem legitimen Herrscher als auch als Anspruch auf eine Neuordnung der Machtverhältnisse im Deutschen Reich verstanden werden. Die Kurwürde des Calvinisten Friedrich hätte nämlich bei der Kaiserwahl die Möglichkeit für die Schaffung eines protestantischen Kaisertums eröffnet, verbunden mit einer Gefährdung der Einheit des Reiches sowie der Macht des Hauses Habsburg.13

Es bleibt unklar, ob dem Pfälzer die Dimension des von ihm mit ausgelösten politischen und verfassungsrechtlichen Konfliktes bewusst war; zweifellos hatte er vorschnell und in der irrigen Hoffnung auf englische Hilfe gehandelt. Der Stuart hingegen wird kaum in der Lage gewesen sein, die möglichen politischen Auswirkungen der Handlungen seines Schwiegersohnes richtig einzuschätzen. Jakob war zumindest so klug, Friedrichs Königtum als illegitim zu betrachten und ihm daher die erforderliche militärische Hilfe zu verweigern; stattdessen bemühte er sich (vergeblich) um eine diplomatische Lösung des Böhmen-Problems. Infolge fehlender Hilfe verschlechterte sich die Situation des Pfälzers in der Folgezeit rapide, der nach einer vernichtenden Niederlage gegen den Kaiser (Schlacht am Weißen Berg/Prag, 8. November 1620) zuerst Teile der Kurpfalz verlor und danach aus Böhmen ins niederländische Exil fliehen musste (März 1621). Hieran konnte die Intervention eines englischen Corps von Freiwilligen unter Führung von Harold Vere auch nichts mehr ändern.

Im Verlauf des Pfälzischen Krieges verschlechterte sich die Lage Friedrichs V. weiter, der nicht nur die Oberpfalz, die Erblande etc., sondern auch noch die Kurwürde verlor, zumal er uneinsichtig am böhmischen Königstitel festhielt. Der Schwiegervater hingegen verfolgte seine politische Doppelstrategie weiter: Zum einen verweigerte er (zur Enttäuschung deutscher Protestanten) dem Pfälzer militärische Unterstützung und gewährte lediglich finanzielle Hilfe; zum anderen erstrebte er weiterhin eine diplomatische Lösung, indem er die Konfrontation zu den spanischen Habsburgern durch ein Heiratsbündnis für seinen Thronfolger aufzubrechen versuchte (Spanish Match). Hierbei erfuhr der König Kritik durch das Parlament, das – wie eine spanien-feindliche Hoffraktion – eine militärische Intervention in der Pfalz forderte.14 Nach erneuten Konflikten mit den Parlamentariern und dem Stagnieren der diplomatischen Aktionen des Stuarts erfolgte eine überraschende politische Wende, indem nun der Kronprinz und Buckingham die Initiative zu ergreifen und eigenständige Außenpolitik zu betreiben versuchten.

Während sich die Lage der Protestanten (u. a. in den Generalstaaten) weiter verschlechterte, beharrten der Thronfolger und sein Mentor auf dem spanischen Heiratsprojekt, das sie schließlich selbst durch eine Reise an den Hof in Madrid zu befördern suchten (Februar 1623).15 Wenig überraschend erwies sich das »romantische Unternehmen«, Prinzessin Maria Anna nach England »heimzuführen«, als völliger Fehlschlag. Dessen Konsequenz bestand u. a. in einem politischen Kurswechsel Karls, der nun die Ausgleichspolitik des Vaters für gescheitert erklärte und zum baldigen Krieg gegen Spanien aufrief (Blessed Revolution). Mit dieser Forderung erhielt der Thronfolger zwar die Unterstützung des Parlaments (mit drei Subsidien) und der Öffentlichkeit; doch sah er sich in den folgenden Monaten zu einem zähen Machtkampf mit dem Vater gezwungen, der beharrlich an seiner Friedenspolitik festhielt und eine Kriegserklärung verweigerte. Dennoch erlangten Karl und Buckingham seit 1624 die Oberhand, da zuerst einem Subsidienbündnis mit den Generalstaaten zugestimmt und ein Söldnerheer unter Mansfeld zur Intervention in der Kurpfalz und später zum Kampf gegen die Habsburger ausgerüstet wurde. Dann kam der Abschluss eines Heiratsvertrages für Karl (I.) und die Bourbonin Henrietta Maria (November 1624) hinzu. Doch verweigerte der kranke König weiter die Zustimmung zu einem Spanienkrieg und betrachtete die Festlandskämpfe nur als »isolierte europäische Konflikte« bzw. nicht als »interdependente Religionskriege« (M. Rüde). So hatte er es bis zu seinem Tode († 27. März 1625) geschafft, dank seiner Friedenspolitik England aus den kontinentalen Religionskriegen herauszuhalten.

