Ostseeglück - Stephanie Eden - E-Book

Ostseeglück E-Book

Stephanie Eden

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Beschreibung

Einmal im Jahr geht es an die Ostsee – für viele Familien gehört das zu den unausgesprochenen Regeln. Stephanie Eden war diese kurze Auszeit auf dem Land irgendwann nicht mehr genug. Nach der Geburt ihrer Zwillingstöchter merkt sie, dass das Leben in der Großstadt sich nicht mehr richtig anfühlt, dass es ihren Werten nicht mehr entspricht. Zeit für einen Neustart! Ihr Ziel: mit Begeisterung und Leidenschaft zu arbeiten und ein nachhaltiges Leben im Takt der Natur zu führen. Stephanie Eden baut ihre eigene Imkerei an der Ostsee auf und erlebt sowohl erste Erfolge als auch herbe Rückschläge. Die Bienen lehren sie dabei, dass nicht alles im Leben planbar ist. Zugleich erfährt sie, wie erfüllend es sein kann, sich vom ständigen Streben nach mehr zu verabschieden und mit ganzer Aufmerksamkeit bei sich zu sein. So hat Stephanie Eden für sich und ihre Familie eine neue Heimat geschaffen, zwischen duftenden Rapsfeldern und summenden Bienen. Ihr Buch ist ein Plädoyer dafür, auf das eigene Bauchgefühl zu hören – und auch mal einen Sprung ins Ungewisse zu wagen.

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Seitenzahl: 314

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Bei den Figuren in diesem Buch handelt es sich um reale Personen. Die Autorin erzählt deren Handlungen, Aussagen und Motive nach bestem Wissen und Gewissen nach. Die Dialoge sind den tatsächlich stattgefundenen Gesprächen nachempfunden und geben nicht eins zu eins die Aussagen der tatsächlichen Personen wieder.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Herauskatapultiert

Wie ich die Resettaste in meinem Leben drücke und es zur bestmöglichen Lücke in meinem ach so perfekten Lebenslauf kommt

Mein Plan

Wie mein weiterer Weg nicht immer schnurgerade verläuft, ich dennoch meine Passion finde und meine Familie überzeuge, dass diese absolut großartig ist

Alles anders als gedacht

Wie ein Schwarm mich lehrt, dass Theorie und Praxis zwei völlig unterschiedliche Dinge sind, und die Natur und meine Bienen sich nicht nach einem klaren Plan richten

Mein Traum von der Streuobstwiese

Wie meine Bienen mich mit einem honigliebenden Bären verwechseln und ich auf einer verwunschenen Streuobstwiese den perfekten Platz für sie finde

Die kleinen Wunder im Bienenstock

Wie ich meinen Imkerpaten finde und er meinen Blick für die kleinen Wunder im Bienenstock und im Leben schärft

Der Anker ist ausgeworfen

Warum Imkern so zuverlässig entspannt und glücklich macht und wie ich lerne, dass es manchmal einfach nur Geduld braucht

Willkommen in der Imkerwelt

Wie ich lerne, dass die Vereinsimkerei eine schräge, aber liebenswerte Welt für sich ist, und ich meinen Weg zu einer nachhaltigen Imkerei finde

Süße Weltrettung aus Kinderaugen

Von gierigen Gästen und bummeligen Beobachter*innen am Bienenstock

Nachhaltig imkern

Warum ich mich für ökologische Materialien begeistere und das respektvolle Arbeiten mit der Natur und die Achtung vor Tieren im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen

Unbeirrt

Wie ich mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert werde und spüre, dass Ausgeglichenheit und Ruhe auch auf meine Bienenvölker abfärben

Nah an der Natur

Wie mich ein verregnetes Frühjahr fast aus der Bahn wirft und ich lerne, dass mehr Technik in meiner Imkerei nicht unbedingt hilfreich ist

Traumberuf Imkerin

Über das Glück, sich vom ständigen Streben nach mehr zu verabschieden, und warum es so erfüllend ist, mit ganzer Aufmerksamkeit bei sich und seiner Arbeit zu sein

Inspiration Biene

Von Hippievölkern, Architektenbienen und warum wir von den Bienen lernen können, dass ein Gemeinwesen auf Dauer nur bestehen kann, wenn alle Beteiligten dabei gewinnen

Mit Bienenwachs und Baumwolle gegen den Plastikwahnsinn

Warum Plastikmüll eines der größten ökologischen Probleme unserer Zeit ist und wie ich eine sinnvolle sowie sinnliche Alternative finde

Bewusster Genuss

Wie gutes Essen, nachhaltige Lebensmittelproduktion und die Erziehung zu bewusstem Genuss zusammenhängen und warum ein Übermaß an industriell verarbeitetem Zucker auch den Bienen schadet

Das Insektensterben und die Bienenkrise

Warum die Honigbiene ein unschlagbarer Indikator für funktionierende Ökosysteme ist und wir den Wert guter Lebensmittel neu schätzen lernen müssen

Das Bienenjahr verklingt

Wie mich die Imkerei verändert hat und mich das Eingebundensein in den Kreislauf der Bienen ruhiger und zufriedener macht

Alles neu

Wie die Bienen meinen Blick auf das kleine Glück lenken und mir zeigen, dass es im Leben darum geht, Veränderungen anzunehmen und das Beste daraus zu machen

 

Nachwort

Glossar

Ausgewählte Literatur

Für Irmgard

Vorwort

Wir müssen das, was wir denken, auch sagen.

Wir müssen das, was wir sagen, auch tun.

Und wir müssen das, was wir tun, dann auch sein.

Alfred Herrhausen

Fasziniert beobachte ich, wie der frische Honig, den ich erst am frühen Morgen meinen Bienenvölkern entnommen habe, goldglitzernd durch das Sieb in den Eimer fließt. Wenige Sekunden zuvor war der Raum noch vom lauten metallischen Surren der Honigschleuder erfüllt gewesen. Dann hatte ich, aufgeregt und etwas unsicher, den glänzenden Hahn der funkelnagelneuen Schleuder geöffnet. Und nun betrachten wir wortlos und nahezu ehrfürchtig das Ergebnis wochenlanger Arbeit. Das einzige Geräusch, das jetzt in meiner kleinen Honigmanufaktur zu vernehmen ist, kann ich mit nichts, was ich je zuvor gehört habe, vergleichen. Es ist das satte, langsame und zufriedene Falten meines eigenen Honigs.

