Overlord – Light Novel, Band 07 - Kugane Maruyama - E-Book

Overlord – Light Novel, Band 07 E-Book

Kugane Maruyama

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Beschreibung

Von Hoffnungen und Gier geblendet, steigen verschiedene Teams in die unbekannten Tiefen einer ganz speziellen unterirdischen Gruft hinab. Sie sind die Besten, die sich für solche Abenteuer überhaupt finden lassen. Doch sie haben keine Ahnung, dass sie in eine Falle geraten sind, denn der nächste Schritt von Ainz Ooal Gown ist der Angriff auf das Imperium. Werden die Eindringlinge in die Große Gruft von Nazarick – einem Ort, an dem Flucht unmöglich scheint und Albträume wahr werden – einen Weg finden, nach Hause zurückzukehren?

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Seitenzahl: 419

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Prolog

Im Herzen der Großen Gruft von Nazarick, in den verborgenen Tiefen der zehnten Ebene, brodelte der mit vierzig Flaggen geschmückte Thronsaal vor Aufregung. Alle Anwesenden standen in Reih und Glied, während sie sich als Zurschaustellung ihrer Loyalität schweigend vor dem Thron verneigten.

Einen Großteil machten Heteromorphe aus. Selbstverständlich waren auch die Ebenenwächter zugegen. Zusätzlich befanden sich andere von den Einundvierzig Erhabenen Wesen erschaffene NPCs und den Wächtern direkt unterstellte Lakaien hier. Mit weit über zweihundert Teilnehmern war das seit ihrer Ankunft in dieser Welt die erste Versammlung dieser Größenordnung.

In einer Sache jedoch unterschied sich diese von vorherigen, kleineren Zusammenkünften. Die Art der Anwesenden. Es handelte sich ausschließlich um mächtige Wesen – das Durchschnittslevel im Raum lag über 80.

Shalltear, die Wächterin der ersten drei Ebenen von Nazarick, umgab sich für gewöhnlich mit ihren Vampire Brides, heute hingegen hatte sie ihre mächtigsten untoten Untergebenen zusammengerufen. In ihrer Nähe stand Mare, einer der beiden Wächter der sechsten Ebene, der von zwei Drachen begleitet wurde, die ihren Posten bis zu diesem Tag nie verlassen hatten. Diese Drachen hatten fast Level 90 und waren allein durch superseltene Drops aus Lootboxen zu bekommen.

Selbst unter diesen sorgfältig ausgewählten Lakaien stach eine Gruppe heraus. Im Vergleich zu allen anderen waren diese Untoten mehr als nur ein wenig minderwertig. Es waren etwa einhundert an der Zahl, die Stärksten unter ihnen befanden sich gerade einmal auf Level 40.

Die normalen Bewohner standen dem Thron zugewandt in Reihen, während sich die aufgrund ihrer Minderwertigkeit deplatziert erscheinenden Untoten fast an vorderster Front gleich neben den Ebenenwächtern selbst befanden. Sie befanden sich erschreckend nah am Thron, was auf einen höheren Rang schließen ließ, als sie tatsächlich innehatten.

Diese bevorzugte Behandlung war unerhört, allerdings gab es einen guten Grund dafür. Ainz Ooal Gown, der Herrscher der Großen Gruft von Nazarick, hatte sie selbst erschaffen. Allein aus diesem Grund wäre es falsch gewesen, sie zu vernachlässigen.

Sämtliche Anwesenden waren Ainz’ Untertanen. Jeder von ihnen diente ergeben der Gilde Ainz Ooal Gown, gleichzeitig existierte eine festgelegte Rangfolge. Selbstverständlich standen von den Einundvierzig Erhabenen Wesen erschaffene NPCs an der Spitze. Unter ihnen bekleideten die Ebenenwächter die höchsten Ränge.

Danach folgten die automatisch spawnenden Monster und die vom Yggdrasil-Söldnersystem erschaffenen Lakaien. Der Status von Lakaien hing gewissermaßen von ihrer Stärke und ihren Aufgaben ab, doch der Großteil war einander ebenbürtig.

Wie also passten die von Ainz erschaffenen Untoten dazu?

Diese Frage bereitete Albedo, der Befehlshaberin der Wächter, Kopfzerbrechen. Sie fragte sich, ob man sie als den NPCs ebenbürtig betrachten sollte. Als sie Ainz deswegen fragte, lächelte er lediglich und sagte, dass die niederste Position ausreichend sei.

Seine Fähigkeit, Untote zu erschaffen, unterlag täglichen Einschränkungen, dafür kostete sie nichts. Die hochstufigen Lakaien der Wächter hingegen verdankten ihre Existenz Goldmünzen oder dem Yggdrasil-Söldnersystem, bei dem man richtiges Geld benutzte. Sollten seine Untoten sterben, stellte das im Gegensatz zu den hochstufigen Lakaien keinen Verlust dar. In deren Fall war das Geld verloren. Was Ainz anging, waren seine kostenlos erschaffenen Monster denen, die Geld kosteten, deutlich unterlegen, selbst wenn er als Rohstoff Leichen benötigte.

Allerdings teilten seine loyalen Untergebenen diese Ansicht nicht. Obwohl die Entscheidung ihres großzügigen Herrschers Albedo zu Tränen rührte, konnte sie sie nicht akzeptieren. Indem sie eine Ausnahme gemacht und die Lakaien weit vorne platziert hatte, hatte sie das Problem umgangen.

Vom höchsten Punkt des Saals aus überblickte Ainz die Reihen, über deren Anordnung sich Albedo den Kopf zerbrochen hatte, und sprach wie ein Orakel. Nein, auf alle Wesen unter seiner Herrschaft wirkten seine Worte wie die einer Gottheit.

»Als Erstes möchte ich Sebas und Solution für ihre Bemühungen, Informationen zu beschaffen, danken. Gute Arbeit.« Ainz nickte zufrieden, während sich die beiden tief verbeugten. Allerdings stand ihm der schwierige Teil noch bevor. Für einen Normalsterblichen war es regelrechte Schwerstarbeit, sich wie ein König zu verhalten; der Druck war geradezu überwältigend. Vor ihm standen massenhaft Untergebene, in ihren Augen sah er nichts als Liebe und Respekt.

Ainz’ nicht vorhandener Magen schmerzte, während sein ebenfalls nicht existierendes Herz nervös klopfte. Einen Augenblick später war beides verflogen. Sein tiefgreifender Wunsch zu flüchten wurde von der Eigenheit seines untoten Körpers, keine zu großen Gefühlsschwankungen zuzulassen, unterdrückt. Sobald er der Ansicht war, seiner Rolle als Herrscher gerecht werden zu können, machte sich Ainz daran, Befehle zu erteilen.

»Ihr beide, tretet vor.«

Die Angesprochenen erhoben sich. Sie bewegten sich dermaßen synchron, man hätte den Eindruck bekommen können, dass sie das Ganze vorher einstudiert hatten. Sie stiegen die Stufen zum Thron hinauf, blieben vor Albedo stehen, die neben Ainz stand.

Dort knieten sie nieder.

»Seht mich an. In Anerkennung eurer hervorragenden Arbeit möchte ich euch belohnen.« Ainz schaute Sebas Tian an. »Sebas, du hast mich um Tsuares Leben gebeten, allerdings habe ich sie unter meinen persönlichen Schutz gestellt, um eine persönliche Schuld zu begleichen – das hatte nichts mit deinem Dienst zu tun. Darum gewähre ich dir einen Wunsch. Also, sage mir, was du möchtest.«

Jemanden öffentlich zu loben, konnte andere dazu animieren, sich besonders zu bemühen, darum wurden Auszeichnungen für besondere Leistungen häufig vor der ganzen Firma verliehen. Durch Belohnungen motivierte Angestellte verbesserten die Effizienz der Organisation. Darum hatte Ainz auf seine Erfahrung als Arbeitnehmer zurückgegriffen und so viele seiner Untergebenen hier versammelt – um sie auf diese Weise anzuspornen.