1.2       Cromwell – Von Geburt ein Edelmann

»Ich war von Geburt ein Edelmann; ich lebte weder in sehr hoher Stellung, noch in völliger Verborgenheit«.16 Diese Darstellung seiner Herkunft, die Cromwell in einer Parlamentsrede 1654 gab, verdeutlicht zwar (im Wesentlichen zutreffend) die sozio-ökonomischen Bedingungen, welche seine Kindheit und Jugend prägten. Gleichzeitig unterließ er jedoch Hinweise auf die Entwicklung der sozialen Stellung seiner Familie seit der Tudor-Zeit.17 Seit der Heirat eines walisischen Vorfahren – Morgan (ap) Williams († 1517) – mit Katharina, der Schwester des mächtigen Tudor-Ministers Thomas Cromwell, stand die Familie in Kontakt mit dem Königshof, intensiviert durch Richard Williams († 1544), einem Favoriten Heinrichs VIII. Auf dessen Betreiben änderte Richard nicht nur den Namen (in Cromwell), sondern er wurde auch Mitglied der Privy Chamber sowie des Parlaments. Nach der Heirat mit der wohlhabenden Frances Murfyn (Tochter des Lord Mayor, London) konnte er beträchtliche Reichtümer anhäufen und große Ländereien u. a. in Huntingdonshire erwerben (Hinchingbrooke, Ramsey).

Sein Sohn Henry (Großvater des Lord Protector, † 1604) setzte den sozialen Aufstieg fort, wurde von Elisabeth I. zum Ritter geschlagen und hatte neben zahlreichen königlichen Ämtern einen Parlamentssitz inne. Geschickt konnte er seinen Einfluss bei Hofe stärken, ein großes soziales Beziehungsnetz durch Heiraten aufbauen und seinen Reichtum (u. a. durch Erwerb geistlichen Grundbesitzes) mehren (Beiname »Golden Knight«). Sein Sohn Oliver († 1655) versuchte, den Vater hinsichtlich der Karriere noch zu übertreffen, indem er zuerst nach dem Jura-Studium in Cambridge zahlreiche Ämter auf lokaler Ebene innehatte und danach als langjähriger Abgeordneter (für Huntingdonshire) in den Commons wirkte. Nach der Thronbesteigung Jakobs I. (1603) und dem Tode des Vaters († 1604) suchte auch er – nun Erbe zahlreicher Familienbesitzungen wie Hinchingbrooke House – erfolgreich den Kontakt zum Hof und gewann bald das Vertrauen des Stuarts. Diesen überhäufte Oliver mit Geschenken und nahm ihn vielfach prunkvoll in seinem Haus auf; im Gegenzug ernannte ihn dieser u. a. zum Mitglied der Privy Chamber. Doch Cromwell überspannte den Bogen finanziell, da er sein Engagement für den Monarchen nicht mehr bezahlen konnte und sogar in große Verschuldung geriet. Binnen zwei Jahrzehnten war das Familienvermögen fast geschwunden, so dass Oliver wichtige Besitzungen (wie Hinchingbrooke House) verkaufen musste und sozial weiter abstieg (Falling Gentry).

Sein jüngerer Bruder Robert (* 1563) und Vater des Lord Protector vermied derartige ›Aufsteiger-Fehler‹, zumal er als nachgeborener Sohn mit zehn Geschwistern nur geringes Vermögen und etwas Grundbesitz in Huntington bzw. Umgebung besaß.18 Er gehörte – nach standesgemäßer Schulausbildung sowie Besuch der Universität Cambridge und von Lincoln’s Inn – eher zur Lesser Gentry; hieran änderte auch die Heirat mit Elizabeth Steward (* 1565) wenig, der Tochter des wohlhabenden William Steward in Ely und der Witwe von William Lynne von Bassingbourn († 1589). Geschickt nutzte Robert die sozialen Kontakte Stewards zu einflussreichen Familien in Norfolk und konnte durch die Wahrnehmung kleiner Ämter auf lokaler Ebene sowie durch die Tätigkeit als Justice of the Peace (JP) ein kleines Vermögen sowie ein gewisses Ansehen erlangen. Dies wurde durch seine Wahl ins Parlament (1593) zwar gesteigert, doch trat Robert – im Gegensatz zu seinem Bruder – in den Commons kaum in Erscheinung. So erwies er sich als ruhiger, introvertierter Mensch mit festen Glaubensüberzeugungen, der eine harmonische Ehe führte und verantwortungsbewusst für die wachsende Familie sorgte.

Insgesamt wurden dem Ehepaar zehn Kinder geboren, von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten: So starb die älteste Tochter Joan (* 1592) ebenso wie der älteste Sohn Henry (* 1595) im Kleinkindalter, während zwei weitere Töchter – Elizabeth (* 1593) und Katherine (* 1597) – das Kindesalter überlebten und später verheiratet wurden. Bald darauf wurde die nunmehr 34jährige Elizabeth Cromwell erneut schwanger und gebar den Sohn (und späteren Lord Protector) Oliver (* 25. April 1599), der wie seine vier jüngeren Schwestern (Margaret * 1601, Anna * 1603, Jane * 1605, Robina * unbekannt) das Erwachsenenalter erreichte. Da der jüngste Sohn Robert (* 1608) binnen Jahresfrist starb, wurde der einzig verbliebene Sohn Oliver zum ›Stammhalter‹ der Familie, auf den sich alle Hoffnungen (bes. der Mutter) konzentrierten.

