Oma werden, Oma sein - Gundi Mayer-Rönne - E-Book

Oma werden, Oma sein E-Book

Gundi Mayer-Rönne

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Beschreibung

Für Großmütter und alle, die es werden wollen! Die Freude über das Enkelkind ist riesengroß, und gerne möchtest du die neue Familie unterstützen. Andererseits ist da das Bedürfnis, dein eigenes Leben unabhängig zu führen und lang gehegte Träume zu verwirklichen. Wie viel Oma möchtest und kannst du sein? Dieses Buch macht Mut, die neue Rolle im Familienkosmos nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dazu gehört eine offene Kommunikation über unterschiedliche Vorstellungen zum Erziehungsstil sowie zu den eigenen Zeit- und Kraftressourcen. Gundi Mayer-Rönne, Psychologin und Oma, und Carina Manutscheri, Autorin und Mama, zeigen: Der Blick auf das eigene innere Kind, die eigene Geschichte und Entwicklung stärkt auch die Kinder, Schwiegerkinder und Enkel.

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Seitenzahl: 328

Veröffentlichungsjahr: 2025

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GUNDI MAYER-RÖNNE & CARINA MANUTSCHERI

OMA WERDEN, OMA SEIN

Der eigene Weg in ein gutes Miteinander mit Enkeln und Kindern

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Viele Beispiele im Buch basieren auf Konsultationen, Beratungen und Coachings in Gundi Mayer-Rönnes Praxis. Alle Namen und Settings wurden aus Datenschutzgründen geändert und Personen unkenntlich gemacht.

Die im Buch veröffentlichten Hinweise wurden mit größter Sorgfalt und nach bestem Gewissen von den Autorinnen erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch weder vom Verlag noch von den Verfasserinnen übernommen werden. Die Haftung von Autorinnen bzw. Verlag und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Gundi Mayer-Rönne / Carina Manutscheri · Oma werden, Oma sein

ISBN 978-3-7095-0172-6

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2025 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler GmbH & Co KG

Stadtplatz 26, 4400 Steyr, Österreich

[email protected]

www.ennsthaler.at

Lektorat: Katharina Theml / Petra Dorn

Umschlag-Illustrationen: Tessa Sima

Umschlaggestaltung: buchgestaltung.at, Publikations Atelier, Dreieich

Autorinnenfoto: Lorin Canaj, canajvisuals.com

Layout: Sarah Veith

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

Für alle Enkelkinder – nur durch sie dürfen wir als Großmütter noch einmal lernen, wachsen und bedingungslos lieben. Allen voran meine Enkel Tobias, Jonathan, Anna, Viola und Fritz.

Gundi

Ich widme dieses Buch den Unterstützerinnen, den Trösterinnen, den Geschichtenerzählerinnen, den Zuhörerinnen, den liebevollen Säulen unserer Gesellschaft: den Großmüttern. Allen voran Michaela, Irene und Marianne.

Carina

Inhalt

Vorwort

KAPITEL EINS Sich einfinden in die neue Rolle

Zauberwort Allempathie

Der Schatz der inneren Haltung

Der Abschied von vertrauten Glaubenssätzen

KAPITEL ZWEI Leeres Nest. Volles Nest

Trost und Verständnis für das innere Kind

Ich verzeihe mir

Ich bin wie du?! Die Mutter-Tochter-Beziehung

Der Schritt in die zweite Reihe

Der Brunnen von Trevi

Wenn die Kinder flügge werden

KAPITEL DREI So viel Oma will ich sein

Meine Ressourcen

Nein, leider. Oder: Wer bin ich?

Spontan und von Tag zu Tag

Ganz ehrlich

Learning by doing

KAPITEL VIER Mut zur Stärke

Ein Blick zurück

Schluss mit der Männerschonung

Reservemann Opa?

Neue Chancen für die Liebe

Schuld, Scham und Bedauern

KAPITEL FÜNF Das A und O ist in Beziehung sein

Beziehung braucht Worte

Die Beziehung zum eigenen Kind

Was ist fair?

Die Beziehung zum Enkelkind

Die Beziehung zu den Schwiegerkindern

KAPITEL SECHS Oma kriegt die Krise

Der ganz normale Familienwahnsinn

Warum wir Ängste haben. Ein Leben lang

Verliebt, verlobt, verheiratet – getrennt?

Nachwort

Dank

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Über die Autorinnen

Vorwort

Herzlichen Glückwunsch, du wirst Oma! Jetzt beginnt eine Zeit der überbordenden Gefühle. Vermutlich sind mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte vergangen, seit du zuletzt ein kleines Wesen in den Armen gehalten hast, das du so sehr geliebt hast wie dein Enkelkind. Wichtige Aufgaben warten auf dich. Es ist viel zu tun, viel zu beackern und vor allem viel Zwischenmenschliches zu leisten, wenn du dich dafür entscheidest, eine junge Familie mit aller Kraft zu unterstützen. Aber wir wissen aus der Perspektive der Oma, der Tochter und der Schwiegertochter, dass es sich absolut lohnt. Lass es zu und genieße deinen neuen Lebensabschnitt.

Vielleicht bist du auch schon länger Oma und möchtest dir für den Weg mit deinen Kindern und Enkelkindern hilfreiche Anregungen holen. Wir alle wissen, welche Schwierigkeiten auftreten können, wenn wir neue Beziehungen eingehen. Es ist nicht leicht, all den Anforderungen und Wünschen der Familie, aber auch den eigenen zu entsprechen. Die gute Nachricht ist: Das musst du auch gar nicht … Schließe deine Augen und stell dir einmal den Prototyp einer Oma vor. Ein Bild, das sich in den letzten Jahrhunderten manifestiert hat und das selbst heute noch klischeehaft in unseren Hinterköpfen existiert, ist jenes des weißhaarigen, bebrillten Mütterleins, das sich beim Gehen schwertut und immer einen Kuchen in der Speisekammer vorrätig hat. Der Opa sitzt mit der Zeitung in einer Ecke und blickt je nach Stimmungslage mal freundlich, mal mürrisch dahinter hervor. Die Oma ist stets emsig, liebevoll und um bestmögliche Versorgung bemüht. Aber auch sie hat einen kritischen Blick gegenüber der Jugend. Gegenüber den Erziehungsmethoden der nächsten Generation ist sie höchst skeptisch, und vor allem hat sie ein unumstößliches Bild davon verinnerlicht, wie Kinder zu sein haben. Zugegeben, das sind eine ganze Menge Klischees.

