Operante Verfahren - Hautzinger - E-Book

Operante Verfahren E-Book

Hautzinger

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Beschreibung

Operante Verfahren stellen eine zentrale Intervention des Verhaltensaufbaus und der Verhaltensveränderung dar und gehören damit zu den Standards einer jeden Psychotherapie. Der Band stellt die Grundlagen operanter Verfahren vor, führt in relevante Begrifflichkeiten ein, informiert über diagnostische Methoden zur Analyse operanter Mechanismen und veranschaulicht anhand zahlreicher Beispiele die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten operanter Verfahren. Operante Verfahren dienen dem Aufbau sowie der Steigerung des Auftretens erwünschten und der Reduktion unerwünschten Verhaltens sowie der Stabilisierung des neu gelernten Verhaltens. Sie basieren auf den Prinzipien und Techniken des instrumentellen Lernens, ihre Wirksamkeit ist für alle Altersgruppen gut belegt. Breite Anwendung finden Operante Verfahren in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien, z.B. bei Störungen des Sozialverhaltens, der Ausscheidung und der Impulskontrolle, bei Lernstörungen und Aggression. Auch in Einrichtungen, die sich um kognitiv eingeschränkte Menschen kümmern, spielen Stimuluskontrolle, Verhaltenstrainings und positive Verstärkung eine zentrale therapeutische Rolle. Ebenso wird bei der Behandlung von Substanzabhängigkeiten, Essstörungen, Angststörungen und Depressionen auf Prinzipien operanter Verhaltenssteuerung zurückgriffen. Zudem stellen das Sozial- und Kommunikationsverhalten sowie das Stress- und Selbstmanagement mögliche Einsatzbereiche dar. Der Band skizziert das Vorgehen anhand verschiedener Beispiele und bietet damit eine ideale Wissensbasis für den Einsatz dieser effektiven psychotherapeutischen Methoden.

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Martin Hautzinger

Mike Rinck

Operante Verfahren

Standards der Psychotherapie

Band 14

Operante Verfahren

Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Mike Rinck

Die Reihe wird herausgegeben von:

Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Tania Lincoln, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier

Die Reihe wurde begründet von:

Martin Hautzinger, Kurt Hahlweg, Jürgen Margraf, Winfried Rief

Prof. Dr. Martin Hautzinger, geb. 1950. 1971 – 1976 Studium der Psychologie in Bochum und Berlin. 1976 – 1984 Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Assistent am Institut für Psychologie der Freien Universität Berlin. 1980 Promotion. 1981 – 1983 Gastwissenschaftler an der University of Oregon, Eugene. 1984 – 1990 Wissenschaftlicher Assistent und Hochschuldozent an der Fachgruppe Psychologie der Universität Konstanz. 1987 Habilitation. 1990 – 1996 Professor für Klinische Psychologie an der Johann-Gutenberg-Universität Mainz. 1996 – 2019 Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Seit 2019 Seniorprofessor an der Universität in Tübingen.

Prof. Dr. Mike Rinck, geb. 1960. 1981 – 1986 Studium der Psychologie in Marburg. 1987 – 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Marburg und Gießen. 1990 Promotion. 1991 – 1992 Visiting Scholar at Stanford University. 1992 – 1993 Vertretungsprofessur an der Universität Gießen. 1993 – 2004 Assistent und Oberassistent an der TU Dresden. 1998 Habilitation. 2004 – 2005 Assistant Professor an der Universität Maastricht. 2005 – 2008 Assistant Professor an der Radboud Universität Nijmegen. Seit 2008 Associate Professor an der Radboud Universität Nijmegen. Seit 2012 apl. Professor an der Ruhr-Universität Bochum.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor:innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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www.hogrefe.de

Satz: Sabine Rosenfeldt, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2024

© 2024 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3134-5; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3134-6)

ISBN 978-3-8017-3134-2

https://doi.org/10.1026/03134-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