Weitergehende Angaben zur Jugend Olivers fehlen, und die wenigen, von späten Chronisten überlieferten Informationen besitzen zumeist legendenhafte Züge.19 Unstrittig erscheint, dass er eine angenehme, behütete Kindheit verlebte, in welcher die Mutter eine dominante Rolle spielte. Zwar waren die materiellen Lebensbedingungen der großen Familie nicht üppig, dennoch wird sich der junge Sohn der Oberschicht der aufstrebenden Stadt Huntingdon zugerechnet haben. Wichtig zur Sicherung des

Abb. 1: Oliver Cromwell als ca. zweijähriges Kind, Sohn von Robert Cromwell und Elizabeth Steward, 1599 in Huntingdon geboren.

sozialen Status war den Cromwells die Pflege eines umfangreichen sozialen Netzwerks zu einflussreichen Familien in East Anglia (wie Bourchier, Hampden, Ingolsby und Knightley). Zudem pflegte man die Kontakte zum Onkel und Paten Olivers (getauft am 29. April 1599 in St. John’s Church Huntingdon), dessen ›Hofhaltung‹ in Hinchingbrooke dem Neffen eine völlig neue, noble Welt eröffnete.

Wie die Jugendzeit Olivers genau verlief, ist unbekannt; es gibt lediglich Hinweise darauf, dass er ein lebensfroher, beinahe ungestümer junger Mann war, der sich konfliktfreudig zeigte – etwa bei einer Prügelei mit dem fast gleichaltrigen Prinzen Karl (I.) bei einem Besuch in Hinchingbrooke (1603). Wahrscheinlich dürfte sich der junge Mann ›den Freuden des Lebens‹ hingegeben sowie gerne gezecht und gespielt haben. Entgegen der späteren königlichen Propaganda wird man Cromwell zwar nicht für einen ausgemachten Wüstling und Raufbold halten dürfen, dennoch scheint sein Leben (nach Henry Fletcher) »nicht völlig frei […] von der Wildheit und den Torheiten [gewesen zu sein], die mit diesem Alter verbunden« sind.20 Gesichert ist hingegen, dass Oliver nach erster Unterweisung durch die Mutter die benachbarte Huntingdon Grammar School besuchte (heute Cromwell Museum). Hier wird er die übliche Ausbildung für Söhne der Gentry erhalten haben, d. h. Unterricht in den Freien Künsten, in Latein und in der Glaubenslehre. Weitergehende Kenntnisse wie andere Fremdsprachen etc. erwarb Oliver wohl nicht, so dass seine Bildung – wie später von Gegnern betont wurde – rudimentär und dürftig blieb.

Zudem zeigte der Junge nur geringes Interesse an Buchwissen und betrieb lieber robuste Knabenspiele im Freien, prügelte sich mit Mitschülern und stahl Äpfel. Auffällig war hingegen die tiefe Gläubigkeit, welche der Jugendliche schon früh zeigte, und die wohl durch seinen Lehrer Dr. Thomas Beard gestärkt worden sein dürfte. Ob dieser – wie früher angenommen – durch seine Äußerungen und Publikationen (u. a. über »ausgeglichene Regierungsformen« und eschatologische Theorien) seinen Schüler für puritanische bzw. calvinistische Lehren gewinnen konnte, erscheint nunmehr als fraglich. Dennoch wird Cromwell – wie John Milton später betonte – »in der Stille seines eigenen Bewusstseins […] den vertrauensvollen Glauben an Gott und die angeborene Weite seines Geistes« genährt haben.21

Nach Abschluss der schulischen Ausbildung besuchte Oliver im April 1616 die Universität Cambridge, wo er keine wissenschaftliche Karriere, sondern lediglich eine Fortbildung anstrebte, die seiner gesellschaftlichen Stellung dienlich war.22 Hierzu wählte er nicht – wie Vater und Onkel – das Queens’ College, sondern das neue Sidney Sussex College, das stark puritanisch geprägt war und unter dem Einfluss der Montagu Familie stand. Der Siebzehnjährige besaß den Status eines »gentleman commoner«, d. h. seine Familie musste beachtliche Studiengebühren bezahlen. Unter Leitung des Tutors Richard Howlet erfuhr der junge Student zumindest Grundzüge einer »formal education«; welche Studienschwerpunkte er in dem theologisch ausgerichteten College besaß, ist nicht bekannt. Sein Aufenthalt in Cambridge fand bereits nach einem Jahr ein abruptes Ende, als der Vater überraschend starb († Juni 1617) und der Nachkomme die Universität ohne Abschluss verlassen musste, um als einzig überlebender Sohn die Funktion des Familienoberhauptes (u. a. bezüglich seiner zahlreichen Schwestern) zu übernehmen. Hierbei konnten auch Konflikte um sein Erbe erfolgreich überstanden werden, da die Krone infolge der Unmündigkeit Olivers finanzielle Ansprüche wegen königlicher Vormundschaft (wardship) erhob.

