Oma macht klar Schiff - Regine Kölpin - E-Book

Oma macht klar Schiff E-Book

Regine Kölpin

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Beschreibung

Freunde, eine alte Liebe, gute Laune und ganz viel Nordsee-Flair In Regine Kölpins humorvollem Roman »Oma macht klar Schiff« sticht Oma Frauke zusammen mit ihren Freunden in See – und macht eine überraschende Entdeckung. Frauke Hansen staunt nicht schlecht, als sie von einem Freund dessen alten Kutter erbt. Nur was soll sie jetzt mit dem guten Stück anfangen? Ihre Freunde Barbara und Heinz haben die zündende Idee: Warum nicht ein schwimmendes Café eröffnen, um der Langeweile der Seniorenresidenz in Burhave an der Nordsee zu entkommen? Tatkräftig unterstützt von Teenager Keno, der Tischler werden möchte, wird der Kutter umgebaut. Schon bald fahren sie damit die umliegenden Häfen an, machen neue Bekanntschaften – unter ihnen auch Kenos Opa, der Fraukes Jugendliebe sehr ähnlich sieht. Frauke ist außer sich. Zum Glück steht ihr die kleine Crew des Kutter-Cafés stets mit Rat und Tat zur Seite – selbst wenn sich Turbulenzen abzeichnen sollten … Mit warmherzigem Humor und jeder Menge Nordsee-Flair ist »Oma macht klar Schiff« eine wunderbar entspannte Lektüre zum Schmunzeln und Seele-baumeln-lassen – nicht nur perfekt für den Nordsee-Urlaub. Entdecken Sie auch die anderen Oma-Romane von Regine Kölpin: - Oma zeigt Flagge - Oma geht campen - Oma wird Oma - Oma tanzt auf Wolke 7 - Oma kriegt die Kurve

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Regine Kölpin

Oma macht klar Schiff

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Frauke Hansen staunt nicht schlecht, als sie von einem Freund dessen alten Kutter erbt. Nur was soll sie jetzt mit dem guten Stück anfangen? Ihre Freunde Barbara und Heinz haben die zündende Idee: Warum nicht ein schwimmendes Café eröffnen, um der Langeweile der Seniorenresidenz in Burhave an der Nordsee zu entkommen?

Tatkräftig unterstützt von Teenager Keno, der Tischler werden möchte, wird der Kutter umgebaut. Schon bald fahren sie damit die umliegenden Häfen an, machen neue Bekanntschaften – unter ihnen auch Kenos Opa, der Fraukes Jugendliebe sehr ähnlich sieht.

Frauke ist außer sich. Zum Glück steht ihr die kleine Crew des Kutter-Cafés stets mit Rat und Tat zur Seite – selbst wenn sich Turbulenzen abzeichnen sollten …

Mit warmherzigem Humor und jeder Menge Nordsee-Flair ist »Oma macht klar Schiff« eine wunderbar entspannte Lektüre zum Schmunzeln und Seele-baumeln-lassen – nicht nur perfekt für den Nordsee-Urlaub.

Inhaltsübersicht

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Rezepte

Kutterkuchen

Nordseeplatte

Meerbrise

Danksagung

Leseprobe »Oma kriegt die Kurve«

Prolog

Was für ein wunderbarer Frühlingstag! Die Sonne kitzelte die Menschen an den Nasenspitzen, schien mit den Nordseewellen Fangen zu spielen, und der Himmel zeigte sich kitschig in Postkartenblau.

Malte Willich hatte sich auf das Ausflugsschiff begeben und fuhr nun bei einer Sonderfahrt mit vielen anderen Touristen auf dem Jadebusen herum. Sie umrundeten gerade den Arngaster Leuchtturm und näherten sich der Seehafenstadt Wilhelmshaven.

Vorsichtig schaute er sich um, doch er wurde von den anderen nicht beachtet, weil einer einen Seehund entdeckt hatte und deshalb alle begeistert auf die eine Schiffsseite stürzten, sodass Malte kurz befürchtete, das Schiff könnte Schlagseite bekommen. Da der Seehund aber kurz darauf auf der anderen Seite auftauchte, rannte ein Großteil der Gäste wieder zurück.

Malte atmete erleichtert aus. Er sollte sich nicht immer so viele Gedanken machen. Das meiste regelte sich im Leben von allein. Da ihn noch immer keiner beachtete, griff er schnell in die mitgebrachte Leinentasche und zog eine Flasche hervor. Darin steckte ein zusammengerollter Zettel, auf den er die Worte geschrieben hatte, die ihm schon seit Jahren durch den Kopf gingen. Worte, die während seiner glücklichen Ehe zwischenzeitlich verblasst, nach dem Tod seiner Frau jedoch wieder stärker geworden waren.

Manchmal dachte Malte, dass man im Alter wunderlich und rückwärtsgewandt wurde und die Vergangenheit einen viel zu großen Raum einnahm. Sie war oft präsenter als die Gegenwart.

Sanft strich er über das Glas der Flasche, schaute sich sicherheitshalber noch einmal um und holte dann weit aus, bevor er die Buddel der Nordsee übergab.

Es gluckste, als sie auf der Wasseroberfläche auftraf und in den leichten Wellen auf und nieder dümpelte. Malte hatte sie vorausschauend fest mit einem Korken verschlossen und mit Wachs versiegelt. Sie musste eine Weile auf dem Meer durchhalten, denn die Botschaft würde lange unterwegs sein. Vielleicht ewig. Vielleicht nie ankommen, denn Malte wusste nicht einmal, wo seine Windsbraut jetzt lebte. Ob an der See oder am Meer. Er wusste gar nichts, außer dass es schön gewesen war mit ihr. Damals, als es noch keine Gedanken an das Morgen gab – das sie dann allerdings schneller eingeholt hatte als gedacht.

Vielleicht würde ihr das Universum im Traum zuflüstern, dass er sie nicht vergessen, aber trotzdem ein schönes Leben an der Seite seiner Frau gehabt hatte, und dass er stets von der Hoffnung begleitet worden war, seine Windsbraut ebenfalls im Glück zu sehen. Egal, wie und egal, wo.

Malte seufzte, denn wer wusste schon, ob sie sich überhaupt an ihn erinnerte? Ob sie noch manchmal an die Nächte auf der speckigen Matratze in einer Berliner WG zurückdachte, die ihnen trotzdem wie ein Himmelbett erschienen war?

Es hatte dort nur sie gegeben. Ihre Küsse, ihre Nähe und das Jetzt.

Malte seufzte erneut. Er war wirklich auf dem besten Weg, ein eigenartiger Kauz zu werden. Auf jeden Fall hatte es gut getan, seine Gedanken zu Papier zu bringen.

Er schaute sich wieder um. Hoffentlich hatte keiner bemerkt, dass er die Flasche ins Meer geworfen hatte. Auf Außenstehende musste sein Handeln sehr wunderlich wirken.

»Du bist wirklich schon ein alter Zausel«, flüsterte er. »Ihr habt euch fünfzig Jahre nicht gesehen, und ihr hattet nicht einmal eine echte Beziehung.«

Und doch hatte sie ihn nie losgelassen, mit ihrem feurigen Blick, auch wenn er ihn sacht übersehen konnte in all den Jahren mit seiner Frau.

Doch nun, wo Wilma tot war und ihn die Einsamkeit in seiner Cuxhavener Wohnung zu oft übermannte, kamen sie eben wieder, diese Bilder, als sie noch Seite an Seite bei den Demos durch die Straßen marschiert waren und für eine bessere Welt gekämpft hatten.

Malte lachte leise auf und schaute an sich hinunter. Von einem Demonstranten und Weltverbesserer war er inzwischen weit entfernt. Vermutlich würde seine Windsbraut ihn heute als Spießer bezeichnen.