1  Theoretische Grundlagen

1.1  Vorausgehende diskriminative Stimuli

1.2  Nachfolgende Reize, Konsequenzen, Verstärker

1.3  Verstärkungskontingenzen

1.4  Premack-Prinzip

1.5  Prinzipien für den Aufbau von Verhalten

1.6  Prinzipien zur Reduktion von Verhalten

1.7  Nachweis operanten Lernens

1.8  Geschwindigkeit und Ausmaß des Lernens

1.9  Besonderheiten operanten Lernens

1.10  Initiierung erwünschten Zielverhaltens

1.11  Reduktion von Verhalten

1.12  Neuronale Grundlagen des operanten Lernens

1.13  Bedeutung operanter Verfahren

2  Diagnostik und Indikation

2.1  Indikation

2.2  Verhaltensbeobachtung

2.3  Problem- und Verhaltensanalyse

2.4  Fragebögen und Listen

3  Intervention und Behandlungsmethode

3.1  Primäre Verstärkung

3.2  Sekundäre (generalisierte) Verstärkung

3.3  Token Economy (Münzverstärkungssysteme)

3.3.1  Trockenbetttraining bei Enuresis

3.3.2  Aufbau von Arbeitsverhalten

3.3.3  Gutscheine (Voucher) in der Suchttherapie

3.3.4  Weitere Anwendungsbereiche von Token Economy

3.3.5  Probleme und Kritik

3.4  Stimuluskontrolle

3.4.1  Realitätsorientierungstraining

3.4.2  Ängstlich-zwanghaftes Verhalten

3.5  Bestrafung

3.5.1  Direkte Bestrafung

3.5.2  Indirekte Bestrafung

3.5.3  Response Cost

3.5.4  Time out (Auszeit)

3.5.5  Kombination von Verstärkung und Bestrafung

3.6  Verstärkungspläne

3.7  Verhaltensverträge

3.8  Anwendung in komplexen Therapieprogrammen

3.8.1  Nervöse Gewohnheiten

3.8.2  Bewegungstherapie nach Schlaganfall

3.8.3  Schonverhalten bei Schmerzen

3.8.4  Training sozialer Fertigkeiten

3.8.5  Paartherapie und Kommunikationstraining

3.8.6  Diskriminationstraining

3.8.7  Bio- und Neurofeedback

3.8.8  Kontingenzmanagement

3.8.9  Selbstwertsteigerung

3.8.10  Selbstverstärkung

3.8.11  Elterntraining

3.8.12  Verhaltensaktivierung

3.8.13  Genusstraining

3.8.14  Cognitive Bias Modification

3.9  Kombination mit anderen Verfahren

3.10  Probleme und Schwierigkeiten

4  Empirische Wirksamkeit, Effektivität und Kritik

5  Weiterführende Literatur

6  Literatur

7  Kompetenzziele und Lernkontrollfragen

8  Anhang

Schema zur Selbstbeobachtung

Protokoll zur Verhaltensanalyse

Liste angenehmer, verstärkender Tätigkeiten

Arbeitsblatt: Verhaltensaktivierung

|1|Einführung

„Traditional psychotherapy seems to produce changes localized within the region of the lips, without affecting the hands or feet.“

Schwitzgebel und Kolb (1974, S. 8)

Operante Verfahren basieren auf den Prinzipien und Techniken des operanten bzw. instrumentellen Lernens. Sie bilden seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Grundlage der Verhaltenstherapie. Lindsley und Skinner gründeten und leiteten ab 1953 das „Behavior Research Laboratory“ an der Harvard Medical School, in dem u. a. experimentelle Forschung zur operanten Konditionierung beim Menschen durchgeführt wurde. Lindsley (2001) prägte auch den Begriff „Behavior Therapy“ mit. Operante Lerntheorien und die auf ihnen basierenden Verfahren enthalten nicht nur Techniken zur Veränderung von dysfunktionalem Verhalten, sondern auch Erklärungsmodelle für das Entstehen und die Aufrechterhaltung des Verhaltens.

Die Diskussion um die angemessene Behandlung psychischer Störungen umfasste bezogen auf die operanten Verfahren sowohl positive Erwartungen als auch negative, kritische Zuschreibungen. Positive Erwartungen bezogen sich darauf, dass sich Psychotherapie endlich auf eine experimentelle Methodik stützen konnte und damit sowohl in ihrem Vorgehen als auch in ihren Effekten nach wissenschaftlichen Kriterien überprüfbarer wurde. Kritik bezog sich darauf, dass damit eine mechanistische Reduktion menschlichen Erlebens verbunden wurde, eine Vernachlässigung des Individuums, eine Orientierung am Tiermodell, die der menschlichen Psyche nicht gerecht werden konnten. In Bezug auf die Verhaltenstherapie werden „Dressur“ und „Rattenpsychologie“ als abwertende Begriffe verwendet. Trotz vielfach belegter Wirksamkeit entzündete sich an diesen operanten Verfahren die völlig unangemessene Kritik der Verhaltenstherapie als mechanistische, die eigentlichen Ursachen von Störungen missachtende, kalte Technologie.