Mein Mann und ich wissen bei diesem Anblick um die vielen Mühen der Sammlerbienen, die Tropfen für Tropfen des leuchtenden Honigs eingebracht haben. Und um unsere Sorgen in den vergangenen Wochen. Denn unerbittlich hatte es Tag und Nacht in meinem Hinterkopf gehämmert: Wird das Wetter an der Ostseeküste in diesem Frühjahr mitspielen? Können sich meine Völker in den Holzzargen rechtzeitig entwickeln, sodass genügend Sammlerbienen geschlüpft und bereit sind, wenn der Raps blüht? Schaffe ich es, den einen richtigen Zeitpunkt für die Ernte und das Rühren zu wählen, sodass es ein perfekter Honig wird? Es gibt so viele Fragezeichen und so wenig Gewissheit in der Imkerei. Aber genau diese Herausforderung hatte ich gesucht, und sie war einer der Gründe gewesen, etwas Neues zu beginnen und meine kleine Honigmanufaktur zu gründen.

Beim Kosten mit geschlossenen Augen wird aus unserer ersten vorsichtigen Ahnung schließlich Gewissheit: Meine Bienen haben einen wundervollen Honig mit kräftigem Aroma und intensivem Duft eingetragen, der nicht zu süß ist. Dieser Honig leuchtet wie eine Frühlingsblütenwiese im Sonnenschein – und er schmeckt auch so!

In den vergangenen Monaten war ich immer wieder hin- und hergerissen gewesen zwischen der Freude über das, was ich bereits erreicht hatte, und der nahezu überwältigenden Sorge, ob dieser Neustart in meinem Leben tatsächlich die richtige Entscheidung war. Mein Plan, eine kleine Honigmanufaktur zu gründen und den Honig aus meiner nachhaltigen und bienenfreundlichen Imkerei zu verkaufen, hatte seinen Beginn mit zwei Bienenvölkern in unserem Garten genommen, ist Stück für Stück über Jahre gereift und nun Wirklichkeit geworden.

Ich blicke von der Honigschleuder auf, neben die ich mich in meiner Anspannung gekniet hatte, um meiner Honigernte noch ein Stückchen näher zu sein, und schaue meinen Mann an. In seinem Blick spiegelt sich all das, was ich selbst gerade empfinde: jede Menge Glück, ein wenig Stolz und zugegebenermaßen auch eine Portion Erleichterung. Ich spüre, dass sich all die Anstrengungen der vergangenen Monate gelohnt haben. Ich habe tatsächlich einen Neuanfang in meinem Leben gewagt und meine Ängste und Zweifel überwunden. Nun weiß ich, dass mein Weg der richtige ist. Meine Sehnsucht, an etwas Echtem zu arbeiten und nicht länger, wie in meinem bisherigen Schreibtischjob, an einer belanglosen Oberfläche zu kratzen, hat sich erfüllt. Die Zuversicht wächst, dass ich für die Herausforderungen, die noch vor mir liegen, gewappnet bin.

Irgendwann nach langen, zermürbenden Jahren im Büro war ich wie viele andere Menschen an einem Punkt im Leben angelangt, an dem mir klar wurde: Entweder ich richte mich in meinem bequemen Job ein, werfe die nagenden Fragen über Sinnhaftigkeit, Werte und Lebensziele über Bord, mache einfach meine Arbeit und schaue in dreißig Jahren in den Spiegel, um festzustellen, dass das Leben an mir vorbeigerauscht ist. Oder ich krempele mein Leben radikal um und wage etwas Neues, um das zu tun, wofür ich wirklich brenne. An diesem Punkt angelangt, war die Entscheidung tief in mir jedoch schon lange gefallen. Für den Neustart.

Dieser eine Moment, in dem für mich die Entscheidung für ein anderes Leben unumkehrbar fiel, erscheint von außen betrachtet völlig unspektakulär. Begeistert hatte ich mich in ein großes Projekt gestürzt und kannte bald keine Feierabende und Wochenenden mehr. Bereitwillig ließ ich mir einen Teil meines Jahresurlaubs ausbezahlen, so sehr hatte ich mich in meinem Job-Hamsterrad eingerichtet. Nach monatelanger Arbeit fand das Projekt schließlich seinen fulminanten Abschluss. Jegliche Erwartungen wurden übertroffen, und so freute ich mich auf ein entspanntes gegenseitiges Auf-die-Schulter-Klopfen, als ich mit meinem Chef und unserer Geschäftsführung direkt nach dem Projektabschluss in lockerer Runde zusammenstand.

In genau diesem Moment vernahm ich jedoch ungläubig, wie mein Chef vor versammelter Runde ein nächstes, noch spektakuläreres Projekt ankündigte. Ich war völlig ausgebrannt und definitiv nicht in der Lage, mich unmittelbar auf das nächste Ziel einzulassen. Souverän lächelte ich meine Ernüchterung und Fassungslosigkeit weg, aber in diesem Moment wusste ich glasklar, dass ich in einem völlig falschen Leben steckte. Auf jeden Fall hatte dieses ständige, unaufhaltsame Streben nach mehr nichts, aber auch gar nichts mit meinen Werten und Lebenszielen zu tun. Die hedonistische Tretmühle, dass es im Leben immer höher, schneller und weiter gehen muss, verfing an diesem Punkt nicht mehr bei mir.

Ich wusste in diesem Moment nicht annähernd, wie ein anderes Leben aussehen sollte. Aber ich begann, mich von allem Alten zu lösen und die überwältigend große Frage zuzulassen, wie ein wirklich erfüllendes Leben für mich aussehen könnte. Bis ich für mich eine Antwort finden und einen klaren Neustart wagen würde, dauerte es allerdings noch eine Zeit.