Oder war auch sie anders geworden? Bestimmt lief sie ebenfalls nicht mehr bunt gekleidet und mit dicken Ketten behangen durch die Gegend. Für einen Augenblick war es Malte ein bisschen unangenehm, dass er jetzt meist einen Anzug trug und gut geputzte Lederschuhe. Nur wenn er seine Stadtführungen machte, legte er die Rolle des seriösen Lehrers ab und wagte sich aus seiner Haut, indem er in mittelalterliche Gewandung schlüpfte.

Malte blickte wieder versonnen über den Jadebusen. Die Flaschenpost konnte er kaum noch ausmachen. Wenn er allerdings genau hinsah, bemerkte er, wie sie auf den leichten Wellen tanzte.

»Ich wünsche mir so sehr, dass sie meine Windsbraut erreicht«, flüsterte er. »Liebes Universum, kümmerst du dich darum?«

Kopfschüttelnd stand er auf. Was war denn das jetzt? Das Universum anrufen? Blöder ging es nicht, er war doch kein Esoteriker! Malte ging ein Stück weiter nach vorn und konnte so sehen, wie das Ausflugsschiff mit seinem Bug gemächlich durchs Wasser pflügte. Der Seehund war verschwunden und auf dem Schiff Ruhe eingekehrt.

Inzwischen waren sie dem Arngaster Leuchtturm sehr nah. Es war das Highlight der Ausflugsfahrt, und Malte hörte das Klicken sämtlicher Fotoapparate und Handys.

Dann wendete das Schiff und stampfte zurück Richtung Dangast. Malte war zufrieden, denn er hatte das getan, was ihm schon so lange vorschwebte, und nun konnte er in seinen Alltag zurückkehren, der nun mal so war, wie er war. Und wer vermochte schon zu sagen, ob sein Leben glücklicher verlaufen wäre, hätten er und seine Windsbraut sich nicht aus den Augen verloren …

Ihr Weg hätte ein anderer sein können, aber sie hatten sich nie ihre wirklichen Namen genannt und so die Chance auf ein Wiedersehen leichtfertig verspielt, weil die Unabhängigkeit ihm damals als das größere Gut vorgekommen war.

Man traf Frauen, man schlief mit ihnen und ging seiner Wege. So hatten sie es gehalten und dabei ausgeschlossen, dass doch mal eine das Herz berühren konnte. Deshalb war sie für ihn die Windsbraut geblieben – er selbst hatte sich Roter Oskar genannt, weil er sich als junger Mann einmal auf der Flucht vor der Polizei in einer Mülltonne hatte verstecken müssen. Wie der Oskar aus der Sesamstraße.

Jedenfalls war seine Windsbraut fortgeweht, hatte ihren Namen und ihr Leben mitgenommen, bei dem er nur am Rand hatte knabbern dürfen und jetzt bereute, dass er es nicht ganz gekostet hatte.

Gestern aber hatte sich Malte nach reiflicher Überlegung dazu durchgerungen, endlich auf diese romantische Weise von der Vergangenheit Abschied zu nehmen, damit er nach vorn schauen konnte. Schließlich musste auch mal Schluss sein mit den alten Erinnerungen, und das funktionierte nur, wenn man eine scharfe Linie zog. Malte plante, ein neues Leben zu beginnen, in der Altlasten keinen Platz mehr hatten, weil er nicht als wunderlich gelten wollte. Schließlich mutete es seltsam an, dass er noch immer so sehr an seine erste Liebe dachte – so kurz sie auch gewesen war.

Er war froh, als das Schiff wieder in Dangast anlegte und er zu seinem Wagen zurückgehen konnte. Das Thema sollte damit endgültig abgeschlossen sein. Warum nur hatte er den Verdacht, dass es nicht so war und keiner die Vergangenheit mit einer Flaschenpost beenden konnte? Keiner. Auch er nicht.

Kapitel 1

Die Märzsonne brach sich im Hafenbecken von Fedderwardersiel und ließ die seichten Wellen in schillerndem Licht glitzern. Ein Seehundkopf lugte aus dem Wasser und schien Frauke anzulächeln. Seine großen Kulleraugen fixierten sie neugierig, als er aber merkte, dass hier offenbar nichts zu holen war, tauchte er munter ab und schwamm weiter zum nächsten Schiff, um es zu beäugen.

Frauke kannte den Seehund. Er kam oft in den Hafen und hatte nur wenig Scheu. Die Skipper mochten ihn, und so fühlte er sich sicher. Eine Touristenattraktion war er sowieso, vor allem für die Kinder.

Frauke saß mit übereinandergeschlagenen Beinen an Bord des braunen Kutters »Alte Liebe« und schaute zur Wesermündung, wo sich gerade ein Tanker in Richtung Bremerhaven schob. Sie strich sich das kinnlange graue Haar zurück, legte den Kopf in den Nacken und genoss das Kitzeln der Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht.

Das ist also jetzt mein eigenes Schiff, dachte sie. Auf meine alten Tage, mit zweiundsiebzig Jahren, bin ich noch Bootseignerin geworden, wer hätte das gedacht?

Ob das ein Wink des Schicksals war, um sie aus der Tristesse ihres augenblicklichen Daseins herauszuholen?

Seit dem Tod ihres Mannes Heiko vor fünf Jahren lebte sie in der Seniorenresidenz Sonnenuntergang in Burhave, weil sie damals geglaubt hatte, sie bräuchte jetzt Sicherheit und ein Leben, bei dem sie sich um nichts mehr kümmern musste. Da sie durch ihrer beider Berufstätigkeit – vor allem als Folge des gut bezahlten Postens ihres Mannes im Vorstand eines großen Unternehmens – gut situiert war, konnte sie sich diese feudale Residenz leisten. Nicht bedacht hatte Frauke aber die Faktoren der Langeweile und Fremdbestimmtheit, die sich ihrer mehr und mehr bemächtigt hatten.

Sie öffnete die Augen und fuhr vorsichtig mit dem Zeigefinger über die grün gestrichene Reling. Die Farbe blätterte schon arg ab. Frauke zerkrümelte die Lackreste mit den Fingern.

Am Fedderwardersieler Hafen war ihr dann an einem Sommerabend der Fischer Fiete begegnet. Aus anfänglicher Sympathie wuchs schnell eine tiefe Freundschaft. Nicht mehr und nicht weniger, denn Frauke wollte sich nicht wieder binden, auch wenn sie gespürt hatte, dass sich Fiete vielleicht etwas mehr erhoffte. Wie oft war sie mit ihm auf diesem Kutter ein Stück die Weser hinuntergeschippert oder in die Nordsee gefahren! Und nie war ihr aufgefallen, wie marode sein Schiff im Laufe der Jahre geworden war und wie wichtig es wäre, ihm mal einen neuen Anstrich zu verpassen.

Dafür hatte sie kein Auge gehabt, sondern nur die Zeit auf See unglaublich genossen. Oft waren sie durch die Wellen getrieben, hatten sich so manches Mal bei Ebbe trockenfallen lassen und sich gefreut, wenn die See den Kutter dann wieder umarmte und zurück nach Fedderwardersiel fahren ließ. Schöne und lustige Stunden zu zweit, ohne dass es mehr bedeutet hätte – und das war gut so.

Es waren Zeiten, in denen die Farbe des Himmels ein unerschöpfliches Thema gewesen war. Zeiten, in denen sie eins mit der Natur wurden und die Freiheit verspürten, die ihnen ansonsten im Alter abhandengekommen war, weil sie Zwängen mehr Raum gegeben hatten als dem Spaß.