Auch viele Verhaltenstherapeut:innen schienen „befreit“, als ab den 1970er Jahren die „kognitive Wende“ (Mahoney, 1974; Hautzinger & Pössel, 2017) eingeläutet wurde, man sich also weg von der Konditionierung bzw. dem operanten Lernen hin zu den vertrauteren und scheinbar anspruchsvolleren Denkvorgängen wenden konnte. Die verstärkte Orientierung auf kognitive Prozesse besagt aber nichts über die Wirksamkeit operanter Verfahren. Die Beschäftigung mit kognitiven Prozessen ist vielmehr als Ergänzung anzusehen, da Menschen natürlich sowohl denken als auch handeln.

|2|Wie im Folgenden dargestellt, ist die Wirksamkeit operanter Verfahren in allen Altersgruppen gut belegt. Dies gilt sowohl für Verhaltensauffälligkeiten, wie z. B. Störungen des Sozialverhaltens, für neurologische Störungen, wie z. B. Intelligenzminderung und Demenz, als auch für psychische Störungen, wie z. B. Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität (Stieglitz et al., 2012), Essstörungen (Munsch & Hilbert, 2015; Tuschen-Caffier & Hilbert, 2016; Svaldi & Tuschen-Caffier, 2018), Angststörungen (Schneider & Margraf, 2017) und Depression (Hautzinger, 2023), ganz zu schweigen von den Erfolgen bei den unterschiedlichsten psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters.

Dennoch spielen die operanten Verfahren für die Psychotherapie eine eher randständige Rolle. Man bekommt den Eindruck, als würden sich die Kliniker:innen für den Einsatz und die Wirksamkeit von operanten Verfahren „schämen“ und diese daher ignorieren. Auch die Forschungsbemühungen scheinen heute weniger aktiv, differenziert und kreativ zu sein als etwa bei der Erforschung von Prozessen der Informationsverarbeitung, der kognitiven Verfahren und der Emotionsregulation.

Tübingen und Nijmegen, August 2023

Martin Hautzinger

und Mike Rinck

|3|1  Theoretische Grundlagen

Die Erforschung des instrumentellen oder operanten Lernens geht auf tierexperimentelle Arbeiten von Edward Thorndike (1874 – 1949) und Burrhus Frederick Skinner (1904 – 1990) zurück. Thorndike begründete die sogenannte „Vergleichende Psychologie“, indem er das Verhalten von Tieren untersuchte. In seinen bekanntesten Experimenten untersuchte er Katzen, die hungrig in einem Käfig eingesperrt waren, während sich außerhalb des Käfigs Futter befand. Die Katzen versuchten natürlich, irgendwie die Käfigtür zu öffnen, um an das Futter zu kommen. Dabei kamen sie auch zufällig an einen Hebel, der die Käfigtür öffnete, und sie konnten das Futter erreichen. Wurden sie dann wieder in den Käfig gesperrt, berührten sie den Hebel immer häufiger und kamen immer schneller an das Futter. Das Verhalten mit positiven Konsequenzen (Hebelberühren) wurde immer häufiger gezeigt, während anderes Verhalten (z. B. an der Tür kratzen) immer seltener wurde. Thorndike leitete daraus das sogenannte Gesetz des Effekts („law of effect“) ab:

Gesetz des Effekts

Ein Verhalten, dessen Konsequenzen für den Organismus befriedigend sind, wird wiederholt, während die Häufigkeit eines Verhaltens bei unangenehmen oder schädlichen Folgen abnimmt.

Es handelt sich hier um „instrumentelles“ oder auch „operantes“ Lernen, d. h. das Individuum lernt, welche Wirkung sein Verhalten hat. Man könnte das operante oder instrumentelle Lernen also auch als Lernen von Konsequenzen bezeichnen. Hat das Verhalten eine erwünschte Wirkung, kann das Individuum lernen, das Verhalten in Zukunft zielgerichtet („operant“) einzusetzen, d. h. als „Instrument“ zur Erreichung seiner Ziele. Führt das Verhalten nicht zu den erwünschten Konsequenzen, oder hat es gar negative Konsequenzen, so wird es in Zukunft seltener gezeigt. Dies geschieht aber keineswegs nur bei zielgerichtetem Verhalten, dass bewusst eingesetzt wird, um etwas zu erreichen. Vielmehr unterliegt auch zufällig gezeigtes Verhalten dem Gesetz des Effekts, und seine Auftretenswahrscheinlichkeit wird sich mit dem Effekt verändern.