Schließlich habe ich mein Leben umgekrempelt, und gut zehn Jahre später ist mein Leben tatsächlich ein völlig anderes. Nicht nur dass heute drei Kinder mein Leben bunt und turbulent machen, ich habe zugleich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht und mich vom stetigen Streben nach mehr verabschiedet. Meine Bienen summen heute an den schönsten Plätzen der Lübecker Bucht und machen mit ihrem Honig die Landschaft schmeckbar. Timmendorf, Travemünde und Scharbeutz sind Orte, die ich früher nur von kurzen Ausflügen am Wochenende kannte. Geduldig reihten wir uns samstagvormittags in die endlose Autoschlange auf der A1 ein, die die von der Bürowoche ermatteten Hamburger Großstädter an die Ostseeküste spülte. Heute habe ich diese hastigen Wochenendausflüge, Business-Kostüme und meinen Rollkoffer gegen Latzhose, Gummistiefel und eilig zusammengebundene Haare getauscht, bin auf den Wiesen und Feldern entlang der Ostseeküste zu Hause und spüre jeden Tag, wie mich das Gefühl großer Zufriedenheit durchströmt.

Ich erlebe täglich die Ostseeküste mit ihrem salzigen Wind, der strahlenden Sonne, ihren knallgelben Rapsfeldern, den rauen Steilküsten, aber auch den einsamen Stränden und sanften Wellen. Und all dies macht mir jeden Tag unbändige Lust auf meine Arbeit.

In diesem Buch erzähle ich von meiner großen Leidenschaft, den Bienen, und wie sie mein Leben verändert haben. Sie werden mich auf den folgenden Seiten durch das Bienenjahr begleiten und so en passant viel Wissenswertes über das Imkern erfahren. Nebenbei lernen Sie die besondere Gemeinschaft der Bienen kennen, erhalten Einblicke in ihre emsige Arbeit und die Bedeutung ihrer Bestäubungsleistung, die so essenziell für unsere Ökosysteme und die Landwirtschaft, die Pflanzenwelt und damit unser Leben ist. Kurzum erfahren Sie alles, was man über diese erstaunlichen Insekten wissen sollte und was wir von ihnen lernen können. In einem Glossar am Ende des Buches werden außerdem alle wichtigen Begriffe rund um das Imkern erklärt.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende und vergnügliche Lektüre und hoffe, Sie für meine Liebe zu den Bienen und das bereichernde Summen im Leben begeistern zu können!

Herauskatapultiert

Wie ich die Resettaste in meinem Leben drücke und es zur bestmöglichen Lücke in meinem ach so perfekten Lebenslauf kommt

Wenn ich beim Verkauf meines Honigs gefragt werde, was mir dieses Strahlen in mein Gesicht zaubert, wenn ich von meiner Arbeit erzähle, dann ist es mir unmöglich, mit nur wenigen Sätzen darauf zu antworten. Denn die Antwort darauf liegt eigentlich bereits in meiner Kindheit, hat sich über die Zeit entwickelt und ist viele holprige Umwege gegangen.

Mein Lebenslauf ist kunterbunt, und dass mein Weg mich einmal zu den Bienen und schließlich zu einem honigsüßen Unternehmen führen würde, war nicht wirklich vorgezeichnet. Aber der Reihe nach. Alles beginnt damit, dass ich nach dem Abitur als Flugbegleiterin rund um die Welt fliege, um mein Politikwissenschaftsstudium zu finanzieren. Wohin mich das einmal führen soll, dazu habe ich zugegebenermaßen keine Ahnung. Ich weiß nur: Hör auf dein Bauchgefühl und studiere das, was du liebst und was dich berührt. Alles andere findet sich. Irgendwie.

Zurückblickend betrachtet, gebe ich zu, dass dies eine ziemlich jugendlich-idealistische Sicht auf die Dinge war, die aber sehr schnell der Realität weichen sollte. Nach dem Examen folgen Stationen in der Hamburger Welt der Kommunikations- und Werbeagenturen, ganz klassisch, wie man es sich so vorstellt, mit Kickertisch, Biolimo und Entspannungslounge – und einem Arbeitspensum, bei dem man wie ich nach vier Jahren im Job entweder kurz vorm Burn-out steht oder kokst. Je nach persönlicher Veranlagung.

Ich bin offenbar der Typ für Ersteres, und nach mehreren Monaten, in denen sich Infekt an Infekt reiht, ist klar, dass es so definitiv nicht weitergeht. Mein Körper hat offensichtlich die Reißleine gezogen und streikt. Es folgt ein klarer Schnitt, und wenn ich in irgendetwas wirklich gut bin, dann darin, in einer Krise ins kalte Wasser zu springen und meinen Blick nach vorn zu richten.

Neustart in Berlin-Mitte

Wie von Zauberhand verwandelt sitze ich tatsächlich keine zwölf Monate und einen Umzug später am Schreibtisch einer großen deutschen Finanzgruppe mit Blick auf die weihnachtlich erleuchtete Berliner Friedrichstraße. Und kurioserweise sitzt mir schon nach wenigen Wochen mein ehemaliger Agenturchef in dem imposant eleganten Konferenzraum gegenüber, der angestrengt um einen großen Etat bei uns pitcht.

Ganz ehrlich: Der Wechsel auf Unternehmens- und damit Auftraggeberseite sowie das Durchstehen der trostlosen ersten Monate in diesem sibirisch anmutenden Berliner Winter haben sich spätestens in diesem Moment gelohnt. Schlicht und einfach für diesen Moment, in dem sich die Machtsituation zwischen meinem ehemaligen Chef und mir zumindest für einen Augenblick diametral verschiebt. Um genau dem Menschen gegenüberzusitzen und in die Augen zu schauen, der noch vor Kurzem im Gehaltsgespräch mein Engagement und meine Arbeit in den höchsten Tönen gelobt, aber prompt schmallippig auf meinen Wunsch nach einer vermögenswirksamen Leistung für knapp vierzig Euro reagiert hatte. Echte hippe Agentur-Mitarbeiterwertschätzung eben. Ich bin sicherlich nicht die Erste oder Einzige, der es so ergangen ist. Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass so eine Erfahrung nichts mit einem macht, wenn man gerade erst begeistert, mit großem Enthusiasmus und völlig naiv in das Berufsleben gestartet ist.

