Ordnungswidrigkeitenrecht für Polizei, Ordnungsbehörden und Verwaltung - Manfred Pfaff - E-Book

Ordnungswidrigkeitenrecht für Polizei, Ordnungsbehörden und Verwaltung E-Book

Manfred Pfaff

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Beschreibung

Komprimiert und auf die wesentlichen Aspekte ausgerichtet, behandelt dieses Lehrbuch das Ordnungswidrigkeitenrecht, wie es in den Studiengängen für den Polizeivollzugsdienst und für den Verwaltungsdienst gelehrt wird. Bei dem Aufbau und den Inhalten des Buches orientiert sich der Autor dabei am Curriculum der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Neben einer allgemeinen Einführung mit Hintergründen zur Entstehung des Ordnungswidrigkeitenrechts in Deutschland erläutert er zu Beginn die allgemeinen Vorschriften des OWiG. An zahlreichen Beispielen beschreibt er anschließend das Bußgeldverfahren und stellt die Anwendbarkeit insbesondere einiger Vorschriften aus der StPO für das Ermittlungsverfahren dar. Abgerundet wird das Werk mit Ausführungen zur Vollstreckung von Bußgeldbescheiden und der Möglichkeit zur Einlegung von Rechtsmitteln. Damit erleichtert dieses Buch den Studierenden die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts und ist durch Prüfungsschemata, Beispielfälle und einem umfangreichen Fragenkatalog eine wertvolle Hilfe zur Klausurvorbereitung. Im Berufsalltag ist es darüber hinaus insbesondere durch die enthaltenen Musterschriftsätze ein nützlicher Ratgeber.

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SCHRIFTENREIHE

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Ordnungswidrigkeitenrecht

für Polizei, Ordnungsbehördenund Verwaltung

von Dr. Manfred Pfaff

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

E-Book

1. Auflage 2021

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2021

ISBN 978-3-8011-0907-3 (EPUB)

Titel Nr. 102104

Buch (Print)

1. Auflage 2021

© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2021

Alle Rechte vorbehalten

Satz: VDP GMBH Buchvertrieb, Hilden

Druck und Bindung: Print Media Group GmbH & Co. KG, Hamm

Printed in Germany

ISBN 978-3-8011-0893-9

Alle Rechte vorbehalten

Unbefugte Nutzungen, wie Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Satz und E-Book: VDP GMBH Buchvertrieb, Hilden

E-Mail: [email protected]

www.VDPolizei.de

Vorwort

Als ich Student war, habe ich es immer als sehr belastend empfunden, zu einer Vorlesung, zu welcher es kein Skript gab, neben den eigenen Mitschriften auch noch mehr oder weniger umfangreiche Literatur besorgen und durcharbeiten zu müssen, um mich einigermaßen gründlich auf die entsprechende Prüfung vorzubereiten.

Ziel des vorliegenden Kurzlehrbuches ist es, dieses mühsame und vielleicht auch kostenintensive Prüfungsvorbereitungsverfahren auf ein Minimum für das Fach „Ordnungswidrigkeitenrecht“ zu begrenzen und vorlesungsbegleitend den vermittelten Stoff nachlesen zu können.

Der Aufbau orientiert sich dabei an den Vorgaben des Modulkatalogs für das Fach „Ordnungswidrigkeitenrecht“ an den Abteilungen der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Durch ausgewählte Fallbeispiele (zum Teil mit Lösungsvorschlägen im Gutachtenstil), Prüfungsschemata und Musterschreiben soll eine Effizienzsteigerung bei der Prüfungsvorbereitung erreicht werden. Abgerundet wird das Buch durch einen umfangreichen Fragenkatalog zur Vorbereitung auf die Klausur oder auch auf ein Fachgespräch.

Für den späteren Dienst als Sachbearbeiterin bzw. als Sachbearbeiter sowohl im Polizeivollzugsdienst wie auch bei der Bearbeitung von Bußgeldverfahren im Bereich der kommunalen und staatlichen Verwaltungsbehörden will dieses Buch – aufgrund seiner praxisorientierten Gestaltung – hilfreicher Begleiter sein.

Lage, im Dezember 2020

Dr. Manfred Pfaff

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

1Allgemeine Grundlagen

1.1Abgrenzung zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

1.2Verfassungsrechtliche Grundlagen des OWi-Rechts

1.3Begriff der Ordnungswidrigkeit

1.3.1 Voraussetzungen zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten

1.3.2 Aussagekraft bzw. Regelungsinhalt des § 1 Abs. 2 OWiG

1.3.3 Anwendungsbereiche des § 1 Abs. 2 OWiG

1.3.4 Verbindungen zum allgemeinen Verwaltungsrecht

1.4Internationales Ordnungswidrigkeitenrecht

2Wichtige Rechtsfiguren aus dem allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrecht

2.1§ 2 Sachliche Geltung

2.2§ 3 Keine Ahndung ohne Gesetz

2.3§ 4 Zeitliche Geltung

2.4§ 5 Räumliche Geltung, § 7 Ort der Handlung

2.5§ 6 Zeit der Handlung

2.6§ 8 Begehen durch Unterlassen

2.7§ 9 Handeln für einen anderen

2.8§ 10 Vorsatz und Fahrlässigkeit

2.9§ 11 Irrtum

2.10§ 12 Verantwortlichkeit

2.11§ 13 Versuch

2.12§ 14 Beteiligung

2.13§ 15 Notwehr

2.14§ 16 Rechtfertigender Notstand

2.15§ 19 Tateinheit

2.16§ 20 Tatmehrheit

3Rechtsfolgen der Tat

3.1Hauptfolgen: Geldbuße/Verwarnung

3.2Nebenfolgen

3.2.1 Die Einziehung

3.2.2 Die Unbrauchbarmachung

3.2.3 Einziehung des Wertes von Taterträgen (Verfall)

3.2.4 Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen

3.2.5 Nebenfolgen aus anderen Verwaltungsrechtsquellen

3.2.6 Anordnung der Nebenfolgen

3.2.7 Die Anfechtung der Nebenfolgen

4Verjährungsregelungen

4.1Einleitung

4.2Verfolgungsverjährung

4.2.1 Verjährungsfrist

4.2.2 Ruhen der Verfolgungsverjährung – § 32 OWiG

4.2.3 Unterbrechen der Verfolgungsverjährung – § 33 OWiG

4.3Vollstreckungsverjährung

4.3.1 Verjährungsfrist

4.3.2 Ruhen der Vollstreckungsverjährung

5Zuständige Verwaltungsbehörde für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständige Verwaltungsbehörde

6Opportunitäts- und Legalitätsprinzip

7Das Bußgeldverfahren

7.1Die Bedeutung der Strafprozessordnung (StPO) und anderer allgemeiner Gesetze und Regelungen (wie z.B. „Richtlinien über das Straf- und Bußgeldverfahren“) für das OWi-Verfahren

7.2Das Vorverfahren einschließlich Verwarnung

7.2.1 Allgemeine Grundsätze im Vorverfahren

7.2.2 Der Betroffene (und sein Verteidiger) im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde Der Betroffene im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde

7.2.3 Sachverhaltsaufklärung durch die Verwaltungsbehörde

7.2.4 Zwangsmaßnahmen im Bußgeldverfahren

7.2.5 Aufgaben der Polizei im Bußgeldverfahren

7.2.6 Einstellung des Verfahrens

7.2.7 Abschluss der Ermittlungen

8Der Bußgeldbescheid

9Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen Vollstreckung von Bußgeldentscheidungen

10Rechtsbehelf und Rechtsmittel gegen Bußgeldentscheidungen

Anhang

I.Prüfungsschemata für Ordnungswidrigkeiten

Prüfungsschema „Vorsätzliches Begehungsdelikt“

Prüfungsschema „Versuchtes vorsätzliches Begehungsdelikt“

Prüfungsschema „Fahrlässiges Begehungsdelikt“

Prüfungsschema „Vorsätzliches/fahrlässiges unechtes Unterlassungsdelikt“

Prüfungsschema „Echtes Unterlassungsdelikt“

Teil-Prüfungsschema für den Prüfungspunkt „Rechtfertigender Notstand“

Prüfungsaufbau „Strafprozessuale Maßnahmen“

II.Musterschriftsätze

1. Beispiel Verfügungsblatt einer Bußgeldakte

2. Muster einer Anhörung nach § 55 OWiG

3. Abgabe an StA nach § 41 OWiG beim Zusammentreffen von Straftat und OWi

4. Muster für ein Einstellungsschreiben in OWi-Verfahren

5. Muster einer schriftlichen Verwarnung ohne Verwarnungsgeld

6. Schriftliche Verwarnung mit Verwarnungsgeld/Anhörungsbogen

7. „Abschlussvermerk nach § 61 OWiG“

8. Muster „Protokoll einer Zeugenvernehmung“

9. Muster Bußgeldbescheid

10. Muster Verwerfungsbescheid bei unzulässigem Einspruch

11. Übersendung der Bußgeldakte an das AG über die StA nach Einspruch zur dortigen Entscheidung

III.Fragenkatalog Ordnungswidrigkeitenrecht („FAQ“)

Abkürzungsverzeichnis

a.a.O.

am angegebenen Ort

AktG

Aktiengesetz

Art.

Artikel

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BImSchG

Bundes-Immissionsschutzgesetz

BImSchV

Bundes-Immissionsschutzverordnung

EGStGB

Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch

Einl.

Einleitung

EU

Europäische Union

G

Gesetz

GewO

Gewerbeordnung

IRG

Internationales Rechtshilfegesetz

i.S.

im Sinne

i.V.m.

in Verbindung mit

JGG

Jugendgerichtsgesetz

KrWG

Kreislaufwirtschaftsgesetz

LImSchG

Landes-Immissionsschutzgesetz

LZA

Lichtzeichenanlage (Ampel)

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

OWiG

Ordnungswidrigkeitengesetz

OWi-Recht

Ordnungswidrigkeitenrecht

Rdnr.

Randnummer

SG

Soldatengesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

StVG

Straßenverkehrsgesetz

StVO

Straßenverkehrsordnung

VerwR

Verwaltungsrecht

VO

Verordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

VwVG NRW

Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW

WHG

Wasserhaushaltsgesetz

Literaturverzeichnis

Cramer, P., Grundbegriffe des Rechts der Ordnungswidrigkeiten, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1971

Gehrmann, L., „Das Gewerbearchiv“ 1981, Nr. 7, Gildebuchverlag GmbH, Alfeld 1981

Göhler, E., Ordnungswidrigkeitengesetz, 14. Aufl., Verlag C. H. Beck, München 2006

Karpen, U., „Rechtssetzungslehre“, in: Juristische Schulung (JuS) 2016, S. 579, Verlag C. H. Beck, München 2016

Kleinknecht, Th./Meyer-Goßner, L., Strafprozeßordnung, Verlag C. H. Beck, München 1997

Köbler, G., Juristisches Wörterbuch, 4. Aufl., Verlag Vahlen, München 1986

Rebmann/Roth/Herrmann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Verlag W. Kohlhammer, Köln 1992

Rosenkötter, G., Das Recht der Ordnungswidrigkeiten, Boorberg Verlag, Stuttgart 1991

Schwacke, P., Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl., Deutscher Gemeindeverlag – Verlag W. Kohlhammer, Köln 1988

Theisen, R.-D., Ordnungswidrigkeitenrecht – Lehrbuch mit praktischen Übungen und Lösungen, Verlag Bernhardt/Schünemann, Witten 1995

Wieser, R., Praxis des Bußgeldverfahrens, Rehm Verlag, Heidelberg 2019

Wieser/Haniel, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten – OWiG, Rehm Verlag, Heidelberg, Stand 2020

1Allgemeine Grundlagen

Das Ordnungswidrigkeitenrecht ist Teil des öffentlichen Rechts. Im Gegensatz zum Zivilrecht – dem „aushandelbaren Recht“ – ist das öffentliche Recht durch eine Über- und Unterordnung zwischen Staat und Bürger gekennzeichnet (Subordinationsprinzip).

Die Rechtswissenschaften nehmen – jedoch nur im Rahmen der Ausbildung von Juristinnen und Juristen – eine Dreiteilung unseres Rechts vor: Das Strafrecht bildet einen eigenen Zweig. Diesem wird dann das OWi-Recht – basierend auf seiner historischen Entwicklung (dazu unten) – zugeordnet.

Aber aufgrund der o.g. Definition für die Bereiche Zivilrecht und öffentliches Recht möchte ich hier bei der geschilderten Zweiteilung unserer Rechtsmaterie bleiben.

Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Verstöße gegen Rechtsquellen, bei denen der Gesetzgeber eine Sanktion für nötig erachtete, als Straftaten mit Strafen geahndet. Das StGB und andere bis etwa um 1950 erlassene Strafvorschriften (z.B. in der GewO) unterschieden einerseits Verbrechen und Vergehen, andererseits die Übertretungen. Alle diese Verstöße waren jedoch Straftaten und nach der StPO zu verfolgen. Die durch unsere Gesellschaft geprägte Form des Miteinanders forderte die Schaffung zahlloser neuer Ordnungsregeln (z.B. auf dem Gebiet des Umwelt- und Verkehrsrechts). Das führte zu einem erheblichen Anstieg der Bagatellverstöße. Schon früh hatte man erkannt, dass zwischen ethisch verwerflichen und solchen Zuwiderhandlungen unterschieden werden muss, die zwar eine staatliche Ahndung, aber als weniger sozialschädlich keine entehrende Strafe erfordern. Eine allgemeingültige Definition der bloßen Ordnungswidrigkeit und ihre theoretische Abgrenzung von der kriminellen Straftat gelang jedoch bis heute nicht und ist wohl auch nicht möglich, da die Grenze zwischen kriminellem Unrecht und bloßen Ordnungsverstößen fließend ist und – je nach den herrschenden politischen und weltanschaulichen Auffassungen – verschieden gezogen werden kann. Die Entscheidung darüber, was Straftat und was Ordnungswidrigkeit ist, trifft deshalb der Gesetzgeber, indem er jeweils bestimmt, ob ein Gesetzesverstoß mit Strafe zu ahnden (Straftat) oder ob er nur ordnungswidrig ist.

Die Erkenntnis, dass Straftaten im heutigen Sinne und bloße Ordnungs- sowie Bagatelldelikte unterschiedliche Folgen für den Bürger haben müssen, fand ihren ersten gesetzlichen Niederschlag im WirtschaftsstrafG von 1949, das bei Verstößen gegen die Bewirtschaftungsbestimmungen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten unterschied und für letztere von den Verwaltungsbehörden festzusetzende Geldbußen androhte. Das OWiG von 1952 schuf dann allgemein die Möglichkeit, Bagatelldelikte als Ordnungswidrigkeiten in einem einfachen und praktischen „Verwaltungsverfahren“ zu ahnden.

Das OWiG von 1968 näherte das Bußgeldverfahren – unter teilweiser Verlagerung der bis dahin den Verwaltungsbehörden allein zustehenden Befugnisse auch auf die Strafverfolgungsbehörden – dem Strafverfahren an.

Die Forderung nach einer weiteren Entkriminalisierung des Strafrechts hat zwischen 1969 und 1974 mit den Strafrechtsreformgesetzen und dem EGStGB von 1974 mehrfach Berücksichtigung gefunden. So hat der Gesetzgeber den Abschnitt „Übertretungen“ aus dem StGB gestrichen, der nach der Umwandlung der Verkehrsübertretungen in nichtkriminelle Ordnungswidrigkeiten den bedeutendsten Teil des noch verbliebenen Bagatellstrafrechts darstellte. Die wichtigsten Übertretungen des StGB sind in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt worden. So findet man jetzt z.B. die falsche Namensangabe im § 111 OWiG (früher § 360 Nr. 8 StGB) wieder.1

Durch das Gesetz zur Änderung des OWiG von 1987 sollte in der Hauptsache der steigenden Zahl der gerichtlichen Bußgeldverfahren entgegengewirkt werden. Von daher wurden vor allem das Verwarnungsverfahren erweitert (u.a. Erhöhung der Maximalgrenze für Verwarnungsgelder von 50,– DM auf 75,– DM; heute2 zwischen 5,– € und 55,– €), die Zuständigkeiten der Verwaltungsbehörden ausgebaut und das Gerichtsverfahren gestrafft.3

Das OWiG ist (bis auf seinen Dritten Teil) zunächst seinem Wesen nach ein „Rahmengesetz“. Es enthält allgemeine Vorschriften, die für alle Ordnungswidrigkeiten gelten – vergleichbar mit dem Allgemeinen Teil des StGB –, wie über die Grundlagen (Voraussetzungen) der Ahndung (vgl. §§ 8 ff.), Versuch und Beteiligung (vgl. §§ 13 ff.), Höhe und Bemessung der Geldbuße (vgl. § 17), Nebenfolgen einer Ordnungswidrigkeit (vgl. §§ 22 ff.), Verjährung (vgl. §§ 31 ff.) sowie Verfahrensvorschriften – vergleichbar der StPO –, z.B. über Zuständigkeiten (vgl. §§ 35 ff.), Form und Inhalt des Bußgeldbescheides (vgl. §§ 65, 66), den Einspruch und das gerichtliche Verfahren (vgl. §§ 67 ff.) sowie die Vollstreckung (vgl. §§ 89 ff.).

In seinem Dritten Teil nennt das OWiG selbst einige Bußgeldtatbestände, die als Ersatz für die fortgefallenen Übertretungen aus dem StGB ins OWiG übernommen wurden und/oder anderswo, z.B. in Gesetzen des besonderen Verwaltungsrechts, nicht sinnvoll unterzubringen waren. Das sind: Verstöße gegen staatliche Anordnungen (§§ 111 ff.) – wie falsche Namensangabe, unerlaubte Ansammlung; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung (§§ 116 ff.) – wie Belästigung der Allgemeinheit, Halten gefährlicher Tiere, Vollrausch; Mißbrauch staatlicher oder staatlich geschützter Zeichen (§§ 124 ff.) – wie Wappen, Dienstflaggen, Berufstrachten und -abzeichen; Herstellen von Fälscherwerkzeug und papiergeldähnlichen Drucksachen; Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben (§ 130).

Im Übrigen finden sich Bußgeldtatbestände in sicherlich weit mehr als 5.000 Bundes- und Landesgesetzen und -verordnungen, Gemeindeordnungen und -satzungen, deren Bußgeldvorschriften zur Sicherung eines geordneten Miteinanders unserer Gesellschaft Störern dieser Ordnung zum Teil empfindliche Geldbußen androhen.4

1.1Abgrenzung zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Beispiel: Der Pkw-Fahrer P missachtet fahrlässig das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage – LZA – (Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO i.V.m. § 24 StVG) und fährt dabei den in diesem Augenblick die Fahrbahn überquerenden Fußgänger F an, der daraufhin mit Hautabschürfungen und Prellungen ins Krankenhaus eingeliefert wird (Straftat gemäß § 229 StGB).

Dieses Fallbeispiel wirft folgende Frage auf: Warum ist das Missachten des Rotlichts einer LZA eine Ordnungswidrigkeit und die dadurch (fahrlässig) herbeigeführte Körperverletzung des F eine Straftat?

Zunächst zu den Definitionen Straftat und Ordnungswidrigkeit:

„Straftat (Delikt) ist das durch ein Gesetz mit Strafe als Rechtsfolge bedrohte menschliche Verhalten.“ Die Straftat erfordert allgemein ein Verhalten – einen Tatbestand im eigentlichen Sinne –, eine Rechtswidrigkeit und eine Schuld. Innerhalb der Straftat können generell verschiedene Arten unterschieden werden, z.B. Begehungs- und Unterlassungsdelikt, Erfolgs- und Tätigkeitsdelikt, Verletzungs- und Gefährdungsdelikt, Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt, versuchtes und vollendetes Delikt, Sonderdelikt, eigenhändiges Delikt sowie Vergehen und Verbrechen. Die besonderen Straftaten werden nach den geschützten Rechtsgütern geordnet (z.B. Staatsschutzdelikte, Sexualdelikte, Vermögensdelikte u.a.). Die sog. privilegierte Straftat ist ein mit einer milderen, die sog. qualifizierte Straftat ein mit einer höheren Strafe bedrohter Sonderfall einer Straftat.5

Die Ordnungswidrigkeit (§ 1 Abs. 1 OWiG) ist eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt. Sie ist „Verwaltungsunrecht“, keine Straftat! Wann eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, ist den jeweiligen Ordnungswidrigkeitennormen der Verwaltungsgesetze zu entnehmen, z.B. § 69 KrWG „Bußgeldvorschriften“ oder auch dem Dritten Teil des OWiG „Einzelne Ordnungswidrigkeiten“.

Die Rechtsfolge einer Ordnungswidrigkeit ist die Geldbuße – soweit andere Gesetze nichts anderes bestimmen – in einer Höhe zwischen 5,– € und 1.000,– € (vgl. § 17 Abs. 1 OWiG), als Nebenfolge kann z.B. eine Einziehung (z.B. von Gegenständen, mit denen die Ordnungswidrigkeit begangen wurde – vgl. § 22 OWiG) angeordnet werden. Für die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit ist i.d.R. die jeweilige Verwaltungsbehörde – Ordnungsbzw. Sonderordnungsbehörde (§§ 35 ff.) sowie im Rahmen der subsidiären Eilzuständigkeit die Polizei zuständig (§ 53 OWiG).

Soweit zur eigentlichen Definition von Straftat und Ordnungswidrigkeit. Eine Unterscheidung ist demnach ausschließlich formal zu treffen; wenn als Sanktion für eine Tat „Strafe“ angedroht wird, liegt ein „Straftatbestand“ vor; ist eine „Geldbuße“ vorgesehen, handelt es sich um den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit.

Die Einstufung eines Tatbestandsmerkmals als Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit ist ausschließlich Sache des Gesetzgebers.6 Die für die Ahndung zuständigen Stellen haben sich daher zwingend an die abstrakte Tatbestandsbewertung des jeweiligen Gesetzes zu halten. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal liegt demnach in den Folgen der Ahndung durch Geld- bzw. Freiheitsstrafe einerseits und der Geldbuße andererseits. Soweit eine Geldstrafe oder -buße verhängt worden ist, unterscheidet sich die Sanktion – soweit es sich um gleiche Beträge handelt – zwar nicht in ihrer finanziellen Auswirkung für den Betroffenen, wohl aber dadurch, dass nach allgemeiner Auffassung mit der Verhängung einer Strafe ein ehrenrühriges Unwerturteil, der Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung und die Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs verbunden sind. Demgegenüber wird die wegen einer Ordnungswidrigkeit verhängte Geldbuße lediglich als eine nachdrückliche Pflichtenermahnung angesehen und empfunden, die keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Ansehens und des Leumunds der Betroffenen zur Folge hat.7

Hier wird zum Ausdruck gebracht, dass durch die Verhängung eines Bußgeldes lediglich eine bestimmte Ordnung durchgesetzt werden soll und nicht etwa ein Ausgleich für ein verwerfliches, ehrenrühiges Verhalten herbeizuführen ist; der Betroffene soll lediglich für seine rechtswidrige Handlung „büßen“, nicht aber „bestraft“ werden. Insofern kann dem Bußgeld auch ein gewisses Maß an erzieherischem Wert zugesprochen werden. Von daher finden Bußgeldentscheidungen auch keinen Eintrag ins Bundeszentralregister. Registrierungen von Ordnungswidrigkeiten werden lediglich in einigen Fällen im Verkehrszentralregister in Flensburg und im Gewerbezentralregister in Berlin vorgenommen. Anders als bei Geldstrafen kann die Geldbuße auch nicht in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt werden.8

1.2Verfassungsrechtliche Grundlagen des OWi-Rechts

Gravierende Eingriffe hoheitlicher Gewalt haben immer den rechtsstaatlichen Grundsätzen zu folgen.

In einem Ordnungswidrigkeitenverfahren sind auf jeden Fall die Grundrechte der Betroffenen zu berücksichtigen, die durch dieses Verfahren tangiert werden können.

In Art. 1 (Schutz der Menschenwürde) Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ In Abs. 3 steht: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“ Ferner lesen wir in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.“

Weiter im Zusammenhang mit dem OWiG zu nennende Artikel aus den Grundrechten sind die Art. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) und Art. 19 (Einschränkung von Grundrechten) Abs. 3 und 4 GG:

„(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie … auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“

Ferner ist das Grundrecht der „Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Art. 13 GG) insbesondere im Zusammenhang mit Durchsuchungen von Bedeutung.

Die hier auszugsweise genannten Grundrechte – und das gilt für alle auf das Straf- bzw. OWi-Verfahren anzuwendenden Grundrechte – sind das verbriefte Recht eines jeden Menschen, gleich ob er Ausländer oder Deutscher ist.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch Art. 19 Abs. 1 GG, wonach die Einschränkung von Grundrechten nur durch oder aufgrund eines Gesetzes vorgenommen werden kann. In der Tat dürfen im Straf- und OWi-Recht hoheitliche Eingriffe in Grundrechte nicht willkürlich vorgenommen werden.

Die zuständigen Behörden haben sich strikt an die Vorgaben der maßgeblichen Regelungen (z.B. im OWiG selber als auch in der StPO) zu halten, um hier nicht gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG zu verstoßen.

Dem in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Zitiergebot kommt das OWiG durch den § 132 nach (vgl. insofern Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG und § 132 OWiG).

Des Weiteren war schon das Zustandekommen des OWiG vom Grundgesetz geprägt. Abschnitt VII des GG behandelt die Gesetzgebung des Bundes. Das OWiG als Bundesgesetz musste daher nach den Bestimmungen des GG geschaffen worden sein. Seinem Wesen nach ist es als materiell- und verfahrensrechtliches Rahmengesetz ganz allgemein für Ordnungswidrigkeiten auf allen Sachgebieten einzustufen. Formell fällt es gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unter die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes und wird unter den Begriff „Strafrecht“ subsumiert. Diese Einordnung in das Strafrecht ist zulässig, da zur Zeit des Inkrafttretens des GG das OWi-Recht im heutigen Sinne noch nicht bestand (vgl. Kap. 1).

Für das Gesetzgebungsverfahren waren dabei die Bestimmungen der Art. 76–78 und Art. 82 GG zu beachten.

Eine inhaltliche Überprüfung der einzelnen Paragraphen des OWiG auf ihre Verfassungskonformität würde hier zu weit führen. Daher sollen im Folgenden nur einige Bereiche des OWiG im Zusammenhang mit dem GG betrachtet werden:

Sobald die Verwaltungsbehörde oder die Polizei eine Maßnahme getroffen hat, die erkennbar darauf gerichtet ist, eine Ordnungswidrigkeit bußgeldrechtlich zu verfolgen, ist das Ermittlungsverfahren eingeleitet („hinreichender Anfangsverdacht“ – vgl. § 46 Abs. 1 und 2 OWiG, § 152 StPO). Die dabei durchzuführenden Untersuchungen sind unter Wahrung der entsprechenden Gesetze und rechtsstaatlichen Grundsätze vorzunehmen. Insbesondere kommen hier die Grundrechte des Betroffenen aus Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde), Art. 2 Abs. 1 GG (Freiheitsrechte) und Art. 3 GG (Gleichheit vor dem Gesetz) zum Tragen.9

Nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist jeder Person, bevor ihre Rechte durch eine staatliche Maßnahme unmittelbar beeinträchtigt werden, Gelegenheit zur Äußerung zu geben (§ 55 OWiG). Nur so ist sichergestellt, dass der Betroffene sich rechtzeitig in der für ihn geeigneten Weise rechtfertigen kann. Die hierfür grundlegende Bestimmung ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG (Grundrechte des Angeklagten): „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör“,10 sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG; dahinter verbirgt sich die Möglichkeit des Betroffenen, Rechtsmittel gegen den Bußgeldbescheid einzulegen, worüber dann ein Amtsgericht zu entscheiden hat.

Auch wird hierunter schon die Anhörung durch die Verwaltungs- bzw. Polizeibehörden subsumiert, da das Bußgeldverfahren als ein Pendant zum Strafverfahren und Strafprozess vor einem Strafgericht zu sehen ist.

Dieser Grundsatz gebietet es nicht nur, den Betroffenen zu den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen anzuhören, sondern auch die Verfahrensbeteiligten und Zeugen über ihre Rechte und Pflichten im Rahmen des Bußgeldverfahrens zu unterrichten. Ferner hat sich die Ermittlungsbehörde bei ihren Untersuchungen auf das zu beschränken, was unmittelbar mit der Tat zusammenhängt.11

Art. 103 GG birgt in seinem Abs. 3 einen weiteren Grundsatz, der im Ordnungswidrigkeitenrecht wiederzufinden ist: „Ne bis in idem – Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze (hierunter müssen wir auch das OWiG zählen – s. weiter vorne) mehrmals bestraft werden.“ Konkret heißt das:

–Wegen derselben Tat dürfen nicht mehrere Bußgeldverfahren anhängig sein – §§ 19, 38 und 39 OWiG;

–dieselbe Tat kann ferner nicht zugleich in einem Bußgeld- und einem Strafverfahren verfolgt werden – § 21 OWiG.12

Beispiel: § 4 BImSchG i.V.m. der 4. BImSchV sieht für bestimmte Anlagenarten eine besondere Genehmigung für die Errichtung und ihren Betrieb vor. Der Unternehmer U betreibt auf seinem Firmengelände eine unter diese Bestimmungen fallende Anlage ohne die hierfür erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Im Rahmen dieses Betreibens nutzt U entgegen § 8 WHG ein Gewässer ohne die hierfür erforderliche behördliche Erlaubnis.

Diese Tat (Betreiben einer Anlage nach dem BImSchG ohne die erforderliche Genehmigung) erfüllt zum einen den Straftatbestand nach § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB – unerlaubtes Betreiben von Anlagen –, zum anderen den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 1 WHG – Benutzung eines Gewässers ohne entsprechende behördliche Erlaubnis.

Diese Tat kann nicht zugleich in einem Bußgeld- und in einem Strafverfahren verfolgt und geahndet werden (§ 21 OWiG). Da hier auch ein Straftatbestand vorliegt, ist die Sache zunächst an die Staatsanwaltschaft abzugeben (§§ 41, 42 OWiG). Eine endgültige Einstellung des Bußgeldverfahrens wird aber nur infrage kommen, wenn aufgrund des Strafverfahrens eine Strafe verhängt wurde. Das Bußgeldverfahren ist also nur vorläufig einzustellen, da die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde z.B. durch Einstellung des Strafverfahrens wieder aufleben kann – §§ 40 ff. OWiG.

1.3Begriff der Ordnungswidrigkeit

1.3.1Voraussetzungen zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten

Wie bereits oben ausgeführt, wird die OWi in § 1 Abs. 1 OWiG definiert als eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt.

Eine Handlung, die zwar tatbestandsmäßig und rechtswidrig, nicht jedoch vorwerfbar ist, stellt somit keine Ordnungswidrigkeit dar; sie wird in § 1 Abs. 2 OWiG als eine „mit Geldbuße bedrohte Handlung“ bezeichnet und kann nicht mit einer Geldbuße geahndet werden.

Im Folgenden werden die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 1 OWiG genauer beleuchtet.

a) Handlung

Handlung ist ein vom Willen beherrschbares menschliches Verhalten, das in einem Tun oder Unterlassen bestehen kann. Keine Handlungen sind damit Körperbewegungen, die im Zustand der Bewusstseinslosigkeit, durch unwiderstehliche Gewalt oder als reine Körperreflexe ausgeführt werden.13Eine mit Geldbuße bedrohte Handlung liegt vor, wenn die konkrete Handlung des Menschen tatbestandsmäßig und rechtswidrig ist, aber ein vorwerfbares Handeln nicht festgestellt werden kann (das besagt die Fassung: „auch wenn sie nicht vorwerfbar begangen ist“). Soweit der Begriff „mit Geldbuße bedrohte Handlung“ verwendet wird, kommt es danach nur auf eine rechtswidrige, wenn auch nicht vorwerfbar begangene Handlung an (vgl. z.B. §§ 116 Abs. 1, 122 Abs. 1 OWiG). Die nicht vorwerfbare Handlung muss aber zumindest tatbestandsmäßig sein, wenn eine „mit Geldbuße bedrohte Handlung“ vorliegen soll.14

b) Tatbestandsmäßigkeit

Tatbestand ist die abstrakte Beschreibung einer (gedachten) menschlichen Handlung (oder Unterlassung) in einem Rechtssatz. Tatbestandsmäßigkeit als Voraussetzung der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten bedeutet somit, dass ein konkretes Handeln oder Unterlassen dem gesetzlichen Tatbestand voll entspricht. Die einzelnen Tatbestände sind – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nicht im OWiG, sondern in einer Vielzahl von Bundesund Landesgesetzen sowie in entsprechenden Rechtsverordnungen genannt. Einzelne Ordnungswidrigkeiten sind in §§ 111 ff. OWiG geregelt (z.B. falsche Namensangabe, unzulässiger Lärm etc.).15

Beispiel: Nach § 55 Abs. 1 KrWG16 haben Beförderer von Abfällen ihre dafür eingesetzten Fahrzeuge mit einem „A“-Schild zu kennzeichnen. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 13 KrWG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Fahrzeug nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig mit „A“-Schildern versieht.

Die infrage kommenden Tatbestandsmerkmale dieser Bußgeldvorschrift sind vorstehend fett gedruckt.

c) Rechtswidrigkeit

Rechtswidrig ist grundsätzlich jedes Verhalten entgegen jeglicher Rechtssätze und somit jedes tatbestandsmäßige Verhalten. Die Tatbestandsmäßigkeit hat damit Indizwirkung, d.h., sie zeigt mit ihrem Vorliegen die Rechtswidrigkeit an. Somit ist bei Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale einer OWi-Norm durch den Betroffenen regelmäßig auch die Rechtswidrigkeit seiner Handlung gegeben.17 Die Rechtswidrigkeit entfällt nur ausnahmsweise, wenn besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen. Als Rechtfertigungsgründe können in Betracht kommen:18

•Notwehr (§ 15 OWiG) gegen rechtswidrige Angriffe,

•rechtfertigender Notstand (§ 16 OWiG), z.B. Missachtung von Verkehrsvorschriften, um einen Schwerkranken schnell zum nächsten Arzt zu bringen,

•ein verbindlicher Dienstbefehl (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG; § 11 SG),

•eine behördliche Erlaubnis (z.B. zur Einleitung von Schadstoffen in ein Gewässer),

•Hoheitsrechte (z.B. Sonderrechte im Straßenverkehr gemäß § 35 Abs. 2 StVO).

d) Vorwerfbarkeit

Der Begriff der Vorwerfbarkeit entspricht dem strafrechtlichen Begriff der „Schuld“. Kern der Vorwerfbarkeit ist die Feststellung, dass der Täter rechtswidrig handelte, obwohl er fähig und imstande war, rechtmäßig zu handeln. Zunächst muss daher die Verantwortlichkeit vorliegen, d.h. die Fähigkeit, Unrecht einzusehen. Gemäß § 12 OWiG fehlt diese bei Kindern (unter 14 Jahren) völlig. Bei Jugendlichen (Personen zwischen 14 und 18 Jahren, § 1 Abs. 2 JGG) kommt es auf die „nötige Reife“ an, die im Einzelfall festgestellt werden muss. Diese Aspekte sind z.B. für Ruhestörungen nach dem LImSchG oder nach § 117 OWiG, bei Verkehrsordnungswidrigkeiten (z.B. das Überfahren einer LZA bei Rot mit dem Fahrrad) oder auch bei Schulpflichtversäumnissen19 von Bedeutung.

Im Falle des § 12 Abs. 2 OWiG kann auch die Zurechnungsfähigkeit fehlen, d.h., der Täter kann aufgrund seiner geistigen oder seelischen Verfassung das Unrecht der Tat nicht einsehen. In Betracht kommen krankhafte Störungen, die nicht nur organischer Natur sein müssen. Auch sog. endogene Psychosen (z.B. Schizophrenie) können zum Wegfall der Vorwerfbarkeit führen. Außerdem werden tiefgreifende Bewusstseinsstörungen genannt, die z.B. auf Drogen- oder Alkoholkonsum beruhen können oder durch Übermüdung herbeigeführt werden. Die Grenze für die Zurechnungsfähigkeit („Schuldunfähigkeit“ bzw. nicht Vorwerfbarkeit) hinsichtlich des Alkoholgenusses wird bei ca. 3 Promille angesetzt, in Sonderfällen auch darunter.20 Kann eine Ordnungswidrigkeit wegen rauschbedingt fehlender Vorwerfbarkeit nicht geahndet werden, greift jedoch der Auffangtatbestand des Vollrausches nach § 122 OWiG – Ahndungsmöglichkeit der Rauschtat.21

Beispiel: A fährt jedes Wochenende in eine Disco, wo er nicht nur tanzt, sondern auch erheblich trinkt. Auf dem Heimweg geht er zwar zu Fuß, „erfreut“ die Nachbarschaft aber durch besonders lautes „Singen“. Als die Polizei ihn aufgreift, zeigt er bereits leichte Vergiftungserscheinungen, sodass vorsorglich eine Blutalkoholkonzentrationsuntersuchung durchgeführt wird. Der Blutalkoholwert beträgt 3,3 Promille. Kommt hier eine Geldbuße nach § 117 OWiG in Betracht?

Lösung: Eine Geldbuße gemäß § 117 OWiG kommt wegen mangelnder Zurechnungsfähigkeit nicht in Betracht. Es könnte jedoch eine Ahndung nach § 122 OWiG in Betracht kommen. Dazu müsste A eine mit Geldbuße bedrohte Handlung (tatbestandsmäßig und rechtswidrig, vgl. § 1 Abs. 2 OWiG) begangen haben, für die er nur wegen der mangelnden Vorwerfbarkeit nicht bestraft werden kann. Das ist laut Sachverhalt der Fall. Eine Ahndung kann daher nach § 122 OWiG erfolgen.

Weitere Fälle der fehlenden Zurechnungsfähigkeit sind der Schwachsinn, d.h. eine Intelligenzschwäche, sowie die schwere andere seelische Abartigkeit. Gemeint sind hier z.B. Neurosen oder Triebstörungen.

Eine geminderte Vorwerfbarkeit kann bei Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden. Da es keine Mindestgeldbußen vergleichbar den Mindeststrafen mit StGB gibt, ist eine ausdrückliche Milderungsvorschrift (vgl. § 21 StGB) nicht erforderlich. Auch wenn eine Person, die nicht vorwerfbar handelt, nicht „bestraft“ werden kann, so ist eine Beteiligung an Taten dieser Personen dennoch möglich; § 14 Abs. 3 Satz 1 OWiG lässt die Ahndung bei den anderen Beteiligten weiter zu.

In Zweifelsfällen der Verantwortlichkeit eines Tatverdächtigen wird man in der Praxis kein Gutachten in Auftrag geben. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einerseits und das Opportunitätsprinzip andererseits führen i.d.R. zur Einstellung des Verfahrens.

Fehlt dem Täter bei Begehung der Handlung die Einsicht, etwas Unerlaubtes zu tun, namentlich weil er das Bestehen oder die Anwendbarkeit einer Rechtsvorschrift nicht kennt, so handelt er nicht vorwerfbar, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte (§ 11 Abs. 2 OWiG). Das Unrechtsbewusstsein ist also ein weiteres Element der Vorwerfbarkeit.22

Entsprechend dem von der Rechtsprechung im Strafrecht vertretenen komplexen Schuldbegriff sind auch Vorsatz und Fahrlässigkeit Elemente der Vorwerfbarkeit23.

Nach § 10 OWiG kann grundsätzlich nur ein vorsätzliches Handeln als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Vorsatz liegt vor, wenn der Täter die Ordnungswidrigkeit bewusst und gewollt begeht, also ein Handeln (oder Unterlassen, wenn eine aktive Handlungspflicht besteht) mit Wissen und Wollen vorliegt.24

Von der weiter eingeräumten Möglichkeit, auch fahrlässiges Handeln mit einer Geldbuße zu bedrohen, ist jedoch in vielen anderen Gesetzen und Rechtsverordnungen Gebrauch gemacht worden. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter bei Anwendung pflichtgemäßer und zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen müssen, dass sein Verhalten gegen die Rechtsordnung verstieß.25 Eine andere gängige Definition für Fahrlässigkeit lautet: „Fahrlässigkeit ist das Außerachtlassen der im (Rechts)Verkehr erforderlichen Sorgfaltspflicht.“ Oder kurz: „Fahrlässigkeit ist alles, was nicht Vorsatz ist“.