Auf Skinner (1963) geht die Spezifizierung zurück, nach der operantes Konditionieren durch Verstärkung des Verhaltens erfolgt und die Formung des Verhaltens („shaping“) durch allmähliche Annäherung geschieht. Lernen ver|4|ändert demnach die Wahrscheinlichkeit, mit der (operantes) Verhalten auftritt. Die operante Lerntheorie ist eine hedonistische Theorie, nach der ein Organismus danach strebt, Angenehmes zu erreichen und Unangenehmes zu vermeiden. Dies ist eine evolutionär äußerst sinnvolle und dem Überleben dienliche Tendenz. Ohne die Fähigkeit, aus den Konsequenzen des eigenen Verhaltens zu lernen, wäre kein Organismus, sei es Mensch oder Tier, in der Lage zu überleben.

Basierend auf dem Streben nach Lust und dem Vermeiden von Unlust (als Trieb, Grundmotiv) sind die Grundelemente des Lernens:

Signal, Stimulus: Ein Hinweis darauf, wann, wo und wie reagiert werden sollte, um positive Konsequenzen zu erlangen oder negative Konsequenzen zu vermeiden.

Reaktion: Das Verhalten, welches motorisch, physiologisch, affektiv oder kognitiv sein kann.

Konsequenz: Die Folgen der Reaktion in Form von positiven oder negativen Bedingungen, welche das Verhalten verstärken oder abschwächen.

Hinzu kommen:

Organismusvariablen: Überdauernde Merkmale des Individuums (biologische Merkmale, Temperament, Persönlichkeitsfaktoren, Wertorientierungen und Einstellungen).

Kontingenzverhältnis: Die Art der Beziehung zwischen Verhalten und Konsequenz.

Aus diesen fünf Komponenten ergibt sich die sogenannte „Verhaltensgleichung“ bzw. das SORKC-Modell mit den wichtigsten Elementen Stimulus (S), Reaktion (R) und Konsequenz (C). Das zusätzlich hinzugefügte Kontingenzverhältnis (K) beschreibt die Art des Zusammenhangs zwischen Verhaltensreaktion (R) und den Konsequenzen (C). Wichtige Faktoren sind hier zum Beispiel, ob die Konsequenz unmittelbar oder verzögert auftritt, ob sie immer oder nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintritt und ob sie regelmäßig oder zufällig erfolgt.

Die Organismusvariable (O) fügten schließlich Kanfer und Philipps (1970) der Verhaltensgleichung zu. Hintergrund der Ergänzung war die Anwendung des Konzeptes bei alkoholabhängigen Patienten. Es macht in der Tat einen Unterschied, ob der Organismus eines körperlich gesunden Menschen oder der eines organisch geschädigten alkoholabhängigen Patienten mit Entzugserscheinungen einem bestimmten Stimulus (Alkoholreiz) ausgesetzt ist. Zwischen Stimulus und Reaktion tritt also die Organismusvariable (O), die die personenspezifische Beziehung zwischen S und R bestimmt, die also in gewisser Weise den Stimulus „filtert“. Bald bezeichnete diese Organismusvariable nicht nur überdauernde somatische Bedingungen, sondern auch überdauernde psychologische Merkmale, die die Verbindung von S und R „modulieren“. Unter das Konzept der Organismusvariablen können daher sowohl eine körperliche |5|Vulnerabilität als auch überdauernde Einstellungen, Persönlichkeit, Temperament, Wertvorstellungen, Ziele, Pläne etc. gefasst werden.

Das SORKC-Modell ist ein vereinfachtes Arbeitsmodell, mit dem die Determinanten des Verhaltens transparent gemacht werden sollen und aus dem sich Ansatzpunkte für therapeutische Interventionen ableiten lassen. Das SORKC-Modell ist der zentrale Bestandteil der funktionalen Verhaltens- bzw. Problemanalyse, die am Anfang jeder Verhaltenstherapie steht (Ubben, 2017).