Nicht dass mein Votum ausschlaggebend gewesen wäre – der Zufall will, dass meine ehemalige Agentur diesen Pitch nicht gewinnt. Ich dagegen gewinne mit dem Wechsel in die Hauptstadt einen großartigen neuen Chef, spannende Aufgaben und eine fordernde Arbeit in einem entspannten, kreativen Team. Anders als in der Agentur habe ich nun das Gefühl, dass meine Arbeit wirklich wertgeschätzt wird und ich Projekte inhaltlich mitgestalten kann. Sieben Jahre lang sind dieser Job und das Leben in Berlin so erfüllend, wie ich es mir zu Beginn erhofft hatte.

Um meine Selbstoptimierung und Ziele immer noch ein bisschen weiter stecken zu können, laufe ich zur Entspannung Marathon. Das Ganze hätte lässig so weitergehen können, bis, ja, bis ich erkennen muss, wie ich mich mit dem ständigen Streben nach mehr nicht mehr identifizieren kann. Dies ist der Startpunkt, mich für etwas Neues in meinem Leben zu öffnen.

Wenn man an diesen Punkt kommt, an dem man sich innerlich von seinem bequem eingerichteten Leben zu lösen beginnt, zeigt einem das Leben kurioserweise manchmal Wege auf, die man zuvor gar nicht zugelassen hat. Und nimmt einem schicksalhafterweise so auch ein Stück weit Entscheidungen ab, die man selbst vielleicht bislang nicht zu treffen bereit war. So wache ich eines Tages zwillingsschwanger auf, und von einem Tag auf den anderen ist der Stecker meines alten Lebens schlicht und einfach gezogen.

Da ist nichts mit einer entspannten Schwangerschaft, bei der ich beim Yoga lächelnd meinen langsam größer werdenden Bauch betrachte oder im Sonnenschein in einem Berliner Straßencafé fröhlich schlürfend einen entkoffeinierten Soja-Latte genieße – mir geht es elend, alles ist kompliziert, und erst nach einem guten halben Jahr, das ich auf dem Sofa verbringe, fühle ich mich wieder auf der Seite der Lebenden.

Und als uns kurz darauf die süßesten Zwillingsmädels der Welt strahlend anquietschen, ist alles gut, und ich bin vom Hormonflash völlig berauscht. Von meinem Chef, den Kolleg*innen sowie meinem Arbeitgeber flattern begeisterte Glückwünsche zur Geburt und Berge an liebevoll verpackten Stramplern, Rasseln und Greiflingen ins Haus. In diesen ersten Monaten als Mutter bin ich nahezu berauscht, wie reibungslos unser zugegebenermaßen rein theoretischer Plan, zukünftig Job und Kinder unter einen Hut zu kriegen, umsetzbar zu sein scheint. Ich würde zunächst in Teilzeit wieder einsteigen und mir Stück für Stück Gedanken machen, welche Richtung ich zukünftig einschlagen möchte, um meiner Arbeit einen anderen, erfüllteren Dreh zu geben.

Dass das Thema Kinderbetreuung mit gleich zwei Kleinkindern und den unregelmäßigen Dienstzeiten meines Mannes als Pilot nicht ganz einfach sein wird, darauf bin ich eingestellt. Dass ich vor einer Präsentation auch nicht mehr einfach bis halb drei Uhr nachts werde durcharbeiten können und Veranstaltungen und Messetermine, die sich bis spät in den Abend ziehen, mit Kita-Öffnungszeiten nur schwer vereinbar sind, ist mir ebenfalls völlig klar. Und in dieses Vollzeit-Hamsterrad möchte ich ja auch nicht mehr zurück, zumindest solang unsere Kinder klein sind. Aber wir sind mehr als zuversichtlich, dass es mit ein wenig gutem Willen von allen Seiten und zwei guten Kitaplätzen im 21. Jahrhundert möglich sein wird, sowohl Kinder als auch Teilzeitjob unter einen Hut zu kriegen.

Ich erwache erst jäh aus diesem wattig-wohligen Zustand, als es nach einem Jahr Elternzeit konkret um meinen Wiedereinstieg geht. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich mit meinem Chef besprechen würde, wann genau, an welchen Tagen und mit wie vielen Stunden pro Woche ich in meiner Elternzeit wieder arbeiten und welche Projekte ich übernehmen könnte.

Die Broschüre des Betriebsrates mit den Versicherungen, wie sehr sich der verzweifelt um einen modernen Anstrich bemühte schwäbische Mutterkonzern um den Wiedereinstieg seiner Mitarbeiterinnen nach der Elternzeit sorgt, steckt gut verstaut in meiner Tasche. Die bestärkenden Worte meines Chefs beim Abschied, dass er mir jederzeit die Tür offen halten und alles möglich machen wird, klingen mir noch im Ohr, und so schreite ich gut gelaunt über den mir wohlbekannten Flur. Als wir uns schließlich im Konferenzraum gegenübersitzen, nimmt mein Chef ermattet die klassische Design-Hornbrille ab, legt sie sorgsam und bedächtig auf den Tisch, reibt sich müde die Augen und seufzt schließlich tief auf.

Spätestens jetzt wird mir klar, dass dieses Gespräch eine gänzlich andere Richtung nehmen wird, als ich es vor wenigen Minuten noch vermutet hatte. Er richtet seinen Blick wieder auf mich und sagt dann scheinbar mühsam nach Worten suchend: »Ich finde es wirklich fantastisch, dass ihr alle Kinder bekommt. Ich habe ja selbst eins. Aber eine Teamleiterin mit Zwillingsbabys und ein Team mit lauter Teilzeitmuttis – ganz ehrlich, das wird nix.«

Ich denke kurz an meinen Mann. Und an die unerbittliche Realität seines ständig wechselnden Dienstplans und seiner Flugeinsätze, die sich oft über mehrere Tage erstrecken. Klaas ist ein enthusiastischer Familienmensch, aber auch ein leidenschaftlicher Flugkapitän. Als wir zuvor gemeinsam überlegt hatten, wie wir die Betreuung unserer Mädels organisieren würden, waren wir uns einig, dass Klaas neben Elternzeit auch Teilzeit beantragen würde. Weitergehende zuverlässige und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle sind in seinem Job jedoch einfach nicht möglich. Und da unsere Eltern am anderen Ende der Republik leben, fallen auch sie als Betreuungslösung zwischen Krippenöffnungszeiten und Arbeit aus. Aber wir könnten vielleicht wie Freunde von uns ein Au-pair aufnehmen, das an den Tagen, an denen ich arbeiten und Klaas fliegen würde, die Betreuung unserer Zwillinge übernimmt. Ich war überzeugt, wo ein Wille ist, gibt es auch einen Weg. Aber all unsere Planungen und Einschätzungen, wie Job und Kinder zusammen funktionieren können, stürzen in diesem Moment komplett in sich zusammen.