Sein Plan barg allerdings auch eine nicht zu verachtende Gefahr – dass er sich vor einer großen Schar dieser Wesen als charismatischer Herrscher geben musste. Für einen Normalsterblichen war das alles andere als einfach. Doch als letzter Spieler in der Großen Gruft von Nazarick musste er diese Aufgabe bewältigen.

Ich muss mich ihrer Hingabe würdig erweisen.

Während sich Ainz zusammenriss, zitterte Sebas’ Schnauzbart.

»Mein Wunsch ist es, Euch voller Hingabe zu …«

Die sind unvorstellbar loyal. Darum stehe ich auch unter einem solchen Druck …

»Schön, aber ich belohne dich für gute Arbeit. Ein Herrscher sollte das tun. Und du solltest wissen, es gibt Gelegenheiten, in denen ein Mangel an Selbstsucht eines Untergebenen seinen Herrscher verärgern kann.«

»Mein Gebieter, ich bitte um Verzeihung! In dem Fall …« Sebas Tian dachte ein paar Sekunden lang nach, bevor er weitersprach. »Ich bitte Euch, seid so gütig und stellt Tsuare, meinem Mündel, Kleidung und andere Notwendigkeiten zur Verfügung.«

»Was Kleidung angeht, da könnte ich was aus meiner Privatsammlung opfern, aber …«

Da es während seiner Zeit in Yggdrasil kaum Gelegenheit gegeben hatte, seltene Items oder von Spielern erstellte Skins häufiger als einmal zu finden, hatte er praktisch jedes kosmetische Item eingesammelt, das auch nur vage interessant aussah. Und das galt nicht nur für Ainz. Seine Freunde hatten sich genauso verhalten. Vermutlich traf das auf jeden Spieler zu.

Ainz’ Gildenkamerad, der Mann, der Shalltear erschaffen hatte – Peroroncino –, bezeichnete es als die Gewohnheit, alles mitzunehmen, auch wenn man sich nicht sicher sei, ob man es überhaupt benutzen wird, so wie man es mit sexy Bildern macht. Nun, meistens vergisst man es und es gammelt in irgendeinem Ordner vor sich hin, aber …

Und genau das war passiert. Ainz hatte Ausrüstung für Männer wie auch für Frauen eingesammelt, doch der Großteil davon war eingelagert und nie benutzt worden. Das Zeug hing nutzlos in seinem Kleiderschrank. Es wäre sehr viel schlauer, eine Verwendung dafür zu finden.

Er überlegte, was er alles besaß. Kleidung in Yggdrasil neigte dazu, etwas kitschig zu wirken, dennoch vermutete er, dass sich etwas Passendes für Tsuare finden lassen sollte.

»Nein, das müsst Ihr nicht. Ihr wart bereits über alle Maßen gütig zu Tsuare. Ich denke, mehr wäre zu viel verlangt.«

»Ich verstehe … Nun gut. Aber was Kleidung angeht …«

Da Ainz nie in seinem Leben Frauenkleidung gekauft hatte, stellte das für ihn eine unlösbare Aufgabe dar. Was, wenn ihr das von mir Ausgesuchte nicht gefällt und sie deswegen denkt, ich hätte einen schlechten Geschmack? Das würde vermutlich seinem Ansehen unter der weiblichen Bevölkerung Nazaricks schaden.

»Hättet Ihr Einwände, wenn ich Narberal bitten würde, etwas einzukaufen? Der Herrscher der Großen Gruft von Nazarick sollte sich nicht mit dergleichen Dingen abgeben.«

Sebas Tian hatte Ainz’ Gedanken nicht gelesen, nichtsdestotrotz kam der Vorschlag zum perfekten Zeitpunkt.

»Narberal, das macht dir doch nichts aus, oder?«

Eine der NPCs vor der Treppe verneigte sich zur Antwort tief.

»Dann wäre das entschieden, Sebas. Ich überlasse es Narberal. Oder …« Er grinste. Selbstverständlich regte sich nichts seiner Miene, aber es war zumindest seine Absicht, eine verschmitzte Miene aufzusetzen. »Du könntest Tsuare begleiten und ein Date daraus machen.«

Von der Leiterin der Maids hatte er von ihrer Beziehung gehört. Allem Anschein nach war es noch nichts Körperliches, allerdings hatte Demiurge ihm ebenfalls mitgeteilt, dass es lediglich eine Frage der Zeit sei.

Demiurge … Warum hat er gesagt, es wäre gut für Sebas und Tsuare, wenn sie Sex hätten? Nun, vermutlich freut er sich einfach, dass sein Kollege eine Freundin gefunden hat. Wenn man so darüber nachdenkt, kommen sie doch ganz gut miteinander aus. Im Königreich gab es zwar ein paar Spannungen, aber das lag vielleicht nur an den Umständen …? Ich bin zumindest erleichtert. Ihre Schöpfer haben sich ständig gestritten, ich dagegen habe mich meistens rausgehalten …

Der Grund für den Streit zwischen Touch Me und Ulbert lag außerhalb von Yggdrasil, also in der realen Welt: Ulbert war eifersüchtig.

Der ganze Ärger hat nach dieser einen Auseinandersetzung angefangen … Das muss der Auslöser gewesen sein …

Als ihm das klar wurde, fühlte sich Ainz, als würde er auf eine trostlose Wüste hinausblicken, doch beim Klang von Sebas Tians überraschter Stimme verdrängte er diese Gedanken.

»I…Ihr seid damit einverstanden, mein Gebieter? In dem Fall würde ich gerne mit Tsuare einkaufen gehen.«

Ich habe kein Interesse daran, mich über ein glückliches Paar lustig zu machen, nur weil ich alleine bin.

Noch während er darüber nachdachte, wie lächerlich es wäre, die beiden bei ihrer Verabredung in E-Rantel eifersüchtig und heimlich zu verfolgen, bestätigte er: »Natürlich nicht«, bevor er mit dem Kinn auf die andere Person vor ihm deutete. »Also, Solution, was wünschst du dir?«

»Ich hätte gerne ein paar Menschen – wenn das nicht zu viele Umstände macht. Es wäre zudem eine unermessliche Freude, wenn sie auch noch unschuldig wären.«

Ainz dachte an die Menschen, die sich in ihrer Gewalt befanden. Die meisten der Überlebenden waren Mitglieder der Acht Finger – anders gesagt, sie hatten ihn auf die eine oder andere Weise verärgert. Den Berichten zufolge hatte man diejenigen, die nützlich schienen, gefoltert und ihren Willen gebrochen. Ansonsten waren da nur noch jene, für deren Schutz zwei Bewohner Nazaricks sogar eine Bestrafung hinnahmen.

Die kann ich nicht benutzen. Um sie zu schützen, sind Pestonia und Nigredo so weit gegangen, sich meinen Befehlen zu widersetzen.

»Na schön. Du bekommst ein paar lebendige Menschen. Allerdings keine Unverdorbenen. Entschuldige, dass ich deine Bitte nicht vollständig erfüllen kann.«

»Unsinn! Es war unangebracht von mir, überhaupt darum zu bitten! Lebende Exemplare zu bekommen, macht mich bereits über alle Maßen glücklich!«

Auf Solutions tiefe Verneigung reagierte Ainz mit einem Nicken, das seiner Meinung nach für einen Herrscher angemessen war.

»Natürlich. Dann danke ich dir. Nun gut, ihr beide könnt gehen. Entoma, komm zu mir.«

Die Maid trat an die Stelle ihrer Kollegen und kniete nieder.