Ihre Sicherheit in der Residenz hatte Frauke mit dem Gefühl der verlorenen Freiheit bezahlt. Es war selbstverständlich geworden, sich den Gepflogenheiten anzupassen. Sei es das pünktliche Essen, das aufgesetzte Grinsen oder die höfliche Konversation mit den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern. Auch mit Leuten, die Frauke gar nicht mochte – wie zum Beispiel Frau Waltermann, der sie normalerweise die kalte Schulter gezeigt hätte. Die Abende bei Fiete waren deshalb zu einer willkommenen Flucht aus dem Sonnenuntergang geworden.

Nach einer Weile waren auch Barbara und Heinz, die ebenfalls in der Seniorenresidenz wohnten, immer öfter mitgekommen, weil sie zusammen auf dem Schiff Karten spielen wollten. Und leider war auch ab und zu Frau Waltermann dazugestoßen. Sie hatte es nicht lassen können, Frauke, Barbara und Heinz zu folgen, und war eines Nachmittags, bunt gekleidet wie ein Schmetterling, auf dem Kutter aufgetaucht!

Während sich aber Barbara und Heinz einfach in das Gefüge integriert hatten, war Frau Waltermann bei ihren Besuchen ein Fremdkörper geblieben. Sie war wirklich ein Fall für sich, bestimmte in der Residenz Sonnenuntergang unter den Bewohnern, wo es langging, und galt als graue Eminenz. Sie hielt das Zepter in der Hand. Frau Waltermann war einer der wenigen Menschen, mit denen Frauke überhaupt nicht zurechtkam. Sie fürchtete ihre spitze Zunge und mochte den Tratsch nicht, der ihren Mund ständig wie eine giftige Kröte verließ.

Vorhin hatte Frauke kurz überlegt, ob sie Barbara und Heinz bitten sollte, ihr dabei zu helfen, den Kahn ein bisschen aufzumöbeln. Allerdings hatte sie diese Idee schnell verworfen. Von ihnen war keine Hilfe zu erwarten, denn sie hatten beide kein handwerkliches Geschick, und Frauke wollte sie nicht in Verlegenheit bringen.

Sie seufzte. Fiete fehlte ihr schon jetzt, und sie wusste, wie sehr sie ihn vermissen würde. Er turnte irgendwo da oben auf den Wölkchen herum oder verweilte am Horizont, wo der Himmel das Meer küsste.

Bei dem Gedanken zogen sich in Frauke Herz und Bauch schmerzhaft zusammen. Fiete war fort und würde nicht zurückkommen. Keine Mundharmonikaklänge mehr. Keine blöden Skipperwitze, so flach erzählt, dass sie schon wieder lustig waren. Seine Piep würde fehlen. Das leise Schmauchen, wenn er die Pfeife im Mund hielt und die feinen, nach Plum und Vanille duftenden Tabaksorten schmökte. Keiner konnte dabei so wunderbare, gleichförmige Kringel zaubern wie er.

Frauke dachte an Fietes siegessicheres Lächeln, wenn er ahnte, dass sie sein nächster Zug beim Kartenspiel unweigerlich auf die Verliererstraße bringen würde. Der Skipper kannte alle Tricks, und ganz sicher hatte er oft falschgespielt, was Frauke aber nicht störte – weil es Fiete war und sie wunderbar verlieren konnte.

Alles vorbei.

Von ihrem langjährigen Freund war nur ein bisschen Asche übrig geblieben, die sie letzte Woche bei der Seebestattung mit der Urne in der Nordsee versenkt hatten. Und es gab diesen Kutter, der ihr gestern offiziell von einem Notar übergeben worden war. Marode und alt – so wie Frauke sich selbst auch fühlte, jetzt, wo ihr Freund nicht mehr da war und sie aus der Tristesse ihrer Seniorenresidenz herausholte.

Frauke spazierte auf dem Kutter herum. Es fühlte sich wunderbar an, weil er ihr Eigentum war. Das Schiff lag mit dem Heck am Kai vertäut, die Bugspitze ragte zur Mitte vom Hafenbecken, seitlich wurde es von einem Steg flankiert.

Frauke steuerte auf den Bug zu. Sie blieb vorn stehen und sah, dass der Seehund erneut um das Boot herumschwamm und darauf zu warten schien, dass sie ihm einen Fisch zuwarf. Doch die Netze der Alten Liebe waren leer, und sicher würden sie nie wieder ins Nordseewasser getaucht werden. Mal sehen, wem sie die stinkenden Dinger vermachte.

Frauke winkte dem Seehund zu, der dann schnell abtauchte und sich zurück auf den Weg zu seiner Familie machte.

»Moin, Frauke!«, hörte sie eine dunkle Männerstimme. Sie schrak zusammen, weil sie so in ihre Gedanken vertieft war. Dann schaute sie nach rechts zum nächsten Kutter und winkte ihrem Bootsnachbarn zu. »Moin, Knut!«

Er hatte wie immer seine Pfeife im Mund und schmauchte sie bedächtig. Knut hatte etwas von Käpt’n Blaubär und wirkte stets, als hätte er die Genügsamkeit erfunden. Frauke fand den Fischer sympathisch, denn er erinnerte sie ein bisschen an ihre ganz alte Liebe, den Roten Oskar, weil er dieselben braunen Teddyaugen hatte.

Ein Schmunzeln glitt über ihr Gesicht, wie immer, wenn sie an ihn dachte. Doch obwohl sie alles getan hatten, was Liebende tun, kannte sie seinen richtigen Namen nicht. Das hätten sie damals als einengend empfunden. Wie albern! Erst im Alter wurde man weiser.

Sonst hatte Knut allerdings nichts vom Roten Oskar, denn er trug ständig ein blau-weiß gestreiftes Fischerhemd und einen wilden Vollbart, weil er glaubte, auf diese Weise bei den Touristen Eindruck zu schinden.

Frauke winkte noch einmal kurz zu ihm hinüber, lief weiter ans Heck und knibbelte am Holz herum. Hier war die Farbe an der Reling besonders stark abgeblättert, und auch der Schiffsboden sah schlimm aus. Völlig verschlissen und abgetreten. Alles musste dringend abgeschliffen und neu gestrichen werden. Da wartete eine Menge Arbeit auf sie.

Dafür bist du von jetzt an zuständig, frohlockte Frauke innerlich. Dir gehört dieser vermaledeite Kutter, und du musst zusehen, wie du klarkommst. Die nächste Zeit weißt du endlich, warum du dich morgens pünktlich aus dem Bett schälen solltest. Vorbei waren die unendlich langweiligen Tage im Sonnenuntergang.

»Inspizierst du dein neues Eigentum?«

Frauke schrak erneut zusammen, als sie gewahr wurde, dass Knut sich ebenfalls zum Heck seines Kutters begeben hatte und Frauke von dort aus neugierig beäugte.

»Hast du mich erschreckt«, sagte sie.

Knut kicherte und reimte vor sich hin, so wie er es gern tat: »Der Knut ohne Hut mit leisen Sohlen auf den Bohlen. Hihi.« Er rückte sich die Pudelmütze zurecht, die er bei Wind und Wetter trug. »Im Winter friert mein Gehirn ein, im Sommer wird es von der Sonne weich«, sagte er immer.