Welche Aktivitäten der Achtzehnjährige in der Folgezeit entwickelte, ist nicht feststellbar. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist aber anzunehmen, dass er – wie seine Verwandten – eine Karriere als Jurist anstrebte und sich daher von 1617 bis 1620 zu einer Rechtsausbildung an die Inns of Court nach London begab. Da keinerlei Zeugnisse über ein reguläres Rechtsstudium Cromwells überliefert sind, ist zu vermuten, dass er hier ebenfalls kein Examen ablegte, sondern lediglich gewisse Rechtskenntnisse erwarb, die ihm später als Grundeigentümer von Nutzen sein konnten. Insgesamt ist bezüglich seines Studiums in Cambridge und London zu konstatieren, dass ihn dieses in keiner Weise auf die spätere Karriere (als Politiker, Militärführer) vorbereitete.

Abb. 2: Ehemalige Schule Oliver Cromwells in Huntingdon, heute Cromwell-Museum.

Sein Aufenthalt in London wurde hingegen auch zur Ausweitung des sozialen Netzwerks der Familie genutzt, das schließlich die Heirat Olivers mit Elizabeth, der ältesten Tochter (von zwölf Kindern) Sir James Bourchiers, ermöglichte.23 Dieser war ein reicher Pelz- und Leder-Händler in der Hauptstadt mit Grundbesitz in Essex, dessen Familie Dank seines Vermögens hohes Ansehen in der Region genoss und wichtige Kontakte zu anderen mächtigen Clans (u. a. Barrington) besaß. Über die Braut ist lediglich bekannt, dass sie ca. 1598 geboren wurde (d. h. etwa ein Jahr älter als Oliver war), zumindest eine Elementarausbildung erhielt, später jedoch keine ausgeprägten geistigen bzw. kulturellen Interessen zeigte. Zudem scheint sie ein freundliches Wesen besessen zu haben und von gedrungener Gestalt mit einem runden Kopf, etwas auseinander stehenden Augen und mit Grübchen in den Wangen gewesen zu sein – d. h. nach den Normen der Zeit eine ›ländliche Schönheit‹. Bemerkenswert war schließlich, dass Elizabeth ihrem Mann ein Leben lang in Treue und bleibender Zuneigung verbunden war, obwohl die Ehe später infolge der häufigen Abwesenheit des Gatten gewissen Belastungen ausgesetzt zu sein schien.

Die Hochzeit fand – kurz nach dem Mündigwerden des Bräutigams – am 22. August 1620 in der Kirche St. Giles’s (Cripplegate) in London statt; doch schon bald entschloss sich das Paar, nach Huntingdon zu ziehen. Hier bewohnte es mit der verwitweten Mutter Cromwells sowie mit dessen noch unverheirateten Schwestern gemeinsam ein Haus. Welche Tätigkeiten der junge Familienvorstand im Ort bzw. in der Region in der Folgezeit ausübte, ist unbekannt. Anzunehmen ist, dass Oliver die vom Vater übernommenen Besitzungen verwaltete; ob zusätzlich eine Brauerei betrieben wurde, ist fraglich. Hilfreich wird auch die Mitgift bzw. der Besitz Elizabeths gewesen sein, die hierdurch zur Sicherung des sozialen Status der Familie beigetragen haben dürfte. Schon bald vergrößerte sich diese durch die Geburt zahlreicher Kinder, die seit 1621 in Huntingdon das Licht der Welt erblickten (bis 1638 insgesamt neun Nachkommen). Dennoch ist anzunehmen, dass Cromwell mit seiner wachsenden Familie in den 1620er Jahren das herkömmliche, jedoch unauffällige Leben eines Landedelmanns geführt und in der Stadt bzw. in der Region in keiner Weise eine wichtige gesellschaftliche oder gar politische Rolle gespielt haben dürfte.

2          Karl I. und Cromwell – Parallele Leben (1625–1640)

 

 

 

2.1       Karl I. als junger König

Unmittelbar nach dem Tode des Vaters nahm der neue König die Regierungsgeschäfte auf, wobei er innenpolitisch um Handlungskontinuität durch Übernahme der wichtigsten Funktionsträger seines Vorgängers bemüht war. Außenpolitisch versuchte er neue Wege zu gehen, wobei er mindestens drei Handlungsschwerpunkte setzte: die Verbesserung der Beziehungen zum französischen Herrscherhaus, die gewaltsame Konfrontation mit Spanien (mit unklaren strategischen Zielen) und die Rekuperation der Pfalz für seinen Schwager Friedrich. Zuerst widmete er sich den Kontakten zu den Bourbonen, indem er das länger konzipierte Eheprojekt mit Henrietta Maria zuerst durch Stellvertreter-Hochzeit in Paris (11. Mai 1625) und nach Ankunft der Braut in England durch die Hochzeit (in Person) in Canterbury realisierte (13. Juni).1 Diese Verbindung stieß im Inselreich vielfach auf Ablehnung, obwohl die fünfzehnjährige Bourbonin ein hübsches Aussehen besaß – nämlich schmale Glieder mit langen Armen, brünettes Haar, ein ovales Gesicht, dunkle, ausdrucksvolle Augen, eine kleine Nase, dunklen Teint und unebene Zähne. Von kleinem Wuchs verfügte sie über ein lebhaftes Temperament und fröhliches Wesen; zudem hatte sie eine höfische Erziehung erhalten. Ein – für die Engländer entscheidender – Nachteil bestand jedoch in der Tatsache, dass sie eine überzeugte Katholikin war und ihren Glauben offen am englischen Hof praktizierte. So weigerte sie sich später, an der nach protestantischem Ritus durchgeführten Krönung des Gatten in Westminster Abbey teilzunehmen (2. Februar 1626). Zudem baute sie einen eigenen aufwändigen Hofstaat ausschließlich mit französischen Höflingen sowie zahlreichen katholischen Geistlichen in London auf – Verhaltensweisen, die rasch zu Spannungen zum Gatten und zur englischen Öffentlichkeit führten.