»Nun denn, Entoma.«

»MEIN GEBIETER.«

Sie war kaum zu verstehen und Ainz zuckte zusammen. »Deine Stimme ist also noch immer nicht normal.«

Lippenkäfer, die Entoma normalerweise benutzte, waren keine Monster, die automatisch in Nazarick spawnten, was nicht bedeutete, es stünden keine zur Verfügung. Hätte sie einen von denen benutzt, die man in ihrem Zimmer mit Yggdrasil-Münzen erschaffen hatte, wäre ihre Stimme wieder ganz die alte. Es gab allerdings einen Grund, warum sie das nicht tat – ein Groll.

»IST SIE EUCH UNANGENEHM? ICH GEHE AUGENBLICKLICH MEINE STIMME HOLEN.«

»Nein, überhaupt nicht. Du weißt doch, ich habe nicht das Geringste gegen diese Stimme.«

»VIELEN DANK!!!«

»Du hast viel geleistet, nur um dich jetzt in diesem Zustand zu befinden, allerdings nicht genug, um eine Belohnung zu rechtfertigen. Ich kann dir nicht so viel zugestehen wie den anderen beiden. Trotzdem, hättest du gerne was?«

Ainz war der Ansicht, mit Belohnungen um sich zu werfen, würde ihn eher unbedacht als großzügig wirken lassen. Alles verlor an Wert, wenn es zu viel davon gab. Darum waren Entomas Leistungen nicht ausreichend, um einen Bonus zu rechtfertigen. Allerdings wäre es grausam gewesen, sie mit leeren Händen wegzuschicken, nachdem sie derart ernsthafte Verletzungen davongetragen hatte.

Wie nennt man das Ding noch gleich? Dieses Verwundetenabzeichen? Purple Heart? Ich kenne mich mit diesem Armeekram nicht aus. Wäre er hier, könnte er mir alles darüber erzählen …

Ainz dachte an ein Gildenmitglied, das ein Militär-Otaku war.

»DANN … LORD AINZ, BITTE LASST MICH WISSEN, OB ES EINE GELEGENHEIT GIBT, DAS KLEINE MÄDCHEN ZU TÖTEN. ICH MÖCHTE IHRE STIMME STEHLEN.«

Er begriff, dass sie von dem geheimnisvollen maskierten Mädchen namens Evileye sprach, darum erteilte er ihr die Erlaubnis. »Nun gut, ich werde dir Bescheid sagen. Du darfst gehen, Entoma.« Er beobachtete, wie sie an ihren angestammten Platz zurückkehrte. »Also schön, weiter im Text …«

Selbstverständlich gab es keine Einwände, was nicht unbedingt bedeutete, dass Ainz zufrieden damit war. Es herrschte Stille, weil ihn die Anwesenden als uneingeschränkten Herrscher betrachteten. Sie glaubten, ein einziges Wort von ihm könne Weiß zu Schwarz machen. Ihr Schweigen bedeutete nicht, dass er richtig handelte.

Vermutlich sollte ich eine Überwachungsagentur und noch ein paar andere Organe einrichten …

Er hatte überlegt, eine Position ins Leben zu rufen, die dafür zuständig war, in seinem Auftrag Belohnungen zu verteilen. Das Problem dabei bestand darin, dass es den NPCs und Lakaien vollkommen normal erschien, Ainz hingebungsvoll zu dienen. Und wie für Sebas war es für sie selbstverständlich, dafür keinerlei Entlohnung zu erwarten. Ein weitere Komplikation waren fehlende Richtlinien. Ainz bewertete die Leistungen aus dem Stegreif.

Wenn wir das Ganze bürokratisch angehen wollen, muss es fixe Standards geben … Vermutlich ist das meine gerechte Strafe dafür, dass ich Albedo die komplette Organisation zugeschoben und mich dann aus dem Staub gemacht habe. Aber für einen Normalsterblichen ist das einfach zu viel. Ich kann kaum auf Erfahrungswerte zurückgreifen …

Satoru Suzuki hatte Belobigungen immer nur erhalten, nie selbst ausgesprochen, doch inzwischen wusste er, was diejenigen durchmachten, die sie vergaben. Hastig verdrängte er diesen Gedanken. Darüber konnte er sich den Kopf zerbrechen, während er sich alleine in dem angenehm riechenden Bett in seinen Gemächern herumwälzte.

»Nun werden wir über einen Plan für Nazarick entscheiden. Demiurge, komm her.«

Das intelligenteste Wesen Nazaricks stieg die Stufen hinauf und blieb vor Albedo stehen.

»Befehlshaberin der Wächter, Albedo. Über alle Maßen weiser Demiurge. Ich denke, unsere ursprünglichen Pläne sind größtenteils umgesetzt worden. Ich wüsste gerne, was ihr denkt, wie es mit Nazarick weitergehen sollte. Zudem gestatte ich jedem, der einen Vorschlag vorzubringen hat, die Hand zu heben.«

Ainz’ höchste Priorität war Nazaricks Fortbestand. Nein, schlimmstenfalls wäre es vertretbar, den Ort selbst zu verlieren, solange die Sicherheit der von seinen Gildenkameraden erschaffenen NPCs gewährleistet war. Mit den eingerichteten Notunterkünften und all den anderen Vorsorgemaßnahmen würde vermutlich alles gut gehen.

Das Zweitwichtigste war, den Namen Ainz Ooal Gown überall in der Welt bekannt zu machen. Das Vorhaben beruhte auf dem optimistischen Gedanken: Sollte einer seiner Gildenkameraden davon Wind bekommen, würde er zu ihm kommen. Er fragte sich, ob es in Ordnung wäre, diesen Punkt hinten anzustellen.

An dritter Stelle folgte die Befestigung Nazaricks. Ainz hatte das Gefühl, dass das eigentlich das Wichtigste sein sollte.

Basierend auf seinen Beobachtungen vertrat er inzwischen die Meinung, dass Ainz Ooal Gown die mächtigste Organisation in einer Welt war, in der die Große Gruft von Nazarick eine mächtige, uneinnehmbare Festung darstellte. Nichtsdestotrotz, irgendwo da draußen lauerten die Feinde, die Shalltear unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Selbst wenn ihnen das lediglich mithilfe eines World-Items gelungen war, bildete dies eine zu große Gefahr, um es zu ignorieren. Und wenn World-Items existierten, wäre es für Nazarick ratsam, sich so zu verhalten, als gäbe es auch andere Gilden. Genau aus diesem Grund verspürte er das drängende Bedürfnis, ihren Heimatstützpunkt zu sichern.

Derzeit waren sie dabei, Echsenmenschen in ihre Organisation aufzunehmen, während Ainz unaufhörlich Untote erschuf. Dennoch hatte er das Gefühl, sie müssten noch mehr tun.

Der vierte Punkt auf der Liste lautete: Informationsbeschaffung. Anfangs hatte dies an erster Stelle gestanden, war jedoch in den Hintergrund gerückt, nachdem es bis zu einem gewissen Punkt erfüllt worden war.

So sahen nach Ainz’ Ansicht die Prioritäten ihrer Operationen aus, allerdings verfügte er lediglich über die Sichtweise eines gewöhnlichen Menschen. Da nichts davon auf ausgewerteten Daten basierte, konnte es Fehler geben, die er übersah. Darum wollte er wissen, was seine intelligentesten Wächter dazu zu sagen hatten. Andererseits, wenn er nichts weiter als ihren Rat wollte, hätte er dieses Gespräch auch im kleinen Rahmen abhalten können. Wenn man bedachte, wie gefährlich es wäre, falls sie herausfinden sollten, wie durchschnittlich Ainz in Wirklichkeit war, so hätte man diese Situation für eine solche Unterhaltung als ungeeignet erachten sollen.