Aber wie sehen sich die Omas und Opas heutzutage tatsächlich? Oft stehen sie noch mit beiden Beinen im Berufsleben und denken nicht einmal daran, das in absehbarer Zeit zu ändern. Die Haare sind nicht weiß, der Rücken ist nicht krumm, sie sind sportlich, aktiv, reisen gern und haben eigentlich nicht vor, in ihrem Leben demnächst einen grundlegenden Richtungswechsel zu vollziehen. Viele genießen, dass die eigenen Kinder aus dem Haus sind, und oft entwickelt sich eine neue Vertrautheit mit dem Partner oder der Partnerin. Endlich ist die Zeit für aufgeschobene Abenteuer und Pläne gekommen. Oftmals gestehen sie sich ein erleichtertes Aufatmen darüber ein, dass die eigenen Kinder nun selbstständig sind und kaum noch Unterstützung brauchen.

Wenn die Enkelkinder kommen, vollzieht sich erneut ein Wandel im Leben, wieder stellt sich die Frage nach den Prioritäten, eine neue Aufgabe kann wachsen. Natürlich hat es auch auf die Paarbeziehung große Auswirkungen, wenn wieder jemand wichtiger wird. Als das zweite Enkelkind zur Welt kam, seufzte Gundis Mann: »Jetzt rücke ich wieder eine Reihe nach hinten …« »Ja, genau!«, war die Antwort. Das bedeutet nicht, dass der Opa außen vor gelassen wird, denn auch er schlüpft in eine neue Rolle, hat Teil an der Veränderung des Familiensystems. Auch für ihn gilt es, sich damit auseinanderzusetzen (mehr dazu in Kapitel vier: »Schluss mit der Männerschonung«).

Viele Frauen identifizieren sich nicht mit der klischeehaften Rolle der Großmutter und erleben es fast als Schock, Oma zu werden. Das gesellschaftliche Bild der Großeltern ist nicht im Einklang mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Sollen sie der Fels in der Brandung für Kinder und Enkelkinder sein? Zu einem Zeitpunkt, wenn sie selbst allerhöchste Ansprüche an ihr Leben haben. Und das völlig zu Recht. Wieder könnte es passieren, dass vor allem Frauen Selbstaufopferung und Selbstaufgabe in der neuen Rolle vermuten.

Unser Anliegen ist es, genau hier hinzuschauen: nicht auf die Großmutter, wie sie im Buche steht, sondern auf dich – auf die Oma, die du sein willst. Wir wenden uns an dich, weil du vermutlich schon in der Vergangenheit der emotionale Anker deiner Familie warst. Wahrscheinlich wirst du früher als der Opa fühlen, dass du in deiner neuen Rolle gefragt bist. Erlaube dir, den Blick auf deine inneren Konflikte zu lenken und dir die Frage zu stellen, welche Ressourcen, Zeit, aktive und tatkräftige Unterstützung – bei der Hausarbeit, bei der Kinderbetreuung, aber auch materiell – du zu leisten bereit bist. Was kann auch der zukünftige Großvater übernehmen, so es ihn gibt? Sehr oft ist es vermutlich wieder deine Aufgabe, den Opa zu integrieren. Es wird unweigerlich geschehen, dass du dich auch mit möglichen Konflikten und unangenehmen Gefühlen auseinandersetzen wirst, mit Schuldgefühlen und vielleicht auch Scham, mit eigenen Rollenbildern und damit, Anforderungen nicht entsprechen zu wollen (mehr dazu in Kapitel drei: »So viel Oma will ich sein«).

Lass das Gefühl des schlechten Gewissens beiseite, und erlaube dir, darüber nachzudenken – ohne an die Konsequenzen zu denken. Jede ist selbst dafür verantwortlich, wie viel Energie und Zeit sie einbringen möchte. Das ist ein schwieriger Prozess, sind wir Frauen doch sozialisiert, alles für Beziehung, Harmonie und Zufriedenheit aller Familienmitglieder zu tun. Konflikte müssen sofort gelöst werden und das nicht selten zu Lasten der Frauen.

Die andere Seite der Medaille ist, dass Großmütter viel zu oft in dem Glauben leben, dass ihre Rolle eine tragende Säule im Leben der werdenden Kleinfamilie ist oder sein muss. Dass es schwer ist, hier die richtige Balance zu finden, ist Thema in Kapitel zwei: »Der Schritt in die zweite Reihe«. Viele junge Mütter berichten, dass ihre Mutter oder Schwiegermutter sich häufig einmischt oder »alles besser weiß«. Genauso oft gibt es Großmütter, die sich degradiert fühlen, weil sie lediglich zum Kochen und Putzen gebraucht werden. Vor allem in den ersten Monaten, bis die Familie einen eigenen Rhythmus gefunden hat und langsam beginnt, sich im neuen Alltag zurechtzufinden, kann es wirklich sein, dass die Oma hauptsächlich für Versorgungsgänge gebraucht wird. Erst später, wenn das Neugeborene auch einmal ein, zwei Stunden ohne Mama oder Papa auskommt, kristallisiert sich langsam heraus, welche Rolle den Großeltern zukommt.

Die Eltern haben ihre eigenen Vorstellungen davon, wie viel sich die Großeltern einbringen sollen. Nicht selten entstehen auf dieser Ebene Konflikte, die die Beziehung belasten. Die Herausforderung ist, die Vorstellung aller Beteiligten in Einklang zu bringen. Eine offene, wertschätzende Kommunikation darüber, wie die Rollen verteilt sind und welche Wünsche es gibt, kann viele Missverständnisse aus dem Weg räumen. Mit zahlreichen Tipps und Impulsen widmen wir uns im Kapitel »Das A und O ist in Beziehung sein« den ganz unterschiedlichen Beziehungen zu den Enkeln, den eigenen Kindern und den Schwiegerkindern.

Aus den unterschiedlichen Perspektiven und mit den Bedürfnissen aller drei Generationen im liebevollen Blick hoffen wir, einen Beitrag zum Gelingen deiner Beziehungen zu leisten. Als Psychotherapeutin mit starkem Fokus auf Beziehungssysteme hilft Gundi in ihrer Praxis seit mehr als 30 Jahren Familien dabei, vermeintlich unlösbare Knoten im Familienalltag zu entwirren. Viele der im Buch beschriebenen Herausforderungen in der Mutter-Kind-Enkelkind-Beziehung basieren auf ihren Erfahrungen als Mutter von drei Kindern und als Oma von vier Enkelkindern. Als Mama von zwei Söhnen und als Tochter, Schwiegertochter und Stieftochter von fünf sehr unterschiedlichen Großelternteilen beleuchtet Carina die Perspektive junger Frauen, die in dieser intensiven Zeit – genau wie die Omas – erst in ihre neue Rolle hineinwachsen.

