Orte - H.-Georg Lützenkirchen - E-Book

Beschreibung

Rolandseck. Wetzlar. Laboe. Drei Orte in Deutschland. Kultur, Geschichte, Politik.

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Inhalt

Rolandseck

Wetzlar

Laboe

Eine Zeittafel

Literaturhinweise

Rolandseck

Steigt man hier an einem sonnigen Sommertag aus dem Zug, meint man sich in ein Idyll versetzt. Zur einen Seite steigt in üppigem Grün der Hang steil an. Die Bahnstrecke ist eng an den Hang gepresst. Folgt dem natürlichen Verlauf des Tals, das hier wenig Raum findet zwischen Hang und Fluss. Der glänzt von der anderen Seite breit herüber. Ich blicke dem Gleisverlauf in Richtung Norden nach. Es flirrt über den Gleisen die heiße Luft, aus der sich in kleiner Entfernung der Rolandsbogen erhebt. Kulturlandschaft. Die Helligkeit blendet mich einen Moment, bevor die gusseisernen schlanken Säulen, der Bahnhofsvorhalle, die harte Schatten werfen, einen Eindruck südländischer Eleganz vermitteln. Die sonnendurchtränkte Galerie vor dem Bahnhofsgebäude, geprägt von diesen Säulen, versetzt mich völlig in ein unerwartetes Arkadien. Bahnhof Rolandseck!

*

Mitte des 19. Jahrhunderts war Rolandseck ein bei betuchten Bürgern sehr beliebtes Ausflugsziel. Zugaben der Rheinromantik waren hier zuhauf zu finden: der grandios-großzügige Blick über den Rhein hinüber zum Siebengebirge mit dem nahen Drachenfels, die Insel Nonnenwerth, nah bei der Rolandsbogen, letzter Rest der einstigen Burg Rolandseck, die im 12. Jahrhundert vom Kölner Erzbischof errichtet worden war. Die Burg stürzte infolge eines Erdbebens 1676 den Hang hinab, nur ein Fenster, eben der Bogen, blieb stehen - bis 1839. Da tobte ein Unwetter durchs Rheintal und ihm fiel nun auch der Bogen zum Opfer.

*

Es war der Dichter Ferdinand von Freiligrath, der eine populäre Spendenaktion zum Wiederaufbau des Bogens in Gang setzte. 1840 stand er wieder und der Rolandsbogen wurde sogleich zu einem der prägenden Signalorte, an der sich die nun beginnende große Zeit der Rheinromantik samt der dazugehörigen Legenden orientierte.

*

Dem Dichter dankte man's. Ich steige hinan zum Rolandsbogen auf wegs zum Dichterdenkmal. Von der viel befahrenen B 9 kommend, betrete ich eine hier, gleich neben dem Rolandshof mündende schmale Straße, die waldwärts sich zum Fußweg verengt. Ein altes, aus den Wirtschaftswunderjahren der automobilen Aufrüstung der Bundesrepublik stammendes Schild steht hier noch an der Ausfahrt zur Straße und warnt vor der Gefahrstelle „Hauptverkehrsstraße“. Seit den 1950er Jahren herrscht sie, die B 9, mit eigenem Gesetz hier über das enge Terrain zwischen waldigem Hang und Rheinufer. Ich wende ihr den Rücken zu, verschwinde im grünem Hohlweg und nach knapp der Hälfte des Weges gelange ich auf eine kleine Waldlichtung. Hier steht das Freiligrath-Denkmal. Im Juni 1914, wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wurde es eingeweiht und bis heute strahlt es eine gediegen-vaterländische Würde aus – bis in die Züge der fein gestaltet auf einem Sockel ruhenden Bronzebüste des Dichters. Aus anderer Zeit stammt eine Tafel, die aus gegebenem Anlass den vaterländischen Zusammenhang aufgreift und an den Dichter als Urheber des emanzipatorischen Protestrufs von 1989 erinnert: „Wir sind das Volk!“ stammt aus seinem Gedicht „Trotz alledem!“:

„Wir sind das Volk, die Menschheit wir, / Sind ewig drum, trotz alledem.“

Karl Marx druckte das Gedicht in der „Neuen Rheinischen Zeitung“. Ich lobe diesen Hinweis hier an Freiligraths Denkmal, eingedenk dessen, dass das Volk endgültig wiedervereinigungsreif erst mit dem veränderten Slogan wurde: „Wir sind ein Volk.“