Schwieriger zu realisieren waren hingegen die offensiven außenpolitischen Pläne des Stuarts, die beträchtliche finanzielle Mittel erforderten. Diese konnte nur das Parlament beschaffen, mit dem der König wegen seiner Herrschaftspraxis umgehend in Konflikt geriet.2 Wie sein Vater betrachtete Karl sein Königtum als »von Gottes Gnaden« (divine rights of kings), wobei er dem Parlament jeglichen politischen Mitwirkungsanspruch verweigerte. Die Abgeordneten hingegen befürchteten, dass er ein absolutistisches Herrschaftssystem nach kontinentalem Vorbild errichten wollte; hiergegen wehrten sie sich mit Hilfe des Instruments der Steuerbewilligung. Dieses setzten sie seit April 1625 mehrfach ein, indem sie u. a. nur geringe Subsidien (für Kriege) sowie zeitlich begrenzt Hafenzölle (tonnage and poundage) bewilligten. Hierdurch wurde ein Machtkampf initiiert, der über Jahre

Abb. 3: Porträt König Karls I. bei der Jagd, von Anton van Dyck.

anhielt und den politischen Handlungsspielraum des Königs nachhaltig einschränkte.3

Der Geldmangel des Herrschers machte sich umgehend im Krieg gegen Spanien bemerkbar, den er mit Flottenangriffen auf spanische Edelmetalltransporte sowie Küstenstädte der Iberischen Halbinsel (u. a. Cadiz) seit Oktober 1625 durch Buckingham bzw. Edward Cecil führen ließ. Dessen Aktivitäten schlugen (u. a. wegen Ausrüstungsmängeln, strategischer Fehler) ebenso fehl wie folgende Angriffsversuche auf spanische Festungen (Herbst 1626). Gleichzeitig suchte der Stuart den Konflikt mit den Spaniern im Heiligen Reich, indem er (zur Rekuperation der Pfalz) einer Allianz mit den Niederlanden, einigen protestantischen Reichsständen und später dem Dänenkönig Christian IV. beitrat, um durch Zahlung von Subsidien das weitere Vordringen der Habsburger (durch Wallenstein) nach Norddeutschland zu verhindern (Dänisch-niedersächsischer Krieg bis 1629). Doch schon bald scheiterten diese Aktivitäten der Verbündeten ebenso wie die Unternehmungen des Söldnerführers Graf Peter Ernst II. von Mansfeld, mit einem Heer in englischem Auftrag die Pfalz zu befreien.4

Ungeachtet dieser Rückschläge und erneuter Konflikte mit dem Parlament (u. a. wegen Buckingham) setzte der Stuart seine offensive Außenpolitik fort, wobei nun die Belastungen der Beziehungen zu Frankreich in den Vordergrund traten.5 Als problematisch erwiesen sich zum einen die Konflikte um die Person der Königin, deren französischer Hofstaat ausgewiesen wurde; zum anderen führten Hilfsgesuche der Hugenotten – nach temporärer Kooperation Karls mit Ludwig XIII. – zu einem außenpolitischen Kurswechsel. Nun entschloss sich der Stuart (auf öffentlichen Druck), die französischen Protestanten in La Rochelle durch die englische Flotte unter Befehl Buckinghams unterstützen zu lassen – ein Unternehmen, das erneut wegen Ausrüstungsmängeln und strategischer Fehlentscheidungen scheiterte (Englisch-französischer Krieg 1627–1629). Folgende Versuche Buckinghams, die Hugenotten zu entsetzen, misslangen vollständig (Oktober 1627).6

Die genannten Militäraktionen vergrößerten die finanziellen Schwierigkeiten des Stuarts kontinuierlich, der sich gezwungen sah, mehrfach das Parlament wegen der Gewährung von Subsidien einzuberufen.7 Doch entgegen seinen (naiven) Erwartungen zeigten sich die Abgeordneten nicht nur unwillig, die gewünschten Gelder zu genehmigen. Vielmehr erhoben sie schwere Vorwürfe gegen königliche Berater (wie Buckingham), gegen die Steuerpolitik Karls (mit forced loans etc.) und wegen Gerichtsverfahren gegen Zahlungsunwillige (76 Gentlemen, Five Knights Case – Verstöße gegen Habeas-Corpus-Recht). Die Konflikte eskalierten mit immer umfassenderen Forderungen der Delegierten bezüglich der Untertanenrechte (Petition of Rights) und der Herrschaftsmitwirkung des Parlamentes – Postulate, die zwar partiell von Karl akzeptiert wurden, jedoch keinerlei Auswirkungen auf seine Herrschaftspraxis besaßen. So verschärften sich die Spannungen weiter (u. a. Three Resolutions), wobei wichtige Abgeordnete (wie John Eliot, John Pym) noch zusätzliche Kritik wegen der Religionspolitik und des angeblichen Einflusses von Arminianern äußerten.