»Wäre lieb, wenn du dich zukünftig nicht so anschleichst«, bat Frauke ihn. »Sonst hat Fiete mir den Kutter umsonst vererbt, weil ich ihm gleich mit einem Herzinfarkt gen Himmel folge.«

Knut winkte ab. »So schnell stirbt es sich nicht, wenn man über eine Konstitution verfügt, wie du sie hast.«

Er sog einmal kräftig an der Pfeife und deutete mit der freien Hand auf die Alte Liebe. »Da hat es der olle Fiete ja man gut gemeint mit seinem Erbe, was? Aber du wirst bannig viel Arbeit mit dem Kahn haben. So als Frau, dat wird mau.«

Frauke rollte bei dem letzten Satz mit den Augen. Den Inhalt konnte sie als alte Frauenrechtlerin auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. »Was soll das heißen: so als Frau?«, fragte sie mit gefährlich ruhiger Stimme. »Meinst du, wenn ich ein Mann wäre, würde die Farbe weniger schnell abblättern? Oder glaubst du, dann würde es mir nicht so viel ausmachen, weil Männer dafür keinen Blick haben?«

Knut zuckte mit den Schultern. »Weder noch.« Er blies einen Kringel und schaute ihm versonnen hinterher. »Dass ihr auch gleich immer so eingeschnappt sein müsst, ihr Deerns. Ist nun mal viel Arbeit mit der Alten Liebe. Mehr wollte ich nicht gesagt haben.«

Frauke tat es schon leid, dass sie den Nachbarn so angeranzt hatte. Er war schließlich ein feiner Kerl! Nur seine ewige Reimerei ging ihr auf die Nerven, aber irgendwas war ja immer.

Knut kratzte sich verlegen die Stirn und schob dabei die über den Ohren aufgerollte dunkelblaue Pudelmütze nach hinten. »Fiete und ich haben oft über dich geklönt. Er fand, dass du in diesem Haus Sonnenuntergang verschimmelst. Immer nur mit dem feinen Heinz und der mit Ketten behängten Barbara. Die sind ja wenigstens noch nett, aber dieser feuerspeiende Hausdrachen … Wie heißt sie noch gleich? Waltermann?«

Frauke musste grinsen. Frau Waltermann war also auch schon unter den Skippern in Fedderwardersiel ein Thema.

Knut lamentierte weiter, und es ging noch immer um den Sonnenuntergang. »Langweiliger fester Tagesplan mit nur wenigen Abweichungen und so. Das ist doch ganz schön eintönig. Jedenfalls für eine Frau wie dich. – Ich hol jetzt mal was zum Aufmuntern«, sagte er und verschwand kurz in seiner Kajüte. Anschließend hielt er zwei Flaschen Bier und eine Buddel Korn in der Hand. »Ich komm doch rüber, und dann trinken wir einen! Auf Fiete und auf dein Schiff – und unsere Nachbarschaft.«

Frauke winkte ab. »Ich bin mit dem Wagen hier und will nichts trinken.« Sie hasste klaren Schnaps.

Knut aber ließ sich nicht beirren, kletterte über den Steg von seinem Kutter und kam an Bord.

»Jo, das macht nix«, sagte er schnaufend, als er neben Frauke stand. »Das Auto musst du ja sowieso bald verkaufen, wenn du den Kutter hast und ständig auf See sein wirst. Was willst du denn sonst mit einem Schiff, nicht wahr?«

»Du bist wohl schon beduselt«, gab Frauke zurück. »Ich gebe doch meinen Mini nicht weg!« Sie hing an ihrer roten Knutschkugel, wie sie das Auto liebevoll bezeichnete, das sie als Einziges aus ihrem früheren Leben behalten hatte, um wenigstens mobil zu bleiben und ihren Radius nicht vollends auf den Sonnenuntergang beschränken zu müssen. Obwohl Fiete sie immer geärgert hatte, indem er sagte, dieser winzige Wagen bräuchte keinen Parkplatz, sondern einen Laufstall.

»Komm, een Lütten!« Knut hob die Schnapsflasche, die schon zur Hälfte geleert war, und zog aus der ausgebeulten Hosentasche zwei kleine Gläser. Sie waren etwas staubig, und er wischte sie an seiner schwarzen Breitcordhose ab, was sie auch nicht sauberer machte.

Frauke fand das ein kleines bisschen ekelig, aber sie riss sich zusammen, denn sie wollte es sich mit ihrem Nachbarn nicht verscherzen. Wer wusste schon, wozu sie ihn noch brauchte? Widerwillig griff sie nach dem Glas. »Gut, einen, aber dann bitte kein Bier.«

Knut schenkte ein und hob dann sein Glas. »Auf dein neues Schiff. Prost!«

»Prost!« Die Gläschen klirrten leise, als sie anstießen. Knut kippte sich den Schnaps in den Hals und schüttelte sich danach wie ein nasser Hund. Weil er dadurch abgelenkt war, leerte Frauke das Glas unterdessen ins Hafenbecken. Sollten sich doch die Fische an dem Zeug erfreuen.

»Das war lecker – kein Gemecker!«, meinte Knut. »Nun sind wir echte Nachbarn. Willkommen in der Skipperfamilie von Fedderwardersiel.« Er streckte Frauke den Ellenbogen entgegen, weil er in den Händen die Buddel und das Glas hielt. Frauke kickte den ihren dagegen.

»Das ist so was wie ein Bund«, sagte Knut. »Einen trinken und einschlagen – jetzt kann man was wagen.«

Plötzlich fühlte Frauke sich heimisch auf dem Boot. Es war ihr Schiff, und niemand konnte ihr diesen Rückzugsort mehr streitig machen, obwohl sie am Anfang tatsächlich überlegt hatte, das Erbe auszuschlagen.

Knut nahm Frauke das Schnapsglas ab und ließ es wieder in den Tiefen seiner Hosentasche verschwinden. »Ich geh mal davon aus, dass du keinen zweiten willst.«

»Gut beobachtet.«

»Gut zugehört, du willst ja noch Auto fahren – aber ganz ehrlich? Auf einem Bein kann kein Mensch stehen.« Er schenkte sich neu ein und kippte auch den zweiten Schnaps weg wie Wasser. Nur das Schütteln fiel etwas weicher aus.

Frauke wackelte lächelnd mit dem Kopf. Ans Trinken würde sie sich wohl nie gewöhnen, auch wenn sie zukünftig mehr mit den Fischern zu tun hatte. Harte Männer, die täglich aufs Meer hinausfuhren, mit dem Wetter und den Gezeiten kämpften, und die doch eine solche Zufriedenheit ausstrahlten, dass sie oft neidisch wurde.

»Soll die Alte Liebe denn einen neuen Namen bekommen, wenn du sie wieder flottgemacht hast?«, fragte Knut und liebäugelte bereits wieder mit dem Inhalt der Flasche Korn. »Sie könnte schön bunt werden, so wie unsere anderen Kutter hier. Fiete stand auf das eintönige Braun, aber es wäre doch wundervoll, wenn der Kahn knallrot wäre. Wie dein Mini. Das wäre dann ein Muss – beides aus einem Guss.« Er nickte selbstgefällig.

»Roter Oskar«, kam es Frauke spontan über die Lippen, und schon, als sie es aussprach, erschrak sie. Wieso wollte sie den Kutter nach ihrer früheren Liebe benennen und nicht nach ihrem Freund Fiete oder, noch besser, nach ihrem verstorbenen Mann? Frauke pustete lautstark die Luft aus. »Pffft!«

Sie war ganz durcheinander und schob die kurzfristige Verwirrung auf Knuts Augen, die im gleichen Braun wie die von Oskar damals schimmerten und wirklich viel zu nah vor ihr herumtanzten.