Wie jeder lebendige Prozess in einer Familie sind auch die Anforderungen an Großeltern einer ständigen Veränderung ausgesetzt. Lasst uns sensibel, neugierig und offen auf die Anforderungen reagieren, dann können alle davon profitieren. Das Schöne ist, dass auch die Oma mit ihren Aufgaben wächst!

Notiz: Wir haben uns dazu entschlossen, euch (werdende) Großmütter mit du anzusprechen. Es ist uns bewusst, dass das für die eine oder andere ungewöhnlich erscheinen mag, vor allem in Anbetracht der ehrwürdigen Rolle, in die ihr geschlüpft seid oder bald schlüpfen werdet. Wir denken und hoffen aber, dass uns ein zwangloser Ton einander näherbringt und unsere Verbindung stärkt.

Die Beispiele in diesem Buch spielen hauptsächlich im klassischen Familiengefüge, weil dies unserem persönlichen Erfahrungsbereich entspricht. Großmütter sind aber in jeder erdenklichen Familienkonstellation gefragt und deshalb möchten wir betonen, dass die Herausforderungen, auf die wir in diesem Buch eingehen, in allen Familien denkbar sind – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder biologischer Definition.

KAPITEL EINS Sich einfinden in die neue Rolle

Die Grundhaltung der Großmutter ist die Basis für die wunderbar gesponnenen Netze zwischen den Generationen. Verständnis für die nächste Generation und ein offenes Herz für die Enkelkinder brauchen die ehrliche und bewusste Auseinandersetzung mit deinem eigenen »Ich«. Gern möchten wir dich in diesem Prozess begleiten und dir ein Handwerkszeug mitgeben, das dich deine Rolle, deine Aufgaben und deine Freuden als Großmutter finden lässt.

Wenn die eigenen Kinder Kinder bekommen, steht dem Familiensystem eine große Änderung bevor. Viele Fragen zu grundlegenden Themen wie Erziehung, Ernährung, Schwangerschaft und Geburt stellen sich den werdenden Eltern. Manchmal werden die Großeltern eingebunden, befragt, wie das damals gewesen ist, um Rat gebeten. Genauso gut kann es aber sein, dass die junge Generation diese Fragen mit sich selbst klärt. Was ebenso sein darf.

Von einem Moment auf den anderen steht nicht nur das Leben der werdenden Eltern auf dem Kopf, sondern auch das der Großeltern. Im besten Fall sind es wunderbare Gefühle, die den werdenden Eltern entgegengebracht werden. Das Wissen um das neue, wachsende Leben erzeugt Stolz, Rührung, Wärme und vor allem unendlich viel Liebe. Doch oft schleichen sich auch Gedanken der Sorge und Unsicherheit ein: Sind sie schon so weit, Eltern zu werden? Sie sind ja selber gerade erst trocken hinter den Ohren. Wie wird das finanziell funktionieren? Was ist mit Karriere und beruflicher Entfaltung? Oder gar ein kleiner Weltschmerz: Welche Zukunft hat das Kind überhaupt in unserer Gesellschaft? Kann es sich glücklich entfalten?

Gedanken dieser Art gehören dazu; sie zu verdrängen, ist bestimmt kein Teil der Lösung. Die vielen Fragezeichen gehören zu uns allen in einer solchen Situation. Es sind vielleicht Erfahrungen, die wir selbst im Laufe unseres Lebens gemacht haben und die in uns ein Gefühl der Unsicherheit entstehen lassen. Doch jetzt sind unsere Kinder und Schwiegerkinder an der Reihe, und das Einzige, was sie von uns wirklich brauchen, ist Vertrauen. Vertrauen darauf, dass sie die richtigen Entscheidungen für sich und ihr Baby treffen. Es wird viele Situationen geben, in denen wir um Rat und Hilfe gebeten werden. Es ist immer aufregend, wenn sich ein neues Familienmitglied ankündigt. Wir sind berührt und beseelt von dem bevorstehenden Ereignis, eine magische Zeit beginnt. Aber es drängen sich auch Gedanken auf, wie das alles funktionieren kann. Und auch für die Oma ist es legitim, sich darüber Gedanken zu machen.

Aber denke daran, dies ist nicht der Moment für Ängste und Sorgen. Dies ist der Moment der grenzenlosen Freude!

Zauberwort Allempathie

Obwohl sich die Eigenwahrnehmung der Großelterngeneration mitsamt ihren Wünschen und »Pflichten« in den vergangenen Jahren stark gewandelt hat, ist eines geblieben: Die Großeltern haben Erfahrungen gemacht, die den Eltern des Neugeborenen noch bevorstehen. Sie kennen viele Situationen, die für junge Eltern neu sind, aus der Vergangenheit. Sie blicken über den Tellerrand hinaus – weil es sie nicht direkt betrifft, denn ihre Rolle ist nicht in der ersten Reihe. Und außerdem, weil sie Vergleichsmöglichkeiten haben: Wie war das damals bei mir? All die Unsicherheiten und Schwierigkeiten, die Gefühle überbordender Liebe und letztlich auch die Ängste haben sie schon erlebt. Vielfach sehen wir Großmütter die Vergangenheit mitunter ein wenig verklärt, aber wir erinnern uns dennoch daran, dass wir auch gekämpft haben. Dass wir auch nicht die Supermütter waren. Niemand kann sich besser einfühlen als du. Man kann durchaus von der »Weisheit des Alters« reden, auch wenn die Großeltern heute vielfach sehr jung geblieben sind.

Diese Erfahrungen werden bei der nächsten Generation aber nur ankommen, wenn wir die Beziehung zu den eigenen Kindern und Schwiegerkindern offen und selbstkritisch reflektieren können. Jetzt ist definitiv die Zeit dafür, ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit, Vorurteile den Schwiegerkindern gegenüber oder Zweifel an den Fähigkeiten der nächsten Generation möglichst ehrlich und selbstkritisch zu hinterfragen.

Weil wohlgemeinte Hinweise schnell als bedrückende Ratschläge, ja, als ungebetene Forderungen aufgefasst werden, räumen wir den zwischenmenschlichen Beziehungen in diesem Buch einen besonderen Stellenwert ein. Fühlen sich Tochter oder Sohn, Schwiegertochter oder Schwiegersohn nicht bevormundet und spüren sie keinen Erwartungsdruck, können sie einen Rat viel leichter annehmen. Das Schlüsselwort ist Empathie.

