Open Strategy - Christian Stadler - E-Book

Open Strategy E-Book

Christian Stadler

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Beschreibung

Warum gelingt es einigen der weltweit erfolgreichsten Unternehmen, der Disruption zu entgehen und innovative Strategien zu entwickeln und umzusetzen, während sich andere mit Veränderung schwertun? Führende Unternehmen wechseln nicht etwa ihre Führungsspitze aus oder engagieren teure Berater. Ihr Erfolgsrezept besteht vielmehr darin, Strategie anders zu denken. Anstatt die Strategieplanung auf ein kleines Managementteam zu begrenzen, öffnen sie den Prozess und binden weitere Akteure ein: Frontline-Mitarbeiter, Expertinnen, Lieferanten, Kunden, Entrepreneure – ja sogar Wettbewerber. Kurzum: Sie betreiben Open Strategy. Dieses Buch stellt die neue Managementphilosophie vor und zeigt Unternehmensverantwortlichen anhand von Tools, Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Case Studies von Unternehmen wie Adidas, Barclays, Telefónica, WS Audiology, voestalpine und vielen mehr, wie sie diesen zukunftsweisenden Strategieansatz nutzen können.

Die Autorinnen und Autoren – Strategieprofis aus der Wissenschaft und Unternehmensberatung – stellen hilfreiche Tools für die drei Phasen des Strategieprozesses vor: Ideengenerierung, Strategieformulierung und Strategieumsetzung. Diese umfassen sowohl digitale Formate (z. B. Strategy Jams), die die Einbindung einer großen Zahl von Akteuren ermöglichen, hybride Formen, die digitale und physische Elemente miteinander verbinden (z. B. die Nightmare Competitor Challenge), als auch einen Workshop, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Geschäftsmodelle auf spielerische Weise entwickeln. Auch Tools, mit denen Unternehmen ihre Strategie erfolgreich umsetzen und den Ansatz nachhaltig im Unternehmen verankern, dürfen natürlich nicht fehlen.
Open Strategy feiert bereits beeindruckende Erfolge: Eine Umfrage unter 200 Top-Führungskräften ergab, dass Open-Strategy-Methoden, obwohl lediglich in 30 Prozent der Initiativen eingesetzt, für die Hälfte der Umsätze und Gewinne der Unternehmen verantwortlich waren. Dieses Buch zeigt, wie auch Sie Ihren Strategieprozess öffnen und Ihr Unternehmen für langfristigen Erfolg aufstellen.

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Zum Inhalt:

Warum gelingt es einigen der weltweit erfolgreichsten Unternehmen, der Disruption zu entgehen und innovative Strategien zu entwickeln und umzusetzen, während sich andere mit Veränderung schwertun? Führende Unternehmen wechseln nicht etwa ihre Führungsspitze aus oder engagieren teure Berater. Ihr Erfolgsrezept besteht vielmehr darin, Strategie anders zu denken. Anstatt die Strategieplanung auf ein kleines Managementteam zu begrenzen, öffnen sie den Prozess und binden weitere Akteure ein: Frontline-Mitarbeiter, Expertinnen, Lieferanten, Kunden, Entrepreneure – ja sogar Wettbewerber. Kurzum: Sie betreiben Open Strategy. Dieses Buch stellt die neue Managementphilosophie vor und zeigt Unternehmensverantwortlichen anhand von Tools, Schritt-für-Schritt-Anleitungen und Case Studies von Unternehmen wie Adidas, Barclays, Telefónica, WS Audiology, voestalpine und vielen mehr, wie sie diesen zukunftsweisenden Strategieansatz nutzen können.

Die Autorinnen und Autoren – Strategieprofis aus der Wissenschaft und Unternehmensberatung – stellen hilfreiche Tools für die drei Phasen des Strategieprozesses vor: Ideengenerierung, Strategieformulierung und Strategieumsetzung. Diese umfassen sowohl digitale Formate (z. B. Strategy Jams), die die Einbindung einer großen Zahl von Akteuren ermöglichen, hybride Formen, die digitale und physische Elemente miteinander verbinden (z. B. die Nightmare Competitor Challenge), als auch einen Workshop, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Geschäftsmodelle auf spielerische Weise entwickeln. Auch Tools, mit denen Unternehmen ihre Strategie erfolgreich umsetzen und den Ansatz nachhaltig im Unternehmen verankern, dürfen natürlich nicht fehlen.

Open Strategy feiert bereits beeindruckende Erfolge: Eine Umfrage unter 200 Top-Führungskräften ergab, dass Open-Strategy-Methoden, obwohl lediglich in 30 Prozent der Initiativen eingesetzt, für die Hälfte der Umsätze und Gewinne der Unternehmen verantwortlich waren. Dieses Buch zeigt, wie auch Sie Ihren Strategieprozess öffnen und Ihr Unternehmen für langfristigen Erfolg aufstellen.

„Ich setze mich seit vielen Jahren dafür ein, dass sich Unternehmen stärker öffnen. Open Strategy ist eine hilfreiche Blaupause, um die Kraft und das Potenzial von mehr Offenheit im Unternehmen zu nutzen. Ein Muss für alle Leserinnen und Leser.“ – Jim Whitehurst, President von IBM

„Die Relevanz und Langlebigkeit eines Buches messe ich daran, wie viele Notizen ich mir während des Lesens mache. Open Strategy übertrifft alle meine Erwartungen. Auf jeder Seite gab es etwas Wichtiges zu erfahren! Die Autorinnen und Autoren stellen das bisherige Paradigma des strategischen Managements auf den Kopf und zeigen, was Öffnung bewirken kann. Ein erstklassiger Ratgeber.“ – Karim R. Lakhani, Dorothy and Michael Hintze Professor of Business Administration an der Harvard Business School und Mitautor von Competing in the Age of AI

„Dieses Buch zeigt, wie Unternehmen durch Öffnung ihrer Prozesse und ein tiefes Verständnis ihrer Stärken und Schwächen eine Strategie entwickeln können, die in turbulenten Zeiten wie diesen Bestand hat. Sehr lehrreich.“ – Francesco Starace, CEO von Enel

„Open Strategy ist mehr als nur eine inspirierende Idee. Mit diesem Buch erhalten Unternehmensverantwortliche nun endlich die Tools an die Hand, die sie brauchen, um Open Strategy zu einer erfolgskritischen Realität zu machen.“ – Richard Whittington, Professor für strategisches Management an der University of Oxford

„Wenn Sie ein Unternehmen führen, müssen Sie dieses Buch lesen! Herkömmliches Top-down-Denken hilft in unserer komplexen Gegenwart und unsicheren Zukunft nicht mehr weiter. Dies ist das erste Buch zum Thema Strategie, das verstanden zu haben scheint, in welcher Welt wir heute leben.“ – Margaret Heffernan, CEO und Autorin von Unchartered: How to Navigate the Future

„Bislang galt in Unternehmen: Strategie ist Sache der Führung. Nun öffnen sich die Türen zur Vorstandsetage langsam. Open Strategy ist wie zuvor bereits Open Innovation ein echter Game- Changer.“ – Des Dearlove und Stuart Crainer, Thinkers50

Open Strategy

Durch offene Strategiearbeit Disruption erfolgreich managen

von

Kurt Matzler, Christian Stadler, Julia Hautz, Stephan Friedrich von den Eichen, Markus Anschober

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jana Fritz

5Inhaltsübersicht

Vorwort

Einführung: Erfolgreich mit Open Strategy

Kapitel 1: Der klassische Strategieprozess hat ausgedient

Kapitel 2: Sind Sie bereit, sich zu öffnen?

Kapitel 3: Den Open-Strategy-Prozess wirksam gestalten

Kapitel 4: Open Strategy an Ihre Geheimhaltungsanforderungen ­anpassen

Kapitel 5: Das Wissen von Vielen nutzen

Kapitel 6: Einen Blick in die Zukunft werfen

Kapitel 7: „Disrupt yourself before others do!“

Kapitel 8: Überlegene Geschäftsmodelle entwickeln

Kapitel 9: Mit der „Crowd“ die richtigen Strategien auswählen

Kapitel 10: Strategien erfolgreich umsetzen

Epilog

Literaturempfehlungen

Über IMP

Anmerkungen

6In dem aus dem alten China stammenden Handbuch Die Kunst des Krieges rät der Militärstratege Sun Tzu Generälen, ihre Pläne für sich zu behalten, wenn sie ihre Gegner besiegen wollen: „Wenn wir die Planung des Feindes auf­decken und selbst unsichtbar bleiben, können wir unsere Streitkräfte konzentriert halten, während der Feind die seinen teilen muss“, schreibt er. Diesen Rat nehmen sich die meisten Führungskräfte zu Herzen und versuchen mit allen Mitteln, ihre Strategien sowie die ihnen zugrunde liegenden Überlegungen, Marktdaten und Produktinformationen zu schützen.

– Doch was, wenn sie sich irren?