Während der Stuart seine Willkürmaßnahmen fortsetzte, gleichzeitig aber sein drittes Parlament (vergeblich) um Subsidien bat, erfolgte nach der Ermordung Buckinghams († 23. August 1628) bei der Vorbereitung einer weiteren Intervention in La Rochelle allmählich ein politischer Umschwung. Der König hatte zwar seinen wichtigsten Berater verloren, doch wurde dessen Tod in der Öffentlichkeit und von der Königin als Befreiung empfunden; schon bald kam es zu einer Annäherung der Eheleute, so dass die Königin zu einer wichtigen Ratgeberin wurde. Zudem beschloss Karl, den eskalierenden Auseinandersetzungen mit dem Parlament ein Ende zu bereiten (10. März 1629) und künftig ohne dieses zu regieren (Personal Rule). Zugleich konnte er ehemalige Kritiker (wie Thomas Wentworth) als neue Berater gewinnen, während der Privy Council (trotz seiner Fraktionskämpfe) an Bedeutung gewann. Hinzu kam die Unterstützung durch Führungspersönlichkeiten der Anglikanischen Kirche wie William Laud (später Erzbischof von Canterbury), welcher die umfassenden Herrschaftsrechte des Monarchen (Prärogative) zu legitimieren suchte. Gleichzeitig wurde der Bischof wegen seiner angeblichen Förderung der Arminianer und ihrer Lehre kritisiert (Erlösung sola fide, Modifikation der calvinistischen Prädestinationslehre etc.).8

Die neuen Berater waren es auch, die den Monarchen zu einem politischen Kurswechsel veranlassten, insbesondere in der Außenpolitik. Da Karl eine Kooperation mit dem Parlament verweigerte und damit weitere Subsidien ausgeschlossen waren, entschloss er sich, einen wesentlichen Kostenfaktor (die Kriege gegen Frankreich und Spanien) zu beseitigen. Wenn auch zögerlich, stimmte der König zuerst einem Friedensschluss mit Frankreich zu (April 1629), gefolgt von einer Friedensvereinbarung mit Spanien (November 1630).9 Diese war mit einer geheimen Übereinkunft bezüglich eines baldigen gemeinsamen Angriffs auf die Vereinigten Provinzen verbunden, um einen lästigen Handelskonkurrenten auszuschalten. Hingegen verfolgte der Stuart – trotz möglicher Kosten – das Ziel einer Restituierung seines Schwagers weiter, so dass er auch weiterhin in die Entwicklungen im Heiligen Reich involviert blieb.

Hier hatte sich die Situation der Protestanten nach zahlreichen Niederlagen sowie dem Rückzug Christians IV. aus dem Kampfgeschehen (Mai 1629) im Zusammenhang mit dem Restitutionsedikt (März 1629) weiter verschlechtert, so dass Gustav II. Adolf von Schweden in das Geschehen eingriff, um die Existenz des Protestantismus im Reich zu sichern und zugleich eigene hegemoniale Ansprüche in Nordosteuropa durchzusetzen (Schwedischer Krieg 1630–35).10 Auch der Stuart entschloss sich (wie die Bourbonen), zur Restituierung seines Schwagers den Schweden durch ein Freiwilligen-Kontingent unter James Hamilton zu unterstützen, während er gleichzeitig durch Gesandte Verhandlungen an den Habsburger-Höfen in Madrid und Wien führen ließ. Zwar gelangen Gustav Adolf in der Folgezeit verschiedene militärische Erfolge und sogar die Eroberung der Pfalz (1632), jedoch verweigerte er sowohl die Rückführung des Kurpfälzers als auch ein Bündnis mit dem Stuart. Spätestens mit dem Tode des Schweden (in der Schlacht bei Lützen, 16. November 1632), gefolgt von dem Ableben Friedrichs V. († 30. November 1632) waren die Interventionen Karls im Heiligen Reich weitgehend ergebnislos geblieben, zumal die Kurpfalz nach dem Rückzug der Schweden erneut von kaiserlichen und später französischen Truppen besetzt wurde.

Die Entwicklungen im Heiligen Reich veranlassten den Stuart und seine Berater, sich stärker auf innenpolitische Probleme und auf die Verbesserung der finanziellen Lage der Krone zu konzentrieren. Vor allem Thomas Wentworth und Bischof William Laud widmeten sich der Aufgabe, nach kontinentalem Vorbild (Richelieu, Olivares) die königliche Macht im absolutistischen Sinne in allen drei Königreichen durchzusetzen. Mit Gleichgesinnten (in der sog. Thorough Party)11 strebten sie zuerst eine Effizienzsteigerung der Administration und eine Verbesserung der königlichen Einnahmen an. Dies betraf nicht nur die ›traditionellen‹ Einkunftsquellen der Krone (u. a. Einnahmen aus Kronland, feudale Abgaben, Justiz, Zölle), sondern auch Gelder aus Monopolen, Hafenzöllen etc. Zudem ersannen die Berater neue Einnahmequellen unter Rückgriff auf uralte feudale Rechte (etwa Distraint of Knighthood) und königliche Forstrechte; auch machte man das Schiffsgeld (ship money) zur Finanzierung der Flotte zu einer dauerhaften, direkten Steuer, die nunmehr alle Counties zu zahlen hatten (seit 1635) – Maßnahmen, die auf schärfsten Widerstand in der Bevölkerung stießen. Wie üblich, zeigte sich der König hiervon unbeeindruckt, zumal durch die Reformmaßnahmen die Solvenz der Krone nach langer Zeit wieder gesichert war.

Ähnliche Tendenzen verfolgte William Laud (seit 1633 Erzbischof von Canterbury) im geistlichen Bereich, in welchem ebenfalls die Macht des Monarchen stärker zur Geltung gebracht, angebliche Fehlentwicklungen korrigiert und der Einfluss von Puritanern beendet werden sollten (Laudianismus).12 Zudem wollte er die materielle Situation der Hochkirche durch die Restituierung von enteignetem Kirchenbesitz (bes. zu Lasten von Oberschicht, Gentry) ebenso verbessern wie die Qualität von Predigten, geistlicher Unterweisung etc. Zur »Reinigung des kirchlichen Lebens« sollte die Uniformität in der Liturgie und im Ritus ebenso befördert werden wie die Rückkehr zu aufwändigen Zeremonien, prunkvollen Gewändern der Pfarrer und prächtiger Ausstattung der Kirchengebäude. Auch hatte den Sakramenten und den Riten größere Bedeutung als den Predigten zuzukommen. Konsequent setzte der Erzbischof diese Änderungen mit Visitationen und gegebenenfalls durch Strafverfahren gegen Oppositionelle in den Prerogative Courts (Star Chamber, High Commission) durch. Die harten Zwangsmaßnahmen (u. a. gegen Henry Burton, William Prynne) mit Verstümmelungen der Betroffenen führten jedoch zu wachsender Kritik in der Öffentlichkeit.

Vergleichbare Reform- bzw. Zentralisierungsmaßnahmen strebte der Stuart in Irland an, wo sein Berater Wentworth als Lord Deputy ebenfalls das Thorough-Programm realisieren und die Grüne Insel für die Krone profitabel machen sollte (seit Juli 1633).13 Dank seines Geschicks – indem er u. a. die Gruppen der Old English und New English gegeneinander ausspielte – konnte Wentworth die Verwaltung modernisieren, »Recht und Ordnung« durchsetzen und die Tuchmanufaktur sowie den Außenhandel (bes. mit Spanien) fördern. Auf Widerstand stießen hingegen seine Maßnahmen, die Machtgrundlagen der katholischen Old English (u. a. durch Beschlagnahme von Ländereien) zu schmälern, gälisch-stämmige Iren in Connacht zu enteignen und die Plantations auszudehnen. Ungelöst blieb auch weiterhin das Problem der Glaubensausübung von Katholiken in Irland, die trotz Repressionen an ihren religiösen Überzeugungen festhielten.

Neben den genannten innenpolitischen Reformmaßnahmen verfolgte der Stuart unverändert auf dem Kontinent dynastische Interessen zur Rückführung seiner exilierten Schwester sowie seines Neffen Karl I. Ludwig in die Kurpfalz.14 Ohne weitergehende geopolitische Ziele zu erstreben, verzichtete der König (auch aus finanziellen Gründen) auf ein militärisches Engagement, obwohl sich die Kämpfe im Heiligen Reich nach dem Tode Gustav Adolfs (1632) weiter ›internationalisierten‹. Zwar wollten die Schweden (nunmehr unter Kanzler Axel Oxenstierna) mit einigen protestantischen Ständen die »Deutsche Libertät« weiter schützen (seit April 1633), doch konnten die Kaiserlichen trotz der Ermordung Wallensteins († 25. Februar 1634) entscheidende Siege über die vereinten schwedisch-protestantischen Truppen erringen (etwa Schlacht bei Nördlingen, September 1634). Daraufhin zog sich die Mehrheit der protestantischen Stände aus den Kämpfen zurück (Prager Friede, Mai 1635), so dass zumindest theoretisch ein Ende der Kämpfe im Reich möglich gewesen wäre.

Da dieser Friede aber primär eine ›deutscher Friede‹ ohne Einbeziehung der ausländischen Konfliktpartner war, wurden die Feindseligkeiten in der Folgezeit nicht nur fortgesetzt: Vielmehr erfolgte eine weitere ›Internationalisierung‹ des Dreißigjährigen Krieges (Schwedisch-Französischer Krieg, 1635–1648), wobei insbesondere Richelieu die Auseinandersetzungen für seine expansive Außenpolitik instrumentalisierte (»Politik der Einfallspforten«). Während der neue Kaiser Ferdinand III. nach dem Tode seines Vorgängers († 15. Februar 1637) u. a. durch eine Reichsreform eine innenpolitische Befriedung und eine Vertreibung der ausländischen Truppen aus dem Reich anstrebte, nutzten vor allem Frankreich und Schweden die Gelegenheit, ihre geopolitischen Interessen im Kampf gegen die Habsburger zu verfolgen (»Stellvertreterkriege«). Der englische König versuchte zwar unverändert, in dem komplexen Geschehen seine dynastischen Interessen bezüglich der Kurpfalz durch gesandtschaftliche Kontakte zu Richelieu und Philipp IV. weiter zu verfolgen, doch zeigten diese – angesichts der englischen militärischen und wirtschaftlichen Schwäche – kein Interesse an derartigen Zielen.

Infolge des Fehlschlags seiner außenpolitischen Bemühungen verzichtete der Stuart auf weitere Interventionen auf dem Kontinent und konzentrierte sich auf die innenpolitische Stärkung seiner Macht. Fatalerweise folgte er hierbei dem Rat von Erzbischof Laud, seine kirchenpolitische Herrschaft nicht nur in England, sondern auch in Schottland zu intensivieren (Kap. 7.2). Im Streben nach einer Harmonisierung der Kirchenorganisation in beiden Reichen sollte eine Reorganisation der presbyterianisch geprägten Kirk in anglikanischem Sinne u. a. durch die Einführung eines neuen Book of Canons sowie einer Neufassung des Prayer Book für Schottland erfolgen. In völliger Fehleinschätzung der Lage hatten es der König und Laud nicht für nötig gehalten, im Vorfeld Vertreter der Kirk und des schottischen Parlaments zu konsultieren. So kam es (für den Stuart überraschend) zu offenem Widerstand, indem sich schottisches Nationalgefühl mit der Sorge vor englisch-anglikanischer Überfremdung verband. Nach öffentlichem Protest in der Saint Giles Cathedral (Edinburgh) (Juli 1637) entwickelte sich landesweit eine Widerstandsbewegung, die schon bald auch allgemein gegen die Schottland-Politik Karls gerichtet war. Dieser sah hierdurch seine königliche Autorität grundsätzlich in Frage gestellt, worauf er nur mit kriegerischer Repression reagieren zu müssen glaubte (Kap. 3.1).

2.2       Cromwell als Lord of the Fens

Bald nach der Übersiedlung der Cromwells nach Huntingdon begann das Ehepaar, sich dort zu etablieren und eine Familie zu gründen; bis 1638 wurden neun Kinder geboren, von denen sechs das Erwachsenenalter erreichten (Bridget * 1624, Richard * 1626, Henry * 1628, Elizabeth * 1629, Mary * 1637, Frances * 1638). Dominant im Haushalt blieb die Mutter Elizabeth, die später (ungerechtfertigt) von den Royalisten als ungebildete, tyrannische Alkoholikerin diffamiert wurde. Oliver wird sich der Verwaltung des geerbten Grundbesitzes sowie (unbekannten) zusätzlichen Geschäften gewidmet haben. Zudem baute er sein soziales Netzwerk zu angesehenen Familien der Region weiter aus, so dass er zuerst Mitglied des Common Council in Huntingdon, danach sogar (neben James Montagu) Abgeordneter im Parlament (1628) wurde. Hier blieb Cromwell jedoch unauffällig und wirkte lediglich im Committee for Religion (zu Fragen des Arminianismus) mit (1629). Ansonsten wird er sich der Gruppe der Königsgegner angeschlossen haben, welche die Herrschaftspraxis Karls kritisierten.15

Noch vor Auflösung des Parlaments (März 1629) erkrankte der Abgeordnete schwer, der zudem nach Angaben des Arztes Theodore Mayenne an Depressionen litt, jedoch keine weitergehenden Persönlichkeitsstörungen (wie Bi-Polarität) aufwies. Hieraus entwickelte sich eine tiefe existentielle Krise, in der für Cromwell nach intensivem Gebet und Bibellektüre ein Konversionsprozess begann, der mehrere Jahre andauerte. In dessen Verlauf gelangte er (gleichsam durch Offenbarung) zu der (calvinistischen) Überzeugung, nunmehr von Gott berufen zu sein und zu den »Gottgefälligen« (Godly) zu gehören. Später beschrieb er in einem Brief an eine Verwandte das Geschehen: »Wahrlich, es hat keine arme Kreatur so viel Grund wie ich, für Gottes Gnade einzustehen. […] Gelobet sei sein Name, daß er in ein so dunkles Herz wie das meine scheint. Du weißt ja, was für ein Leben ich führte. […] Ich war einer der ärgsten, ja der ärgste Sünder: Ja, wahrlich, ich haßte das Göttliche, und doch übte Gott Barmherzigkeit an mir. […] bete für mich, daß er, der das gute Werk in mir angefangen, es auch in mir vollenden wolle auf den Tag Christi« (13. Oktober 1638).16