Für eine gelungene Beziehung zwischen Großeltern, Kindern und Enkelkindern gibt es kein Geheimrezept. Aber es gibt eine Grundhaltung, die eine Begegnung aller auf Augenhöhe uneingeschränkt anstrebt: die Allempathie. Der Begriff Empathie ist seit einigen Jahren in Medien und Fachliteratur zu hören und zu lesen. Fast kann man ihn schon als »geflügeltes Wort« in unserem Wortschatz bezeichnen. Und das zu Recht. Die Empathie ist die Basis aller zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Duden bringt es knackig auf den Punkt: Empathie ist »die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen«. Klingt nicht schwer, oder?

Für die meisten von uns ist es gelebter Alltag, sich mit der Stimmungslage, den Motiven, Gefühlen, Handlungen und Gedanken anderer auseinanderzusetzen. Im Beruf mit dem Chef oder der Chefin, den Kolleg*innen; im privaten Bereich mit Partner*innen, Kindern und Freund*innen. Es erleichtert uns das Leben auf natürlichste Weise, wenn wir beobachten und hinterfragen, warum jemand handelt, wie er oder sie handelt. Wenn die eigenen Kinder Eltern werden, stehen wir vor vielen neuen Herausforderungen. Familiengefüge sind mit unsichtbaren Schlingen verbunden, und wir funktionieren mehr oder weniger gut, haben uns daran gewöhnt, und Routine erleichtert uns das Leben. Diese Gefüge funktionieren ganz unterschiedlich. Handelt es sich um eine Großfamilie, die sehr viel Nähe zulässt, oder werden eher distanzierte Beziehungen gelebt, wo Cousinen und Cousins sich kaum kennen? Wer ist verantwortlich für gemeinsame Aktivitäten, wer übernimmt andere Rollen wie den medizinischen Ratgeber oder die Geschichtenerzählerin? Und ganz wichtig: Wie wird mit Konflikten umgegangen? In manchen Familien herrschen immer noch autokratische Strukturen, und ein Oberhaupt, meist männlich, ist der Chef, niemand darf offen widersprechen. In anderen Familien werden Konflikte einfach unter den Tisch gekehrt, und es wird so getan, als ob es sie nicht gäbe. Ein Familienmitglied, ob es nun neu dazukommt oder geht, verändert die Strukturen. Und wir könnten lernen, diese »Krise« zu nutzen.

Allempathie ist das Zauberwort. Es kommt so leicht daher und ist in Konfliktsituationen doch so schwer anzuwenden. Der Begriff beschreibt die Bereitschaft, sich in jede der beteiligten Positionen einzufühlen und die Wünsche und Bedürfnisse aller zu hören, auch die eigenen. Erst dann werden gemeinsam Lösungen gesucht. Das Schöne daran ist: Wenn man in seiner Anwendung schon ein bisschen geübt ist, tritt seine Wirksamkeit meistens sofort ein und umfasst tatsächlich die Gefühlslage aller Beteiligten. Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse sowie jene, über die gesprochen wird, werden mitbedacht.

Gelingt einem oder einer in einer Familie dieses »Kunststück« und kann diese Person auch darüber reden, sind Veränderungen im Gefüge meist unmittelbar spürbar. Es geschieht etwas Großes, wenn wir uns die drei Fragen stellen: »Kann ich mich in dich einfühlen?«, »Wie fühlt sich die Situation für mich an?« und »Kann ich mich in eine dritte, nicht anwesende Person einfühlen?«. Niemand wird abgewertet.

Die Verführung ist groß, Menschen, mit denen wir in Konflikt geraten sind, zu beurteilen. Mit der Haltung der Allempathie fällt die Versuchung, abwertend zu denken, weg. Wenn ein Konflikt schwelt und wir merken, dass es den Kindern oder den Enkelkindern nicht gut geht, neigen wir dazu, Stellung zu beziehen. Oft passiert es, dass Schwiegerkinder – häufig leider auch in Anwesenheit der Enkel – in ein schlechtes Licht gerückt werden. Abgesehen davon, dass es weder das Kind stärkt noch der Beziehung zum Schwiegerkind guttut, hört das Enkelkind deutlich den Vorwurf an das andere Elternteil: »Etwas ist mit Mama oder Papa ganz und gar nicht in Ordnung!« Weil es sich natürlich mit beiden Eltern identifiziert, schlussfolgert es daraus, dass auch mit ihm etwas nicht in Ordnung sei.

Das heißt nicht, dass du als Oma keine differenzierte Wahrnehmung haben darfst. Du musst keineswegs alles großartig finden, was in der Familie passiert, welche Muster sie hat und wie der Umgang miteinander ist. Natürlich haben die vielen Akteure eines Clans unterschiedliche Auffassungen. Sind die Unterschiede so stark, dass daraus Konflikte entstehen, hilft die Haltung der Allempathie weiter. »In welcher Not steckst du, wenn du so handelst oder denkst?«

Eva liebt ihre Enkeltochter Leyla. Eines Tages musste Leyla ganz plötzlich zur Oma, weil ihre Mama einen wichtigen, unerwarteten Arbeitstermin hatte. Leyla war ziemlich sauer auf ihre Mama, die nun das versprochene Programm mit ihr nicht machen konnte, und auf die ganze Welt. Auch Eva hat es gern, wenn sie sich auf Besuch einstimmen kann. Sie hatte zwar Zeit, Leyla zu betreuen, aber keine, um extra für Leyla einzukaufen und ein Spiel vorzubereiten, das stresste sie. »Blöde Mama«, rief Leyla ungehalten, als ihre Mutter sie bei Eva abgab. Eva verstand sie gut und hatte Mitleid. Es gelang ihr allerdings nicht, Leyla umzustimmen, und sie fürchtete, dass diese spürte, dass auch Eva nicht uneingeschränkt Freude über ihren Besuch empfand.