Doch ehrlich gesagt entsprach das nicht der Wahrheit. Tatsächlich musste er es genau das tun, um seine Rolle als Herrscher auf die Weise zu erfüllen, wie es die NPCs erwarteten (auch wenn sie sich seiner Meinung nach nur Wunschträumen hingaben). Klipp und klar ausgedrückt, er musste ein unfehlbarer, unvorstellbar mächtiger Weiser sein.

»Sprecht laut und deutlich, damit euch alle hören können. Die Anwesenden stellen unsere von euch Wächtern persönlich ausgesuchte Elite dar. Sie sollten mit eigenen Ohren hören, wie wir unser weiteres Vorgehen aussehen wird.«

Ja. Es war ein Akt der Verzweiflung – eine größer angelegte Version seiner »Erklärt es allen Wächtern«-Taktik. Auf diese Weise konnte er sich alles erklären lassen, während er vorgab, bereits Bescheid zu wissen, und den Eindruck erweckte, lediglich darum zu bitten, die Dinge für alle anderen im Saal verständlich auszudrücken.

»Nun, Demiurge. Da manche der Anwesenden nicht alle Einzelheiten kennen, gib ihnen einen knappen Überblick über die Situation und darüber, was wir im Königreich erreicht haben.«

»Wie Ihr befehlt.« Demiurge wandte sich an die NPCs am Fuß der Treppe.

Ich habe nur darauf gewartet, das endlich zu hören. Während der letzten Operation war Ainz davon überzeugt gewesen, dass dem weisen Demiurge auf keinen Fall einen Fehler unterlaufen könnte. Doch wenn er darüber nachdachte, wurde er das Gefühl nicht los, dass sein Untergebener möglicherweise weiter ging, als absolut notwendig war.

»Zum einen: Dank der Bemühungen von Mare, Neuronist und des Prinzen des Schreckens stehen die einflussreichsten Vertreter der Unterwelt des Königreichs nun unter unserer Kontrolle. Wenn wir weiterhin besonnen vorgehen, sollten wir ihre Organisation vollständig übernehmen können.«

»Häh?«, gab Ainz leise von sich. Er wollte fragen, warum sie die Unterwelt des Königreichs übernahmen. Er hatte das Gefühl, die kurze Erklärung, die er vorher bekommen hatte, unterschied sich von dieser. Vermutlich könnte man eine ständige Geldquelle und einfachen Zugang zu Informationen als gute Begründungen bezeichnen?

Während er zu diesem Schluss kam, drehte sich Demiurge, der nicht weitergesprochen hatte, zu ihm um und musterte ihn. Dankbar, dass sein Körper nicht schwitzen konnte, fragte Ainz: »Was ist, Demiurge?«

»Oh, ich dachte, Ihr hättet etwas gesagt, Lord Ainz!«

»Ah, tut mir leid. Ich wollte nur zustimmen, vermutlich war das nicht offensichtlich. Also weiter. Erkläre allen, warum wir die Unterwelt des Königreichs übernehmen.«

»Jawohl. Nun, die Kontrolle über die Unterwelt des Königreichs zu besitzen, kann man als ersten Schritt auf dem Weg zu Lord Ainz’ wichtigstem Ziel betrachten: Weltherrschaft. Ich gehe davon aus, dass jeder hier intelligent genug ist, um das zu begreifen.«

Jedes Gesicht, in das Ainz blickte, strahlte Verstehen aus. Offenbar waren nun alle Unklarheiten beseitigt. Einzig und allein Ainz hatte keinen Schimmer, was das Ganze sollte.

»Weltherrschaft?«

Wovon redest du? Wie lange verfolgt ihr dieses Ziel schon? All das waren Fragen, die er selbstverständlich nicht stellen konnte.

Ainz spürte, wie sich die Zahnräder seines Gehirns schneller drehten als jemals zuvor in seinem Leben, während er die Angelegenheit aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtete.

Das ist wirklich seltsam. Ich verstehe es nicht. Wie ist das passiert? Ursprünglich hatte er im Verborgenen agieren wollen, um sich einen gewissen Ruf zu erarbeiten, ohne sich dabei Feinde zu machen, und so hoffentlich Gildenkameraden aufzuspüren, die sich eventuell in dieser Welt aufhielten. Das war insgeheim sein sehnlichster Wunsch.

Jetzt allerdings …

Weltherrschaft?! Wie zum Geier kommt er darauf?!

Er wollte abstreiten, dass dies sein erklärtes Ziel sei, allerdings fehlte ihm der Mut dazu.

Jeder einzelne Lakai, von den NPCs ganz zu schweigen, trug eine Miene zur Schau, die offenbarte, dass ihnen diese Absicht völlig selbstverständlich erschien. Als hätten sie das alles schon längst gewusst. Ein Blick machte deutlich: Dieses Wissen war schon sehr lange im Umlauf. Ainz hatte unwillkürlich den Eindruck, als würde eine einsame, trockene Brise um den Thron wehen.

Ainz Ooal Gown war der uneingeschränkte Herrscher der Großen Gruft von Nazarick und ein Erhabenes Wesen. So sahen ihn seine Untergebenen, was also würde passieren, wenn er dieses Ansehen zunichtemachte?

Er wäre wie ein Popstar, dessen dunkelsten Geheimnisse von den Paparazzi ans Licht gezerrt wurden. Eine Berühmtheit ohne Fans und Einnahmen landete früher oder später auf der Straße. Sein eigenes Schicksal würde vermutlich weitaus tragischer ausfallen.

Sieht so aus, als hätten wir bereits zu viel in dieses Ziel investiert, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen …

Eigentlich, wenn er so darüber nachdachte, klang Weltherrschaft gar nicht so übel.

Selbstverständlich würde es nicht so einfach wie in einem Videospiel sein, aber da ein herkömmlicher Mensch wie Ainz die Vorstellung dermaßen absurd fand, lag die Vermutung nahe, dass er einfach nicht imstande war, dieses Unterfangen in seiner vollen Tragweite zu begreifen. Es ließ sich nicht von der Hand weisen, dass es die perfekte Methode darstellte, sein Ziel, einen Ruf aufzubauen, zu erreichen – selbst wenn es ein schlechter wäre.

Das einzige Problem bestand darin, was seine Gildenkameraden denken würden, sobald sie davon erfuhren. Dann müsste er sich aufrichtig dafür entschuldigen, dass ihm die Kontrolle über Nazarick entglitten war.

Da draußen gibt es Feinde, die Shalltear unter ihre Kontrolle gebracht haben. Vielleicht kann ich das ja als Entschuldigung benutzen … Dann würden sie mir verzeihen … oder?

Da seine Entscheidung nun gefallen war, bedachte Ainz Demiurge, der so wirkte, als würde er auf ein Lob warten, mit einem wohlwollenden Nicken.

»Oh, du hast dich daran erinnert?«

»Selbstverständlich, Lord Ainz. Ich könnte nie auch nur ein einziges Wort vergessen, das Ihr gesprochen habt.«

»Verstehe … Also, das Gespräch von damals …«

»In der Tat, mein Gebieter.«

»Es war dieses eine Gespräch, nicht wahr …?«

»In der Tat, mein Gebieter.«

»Damals also … Nun, das freut mich, Demiurge.«

»Vielen Dank.«

»Dir ist allerdings schon klar, dass es alles andere als leicht ist, die Weltherrschaft zu erlangen, oder?«

»Dem kann ich nicht widersprechen.«

»Also … wie, denkst du, sollen wir das anstellen?«

Ganz schön beeindruckend, dass meine Stimme nicht zittert, wenn ich das mal so anmerken darf.