An jedem der Elemente der S-O-R-K-C-Kette können operante Interventionsverfahren ansetzen, wobei es vor allem die Stimuli, Reize (S) und die Konsequenzen (C) eines Verhaltens bzw. einer Reaktion (R) sind, auf deren Modifikation sich die Interventionen richten.

Operante Verhaltensweisen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht an spezifische Reizsituationen gebunden sind, in diesem Sinne also „freie“ Verhaltensweisen darstellen. Anders als zum Beispiel Reflexe sind sie der willkürlichen Kontrolle unterworfen, wobei dies auch für Gedanken gilt. Sie sind aber in dem Sinne „unfrei“, dass sie nicht zufällig oder vollkommen unabhängig von der Umwelt auftreten: Ob sie gezeigt werden, wird von vorausgehenden Reizen/Stimuli (S) und nachfolgenden Reizen bzw. Konsequenzen (C) beeinflusst. Die meisten Verhaltensweisen des Menschen sind demnach „operants“; sie entsprechen dem Willkürverhalten, wie etwa beim Gehen oder Sprechen.

Weitere Besonderheiten des Lernprozesses sind:

Extinktion (früher auch „Löschung“ genannt): Bei ausbleibender Verstärkung tritt ein Verhalten immer seltener auf.

Spontane Erholung (spontaneous recovery, renewal): Nach längerer Zeit ohne Verstärkung tritt das Verhalten ohne äußerlich erkennbaren Anlass wieder auf.

Generalisierung, die sich sowohl auf Stimuli (S) als auch auf Reaktionen (R) beziehen kann: Nicht nur ganz spezielle Stimuli lösen das Verhalten aus, sondern auch ähnliche Stimuli (Reizgeneralisierung), und es wird nicht immer exakt dasselbe Verhalten gezeigt, sondern auch ähnliches Verhalten (Verhaltensgeneralisierung).

Diskrimination von Stimuli (S): Es wird gelernt, zwischen Stimuli zu unterscheiden, die eine spätere Verstärkung anzeigen und solchen, die das nicht tun. Erstere werden zu Stimuli, nach denen ein Verhalten wahrscheinlicher wird (SD), letztere zu Stimuli, bei denen das Verhalten unwahrscheinlicher wird (SΔ).

Verhalten kann durch Lernen reiz- bzw. situationsabhängig werden. Ein Beispiel wäre eine partnerschaftliche Interaktion, in der das Streitverhalten immer dann ausgelöst wird, wenn am Wochenende mehr Zeit gemeinschaftlich verbracht wird (SD), während bei Anwesenheit der Eltern oder Schwiegereltern (SΔ) ein harmonisches Verhalten gezeigt wird.

|6|1.1  Vorausgehende diskriminative Stimuli

Vorausgehende diskriminative Stimuli können danach unterschieden werden, ob sie ein Verhalten wahrscheinlicher machen (SD) oder unwahrscheinlicher (SΔ). Ein diskriminativer Stimulus SD ruft als Auslöser Verhalten hervor, er signalisiert, dass eine verstärkende Konsequenz folgt und erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten des Verhaltens. Dagegen ruft ein (negativer) diskriminativer Stimulus SΔ ein Verhalten nicht hervor (er hemmt es stattdessen), weil ein solcher Stimulus anzeigt, dass eine verstärkende Konsequenz nicht folgen wird. Ein solcher Stimulus verringert also die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens. Unterschiedlichste Situationen, Gegenstände oder Personen können diskriminative Stimuli darstellen. Für eine alkoholabhängige Person könnten beispielsweise ein Spaziergang entlang des Neckars (Situation), der Anblick eines frischgezapften Getränks (Gegenstand) oder das Zusammentreffen mit einem Bekannten (Person) diskriminative Stimuli sein. Im therapeutischen Kontext ist es bei einer Verhaltensanalyse besonders wichtig, sowohl SD als auch SΔ zu identifizieren: Für die alkoholabhängige Person könnte beispielsweise ein Spaziergang am Bärensee ein SΔ sein, da hier die Wahrscheinlichkeit, Alkohol zu konsumieren, sehr gering ist.

Die emotionale Valenz oder persönliche Relevanz von SD und SΔ sind hierbei unwichtig. Sie werden objektiv, unter strikter Übertragung der operanten Lerntheorie allein am Verhalten festgemacht: Es geht darum, ob ein Stimulus ein bestimmtes Verhalten wahrscheinlich macht oder ob er es unwahrscheinlich macht, ob das Verhalten also ausbleibt.