In der Empathie-Arbeit geht es darum, sich nicht auf ein eigenes negatives Gefühl oder das einer der beteiligten Personen einzuschwingen und die anderen abzuwerten. Aber genau das geschieht sehr oft. Wir beziehen Stellung, beurteilen und bewerten: »Deine Mama hätte das anders einteilen sollen« oder »Du musst das eben verstehen« etc. Wir polarisieren sehr schnell; rasch ist jemand gut oder böse, falsch oder richtig. Wir könnten jedoch die Position jedes Beteiligten einnehmen, ohne zu bewerten. Das könnte in diesem Fall in etwa so klingen: »Oje, Leyla, du bist sauer auf deine Mama, weil sie so in Eile ist und gerade keine Zeit für dich hat. Sie hat Stress, weil sie bei der Arbeit so plötzlich gebraucht wird. Die Zeit, die sie mit dir verbringen wollte, hat sie nicht bekommen. Vielleicht bist du auch sauer auf mich, weil ich heute nicht mit dir gerechnet habe. Ich kann auch die für heute geplanten Sachen nicht machen. Das hat mich auch gerade etwas durcheinandergebracht. Wir sind also alle drei ein bisschen durch den Wind … Wie machen wir es uns jetzt richtig schön? Wollen wir uns einen Kakao kochen und dann überlegen, was wir zusammen spielen, damit es ein richtig guter Nachmittag wird?«

So oder so ähnlich könnte Allempathie, Empathie für alle drei Beteiligten, klingen. Schon die kleinsten Kinder verstehen diese Art der Empathie und können die unangenehmen Gefühle, sind sie erst einmal akzeptiert, loslassen.

Die eigenen Gefühle offen zu benennen, ist in unserer Gesellschaft und auch im Sprachgebrauch nicht üblich, und doch ist es ein mächtiges und deeskalierendes Instrument. »Ich bin gerade ein bisschen gestresst, weil du kommst. Aber ich mag es, wenn du da bist«, spiegelt die ganze Ambivalenz der Gefühle, die sich sowieso in Gesicht und Körperhaltung ausdrücken. Kinder haben feine und feinste Sensoren dafür, sie wollen geliebt werden, sich absolut sicher fühlen. Ein selbstreflektierender Umgang und das Benennen der Gefühle erleichtern allen Beteiligten, aus einer schwierigen Situation herauszutreten und wieder Freude am Jetzt zu haben. Menschen, die das können, sorgen gut für sich und für ihre Umwelt.

Gerade dann, wenn du merkst, dass du ein Familienmitglied – sei es die Tochter, der Schwiegersohn oder ein Enkel – abwertest, ist es wichtig herauszufinden, welche Gefühle und unerfüllten Wünsche bei dir vorhanden sind. Je besser du das bearbeiten kannst, umso leichter kannst du mit deinem Ärger, deiner Frustration oder deinem Stress umgehen. Kinder merken immer, wenn etwas in der Luft liegt; auch wenn sie es nicht artikulieren können, spüren sie es. Bleibt dieses Etwas unbearbeitet und unbenannt, verleidet es das Miteinander – natürlich in unterschiedlicher Ausprägung.

Wunderbar üben kann man seine allempathischen Fähigkeiten, wenn Kinder streiten. Wir sind oft versucht, uns auf die Seite eines Kindes zu stellen. Sei es, weil es das jüngere ist, sei es, weil es eindeutig im Recht ist. Versuchen wir ein Gedankenexperiment: »Lisa ist so gemein zu mir«, ruft Antonia der Oma zu. Diese hat beobachtet, dass Lisa tatsächlich die um zwei Jahre jüngere Schwester mit einem Stöckchen geärgert hat. Im ersten Moment möchte sie Antonia zustimmen und mit Lisa schimpfen. Der Effekt wäre vielleicht von kurzer Dauer, die Stimmung zwischen den Schwestern hätte sich gewiss nicht verbessert. Mit der Haltung der Allempathie hören wir Antonia liebevoll zu, ohne ihrem Urteil zuzustimmen. Denn mit Kommentaren wie »Ignoriere sie einfach« oder »Die Lisa ist halt so« werten wir die große Schwester massiv ab.

Wenn Oma oder Opa Allempathie gelernt haben, kann die Interaktion ganz anders und hilfreicher verlaufen: Zuerst ist es notwendig, die Aggression liebevoll zu stoppen, das Stöckchen wegzunehmen oder die zwei Kampfhähne zu trennen. Danach sollten wir weder bewerten noch intervenieren, um keine der beiden zu bevorzugen, sondern lieber ernsthaft nachforschen, was Lisa braucht, was gerade in ihr vorgeht und warum sie die Schwester traktiert. Vielleicht braucht Lisa Hilfe dabei, das auszudrücken: »Ist dir gerade langweilig, oder möchtest du nach Hause gehen oder was Interessanteres spielen? Was fehlt dir gerade?« Und zu Antonia: »Was hättest du gern von deiner Schwester?«

Wir Erwachsenen denken oft, wir müssen die erfragten Wünsche der Kinder auch erfüllen. Doch Einfühlung heißt nicht Erfüllung. Aber ich kann den Kindern Gelegenheit geben, eigene Lösungen zu finden.

»Antonia, siehst du, dass Lisa gerade in Not ist? Sie kann vielleicht gerade nicht ausdrücken, was sie braucht, komm, wir helfen ihr dabei.« Geht die Oma auf Antonia ein und wertet sie nicht ab, öffnet sie beiden Kindern wieder den Raum, wo sie sich verstehen und sich begegnen können.

Die Kindergärtnerin Christiane kam zur Supervision. Zwei Jungs in ihrer Gruppe schlugen sich gegenseitig und nahmen einander immer wieder Spielzeug weg. Christiane, die eine sehr engagierte Pädagogin war, versuchte zu schlichten, aber die Situation eskalierte immer mehr.

Wir überlegten uns ein Experiment: Sie erklärte den Kindern, dass Menschen, wenn sie miteinander streiten, in Not sind. Dann brauchen sie etwas. Die Kinder und die Erwachsene vereinbarten miteinander, dass bei Streit die Kindergärtnerin zur Unterstützung geholt werden würde. Jedes Kind durfte dann sagen, was es brauchte. Gewalt war nicht erlaubt. Denn dadurch erreicht man vielleicht kurzfristig etwas – ergattert einen Ball oder ein Auto –, aber ein Miteinander ist nicht mehr möglich, wenn ein Kind sauer oder traurig ist.

Christiane führte in der Gruppe den »Friedensteppich« ein. Wenn die Kinder einen Streit hatten, nahmen sie nun darauf Platz, und jedes durfte erklären, was es braucht. Danach wurde gemeinsam nach Lösungen gesucht. Es klappte wunderbar: Christiane erzählte das nächste Mal, dass das Ergebnis erstaunlich war: Die meisten Kinder hatten sofort eine gute Lösung für ihren Streit parat. Und das ohne Abwertung, ohne negative Zuschreibung – und waren die Jungs auch noch so wild.