»Mein Vorschlag lautet, die Erringung der Weltherrschaft ab sofort als oberste Priorität zu behandeln. Ich denke, Nazarick sollte die Initiative ergreifen und offen in Erscheinung treten. Da sich diejenigen, die Shalltear unter ihre Kontrolle gebracht haben, nach wie vor verborgen halten, könnte es für uns problematisch werden, weiterhin im Schatten zu agieren.«

»Ich verstehe …«

Ernsthaft? Unentdeckt zu bleiben, schien sicherer zu sein. Ainz fragte sich, wie Demiurge zu seiner Schlussfolgerung gekommen war.

»Ich sehe das genauso, Lord Ainz. Wenn wir uns der Welt zeigen, können wir uns auch ganz offen mit Problemen befassen. Wir wären nicht länger darauf beschränkt, lediglich eine Handvoll Agenten mit einer Aufgabe zu betrauen oder heimlich Informationen einzuholen.«

Dank Albedos Erklärung fiel bei Ainz endlich der Groschen. Ach so, verstehe.

Einfach zu tun, was sie wollten, statt mühselig und vorsichtig vorzugehen, war äußerst verlockend.

»Wir herrschen also aus dem Verborgenen über das Königreich, zwingen die Bewohner, Nazarick anzuerkennen. Allerdings werde ich keinesfalls akzeptieren, dass Euer Hoheitsgebiet als einem anderen Reich zugehörig betrachtet wird, also …«

Albedos Sorge ließ Demiurge den Kopf schütteln. »Selbstverständlich nicht, Albedo. Ich sehe das genauso. Ich hab die von uns gesammelten Daten analysiert und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es im ganzen Königreich nichts gibt, was für uns von Bedeutung wäre. Mit Ausnahme einer einzigen Person. Das Gleiche gilt für die anderen Nationen. Es wäre dumm, einem anderen Staat zu dienen.«

»Und warum?«

»Einem anderen Staat zu dienen, würde uns nur ausbremsen. Hätten wir das getan, als Shalltear kontrolliert wurde, hätten wir eventuell nicht rechtzeitig reagieren können. Darum, Lord Ainz …«, während er seinen Vorschlag mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit vorbrachte, sah ihn Demiurge eindringlich an, »… schlage ich vor, dass wir ein Land mit dem Namen Die Große Gruft von Nazarick ins Leben rufen.«

Kapitel 1: Eine Einladung zum Sterben

 

 

1

 

 

 

Im Westen des Imperiums Baharuth lag seine Hauptstadt Arwintar. In ihrem Zentrum thronte das kaiserliche Schloss, in dem Jircniv Rune Farlord El Nix (auch bekannt als der Blutige Imperator) wohnte. Im Umkreis des Schlosses befanden sich die Hochschule, die magische Akademie des Imperiums und verschiedene Behörden. Die Stadt verkörperte im wahrsten Sinne des Wortes das Herz des Imperiums.

In ihr lebten weniger Menschen als in der Hauptstadt des Königreiches Re-Estize, dafür war alles opulenter. Und dank umfassender Reformen während der letzten Jahre erfuhr die Stadt gerade eine in ihrer Geschichte nie da gewesenen Wachstumsphase. Ständig wurden neue Güter, Materialien und Talente importiert, während man sich der alten und stagnierenden Dinge entledigte. Jedem Bürger stand die Hoffnung auf eine strahlende Zukunft förmlich ins Gesicht geschrieben.

Während Ainz zusammen mit Narberal durch die Straßen ging, herrschte um sie herum eine nahezu schwindelerregende Atmosphäre der Begeisterung. Normalerweise ließen sich Neuankömmlinge Zeit, um alles in sich aufzunehmen, wobei einigen die vielen Unterschiede zwischen dem Königreich und dem Imperium auffielen.

Für so etwas fehlte Ainz jedoch die Zeit. Und das zeigte sich deutlich in seiner zügigen Gangart.

Die Erklärung dafür war seine Unzufriedenheit.

Der Grund für Ainz’ Anwesenheit in der kaiserlichen Hauptstadt war Demiurges Plan und jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, wurden die Runzeln auf seiner Stirn tiefer – obwohl sein Gesicht nichts weiter als eine magische Illusion war.

Als uneingeschränkter Herrscher der Großen Gruft von Nazarick sollte Ainz Ooal Gown nicht gezwungen sein, für irgendetwas oder irgendjemanden Geduld aufzubringen. Genauso wenig sollte es für ihn notwendig sein, seinen Ärger zu unterdrücken. Für einen Alleinherrscher, dessen Wort Gesetz war – ein Wesen, das etwas Weißes nehmen und erklären konnte, es wäre schwarz, ohne dass daran gezweifelt wurde –, sollte es nichts geben, was nicht seinen Wünschen entsprach.

Warum also befand er sich in dieser Situation? Obwohl er Demiurges Vorschlag ablehnen wollte, gab es einen Grund, der es ihm unmöglich gemacht hatte.

Wenn es darum ging, allen die Macht Nazaricks vor Augen zu führen, war Demiurges Vorhaben unglaublich direkt und würde zu sofortigen Ergebnissen führen. Was Ainz daran nicht gefiel, war die Tatsache, dass es seiner Ansicht nach die Schöpfungen seiner Freunde entehren würde.

Einen gut durchdachten Plan aus rein persönlichen Gründen abzulehnen, wäre erbärmlich und er wollte keinesfalls riskieren, dass irgendwer das Gefühl bekam, ihm würde die Weitsicht fehlen, ihn überhaupt in Erwägung zu ziehen. Abgesehen davon war ihm kein Gegenvorschlag eingefallen.

Etwas ohne Gegenvorschlag abzulehnen, ist letztendlich nichts anderes, als würde man jammern. Das waren die Gedanken des Erwachsenen Ainz, nicht des uneingeschränkten Herrschers Ainz.

Er wiederholte, was er sich bereits mehrere Male gesagt hatte: Beruhige dich. Du musst gelassen bleiben. Wenn du dich zwischen Logik und Emotion entscheiden musst, sollte sich ein Vorgesetzter offensichtlich stets für Logik entscheiden. Wenn sie Glück haben, erzielen diejenigen, die ihre Entscheidungen emotional treffen, erstaunliche Ergebnisse. Meistens ist das Resultat aber ein Rohrkrepierer. Abgesehen davon …

»Sieht so aus, als wären die Würfel gefallen …« Obwohl er keine Lunge hatte, holte Ainz tief Luft und atmete wieder aus. Es störte ihn nicht, dass die Einheimischen den schnaufenden Krieger misstrauisch musterten.

Seine Ehrfurcht gebietende Erscheinung weckte immer Aufmerksamkeit. Besonders seit man begonnen hatte, ihn als Helden zu feiern, stellte es eher die Ausnahme dar, wenn ihn niemand anstarrte. Aus diesem Grund interessierte er sich nicht im Geringsten für die Blicke gewöhnlicher Leute, solange er sich nicht absichtlich darum bemühte aufzufallen. Beispielsweise, wenn er auf Hamsterbacke ritt.

Ein paar tiefe Atemzüge später ließ dieses aufkommende Unwohlsein etwas nach, was ihm endlich genug Energie ließ, sich mit der ihm folgenden Narberal zu befassen.

»Entschuldige. Gehe ich zu schnell?«

Ainz trug eine Plattenrüstung, trotzdem lag ein großer Unterschied zwischen seinen ausgreifenden, männlichen Schritten und Narberals weiblicher Gangart, auch wenn sie eine Robe trug. In Anbetracht ihrer Kraft stellte es vermutlich kein Problem dar, doch als Mann hatte er trotzdem das Bedürfnis, sich für seine Rücksichtslosigkeit zu entschuldigen.