7Vorwort

Von Gary Hamel

Ich erinnere mich, es war ein bitterkalter Wintermorgen des Jahres 1993. Ich war mit dem Flugzeug aus London angereist und lief nun 700 Kilometer südlich des nördlichen Polarkreises über einen Parkplatz. Die Sonne würde erst in zwei Stunden aufgehen.

Einige Wochen zuvor hatte ich einen Anruf von Pekka Ala-Pietilä erhalten, dem schmalen, rotblonden Nokia-Topmanager, der eine wettbewerbsfähige Telekommunikationsstrategie für das Unternehmen entwickeln sollte. Bevor er mich angerufen hatte, wusste ich praktisch nichts über Nokia, aber nun war ich hier, in Espoo, der zweitgrößten Stadt Finnlands, und betrat die spartanische Zentrale des Unternehmens. Begleitet wurde ich von Dr. Jim Scholes, meinem langjährigen Berater-Partner, einem Experten für Systemdenken und Change Management. Bei diesem ersten Treffen waren wir beide überrascht, wie motiviert das junge Nokia-Team war, das uns gegenübersaß. Sie waren entschlossen, so erzählten sie uns, Motorola den Rang als weltweit führendes Mobilfunkunternehmen streitig zu machen.

Damals war Nokia bereits eine ernst zu nehmende Nummer Zwei auf dem Markt. 1992 hatte das Unternehmen 3 Millionen Handys verkauft, Motorola 4 Millionen. In den 1980ern hatte es beim Aufbau des Nordic Mobile Telephone Network mitgewirkt, einem der weltweit ersten Mobilfunksysteme, und 1984 wartete Nokia mit seinem ersten selbstgebauten Mobilfunkgerät auf, einem 4,7 Kilogramm schweren Autotelefon. Trotz dieser frühen Erfolge würde es nicht leicht werden, Motorola zu überholen. 1983 hatte der Konkurrent das erste tragbare Mobiltelefon auf den Markt gebracht. Das mauersteingroße DynaTAc entpuppte sich als unmittelbarer Erfolg bei Geschäftsreisenden und Managern, die sich den unglaublichen Anschaffungspreis von 4.000 US-Dollar leisten konnten. Sechs Jahre später stellte Motorola das MicroTAc vor, das erste Mobiltelefon, das in eine Hemdtasche passte. Mit 3.000 US-Dollar war 8es für die meisten Verbraucher immer noch unbezahlbar, doch sein schlankes Design stärkte Motorolas Position als führender Mobiltelefonhersteller.

Nokia hatte mich unter anderem eingeladen, weil ich einige Jahre zuvor einen Artikel in der Harvard Business Review mit dem Titel „Strategic Intent“ veröffentlicht hatte. Darin plädierte ich dafür, dass sich Unternehmen „Stretch Goals“ setzen sollten, ehrgeizige strategische Ziele, die sich mithilfe von Innovationen erreichen lassen. Als ich nun jedoch diesen todernsten Finnen gegenübersaß, musste ich schlucken. Es mit Motorola aufzunehmen erschien mir weniger wie ein ehrgeiziges Ziel als ein Selbstmordkommando. Ich kannte Motorola gut. Es war eines der bestgeführten Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Und Bob Galvin, der CEO von Motorola, war eine Ikone. Er hatte miterlebt, wie japanische Unternehmen die US-amerikanische Unterhaltungselektronikbranche erobert hatten, und war fest entschlossen, Motorolas Führungsposition gegen alles und jeden zu verteidigen – kamen die Herausforderer nun aus dem In- oder Ausland. Ich hatte also Vorbehalte, doch die kraftstrotzende Entschlossenheit von Pekka und seinen Mitstreitern war ansteckend. Als es Zeit für die Mittagspause war, hatten Jim und ich Nokia bereits unsere Unterstützung zugesagt.

Als Erstes versuchte ich meinen neuen Klienten klar zu machen, dass sie eine völlig neue Strategie brauchen, um Motorola in die Knie zu zwingen. Dazu sollten sie im ersten Schritt ein ambitioniertes Ziel formulieren, das unkonventionelles Denken zuließ. Ich schrieb die Zahl 1.000.000.000 auf ein Flipchart, und erklärte, dass sie sich daran orientieren sollten: 1 Milliarde Mobiltelefone zu verkaufen. Das war viel verlangt, denn zu diesem Zeitpunkt gab es lediglich 35 Millionen Mobilfunkkunden weltweit. Es entstand eine lange Pause, doch niemand erhob Einspruch oder verzog auch nur eine Augenbraue. Sie hatten es verstanden. Sie wussten, dass das Bestreben des Menschen, überall mit jedem kommunizieren zu können, universell war. Natürlich würden eine Milliarde Menschen ein Mobiltelefon haben wollen. Die Frage war vielmehr, ob es Nokia gelingen würde, diese Nachfrage als führender Anbieter zu befriedigen.

Um das zu bewerkstelligen, bräuchte Nokia eine bahnbrechende Strategie, die es dem Unternehmen erlauben würde, den Markt radikal zu vergrößern und den Branchenführer zu überholen. Wie die meisten Unternehmen folgte Nokia bei der Entscheidung, in welche Projekte es investierte, einem disziplinierten 9Prozess. Um eine revolutionäre Strategie zu entwickeln, müsste Nokia diesen jedoch komplett umkrempeln und sich weniger auf Zahlen als auf neues Denken konzentrieren.

Durch unser Entrepreneurship-Studium wussten Jim und ich, dass die Entwicklung einer Game-Changer-Strategie, wie etwa Risikokapitalinvestitionen, ein Zahlenspiel ist. Ein Risikokapitalgeber, der auf der Suche nach dem „next big thing“ ist, analysiert Hunderte von Businessplänen, bevor er in eine Handvoll vielversprechender Start-ups investiert. Game-Changer-Ideen sind selten – sowohl im Silicon Valley als auch in etablierten Unternehmen. Um die eine bahnbrechende Idee zu finden, würde Nokia Hunderte, wenn nicht Tausende verrückte Ideen generieren und sie auf ihre Originalität, Wirksamkeit und Machbarkeit prüfen müssen. Das bedeutete, den Strategieprozess für einen breiten Querschnitt der Belegschaft zu öffnen. Nokia verfügte über ein erstklassiges Führungsteam, doch dieses allein besaß nicht die nötige Kreativität und Vielfalt, um ein umfassendes Portfolio bahnbrechender Ideen zu entwickeln. Wollte Nokia die Zukunft erfinden, bräuchte es viele weitere kluge Köpfe.

In den darauffolgenden Wochen wurden Dutzende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern damit beauftragt, große Mengen an neuen Informationen zusammenzutragen – das Rohmaterial für strategische Innovation. Wir teilten knapp 100 Beschäftigte in vier Teams ein. Das erste Team hatte die Aufgabe, Glaubenssätze der Branche zu identifizieren: Welche Annahmen traf Motorola über Verbraucher, Technologien, Produkte, Preise und Marktgröße, und wie könnte Nokia dieses konventionelle Denken infrage stellen? Das zweite Team sollte Diskontinuitäten erkennen: Welche neuen Entwicklungen in den Bereichen Wirtschaft, Lifestyle, Technologie und Regulierung hatte Motorola noch nicht auf dem Schirm, und wie könnte Nokia diese für seine Zwecke nutzen? Das dritte Team analysierte die Kernfähigkeiten des Unternehmens: Über welche einzigartigen Technologien oder Kompetenzen verfügte Nokia, und welche neuen müsste es entwickeln, um Motorola zu überholen? Die schwierigste Aufgabe fiel dem vierten Team zu: neue Bedürfnisse und Zielgruppen zu identifizieren.

Die Teams machten sich an die Arbeit und wollten sich dabei insbesondere auf die „Walkman-Generation“ konzentrieren. Ein Jahr zuvor hatte Sony 100 Millionen tragbare Musikplayer verkauft – vor allem an junge Leute. Und schon 10bald traf man die Entwickler und Marketingfachleute von Nokia in Clubs in Tokyo und an den Stränden von L.A. an, wo sie das Verhalten und die Vorlieben von Teenagern und Mitzwanzigern studierten, die später einmal ihre Kunden sein würden.

Als die Marktforschungsteams wieder in Espoo waren, dienten ihre Beobachtungen als Futter für zahlreiche Brainstormingrunden. Hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten Gelegenheit, darüber zu brüten. Jede Erkenntnis wurde auf einer Karte festgehalten, und die Beschäftigten sollten die Karten beliebig oft herumschieben, um zu sehen, welche Geschäftsideen ihnen kamen. In diesem Zuge wurden mehr als 2.000 „Baby-Strategien“ entwickelt – junge, unausgereifte Ideen zu der Frage, wie Nokia das Mobilfunkgeschäft neu erfinden könnte.

Nun war es Zeit, die Ideen zusammenzuführen. Dazu luden wir die Nokia-Strategen, von denen es mittlerweile beachtlich viele gab, ein, die riesige Menge an Geschäftschancen, die sie identifiziert hatten, zu sichten. Gab es Cluster von verwandten Ideen, die auf größere „Meta-Strategien“ hindeuteten? Gab es Themen, die der Strategie von Nokia Fokus und Einheitlichkeit verleihen könnten? Erfreulicherweise ließen sich beide Fragen mit Ja beantworten.

Ein Bündel von Ideen konzentrierte sich darauf, das Mobiltelefon mit neuen Funktionen auszustatten. So sollten die Nutzerinnen und Nutzer damit zum Beispiel auch Fotos machen, Zahlungen tätigen, Nachrichten verschicken und Termine verwalten können. Ein zweites Bündel von Ideen verfolgte den Gedanken, das Mobiltelefon zu einem ansprechenden und unverzichtbaren Lifestyle-Produkt zu machen, das sich alle leisten konnten. Dazu gehörten Ideen, wie das Unternehmen die Produktionskosten radikal senken, das Telefon in verschiedenen Farben anbieten, es an die individuellen Vorlieben der Kunden anpassbar machen und vor allem junge Zielgruppen in den Blick nehmen könnte. Mit den Bedürfnissen von Netzwerkbetreibern beschäftigte sich ein drittes Ideen-Cluster. Um den Markt zu erweitern, müsste Nokia die großen Telekommunikationsanbieter mit ins Boot holen. Sie brauchten Komplett­lösungen – Netzwerkgeräte und -Software, Abrechnungssysteme und Finanzierungslösungen –, die es ihnen erlauben würden, die nötige Infrastruktur aufzubauen und neue Services bereitzustellen.

Daneben gab es weitere Themen, doch diese drei – Funktionen über das Telefonieren hinaus integrieren, ein Lifestyle-Produkt entwickeln und Netzwerklösungen 11anbieten – schienen die vielversprechendsten. Sie wurden die tragenden Säulen der Unternehmensstrategie. Innerhalb des folgenden Jahrzehnts sollte diese Strategie Nokia zum Branchenführer machen und Milliarden US-Dollar an Marktwert generieren.

Zu Beginn des Prozesses hatten viele Beteiligte angezweifelt, ob es sinnvoll sei, so viele Personen an der Strategiediskussion zu beteiligen. Und ja: Es kostete Zeit und Mühe, Hunderte von Akteuren dazu zu bringen, wie Game-Changer zu denken. Und da nun viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Strategieprozess eingebunden waren, mussten andere Vorhaben zurückgestellt werden. Einige befürchteten auch, die Teams könnten zu „falschen“ Antworten gelangen: Was, wenn ihre Ideen langweilig oder – schlimmer noch – bloße Träumereien wären? Und dann war da noch die Frage der Geheimhaltung: Wie hält man eine Strategie unter Verschluss, wenn Hunderte Akteure an ihrer Entstehung mitwirken?

Doch den Zweiflern und Skeptikern zum Trotz erwies sich Open Strategy für Nokia als voller Erfolg. Zunächst einmal hatte das Unternehmen eine völlig neuartige Strategie entwickelt. In vielen Unternehmen wird der Planungsprozess von einer kleinen, eingeschworenen Gruppe von Top-Führungskräften dominiert, die nach einigen Jahren alle in denselben Bahnen denken. Das Topmanagement von Nokia wusste dagegen: Wollte das Unternehmen neue Ideen entwickeln, musste es neue Stimmen zulassen. Es war kein Zufall, dass die vier Marktforschungsteams hauptsächlich aus relativ jungen Leuten bestanden, die bereits in anderen Branchen gearbeitet hatten und nicht in der Zentrale angesiedelt waren.

Zweitens hatte der hoch-partizipative Prozess eine Strategie hervorgebracht, die auf dem Boden der Tatsachen beruhte. Bevor die Beschäftigten begannen, Ideen zu entwickeln, schulten wir sie im kreativen Denken und schickten sie nach „draußen“, um Daten zu sammeln. Eine Strategie muss schließlich auf Fakten basieren. Der Trick besteht darin, die Fakten zu finden, die die Wettbewerber noch nicht entdeckt haben oder die für sie zu unbequem sind, als dass sie sie berücksichtigen würden.

Drittens war die neue Strategie glaubwürdig und wurde von allen Beteiligten verstanden. Am Ende des Projekts wussten alle Beschäftigten, wohin das Unternehmen steuerte. Und sie waren entschlossen, das Mobiltelefon zur „Fernbedienung fürs Leben“ zu machen. Wird die Strategie dagegen im stillen Kämmerlein 12entwickelt, stehen die Verantwortlichen am Ende vor einem schier unlösbaren Kommunikationsproblem: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun sich schwer, sich für eine Strategie zu begeistern, die einer Black Box entstammt. Viele fragen sich dann unweigerlich, warum andere, scheinbar bessere Strategien nicht weiterverfolgt wurden. Und selbst wenn eine Strategie glaubwürdig erscheint, können PowerPoint-Folien und Blogbeiträge von einflussreichen Personen die Beschäftigten nicht ausreichend mobilisieren. Denn sie wollen verstehen, was die Strategie ganz konkret für ihre tägliche Arbeit bedeutet. Mit einem offenen Prozess lassen sich diese Stolperfallen vermeiden.

Zu guter Letzt brachte der gemeinschaftliche Prozess eine detaillierte Strategie hervor, die direkt umgesetzt werden konnte. Strategien, die allein vom Führungsteam entworfen werden, mangelt es häufig an Genauigkeit. Sie beantworten eher das „Was“ als das „Warum“. Und weil sie so unkonkret sind, geht von der Strategieformulierung bis zur Strategieumsetzung viel Zeit ins Land. Nokia hat seine Strategie dagegen bottom-up entwickelt. Jede der drei großen strategischen Säulen umfasste Dutzende ausgereifte Ideen, die zügig umgesetzt werden konnten. Als die Strategie schließlich festgezurrt wurde, waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit, sie zu implementieren.

Zehn Jahre später vereinte Nokia mehr als die Hälfte des Wertes der Helsinki Stock Exchange auf sich, und 2005 verkaufte es in einem einzigen Jahr über 1 Milliarde Mobiltelefone. Nokia galt als bestgeführtes Unternehmen der Welt und schien unbezwingbar. Doch Sie, liebe Leserinnen und Leser, wissen, wie die Geschichte ausgeht. Wie in vielen anderen Unternehmen auch erwies sich Nokias Erfolg als ein sich selbst korrigierendes Phänomen.

Für alle, die sich mit Lebenszyklen auskennen, ist diese Entwicklung wenig überraschend. Mit zunehmendem Wachstum und Erfolg schalten die Verantwortlichen häufig von Angriff auf Verteidigung um. Milliardenschwere FuE- und Marketingbudgets treten an die Stelle von Kreativität. Einst neuartige Strategien münden in Ideenlosigkeit, und die Toleranz für abweichende Meinungen schwindet. Einstige Piraten werden zu Aristokraten. Die dreißigjährigen Rebellen, mit denen ich in den frühen 1990ern bei Nokia zusammengearbeitet hatte, waren nun, zwölf Jahre später, gefeierte, wohlhabende Tech-Titanen. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs angelangt sahen sie wenig Notwendigkeit, ihr Erfolgsrezept zu ändern.

13Insofern überrascht es nicht, dass Nokia nie wieder die kollektive Intelligenz seiner motivierten, ambitionierten Belegschaft anzapfte, um seinen zukünftigen Kurs zu bestimmen. Dem Unternehmen war es auf spektakuläre Weise gelungen, Motorola herauszufordern; es scheiterte jedoch daran, sich selbst herauszufordern. Das erledigte dann ein neuer Trupp von Rebellen: Am 9. Januar 2007 stellte Steve Jobs in San Francisco das iPhone vor. Elf Monate später kündigte Google an, sein soeben fertiggestelltes Betriebssystem für Mobilgeräte, Android, an Hersteller auf der ganzen Welt zu lizensieren. Heute laufen 99 Prozent aller Smartphones auf iOS oder Android, und den Großteil dieser Geräte produziert Samsung.

Die Welt ist heute wesentlich volatiler und komplexer als 1993, als ich aus einer Maschine von British Airways in den kalten, dunklen finnischen Winter Finnlands trat. Open Strategy ist überlebenswichtiger denn je, wird aber immer noch zu wenig genutzt, weil sich viele Top-Führungskräfte überschätzen. Sie betrachten sich häufig immer noch als Chefstrategen. Denn wie rechtfertigt man sonst ein Multimillionen-Dollar-Gehalt, wenn man nicht als Strategieprofi mit der mutigen Aufgabe betraut ist, die Zukunft des Unternehmens zu entwerfen? Ist es nicht genau das, was Aktionäre, Journalistinnen und Beschäftigte erwarten? Wer würde es wagen zu widersprechen, wenn ein Unternehmenshäuptling wie A. G. Lafley, der zweimal Chef von Procter & Gamble war, behauptet, „Der CEO ist in der Lage, Chancen zu erkennen, die andere nicht sehen, (…) und schwierige Entscheidungen zu treffen, vor denen andere zurückschrecken“? Und wer würde es als Unsinn abtun, wenn frühere geschäftsführende Partner eines der größten Beratungsunternehmen erklären, dass es einer Handvoll von Top-Führungskräften vorbehalten sei, „über das Schicksal des Unternehmens zu entscheiden (…), während die anderen sich um die operative Umsetzung kümmern“? Doch wir sollten wiedersprechen. Denn Weitsicht und Kreativität sind nicht an Position und Rang gebunden, und jedes Unternehmen, das die Befugnis zur Strategieentwicklung auf eine kleine Gruppe von Topmanagern begrenzt, findet sich schon bald in der Defensive wieder.

Unternehmensverantwortliche wissen häufig nicht, was wirklich vor sich geht, weil sie von buckelnden Untergebenen umringt sind, die die Erfahrung gemacht haben, dass es wenig bringt, Widerspruch zu äußern. Langjährige Entscheiderinnen und Entscheider fühlen sich verpflichtet, überholte Strategien zu verteidigen, und weigern sich anzuerkennen, dass ihr eigenes intellektuelles 14Kapital abnimmt. Darin besteht das Problem eines Top-down-Strategieprozesses: Er koppelt die Anpassungsfähigkeit und den Veränderungswillen des Unternehmens an die Anpassungsfähigkeit und den Veränderungswillen einiger weniger Top-Führungskräfte. Scheitern sie an dieser Aufgabe, was häufig der Fall ist, scheitert auch das Unternehmen.

Damit Open Strategy ihr volles Potenzial entfalten kann, müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, dass einige wenige Personen an der Spitze in der Lage sind, robuste, zukunftsorientierte Strategien zu entwickeln. „Bescheidenheit im Topmanagement“ ist in etwa so widersprüchlich wie die „schottische Küche“ oder „virtuelle Präsenz“. Für Open Strategy ist sie jedoch eine Grundvoraussetzung.

Soviel von meiner Seite. Nun sollten Sie sich in dieses Buch vertiefen, das – so viel sei jetzt schon gesagt – eines der wichtigsten Wirtschaftsbücher dieses Jahrzehnts ist. Auf den folgenden Seiten geben Ihnen Kurt Matzler, Christian Stadler, Julia Hautz, Stephan Friedrich von den Eichen und Markus Anschober einen unverzichtbaren Ratgeber an die Hand, wie Sie in Ihrem Unternehmen robuste, zukunftsorientierte Strategien entwickeln können. Wenn Sie also dem Wandel einen Schritt voraus sein, Ihre Wettbewerber links liegenlassen und alle Erwartungen übertreffen wollen, empfehle ich Ihnen, weiterzulesen.

Silicon Valley, KalifornienDezember 2020

15EinführungErfolgreich mit Open Strategy

Warum gelingt es einigen der weltweit erfolgreichsten Unternehmen, der Disruption zu entgehen und innovative Strategien zu entwickeln und umzusetzen, während weniger erfolgreiche Wettbewerber aufgeben müssen? Werden sie von klügeren Personen geführt? Engagieren sie bessere Berater? Nutzen Sie bessere Modelle zur Geschäftsanalyse? Verfügen Sie über bessere Ressourcen und Kompetenzen? Über bessere Prozesse?

Nichts von alledem.

Diese Unternehmen sind so erfolgreich, weil sie einen neuen Weg gefunden haben, mit Strategie umzugehen. Sie nutzen einen Strategieprozess, der unserer schnelllebigen und volatilen Geschäftswelt Rechnung trägt. Anstatt die Strategieplanung auf ein kleines Managementteam zu begrenzen, beteiligen diese Unternehmen weitere Akteure am Prozess: Frontline-Mitarbeiter, Expertinnen, Lieferanten, Kunden, Entrepreneure – ja sogar Wettbewerber. Sie „öffnen“ ihren Strategieprozess, so wie Unternehmen in der Vergangenheit bereits andere Geschäftsbereiche wie Innovation oder Marketing geöffnet haben. Und sie sind damit außerordentlich erfolgreich.

Als Ashok Vaswani 2012 das britische Einzelhandelsgeschäft von Barclays übernahm, wusste er, dass die Großbank einige Veränderungen vornehmen musste – und zwar schnell. Zeitungen, Plattenfirmen und Telekommunikationsanbieter waren bereits der digitalen Disruption zum Opfer gefallen. Angesichts Dutzender in den Startlöchern stehender Fintech-Start-ups würden die großen Geldhäuser bald ebenfalls in Bedrängnis geraten. Vaswani war für eine in alten Strukturen verhaftete Organisation mit 30.000 Beschäftigten zuständig. Jede neue Strategie, die er und sein Team entwickeln würden, müsste nicht nur eine Antwort auf die bevorstehenden Wettbewerbsbedrohungen bieten, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit neuer Energie ausstatten und sie zu mehr Eigenverantwortung motivieren. Irgendwie musste 16es der Bank gelingen, sich von herkömmlichen Prozessen zu lösen und der Veränderung einen Schritt voraus zu sein.

Bislang hatte Barclays seine Strategien auf herkömmliche Weise formuliert: Das Topmanagement und sein Beraterteam zogen sich zurück und entwickelten hinter verschlossenen Türen einen strategischen Plan. Diesen kommunizierten sie dann an die Beschäftigten und legten Budgets fest, damit die verschiedenen Bereiche die Strategie umsetzen konnten.

Vaswani war überzeugt, dass es anders gehen musste. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Basis von Anfang an am Strategieprozess beteiligt wären, würden sie sich der Strategie stärker verbunden fühlen, sie besser verstehen und eher bereit sein, sie umzusetzen. Die Führungsspitze wiederum wäre in der Lage, differenziertere Strategien zu entwickeln, weil sie die Bedenken und Einwände der Frontline-Beschäftigten kannte, und die Strategien besser zu kommunizieren. „Strategie ist nicht kompliziert“, sagte uns Vaswani in einem Gespräch. „Sie muss lediglich drei Fragen beantworten: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Und wie kommen wir dorthin? Das sind die einzigen relevanten Fragen, und Antworten darauf finden Sie auf allen Ebenen des Unternehmens. Deshalb halte ich es für unklug zu sagen: Nur die Leute an der Spitze sollen sich mit Strategie beschäftigen.“1

Anstatt den Strategieprozess also allein für sich zu beanspruchen, mussten Vaswani und sein Team alle mit einbeziehen. Sie mussten sich öffnen.2 Und das taten sie. Die Großbank richtete mehrere „Councils“ ein, die jeweils 20 bis 25 erfahrene Produktmanagerinnen und manager umfassten sowie Fachleute aus den Funktionsbereichen Marketing, Compliance, Recht und Personalwesen. Ihre Aufgabe bestand darin, den aktuellen Zustand des Unternehmens zu beschreiben und in diese Analyse ihr fundiertes Faktenwissen zu Produkten, Trends und betrieblichen Fähigkeiten einfließen zu lassen. Parallel dazu bildete das Unternehmen Arbeitsgruppen mit mehreren Dutzend Frontline-Beschäftigten, die sich der Frage widmen sollten: „Wie soll Barclays im Jahr 2020 aussehen?“ Die Frage war bewusst offen gehalten, damit die Teilnehmenden nicht nur digitale Themen berücksichtigten, sondern sich ganz breit Gedanken zu den zukünftigen Angeboten und Abläufen des Unternehmens machen konnten.

Die Frontline-Beschäftigten waren am nächsten an den Bankkundinnen und -kunden dran. Sie kannte ihre Bedürfnisse und Sorgen. Und sie wussten, dass sich diese eine schnellere Bearbeitungszeit, eine bessere Verfügbarkeit und mehr Transparenz wünschten. Warum dauerte es so lange, eine Hypothek zu bekommen? Und warum war der Prozess nicht transparenter, sodass man jederzeit wusste, wie gut die Chancen auf einen Kredit standen? Damit sich die Bank in diesen Bereichen besser aufstellen konnte, schlugen die Frontline-Mitarbeiter vor, dass sich Barclays für digitale Plattformen öffnen und die großen Datenmengen, die solche Plattformen generieren, nutzen sollte.