Im Kern haben diese Kinder schon ganz früh die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg gelernt.1

Wir Erwachsenen mit unseren eingefahrenen Mustern tun uns oft viel schwerer, darauf zu vertrauen, dass Kinder Lösungen finden. Wir sind stets in der Versuchung, diese vorzugeben. Es lohnt sich aber, das Muster zu durchbrechen und den Kindern Gelegenheit zu geben, selbst aus der für sie negativen Situation herauszukommen. Erlaube dir wahrzunehmen, welche Reaktionen bei dir reflexartig ablaufen, und führe sie nicht aus. Gib dir Zeit und handle erst dann. Mit ein wenig Übung gelingt das. Es ist mehr eine Haltung als ein Instrument und hilft in allen Konflikten. Alle Menschen haben die gleichen Grundbedürfnisse; und viele Wünsche, unser Leben betreffend, ähneln einander. Wir haben leider nur nicht gelernt, liebevoll darüber zu sprechen. Oft braucht es ein wenig Übung, denn unser über Jahre gefestigtes Schubladendenken ist gar nicht so leicht zu ändern.

Der Schatz der inneren Haltung

Eigentlich sind die drei inneren Haltungen Humor, Gelassenheit und Wertschätzung untrennbar miteinander verbunden. Humor beinhaltet Gelassenheit und Gelassenheit bedingt die Wertschätzung. Ich finde es aber leichter, die drei getrennt zu betrachten, denn jedes für sich kann geübt werden.

Humor

Es gibt viele Situationen im Leben mit Kindern, die uns herausfordern und gelegentlich auch an unsere Grenzen bringen. Oft hilft da nur eines, nämlich Humor. Wenn wir uns einen Funken davon bewahren können, gelingt es uns mit großer Wahrscheinlichkeit, die stressigsten Situationen gemeinsam mit unseren Enkelkindern und Kindern zu meistern. Ist es wichtig, ob Pipi auch mal in die Hose gegangen ist? Ist es wirklich so schrecklich, wenn die Nudeln auf dem Boden landen? Und ist es ein Drama, wenn auf dem Spielplatz ein Schäuflein Sand verkostet wird? Eben.

Tritt einen Schritt zurück und betrachte die Szene aus einem anderen Blickwinkel. Das Leben ist nicht so ernst – und in genau diesen Situationen kannst du den Kindern eine große Lebensweisheit mitgeben: Alles halb so wild, machen wir uns das Leben leicht, und lachen wir gemeinsam darüber. Mit ein wenig Gelassenheit gerät auch dein Enkelkind nicht in das Fahrwasser »Jetzt hab ich wieder etwas verkehrt gemacht«. Du wirst sehen, die Oma kommt auf ihrem »Weg zur Erleuchtung« ein ganzes Stück weiter. Denn was geschieht, wenn man einem jahrelang gepflegten Glaubenssatz mit Humor zu Leibe rückt? Er löst sich in Luft auf. Themen, die viele Großeltern als belastend empfinden und die aus diesem Grund in meiner Praxis immer wieder zur Sprache kommen, sind Klassiker wie

Der Sechsjährige schläft noch im Elternbett.

Die Vierjährige braucht noch immer Windeln.

Die Kinder schlafen nicht alleine ein.

Der Junge hat keine Tischmanieren.

Die Kinder haben überhaupt keinen Rhythmus.

Vielleicht erkennst du, dass dies Themen sind, die auch in dir etwas auslösen. Möglicherweise sind es Erinnerungen an deine eigene Kindheit oder das Leben mit deinen Kindern. Es kann durchaus sein, dass du merkst: »Puh, damals habe ich es mir aber schwer gemacht! Ich dachte, es ist schrecklich wichtig, dass die Kinder in ihren eigenen Betten schlafen. Jede Nacht sind sie gekommen, und ich habe sie zurückgebracht und ewig neben ihnen gesessen, bis sie wieder geschlafen haben.« Schau zurück und begegne der Erinnerung mit Humor.

Hier eine Szene aus meiner Jungmama-Zeit: Damals nahm ich die Ernährung meiner Kinder todernst, und ich riss mir ein Bein aus, um nur auch ja alles richtig zu machen. Meine Kinder wuchsen in den Achtzigerjahren auf, in einer Zeit, in der das Thema gesunde Ernährung zum ersten Mal in unser Bewusstsein drang. Getreidemühlen waren beim Bildungsbürgertum groß in Mode, und als gewissenhafte Mutter besorgte ich mir natürlich eine. Verschiedene Getreidesorten (selbstverständlich Vollkorn) und diverse Gewürzmischungen standen ebenfalls bereit. Obst und Gemüse kaufte ich frisch auf dem Markt ein, und mit Salz war ich besonders vorsichtig. Zucker kam überhaupt nicht auf den Tisch – maximal Honig.

Nun, was soll ich sagen, ich kochte und backte, ich mahlte selbst Getreide (das natürlich trotz mehrmaligem Aussieben niemals richtig fein wurde) in einer Lautstärke, die an einen Presslufthammer erinnerte. Ich dünstete und würzte und hatte selbstverständlich die allerbesten Absichten. Was denkst du, was meine Kinder davon hielten? Genau, nichts. Sie verweigerten sich. Selbst die fünf Sorten Vollkorn-Weihnachtskekse wurden abgelehnt und vergammelten in den wunderschönen Blechdosen. »Mama, das ist wirklich eklig.« Und es stimmte auch: Es schmeckte nicht.

Ich machte mir den Alltag so kompliziert wie möglich, indem ich meine Ansprüche an mich als Mutter ins Unendliche hinaufschraubte. Gleichzeitig gab es aber noch andere Verpflichtungen: Arbeit, Kindergartenwege, Nachmittagsbetreuung und, und, und. Schließlich wollte ich ja alles richtig machen. Wenn ich heute daran denke, muss ich lachen – mein Gott, ich habe es mir so schwer gemacht! Irgendwann erkannte ich, dass die Balance nicht stimmte, es war nicht leicht, aber ich schüttelte meine Ansprüche – die schon fast zum Dogma geworden waren – ab und holte hin und wieder ein Brathähnchen vom Imbiss.

Bei meinen Kindern wirken wieder andere Glaubenssätze, mit denen sie sich das Leben nicht unbedingt leichter machen. Ich weiß natürlich, dass ich es ihnen nicht abnehmen kann – denn auch sie wollen das Beste für ihre Kinder –, aber dann und wann erinnere ich sie an die Getreidemühle.