Ich schlucke. Und spüre, dass sich gerade etwas Grundlegendes ändert. Ist es nicht erst einen Wimpernschlag her, dass ich mich völlig gleichberechtigt gefühlt hatte? Klaas und ich sind Mitte dreißig, haben beide viel in unsere Ausbildung und in unser Studium investiert, und es gibt keinen großen Verdienstunterschied zwischen uns. Zudem gab es bislang für mich keinen Grund, daran zu zweifeln, dass mein Arbeitgeber seinen Mitarbeiter*innen familienfreundliche Arbeitsmodelle anbietet.

Aber einzig mit der Entscheidung, dass wir eine Familie gegründet haben, scheine ich aus allem, was ich bisher erreicht habe, herauskatapultiert zu werden, und meine Einschätzung, wie gleichberechtigt alles laufen sollte, platzt wie eine Seifenblase. Willkommen in der Realität!

Mir ist klar, dass ich jetzt und hier im schicken Berliner Konferenzraum und mit diesem Vorgesetzten, der gerade eine Atmosphäre wie ein offen stehender Gefrierschrank verströmt, nicht ein Krümelchen Entgegenkommen erwarten kann. Ich brauche ein paar Tage, um diese Frechheit zu verdauen – und deutlich länger, um die Möglichkeit, die für mich darin liegt, zu entdecken. Diese kühl berechnende Ansage meines Chefs bedeutet im Umkehrschluss für mich, mein Glück selbst in die Hand zu nehmen und mir eine Arbeit zu suchen, die mich in meinem neuen Lebensabschnitt erfüllen wird.

Gefangen im Job-Hamsterrad

Zugegeben, schon bevor ich Kinder bekam, hatte ich immer stärker eine deutliche Distanz zu meinem Großstadtleben gespürt und meinen Job über die Jahre als immer austauschbarer empfunden. Aber ohne die Erfahrung meiner Elternzeit hätte ich den Startpunkt für einen Neubeginn sicher nicht gefunden.

Ausgerechnet bei einem Familientreffen begann diese Erkenntnis in mir zu reifen.

»Ja, ich weiß auch nicht so recht, unsere Stephanie ist ja jetzt in Berlin. Bei der Bank. Und da macht sie … ja, so mit Werbung, Internet und so …« Verzweifelt suchen die dunklen Augen meines Vaters meinen Blick.

Ich seufze kurz und atme tief ein. Zehn Jahre machte ich jetzt schon diesen Job, und für meine Eltern war meine Arbeit mit den »modernen Medien«, wie sie es nennen, immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Aber um ehrlich zu sein, ohne den ganzen Marketingsprech hätte ich meinen Job auch nicht in einem geraden Satz erklären können.

»Und der Klaas, der ist ja Flugkapitän.« Super, mit dem Job meines Mannes konnte jeder etwas anfangen. Dankbar fallen dann auch meine Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen mit zahlreichen Fragen über ihn her.

Klar, der Bäcker backt Brot, der Pilot fliegt Flugzeuge, aber mein Job? Da gibt es tatsächlich keine klare und konkrete Einordnung, und vermutlich ist es das wenig Greifbare, was mich in den ersten Jahren in der Werbung so gereizt hatte. Doch nun beginnt sich alles in den immer gleichen Schleifen zu bewegen, und neue Projekte bringen zwar neue Themen, aber keine wirklichen Herausforderungen mit sich. Am Ende des Tages scheint alles nur eine sinnentleerte Hülle zu sein, und ich habe das unerbittliche Gefühl, dass mein Leben mit dieser Oberflächlichkeit an mir vorbeirauscht.

Aber nicht nur dieses wenig Greifbare eines Jobs in der Marketingblase befremdet mich allmählich immer mehr, sondern auch die Erkenntnis, dass ich mich mit meinem schicken Berlin-Mitte-Leben meilenweit von dem, was mich ursprünglich einmal begeisterte, entfernt habe. »Ham wa nich«, schnauzt mich der Obst-und-Gemüse-Verkäufer auf dem Prenzelberg-Markt mit berlinerisch direkter Art an. Okay, vermutlich bin ich nicht die Erste, die an diesem sonnigen Frühlingstag im März Frühkartoffeln ordert und damit offenbart, keinerlei Ahnung von Anbau- und Erntezeitpunkten zu haben. Jedem halbwegs erdverbundenen Menschen ist klar, dass die ersten jungen Kartoffeln erst im Frühsommer verkauft werden. Noch einen deutlicheren Anschnauzer hätte ich mir vermutlich nur eingefangen, wenn ich irgendein Yuppie-Obst wie Drachenfrucht, Granatapfel oder Avocado bestellt hätte, das um die halbe Welt hergeflogen worden war und so gar nichts mehr mit Regionalität und Saisonalität zu tun hat.

Für mich ist dieser Moment auf dem Markt ein einschneidendes Erlebnis, da mir klar wird, wie sehr ich mich von vielem, was mich einmal ausgemacht hat, entfernt habe. Als Waldorfschülerin habe ich bei der Schülerhofepoche im Oktober auf dem Acker Kartoffeln geklaubt und den frischen Geruch der herbstlichen kühlen Erde in mich aufgesogen. Auf den wilden Rückfahrten saßen wir zusammen im Anhänger und sangen lauthals und überschwänglich. Der alte Ackerwagenanhänger wurde von einem noch älteren Trecker gezogen, und am Steuer saß unser wunderbarer Lehrer, ein ehemaliger Opernsänger, der nun Waldorflehrer war und für den Schülerhof beim alten Schloss verantwortlich zeichnete. Wenn ich nun die Augen schließe und daran denke, erinnere ich sofort den herbstlich kühlen Wind in meinem Gesicht und in mir das tiefe Gefühl von Freiheit. Von etwas Echtem. Ursprünglichem. Von der Schönheit und Erfülltheit, nah am Takt der Natur zu sein. Nach meinen vielen Großstadtjahren bin ich nun offensichtlich weit entfernt vom Zyklus der Natur und von meinen Wurzeln.