»Dat geiht nicht«, widersprach Knut. Er legte den Kopf in den Nacken und schaute zum klarblauen Himmel, auf den die Flugzeuge einige Kondensstreifen gemalt hatten. »Musst einen Frauennamen wählen. Oskar ist doch maskulin.«

»Hallo? Die anderen Kutter heißen auch Seestern oder so.«

»Das ist was anderes, weil ein Seestern aus dem Meer kommt«, redete Knut sich raus. »Das ist maritim. Und außerdem gibt es da viele Zwitter. Zum Beispiel lebt in Italien eine Art …« Er winkte ab. »Das führt jetzt zu weit. Aber wenn du dich umschaust, sind die meisten Namen weiblich. Möwe, Seeschwalbe …«

Frauke seufzte. »Aber ich bin eine Frau, da kann mein Schiff doch männlich sein. Als Kontrast.«

»Hä?«, fragte Knut verständnislos. »Wie meinst du das denn?«

»Ihr Skipper seid allesamt Männer und gebt den Booten normalerweise weibliche Namen, so als ob ihr auf diese Weise eine Frau mit auf See nehmt. Ist das so?«

Knut kratzte sich am Hals. »Weiß nicht. Klingt aber schlüssig. Darüber habe ich allerdings noch nie nachgedacht.«

»Solltest du aber, alles hat seinen Grund«, gab Frauke zurück. »Google das mal!«

»Gurgeln? Wie soll ich das gurgeln?«, gab Knut verständnislos zurück.

Frauke rollte die Augen. Vermutlich besaß ihr Schiffsnachbar nicht einmal ein Handy, einen PC ganz sicher nicht. »Das ist eine Suchmaschine!«, erklärte sie geduldig, aber Knut wusste noch immer nicht, wovon sie sprach.

»Deern, wenn ich was suchen muss, dann zu Fuß und mit Augen und meinen Sinnen. Dazu brauch ich doch keine Maschine oder so was!« Vor Aufregung vergaß er sogar, einen Blödsinnsreim nachzusetzen.

Frauke seufzte. Wie konnte man so hinter dem Mond leben! Knut war ein Fuchs, was die Maschinen auf dem Kutter anging. Er war ein wahrer Held, wenn es darum ging, Fischschwärme aufzuspüren, und jeder sprach mit Hochachtung über ihn, gerade weil er es ohne modernes Gerät vermochte und sich einzig an den natürlichen Gegebenheiten orientierte. Aber dass er so gar nichts über das World Wide Web wusste, wunderte Frauke doch. Sie wollte ihn jedoch nicht brüskieren. »Ich guck mal nach, warum man den Schiffen eher Frauennamen gibt.«

»Ja, mach das, aber eigentlich ist es mir auch schietegal«, erwiderte Knut. »Ich hab da meine Meinung und finde, ein Schiff, gleichgültig, ob Kutter oder Segelboot, sollte weiblich heißen, weil es Tradition hat. Das bringt sonst Unglück.« Er zog einen Priem aus der Hosentasche, schob ihn in den Mund und kaute bedächtig. »Jo, so ist das«, setzte er dann nach.

Frauke aber verschränkte die Arme vor der Brust und reckte das Kinn. So einfach wollte sie ihn nicht davonkommen lassen. »Als Frau kann ich das aber doch umgekehrt machen. Ich nenne mein Schiff wie einen Kerl. Roter Oskar!« Eigentlich fand Frauke den Namen selbst blöd, aber sie wollte jetzt nicht klein beigeben, auch wenn sie fürchtete, es später zu bereuen, denn eigentlich war Alte Liebe ein guter Name für diese marode Kutterlady.

»Dat geiht nicht«, insistierte Knut erneut. »Dat givt Malöör! Ick sach di dat – dann blievst mit dem Schiff im Watt!«

In Frauke kam immer stärker die alte Rebellin durch. Die, die damals als Studentin in Berlin »Ho ho Ho Chi Minh« rufend durch die Straßen marschiert war. Einen Joint in der Hand und der festen Überzeugung, dass genau sie, Frauke Hansen, dabei war, die Welt auf diese Weise zu retten oder wenigstens besser zu machen. Warum sollte sie nun ausgerechnet vor einem Fischer, der Fedderwardersiel immer nur in Richtung Nordsee verlassen hatte, kuschen und einer Tradition folgen, die sie nicht wollte? Andererseits war es charmant, dass in der Seefahrt wenigstens bei der Namensgebung der Schiffe die Frauen Oberhand hatten, wo sie doch sonst überall missachtet wurden. Das sollte vielleicht nicht unbedingt aufgegeben werden. Bei näherer Betrachtung der Situation gefiel Frauke die Idee doch ganz gut.

Knut vertiefte das Thema nicht weiter und schenkte sich einen dritten Schnaps ein. Er verzichtete aber darauf, Frauke auch einen anzubieten und das zweite Schnapsglas erneut aus der Tasche zu befördern.

»Ich dachte, man kann nur auf einem Bein nicht stehen?«, entfuhr es Frauke, aber ihr wurde der Fehler sofort bewusst.

Bitte, bitte jetzt nicht den Dreibein-Machospruch, betete sie innerlich.

Zum Glück kam Knut nicht darauf und überging ihre Frage einfach. Er spitzte die Lippen, schluckte das Gesöff hinunter, schüttelte sich wieder heftiger und spürte mit langem Hals dem Geschmack des Alkohols nach. »Und was nun? Sag einen Frauennamen, und gut is!«, forderte er Frauke anschließend auf.

Nun ritt sie der Teufel. Sie ärgerte sich maßlos darüber, dass Knut nach wie vor voraussetzte, dass sie den alten Traditionen verhaftet blieb.

»Der Kutter wird Roter Oskar heißen!«, quetschte sie zwischen den Zähnen hervor. Das würde Fiete auf seinen Wolken da oben genauso ärgern wie Knut, und er würde fluchen, weil er machtlos war. Frauke hörte ihn förmlich, wie er sich bei diesem Thema mit seinem Kutternachbarn gemein machte. Aber sie wollte jetzt nicht klein beigeben.

Knut trat einmal aufs rechte und einmal aufs linke Bein, bevor er überraschenderweise sagte: »Du kannst es ja mischen. Wie beim Seestern in Italien. Ist schließlich modern, dass man Frau und Mann gleichzeitig nennt und nienich einen benachteiligt.«

Frauke sah ihn fragend an, verwundert über sein Einlenken. »Vermischen? Wie meinst du das?«, hakte sie vorsichtig nach.

»G… gendern«, brachte er mühsam hervor. »Jo, so nennt man das. Hab ich in der Zeitung gelesen. Ganz normal auf dem Papier und nicht so neumodisch wie du auf deinem Computer oder Handy. So een Schiet brauch ich nicht und bin trotzdem gut informiert, wie du siehst.«

Frauke war tatsächlich erstaunt, sagte aber nichts. Natürlich wusste sie, was gendern im Allgemeinen und im Besonderen bedeutete, aber das brachte einen so neuen Aspekt in die Lage, dass sie darüber erst nachdenken musste.

Knut gefiel seine Idee sichtlich und führte sie weiter aus. »Man schreibt ja nun nicht mehr nur eins, sondern alles mit Sternchen. Skipper und Skipper*innen. Gäste und Gäst*innen. Dann kann man das auch mit dem Namen eines Kutters machen. Wir leben schließlich in Fedderwardersiel und nicht hinterm Mond – weil sich das nicht lohnt.«

»Gendern«, wiederholte Frauke und ignorierte erneut den Blödsinn, den er ständig im Anschluss an seine Sätze reimte. Diese Idee sagte ihr immer mehr zu, und ihr fielen noch mehr Beispiele ein. Aus Besucher wurde Besucherin. Es gab derweil auch Toiletten, die nicht nur für Männer oder Frauen waren, und kürzlich hatte Frauke in der Zeitung gelesen, dass man nicht einmal mehr Muttermilch sagen sollte, Menschenmilch sei nun der politisch korrekte Ausdruck. Korrekterweise müsste sie nun Alte*r Liebe*r schreiben, aber das klang vollkommen idiotisch. Also musste sie eine andere, passable Lösung finden.