Diese grundlegenden Ideen verknüpften die Councils mit ihrem fundierten operationalen Wissen und entwickelten einen vorläufigen Strategieplan, den sie dem Topmanagement präsentierten. Um den Plan zu verfeinern und zu finalisieren, öffnete Barclays den Prozess weiter und lud im Endeffekt alle Beschäftigten ein, sich zu beteiligen. Dadurch wollten die Verantwortlichen sicherstellen, dass die finale Strategie einfach genug war, um von allen verstanden zu werden. „Eine einfache Strategie, die alle verstehen, ist viel besser als eine komplizierte Strategie, die nur wenige verstehen“, so Vaswani.3

Über einen Zeitraum von zwei Monaten veranstaltete das Unternehmen mehr als siebzig Town-Hall-artige Unternehmensversammlungen in Großbritannien und mietete dazu ganze Kinosäle an, um allen Beschäftigten Platz zu bieten.4 Dadurch, dass die Verantwortlichen den Strategieplan bereits während seiner Entstehung vorstellten, kam es zu lebhaften Diskussionen, in denen die Frontline-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern durchspielen konnten, was die Strategie in der Praxis für Kunden, die ein bestimmtes Produkt kauften, und die Beschäftigten, die dieses verkauften, bedeutete. Da die Führungsspitze bereits Input von den Mitarbeitern der Basis erhalten hatte, war sie in der Lage, deren Sprache zu sprechen. Dies führte dazu, dass die Beschäftigten die Strategie als relevant und glaubwürdig erachteten – und nicht bloß als eine weitere Initiative, die ihnen übergestülpt wird.

Um die Belegschaft weiter einzubeziehen, veranstaltete Barclays einen einwöchigen „Strategy Jam“, bei dem mithilfe eines digitalen Tools von IBM alle 30.000 Beschäftigten einschließlich der Führungsspitze zusammenkamen. In einer moderierten Online-Diskussion wurden mehrere Hauptthemen, die die Arbeitsgruppen identifiziert hatten, besprochen. Am Ende kristallisierte sich für das Topmanagement heraus, welche Ideen es wert waren, weiterverfolgt zu werden, und an welchen noch gearbeitet werden musste. Der Strategy Jam hatte jedoch noch einen weiteren Vorteil: Er steigerte das Bewusstsein für die 18Strategie innerhalb des Unternehmens und veranlasste die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich noch intensiver darüber auszutauschen.

Irgendwann kamen die Teilnehmenden auf Domino’s Pizza zu sprechen und die Frage, welche Bedeutung Schnelligkeit und Transparenz für die Kundschaft haben. Die Barclays-Mitarbeiter wussten, dass der Pizzalieferant durch seinen Pizza-Tracker dem Kunden jederzeit sagen konnte, ob sich die Salami bereits auf der Pizza befand oder die Pizza bereits im Ofen backte. Wenn Domino’s Pizza das konnte, warum war dann Barclays nicht in der Lage, seine Kunden darüber zu informieren, ob die Bank die Immobilie bereits bewertet, schon einen bestimmten Kreditwert bewilligt, das Darlehen finalisiert oder das Geld bereits überwiesen hatte? Diskussionen wie diese erweckten die Strategie zum Leben, was es eine herkömmliche Ansprache oder E-Mail des CEO nicht geschafft hätte.

Einen Monat nach dem Strategy Jam begann die Bank mit der Umsetzung: Die Abteilung für Verbraucherkredite startete eine App, über die Kunden mit wenigen Klicks einen Kredit beantragen konnten. Privatkunden konnten ihre Konten personalisieren und ihre bevorzugten Funktionen auszuwählen, und die Bank als Ganzes richtete eine mobile Banking-Plattform ein, die kurz nach dem Jam live ging. Die Strategie war ein voller Erfolg: Innerhalb kürzester Zeit zählte Barclays mehr als eine Millionen Nutzerinnen und Nutzer, und heute verwenden die App mehr als 9 Millionen Kunden, was sie zu einem der beliebtesten Fintech-Produkte in Großbritannien macht.5 „Wir haben eine 320 Jahre alte Bank ins digitale Zeitalter befördert“, bringt es Vaswani auf den Punkt.

Dank dieses Vorgehens ist Barclays heute relevanter, „jünger“ und erfolgreicher als je zuvor. Etwa 17 Prozent seiner Privatkunden in Großbritannien sind Millennials, und mehr als 70 Prozent sind digital unterwegs. Nach eigenen Angaben verfügt die Bank in dieser Altersgruppe auch über den größten Marktanteil.6 In einem stark umkämpften Markt, der von Fintech-Start-ups umgekrempelt wird, konnte Barclays die Eigenkapitalrentabilität seines Privatkundengeschäfts in Großbritannien von 15 auf 17 Prozent steigern.7 Was Vaswani betrifft: Er wurde dreimal befördert und ist heute Mitglied des Executive Committee der Bank sowie CEO des Bereichs Consumer Banking and Payments. In dieser Funktion ist er für die Strategieumsetzung in den Bereichen Verbraucherkredite, Privatkundengeschäft und Zahlungsdienstleistungen 19in Asien, Großbritannien, Europa und den Vereinigten Staaten verantwortlich.

Anstatt sich der Disruption zu ergeben, hat Barclays den Wandel aktiv begrüßt und sich die Unterstützung und Partizipation der Beschäftigten gesichert. Die Verantwortlichen mussten nicht viel Zeit in die Kommunikation und Umsetzung der Strategie investieren, weil die Umsetzung bereits begonnen hatte, während sie im Rahmen von Workshops und dem Strategy Jam Feinjustierungen an der Strategie vornahmen. Und die Beschäftigten wiederum handelten ganz automatisch im Sinne der Strategie: Sie erhöhten das Tempo und die Transparenz, machten die Strategie zugänglicher und nutzten Kundendaten, um den Service zu verbessern. Eine Führungskraft beschrieb es mit den Worten: „Unter unseren 30.000 Beschäftigten gab es wahrscheinlich niemanden, der nicht wusste, wie [unsere Strategie] aussah, was wir erreichen wollten, und wie wir es erreichen wollten.“8 Indem Barclays sich öffnete, konnte das Unternehmen seine Strategie wesentlich schneller entwickeln und umsetzen, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Auf den ersten Blick scheint die Idee, die strategische Planung aus den Vorstandszimmern herauszuholen und die Beschäftigten einzubinden, sehr logisch und wenig bemerkenswert. „Transparenz“ und „Offenheit“ sind in den letzten Jahren zu Buzzwords geworden, die man in allen möglichen Bereichen findet – von der Forschung und Entwicklung über die Logistik bis hin zu Marketing und Personalwesen. Gleichzeitig zeigt sich, dass der klassische Strategieprozess nicht funktioniert. Unternehmen geben jährlich mehr als 30 Milliarden US-Dollar für die Strategieberatung aus, und doch bleiben Studien zufolge 50 bis 90 Prozent der Strategien erfolglos.9 Wären sie da nicht besser beraten, ihren Strategieprozess offener und partizipativer zu gestalten?

Und doch weigern sich die meisten Unternehmensverantwortlichen, dies zu tun. Aus verschiedenen Gründen: Viele Unternehmenslenker betrachten Strategie als „ihre“ Aufgabe, während die Umsetzung den Führungskräften und Mitarbeitern zufällt – ein Glaube, der nicht selten ihre hohen Gehälter rechtfertigt. Viele machen sich zudem große Sorgen um die Vertraulichkeit: Wie um alles in der Welt kann man den Strategieprozess für Tausende Akteure öffnen, ohne dabei Geschäftsgeheimnisse preiszugeben oder Wettbewerbern Einblick in die eigenen Pläne zu geben? Und zu guter Letzt wissen die meisten Verantwortlichen nicht, wie sie – siehe das Beispiel Barclays – eine Vielzahl 20von Beschäftigten in den Prozess einbeziehen sollen, und haben Angst, dass das Ganze im Chaos endet.

Barclays hat seinen Wettbewerbsvorteil jedoch nicht eingebüßt, indem es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Ebenen in seine strategischen Überlegungen einbezogen hat. Anders als vielen Mitbewerbern ist es der Bank gelungen, der Disruption zu begegnen und erfolgreich in die Zukunft zu starten. Auch wenn die digitale Transformation des Geldhauses oberflächlich betrachtet unvermeidbar schien, mussten die Verantwortlichen für die konkrete Umsetzung doch viele kleine Entscheidungen treffen, sich die Unterstützung der Filialen sichern und das bestehende Geschäft fortsetzen, während sie parallel dazu aggressiv in die digitale Richtung vorstießen. Dabei hätte einiges schiefgehen können. Nur weil der Planungsprozess so sorgfältig konzipiert war, konnte die digitale Strategie reibungslos umgesetzt werden.

Barclays ist bei Weitem nicht das einzige Unternehmen, dass sich für einen Open-Strategy-Ansatz entschieden hat. In den letzten Jahren haben auch das kanadische Bergbauunternehmen Goldcorp und der schwedische Telekommunikationsanbieter Ericsson interne – und externe – Akteure an der Lösung zahlreicher strategischer Fragen beteiligt. Ebenso adidas, Linde, Telefónica, ENEL, der europäische Stahlproduzent voestalpine, der internationale Beschlägehersteller Blum, die RWA Gruppe sowie eher unerwartete Kandidaten wie die US Navy, die US Intelligence Community (Nachrichtengemeinschaft der Vereinigten Staaten) und die NATO.