Gleichzeitig spüre ich, dass ich mich über nichts mehr richtig freuen kann. Es ist völlig verrückt: Ich fühle mich einerseits übersättigt, weil ich mir eigentlich alles leisten kann, gleichzeitig wünsche ich mir mehr Ruhe und vor allem das Gefühl, wieder stärker bei mir selbst zu sein. Glücklich und entspannt fühle ich mich immer dann, wenn ich draußen in der Natur bin: beim Segeln auf dem Wannsee oder bei langen Spaziergängen durch die Parks und über die alten verwitterten Friedhöfe in Berlin-Mitte.

Mit der Distanz meiner Elternzeit bekomme ich nun langsam, ganz langsam ein Gefühl dafür, was mich in Zukunft glücklich machen würde: mich auf meine Wurzeln und auf das, was mich als Kind begeistert hat, zu besinnen. Draußen zu sein. Sich auf etwas ganz Neues einzulassen. Die Natur zu spüren, dem Rhythmus der Jahreszeiten nah zu sein. Etwas zu machen, was bleibt, was man anfassen kann. Ein Handwerk. Am liebsten eins, bei dem man etwas herstellt, das man essen und genießen kann. Meine Arbeit soll nicht mehr nur ein Mittel sein, um Rechnungen zu begleichen. Ich will mehr! Ich möchte eine Arbeit, die nachhaltig und sinnvoll ist und die mir wirklich am Herzen liegt.

Die bestmögliche Lücke in meinem ach so perfekten Lebenslauf

In der Realität krabbeln jedoch erst einmal unsere Zwillinge fröhlich juchzend durch die Wohnung – und ich krieche nach wenigen Monaten auf dem Zahnfleisch. Ich fühle mich wie in einer Zwischenwelt, irgendwo zwischen prallem Leben, nahezu tödlicher Müdigkeit und inmitten von überall verschmiertem Hirsebrei. Ich will diese Zeit liebend gern mit meinen Kindern verbringen und habe von meinem alten Arbeitgeber dafür auch finanziell den goldenen Handschlag bekommen.

Aber statt für meine Arbeit Lob und Boni zu erhalten, sammele ich auf allen vieren Sabbertücher, Sophie la girafe und dicke, an den Rändern angeknabberte Bilderbücher vom Boden auf und bekomme im besten Fall als Dank meine gedämpften Biopastinaken links und rechts um die Ohren geworfen. Natürlich nur die, die zuvor nicht am weiß lasierten Tripp Trapp abgewischt worden sind.

Und da ist noch ein neues, überraschendes Gefühl: Ich empfinde mit unseren kleinen Kindern die Großstadt schlagartig als unfassbar anstrengend. All das, was ich an der Metropole zuvor innig liebte – das Tanzengehen im alten Ballhaus, die Theater- und Kinobesuche, die Museen und Restaurants oder der Blick von unserem Dachgarten auf den Berliner Fernsehturm –, übt schlagartig keinen Reiz mehr auf mich aus.

Wenn ich unseren unförmigen Zwillingskinderwagen über den Hackeschen Markt schiebe, bemerke ich nichts mehr von der Schönheit der uns umgebenden Architektur, sondern bin gestresst von dem scheinbar unablässigen Quietschen der Straßenbahnen und Hupen der Autos. Und denke nur daran, wie ich es mit beiden Babys, Wickeltasche und Einkauf bis zu unserer hippen und schicken, aber nun völlig unpraktischen Dachgeschosswohnung im fünften Stock ohne Aufzug schaffen werde.

Meinem Mann und mir ist irgendwann klar: Wir brauchen einen Neustart. Am besten an einem anderen Ort. Unser Großstadtleben passt in dieser Lebensphase nicht mehr zu uns, mein Job hält uns nicht mehr in Berlin, und mein Mann kann genauso gut von Hamburg aus arbeiten. Und ist Norddeutschland nicht eigentlich unser gemeinsamer, geheimer Sehnsuchtsort? Wie oft hatte ich mich in den vergangenen Jahren an den endlosen grauen Wintertagen, an denen ich an meinem Berliner Büroschreibtisch saß und halbe Ewigkeiten auf die Fenster eleganter, aber erdrückend kühler Büroblöcke blickte, sehnsüchtig an die Weite der blauen Küste erinnert? An die knallgelben Rapsfelder im Frühjahr und die mal sanfte, mal aufgewühlte Ostsee? Mich nach der klaren, leicht salzigen Luft und dem feinsandigen breiten Ostseestrand gesehnt? Kurz entschlossen wie noch nie in unserem Leben entscheiden wir uns für einen Neustart im Norden, machen uns auf die Suche nach einer Bleibe und ziehen einen Schlussstrich unter unsere Zeit in der Hauptstadt.

Wenige Monate später sitzen wir im Garten eines verträumten Jugendstilhäuschens in der Nähe der Ostseeküste, mit knorrigem Kirschbäumchen und Schaukel – und unsere mittlerweile zweijährigen Zwillingsmädchen buddeln zufrieden im Sandkasten, den wir aus einer alten Jolle gebaut haben.

Eigentlich startet unser neues Leben im Norden schon fast beängstigend bilderbuchmäßig – unsere Töchter haben zwei Plätze in einem kleinen Naturkindergarten unseres Städtchens ergattert, wir genießen die Nähe zur Ostsee, und ich würde sicher auch bald wieder anfangen zu arbeiten. Irgendetwas wird sich schon ergeben. Vielleicht muss man sich im Leben einfach auch mal zufriedengeben mit dem, was man hat, ankommen, nicht alles hinterfragen und sich einfach einen familienkompatiblen Job suchen, der zwischen Kita, Schule und Scharlach passt.