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Mit dem wiedererrichteten Rolandsbogen erfuhr die Rheinromantik einen neuen touristischen Schub. Hier war es auch die kühne Aneignung der Rolandslegende. Denn dieser Ritter Roland, ein Gefährte von Karl dem Großen während seiner Feldzüge im nördlichen Spanien gegen die Mauren, stammte, so will es die Sage, von hier. Von wo genau? Zu Karl des Großen Lebzeiten stand an dieser Stelle noch keine Burg. Egal, er, Roland, zog sowieso fort von hier: mit Karl dem Großen gegen die Mauren. Und tat seinem Herrn gute Dienste. Den letzten schließlich, und davon berichtet das im 11. Jahrhundert entstandene „Rolandslied“, als er mit einigen wenigen ihm verbliebenen Getreuen die Nachhut bildete für seines Herrn Streitkräfte, die sich auf dem Rückzug von Kämpfen in der Gegend von Pamplona nach Frankreich durch das unwegsame Gebirge der Pyrenäen befanden. Die Nachhut geriet in einen Hinterhalt, wurde überfallen und es drohte akute Gefahr für Karl und seine Streitmacht. Doch tapfer hielt nun Roland aus, seinem Herrn so Zeit und Vorsprung zu verschaffen. Als schließlich die Übermacht dann doch zu gewaltig ist, Rolands Getreue längst getötet sind, bläst er noch ein letztes Mal in sein gewaltiges Horn, bevor auch er sein Leben lässt. Des Hornes durchdringende Todesmelodie hört der Kaiser, ist gewarnt… und gerettet. In Roncesvalles, dem Ort in den Pyrenäen, wo Roland seine Heldentat zum Ruhme der Christenheit mit dem Tode bezahlte, erinnert eine gewaltige Grabstätte an den Helden, Hierhin pilgern die Menschen, die sich auf den Jakobsweg begeben. Denn ihnen gilt Roland als großer Matamores, als Maurentöter, als Gefährte des Heiligen Jakobus.

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Derweil aber Roland in fremder Umgebung zur Rettung der Christenheit mit seinem Herrn unterwegs war, trauerte am Rhein eine Frau – Hildegunde vom Drachenfels. Sie war die Braut des edlen Ritters. Jedoch was für eine Braut, deren Bräutigam weit weg war? Hildegunde ging ins Kloster auf der Insel Nonnenwerth, ihr Treuebeweis. Vom Kloster aus konnte man hinauf zur Burg, auf das Fenster, schauen. Täglich saß sie nun am Fenster ihrer Klosterzelle auf der Rheininsel und schaute sehnsuchtsvoll hinauf zum Burgfenster. Auf dass sie endlich dort das Licht erblickte, das die Rückkehr des Bräutigams anzeigen würde. Jedoch kein Licht erstrahlte, es blieb dunkel und die Dunkelheit breitete sich aus. Am Ende erreichte sie die ausharrend sehnende Hildegunde. Das Dunkel umgab sie für immer. Aber ihre Sehnsucht war ihr Liebesbeweis. Und daran denkt der, der heute durch den Bogen, der nach seiner letzten Renovierung 2011 sein üppig-romantisierendes Rankengrün verloren hat und nunmehr nur als nacktes steinernes Gebäude das Tal beherrscht, hinab auf die Insel Nonnenwerth schaut. Oder war es doch anders und ich hab was verwechselt? Schaute vielleicht der zurückgekehrte edle Ritter sehnend hinab aufs Kloster, wo seine Geliebte so nah und doch so fern verborgen war?

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„Ich saß am grünen Strand von Rolandseck. Mir war / Als wandle drüben in der Mädchenschar / Auf Nonnenwerth noch immer Rolands Nonne“ sinnierte noch 1912 Guillaume Appollinaire, um einen der Berühmten zu nennen, die zuhauf immer wieder nach Rolandseck gekommen waren. Es sei aber bewusst der Franzose zitiert. Denn steckt nicht eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet ein Franzose hier der treudeutsch romantischen Vereinnahmung des Helden Roland, dessen Lied erstmals in französischer Sprache gesungen wurde, seine Referenz erweist? Aber wie's auch die Engländer, die wahren Entdecker der Rheinromantik, schon gemerkt hatten: romantisch war es hier, jedoch deutsch nur in dem Maße, wie es der Romantik unabkömmlich war.

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Die Zugreisenden kamen also hier am Bahnhof an. 1855 war die Strecke, die Köln und Bonn bis „an den Fuß des Siebengebirges“ verlängern sollte, eröffnet worden. Nicht zuletzt hatten wohlhabende rheinische und Kölner Bürgerkreise auf diese Strecke gedrängt. Sie wünschten die direkte Verbindung in dieses Rheinidyll. 1858 wurde dann das Empfangsgebäude des Bahnhofs im repräsentativen klassizistischen Stil errichtet. Der Eisenbahningenieur und Geheime Ober-Baurat Emil Hermann Hartwich (1801 – 1879), beeinflusst vom Bauideal des klassizistischen Stils nach dem Vorbild des berühmten Schinkel, errichtete einen zweigeschossigen Bau, an den Seiten von zwei Eckbauten flankiert, deren flache Giebel den mittigen Hauptbau etwas überragen. Zwei umlaufende gusseiserne Aussichtsgalerien prägten den eleganten Charakter des Gebäudes. Heute ist nur noch die vordere, dem Rhein zugewandte Galerie erhalten. Die hintere, von wo aus man die ein- und ausfahrenden Dampflokomotiven bewundern sollte, um zu verstehen, wie sinnfällig Preußen einmal mehr die Moderne – die Eisenbahn – mit den alten Traditionen – der deutsche Rhein – zu verbinden wusste, sind später abgebaut worden.

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