»Nein, keineswegs.«

»In Ordnung …«

Hat sie nur so geantwortet, weil sie mir dient? Oder stört es sie wirklich nicht? Unschlüssig verkürzte Ainz seine Schritte, während er nach einem Gesprächsthema suchte. Es war ihm ein wenig peinlich, wie reizbar er bis eben gewesen war, darum zerbrach er sich den Schädel, worüber sie sich unterhalten könnten, ihm fiel jedoch nichts Brauchbares ein.

Geplauder unter Büroangestellten drehte sich häufig um so belanglose Dinge wie das Wetter. Sport war auch nicht schlecht, in dem Fall musste man bloß bereits im Vorfeld wissen, für welche Mannschaft sich der andere interessierte.

Auf der Suche nach einem Thema zermarterte sich Ainz das Hirn, während er gleichzeitig hart mit sich ins Gericht ging. Warum sollte ich auf Narberal Rücksicht nehmen? Sie ist meine Untergebene! Das ist die perfekte Gelegenheit, das Gespräch mit einem Befehlsempfänger zu üben, während ich versuche, mich wie ein Herrscher zu verhalten. Trotzdem frage ich mich, was für einen Herrscher angemessen ist – oder besser, über was Wesen mit schier unvergleichlicher Macht üblicherweise quatschen …

Ainz dachte an die Alltagsgespräche, die er mit seinem Boss im Büro geführt hatte, und fragte sich, ob so etwas hier angemessen wäre. Er war der uneingeschränkte Herrscher der Großen Gruft von Nazarick, kein Firmenboss. Wenn überhaupt, glich seine Position mehr der eines Firmenpräsidenten.

Nee, nicht ganz das Gleiche wie ein Präsident … Was für Gespräche führt der Herrscher des Königreichs wohl mit jemandem wie Gazef Stronoff? Ich wünschte, ich könnte das als Anhaltspunkt benutzen.

Es war schon etwas spät, um sich jetzt noch über solche Dinge Gedanken zu machen. Schweigend weiterzugehen, wäre unangenehm. Nach wie vor unschlüssig, welches Thema passend wäre, wagte er einen verzweifelten Schuss ins Blaue. »Hey, Nabe … Wie findest du meine Stimme?«

Ainz deutete auf seine Stimmbänder – oder, um es genauer zu sagen, dorthin, wo sie sein sollten. Normalerweise hätte er dort Metall gespürt, diesmal allerdings trafen seine Finger auf etwas Weiches, Nachgiebiges, zusätzlich spürte er eine ungewohnte Feuchtigkeit in der Kehle.

»Um ganz ehrlich zu sein, ich mag sie nicht besonders. Selbstverständlich ist sie nicht schlecht. Ich bevorzuge lediglich Lor… Herr Momons normale Stimme. Ich verstehe den Grund, trotzdem wünsche ich mir manchmal, Ihr würdet wie gewohnt sprechen.«

»Verstehe … Ich finde sie recht nett und angenehm. Neuronist hat sie unter fünfzig Stimmen von Leuten ausgesucht, daher ist es nur verständlich, dass sie einen gewissen Charme hat.«

Plötzlich ächzte Ainz, als er sich an eine Aufnahme seiner eigenen Stimme erinnerte, seine Psyche wurde jedoch augenblicklich stabilisiert.

»Wirklich? Mir gefällt Eure normale besser.«

»Danke, Nabe. Ich hätte allerdings ehrlich nicht gedacht, dass ich dieses Ding benutzen kann …«

Erneut berührte Ainz seinen Hals, während er sich fragte, ob es Narberal ernst meinte oder ob sie ihm bloß schmeicheln wollte. Er spürte, wie sich das Wesen an seiner Kehle – ein Lippenkäfer – bewegte. Wäre er menschlich gewesen, hätte das vermutlich gekitzelt.

Hatte ich einfach keine Ahnung, dass so was möglich ist, oder wurde es mit einem Patch geändert? Solche Wissenslücken könnten gefährlich sein. Wie nervtötend, dass ich meine Informationen über diese Welt mit dem abgleichen muss, was ich in Yggdrasil gelernt habe.

Die Schöpfer von Yggdrasil verfolgten damals die Absicht, es ihren Spieler zu ermöglichen, das Unbekannte zu genießen. In der Hoffnung, die Leute damit zum Experimentieren anzuregen, enthüllten die Entwickler eine große Menge an Daten in Verbindung mit einem System, das jene belohnte, die sich eingehend damit befassten. Somit blieb den Spielern anfangs sehr vieles verborgen.

Über die Karte gab es kaum Informationen, das Gleiche galt für Einzelheiten über Dungeons, wie man Erze abbaute, was essbar war, welche magischen Bestien man als Haustier halten konnte und so weiter. Absolut gar nichts wurde erklärt. In der Welt von Yggdrasil mussten die Spieler alles selbst herausfinden. Es existierte nicht einmal ein Leitfaden dazu, womit sie ihren Charakter ausstatten konnten und womit nicht. Das mussten sie durch Versuch und Irrtum feststellen.

Selbstverständlich ließen sich Walkthroughs und Internetseiten finden, doch die meisten waren nichts weiter als Sammlungen allgemein bekannter Fakten oder die dort verzeichneten Tipps erwiesen sich als recht zweifelhaft. Yggdrasil war ein Spiel, bei dem man das Unentdeckte offenbaren sollte – jede neue Erkenntnis war kostbar. Dieses Wissen einfach so an jeden weiterzugeben, bot keinerlei Vorteile.

Die einzigen vertrauenswürdigen Informationen stammten von der eigenen Gilde oder wurden durch das Handeln mit einer anderen zuverlässigen Gilde erworben. Der Rest wurde für gewöhnlich als wertlos betrachtet.

Es gab sogar einen Zeitraum, in dem ständig verdächtige Posts mit Titeln wie »Ich habe meine Gilde verlassen, darum veröffentliche ich alle unsere Geheimnisse« auftauchten.

Nun, unter all den Lügen konnte man auch ein paar Wahrheiten finden, aber …

Damals gab es eine Gilde namens Das Lodernde Dritte Auge. Der Gründer betrieb eine Yggdrasil-Wiki-Seite, für deren Mitgliedschaft man bezahlen musste. Diese Gruppe machte sich der Schandtat schuldig, Spione zu Elite-Gilden zu schicken, um sie zu infiltrieren und Informationen zu stehlen. Die Admins fanden dies jedoch keineswegs verwerflich. Sie ließen es stillschweigend als akzeptable Methode der Informationsbeschaffung zu. Die Opfer sahen das hingegen ganz anders.

Als die allgemeine Wut überkochte, bildeten die Elite-Gilden eine Allianz und griffen Das Lodernde Dritte Auge an. Spieler campten an ihren Respawn-Punkten, ihrer Gildenbasis und dem Schrein in der Stadt, PK-ten sie jedes Mal, sobald ihre Opfer wieder ins Spiel zurückkamen. Letztendlich wurde Das Lodernde Dritte Auge vernichtet und die Spieler zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen.

Ainz erinnerte sich gerne daran, wie sie das Wiki danach für alle zugänglich gemacht hatten.

Nun, in Ainz Ooal Gown gab es keine Spione … doch ohne diesen Blödsinn hätten wir vielleicht mehr Mitglieder gehabt …

Der Vorfall führte zu einem Aufnahmestopp neuer Gildenmitglieder und am Ende blieben sie bei einundvierzig. Unter den Top-Gilden hatten sie die wenigsten Mitglieder. Im späteren Verlauf von Yggdrasil mochten durchaus Seiten erstellt worden sein, auf denen nur verlässliche Informationen veröffentlicht wurden. Doch Ainz befasste sich hauptsächlich mit denen aus der Zeit, als die Gilde Ainz Ooal Gown ihren Höhepunkt genossen hatte. Und damals hatte es nicht viele brauchbare Details gegeben.