Wäre da nicht diese Frage, die sich, wenn sie einmal gedacht und ausgesprochen ist, nicht mehr einfach abschütteln lässt. Dieser unerbittlich bohrende Gedanke über das Leben, die eigenen Werte und die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, den man versuchen kann zu ignorieren, der aber davon nicht leiser, sondern immer lauter wird. War es das jetzt? Sind wir jetzt schon an dem Punkt angekommen, an dem die vermeintlich großen Fragen des Lebens, also Hochzeit, Kinder und Haus, abgehakt sind? Wir jedes Jahr eine Weihnachtskarte von unserer glücklichen Rama-Familie in die Welt schicken und einfach immer so weitermachen, bis wir alt und grau sind?

Im Blizzard gefangen

Getrieben von dieser Frage ändert sich unser Leben zunächst für wenige Monate erneut um 180 Grad. Wir nutzen ein Jobangebot in Montreal, das sich für meinen Mann über die Wintermonate ergeben hat, um uns in Ruhe klarzumachen, wie wir als Familie in Zukunft leben wollen. Es folgt jedoch ein unendlich zäher, schrecklicher erster Monat in Kanada, in dem ich mich mindestens stündlich frage, wer diese wahnsinnige Idee gehabt hatte, den Winter mit zwei kleinen Kindern inmitten eines permanent andauernden Schneesturms zu verbringen. Unsere Mädels sind einen knappen Meter groß, während der Blizzard Schneemassen auf die Straßen weht, die deutlich höher sind. Also begrenzt sich unser Bewegungsradius auf unser schickes Großstadtappartement und den Hotelpool. Denke ich zumindest. Bis der kanadische Bademeister mir bei unserem Erscheinen im Spa-Bereich mit panischem Gesichtsausdruck klarmacht, dass eine Erwachsene mit zwei Nichtschwimmer-Kleinkindern auf gar keinen Fall den Sicherheitsvorstellungen des nordamerikanischen Kontinents entspricht. Schwimmscheiben hin oder her. Jede Diskussion ist sinnlos.

Also verkleinert sich unser Radius schlagartig auf unser Appartement, stundenlanges Puzzeln und das Betrachten von riesigen, eindrucksvollen Schneefräsen, die sich im Schneckentempo ihren Weg durch die langen Straßenfluchten Montreals bahnen. In diesen scheinbar unendlichen kanadischen Winterwochen habe ich mehr als genug Zeit, darüber nachzudenken, wohin meine Reise gehen soll. Zurück zum Marketing? Nur noch Mami sein? In meinem Kopf rattert es Tag und Nacht unermüdlich, ohne dass ich eine Antwort für mich finde.

Dafür kommt mir immer wieder ein Leitspruch in den Sinn, den meine Großmutter mir mit auf den Weg gegeben hat: »Nichts kann so schlecht sein, dass es nicht auch für etwas gut ist.« Bislang ist dies für mich bei allen Rückschlägen im Leben stets ein hilfreicher Ansporn gewesen, weiterzumachen und das Positive in Veränderungen zu sehen.

Aber so sehr ich mich auch bemühe, ich kann in diesem Dezember einfach nicht erkennen, wohin mich dieser Bruch in meinem Job und Lebenslauf in Zukunft führen soll und wofür dies gut ist. Unseren Sehnsuchtsort an der Ostsee haben wir mit unserem neuen Zuhause zwar gefunden. Und die Monate in der Ferne bestärken uns in unserer Entscheidung. Die Vorfreude auf den nächsten Sommer an der Ostseeküste wächst in dieser Zeit täglich. Aber welche Herausforderungen suche ich an diesem Punkt für mich in meinem Leben? Diese Frage ist weiterhin unbeantwortet. Stundenlang blicke ich auf die dicken, wattigen Schneeflocken, die unermüdlich gegen die großen Scheiben unseres Appartements wehen, und versuche, meine Gedanken zu ordnen.

Raus aus der Komfortzone

Und tatsächlich: Auf Regen und Schnee folgt irgendwann auch wieder Sonnenschein. Nach einem Katastrophendezember, ziemlich zerrupften Weihnachtstagen und einem verschlafenen Start ins neue Jahr stehe ich an einem sonnigen Januarmorgen auf der High Line in New York, genieße unseren Kurztrip, während unsere Mädchen ausgelassen und fröhlich über diese herrliche Großstadt-Oase toben.

Und da ist es plötzlich und unvermittelt wieder: das Gefühl von Leichtigkeit und das klare, sichere Wissen, dass dieses große Abenteuer und alle neuen Erfahrungen und Erlebnisse für jeden von uns einen Sinn ergeben. Im besten Fall würde ich, um all die neuen Eindrücke bereichert, auch meinen eigenen Weg klarer sehen.

Mir ist schlagartig wieder klar, dass es im Zweifel immer besser ist, die Komfortzone zu verlassen und ins kalte Wasser zu springen. Dass aufzubrechen, und jede klitzekleine Erfahrung, die man dabei macht, mehr wert ist, als einfach immer weiterzumachen in seinem Hamsterrad. Und so ist es tatsächlich auch: Sechs Monate und viele großartige Erlebnisse später kehren wir als Familie eng zusammengeschweißt und mit einem unermesslichen Schatz an Abenteuern und neuen Eindrücken glücklich nach Deutschland zurück.

Aber die nagende Ungewissheit, was ich mit mir, mit meinem Leben anstellen soll, ist unverändert und unbeantwortet geblieben. Durch unser Kanada-Abenteuer habe ich jedoch gelernt, dass Loslassen notwendig ist, um offen für Neues zu sein und das erkennen zu können, was mich wirklich begeistert.

Zugleich bin ich mir nun zumindest völlig sicher, was ich nicht möchte. Ich möchte nicht nur Mama sein. Und ich möchte auch nicht nur einen belanglosen Teilzeitjob. Ich möchte wie ganz viele Frauen in meiner Situation einfach das Beste von beidem! Eine Aufgabe, die mich fordert, und Zeit für meine Kinder.