Doch auch mittelständische Unternehmen haben mit Open Strategy experimentiert, etwa Gallus (ein Geschäftsbereich von Heidelberger Druckmaschinen und einer der weltweit führenden Produzenten von Druckerpressen für Etikettenhersteller), SSM (ein führender Textilmaschinenhersteller), der Hörgerätehersteller WS Audiology, der Glashersteller Vetropack, sowie BPW (Europas größter Hersteller von Achs- und Federungssystemen), und auch kleinere Unternehmen wie der Softwareentwickler Saxonia Systems, der Energieversorger EGT sowie Buffer – ein Start-up, das Softwarelösungen anbietet, mit denen sich Social-Media-Konten effektiver verwalten lassen – haben ihren Strategieprozess geöffnet.

Die Verantwortlichen in diesen und weiteren Unternehmen haben erkannt, dass sie ihr Unternehmen durch einen kollaborativeren Strategieprozess in Richtungen lenken können, die vorher undenkbar gewesen wären. Richtungen, 21die zu mehr Rentabilität geführt haben, wohlgemerkt. Eine Umfrage, die wir unter 201 Topmanagerinnen und -managern durchgeführt haben, ergab: Die Mehrheit der Führungskräfte hatte weniger als ein Drittel ihrer Strategieprozesse geöffnet. Und doch waren diese Initiativen für 50 Prozent der Umsätze und Gewinne des jeweiligen Unternehmens verantwortlich. Unternehmenslenker, die mit Akteuren außerhalb des Topmanagements – sowohl interne als auch externe Stakeholder – gemeinsam an der Strategie arbeiteten, bewerteten Geschäftschancen sorgfältiger, formulierten realistischere Strategien und setzen diese schneller und effektiver um. Manchmal schufen sie sogar ganz neue Geschäftsbereiche, an die sie ohne die Partizipation von Personen außerhalb des Führungsteams gar nicht gedacht hätten. Dies zeigt: Die Zeit für Open Strategy ist gekommen. Stellen Sie sich nur einmal vor, die meisten großen und kleineren Unternehmen würden ihre Strategien so entwickeln, wie es Barclays getan hat. Sie würden klüger und flexibler planen, ihre Strategien erfolgreicher umsetzen und damit bessere Ergebnisse erzielen.

Welches Potenzial Open Strategy hat, war uns anfangs noch nicht wirklich bewusst. Aber wir hatten eine erste Ahnung. Julia Hautz und Kurt Matzler forschten damals zu Open Innovation. Stephan Friedrich von den Eichen und Markus Anschober sammelten mit Ihrem Beratungsunternehmen Innovative Management Partner (IMP) erste Erfahrungen mit dem Einsatz offener Strategie- und Innovationswerkzeuge. Unsere Überlegung: Was wäre, wenn wir Unternehmen nicht nur dabei helfen, neue Produkte zu entwickeln, sondern mit einem offenen Ansatz Strategien formulieren und innovative Geschäftslogiken entwickeln und diese umsetzen?

Also starteten Kurt Matzler und sein Doktorandenteam ein Pilotprojekt, bei dem sie einem mittelständischen Unternehmen durch digitale Technologien dabei halfen, seinen Strategieprozess zu öffnen. Zahlreiche Artikel und Vorträge folgten, und diese weckten das Interesse vieler anderer Unternehmensverantwortlicher.10 IMP begann, Open Strategy als Dienstleistung anzubieten. Dabei gingen wir über digitales Crowdsourcing hinaus und entwickelten spezielle Werkzeuge und dazu passende Workshop-Formate. Seitdem hat IMP viele der oben genannten Unternehmen bei Open Strategy Initiativen begleitet. Mit der Erfahrung aus mehr als 200 erfolgreichen Projekten avancierte IMP zum Vordenker in den Bereichen Disruption, Geschäftsmodellinnovation und Wachstum und wurde für seine Beratungsleistungen mit renommierten Preisen ausgezeichnet.

22Um die Wirksamkeit von Open Strategy zu belegen, begannen wir 2014 mit umfangreichen wissenschaftlichen Studien, die vom österreichischen Wissenschaftsfonds finanziert wurden. Wir nahmen uns die relevante akademische Literatur vor, analysierten die Open-Strategy-Projekte von IMP und arbeiten gemeinsam daran, diese zu optimieren. Zudem führten wir Gespräche mit Hunderten von Klienten und mehreren Beratungsteams, um ihre Erfahrungen mit dem Konzept zu erfragen. Wir wollten herausfinden, was funktionierte und was nicht. Darüber hinaus stellten wir Kontakt zu anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern her und wandten uns an Unternehmen wie IBM, Ericsson, Telefónica, Barclays, Red Hat und die US Navy, die ebenfalls hilfreiche Tools entwickelt hatten, um Daten zu weiteren Open-Strategy-Initiativen zusammenzutragen. Schließlich führten wir zwei Studien durch: In der ersten baten wir mehr als 200 Unternehmensverantwortliche um ihren Input zu Open Strategy; in der zweiten wollten wir von 347 Führungskräften wissen, wie sie zum Thema Offenheit stehen. So haben wir detaillierte Einblicke in verschiedene Open-Strategy-Tools erhalten und erfahren, wie sie funktionieren und wie Unternehmen sie einsetzen und damit beeindruckende Ergebnisse erzielen.11

Wie Sie dieses Buch nutzen

Open Strategy ist das erste Managementbuch, das Unternehmenslenkern und Führungskräften dabei hilft, einen offenen Ansatz in ihrem Strategieprozess zu verfolgen. Anhand von zahlreichen Case Studies von großen und kleinen Pionier-Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen möchten wir zeigen, dass es bei Open Strategy um mehr geht als um die Optimierung des herkömmlichen Strategieprozesses. Open Strategy ist eine neue Philosophie, die eine fundamental neue Art des Denkens beinhaltet und davon ausgeht, dass Unternehmen durch den Einbezug von Akteuren außerhalb der Führungsetage besser in der Lage sind, mit Veränderungen umzugehen und radikal neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Klassische, „geschlossene“ Ansätze eignen sich sicher weiterhin, um das Kerngeschäft zu optimieren. Sie ermöglichen es den Entscheiderinnen und Entscheidern, wichtige Annahmen über Planbarkeit und Stabilität zu treffen, und helfen ihnen, Aktivitäten innerhalb des Unternehmens zu steuern und zu begrenzen. Es sind jedoch genau diese Annahmen, 23die den klassischen Strategieprozess für Führungskräfte, die mehr wollen, als bestehende Geschäftsmodelle schrittweise anzupassen, ungeeignet erscheinen lassen. Ihr Ziel ist es, völlig neuartige Ideen zu entwickeln, die das Überleben des Unternehmens in sich rasant verändernden Märkten sicherstellen.

1987 verwendeten Warren Bennis und Burt Nanus erstmals den Begriff „VUCA“, um zu beschreiben, wie die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges volatiler (volatility), unsicherer (uncertainty), komplexer (complexity) und mehrdeutiger (ambiguity) geworden war.12 Im Vergleich zu heute muss diese Periode Unternehmensverantwortlichen wie ein Zeitalter der Stabilität und Ruhe vorkommen. Im Durchschnitt brauchen Unternehmen heute nur noch halb so lange, bis sie eine Größe erreichen, die sie für die Fortune 500 qualifiziert. Gleichzeitig werden diese Unternehmen mit zunehmendem Wachstum aber auch schwerfälliger. 1994 verzeichneten die 50 größten Unternehmen eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von –4 Prozent. 2014 waren es –10 Prozent.13 Die wenigsten Branchen scheinen heute stabil zu sein. Der stark regulierte Taxisektor wird zum Beispiel von Uber dominiert, das keine eigenen Fahrzeuge mehr besitzt und dessen Fahrerinnen und Fahrer die Stadt, in der sie unterwegs sind, nicht mehr in- und auswendig kennen müssen. Große Automobilhersteller befürchten, dass Google und andere Tech-Giganten sie im Bereich selbstfahrende Autos überholen. Und auch Einzelhändlern wie Walmart ergeht es angesichts von Amazon, das immer mehr Kunden zu Onlinekäufen bewegt, nicht besser.

Die Liste ließe sich fortsetzen, doch es sollte deutlich geworden sein: Das Tempo der Veränderung hat sich in den meisten Branchen drastisch verschärft, und die Grenzen zwischen den Branchen verschwimmen zunehmend.14 In diesem Kontext stehen Unternehmen unter einem enormen Druck, disruptive Trends zu verfolgen, zu handeln, bevor sie von aufstrebenden Playern überholt werden, und neue Geschäftsbereiche zu erschließen. Doch die Zeit drängt, und so verlassen sich viele Entscheiderinnen und Entscheider auf ihre Erfahrung – und erliegen dabei kognitiven Verzerrungen.