Junge Mütter und Väter heute haben ähnliche Themen, die ihr Leben komplizierter gestalten. Wir können es ihnen nicht abnehmen, aber wir können uns erinnern und mit unserer Haltung begleiten – auch sie werden irgendwann erkennen, dass es nicht darauf ankommt, ob man zwölf oder achtzehn Monate gestillt hat, ob man das Baby mit einem Kaiserschnitt geboren hat oder ob der erste Karottenbrei bio war. Die Kinder sind nicht glücklicher oder gescheiter deswegen.

Jedoch liegt es auch bei uns Großeltern, die Glaubenssätze unserer Kinder zu respektieren. »Wann soll ich das Fläschchen geben? Ich halte mich gern an deine Regeln.« Auch wenn wir aufgrund unserer Lebenserfahrung wissen, dass viele Elternvorgaben irgendwann über Bord geworfen werden, ist es an uns zu akzeptieren, dass diese Regeln im Hier und Jetzt (vor allem im Baby- und Kleinkinderalter) wichtig sind. Meistens lockern sie sich im Lauf der Zeit. Wenn du denkst, etwas sei übertrieben, erinnere dich zurück an deine Jahre als junge Mama, dann gelingt es dir bestimmt, den Regeln mit einem Lächeln und viel Verständnis zu begegnen.

Mit dieser Haltung nimmst du gleichzeitig auch Druck von den Eltern. Die Gefahr, in die klassische Rivalitätsfalle, die Wer-von-uns-beiden-macht-es-richtig-Spirale, zu geraten, in der sich Mutter und Tochter oder Schwiegermutter und Schwiegertochter oft befinden, wird vermieden.

Wesentliche Punkte, die Großeltern mit Vorliebe kritisieren, sind die Essens- und Schlafsituationen. Die Hemmschwelle, Ratschläge zu geben, ist niedrig, und es wird nicht daran gespart. Dabei wissen wir alle, dass sich Essgewohnheiten von Kindern nicht von heute auf morgen ändern, und wir wissen auch, dass sich die Kinder holen, was sie brauchen. Beim Schlafen ist es ebenso: Ich kenne keinen Achtzehnjährigen, der noch ins Elternbett schlüpft. Alles zu seiner Zeit! Erziehungsmethoden zu Rhythmus und Schlafen haben in den letzten Jahren einen großen Wandel erfahren. Es kann vorkommen, dass du in einem Restaurant um 22 Uhr ein zehn Monate altes Baby am Nebentisch siehst. Warum auch nicht? Es schadet dem Kind nicht.

Lydia beobachtet, dass sich ihre Schwiegertochter ärgert, weil ihre Zweijährige die Zucchini einfach nicht im Mund behalten will. Jeder Bissen kommt augenblicklich wieder heraus. Lydia unterdrückt den Impuls, Tipps zur besseren und bekömmlicheren Zubereitung zu geben, und sagt: »Das ist gerade mühsam. Es wird sich bestimmt bald wieder ändern. Ich kenne Kinder, die haben sich nur von Nudeln ernährt.« Damit zeigt sie ihrer Schwiegertochter: Ich bin nicht die bessere Mama.

Viele Beobachtungen von Großeltern könnten viel gelassener und mit Humor betrachtet werden. Das kann zu deiner großen Stärke werden, denn Kinder lieben es, wenn das Leben nicht so eng gesehen wird. Es kommt ja oft genug vor, dass die Eltern unentspannt sind.

IMPULS

Humor lässt sich trainieren

Humor ist eine Fähigkeit, die wir üben können, und auch für Ältere ist der Zug nicht abgefahren. Im Gegenteil! Die Lebenserfahrung hilft dabei, und je öfter wir trainieren, desto besser wird es gelingen. Wirf einmal täglich oder einmal pro Woche oder wann immer es dir einfällt, einen Blick zurück auf dein Leben, und erinnere dich an eine Situation, die dir damals unendlich mühsam erschienen ist. Tritt einen Schritt zur Seite und betrachte die Szene aus einem anderen Blickwinkel. Mit Humor. Was war komisch? Worüber kannst du jetzt lachen? Auch für junge Mütter ist diese Übung sehr nützlich, denn sie hilft in unmöglichen Situationen, gelassen zu bleiben.

Es ist ein Prozess, an dessen Beginn immer die Entscheidung steht: Will ich das Leben leichter sehen? Mag ich etwas mehr Leichtigkeit in mein Leben bringen? Es gibt schwere Momente im Leben, aber wir leben glücklicherweise in einer Zeit, in der es uns prinzipiell gut geht. Also machen wir uns auf, die manchmal absurden Regeln zu hinterfragen und darüber zu lachen.

Manchmal fällt es uns vielleicht schwer, in unserem Alltagstrubel einen humorvollen Blick zuzulassen. Wir erledigen unsere Aufgaben und erwarten, dass alle Beteiligten mittun und mithelfen. Nicht selten sind es die Kinder, die uns einen Strich durch die Rechnung machen. Dem mit Humor zu begegnen, erfordert ein wenig Übung. Aber es lohnt sich, denn schon bald legt sich der ungeduldige Ton in unserer Stimme – der uns manchmal selbst unheimlich auf die Nerven geht. Die Stimmung im Haus bessert sich, und du wirst sehen, wie erstaunt die Kinder sind, wenn Mama oder Oma plötzlich über die Überschwemmung im Bad lachen. Wie schön, wenn es gelingt, statt über die hohe See in der Wanne zu schimpfen, gelassen zu sagen: »Die Seemänner werden gebeten, die Überschwemmung nach Landgang wieder aufzuwischen!«

Carina erzählt: Mit Grauen erinnere ich mich daran, als ich meinen Großen aus der Krippe abholte. Das Baby war gerade auf der Weltund im Tragetuch dabei. Vorher hatte ich vorausschauend die Einkäufe erledigt – alles perfekt organisiert, so dachte ich. Mein Älterer war aber hundemüde und quälte sich jeden Meter mit dem Laufrad in Richtung zu Hause. Irgendwann, etwa 500 Meter vor unserem Ziel, verweigerte er. Er wollte getragen werden und war nicht dazu zu bewegen weiterzufahren. Schließlich nahm ich ihn auf den Arm. Mit der anderen Hand schnappte ich mir das Laufrad, die Einkäufe hatte ich auf dem Rücken und das Baby am Bauch – so schleppte ich mich heim. Vor emotionaler und körperlicher Anstrengung liefen mir Tränen übers Gesicht. So kann es auch sein, das Leben als Mama. Als ich mich schließlich völlig erschöpft in unserer Küche niederließ und mir die Szene noch einmal vor Augen rief, schoss es mir durch den Kopf: »Eigentlich ist es ja zum Lachen!«

Gemeinsam mit vielen meiner Klienten und Klientinnen habe ich bei der folgenden Übung Tränen gelacht. Sie gewährt uns den humorvollen Blick auf unsere Familie. Achtung: Es kann sein, dass du deine Familie nicht wiedererkennst!

IMPULS

Fantasie wirkt Wunder

Wenn du das nächste Mal merkst, dass du in einer Situation feststeckst, die anstrengend und mühsam ist, und du das Gefühl hast, keiner hilft mit und all deine Bedürfnisse werden übergangen, dann gib der momentanen Situation einen Titel. Welches Wort entspricht gerade dem, was du erlebst? Schließe die Augen. »Im Affenkäfig!«, »So ein Kasperltheater«, »Wie im Zirkus!« etc.

Wenn du die Augen öffnest, bist du mitten in dieser Szene. Zum Beispiel: Opa ist der Gorilla, der sorgfältig seine Socken über den Fuß ziehen möchte und eine gefühlte Stunde dafür braucht. Die Enkeltochter, das kleine Rhesusäffchen, springt wie wahnsinnig durch die Gegend; der Große, ein Schimpansen-Teenager, telefoniert noch immer mit einem Freund und regt sich unter lautem Uuuaaa-Getöse über eine Lehrerin auf. Und welcher Affe bist du?

Im Zirkus fühlst du dich vielleicht wie der hilflose Direktor, der Clown, die Dompteurin oder die Artistin …

Versuch es! Ich verspreche dir, es wirkt Wunder. Immer wenn du merkst, dass die Situation stressig wird, lass deiner Fantasie freien Lauf. Viel Spaß!

Gelassenheit

Gelassenheit ist seit einigen Jahren ein beliebtes Thema in sämtlichen Frauenzeitschriften, und auch die Männerwelt kommt immer mehr darauf, dass dieser Begriff auch in ihrer Gedanken- und Gefühlswelt Platz haben sollte. »Mein Weg zu mehr Gelassenheit« oder »Wie Sie Gelassenheit in Ihren Alltag bringen« prangt da gern auf dem Titelblatt. Yogastudios boomen, Achtsamkeitstrainings und Meditationsseminare und vieles mehr beschäftigen sich damit, gelassener mit alltäglichen oder ganz bestimmten Stresssituationen umzugehen. Während es noch gar nicht so lange her ist, dass der Großteil der Bevölkerung mit dem Thema gar nichts anfangen konnte, ist das Bewusstsein heute dafür enorm. Wir wissen, dass Gelassenheit unser Leben vereinfachen würde, und trotzdem ist es sehr schwierig, diese Haltung abzurufen, wenn es notwendig wird.

Ich erinnere mich gut an eine Szene, als meine Enkelin Viola etwa eineinhalb Jahre alt war. Ihre große neue Leidenschaft war es, die Küchenschubladen zu inspizieren. Natürlich liebte sie vor allem jene, die tabu war. Nämlich die Schublade, in der Mixer, Entsafter und Pürierstab verwahrt werden. Weil hier drinnen auch die bunten Muffinformen gestapelt sind und weil das Verbotene ohnehin sehr reizvoll ist, fühlte sich Viola magisch davon angezogen. Über Wochen ging sie wieder und wieder hin und öffnete sie. Wir versuchten, sie abzulenken, ihr anderes zum Erkunden anzubieten oder die bunten Formen aus der Schublade zu nehmen. Alle diese Versuche fruchteten nur kurz, sie wollte unbedingt an genau diese Schublade. Nicht alles lässt sich wegräumen. Endlich verstand ich, warum gerade diese Schublade so interessant für Viola war. Ich setzte mich zu ihr auf den Boden, und gemeinsam schauten wir uns all die gefährlichen Gegenstände Stück für Stück an. Dann legten wir die Sachen gemeinsam zurück. Als Viola den Inhalt kannte und das große Geheimnis gelüftet war, verlor sie das Interesse daran.

Was hier so einfach klingt, nötigt uns doch fast buddhistische Gelassenheit ab. Einerseits geht es um das Loslassen alter Glaubenssätze – »Kinder müssen lernen, dass es Gegenstände gibt, die tabu sind« – und andererseits um das Vertrauen, dass, wenn Kinder einmal erfahren haben, dass mit einem Hobel eigentlich nichts anzufangen ist, ihr Interesse daran verloren geht. So war es auch bei Viola, diese Küchenschublade hat sie nie mehr geöffnet.

Eine Erfahrung, die ich in meinen vielen Dienstjahren als Oma gemacht habe, ist, dass es besser ist, mir für die Tage oder Stunden, die ich mit meinen Enkelkindern verbringe, keinen Plan zu machen. Die Erwartungshaltung endet bei: Wir erleben gemeinsam eine schöne Zeit. Und dann schaue ich, welches Bedürfnis das Kind gerade hat. Wir leben von einem Moment zum anderen. Natürlich kann man sich vornehmen, etwas zu unternehmen, aber wenn es die Situation nicht zulässt, das Kind schlechte Laune hat oder eine eigene Idee verfolgt, dann kann ich mich darauf einschwingen.

Gelassenheit ist die Haltung, die eigenen Erwartungen gehen zu lassen, wenn nötig. Je konkreter unsere Erwartungen sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass sie nicht erfüllt werden.

IMPULS

Überraschung tut gut

Üblicherweise haben wir Menschen einen Tages- und/oder Wochenplan. Erlaube dir, wenn du morgens aufwachst und über den Tag, an dem du vielleicht einiges abzuarbeiten hast, nachdenkst, zu dir zu sagen: »Ich bin neugierig, was heute Unvorhergesehenes passiert. Und ich stelle mich freudig darauf ein.« Diese Übung ist auch gut für Reisen, Einladungen, Besuche, immer wenn Situationen eintreten können, die dich stören könnten. Störungen passieren – sich darüber zu freuen, heißt Gelassenheit trainieren.

Wertschätzung

Oft erlebe ich, dass Menschen Humor mit Ironie oder Zynismus verwechseln. Sie denken, sie sind besonders lustig, wenn sie bösartig über Schwächen oder vermeintliche Fehler anderer herziehen.