Dass man Schiffsnamen genderte, hatte sie noch nie gehört, und so wurde es Zeit, das einzuführen. Ein bisschen Revolution im Kutterhafen würde nicht schaden.

Und noch besser fand Frauke, dass sie damit ein Alleinstellungsmerkmal hatte. Denn wer in Fedderwardersiel besaß schon ein Schiff, das weder männlich noch weiblich, ja nicht einmal maritim benannt war, sondern einen wunderbaren Doppelnamen mit männlichen und weiblichen Attributen trug? Jeder würde sich fragen, warum es so hieß, und sie konnte antworten, sie hätte eben die moderne Gendervariante gewählt.

Knut sah offensichtlich, dass er sie beeindruckt hatte, und aalte sich sichtlich in seinem Stolz. Er reckte die Brust vor und kaute seinen Priem etwas schneller, was sein sonst so ruhiges Gesicht regelrecht hektisch erscheinen ließ.

»Prima Idee vom alten Knut, der ständig Gutes tut, was?« Sein Glas verschwand in der Hosentasche.

Frauke wiederholte, was ihr gerade durch den Kopf ging. »Gut, ich mach das, weil es etwas ganz Besonderes ist. Dann aber Ladies first, und erst kommt Alte Liebe. Dann Roter Oskar.« Sie klopfte auf die Reling und erschrak etwas, als nicht nur die Farbe abblätterte, sondern auch das Holz bedenklich knirschte.

»Holzwurm«, kommentierte Knut. »Musst du oft draufschlagen, das mögen die Viecher nicht. Lärm und so.« Er spuckte den Priem ins Hafenbecken und schaute Frauke dann erwartungsvoll an. »Nun sach schon, wie der Kutter heißen soll! Hab ich eben nicht kapiert.«

Frauke strahlte ihn an. »Alte Liebe – Roter Oskar.«

Sie war überaus zufrieden, denn kein Mensch würde ihr Vorhaltungen machen können, weil sie sich nicht an gängige Regeln hielt.

Kurt wirkte erleichtert. »So mok wi dat! Dann ist das jetzt gesetzt.« Er friemelte erneut sein Glas aus der Hosentasche und genehmigte sich einen vierten Schnaps. »Weil alles seine Ordnung haben muss.« Wieder mit demselben Ritual. Schütteln, brummen, genießen.

»Ich finde, das mit dem Doppelnamen ist eine gute Entscheidung«, sinnierte Knut weiter. »Kommt ja im Prinzip auch von mir, und ich habe meist gute Ideen, auch ohne dieses Googeln. Und …«, er hob den Daumen, »es ist eine Hommage an den guten alten Fiete.«

»Da wird Oskar stehen, nicht Fiete«, wies Frauke den Skipper auf den minimalen Unterschied in der Namensgebung hin.

Knut winkte jedoch fröhlich ab. »Alte Liebe bleibt doch. So wie du immer Fietes Liebe warst.«

Frauke zuckte zusammen. »Wir waren nur Freunde.«

Knut zog kurz die Schultern hoch. »Er hätte sich das eben anders gewünscht. So, ich muss dann. Ein Netz ist noch zu flicken, morgen geht es vor Sonnenaufgang wieder raus – sonst ist alles aus.« Er kratzte sich hinterm Ohr. »Deine komische Residenz hätten sie mal so nennen sollen. Aufgang und nicht Untergang.«

Bevor er zurück an Bord seines eigenen Kutters ging, blieb er noch einmal stehen und sagte: »Ich weiß, dass du das mit Fiete nie gemerkt hast. Aber der Kutter gehört dir nicht nur, weil du einen Bootsführerschein besitzt. Fiete wollte, dass du ein neues Zuhause hast und aus dieser Residenz zurück ins Leben kommst. Alles sollst du wieder flottmachen. Die Alte Liebe und dein Leben!«

Verdutzt schaute Frauke dem Skipper nach. Langsam begann sie den tieferen Sinn dieser Erbschaft zu begreifen.

Kapitel 2

Barbara saß missmutig am Tisch und wartete darauf, dass Frauke endlich aus Fedderwardersiel zurückkehrte.

Der Speisesaal in der Residenz war sehr geräumig und mit etlichen Tischen möbliert, an denen feste Gruppen von vier Personen saßen. Frauke gehörte zu der Gruppe von Barbara und ihrem Mann. Ein Stuhl war im Augenblick frei.

Überall standen große Grünpflanzen und Palmen in Hydrokulturen, die Fensterbänke waren stets passend zur Jahreszeit geschmückt. Im Augenblick sah man dort kleine Holzbäumchen, unten denen bunt bemalte Tulpen wuchsen.

Barbara hatte zuvor in ihrem Appartement, das sie sich mit ihrem Gemahl Heinz – Barbara sagte immer Gemahl, weil es in ihren Ohren vornehmer klang – teilte, roten Lippenstift aufgetragen und ihre grobgliedrige Goldkette angelegt. Dazu ein paar kräftige Sprühstöße des Parfüms Scandal, weil sie damit auffiel, denn die anderen Damen zogen Kölnisch Wasser vor. Aber das duftete ihr zu sehr nach einfachem Volk.

Ihre Freundin Frauke hingegen mochte es natürlich, was Barbara gar nicht verstehen konnte, denn sie war der Ansicht, dass man dem Alter am besten aktiv mit viel gutem Odeur entgegenwirken sollte. So oft war ihr schon zu Ohren gekommen, dass ältere Menschen rochen. Nicht mit ihr!

Sie war auf jeden Fall mit ihrem kleinen Wölkchen gegen solche Vorwürfe gewappnet, und ein bisschen Skandal auf der Haut machte doch nur interessant! Auch mit siebzig Jahren konnte man schließlich noch mit einer großen Portion Attraktivität aufwarten.

»Wartest du auf Frauke?«, fragte Heinz, der ihren Blick bemerkt hatte. Er steckte sich die Stoffserviette ins Revers und strich sie umständlich glatt, so wie alles, was er tat, umständlich und behäbig wirkte. Das war sicher ein Resultat aus seiner früheren Tätigkeit im Aufsichtsrat eines großen Limonadenkonzerns und im mittleren Management, wo ein Pokerface neben korrekter Haltung und nach außen getragener Ruhe ein Muss gewesen war. Seine Tätigkeit, gepaart mit der ruhigen Art, hatte ihnen ein überdurchschnittliches und solides Einkommen beschert, was ihnen nun ein Leben im Sonnenuntergang ermöglichte.

»Sie kommt sicher gleich.« Er prüfte noch einmal den Sitz der Serviette, war aber zufrieden mit dem Ergebnis.

Barbara bemerkte, dass seine Hände leicht zitterten. Wie so oft in der letzten Zeit.

»Ist was?«, fragte sie.

Er verneinte, aber sie nahm ihm die Unbekümmertheit nicht ab. Ihr Gemahl wirkte in der letzten Zeit fahrig, ganz anders, als sie es von ihm gewohnt war. Er reagierte manchmal ungewohnt unwirsch und wich jedem Gespräch aus, das sich um sein Befinden drehte, und wechselte dann stets das Thema – hin zu seinen Schinkenbroten am Abend oder dem anderen Essen, das er täglich mit großer Sorgfalt aussuchte.