Bereits vor über zwanzig Jahren stellte Gary Hamel, einer der einflussreichsten Managementdenker der Welt, fest, dass Unternehmen ihre herkömmlichen, elitären Prozesse der Strategiefindung überdenken müssten. „Sie können entweder zulassen, dass die Zukunft den revolutionären Herausforderungen zum 24Opfer fällt“, schrieb er, „oder Sie revolutionieren die Art und Weise, wir Ihr Unternehmen Strategien entwickelt.“15 Open Strategy ermöglicht Führungsteams Zugang zu externem, vielfältigem Wissen, das ihnen sonst verwehrt bliebe, und führt dem Einzelnen seine Wahrnehmungsfehler vor Augen, die er dann überwinden kann. Open Strategy kann Entscheiderinnen und Entscheider sicher dabei unterstützen, ihr Kerngeschäft zu optimieren. Sein volles Potenzial entfaltet der Ansatz jedoch in Unternehmen, die vor grundlegenden Veränderungen stehen. Open Strategy gibt den Verantwortlichen die Möglichkeit, über den Tellerrand ihrer Branche zu blicken und neue vielversprechende Geschäftschancen zu ergreifen.

Entscheidend ist dabei natürlich, wie Unternehmen ihren Strategieprozess öffnen. Hierbei willkürlich und ohne Plan vorzugehen könnte zu neuen Problemen führen16: So besteht die Gefahr, dass durch die Einbindung einer breiteren Zielgruppe die Strategiefindung langsamer und weniger flexibel vonstattengeht und es zu unberechenbaren Ideen, Diskussionen und Beiträgen kommt.17 Ist die Zahl der Beteiligten groß, kann es passieren, dass diese aufgrund ihrer unterschiedlichen Bezugsrahmen und Sprachen zu unterschiedlichen Interpretationen gelangen.18 Informationen mit einer größeren Gruppe von Menschen zu teilen könnte in Unternehmen die Befürchtung auslösen, Wettbewerbsgeheimnisse preiszugeben, und zu einer Informationsüberflutung bei den Beteiligten führen. Und die unterschiedlichen Erwartungen der Akteure könnten für Spannungen sorgen, die in Unzufriedenheit und Frustration münden.19

Wie Gary Hamel und sein Co-Autor Michele Zanini in ihrem neuen Buch schreiben, sei ein Open-Strategy-Prozess zwar ungeordneter und zeitaufwendiger als ein Top-down-Ansatz; die Vorteile rechtfertigten jedoch den Aufwand.20 Wollen Unternehmen die Vorteile von Open Strategy genießen, müssen sie bestimmte Werkzeuge und Techniken einsetzen, die ihnen dabei helfen, mit der Komplexität der vielen internen und externen Meinungen umzugehen, strategische Einblicke zu gewinnen und die Beschäftigten zu mobilisieren, ohne dabei zu viele Informationen preiszugeben. Unser Buch stellt diese Tools im Detail vor und liefert Unternehmensverantwortlichen, Entrepreneuren, Inhaberinnen kleiner Unternehmen, Board-Mitgliedern, Beraterinnen und Studierenden der Wirtschaftswissenschaften eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, mit der es den Klienten von IMP gelungen ist, Wettbewerber zurückzudrängen, 25der Disruption zu begegnen und die Grundlage für langfristiges Wachstum zu schaffen.

In den einzelnen Kapiteln stellen wir die zentralen Herausforderungen von Open Strategy vor und legen dar, wie Unternehmen diese vermeiden und meistern können. Durch die Struktur des Buches haben wir versucht, das Konzept klar und verständlich zu vermitteln und die Umsetzung so einfach wie möglich zu machen. Kapitel 1 beleuchtet zunächst die Grenzen des traditionellen Strategieprozesses. Kapitel 2 bis 4 helfen Ihnen, sich und Ihr Unternehmen auf die neue Philosophie einzustimmen. In Kapitel 2 können Sie ermitteln, inwieweit Sie persönlich bereit sind, den Strategieprozess zu öffnen. In Kapitel 3 geben wir Ihnen einen Rahmen an die Hand, mit dem Sie ermitteln können, was Sie durch die Öffnung des Strategieprozesses erreichen möchten, wie Sie dabei vorgehen und wen Sie idealerweise einbeziehen. Kapitel 4 legt schließlich dar, wie Sie Open Strategy managen können, ohne sensible Informationen preiszugeben.

Im Anschluss daran stellen wir Ihnen einige Tools für die drei Phasen des Strategieprozesses vor: die Ideengenerierung, die Strategieformulierung und die Strategieumsetzung. In den Kapiteln 5 bis 7 lernen Sie praxiserprobte Tools kennen, mit denen Sie die Grundlage für eine erfolgreiche Strategie schaffen und eine bahnbrechende Vision über den zukünftigen Kurs des Unternehmens oder, wie wir es nennen, eine „strategische Idee“ entwickeln. Diese Tools umfassen zwei rein digitale Instrumente – Strategiewettbewerbe und Strategie-Communitys, mit denen Sie eine große Zahl von Akteuren einbeziehen können, sowie zwei hybride Tools, die digitale und physische Elemente miteinander kombinieren und mit denen Sie konkrete Trends identifizieren, die Ihr Unternehmen betreffen (das IMP Trend Radar), und sich mit einem fiktiven Wettbewerber auseinandersetzen (die IMP Nightmare Competitor Challenge).

Die Tools, die wir in Kapitel 8 und 9 präsentieren, helfen Ihnen, strategische Ideen in detaillierte Pläne zu überführen. Mit dem IMP Business Logic Contest stellen wir Ihnen ein Workshop-Tool vor, das den Prozess der Geschäftsmodellentwicklung spielerisch gestaltet, und zeigen Ihnen, wie Sie mithilfe von Prognosemärkten aus einer Vielzahl von strategischen Schwerpunkten den vielversprechendsten herausfiltern. Kapitel 10 beschäftigt sich mit der Frage, wie Sie mit Strategy Jams und sozialen Mitarbeiternetzwerken Ihre strategischen Pläne umsetzen, Open-Strategy-Initiativen langfristig aufrechterhalten und eine Kultur schaffen, in der Offenheit die Regel ist.

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Abb. 0.1: Auf die Öffnung vorbereiten und die Open-Strategy-Toolbox nutzen

27Open Strategy lässt sich sowohl in allen Phasen des Strategieprozesses anwenden als auch nur in ausgewählten, etwa um die Zukunft zu modellieren oder strategische Ideen zu entwickeln. Unseren Studien zufolge nutzen die untersuchten Unternehmen das Konzept in 25 Prozent aller Fälle in allen Phasen der Strategieentwicklung und -umsetzung. In 70 Prozent der Fälle fand Open Strategy Anwendung, um die Zukunft zu modellieren und strategische Ideen zu generieren, und in 46 Prozent der Fälle wandten Unternehmen das Konzept an, um auf Basis dieser Ideen einen Strategieplan zu entwickeln. In mehr als 55 Prozent verwendeten sie Open Strategy bei der Umsetzung der Strategie.21 Mit Erfolg: In einer Umfrage unter Topmanagerinnen und -managern sagten 69 Prozent, dass Open Strategy zu einer größeren Vielfalt an strategischen Ideen geführt habe, und 73 Prozent gaben an, dass die Öffnung ihres Strategieprozesses die Umsetzung wesentlich vereinfacht habe.22

Kapitel 3 hilft Ihnen bei der Entscheidung, in welcher Phase des Strategieprozesses Sie Open Strategy anwenden wollen und welche Tools Sie abhängig von Ihren Zielen dafür nutzen sollten. Unsere Tools eignen sich für Unternehmen aller Größen – vom zehnköpfigen Start-up bis hin zum multinationalen Konzern mit hunderttausend Beschäftigten. Einige Unternehmen nutzen die Tools in Verbindung mit teuren Technologien, viele andere setzen auf kostengünstigere Plattform- und Offline-Lösungen. Externe Akteure in den Prozess einzubeziehen kann teuer sein, doch das müssen Sie auch nicht: Schon die Partizipation Ihrer Frontline-Mitarbeiter kann viel bewirken, und sie kostet wenig. Exemplarisch hierfür stellen wir ein Unternehmen mit weniger als zweihundert Beschäftigten vor, das Open Strategy auf kostengünstige Weise eingesetzt hat und damit erfolgreich war: Innerhalb von drei Jahren konnte es seinen Umsatz verdreifachen.

Es ist an der Zeit, dass Unternehmen ihren Strategieprozess aus dem stillen Kämmerlein herausholen und kollaborativ gestalten. Allein das Topmanagement und den Vorstand an der Strategieentwicklung zu beteiligen hat funktioniert, als die Märkte noch stabil und vorhersehbar waren. Heute lähmt diese Geheimniskrämerei Unternehmen jedoch und hält sie davon ab, wirksame Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Entscheiderinnen und Entscheider sitzen häufig im Elfenbeinturm, sie schauen nicht über den Tellerrand ihrer Branche und wissen nicht, was Kunden, Mitarbeiterinnen, Lieferanten, technische Experten und andere Stakeholder bewegt. Und selbst wenn es ihnen gelingt, smarte Strategien zu entwickeln, gestaltet sich die Umsetzung schwierig, 28weil die Beschäftigten sich wenig für Pläne verantwortlich fühlen, die sie nicht mitentwickelt haben. Damit wollen wir nicht sagen, dass der Strategieprozess demokratisiert werden sollte. Das sollte er nicht. Auch beim Open-Strategy-Konzept entscheidet am Ende die Unternehmensspitze darüber, welche Strategien verfolgt werden. Dabei kann sie jedoch auf wesentlich mehr Input zurückgreifen als früher, wodurch die Umsetzung inklusiver und feiner abgestuft erfolgt.