1.2  Nachfolgende Reize, Konsequenzen, Verstärker

Dem Verhalten nachfolgende Bedingungen werden als Konsequenzen (C) bezeichnet. Sie werden nach ihrer Wirkung auf die Häufigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit des Verhaltens unterschieden. Konsequenzen, die die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöhen, werden mit C+ bezeichnet, sie sind positive Verstärker (positive Konsequenzen). Konsequenzen, die die Häufigkeit bzw. Wahrscheinlichkeit des Verhaltens senken, werden mit C– bezeichnet und als negative Konsequenzen bezeichnet. Man könnte sie auch – analog zu den Verstärkern – als Abschwächer bezeichnen, aber dieser Begriff hat sich leider nie durchgesetzt. Häufig werden auch die umgangssprachlichen Begriffe „Belohnung“ und „Bestrafung“ verwendet; diese sind aber irreführend und werden von Lerntheoretiker:innen strikt abgelehnt. Zum einen beziehen sich beide Begriffe auf die Individuen, welche das Verhalten zeigen: |7|Man spricht davon, dass Menschen belohnt oder bestraft werden. In der Lerntheorie geht es hingegen nur um das Verhalten selbst, und dieses wird verstärkt oder abgeschwächt. Zum anderen implizieren die Begriffe „Belohnung“ und „Bestrafung“ eine positive versus negative Wertigkeit (Valenz): Per definitionem ist Belohnung angenehm und Bestrafung unangenehm. Dies ist häufig, aber keineswegs immer und nicht notwendigerweise verbunden mit Verstärkung und Abschwächung von Verhalten. So kann beispielsweise eine Konsequenz wie das Ausgeschimpftwerden, das gemeinhin als unangenehm und bestrafend empfunden wird, dennoch verhaltensverstärkend wirken, weil ggfs. die mit dem Ausgeschimpftwerden verbundene Aufmerksamkeitszuwendung positiv erlebt wird. In der Folge steigt das problematische Verhalten an. So könnte es beispielsweise passieren, dass eine Schülerin, die den Unterricht stört, dies in Zukunft nicht seltener, sondern sogar noch häufiger tut, wenn die Lehrerin sie dafür rügt.

Wegen der nicht hundertprozentigen Übereinstimmung von Valenz und Effekt der Konsequenzen geht es in der Lerntheorie ausschließlich um den Effekt, und die missverständlichen Begriffe „Belohnung“ und „Bestrafung“ werden vermieden. Jede Konsequenz, unabhängig von ihrer intendierten Valenz, die bewirkt, dass ein Verhalten häufiger wird, ist verstärkend. Analog ist jede Konsequenz, unabhängig von ihrer intendierten Valenz, die bewirkt, dass ein Verhalten seltener wird, abschwächend.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Effekt von Konsequenzen nicht unveränderlich ist: Dieselbe Konsequenz kann als Verstärker wirken oder auch nicht, abhängig von inter- und intraindividuellen Unterschieden (der Faktor O im SORKC-Modell). Dies hängt vor allem von der überdauernden und der aktuellen Attraktivität der Verstärker ab. So wurden beispielsweise schon die von Skinner als Versuchstiere verwendeten Tauben hungrig gehalten, damit Futter als Verstärker verwendet werden konnte. Skinner wusste sehr gut (oder lernte es im Laufe seiner zahlreichen Experimente), dass Futter für satte Tauben keinen verstärkenden Effekt auf das Verhalten hatte.

Und schließlich gibt es auch Konsequenzen, die keinen Einfluss auf das Verhalten haben; sie werden als neutrale Reize bzw. Konsequenzen (C0) bezeichnet. Dies sollte man nicht mit der Situation verwechseln, in der das Verhalten keine Konsequenzen (vor allem nicht die erwarteten Konsequenzen) hat. In diesem Fall spricht man – wenn auch nicht vollkommen korrekt – von Löschung. Diese hat sehr wohl einen Effekt auf das Verhalten, nämlich in der Regel einen abschwächenden Effekt. Wir werden später in diesem Kapitel darauf zurückkommen.

Welche Konsequenzen sind nun geeignet, unser Verhalten zu beeinflussen? Vor allem, welche Konsequenzen führen dazu, dass Verhalten verstärkt und in Zukunft häufiger gezeigt wird? Hier lassen sich verschiedene Arten von Verstärkern unterscheiden: