Organisationen wirksam entwickeln - Claudio Harder - E-Book

Organisationen wirksam entwickeln E-Book

Claudio Harder

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Beschreibung

In der Beratung von Non-Profit-Organisationen ergeben sich immer wieder Fragen, die nicht aus der vorhandenen Fachliteratur beantwortet werden können, sondern speziell auf diesen Bereich zugeschnittene Antworten brauchen. Der Aufbau und die Führung von Organisationen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen sowie im öffentlichen Dienst ist anspruchsvoll. Das Coaching und die Organisationsentwicklung in diesen Bereichen verlangen viel Erfahrung und Wissen um die Gesetzmäßigkeiten. Essentiell sind Kenntnisse zu den Organisationsformen, Rahmenbedingungen und Eigenheiten. Das Buch zeigt neue Blickwinkel für die Arbeit in und mit Non-Profit-Organisationen, zur Geschichte des Organisierens und heutige Ausprägungen von Organisationsparadigmen. Vor diesem Hintergrund stellt Claudio Harder Methoden und Instrumente vor, wie Non-Profit-Unternehmen gegründet werden können und zeigt selbstgeschaffene Instrumente zur Gestaltung von Positionierung, Machtfragen und Wirkung von Organisieren.

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[7]Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwortAbbildungsverzeichnisTabellenverzeichnis EinleitungTeil 1: Organisationen, Strukturen, Netzwerke gestalten und entwickeln1 Zu Geschichte und Ausrichtung des Organisierens 1.1 Entwurf einer Entwicklungsgeschichte des Organisierens 1.1.1 Zugang zum Wissen über früheres Organisieren1.1.2 Älteste Hochkultur Europas: agile, egalitäre Organisationsformen1.1.3 Erste Erkenntnisse1.2 Strukturformen und Funktionsleistungen sozialer Systeme1.3 Organisationsparadigmen 1.3.1 Organisch-zyklische Organisation1.3.2 Tribale Organisation1.3.3 Hierarchische Organisation1.3.4 Moderne Organisationen1.3.5 Postmoderne Organisationen1.3.6 Digitale Organisationen1.3.7 Zusammenstellung und Bedeutung dieser Organisationsparadigmen 1.4 Spannungsfelder als Organisationskontext 1.5 Zwischenbilanz2 Ideen generieren – unterschiedlich Denken2.1 Das Tetralemma – eine Denk-Choreografie2.2 Denkformate oder -dimensionen2.3 Systemlift2.4 Kybernetisch Denken2.5 Rahmenbedingungen beim Denken, Pausen, Grenzen2.6 Zeitgeist – der Geist des Mainstreams als Hintergrund3 Systeme aufbauen und organisieren3.1 Start-up und Gründung3.1.1 Zum Begriff Start-up3.1.2 Wissen darum, wie man ein Start-up gründet3.1.3 Für welchen Markt ist mein Start-up? Welche Märkte gibt es?3.1.4 Wie unterscheiden sich Märkte?3.1.5 In welchen Märkten bewegen wir uns?3.1.6 Bedeutung des Markts für das darin angewandte Start-up-Wissen3.1.7 Planungsinstrumente 3.1.8 Anmerkungen zum Canvas 3.1.9 Start-up-Logik; wie es nun gehen könnte3.1.10 Bedarfskonzept3.1.11 Konzept zur Kundenentwicklung3.1.12 Konzepte zur Entwicklung von Angebot, Pricing, Finanzierung und Leistung sowie zur Weiterentwicklung3.2 Community Development und Gemeinwesenarbeit; Netzwerke entwickeln3.2.1 Sozialräumliche GWA 3.2.2 Funktionale GWA 3.2.3 Kategoriale GWA3.2.4 Gouvernementale GWA3.2.5 Gemeinwesenarbeit in der Anwendung im öffentlichen Raum3.3 Netzwerkentwicklung3.4 Organisationsübergreifende Netzwerke3.5 Informationen zusammentragen3.6 Zufälle nutzen und Impulse offen aufnehmen4 Elemente einer Betriebslehre für NPO und kleine Organisationen4.1 Weshalb die Theorie von Organisationsentwicklung und Coaching (fast) nur für große Organisationen gilt4.2 Prinzipien von Not-for-Profit- und von nichtgouvernementalen Organisationen4.2.1 Steuerung/Strategie4.2.2 Leitung/Ziele: Loyalitäten4.2.3 Kundenbegriff/Markt4.2.4 Stakeholderanalyse/Systemcheck4.2.5 Interesselagen, -überschneidungen4.2.6 Strategie/Instanz zur Bildung der Strategie/Komplexität4.2.7 Paradigmen4.2.8 Verschiedene Existenzfundamente von Organisationen4.2.9 Die großen Pole von Organisationen4.3 Impulse zu diagnostischen und planerischen Überlegungen4.3.1 Diagnose4.3.2 Organisationsgröße als selektiver Faktor für Theorieanwendungen4.3.3 Instituierung 4.3.4 Entwicklungsphasen von Organisationen4.3.5 Prozessphasen von Entwicklungsschritten4.3.6 Phasen, Aggregatzustände und Zyklen von Gruppen4.3.7 Aspekte von Führung und Stellvertretung4.3.8 Bermuda Drei-, Vier-, N-eck: das »Verlorene«4.3.9 Systeme: das Gesetz von Übereinstimmung und UnterscheidungTeil 2: Mit Organisieren Wirkung erzeugen, modellieren, verstärken5 Handeln: Was alles möglich ist5.1 Grundlagen des Handelns5.1.1 Grundstrategien bezüglich der Haltung5.1.2 Grundhaltung5.1.3 Von der Gegen-Macht zur eigenen Macht5.1.4 Die Ressourcen aus dem eigenen Scheitern zu sich nehmen5.1.5 Grundstrategie bezüglich des Vorgehens5.2 Handlungsanlass und (Aus-)Richtung5.3 Dynamische Projektmodellierung5.3.1 Methoden im Widerspruch5.3.2 Entwicklung5.3.3 Integration5.4 Effectuation 5.4.1 Ungewissheitsprofiling als Hilfe zur Wahl zwischen Effectuation oder klassischem Projektmanagement (PM)5.4.2 Die Prinzipien und der Prozess in Effectuation 5.4.3 Die Anwendung von Effectuation 5.4.4 Weitere Hinweise zum Vorgehen mit Effectuation 5.4.5 Entwicklungschancen und Charakteristiken von Effectuation 5.4.6 Agil ist viel5.4.7 Effectuation – die Haltung gestaltet den Effekt5.5 Kybernetik5.6 Achtsamkeit, Wahrnehmung und kontinuierliche Selbsterneuerung5.7 Kollegiale, selbstverantwortliche Arbeitsformen5.8 Responsive Begleitung und Beratung5.8.1 Bezug zu den Generationen und letzte Wellen5.8.2 Zur Konsistenz des Modells der Organisationsparadigmen 5.8.3 Organisation und Organisieren5.8.4 Metareflexion zum Konzept der Organisationsparadigmen 5.8.5 Konzept der responsiven Beratung5.9 Nutznießer-Kollektiv5.10 MachtBalance – Macht verteilen, gestalten und sinnvoll einsetzen5.10.1 Dimensionen der Macht5.10.2 Was ist Macht?5.10.3 Des 7M-Modell von Macht5.10.4 Übungen zu den Instrumenten des 7M-MachtBalance-Modells5.11 Der Prozess: Anwendung der beschriebenen Aspekte6 Reflexion: Auswerten, Weiterentwickeln, neu beginnen6.1 Formative Evaluation6.2 Belebendes Qualitätsmanagementsystem – hin zur kontinuierlichen EntwicklungLiteraturStichwortverzeichnisAnhangDer Autor
[1]

Hinweis zum Urheberrecht

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft - Steuern - Recht GmbH

[4]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Print:

ISBN 978-3-7910-4931-1

Bestell-Nr. 10541-0001

ePub:

ISBN 978-3-7910-4932-8

Bestell-Nr. 10541-0100

ePDF:

ISBN 978-3-7910-4933-5

Bestell-Nr. 10541-0150

Claudio Harder

Organisationen wirksam entwickeln

1. Auflage, Dezember 2020

© 2020 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH

www.schaeffer-poeschel.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © Compassionate Eye Foundation/Hero Images, gettyimages

Produktmanagement: Dr. Frank Baumgärtner

Lektorat: Heike Münzenmaier

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart

Ein Unternehmen der Haufe Group

[5]Vorwort

Diese Seiten stellen Impulse, Denk- und Interpretationsmuster zur Verfügung, die zu kreativem und maßgeschneidertem Denken und Handeln anregen möchten. Ebenso sollen sie ein Gelingen auch in kleinen und mittleren Organisationen und speziell im Feld von Non-Profit- und öffentlichen Organisationen wie auch im zivilgesellschaftlichen Handeln unterstützen.

Das Buch richtet sich an Menschen die Strategie-, Führungs-, Projekt- und Fachverantwortung mitgestalten, an Initianten, Initiativen und GründerInnen und immer wieder ganz spezifisch an OrganisationsberaterInnen und -entwicklerInnen sowie Coaches von Führungskräften und Organisationen.

Während einer Zeitspanne von 20 Jahren baute ich als Unternehmer nachfrage- und bedarfsorientierte Non-Profit-Organisationen (NPO) auf und führte diese als engagierter Arbeitgeber. Parallel dazu absolvierte ich verschiedene Aus- und Weiterbildungen und las viel, um Zugang zu Theorie und Methoden für NPO-Aufbau und Führung zu finden. Vieles fand ich, aber Wichtiges fehlte im angebotenen Stoff. So begann ich, selbst Knowhow zu generieren. Dazu habe ich Wissen und Können aus Sozialer Arbeit, Community Building, Non-Profit-Management, Strategieentwicklung, Betriebswirtschaft, Gruppendynamik, Personalentwicklung, Führung, Organisationsentwicklung, Teamberatung, Coaching und Supervision mit den eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen verbunden.

Das so Entstandene und Erprobte setze ich nun seit daran anschließenden 25 Jahren in der Deutschschweiz mit der Firma nota bene Beratung GmbH (www.n-b.ch) als Berater und Coach von Organisationen, Führungskräften und GründerInnen ein und entwickle es dabei laufend weiter.

Die Inhalte dieses Buches sind anhand von weit über 1.000 Beratungsprozessen entstanden. Sie ergänzen die Standardliteratur, waren und sind hilfreich, um als BeraterIn in der Praxis von Organisationsentwicklung und Coaching im NPO-Bereich wirksam sein zu können. Gleichzeitig werden diese Impulse an Hochschulen in der Weiterbildung in Führung, Macht, Innovation, Change und Start-up eingesetzt.

Die praxisorientierten Blickwinkel sind so zusammengestellt, dass sie im Bereich Coaching und Organisationsentwicklung sowohl für BeraterInnen wie auch für Gründer-Innen, Initiativen, Führungskräfte und InhaberInnen nutzbar sind. Diese fundierten Impulse ermöglichen maßgeschneiderte, auf die Situation passende Interventionen und Beratungen.

[6]Mich freut es, wenn das Buch Ihnen beim Begleiten oder Initiieren eines Start-ups wichtige Hinweise geben kann, beim Beraten oder Führen einer Organisation maßgeschneiderte Interventionen anregt oder beim Coachen von Führungskräften wichtige Perspektiven aufzeigt.

Ich wünsche Ihnen beim wirksamen Entwickeln, Coachen und Begleiten von Organisationen und Menschen viel Freude!

Claudio Harder

Zürich, im November 2020

[11]Abbildungsverzeichnis

Abb. 1:StrukturformenAbb. 2:DenkformateAbb. 3:Lebensalter und MarktAbb. 4:Grundstruktur eines CanvasAbb. 5:Zusatzmodule zum GrundcanvasAbb. 6:PricingAbb. 7:Einsatzbereiche GWAAbb. 8:HandlungsspielräumeAbb. 9:InterventionssystemeAbb. 10:Kybernetisches Arbeitsprinzip für die Arbeit mit großen SystemenAbb. 11:RICHS-DiagnoseAbb. 12:Auswertung RICHSAbb. 13:Wahl der InterventionssystemeAbb. 14:BermudalückenAbb. 15:NutzungsdichteAbb. 16:FlughöheAbb. 17:DoppelspiraleAbb. 18:Darstellung der einzubeziehenden GruppenAbb. 19:NetzwerkentwicklungenAbb. 20:Grundmuster ProzesslandschaftAbb. 21:BermudalückeAbb. 22:Bermudaviereck der sozialen UnsicherheitAbb. 23:SystemringeAbb. 24:Golden Circle nach Simon SinekAbb. 25:Von der Ungewissheit zum WissenAbb. 26:DenkrichtungAbb. 27:EntscheidungenAbb. 28:PartnerschaftenAbb. 29:ZufälleAbb. 30:Iterativer ProzessAbb. 31:Marktplatz der MöglichkeitenAbb. 32:KLUG-IndikatorAbb. 33:Fluss der ParadigmenentwicklungAbb. 34:Kreislauf der OrganisationsentwicklungAbb. 35:Prozess der OrganisationsentwicklungAbb. 36:Charakteranalyse nach Wilhelm ReichAbb. 37:Prozess der Machtherstellung[12]Abb. 38:Darstellung der AusstattungAbb. 39:AustauschAbb. 40:Darstellung von MachtAbb. 41:ZielbereichsüberschneidungAbb. 42:MachtanalyseAbb. 43:Prozess evolutionär organisieren: ein iterativer, zyklischer ProzessAbb. 44:Formativer QM-ProzessAbb. 45:Schritte der Qualitätsherstellung

[13]Tabellenverzeichnis

Tab. 1:Beispiele zu den Strukturformen nach GeserTab. 2:OrganisationsparadigmenTab. 3:In Beratung und Führung relevante OrganisationsparadigmenTab. 4:Unterschiede von MärktenTab. 5:Start-up-Wissen und MarktTab. 6:BedarfskonzeptTab. 7:KundenkonzeptTab. 8:Angebots- bis AktualisierungskonzepteTab. 9:Phasen der AuftragsformulierungTab. 10:AuftragsetappierungTab. 11:InteressenanalyseTab. 12:Unterteilung PräventionTab. 13:Fristigkeiten in der PlanungTab. 14:Die GrundstrategienTab. 15:GWA-ÜberblickTab. 16:Wo Wissen entstehtTab. 17:Wo BWL-Wissen hauptsächlich entstehtTab. 18:Gliederung verschiedener OrganisationsformenTab. 19:KundenbegriffTab. 20:Gemeinwohl – IndividualwohlTab. 21:Drei Zugänge zu einem DiagnoseverständnisTab. 22:Darstellung nach OrganisationsgrößenTab. 23:Verschiedene GruppenselbstverständnisseTab. 24:Aggregatzustände von SystemenTab. 25:Stellvertretung (StV)Tab. 26:Arbeitsblatt UngewissheitsprofilingTab. 27:Arbeitsblatt MethodiktendenzTab. 28:PAVE-MatrixTab. 29:Effectuation-Einsatz in sozialen SystemenTab. 30:Papiercomputer nach Frederic VesterTab. 31:Darstellung des MittelinventarsTab. 32:SOFT-AnalyseTab. 33:Gestaltungsebenen nach Bateson/DiltsTab. 34:Gestaltungsebenen bei der Effectuation-AnwendungTab. 35:Arbeitsblatt Einschätzung der OrganisationTab. 36:Sichtbarkeit von MachtTab. 37:Ausstattung[14]Tab. 38:MachtTab. 39:Physische Macht/AuftrittTab. 40:Sozio-ökonomische RessourcenmachtTab. 41:KommunikationsstärkeTab. 42:MobilisierungsmachtTab. 43:KriterienmachtTab. 44:ModellmachtTab. 45:PositionsmachtTab. 46:MachtanalyseTab. 47:Machtpotenziale erkennenTab. 48:InteressensplittingTab. 49:Prozessdarstellungstabelle im Mini-QMSTab. 50:Organisationsparadigmen Gesamtschau

[15]Einleitung

Hinter diesen Texten steht die Suche nach konstruktiven und Sinn gebenden Beiträgen zu persönlichen, sozialen, gesellschaftlichen, zukunftsorientierten Entwicklungen. So entstand eine breite Palette von Gedanken, die die gängige Lehre ergänzen, und damit immer wieder Grundlage für befriedigende Wirkungen bilden.

Aus dem Reflektieren der Berufspraxis, dem Studium von Literatur, aus ungezählten Stunden Fachaustausch, einer unbändigen Neugier und Lust am Verstehen entstanden die hier zusammengestellten Aufsätze. Dazu gehören auch sehr intensive und bereichernde Gespräche und Verständigungs- und Lernprozesse und das Entwickeln von Lösungen zusammen mit den Beteiligten. Die Leidenschaft, Projekte aufzubauen und Ideen konkret umzusetzen, hat sicher vieles in der Suche geprägt, ebenso die Liebe zu kleinen und mittleren Organisationen (die anders ticken als große Institutionen), zu Organisationen in der Pionierphase oder in Übergängen sowie die Suche nach den Unterschieden, die das im Alltag mit sich bringt.

Bezüglich der Expertise vertrete ich die Haltung, dass man frühestens nach der Durchführung von zehn verschiedenen Projekten von einer Erfahrung mit Projekten sprechen kann, da Expertise durch Anstellen von Vergleichen, Erkennen des Spezifischen und Vornehmen von Differenzierungen entsteht. So hatte ich durch meine Arbeitsweise einen inspirierenden Hintergrund: seit über 30 Jahren begleite, leite, moderiere oder coache ich mindestens 15, maximal 40 Entwicklungsprozesse (mit Laufzeiten zwischen einigen Monaten und höchstens zwei Jahren) von Führungskräften, Teams und Organisationen parallel, was für das Lernen durch Vergleichen, Spezifizieren und Differenzieren einen idealen Hintergrund bietet. Das in diesem Buch Dargelegte ist in weit über 1.000 Beratungsprozessen entwickelt worden. Es wurde aus Erfahrungen und Auseinandersetzungen, aus dem Suchen, Nachspüren, Gliedern und Anwenden entwickelt und immer wieder begleitet von Ideen Léon Festingers,1 der 1956 die Erkenntnis formulierte, dass immer, wenn man etwas nicht bewältigt oder ein Widerspruch nicht gleich aufgelöst werden kann, man unwillkürlich den »inkonsistenteren Teil der Dissonanz« ausblendet und eliminiert und sich dadurch wieder mit der Situation im Reinen fühlen kann. So habe ich bei meiner Arbeit immer wieder darauf geachtet, was ich zu übersehen versuche, um etwas zu erreichen oder um mir auf etwas einen plausiblen Reim machen zu können. Diese »eliminierte Dissonanz« führte mich dann weiter. Dieses Vorgehen trifft sich mit dem Anliegen einer Richtung der Psychologie, die dem aus der Wahrnehmung Verdrängten (nach Festinger: [16]dem kognitiv Eliminierten) wieder Raum geben und es integrieren will (siehe auch Freud, beziehungsorientierte Familientherapie, prozessorientierte Psychologie, Buddhismus usw.). Einer der Treiber, die zu diesen Texten führten, stellt die Reflexion des Vernachlässigten und liebend gerne Übersehenen dar, das aber zentral für ein wirkungsorientiertes und förderliches Vorgehen ist. Denn zu häufig passen Modell und Wirklichkeit nicht zusammen (was viele aus Gewohnheit übersehen). Diese Betrachtungsweise geht so weit, dass man über Organisationen lange glaubte, dass sie nicht aufgrund der bewussten und geführten Struktur, also der »formellen Organisation«, funktionieren, entscheidend sei vielmehr die »informelle Organisation«. Mit diesen Texten wird der Zugang zum Gestalten von Organisationen beleuchtet, unter anderem mit einer Sichtweise, die explizit die Logik der informellen Organisation bespricht und gestaltbar macht.

Als Arbeitsweise wurde ein forschendes Vorgehen gewählt: Jede Fragestellung entstand aus einer Herausforderung in der Praxis, sei es in eigener Führungsverantwortung oder im Begleiten und Beraten. Schrittweise wurde versucht, das Problem zu fassen, dessen Kontext zu betrachten, die »inkonsistenteren« Aspekte der Situation zu beleuchten. Über Wochen, manchmal Monate veränderten sich so Ziele, Vorgehensweisen, Antworten und nicht zuletzt häufig auch die Definition des Problems oder dessen Lösung.

Alle Ansätze und Antworten wurden an und in der Praxis erprobt, erlebt, durchdacht – nicht anhand einer Theorie und deren Umsetzung. Das führte immer dazu, dass die Komplexität eines Themas als Ganzes beleuchtet werden musste. Die zeitraubende Herausforderung bestand dann darin, jeweils in der integralen, vernetzten Anwendung nur einen Aspekt so ins Licht zu stellen, dass ich ihn darstellen kann – obwohl er immer mit vielem anderen verknüpft ist. Die Aussagen und Schlussfolgerungen wurden in der Folge noch einmal in der Praxis überprüft und variiert, was dazu führt, dass hier und da noch die Komplexität der Praxis in diesen Text einfließt.

Mein Gewinn bei dieser Vorgehensweise war, dass ich stets forschend blieb, was wenig Routine aufkommen ließ und sehr viel Belebung bot. Über einen Zeitraum von 20 Jahren habe ich diese Erkenntnisse in einem Ordner mit dem Namen »Ernte« (aus meinem Erwerbsleben) eingesammelt. Die Bearbeitung bedeutete eine immense Entflechtungsarbeit, da jede Situation im Alltag viele Aspekte hat, und diese möglichst sortiert dargestellt werden sollten. Ziel war es, Wissen aus der Praxis zu entwickeln. Dabei wurde versucht, interaktiv mit dem System zu arbeiten und gemeinsam mit den Betroffenen zu entdecken, was notwendig ist.

Durch die Vernetzung von Arbeiten und Fühlen ist etwas Integrales, mir nicht Entfremdetes entstanden. Um diese Erkenntnisse kommunizierbar zu machen, müssen sie für das Buch aufgegliedert werden; ich hoffe, dass mir das gelungen ist.

[17]In Teil 1 stelle ich Gedanken zum Entwickeln und Gestalten von Organisationen, Strukturen und Netzwerken vor, die auch für die Pflege und Entwicklung des eigenen Systems anregend sein können.

Kapitel 1 ist grundlegend, auch für das Verständnis der folgenden Texte: ein Entwurf der Geschichte des Organisierens oder genauer, seit es Menschen gibt, die organisieren. Darin werden die Grundanforderungen an die Funktionen, die Organisationen erfüllen müssen und die Paradigmen, unter denen das bisher gelebt wurde, vorgestellt.

In Kapitel 2 wird ein Ausschnitt an repräsentativen Mindsets beleuchtet, die den Blick auf das Organisieren prägen.

In Kapitel 3 stelle ich meine Überlegungen zu Gründung, Vernetzung und Einbettung von Organisationen in das Umfeld vor.

In Kapitel 4 wird ein bisher unterbelichtetes Feld untersucht: Eigenheiten des Non-Profit-Bereichs, die – wenn die Frage danach nicht wirklich konsistent gestellt wurde – häufig mit Lösungen aus dem Profit-Bereich beantwortet werden. Hier werden relevante Unterschiede zwischen beiden Bereichen ersichtlich.

In Teil 2 geht es darum, wie mit verschiedenen Formen des Organisierens Wirkung erzeugt, modelliert und verstärkt werden kann – also primär darum, wie der Existenzgrund der Organisation zum Ausdruck gebracht werden kann.

In Kapitel 5 – dem größten Kapitel – werden zehn Aspekte der Wirkungserzeugung reflektiert, die jeweils auch punktuell gelesen werden können.

In Kapitel 6 werden aus eigener Erfahrung gestaltete und gewichtete Modelle zur Weiterentwicklung, Qualitätssicherung und -entwicklung vorgestellt.

Beim Gendern sehe ich zwei Wege, um beide Geschlechter lese- und schreibflüssig mit einzubeziehen: besonders inkludierend wäre, immer ausschließlich die weibliche Form zu verwenden. In dieser ist die männliche Form im Wortstamm praktisch durchweg enthalten und damit nicht nur mitgemeint. Etwas gewohnter, aber nach Duden (noch) nicht korrekt, ist die Schreibweise mit dem großen I. Diese ist für mich leichter lesbar, gewohnt und liegt mir näher, weshalb ich Sie, liebe LeserIn, gerne so anspreche.

Meinen KundInnen und ZusammenarbeitspartnerInnen danke ich herzlich, dass sie sich auf die gemeinsame Lösungssuche eingelassen haben und mich im gemeinsamen Zusammenspiel inspiriert haben. Besonders dankbar bin ich Yvonne Purtschert für die [18]ungemein breit gestreuten, tief reichenden und immer fundierten Impulse zu Wissen und Quellen von Entwicklungen in sozialen Systemen.

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre Spaß, Anregung und überraschende Einsichten. Ich freue mich auf Rückmeldungen und auch auf Hinweise, wo etwas vertieft, ergänzt, erweitert werden sollte, und erhoffe mir vor allem, dass Sie viele Impulse erhalten, um das Organisieren dynamisch, förderlich und wirkungsvoll zu gestalten.

1 Festinger, Leon/Irle, Martin/Möntmann, Volker (1978)

[19]Teil 1: Organisationen, Strukturen, Netzwerke gestalten und entwickeln

[21]1Zu Geschichte und Ausrichtung des Organisierens

Wenn wir heute Organisationen in ihrer Entwicklung (beg-)leiten, stehen wir auf einem weiten Feld: Es gibt seit mindestens zwei Mio. Jahren eine Tradition des Organisierens. Viele psychologische, ideologische, wirtschaftliche und weitere Faktoren prägen das Thema. Mythen ranken sich sowohl darum, was eine Organisation will, wie auch darum, wie man sich verhalten soll und wie man die Organisation gestalten kann. Es werden neue Strategien erfunden, neue Organisationsformen postuliert, immer mit der Hoffnung, das Beste und damit gleich auch die Zukunft gefunden zu haben.

Wer definitiv weiß, was Organisieren bedeutet, kann nur noch gewinnen, denn das Feld ist komplex. Mit welchen Systemen kann man eine fruchtbare Zusammenarbeit eingehen? Was darf übersehen werden und was nicht? Was ist eine zukunftsträchtige Organisationsform? In dieser Suche und Auseinandersetzung zeigt sich eine von mehreren Weichenstellungen, die heute möglich sind. Wer die leidenschaftlichen Diskussionen über die Gültigkeit alter und neuer Modelle, Verfahren und Lösungsansätze mitverfolgt, die innerhalb der Branche der OrganisationsberaterInnen und Coaches am Laufen sind, erkennt, dass eine Profession um einen Entwicklungsschritt und vielleicht gar um ihre Identität ringt. Mit diesem Buch soll ein Beitrag geleistet werden. Möglicherweise steht die Branche selbst vor dem Schritt von der Moderne in die Postmoderne – doch später mehr dazu.

Ein Rückblick in die Geschichte könnte vielleicht einen etwas größeren Blick auf die Situation vermitteln – gemäß Silvia Staub-Bernasconi2 kann die Erkenntnis über die Entstehung einer Situation Aufschluss über die mögliche Entwicklungspotenziale und -stränge geben. Was sind also die Entwicklungslinien des Organisierens? Woher kommt Organisieren und wozu dient es?

[22]1.1Entwurf einer Entwicklungsgeschichte des Organisierens

Organisationsformen seit 60.000 v.u.Z., Überblick über die historische Entwicklung und die Suche nach der idealen Lösung, der immer etwas fehlt

1.1.1Zugang zum Wissen über früheres Organisieren

Vorab: Was meint eigentlich Organisieren? Bezüglich der Herkunft hat das Wort (lat. organum für Werkzeug) mit einer »Funktion oder Hilfe, um etwas zu erreichen« zu tun; es kann auch als »Organe schaffen und ordnen« verstanden werden, was eine aufeinander abgestimmte, sich ergänzende Aufgaben- oder Rollenteilung mit zugeordneten Funktionen andeutet.

Wie Funktionen, Rollen, Arbeitsteilung und Abläufe beschrieben werden, macht das Organisieren aus. Wo man darüber keine direkte Kenntnis hat, muss von den bewältigten Aufgaben auf die Organisationsform rückgeschlossen werden. Denn schon immer haben Lebewesen sowohl Überleben wie Freude organisiert: Wenn ein Vorhaben in mehreren aufeinanderfolgenden Schritten in Angriff genommen wird – und erst recht, wenn mehrere Individuen sich ergänzend oder gar arbeitsteilig daran beteiligt sind – wird organisiert. Um eine Geschichte des Organisierens zusammenstellen zu können, muss viel hergeleitet werden. Zum Glück ist das Wissen über die Lebensweisen der letzten paar Zehntausend Jahren aufgrund erweiterter wissenschaftlicher Möglichkeiten rasant am Wachsen; doch da in Archäologie und Geschichtsforschung kaum OrganisationsberaterInnen am Werk sind, muss das Organisieren aus den Beschreibungen herausgelesen werden.

Bei der Suche nach frühen menschlichen Organisationsversuchen findet man keine Dokumente – die Erfindung der Schrift war schon ein enorm großer Entwicklungs- und Abstraktionsschritt,3 lange galt nur die mündliche Weitergabe von Wissen als korrekt. Denn nur dann konnte sichergestellt werden, dass die Bedeutung und Rahmung einer Situation zutreffend übertragen wird: Einerseits schwingt bei der mündlichen Kommunikation viel mehr mit als nur die Worte, zum anderen wird häufig gleich offensichtlich, ob das Gesagte verstanden wurde oder ob nachgebessert werden muss. Bei schriftlichen Dokumenten – siehe exemplarisch die Bibel – ist es offensichtlich, dass, auch wenn alle dasselbe lesen, doch sehr Verschiedenes verstanden wird, was bekanntlich sogar (Religions-) Kriege auslösen kann. Denn mit der Verschriftlichung wurden viele Aussa[23]gen zu Abstraktionen, die einer Interpretation bedürfen. In der Folge merkte man, dass z. B. das Wort Baum erklärungsbedürftig ist, weil damit verschiedene Bäume gemeint sein könnten – mündlich war die Aussage aufgrund des Kontextes und para- wie nonverbaler Signale eindeutig, im Falle von Missverständnissen konnte schnell korrigiert werden. Es ist sogar anzunehmen, dass lange alles Wichtige, das vermittelt werden musste, nicht schriftlich, sondern mündlich weitergegeben wurde. In manchen Religionen und auch Familien wird das noch heute so gehandhabt. So war es denn für die Forschung auch eine Überraschung, dass die ersten Schriftzeugnisse nicht von schwerwiegenden Gedanken oder Organisationsbeschreibungen, sondern von der Dokumentation von Lagerbeständen und Verkaufsbelegen geprägt sind.

Für die Zeit vor der Schriftentwicklung (je nach Weltregion zwischen 3.000 und 1.500 Jahre v.u.Z.) kann davon ausgegangen werden, dass sich die Menschen während Hunderttausenden von Jahren erfolgreich organisierten – ihr Umfeld war herausfordernd, die Ansprüche an das Organisieren sicherlich vielfältig und wechselhaft, Überleben eine Kunst. Anhand von archäologischen Funden, überlieferten Riten und Ritualen, tradiertem medizinischen Wissen, Sagen und anderen Überlieferungen haben Menschen mit verschiedensten Hintergründen versucht, diesen immensen Zeitraum menschlichen Wirkens, Lebens und Organisierens zu verstehen. Zugänge wurden gesucht über die Archäologie,4 Anthropologie,5 Ethnologie,6 den Rechtswissenschaften7, die Wissenschaftstheorie,8 Psychologie9 und die Geschichtswissenschaft.10

Alle Funde und Relikte weisen darauf hin, dass Frauen und Mütter zentrale Aufgaben hatten und das Organisieren prägten. Sie leisteten Enormes (Kinder gebären, Nahrung beschaffen, Alltag organisieren) und bestimmten und entschieden damit vieles. Zum einen bezüglich der Ernährung, da diese lediglich zu rund 15 %11 aus tierischem Eiweiß (aus Jagd und Schlachtung von domestizierten und Wildtieren) bestand, der Rest war pflanzliche Nahrung, die primär von Frauen zusammengetragen wurde. Daher müsste diese Zeit – in treffender Reihenfolge – als die der Sammlerinnen und Jäger bezeichnet werden. In einem Wildpflanzenbuch12 ist beschrieben, dass bei 2.000 Wildpflanzenarten [24]in der Schweiz nur rund 20 ungenießbare respektive giftige Pflanzen vorkommen. Die Weitergabe dieses umfassenden und überlebenswichtigen Wissens musste organisiert und gesichert sein und erforderte ein gutes und präzises Übermittlungs- und Lehrsystem.

Frauen waren aber auch bezüglich des Ermöglichens von neuem Leben die zentralen Figuren im Lebenszyklus, in dem die Seelen von Mutter Erde durch Frauen geborgen, ausgetragen, geboren, genährt, aufgezogen, gepflegt, geliebt und schließlich wieder der Erde übergeben wurden.

Gemäß aktuellen Studien13 beschäftigten sich Menschen zwischen den Eiszeiten14 (60.000 bis 28.000 Jahre v.u.Z.) damit, faszinierende Elfenbeinfiguren zu schnitzten, Flötenmusik zu machen und zu malen. Sie lebten in Gruppen von jeweils ca. 40 Personen, in Kernregionen lebten vier solcher Gruppen nebeneinander mit jeweils rund 200 Kilometer Aktionsradius innerhalb des Jahreszyklus. Erst rund 400 Kilometer weiter lebten die nächsten Gruppen, was für die Region Mittel- und Westeuropa eine Population zwischen 800 und 3.300 Menschen ergab. Sie hatten einen Austausch von Werkzeugen über Tausende Kilometer hinweg. Bei Vulkanausbrüchen, Epidemien und anderen Gefahren kamen viele um, die Menschheit überlebte diese Zeit nur knapp – minimal haben damals weltweit nur zwischen 2.800 und 11.000 Menschen gelebt. Mit den damaligen, laut der Forschung matriarchalen Organisationsformen15 wurde diese Zeit offenbar überstanden.

Matriarchal,16 wie der Begriff hier verwendet wird, meint explizit nicht ein Matriarchat im Sinne eines gegengeschlechtlich belegten Patriarchats, denn »arché« bedeutet »geboren aus, geschaffen von, am Anfang« ebenso wie, »vorangehen, führen, der Erste sein, herrschen«. Das Wort ist mehrdeutig und wird beim Begriff Matriarchat ebenso verwendet wie beispielsweise beim Begriff Archäologie (die Lehre vom Anfang) mit der Bedeutung von »Am Anfang die Mütter«. Dies im Unterschied zur Bedeutung beim Begriff Patriarchat, wo »-archat« wie auch beispielsweise bei der Oligarchie »Herrschaft« bedeutet. Im Matriarchat in diesen meist übersichtlichen Gruppen ging es nicht ums Herrschen, sondern darum, für das Überleben eine Gemeinschaft zu bilden, die zentriert und organisiert ist – da kam den Gebärenden die Rolle der Schöpferinnen zu, jene, die für das Kollektiv den Rhythmus bestimmten und gleichzeitig das Überleben sicherten. Der Rhythmus war [25]geprägt von geboren werden, wachsen, gemeinsam gestalten, alt werden, sterben, in der Erde ruhen und (analog zu den Naturzyklen) wieder via die Mutter in das Leben eintreten. Die Fähigkeit, Leben zu gebären und damit die Zukunft aller zu sichern war so respektiert, dass die Mütter eben an den Anfang gesetzt wurden. Die Organisation des Lebens unter sehr anspruchsvollen Bedingungen gelang offensichtlich erfolgreich, sonst gäbe es uns nicht mehr. Insofern war Organisieren Alltags- und Lebensgestaltung.

Die Organisationsform des Matriarchats wurde lange vermutet, konnte aber erst in jüngerer Zeit mit DNA- und Genuntersuchungen definitiv bewiesen werden. Marija Gimbutas wurde deswegen verfemt, Heide Göttner-Abendroth17 angefochten.

Aus heutiger Sicht (gemessen an unseren Organisationen) war die damalige Art des Organisierens ein absolutes Erfolgsmodell: resilient, dynamisch, flexibel. Nur wenige Organisationsmodelle heute halten lange, die meisten Organisationen und die Modelle, auf denen sie beruhen, werden immer wieder »verbessert«, und doch glauben wir, noch nicht das Ideal gefunden zu haben. Zudem kann man sich angesichts der Lage der Welt, des Klimas, der Politik und der Wirtschaft fragen, welche der heutigen Organisationsmodelle so funktionieren, dass das Überleben unserer Art gesichert ist, dass auch Entwicklungen von anderen Arten Raum haben, die Wirtschaft nicht ruiniert wird, die Welt als Ganzes nicht gefährdet wird.

Doch bei allen menschlichen Organisationsformen – und das ist vielleicht ein gradueller Unterschied zu anderen Lebewesen auf der Welt, zeigt sich das, was Harari18 als die »kognitive Revolution« bezeichnet, nach der es den Menschen gelang, sich nicht mehr nur nach Notwendigkeiten, sondern auch nach Ideen, Konzepten und gemeinsamen Visionen auszurichten. Organisationen basieren grundlegend auf gemeinsamen Fiktionen – auf einem Konzept, das nicht offensichtlich, sondern Konvention ist. Mit diesen Konzepten begannen wir zu organisieren und gestaltende, machtvolle in unseren Vorstellungen bestehende Strukturen zu bilden und unsere Welt nach dem zu prägen, was in unseren Köpfen geschaffen wird.

1.1.2Älteste Hochkultur Europas: agile, egalitäre Organisationsformen

Faszinierende neue Methoden und interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglichen eine fundierte, vertiefte Forschung: Mit neuen Analysemethoden, die Erbgut und DNA entschlüsseln können sowie mit Radiokarbonmethoden rückt die Vergangenheit näher, [26]je weiter wir davon entfernt sind. So kann heute bestimmt werden, woher Menschen kamen (ob sie in einem Dorf zugezogen oder aufgewachsen sind), in welcher Jahreszeit sie welche Siedlung bewohnten, was sie gegessen haben, woran sie erkrankten und welches Vieh im Sommer auf einer Alp weidete oder im Stall bleiben musste. Diese neuen Erkenntnisse aus der Archäologie stellen teilweise die bisherige Geschichtsschreibung infrage und erweitern die Deutungsmöglichkeiten. Damit können einige Spannungsfelder in Organisationen besser verstanden werden. Diese Anregungen fließen in die weiter unten entwickelten Organisationsparadigmen mit ein.

So wurde die Donauzivilisation19 im europäischen Raum als älteste Hochkultur (noch älter und mit größeren Städten als in Mesopotamien und im Nahen Osten) genauer unter die Lupe genommen. Dabei wurde ersichtlich, dass die Menschen bis vor rund 5.000 Jahren genetisch gesehen matrilinear, also entsprechend der mütterlichen Linie, zusammenlebten. Sie waren sehr mobil, hatten allenfalls Jahreszeiten-Wohnorte, lebten zu rund 85 % von pflanzlicher Nahrung – im Winter gab es etwas mehr Fisch und Fleisch. Nach einem graduellen Sesshaftwerden, das mit saisonalen festen Unterkünften begann, entwickelten sich rund 7.000 Jahre v.u.Z. Städte mit über 10.000 BewohnerInnen. Die vorliegenden Quellen lassen auf eine egalitäre Organisations- und Lebensform schließen: Kein Haus ist größer als ein anderes, kein Grab reicher ausgestattet als andere, die körperlichen Abnutzungsspuren sind gleich. Wahrscheinlich war die Sippe mit rund 30 bis 40 Personen die »kleinste« Einheit, wahrscheinlich eher nach Alter und teilweise nach Geschlechtern gruppiert, sicher ohne Einzel- oder Ehepaarzimmer, sondern immer in Räumen für größere Gruppen. Es gab Stadtteile und dazugehörende Landwirtschaft vor den Toren der Städte – bis zu sieben Kilometer Einzugsgebiet rund um die Städte wurden nachgewiesen – heute wird versucht, unter dem Titel Subsistenzwirtschaft und solidarische Landwirtschaft wieder Ähnliches aufzubauen. Bezüglich der Organisationsformen sind (siehe Kap. 1.3) organische, zyklische, tribale und evolutionäre Formen zu vermuten, vieles könnte an die heute erst aufkommenden agilen Organisationsformen erinnern. Das Akkumulieren von materiellen Gütern konnte nicht nachgewiesen werden und war dieser Kultur offenbar fremd. Größe war kein Argument, jedes Haus hatte in der Nähe der Feuerstelle einen kleinen Altar mit kleinen weiblichen Figuren. Die Städte hatten keine Verteidigungswälle, es gab offenbar noch keine Kriege und Konflikte.

Enorme äußere Veränderungen mussten bewältigt werden: zum einen starke Klimawechsel mit den Zwischeneiszeiten. Um ca. 6700 v.u.Z. schmolzen als Folge einer Wärmeperiode viele Gletscher im Norden, Atlantik und Mittelmeer stiegen enorm an. Das Wasser stieg so stark, dass die Großstadt Catal Hüyük in der heutigen Südtürkei am Mit[27]telmeer wegen der sich bildenden Sümpfe von einer Malariaepidemie erfasst und in der Folge verlassen wurde. Durch den Anstieg des Mittelmeeres wurde die Landbrücke zwischen Europa und Asien am Bosporus überflutet, durch Erosion abgetragen und damit durchbrochen (bekannt als biblische »Sintflut«); das Schwarze Meer füllte sich auf, was ganz andere meteorlogische Bedingungen schuf: Regen und Trockenheit verschoben sich an andere Orte. Um 6200 und 4500 v.u.Z. wurden kühlere klimatische Bedingungen vermerkt.

Bezüglich der Organisationsformen ist aus heutiger Sicht faszinierend, wie das alles bewältigt werden konnte. Vor allem nötigt dieses historische Beispiel Respekt ab und relativiert unsere Vorstellung, dass wir immer bessere Organisationsformen entwickeln, immer schneller neue Herausforderungen bewältigen und aktuell auf dem Gipfel der Erkenntnisse stehen würden.

In der Schweiz verlief vieles ähnlich wie sonst in Europa – in der letzten Eiszeit wurden aber zufolge der großen Gletscher in den Alpen mit ihren Ausläufern im Mittelland viele Spuren zerstört. Für die Zeit danach verdichten sich erst jetzt die Erkenntnisse20 aufgrund von neuen archäologischen Zugängen. Lange fand man zufolge grober Grabungsmethoden (mit Schaufeln und Bürste) nur große Fundstücke wie Mammutzähne. Heute sieht man mit feinmaschigeren Forschungsmethoden (mit DNA-Untersuchungen, Radiokarbonmethode und dergleichen mehr) den ganzen Speisezettel anhand all der Kräuter, Fisch-, Geflügel- und andere Essensreste und vieles mehr. Vor der Sesshaftigkeit gab es beim Aktionsradius einer Sippe von 200 Kilometern rund um die Wohnorte wohl nur wenige Menschen. Es gibt viele Hinweise auf große Mobilität: Immer wieder sind Gegenstände aus dem Mittelmeerraum oder Anatolien hier aufzufinden – es gab also offenbar einen weitreichenden Handel. Mit Beginn der partiellen Sesshaftigkeit nehmen die Funde zu. In den temporär bewohnten und gut erhaltenen Pfahlbausiedlungen wird beispielsweise ersichtlich, dass es wahrscheinlich nach Alter gestufte Siedlungsteile gab: Die einen auf der Landseite gingen im Hinterland Kräuter sammeln und jagen, die anderen auf der Seeseite gingen fischen und betrieben Schweinezucht.

Aus Sicht der Entwicklung von Organisationsformen ist die Sesshaftigkeit sehr interessant. Diese war für die Menschen eventuell eher eine unkluge Entscheidung: Nach der Sesshaftigkeit lebten die Leute kürzer, weniger gesund, einseitig ernährt und körperlich mehr belastet. Durch die Landwirtschaft – zu Beginn war es primär der Ackerbau, die Viehzucht kam deutlich später – brauchten sie mehr Arbeitskräfte (wozu auch Kinder gehörten). Die Frauen gebaren acht bis neun anstelle der bisher durchschnittlich drei bis [28]vier Kinder. Diese konnten sie damit nur kürzer stillen und schlechter ernähren, die Kindersterblichkeit nahm stark zu. Und speziell: Um 7000 v.u.Z. waren Frauen und Männer gleich groß und hatten beispielsweise am Oberarm die gleiche Knochendicke. Ab Beginn der Sesshaftigkeit wurden beide deutlich kleiner, die Männer holten erst im Mittelalter wieder fast zur gleichen Größe auf wie davor – das blieb bis heute weniger oder mehr konstant. Die Frauen wurden aber wesentlich kleiner, die Armdicke sank auf rund zwei Drittel der Männerarme, nahm im Spätmittelalter etwas zu und fiel dann weiter zurück. Wie weit ist dies ein Ausdruck von sich erst in dieser Zeit einspielender Arbeitsteilung, wie weit ist das ausschließlich die Folge der stärkeren Belastung der Frauen durch die Geburten oder Ausdruck der Position der Frauen in der Gesellschaft? Spielte die schlechte Ernährung (ohne die Kräuter aus der Vorzeit, weniger vielfältig, mehr Getreide und Kohlehydrate), kombiniert mit der kleinen Eiszeit eine Rolle?

Bekannt ist, dass bis 4500 v.u.Z. die egalitäre Donaukultur mit ihren Städten mit mehreren 10.000 BewohnerInnen bestand und dass diese mit ihren hoch entwickelten Produkten regen Handel mit den Steppenvölkern im Norden des Schwarzen Meeres betrieben und die dortigen Viehzüchter eher eine patriarchale, akkumulative Kultur betrieben. Aus 4400 v.u.Z. wurden Gräber gefunden, die darauf hinweisen, dass diese Völker sich am Rande zu den Steppenvölkern friedlich vereinigt hatten, und die Viehhirten dort aber erstmals massive Akkumulation und Statuseliten geschaffen hatten und in Gräber beigesetzt wurden, welche mit feinen Goldarbeiten und mit viel Schmuck aus Donauhandwerk aber mit Motiven der Steppenvölker ausgestattet waren. Die Viehzucht breitete sich in der Donaukultur aus und die Kulturen verschmolzen. Als um 4200 v.u.Z. eine neue Kälte- und Schlechtwetterperiode einsetzte, verließen die Donauvölker ihre Wohnstätten auf den Hügeln, zogen eher ins Flachland, stellten nach und nach – die Vermutung ist, dass die fruchtbaren Böden weggeschwemmt wurden – mehrheitlich auf Viehzucht um. Um diese Zeit sind erste Spuren von zerstörten und abgebrannten Dörfern sichtbar. Damit löste nur 200 Jahre nach den ersten Zeichen von Akkumulation in Form von Gold in Männergräbern und großen Viehherden eine äußere Herausforderung wie der Klimawandel zum ersten Mal Kriege und menschliche Zerstörung aus. Das Handwerk verschwand, die Schrift, die als erste Kultur an der Donau um 4500 v.u.Z., also rund 1.200 Jahre vor den Sumerern entstanden war, geriet in Vergessenheit, es sind keine Figurinen mehr auffindbar und es gibt viele Zeichen, dass es Fluchtbewegungen nach den Kykladen und Kreta gab, wo viele derselben Motive, Kulturelemente, Schriftzeichen und ähnliche Göttinnen und matriarchale Aspekte in der Minoischen Kultur aufkeimten, bevor auch dies zufolge eines Vulkanausbruchs oder eines Tsunamis um 1500 v.u.Z. ein Ende fand. Bei den Griechen wurden dieselben Göttinnen nach und nach in Götter umgetauft und bildeten die Grundlagen der griechischen Kultur.

[29]Haben die im Patriarchat lebenden Steppenvölker aus dem unterdessen klimatisch ebenfalls abgekühlten Asien in dieser Zeit vielleicht damit unser Leben, unsere Ernährung, Kultur und Organisationsformen geprägt?

1.1.3Erste Erkenntnisse

Der Exkurs in die Vergangenheit löst viele Gedanken aus. Es ist klar, dass es hunderttausende Jahre mit matrizentrischer respektive matriarchaler Kultur und Organisationsform gab. Es ist klar, dass ab 4400 v.u.Z. andere Kultur- und Organisationsformen überhandnahmen – die Geschichte zeigt auf, dass eine Mischung von Umweltfaktoren (Klima- und Natureinflüsse und -katastrophen) und natürlichen Entwicklungsnebenwirkungen (Folgen von Sesshaftigkeit, Bevölkerungszuwachs und die Begegnung der Kulturen) entscheidend waren. In der Donauregion verlief diese anfangs friedlich, in anderen Regionen schon ab Beginn als Herrschaftszugriff. Bis heute gibt es weiterhin verschiedene verbliebene kleine Reste matriarchaler und auch egalitärer Kulturen und Völker und sehr viele matriarchale oder gemischte Kulturelemente, die in Bräuchen (zum Beispiel in Liedern, Ritualen, Hausmittelchen, Flurnamen, Aberglauben) enthalten und wieder am Aufkeimen sind (wie beispielsweise Pflanzen- und Heilwissen, indigene Organisationsformen).

Die Geschichte zeigt, dass es egalitäre Lebensformen gab, Zeiten ohne Krieg und Jahrtausende ohne Akkumulation von materiellen Gütern durch einzelne, auch nicht durch Gruppen. Ebenfalls belegt ist, dass es Zeiten gab mit viel Kriegen und den Versuchen, Kontrolle über Besitz und Ressourcen zu gewinnen.

Könnte es sein, dass die Rahmenbedingungen menschlichem Zusammenspiel Optionen eröffnen, die mittels verschiedener Organisationsformen wahrgenommen werden können, und dass jede dieser Organisationsformen einen angestrebten oder unbeabsichtigten systeminternen Impact hat? Beispielsweise, dass der Umgang mit der Fülle, Unwägbarkeit und zeitweiser Knappheit der früheren Natur mit egalitären Gruppenformen gestaltet werden konnte, und so gut überlebt werden konnte? Eine andere Hypothese wäre, dass externe Knappheit zusätzlich auch mit straffer Organisation überstanden werden kann, die logischerweise das, was überstanden werden soll (Knappheit), als zu vermeidenden Wert setzt und damit Überfülle als Ziel setzt. Damit wäre lokale interne Überfülle bei wenigen (also Ungleichheit) der Preis dafür, gut unterwegs zu sein.

Möglicherweise stellen diese zwei Varianten die Pole einerseits mit organischer, weiblicher und andererseits mit linearer, mechanischer, eher männlicher Vorgehensweise dar. Die Wahl, wo wir uns zwischen diesen Polen positionieren wollen, steht uns eigentlich offen, weil dasselbe mit verschiedenen Formen erreichbar ist.

[30]Mit der Theorie U21 hat Otto Scharmer ein wichtiges Buch vorgelegt. Er beschreibt darin einerseits, wie wir zu tiefer Co-Kreation gelangen können. Als Grundlage aber beschreibt er die blinden Flecken unserer Gesellschaft, die den Hintergrund unserer Organisationen prägen: das soziale Megaproblem (die Kluft zwischen reich und arm); das ökologische Megaproblem (der Konflikt zwischen Mensch und Natur) und das spirituelle Megaproblem (der Verlust der Ganzheit und die Suche danach). Vielleicht liegt dem nur eine Frage zugrunde: Können wir uns als Teil eines größeren Zyklus verstehen und gleichzeitig Individualität pflegen? Gibt es nur zwei Alternativen oder sind auch Verbindungen davon möglich? Die Suche nach dem »verlorenen Glück« geht weiter, wir verstehen immer mehr davon …

1.2Strukturformen und Funktionsleistungen sozialer Systeme

Eine Strukturmorphologie zeigt auf, welche Funktionsleistungen bei welcher Organisationsform gut erbracht werden können

Wie aus der Geschichte der Menschheit plausibel zutage tritt, ist Organisieren nicht einfach eine neutrale Tätigkeit, die nur auf eine Art möglich ist, sondern sie dient bestimmten Zielen. Die Organisation hat die Funktion, zu helfen, Ziele zu erreichen. Doch was sind die Ziele?

Mir gab die Strukturmorphologie von Hans Geser22 einen zentralen Impuls: Sie erklärt, wie Systeme Funktionen erbringen können. Konkret: Die Art (also Aufbau und Steuerung), wie ein System organisiert wird, prägt,

welche Leistung das System erzeugen kann (Funktionsleistung), also was es produzieren, verarbeiten, erbringen kann undwelche Wirkung das nach innen auf die Mitglieder des Systems (Integrationsleistung) hat, undmit welchen externen Anforderungen, mit welcher Umwelt (Adaptionsleistungen an die Umgebung) das System umgehen kann.

Organisationen entstehen nicht einfach so, sie sind gedankliche und konzeptionelle Konstrukte, die das Zusammenspiel ihrer Mitglieder bestimmen. Geser hat mit seiner Strukturmorphologie (die eine Weile entlang der Theorie des Soziologen Niklas Luhmann gedieh, aktuell aber leider nicht weiterentwickelt wird) wichtige Grundverständ[31]nisse geschaffen. Dieses Modell hat er für seine Dissertation erarbeitet, einer seiner Schüler (und einer meiner Lehrer), Stephan Müller, hat es weitervermittelt, aber leider nie verschriftlicht. Das Modell ist interessant und in vielen Teilen auch heute noch gültig.

Geser hat die Grundfrage vieler Führungskräfte aufgegriffen, wie eine Organisation strukturiert sein muss, damit sie ihre Aufgabe erfüllen kann. Was ist beispielsweise optimal für eine Forschungs-, was für eine Buchhaltungs- und was für eine Überwachungsabteilung? Für welche Aufgaben ist eine zentrale Führung und Kontrolle notwendig, für welche eine »lange Leine« und viel Freiheit? Unter welchen Bedingungen ergänzen sich Teams von selbst optimal? Hat die Struktur und Organisation einen Zusammenhang mit dem, was die Menschen darin leisten können? Dazu gibt es viele Erfahrungswerte, Geser als Soziologe wollte die Rahmenbedingungen dahinter erkennen.

Geser beleuchtet eine erste Facette von Organisieren: Kann die Struktur einer Organisation das leisten, was sie leisten können soll? Oder wurde auf Basis einer existierenden Struktur entschieden, was sie leisten sollte? Gerade heute ist das eine wichtige Frage, weil Organisationen so etwas Gewöhnliches geworden sind, dass man häufig die Form nimmt, die einem empfohlen wird oder im ersten Moment angemessen scheint: eine Aktiengesellschaft, eine lose Vereinigung oder eine andere Form. Danach ist man überrascht, wenn die Umsetzung nicht funktioniert oder die Form unbeabsichtigte Nebeneffekte erzeugt.

Geser beschreibt, dass für bestimmte Funktionsleistungen eines Systems entsprechende Strukturen nötig sind. Strukturen können bei Ihren Mitgliedern – auch durch deren Anordnung im Gesamtsystem – eine bestimmte Leistungsfähigkeit mobilisieren und eine bestimmte Synergie dieser Leistungen ermöglichen, haben aber auch ihre Grenzen. Häufig ist die Bewältigung der Grenzen die Kernleistung der nachfolgend entwickelten Strukturform. Geser erkannte Muster der Strukturbildung (also der Gestaltung und Steuerung) und bildete diese anhand der Gestaltung des Grades an Zentralisierung und Arbeitsteilung ab. So kam er zu verschiedenen Leistungsfähigkeiten von Strukturen. Er beschrieb, welche Strukturformen was leisten können. Sein Modell zeigt, dass bestimmte Strukturformen bestimmte Leistungen erbringen, damit aber auch in Grenzen stehen.

Geser hat durch eine einfache Gliederung sehr interessante und hilfreiche Aussagen zu Strukturformen gemacht, die zum Spiel mit Strukturen anregen. Sein Modell mit sechs Quadranten beruht auf einer Achse zum Zentralisierungsgrad des Systems als Ganzes und einer Achse zum Integrations- respektive Differenzierungsgrad der Tätigkeiten der Subsysteme:

[32]

Abb. 1: Strukturformen (Darstellung: Claudio Harder)

Erläuterungen zur Abb. 1:
Die Aussagen zur Zentralisierung beziehen sich auf die Gesamtstruktur und die Zuordnung der Steuerung. Von wo gehen Gestaltungs-, Steuerungs- und Kontrollimpulse aus, wo werden Entscheidungen getroffen und wo Informationen bezogen (zentral, halbzentral oder dezentral): zentralisiert: von einem zentralen Punkt aus gesteuert (z. B. Vorstand, CEO),halbzentralisiert: stabiles Netz von Absprachen der Leitungen verschiedener Organisationen (z. B. Verband),dezentralisiert: unabhängige Steuerung von nicht koordinierten Systemen, die sich aus Eigeninteresse so weit abstimmen, wie ihnen sinnvoll scheint (z. B. Kleingewerbe).Die Aussagen zur Arbeitsteilung beziehen sich auf den Grad von Arbeitsteilung resp. Durchmischung der Arbeitsschritte. Komplementäre Gliederung meint eine sich ergänzende Arbeits- und Aufgaben(auf)teilung, so dass sich die Schritte zur Herstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung innerhalb des Systems komplementär ergänzen.Segmentär bezeichnet den Gegenpol davon, also eine Gliederung in Subsysteme, die untereinander ohne oder ohne geklärte, fixierte Aufgaben(auf)teilung sind.

Nach Geser kann jedes System diesen Quadranten zugeordnet werden. Jeder Quadrant ermöglicht einem System drei Arten von Leistungen:

Zuerst und als zentrales die Funktionsleistung des Systems, wozu es vereinbart oder geschaffen wird (meist in Mission und Vision oder Zweck enthalten). Das ist das, was die Organisation beabsichtigt.Einen Umgang des Systems mit externen Anforderungen (Adaptionsleistungen an die Umgebung). Das ist mit Blick auf die Ungewissheit und Komplexität der Anforderungen im Umfeld von großer Bedeutung (beispielsweise erreicht Hierarchie im Feld der Dynamik der Informatik ihre Grenzen). Diese kontextbezogenen Passungen und Grenzen sind häufig nicht so bewusst.[33] Eine interne Integrationsleistungen, also Wirkungen der Struktur eines Systems auf seine Mitglieder. Dieser Aspekt wird normalerweise als selbstverständlich und gegeben angenommen, kann aber sehr variiert werden. Dies wird heute mit neuen »Betriebssystemen« wie Holokratie oder Soziokratie oder generell mit agilen Organisationen anders gestaltet – und hat andere Auswirkungen auf die Mitglieder der Organisation.

Es gilt nun, dass eine bestimmte Funktionsleistung nicht nur mit einer einzigen, sondern mit verschiedenen Strukturen erbracht werden können. Das heißt, dass eine Wahl möglich ist, die sich nach der Art des aktuellen Kontexts und nach der Art der angestrebten internen Wirkungen der Struktur richtet. Beispielsweise kann etwas sowohl erbracht werden, wenn man Menschen wenig oder mehr Befugnisse und Eigenständigkeit gibt; bei vielen Strukturformen stellt sich die Frage, ob man sie wegen der internen Nebeneffekte wählt oder wegen der Funktionsleistungen, die sie ermöglichen (z. B. im Bildungssystem: Integrations- und Anpassungseffekte oder optimale Form der Wissensvermittlung).

Zur Illustration: Eine Armee ist komplementär organisiert (Küche, Fahrzeugpflege, Technik usw. sind aufgeteilt) und zentralisiert geführt. Funktionsleistung ist, dass damit Menschen geordnet und ohne viel Diskussion auf ein Ziel ausgerichtet und geführt werden können. Adaptionsleistung ist, dass verschiedenste Menschen erreicht werden können und dass unabhängig von einem allenfalls chaotischen Umfeld das Funktionieren gesichert ist – solange das Chaos nicht stärker und der Gegner auch hierarchisch organisiert ist. Integrationsleistung ist (vielleicht ein unabsichtlicher, häufig in Friedenzeiten aber angestrebter Nebeneffekt), dass sich die Mitglieder der Armee auch integrieren und in weiten Teilen anpassen (müssen) und sich damit in übergeordnete Regeln einordnen lernen. Grenzen werden im Ernstfall erreicht: Guerillakämpfer sind dezentral (unabhängig, selbst gesteuert) und segmentär (machen vom Frühstück bis zum technischen Unterhalt alles selbst) organisiert. Sie sind dort wirksam, wo kein geordnetes Vorgehen mehr möglich ist. Damit können sie die Funktionsleistung des Systems Armee erbringen, auch wenn der Kontext mit einer Hierchie nicht mehr gefasst werden kann. Die Integrationsleistung ist desolat, selten sind sie wieder in die Gesellschaft integrierbar.

Oder: die spitalexterne Versorgung von pflegebedürftigen Menschen (Spitex) erfolgt bezüglich der Gebietsaufteilung zentral organisiert, und ist dann effizient, wenn die Mitarbeitenden ihre Zeit spontan dem Bedarf anpassen können und über eine breite Palette an Fachkenntnissen verfügen. Je mehr sie sich selbst organisieren, umso mehr gewöhnen sie sich an eine Mitbestimmung der Rahmenbedingungen.

Mit Geser wird ersichtlich, welche Vielfalt an Ausgestaltungen möglich ist, und was in etwa deren Folgen sein können. Dieser Blick stärkt das Verständnis, dass Organisationsformen [34]Lösungsversuche für die jeweils aktuellen Herausforderungen sein können. Die Wahl der Organisationsform entscheidet über das Leistungsvermögen und legt Stärken und Grenzen der Organisation fest. Mit Blick auf die Zukunft und das, was wir gestalten, zeigt sich, dass je nach gewählter Strukturform bestimmte Aufgaben besser oder weniger gut leistbar sind sowie was deren Wirkungen und Nebenwirkungen sind. Nachdem nun lange Jahre Strukturen nur mit Blick auf ihre externen Leistungen ausgewählt wurden, sind wir nun in einer Zeit angekommen (speziell Führungskräfte und OrganisationsberaterInnen), in der sowohl die externe Adaptionsleistung wie die interne Integrationsleistung bewusst mitberücksichtigt werden muss und die Strukturgestaltung mitbestimmen soll.

Bei Geser gilt: Strukturkonstituierende Eigenheiten ergeben ein

Leistungsvermögen, um den Existenzgrund der Organisation umzusetzen, undhaben auf die Mitglieder integrative und die Kommunikation bestimmende Auswirkungen.Sie sind bezüglich ihrer Wirksamkeit auf eine begrenzte Bandbreite an Kontexten eingeschränkt.

Das bedeutet, dass eine ähnliche Leistung häufig auch mit einer anderen Struktur erreicht werden kann. Die Struktur wird von der Trägerschaft normalerweise nicht wegen der Kernwirkung gewählt (das wäre auf viele andere Weisen erreichbar), sondern weil den Entscheidungsträgern die Nebenwirkungen wichtig sind – die Kernwirkung ist fast immer auch auf anderen Wegen erreichbar. Damit zeigt sich die Interessenlage als auslösender Aspekt der Strukturwahl. Allerdings: Viele sind sich bei der Wahl der Struktur nicht immer all der Auswirkungen bewusst; häufig übernehmen sie einfach etwas von anderen; die Nebenwirkungen erstaunen sie dann, nehmen sie aber in Kauf. Doch wir sind frei, diese Nebeneffekte zu wählen – wenn wir sie denn sehen können. Nehmen wir nur das Beispiel von »auswärts essen«: Dieselbe Leistung kann als Funktion verschiedener Strukturen umgesetzt werden. Ich benütze zur Beschreibung der unten stehenden Beispiele zur Gastronomie folgende Begrifflichkeiten:

a) für die Verortung im Raster der Strukturformen (s. Abb. 1):
Segmentär: ganzheitlich, integral, Einzelne machen alles, wirken auch informell zusammen, geringe Kompetenzabgrenzung;Komplementär: arbeitsteilig, ergänzend, aufeinander angewiesen, mit Kompetenzabgrenzung (bezüglich der Entscheidungen und Fähigkeiten);Steuerung: dezentralisiert, halbzentralisiert oder zentralisiert;
b) für die Wirkung und Leistung der entsprechenden Strukturform:
Adaptionsleistung: Leistungsfähigkeit innerhalb der Rahmenbedingungen, die die Umgebung setzt, insofern auch Leistung aus dem System heraus im Zusammenspiel mit dem übergeordneten und rahmenden System;[35] Integrationsleistung: Leistung an Integration für die Mitglieder/Subsysteme in der Struktur; Auswirkung auf Mitglieder und Subsysteme, insofern auch Leistung nach innen.

Verschiedenen Strukturformen werden nun in freier Anlehnung an Geser (Begrifflichkeiten im Raster zentral-dezentral und segmentär-komplementär) anhand einer externen Leistung »auswärtige Verpflegung«, die von verschiedenen Betrieben aus der Gastronomiebranche angeboten wird, dargestellt. Die Bewertungen und Beurteilungen der Auswirkungen basieren auf vielen eigenen Beobachtungen und Wahrnehmungen und sind damit persönliche Einschätzungen; sie sind nicht statistisch verifiziert.

StrukturformStrukturform und BeispielKurzbeschreibungAdaptionsleistungIntegrationsleistungZentralisiert, segmentärFamiliengeführte FastfoodketteZentrale Machtposition mit vielen Ablegern, in denen die Rollenverteilung und -kombination nach Bedarf und Tageszeit variieren kann.Hohe zeitliche Flexibilität, geringe Personalkosten, hohe Loyalität; Veränderungen am Markt und in den Kundenbedürfnissen werden rasch aufgenommen.Schafft Einkommen für Familienmitglieder; verlangt nach konformem Verhalten im Clan, kann evtl. andere Berufswünsche überlagern. Relativ hohe Einkommenssicherheit (bei eher geringem Minimallohn).Zentralisiert, komplementärMcDonald’sHierarchie, Arbeitsteilung, Effizienz, GewinnorientierungBedürfnis nach schneller Verpflegung, Gleichförmigkeit, Erwartungssicherheit (weltweit gleiche Produkte mit fast gleichem Geschmack), Skalierbarkeit. Veränderungen am Markt werden aufzuhalten versucht, langsame Reaktion auf Veränderungen der Kundenbedürfnisse.Verschiedene Kulturen sind integriert, da irrelevant; Abweichung wird sanktioniert, Selbstwirksamkeit ist minimal. Hire&Fire-Sicherheit.[36]Halbzentralisiert, segmentärSuppenküchenEs kochen immer wieder andere, keine klare Trennung in Kochen, Servieren, Abwaschen usw.Verschiedene, wenig strukturierte Gruppen sind erreichbar; es wird Gesundheit vermittelt: Veränderungen am Markt und in den Kundenbedürfnissen werden gemächlich aufgenommen.Verschiedene Mitarbeitende, ob fachlich ausgebildet oder ehrenamtliche werden integriert – ohne spezifische Funktionen, aber mit übergreifender Kompetenz. ­Hohe Einkommenssicherheit.Halbzentralisiert, komplementärRestaurant eines AltersheimesAn sich ist die Küche hierarchisch organisiert, doch die Kundenbedürfnisse sollten nicht übersehen werden – und sind damit integraler Bestandteil der Planung.Die Küche liefert Menüs für verschiedenste Zielgruppen, konfektioniert und doch immer etwas »durchschnittlicher«, als die Kunden es erwarten würden. Veränderungen am Markt und in den Kundenbedürfnissen werden zögerlich aufgenommen.Das Personal kann divers, gegenläufig sein, doch die Wirkung kann gemeinsam entfaltet werden – Konflikte liegen in wichtigen »Nuancen«: Welche Mitsprache hat wer? Gilt für alle das Gleiche? Umgang mit Geschmacks- und Geschwindigkeitsaspekten? Verschiedene Kulturaspekte (Küche – schnell; Altersheim – persönlich; Pflege – genau; Restaurant – individuell und gut) konkurrieren und belasten die interne Zusammenarbeit. Unterschiede können damit zu Konflikt und Ausschluss führen. Hohe Einkommenssicherheit.[37]Dezentralisiert, segmentärAsiatische StraßenkücheDezentrale asiatische und südliche Straßenküchen; nachfragegesteuert, von den Kunden frei konfektionierbar.Verpflegung unter allen Bedingungen in individuell gewünschter Qualität (außer gepflegt am Tisch). Veränderungen am Markt (schnelle Regulierung der Quantität) und in den Kundenbedürfnissen werden sofort, manchmal innerhalb von Stunden aufgenommen (z. B. war in Italien bei einer Lokomotivpanne im Rahmen einer halben Stunden ein Sandwichverkäufer vor Ort).Fordert von den Arbeitenden enorme Flexibilität, verlangt nach Kooperationen für Nachschubketten, erfordert hohe Identifikation mit der Tätigkeit. Ergibt wenig Einkommenssicherheit.Dezentralisiert, komplementärDönerbudeDezentrale Verpflegungsangebote in Kundennähe, teilweise im Pop-Up-System, mit begrenzten, wenig ortsgebundenen Investitionen. Manchmal mit Familienverbänden gekoppelt, auch selbstständig möglich. Mit hoher Arbeitsteilung, da rückwärtig Geräte, Rezepte, Fleischprodukte fertiggestellt werden und vor Ort nur Erwärmung, Beilagen, Verkauf erfolgt.Schnelle, günstige, sättigende Verpflegung für viele Kundengruppen. Hohe Adaptionsfähigkeit bezüglich der Quantität, Art und Weise der Verpflegung wenig flexibel: Döner bleibt in etwa Döner.Verlangt von den Mitarbeitenden hohe Flexibilität bei kaum hohen Entschädigungen. Nicht qualifizierend (ist beispielsweise nicht ausgelegt auf berufliche Weiterbildungen und -entwicklungen). Eher geringe Einkommenssicherheit, da auch saisonale oder durch Konkurrenzzuzug entstehende Veränderungen im Kundenstrom schnell weitergegeben werden.

Tab. 1: Beispiele zu den Strukturformen nach Geser (Darstellung: Claudio Harder)

[38]An diesem leicht auf viele andere Bereiche übertragbaren Beispiel der Auswärtsverpflegung wird ersichtlich, dass dieselbe Funktionsleistung von Systemen auf verschiedene Art und Weise erbracht werden kann. Zentral ist die Erkenntnis, dass wir uns bei der Strukturwahl aber häufig der Integrationsleistung der Struktur nicht bewusst sind.

So ist die Ernährungsqualität bei den oben dargestellten Möglichkeiten wahrscheinlich nur in der Altersheim- und der Suppenküche sehr bewusst gestaltet und auch besser, aber die Arbeitsqualität variiert enorm. Der damit geschaffene Arbeitsalltag hat aber Einfluss auf Familie, politische Haltung, Weltsicht, Glücksgefühle, Selbstwert, auch private Problemlösungsstrategien, weil er prägend ist und Gewohnheiten schafft.

Wenn wir nun in der Position sind, dass wir die Strukturen wählen oder mindestens beeinflussen können, weshalb führen denn viele ihre Betriebe wie McDonald’s? Weshalb wird beispielsweise eine Hierarchie gewählt, wenn eine andere Form die gleiche Leistung erbringen kann? Weshalb wurde die ursprüngliche, in der Geschichte erwähnte Organisationsform durch andere abgelöst? Sicher nicht, weil die Leistung nicht genügt hätte, nicht weil man früher Krisen nicht überstanden hätte, sondern wahrscheinlich, weil eine andere Integrationsleistung gewollt war.

Immer mehr gibt es Organisationen, die die Strukturwahl bewusst treffen. Um bestimmte Ergebnisse anzustreben suchen sie beispielsweise eine Form, die mehr Mitsprache als eine zentral organisierte Hierarchie auslöst. Damit ForscherInnen, IT-EntwicklerInnen und Mitarbeitende gut zusammenarbeiten und gute Leistungen erbringen, wählen sie die dazu passenden Strukturform. Dazu gibt es viele Möglichkeiten. Mit einem Blick in die Geschichte zeigt sich eine eindrückliche Bandbreite an Gestaltungsformen; deren Wirkungen und Nebenwirkungen werden nachvollziehbar.

Mit den nachfolgenden Organisationsparadigmen wird aufgezeigt, wie mit verschiedenen Strukturformen durch die Zeit auch verschiedene Integrationsleistungen bewirkt wurden, und dass wir heute am Punkt stehen, wo es uns bewusst sein kann, dass wir uns bei einer Wahl immer gleichzeitig für die externe (Funktions-) Leistung, die interne Wirkung und das Adaptionspotential mit dem Kontext einer Struktur entscheiden.

[39]1.3Organisationsparadigmen

Darstellung der gewachsenen, aktuell nebeneinander vorhandenen Organisationsparadigmen und Hinweise darauf, welches wann das Passendste sein könnte.

Mit dem Wissen, dass Organisationen im Rahmen einer Grundhaltung übergeordneten Werten dienen (siehe Geschichte) und dass über Strukturformen und die Ansprüche an deren Steuerbarkeit das externe Leistungspotenzial und das interne Integrationsvermögen gestaltet wird, geht der Blick tiefer zu den charakteristischen Formen, den – idealtypisch zugespitzten – Organisationsparadigmen; real bestehen sie mit fließenden Übergängen und mit Eigenschaften, die jeweils in die vor- und nachfolgende Form übergreifen. Trotzdem ist es für unsere Arbeit sinnvoll, diese groben Gliederungen aufgrund der prägnantesten Charakteristika vorzunehmen und so Hinweise auf sinnvolle Entwicklungsschritte zu erhalten.

Darauf gestoßen bin ich, als ich mir nicht erklären konnte, weshalb ich bei der einen Organisation in der Beratung intuitiv das eine Instrument passend finde und bei einer anderen Organisation bei derselben Frage ein anderes. Natürlich gibt es Erklärungen, dass in hierarchischen Organisationen anders kommuniziert werden muss, als in kollegial geführten, aber eine systematische Erklärung war dies noch nicht. Es ist aber hilfreich, wenn auch intuitive Entscheidungen erklärt und damit inkonsistente Dissonanzen23 greifbar gemacht werden können. Ich las also viel zu Kultur, Entwicklung, Gestaltung und Modellen von Organisationen und kam nicht weiter, außer dass jeweils unterschiedliche Logiken bei verschiedenen Richtungen zur Anwendung kommen – so muss etwa mit Zugang A Instrument A genommen werden, mit Zugang B das Instrument B. Beim Lesen der Einleitung von Laloux24 ahnte ich etwas, das in der Folge bei einem Austausch mit ihm klar wurde: der Zugang zur Klärung der Frage über verschiedene Organisationsparadigmen. Das ist den verschiedenen Baustilen in verschiedenen Epochen (wie beispielsweise gotische und romanische Bauweisen) ähnlich: Einmal ist A passend, ein anderes Mal B, manchmal eine Kombination davon und manchmal nur etwas ganz anderes. Damit können Lösungen gefunden werden, die maßgeschneidert auf die Eigenheiten der jeweiligen Organisation Bezug nehmen, was zu ganz anderen Ergebnissen führt, als wenn eine Beratungsperson auf dieselbe Frage bei verschiedenen Organisationen die gleiche Standardantwort gibt.

[40]Mit dem Buch »Reinventing Organizations« stellt Frederic Laloux den Stand der neuesten Organisationsformen vor. Um diese zu beschreiben, hat er eine Gliederung der vorausgegangenen Entwicklungsstufen vorgenommen. Im einleitenden Kapitel über die entwicklungsgeschichtliche Perspektive stellt er grundlegende Organisationsparadigmen zusammen (weiter unten werden diese stark ergänzt und erweitert dargelegt). Auf dieser Basis sieht er Organisationen als lebendige Systeme, die – als Charakteristik der von ihm beleuchteten Formen – Selbstführung, ganzheitliches Mitwirken der Mitarbeitenden sowie einen evolutionären – auf tätigkeits- und lebensfreundliche Entwicklung ausgerichteten – Sinn leben.

Laloux nimmt eine Wertung der Entwicklungsstufen vor, sieht aber die beschriebenen Stufen nicht als eine kontinuierliche Verbesserung an, sondern als natürliche Entwicklung, wo jede Stufe zu ihrer Zeit ihre Qualitäten, Stärken und Schwächen hat.

Laloux gab mir einen sehr wichtigen Impuls: Mit den Organisationsparadigmen formen sich Strategie, Struktur und Kultur zu einer greifbaren Organisation; wenn man versteht, welches Organisationsparadigma die Organisation lebt, eröffnen sich viele Zugänge zu Entwicklungsimpulsen und -gestaltung, auch gemeinsam mit den Mitgliedern des beratenen Systems. Im Folgenden baue ich diese Organisationsparadigmen aus und erweitere sie entsprechend eigenen Beobachtungen und Wahrnehmungen. So werden zusätzlich zu den von Laloux vorgestellten Organisationsformen die ältesten, die neuesten und die Ausgleichsparadigmen beigefügt und die von ihm dargelegten teilweise anders ausgelegt. Speziell ist, dass heute alle historisch erlebten Paradigmen mit den neu dazugekommenen nebeneinander bestehen.

Ein Phänomen ist, dass diese Paradigmen jeweils den Horizont der Menschen bestimmen, die sich darin bewegen: Innerhalb eines Paradigmas können sich die Mitglieder keine anderen Wirklichkeiten vorstellen. Für Organisationsmitglieder und BeraterInnen birgt das die Gefahr, dass sie sämtliche Lösungen innerhalb des eigenen Paradigmas denken, was passen kann, solange sie sich innerhalb der zu ihnen passenden Organisationsform bewegen. Aber da es sich insgesamt um eine Entwicklung handelt – es scheint mir, dass jede Organisation innerhalb ihres Lebens alle der Gründung nachfolgenden Phasen durchläuft – lösen Entwicklungsschritte Unwillen und Missverständnisse aus und erzeugen Bruchstellen.

Jedes Paradigma löst – wenn es nicht alle Anliegen der darin lebenden Menschen aufgreift oder wenn menschliche Entwicklungen neue Perspektiven ermöglichen – eine Suchbewegung aus, womit ein Ausgleichs- oder Ergänzungsparadigma geschaffen wird, das eben diese Mängel ausgleichen soll. Diese beinhalten normalerweise wichtige Aspekte von zurückgelassenen oder vergessenen Paradigmen. Meist sind es nur Minderheiten, [41]die diese Aspekte aufgreifen, erstaunlicherweise sprechen sie damit aber Bedürfnisse größerer Gruppen in den Hauptparadigmen an und decken etwas von dem auf, was zum nächsten Paradigma führt – oder regen Organisationen an, das Ausgleichsparadigma gleich selbst zu integrieren (wie es beispielsweise Google macht). Doch der Reihe nach.

1.3.1Organisch-zyklische Organisation

Erscheinungszeit: Die organisch-zyklische Organisationsform war seit Urzeiten bis ca. 5500 v.u.Z. für wahrscheinlich fast alle BewohnerInnen dieser Erde die einzig bekannte Organisationsform. In Teilen von Europa und in Kreta hielt diese Form bis ca. 1500 v.u.Z. an. Dieses Zeitalter gilt als das längste, das wir historisch beobachten können, und kann als matriarchal25 benannt werden. Heute ist dieses Paradigma noch in den Resten matriarchaler Kulturen26 in Asien, Afrika und Amerika sichtbar.

Charakteristik: Gruppen, Sippen und Gemeinschaften organisieren sich entlang dem Prozess des zyklischen Werdens und Vergehens. Die VertreterInnen dieses Paradigmas, vor allem Frauen, haben auch aus eigener Erfahrung einen guten Zugang zu diesen Prozessen. Erfahrene Frauen begleiten gemeinsam zu lebensförderlichen, dem Ganzen nachhaltig dienenden Entscheidungen, da sie diese Logik verstehen. Damit ordnet man sich den natürlichen Prozessen unter, versteht diese und bewältigt den Alltag. Machtfaktor ist das Sich-ihrer-selbst-bewusst-Sein der Frauen und die durch den Bezug zu den bestimmenden Faktoren entstandene natürliche Autorität. Maßgebend ist der organische Fortbestand des großen Ganzen, innerhalb dessen sich die Menschen bewegen – das Individuum hat keine überhöhte, exklusive Bedeutung, sondern ist integral Teil des Ganzen, das genährt, begleitet und gepflegt wird.

Beschrieben wird diese Organisationsstufe von Carola Meier-Seethaler27, Harald Haarmann28, Heide Göttner-Abendroth29, Ursula Seghezzi30, Fabian Scheidler31 und auf nachvollziehbare Weise ganz umfassend durch Marija Gimbutas32.

[42]Dieses Paradigma ist gleichzeitig Organisationsprinzip und spirituelle Haltung, da der Zyklus ganzheitlich und als für alle Lebensprozesse gültig verstanden wurde.

Leistungsvermögen: Dieses Paradigmas ermöglicht im Ausgesetztsein gegenüber Schicksal, Natur und Ungewissem sowohl Struktur als auch Sicherheit und definiert Prozesse, gemäß denen der Alltag – unter Würdigung der Rahmenbedingungen – ablaufen kann: Werden und Vergehen (und wieder Werden); naturbezogen.

Grenzen: Die Entdeckung der Metalle ermöglichte »Massenwaffen«, mithilfe derer Gruppen eingeschüchtert werden konnten und die genau dem Bedürfnis von Kräftigen entsprachen, Macht über andere auszuüben, über Natur und Soziales zu bestimmen. Das organisch-zyklische Paradigma kann Gewalt, Individualität und Kampf gegen die Ganzheit aber nicht integrieren.

Eine weitere Grenze ist, dass Massen- und Mengengeschäfte mit dem sehr persönlichen, naturverbundenen, fast mystischen organischen Paradigma nicht möglich waren.

Mit dem Bronzezeitalter und dem Vordringen der Hirtenkulturen aus dem Osten begann ab 4500 v.u.Z. der Wechsel und um 1500 v.u.Z. setzte sich das Patriarchat mehrheitlich durch, das in die Tribale und später hierarchische Form überführte.

Impulse: Wir haben heute Elemente von den Urvölkern und aus vielen indianisch geprägten Formen in die Organisationsentwicklung übernommen: Konfliktmoderation mit Dynamic Facilitation33, Organisieren und Führen mit dem Organisationskompass,34 schamanische Elemente, soziokratische Kreisgespräche,35 gezielt zuhören, Entscheidungsverfahren. Aus dieser Zeit gibt es bis heute mündliche Überlieferungen, da das Wichtige und Wesentliche nur im Gespräch übermittelt und nur dort das richtige Verständnis gesichert werden kann. Interessanterweise hätte wohl kaum eine Schrift über alle diese Zeiten das Wissen weitergeben können.

Beispiel: Frühe Hochkulturen der damaligen und heute noch bestehenden matriarchalen Völker36, Kooperativen, selbstständige Klein- und EinzelunternehmerInnen, schamanische und spirituelle Gruppen.

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Symbol: Der Baum steht – als Vertreter für alle natürlichen Prozesse – für die Verwurzelung, das organische, begrenzte, langsame und doch stetige Wachstum, die organischen und immerwährenden Zyklen und (wie später aufgezeigt wird) die Möglichkeiten an Instrumenten, die angesetzt werden können.

Übergänge in duale Formen

Das organisch-zyklische Paradigma galt über Jahrmillionen; es war ganzheitlich und beließ die Menschen als Teil der Natur ohne Dominanz über das ganze Geschehen – den natürlichen Zyklen unter- und eingeordnet und damit auch ausgesetzt. Dieses Paradigma wurde nicht freiwillig verlassen. Die Veränderung war geprägt von Jahrtausenden von Klima- und Hungerkatastrophen die andauernde Flucht- und Wanderungsbewegungen auslösten. Diese konnten lange absorbiert werden, führten aber immer mehr zu einem kriegerischen und konfliktreichen Übergang in nächste Paradigmen, die der kriegerischen Grundhaltung entsprachen, menschliche Kultur prägten und sich erst heute teilweise auflösen.

Gegen Ende dieses Übergangs (zwischen 3000 und 1500 v.u.Z.) begannen Versuche, die neu das Leben bestimmenden Kräfte zu benennen, um so auch deren Gunst erlangen zu können, was später in Religionsgründungen und den Götterglaube überging. Govinda37 beschreibt anhand seiner Betrachtungen zum Buddhismus einen nachvollziehbaren Entwicklungsweg, der als prototypisch und plausibel für diese Entwicklungen gelten kann: Er legt dar, wie in der Geschichte der Menschen nach einer langen, ganzheitlichen, integrierten Phase sich Rituale vom Inhalt abzulösen beginnen. In der Folge wird versucht, Mächte hinter dem (Welt-)Geschehen zu erfassen, bevor diese wieder spirituell und philosophisch integriert werden.