Sie wurden unterbrochen, weil sich Frau Waltermann mit großen Schritten näherte, aber nicht auf ihre eigene Tischgruppe zusteuerte, sondern auf Barbara und Heinz zuhielt. Wie immer war sie auffällig gekleidet, heute hatte sie ein grelles Pink gewählt. Selbst ihre Brille war stets farblich akkurat auf die Kleidungsfarbe abgestimmt. Dafür gab sie bestimmt ein Vermögen aus, für Lippenstift, Nagellack und andere Restaurierungsversuche sowieso. Ihr Haar war blondiert, die Falten ließ sie sich regelmäßig beim Schönheitschirurgen Doktor Feuerlein weglasern oder aufspritzen. Barbara kannte die Methoden nicht so genau, aber sie beneidete Frau Waltermann ganz außerordentlich, denn mit glatt gebügeltem Gesicht sah man doch ein kleines bisschen besser aus als der Rest der Welt. Ihr Gemahl lehnte es allerdings ab, für so etwas zu zahlen, obwohl er sich sonst sehr großzügig zeigte.

Noch neidischer war Barbara allerdings auf die makellose Figur von Frau Waltermann. Sie zeigte kaum Fettpölsterchen an den Problemzonen und wirkte auch sonst kein bisschen schlaff.

Bestimmt hilft sie auch da nach, keine Frau in ihrem Alter besitzt normalerweise ein so pralles Gesäß, dachte Barbara. Sie hatte sicher gute Kontakte zu Doktor Feuerlein, der in der Gegend als Koryphäe auf dem Gebiet galt. Er war ein smarter Kerl mit Fliege und kariertem Anzug, der in der Klientel der sehr gut situierten Bewohnerinnen der Residenz großes Potenzial sah.

Frau Waltermann hatte offenbar etwas auf dem Herzen, was Barbara an der leicht vornübergebeugten Haltung erkannte. Ihre Lippen hielt sie gespitzt, und ihre Augen wanderten unruhig hin und her. Sie blieb wie erwartet am Tisch der beiden stehen und trommelte mit ihren lackierten Fingernägeln auf der Platte herum. Am kleinen Finger prangte ein Glitzersteinchen.

Zu Barbaras Genugtuung sah sie, dass aber an einem Zeigefinger vorn eine winzige Ecke vom Lack abgesprungen war. Ein Fauxpas, auf den sie Frau Waltermann gleich hinweisen würde. Diesen Joker würde sie an passender Stelle ziehen. Nämlich dann, wenn ihr diese Frau zu arg auf den Wecker fiel.

»Ist Frau Hansen gar nicht da?«, fragte Frau Waltermann und legte sichtlich bewusst einen besorgten Tonfall in ihre Stimme. »Sie war schon beim Mittagsessen vakant«, fuhr sie geschwollen fort. »Ihr wird doch wohl nichts zugestoßen sein? Sie tut ja manchmal so, als wäre sie noch dreißig.«

Zu Barbara wehte ein Parfümduft herüber, den sie noch nicht kannte und der sie ärgerte, weil er dem ihren Konkurrenz machte. Frau Waltermann hielt sich oft in der Parfümerie auf und deckte sich mit Pröbchen jeglicher Art ein. Dass man gut duften musste, war allerdings das einzig verbindende Glied zwischen ihnen. Na ja, und der kleine Tratsch, den man bei ihr immer brühwarm und gut gefiltert serviert bekam.

»Es geht ihr bestimmt gut«, sagte Heinz. »Frauke hat sicher andere Pläne als das gemeinsame Essen im Sonnenuntergang. Wir sollten uns da nicht einmischen.«

Frau Waltermann schnaubte. »Man wird sich ja wohl noch sorgen dürfen. Ich für meinen Teil tue das.«

Barbara trank einen Schluck Wasser. »Sie kommt gleich, Frau Waltermann.«

Die machte jedoch keine Anstalten, zu gehen. »Sie ist bestimmt wieder in Fedderwardersiel auf diesem stinkenden Kutter, den Fiete ihr vererbt hat.«

Barbara rollte mit den Augen. Warum war diese Frau eigentlich immer so unglaublich gut informiert? Frau Waltermann wusste einfach alles, und auch jetzt war sie mit ihren Mutmaßungen nicht zu stoppen. »Was macht Frau Hansen so lange da? Überhaupt, was will sie damit? Wir leben doch hier ganz wunderbar, und im nächsten Jahr wird sogar die Wellnessabteilung noch erweitert. Da braucht man doch keinen Kutter und nur Fischer als Nachbarn.« Sie schaute Barbara an, in der Hoffnung, sie und ihren Gatten aus der Reserve zu locken, aber die beiden reagierten nicht, was Frau Waltermann allerdings nicht davon abhielt, weiterzusprechen. »Frau Hansens Schiff sieht außerdem so aus, als würde es beim nächsten Sturm sinken!«

Heinz legte seine Hand auf Barbaras, was sie daran hinderte, unhöflich zu reagieren. »Unsere Frauke liebt eben die See, das war schon immer so, nicht wahr, Liebes?«, sagte er mit seinem unvergleichlich verbindlichen Lächeln. »Die See und die Freiheit! Ich glaube, sie fühlt sich im Sonnenuntergang längst nicht so wohl wie wir.«

Frau Waltermann stieß empört die Luft aus. »Wie kann man es hier nicht schön finden? Es ist ein Privileg, dass wir hier leben dürfen! Da geben Sie mir doch bestimmt recht, Frau Kanngießer.«

Barbara nickte kurz und zeigte dann auf den Zeigefinger mit der kleinen Macke im Lack, in der Hoffnung, Frau Waltermann würde sich zu ihrem Tisch trollen, wenn sie sie auf die mangelnde Perfektion hingewiesen hatte. Da reagierte sie erfahrungsgemäß empfindlich. Und an ihrem eigenen Tisch konnte sie den bedauernswerten Herrn Renken-Olthoff zutexten, wobei der beim Essen ohnehin nie sein Hörgerät trug – ein Schelm, wer Böses dabei dachte.

»Der Lack ist ab. Also da, an einer Stelle«, sagte Barbara.

Frau Waltermann ignorierte die Äußerung leider, krümmte lediglich den Finger, blieb aber stehen. Sie hatte sich gerade so richtig in Fahrt geredet und schien nicht willens, aufzugeben, über Frauke zu lästern.

»Ich hab da ja so meine Theorie, was Frau Hansen angeht.« Sie leckte sich genüsslich die Lippen, wobei deutlich wurde, dass sie kussechten Lippenstift verwendete, denn sie blieben unverändert in ihrem grellen Pink. »Frau Hansen und Fiete …«, sie senkte verschwörerisch die Stimme, »also da war doch was. Bestimmt hat sie das Einfache, das Ursprüngliche gereizt. Wenn wir auf seinem Boot waren, war diese Affinität gut zu erkennen. Es gibt doch auch ein Buch …« Sie verdrehte die Augen und überlegte kurz. »Genau: Salz auf unserer Haut heißt das. Da nimmt auch eine Frau einen einfachen Mann, weil …« Sie kicherte los. »Na ja, lassen wir das.« Ihr Gesicht wurde ernst, und Barbara wunderte sich, wie schnell sich die Emotionen auf Frau Waltermanns Gesicht abwechselten. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Fiete ihr den Kutter vermacht hätte, wenn da nichts zwischen ihnen gelaufen wäre.« Mit sich selbst zufrieden spitzte sie die Lippen.

Barbara beschloss, nicht auf die Mutmaßungen von Frau Waltermann einzugehen und das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

»Ich möchte mich dazu nicht äußern, aber Frauke ist eine tatkräftige Frau, die sicher in der Lage ist, ein Schiff zu besitzen und es zu restaurieren.«

»Frau Kanngießer!«, brachte Frau Waltermann empört hervor und streckte entsetzt die Arme zum Himmel. »Frau Hansen ist wie wir nicht mehr die Jüngste! Wie soll sie das bewerkstelligen?« Ihre Stimme schraubte sich von Satz zu Satz höher.