Mein Wissen ist praktisch auf die Zeit von damals beschränkt. Zumindest habe ich die Patch-Notes im Auge behalten. Aber es muss in dieser Welt noch andere Yggdrasil-Spieler geben. Ich darf nicht vergessen, dass ich möglicherweise im Nachteil bin, was Informationen angeht.

Indem sie die Kontrolle über die Acht Finger übernommen hatten, hatten sie gleichzeitig eine Menge über die Umgebung von Nazarick herausgefunden. Ainz hatte sehr viel über das Königreich und das Imperium erfahren und nun setzten sie dieses Wissen gewinnbringend ein. Allerdings waren ihnen nur wenige Details über den Gottesstaat oder den Ratsstaat bekannt, was bedeutete, dass sie sich darum bemühen mussten, mit großer Vorsicht weitere Informationen zu sammeln.

»Meine Güte. Schon darüber nachzudenken, macht mir noch mehr Sorgen. Ich möchte über was Angenehmeres reden.« Ainz zögerte, ließ kurz den Blick schweifen. »Im Imperium ist auf jeden Fall was los.«

»Ach? Für mich sieht es nicht anders als in E-Rantel aus.«

Narberals Antwort sorgte dafür, dass er sich erneut umsah.

»Die Straßen sind belebt und die Passanten haben einen leuchtenden Blick … Ein Anzeichen dafür, dass sie das Gefühl haben, ihr Leben würde sich mit der Zeit bessern.«

Narberal, die ein ganzes Stück hinter ihm ging, erwiderte: »Brillante Beobachtung, Herr Momon«, doch Ainz reagierte nicht darauf. Ihm war viel zu peinlich, was er soeben gesagt hatte. Dies entsprach zwar dem Eindruck, den er von seiner Umgebung vermittelt bekam, trotzdem traute er seinen Augen nicht so recht.

Ich versuche ja nicht, wie Pandora’s Actor zu sein, oder so … Ein »Anzeichen«? Wie könnte ich etwas derart Anmaßendes sagen und mich nicht dafür schämen …? Halte ich mich seit Neuestem für einen Poeten?

Im Königreich musste er sich gewissermaßen wie ein Held verhalten, doch es machte den Anschein, dass er diese Rolle auch hier beibehielt. Während ihm unter seinem Helm vor Scham warm wurde – natürlich war sein Schädel nicht in der Lage zu erröten –, entdeckte Ainz weiter vorne das Gasthaus, das Fluder ihnen empfohlen hatte.

Selbst von Weitem war deutlich zu erkennen, dass die besten Unterkünfte der kaiserlichen Hauptstadt denen in E-Rantel überlegen waren. Dabei handelte es sich allerdings um nichts weiter als eine praktische Beurteilung des Gebäudes. Wenn E-Rantels besten Unterkünfte luxuriöse Gasthäuser mit Geschichte waren, glich dieses hier mehr einem neu eröffneten Nobelhotel. Was davon besser war, war reine Geschmackssache.

»Nun, wissen werden wir es erst, wenn wir reingehen, doch die Atmosphäre spricht für sich.«

Ainz tastete noch einmal nach dem Abzeichen, das um seinen Hals hing – der Beweis, dass er ein Abenteurer mit Adamantit-Rang war –, bevor er auf den Eingang zuging.

Wie in E-Rantel wurde die Tür von muskulösen, in Lederrüstung gekleideten Wachen flankiert. Die beiden musterten Ainz und Narberal misstrauisch, als die durch den Torbogen gingen, bekamen allerdings große Augen, sobald sie etwas Bestimmtes entdeckten.

»S…sind die echt? Sieht so aus, bei der ganzen beeindruckenden Ausrüstung und so, aber …«

Ainz hörte, wie sich der eine flüsternd mit dem anderen unterhielt. Als er sich den strammstehenden, offensichtlich nervösen Wächtern näherte, sagte einer von ihnen höflich und äußerst angespannt: »Verzeiht, Sir Adamantit-Rang-Abenteurer. Es tut mir leid, Euch zu behelligen, doch dürfte ich Eure Marke begutachten?«

Ainz nahm seine ab.

»Dürfen nur Stammgäste in dieses Gasthaus?«

»Ja. Um ein gewisses Maß an Würde zu wahren, weisen wir Leute schon mal ab, es sei denn, sie verfügen über eine Empfehlung. Selbstverständlich gilt das nicht für Abenteurer mit Adamantit-Rang.«

Nachdem sich der Wachmann die Hände abgewischt hatte, verbeugte er sich und nahm die Marke vorsichtig entgegen. Er drehte sie um, las die Gravur auf der Rückseite.

»Sir … Momon von Nachtschwarz?«

»Ganz genau.«

»Dann ist alles in Ordnung. Danke, dass Ihr mir Eure Adamantit-Marke gezeigt habt.«

Mit großer Sorgfalt gab die Wache die Marke zurück. Diese bestand aus ebenjenem Material, das dem darauf verzeichneten Rang seinen Namen gab, wodurch selbst dieses kleine Stück Metall ein Vermögen wert war. Es war extrem hart, also bestand keine Gefahr, sie zu zerkratzen, selbst wenn man sie fallen ließ. Doch bei Verlust einen Ersatz aufzutreiben, konnte teuer werden. Es gab massenhaft Geschichten, in denen jemand gerade eine Goldmarke zurückgeben wollte, nur damit ein krähenähnlicher Vogel namens Kualamberat sie sich schnappte. Das waren keine Erzählungen, um Leute zu ermahnen, besonders vorsichtig mit solchen Marken umzugehen – es war tatsächlich mehrfach passiert.

Als Ainz die Marke wieder in Händen hielt, entspannten sich die beiden Wächter sichtlich.

»Ich geh dann mal rein.«

»Jawohl, Sir. Ich begleite Euch zum Empfang.«

»Oh, danke.«

Im Königreich gibt es so was wie Trinkgelder nicht, dann gilt das vermutlich auch im Imperium?, fragte sich Ainz geistesabwesend, während ihn einer der beiden hineinführte. Sie durchquerten den Empfangsraum, dessen Boden aus Marmor zu bestehen schien, und gingen direkt zum Empfang.

»Dies ist Adamantit-Rang-Abenteurer Sir Momon mit seiner Begleiterin.«

Der vornehme Mann hinter dem Tresen gab der Wache ein Zeichen, die sich daraufhin respektvoll vor Ainz verbeugte und an ihren Posten zurückkehrte.

»Willkommen, Sir Momon. Wir wissen es zu schätzen, dass Ihr Euch für Euren Aufenthalt in der kaiserlichen Hauptstadt für unser Haus entschieden habt.«

Der Rezeptionist verbeugte sich tief.

»Bitte, nur keine Umstände. Wie dem auch sei, fürs Erste buche ich für eine Nacht.«

»Wie Ihr wünscht. Würdet Ihr Euch dann bitte eintragen?«

Ainz hatte seine Unterschrift in der Sprache des Königreiches Dutzende Male geübt.

»Vielen Dank. Und welche Art von Zimmer hättet Ihr gerne?«

Ihm wäre auch ein billiges recht gewesen. Doch das ließ sein Status nicht zu.

Ich kann nicht essen, also muss ich mir keine Nahrung kaufen, aber …

Ainz dachte an verschiedene Gerichte dieser Welt: sämige, süßlich riechende grüne Fruchtsäfte, so was wie rosafarbenes Rührei, geschnetzeltes Fleisch in einer blauen Flüssigkeit. Das alles weckte seine Neugier, allerdings konnte er nichts davon zu sich nehmen.

Kein Verlangen nach Sex, Essen, Schlaf … Dieser Körper hat einige Vorteile, ich habe jedoch auch eine Menge verloren. Zu schade. Andererseits, hätte ich noch einen Körper aus Fleisch und Blut, bestünde die Gefahr, dass ich es übertreibe …

Plötzlich stellte er sich vor, wie er mit Albedo im Bett lag. Er verzog das Gesicht – er dachte an etwas, das weiter ging als sexuelle Belästigung einer Angestellten durch einen Vorgesetzten.