Und klar – anders als damals als Volontärin in der Hamburger Werbeagentur bin ich nun auch finanziell in der privilegierten Situation, meinem Leben einen neuen Dreh geben zu können, ohne mir unmittelbar existenzielle Gedanken machen zu müssen, wie wir unsere nächste Miete bezahlen können oder wovon wir unseren Einkauf finanzieren werden. Ich bin bei dieser Suche nach dem Sinn, den ich meinem Leben und meiner Arbeit geben möchte, sehr dankbar, dass ich dies ohne großen finanziellen Druck machen kann. Sich in einer Umbruchsituation eine solche Freiheit nehmen zu dürfen, bedeutet für mich echten Luxus, so viel mehr, als es ein teures Auto oder ein großes Haus sein könnte. Wäre ich alleinerziehend, würden sich diese Fragen sicher nicht stellen. Sinnsuche hin oder her. Geschafft von den nicht enden wollenden Aufgaben eines Tages würden sich die rein existenziellen Fragen in den Vordergrund drängen – und beantwortet werden müssen.

Die Frage nach dem Sinn der eigenen Arbeit, der ich hinterherspüre, erscheint aus diesem Blickwinkel vielleicht etwas abgehoben. Aber wie alles im Leben ist es immer eine Frage der Perspektive. Ich kenne mittlerweile unzählige Frauen in meinem Freundeskreis, für die sich mit dem meist zwangsläufigen Bruch im Lebenslauf, der sich durch die Geburt von Kindern ergibt, mit Mitte dreißig, Anfang vierzig die Frage einer Neuorientierung stellt. Und sollte man sich in dieser Phase mit Baby oder Kleinkind in einer Bewerbungssituation für einen anspruchsvollen Job wiederfinden und seine Kinder nicht verleugnen, wird einem das Gefühl vertraut sein, dass man im besten Fall wie eine Außerirdische angeschaut wird.

Dass Frauen auch mit Kindern einen anspruchsvollen Job fordern, ist, denke ich, nicht in erster Linie eine finanzielle Frage. Sondern eine Frage der Gleichberechtigung, wie sich die Arbeit für eine Familie und Kinder zwischen einem Paar fair aufteilen lässt, welche Möglichkeiten der Arbeitsmarkt Müttern eröffnet und wo man sich selbst wiederfindet. Und es geht auch um die Frage, wie sehr die Entscheidung, Kinder zu haben, gesellschaftlich respektiert und honoriert wird. Meine Generation hat diesen Punkt noch längst nicht erreicht.

Auch ohne Kinder ist der Gender-Pay-Gap für Frauen heute bittere Realität – entscheidet man sich als Frau dann auch noch für Kinder, ist der Einkommensunterschied zu einem Mann, der keine nennenswerte Auszeit für die Kindererziehung nimmt, über die Lebenszeit gesehen atemberaubend. Ich bin zugegebenermaßen skeptisch, aber ich wünsche es meinen Mädchen und der ganzen nächsten Generation sehr, dass sich dies grundlegend ändert, betrifft es doch letztlich uns alle. Denn wir als Gesellschaft können nur gewinnen, wenn wir einen konsequenten Schritt hin zu wirklicher Gleichberechtigung machen.

So weit ist es jedoch noch nicht – zumindest nicht in meiner Welt. Und deshalb muss und möchte ich meinem Leben eine neue Richtung geben.

Die einmalige Chance, die Resettaste im Leben zu drücken

Und dann, nach all diesen Erfahrungen und Einschnitten in unserem Leben, finde ich ganz unvermittelt, unverhofft und plötzlich die Antwort auf meine Fragen und Unsicherheiten. Es geht für mich nicht um einen Lebenslauf, der schnurgerade verläuft, oder darum, irgendwie Teilzeit zu arbeiten, nur um für die Jungs, die uns während der Elternzeit lässig die Führungspositionen weggeschnappt haben, ihre Konzepte auszuarbeiten. Ich habe, das begreife ich nun, auch mit Mitte dreißig und zwei kleinen Kindern die einmalige Chance, die Resettaste in meinem Leben noch einmal zu drücken.

Ich muss mich nur trauen.

Den schönsten Ort der Welt haben wir mit der Ostsee immerhin gefunden, nun brauche ich nur noch den passenden Job. Ich erkenne, dass in dieser Umbruchphase ein großes Glück liegt, weil man die Chance hat, sich noch einmal neu zu denken. Und wenn man gar nicht mehr weiß, wo der nächste Schritt hingehen soll, dann kann man immer noch springen. Auch in eine komplett andere Berufung, in etwas völlig Neues!

Einmal so weit gedacht, lasse ich mich von diesem Gedanken eines Neuanfangs nicht einen Zentimeter mehr abbringen, auch wenn jetzt noch etwas ganz anderes Unverhofftes und Schönes meine Überlegungen und Planungen durcheinanderwirbelt: Ein kleiner Blondschopf kommt in unser Leben, macht unsere Familie vollständig und katapultiert mich noch einmal kurzzeitig in die Pastinakenphase zurück.

Mein Plan

Wie mein weiterer Weg nicht immer schnurgerade verläuft, ich dennoch meine Passion finde und meine Familie überzeuge, dass diese absolut großartig ist

Nach dieser langen und zermürbenden Zeit des Suchens und Grübelns stolpere ich eines Tages völlig überraschend, ungeplant und unverhofft in meine neue Leidenschaft. Ich würde liebend gern eine anrührende Geschichte erzählen, dass mich Bienen schon immer magisch angezogen haben. Dass mir ein gütiger, graubärtiger Großvater oder eine ältere Imkerin die Welt der Imkerei geduldig und liebevoll nahegebracht haben. Meine Geschichte ist jedoch eine andere. Eine sehr viel unspektakulärere. Aber vielleicht zeigt sie gerade deshalb ganz gut, dass es für einen Neuanfang manchmal nur einen winzigen Funken braucht.

An einem strahlend sonnigen Sommertag schiebe ich in Gedanken versunken unseren Sohn im Buggy durch die Landschaft, bis ich an einem Feldrand ein sanftes Brummen vernehme und auf einen Bienenstand aufmerksam werde. »Ssssssmmmmmmmmmmssssmmmm«, höre ich es gleich darauf auch fröhlich aus dem Buggy glucksen. Minutenlang verharre ich und verfolge das emsige Treiben, die Sonne kitzelt auf meiner Nase, und ich lausche dem sanften Summen der Bienen.