Unternehmen, die ihre Kundinnen, Lieferanten, Technologie-Experten, Frontline-Beschäftigten und weitere Akteure einbeziehen, sind für den Wandel in ihrer Branche gut gerüstet. Mit ihrer Unterstützung können sie ihre Optionen ausloten und mithilfe von digitalen Kollaborationstools und physischen Meetings einen Strategieplan entwickeln. Die Zusammenarbeit endet jedoch nicht mit der Strategieentwicklung. Auch in der Umsetzungsphase sollten Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbeziehen und fragen, welche Maßnahmen sie für am wirksamsten halten. Damit sagen wir nicht, dass Sie sich komplett nackt machen sollten. Sie können und sollten überlegen, welche Informationen Sie zurückhalten. Sorgfältig umgesetzt stellt Open Strategy keine Gefahr für Ihr Unternehmen dar, sondern versetzt es vielmehr in die Lage, potenziell disruptive Marktveränderungen zu erkennen und frühzeitig darauf zu reagieren. Durch Open Strategy steigt die Qualität der Strategieinhalte und zugleich sinken die Implementierungshürden, weil die Organisation mit in die Strategiearbeit eingebunden ist. Den Nutzen und vor allem die mobilisierende Wirkung von Open Strategy stellt auch Dr. Peter Nagler (vormals Chief Innovation Officer bei Evonik Industries, heute Chief Innovation Officer A*STAR, Singapore) heraus: „Der Open-Ansatz hat uns die Augen geöffnet. Wir haben Möglichkeiten gesehen, die vorher nicht im Raum und nicht in den Köpfen waren. Zudem verleiht der Ansatz den Konzepten eine ungeheure Kraft. Es ist nicht ein Einzelner, der eine Idee hervorbringt. Es ist das Ergebnis eines heterogenen Teams mit viel Expertise. Und diese Expertise kommt eben nicht nur von innen! Damit lässt sich das nicht so einfach wieder vom Tisch wischen und hilft entscheidend bei Akzeptanz und Umsetzung der Ergebnisse.“

Barclays hat sein bestehendes Geschäft mit Open Strategy modernisiert. Sie können das auch. Wir laden Sie ein, mit den Tools zu experimentieren, die wir Ihnen in diesem Buch vorstellen. Anstatt aus Angst Mauern hochzuziehen, ermutigen wir Sie, Akteure außerhalb Ihrer eigenen Reihen einzubinden. Hören Sie ihnen zu. Sie werden es nicht bereuen.

29Kapitel 1Der klassische Strategieprozess hat ausgedient

General Electric galt viele Jahrzehnte lang als eines der erfolgreichsten und bestgemanagten Unternehmen. Diese Zeiten sind mittlerweile vorbei. Zwischen 2011 und 2019 schrumpfte die Kapitelrendite des Unternehmens von 29,6 Prozent auf 3,3 Prozent. Auch der Aktienkurs rutschte in den Keller: zwischen der globalen Finanzkrise und Ende 2019 um mehr als 40 Prozent. Zum Vergleich: Der S&P-500-Index hat sich im selben Zeitraum mehr als verdreifacht.1

Was war geschehen? Das Unternehmen hatte eine schlechte Übernahmestrategie verfolgt. 2015 kaufte GE den französischen Energieriesen Alstrom für 10,6 Milliarden US-Dollar und tätigte damit die teuerste Akquisition seiner Geschichte. Diese entpuppte sich jedoch als Desaster: GE Power, der Geschäftsbereich, der den Betrieb von Alstrom übernahm, schrumpfte um 45 Prozent.2 Alstrom war jedoch nicht der einzige Fehltritt des Unternehmens: Unter CEO Jeff Immelt ging GE einige Deals ein, die mehr von einem Hype statt vom Respekt für die Gesetze der Wirtschaft getragen schienen. Nach dem 11. September 2001, als Sicherheit in den USA zu einem zentralen Thema wurde, übernahm GE die Sprengstofferkennungsunternehmen First Ion Track und InVision. Obwohl der Konzern den Übernahmepreis nicht offenlegte, zahlte er 900 Millionen US-Dollar für InVision und verbuchte die beiden Zukäufe in seinem Geschäftsbereich GE Homeland Security. 2009 verkaufte GE einen Mehrheitsanteil an dieser Geschäftseinheit für lediglich 760 Millionen US-Dollar.3

GE Capital, das die Finanzdienstleistungen des Konzerns bündelt, beteiligte sich 2004 am Immobilienboom in den USA und übernahm den Subprime-Hypothekenanbieter WMC für 500 Millionen US-Dollar. Während der Hypothekenkrise 2008/2009 machte GE in diesem Geschäftsbereich 1 Milliarde US-Dollar Verluste, entließ einen Großteil seiner Beschäftigten und verkaufte WMC schließlich. 2018 musste GE 1,5 Milliarden US-Dollar für einen möglichen 30Vergleich mit dem US-Justizministerium zum Geschäftsgebaren von WMC zur Seite legen.4 Durch riskante und unrentable Deals wie diese lösten sich die Gewinne von GE Capital in Luft auf. Die Verantwortlichen kürzten die Dividende – was seit den 1930ern nicht mehr vorgekommen war – und baten Warren Buffett um eine Kapitalspritze von 3 Milliarden US-Dollar, um das Unternehmen aus der Krise zu führen. GE Capital hat sich davon nie erholt, und seitdem arbeitet der Konzern an der Auflösung des Geschäftsbereichs.5

Viele (wenn auch nicht alle) Deals von GE entpuppten sich als Flops, doch das war nicht das einzige Problem: Dem Unternehmen gelang es auch nicht, die neu erworbenen Einheiten in sein operatives Geschäft zu integrieren.6 Das hatte zum Teil mit der Fehleinschätzung von Immelt zu tun, der das Unternehmen in Sicherheit wähnte. Eine ausführliche Analyse zum Untergang von GE kommt zu dem Schluss: „Führungskräfte, die mit Immelt zusammenarbeiteten, sagten, er habe zwar die Wichtigkeit der Effizienzsteigerung erkannt, sei aber davon überzeugt gewesen, dass diese eine sich selbsterhaltende Kernkompetenz des Unternehmens darstelle. ‚Jeff ist immer davon ausgegangen, dass dieses Unternehmen phänomenal gut in der operativen Umsetzung sei und das auch in Zukunft sein werde, egal was kommt‘, beschreibt es ein Befragter. ‚Das war eine fatale Fehleinschätzung.‘“7

Auch die übergeordnete Strategie von Immelt, GE in eine digitale Plattform für die Industrie zu verwandeln, brachte Probleme mit sich. Eine ehemalige Führungskraft des Unternehmens berichtete uns, dass der Konzern es versäumt hatte, seine Fertigungskapazitäten zu modernisieren. Die Werke seien zwar mit digitalen Messgeräten ausgestattet gewesen; in den Fabriken gab es aber kein WLAN. „Wir hatten also diese digitalen Kalibratoren – ohne WLAN funktionierten sie aber nicht. Und wir erhielten iPads für die tägliche Arbeit, die aber ebenfalls nicht funktionierten. Wir haben Unmengen an Geld in die Digitalisierung gesteckt (…), dabei jedoch vergessen, wie man ein Industrieunternehmen führt.“8 Am Ende ging GE das Geld aus, sodass Immelts Strategie nicht weiterverfolgt werden konnte, und der Konzern musste sein Kerngeschäft sowie viele seiner digitalen Initiativen veräußern.9

GE ist sicher ein Extrembeispiel, doch tatsächlich tun sich heute viele Unternehmen schwer mit dem Thema Strategie. Laut einer Studie von Bain aus dem Jahr 2018 ist die strategische Planung nach wie vor das beliebteste Managementinstrument.10 Und doch sind die Ergebnisse dieser Planung selten beeindruckend. 31Studien zeigen, dass 50 bis 90 Prozent der von Unternehmensverantwortlichen entwickelten Strategien scheitern.11 Unsere eigene Studie unter 201 Führungskräften aus den USA und Europa kommt zu dem Schluss, dass 52 Prozent aller in den vergangenen drei Jahren unternommenen strategischen Initiativen hinter den Erwartungen zurückblieben. Wie das Beispiel von GE eindrücklich zeigt, führen solche Misserfolge zu einer Wertvernichtung riesigen Ausmaßes.