Barbara wäre froh gewesen, wenn sich Frau Waltermann endlich zu ihrem Tisch begeben hätte, aber den Gefallen tat sie ihr nicht. Sie war dermaßen aufgebracht, dass ihr die Worte fehlten.

Glücklicherweise sprang ihr Gemahl ein und sagte noch immer freundlich lächelnd – obwohl er vor Wut die Kante vom Tischtuch knetete, das sah Barbara ganz genau: »Dann ist es ja gut, dass nicht Sie, sondern Frau Hansen den Kutter geerbt hat. Sie kann das.« Er schaute zur Tür, ob nicht schon bald das Essen serviert wurde. Barbara wusste, wie sehr er sich heute auf die bestellten Graubrotschnittchen mit Schinken und kleinen Gürkchen freute. Das hatte er Barbara seit gestern so oft vorgebetet, dass sie schon von Schinkenbergen geträumt hatte. »Wären Sie in den Genuss gekommen, Frau Waltermann, säßen Sie jetzt ganz schön in der Bredouille.«

Frau Waltermann schnaubte und schob die pinkfarbene Brille auf der Nase zurecht. Sie suchte sichtlich nach Worten, aber so recht schien sie nicht zu wissen, wie sie auf den Einwurf von Heinz reagieren sollte.

Barbara ahnte auch, warum. Wenn Frauke jetzt einen Kutter besaß, war ihr die Bewunderung der anderen Bewohner sicher, und das passte Frau Waltermann nicht in den Kram. Sie war hier die heimliche Königin, gut betucht und stets exklusiven Schmuck tragend. Sie sah fantastisch aus, wofür sie von den meisten Damen beneidet wurde. Natürlich wollte sie das Zepter nicht an Frauke Hansen abgeben, die zwar nicht schillerte, aber überall wegen ihrer offenen und herzlichen Art beliebt war. Ein eigener Kutter versprach zudem Exotik, und das gefiel Frau Waltermann nicht.

»Jetzt kommt sicher gleich das Essen«, sagte Heinz und schaute in Erwartung seiner Schinkenschnittchen sehnsüchtig zur Tür. Wieder drückte er beruhigend Barbaras Hand und lächelte auch Frau Waltermann zu. »Was ist denn so tragisch daran, wenn Frauke unser Abendbrot verpasst? Vielleicht hat sie sich bei der Fischereigenossenschaft ein Krabbenbrötchen gekauft. Das isst sie doch so gern«, resümierte er weiter. »Und frischer als dort bekommt sie es nicht.«

Frau Waltermann stieß einen Ton aus, den man als eine Mischung aus Pfeifen und Stöhnen deuten konnte, und machte sich endlich auf den Weg zu Herrn Renken-Olthoff, der sich ihre Litanei nun das ganze Abendessen lang anhören musste. Oder auch nicht, denn das Gerät steckte wieder nicht in seinem Ohr. In der Schule hätte man Frau Waltermann früher an einen Einzeltisch gesetzt, weil sie den Ablauf störte, aber so etwas war im Sonnenuntergang leider nicht vorgesehen.

In dem Augenblick öffnete sich die Tür zur Küche, und die ersten angerichteten Tabletts wurden in den Speisesaal gebracht.

»Das Essen hier ist wirklich ein Gedicht!« Heinz’ Stimme überschlug sich fast vor Freude, als sein Tablett vor ihm landete. »Also, ich würde nirgendwo anders speisen, so charmant es auch anmuten kann. Was ist schon ein Krabbenbrötchen gegen diese Delikatessen hier! Sieh nur, wie schön die Schnittchen wieder mit Gürkchen und Petersilie angerichtet sind. Da läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen.«

Barbara knurrte nun auch der Magen. Sie wartete auf ein Potpourri aus Hartkäse, Camembert und dünn geschnittenem Roastbeef mit Remoulade. Zum Nachtisch hatte sie einen Grießpudding mit heißen Kirschen bestellt. »Du hast recht. Hier schmeckt es richtig gut. Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Frauke sich woanders verköstigt. Krabbenbrötchen! Kutter! Das passt doch alles nicht mehr zu uns. Wir sind hier, um es uns gut gehen zu lassen. Wir müssen uns verwöhnen, damit wir später noch davon zehren können. Da hat Frau Waltermann auch recht, selbst wenn sie sonst anstrengend ist. Aber stell dir vor, du sitzt eines Tages im Rollstuhl und hättest nicht diesen Luxus genossen, sondern einen Kutter angestrichen oder auf einem zähen Krabbenbrötchen herumgekaut.«

Heinz schmunzelte und pickte sich ein Salatblatt vom Schinkenschnittchen. »Aber zum Schafkoppspielen bist du schon immer gern mit aufs Schiff gegangen.«

»Da gehörte es auch noch Fiete, und wir sind immer, wirklich immer im Hafen geblieben. Was soll ich auf See?«

Barbara schüttelte sich. Allein die Vorstellung, dass unter den Holzplanken das tiefe Meer war, machte ihr Angst.

Sie schaute, ob auch ihr Abendessen endlich kam, denn Heinz konnte es offenbar kaum erwarten, endlich anzufangen, war aber zu höflich, vor ihr zu beginnen.

»Ich bin nie gern auf dem Kutter gewesen«, fuhr Barbara fort, um die Zeit zu überbrücken. »Das kannst du mir glauben. Irgendwie stank es dort immer nach Fisch und Motoröl.«

Heinz nickte der Pflegerin freundlich zu, die Barbara jetzt das Tablett hinstellte. Er klaute ihr gleich ein halbes Radieschen, woraufhin Barbara ihm entrüstet auf die Fingerspitzen schlug. »Das ist mein Essen!«

Heinz entschuldigte sich, gab ihr im Gegenzug ein Stück Gurke, das als Stern ausgestochen war, und rückte erneut seine Serviette zurecht. Er warf einen prüfenden Blick zu Frau Waltermann, die noch immer auf Herrn Renken-Olthoff einredete. Der aber kaute genüsslich, weil er nichts von alldem verstand.

»Nun lass uns endlich in Ruhe speisen. Frauke wird schon wissen, was sie tut. Jetzt hat sie eine Aufgabe, und die nimmt sie ernst.« Heinz griff nach dem Besteck, und seine Zunge fuhr über die Oberlippe.

Barbara nahm ebenfalls Messer und Gabel in die Hand. Heinz nickte ihr freundlich zu, und sie wünschten sich gegenseitig einen guten Appetit.

»Warum sollte Frauke eigentlich eine Aufgabe haben müssen?«, begann Barbara nach den ersten Bissen wieder. »Wir können es uns doch hier gut gehen lassen und nicht mehr arbeiten. Man nennt das ›den Lebensabend genießen‹!«

Heinz kaute zufrieden mit geschlossenen Augen, ehe er seinen Bissen hinunterschluckte und mit abgespreiztem kleinem Finger nach der Teetasse griff, in die er den Pfefferminztee gegossen hatte. »Nun, meine Liebe, ein bisschen Abenteuer schadet doch auch im Alter nicht. Manchmal kann eine Seniorenresidenz, in der sich zwangsweise ja nur Senioren aufhalten, doch sehr ermüdend sein. Langweilig und öde, oder findest du nicht? Deshalb kümmere ich mich ja auch weiterhin um unsere Finanzen und darum, dass sich unser Vermögen vermehrt und wir uns auch noch etwas mehr Luxus leisten können. Ich denke da an eine Kreuzfahrt. Schließlich sitze ich nicht zum Spaß so oft am Computer! Du weißt, dass ich an der Börse spekuliere. Also, an einer besonderen … aber davon verstehst du ja nichts.«