Albedo scheint mich zu lieben, aber … das ist kompliziert. Hätte ich nur nicht … oh!

»Entschuldigung. Mir ist alles recht, was angemessen scheint … Übrigens, kann ich hier mit Gold des Königreichs anstatt der hiesigen Währung bezahlen?«

»Das stellt kein Problem dar. Der Wechselkurs zwischen der Währung des Königreichs und der des Imperiums ist eins zu eins.«

»Verstehe. Dann überlasse ich das Wechseln Euch.«

»Wie Ihr wünscht. Wir bereiten ein passendes Zimmer vor, Sir Momon. Wollt Ihr so lange im Salon warten?«

Ainz spähte zum Schankraum mit seinen fünfzig Sitzplätzen hinüber. Er strotzte nur so vor Eleganz. Zwischen den bequem aussehenden Sesseln gab es jede Menge Platz und ein Barde spielte leise Musik.

»Im Salon stehen Euch sämtliche Speisen und Getränke gratis zur Verfügung, fühlt Euch also ganz wie zu Hause.«

Egal wo auf der Welt man sich befand, der Service schien immer dem zu entsprechen, was man bereit war zu zahlen – nicht, dass Ainz einen Grund hatte, sich in diesem Fall darüber zu freuen.

»Alles klar. Na gut, Nabe, gehen wir.«

Sie schlenderten in den Schankraum hinüber, um sich in zwei frei Sessel zu setzen.

Es gab hier noch einige andere Gäste. Die meisten wirkten wie Abenteurer. Als hochrangiger Abenteurer verdiente man an einem einzigen Auftrag Unsummen. Dadurch hob sich auch der Lebensstandard, was es wiederum nur natürlich für sie machte, in einem Etablissement wie diesem unterzukommen. Das galt vermutlich für jede Stadt. In E-Rantel war es genauso gewesen.

Ainz stellte sicher, dass die Marke, die seinen Rang offenbarte, gut zu sehen war. Wenn man über sie sprach, würde das ihren Ruf als Abenteurer steigern, und dagegen gab es nichts einzuwenden. Als er merkte, dass man sie beobachtete, nahm Ainz die Speisekarte vom Tisch.

Das kann ich nicht lesen …

Er blätterte ziellos darin herum. Er hatte schon vor dem Öffnen gewusst, dass er sie nicht lesen konnte, und es nur getan, um kein Misstrauen zu wecken.

Das Item, das er zuvor Sebas Tian geliehen hatte und mit dessen Hilfe es möglich war, jede Schrift zu lesen, hatte er zwar dabei, allerdings konnte er es hier nicht einfach benutzen.

»Sebas … Tsuare, hmm …«

Während er an seinen Untergebenen dachte, kam ihm der Name der Frau, mit der Sebas liiert war, über die Lippen.

»Was ist mit ihr?«

»Oh, nichts, überhaupt nichts. Ich frage mich nur, ob es ihr gut geht.«

Er hatte sie in Sebas Tians Obhut gelassen, doch da er geschworen hatte, sie zu beschützen, gehörte es zu seinen Aufgaben als Vorgesetzter, zu wissen, wie es seinen Untertanen ging.

»Ich glaube nicht, dass es Probleme gibt. Die Leiterin der Maids befindet sich im disziplinarischen Arrest … darum ist Sir Sebas die ganze Zeit bei ihr, um sie in ihren Pflichten zu unterrichten. Sobald sie die Etikette gut genug beherrscht, wird ihr Unterricht um Kochkunst und andere Fähigkeiten erweitert. Und dann, sobald man weiß, wofür sie eine Begabung hat, teilt man ihr ihren offiziellen Posten zu.«

»Verstehe. Nun, solange Sebas bei ihr ist, ist alles gut, nicht wahr? Und … wäre es nicht langsam Zeit, dass die beiden wieder rausdürfen …? Albedo hat sich inzwischen doch bestimmt etwas beruhigt.«

Narberal antwortete nicht, stattdessen ließ sie den Kopf ein wenig sinken. Offenbar hatte der Kellner nur auf diese kurze Unterbrechung ihrer Unterhaltung gewartet.

»Habt Ihr gewählt?«

»Ich nehme einen Eis-Machiatia. Und du, Nabe?«

»Das Gleiche.«

»Du weißt, du kannst bestellen, was immer du willst.«

»Ja, aber ich möchte trotzdem das Gleiche, bitte. Oh, aber meinen bitte mit extra Milch.«

»Wie Ihr wünscht.«

Der Kellner verneigte sich tief und zog sich leise zurück.

Ein Machiatia war ein Getränk mit derselben Farbe wie ein Caffè Latte, den Ainz schon öfter in Gasthäusern in E-Rantel gesehen hatte. Der Geruch war ebenfalls ähnlich, allerdings wusste er, dass es in dieser Welt auch Kaffee und Lattes gab. Dennoch hatte er keine Vorstellung davon, wie ein Machiatia schmeckte. Natürlich konnte er nicht einfach einen trinken. Er hatte es einmal ausprobiert, woraufhin das Getränk einfach durch seinen Unterkiefer gelaufen war, ohne dass er dabei etwas geschmeckt hatte. Es war also zwecklos.

Der Grund für die Bestellung bestand darin, dass er es für angemessen hielt, da dieses Getränk anscheinend nur in edlen Etablissements zu bekommen war.

Während er sich etwas nicht vorhandenen Schweiß von der Stirn wischte, stellte er Narberal eine offensichtliche Frage.

»Nabe, wie schmeckt ein Machiatia?«, erkundigte er sich, weil er wusste, dass sie bereits einen getrunken hatte.

Einen Moment lang wirkte sie, als würde sie darüber nachdenken. Ihre Miene glich der von jemandem, der sich fragte, wie man jemandem, der noch nie so etwas getrunken hatte, den Geschmack von Kaffee erklären sollte.

»Hmm. Es ähnelt einem Kaffee Shakelato. Allerdings mag ich den leichten Nachgeschmack von Kondensmilch nicht.«

»Verstehe. Klingt lecker.«

Shakelato? Nie gehört. Kann sein, dass es etwas ist, das es nur in dieser Welt gibt.

»Ich würde es als nicht schlecht bezeichnen.«

Noch während Ainz nachdenklich brummte, wurden ihre Getränke serviert.

»Nur zu. Es wirkt sonst seltsam, wenn wir beide nichts trinken.«

Er hatte sich im Königreich so sehr daran gewöhnt, immer seinen Helm zu tragen, dass es ihm vollkommen entging, wie unnatürlich es schien, ihn nicht abzunehmen, wenn man ihm ein Getränk brachte.

»Danke.«

»Du kannst dich ruhig deinem Getränk widmen, aber hör bitte zu. Ich überlege, mir zwei Tage zu nehmen, um mir die kaiserliche Hauptstadt anzusehen. Ich habe gehört, der Großmarkt im Zentrum verfügt über ein erstaunliches Sortiment, so gut, dass es schon Spaß macht, sich einfach nur umzusehen. Und dann gibt es da noch den nördlichen Markt. Dort soll es hauptsächlich magische Items geben, deshalb zieht dieser Ort Abenteurer an.«

Diese Informationen stammten von den Acht Fingern. Es gab noch zusätzliche Details bezüglich der Unterwelt, allerdings hatte Ainz nicht vor, sich damit zu befassen, weswegen er die entsprechenden Dokumente nur überflogen hatte.

»Am dritten Tag gehen wir zur Abenteurergilde. Wenn möglich möchte ich die Adamantit-Abenteurer des Imperiums kennenlernen, doch wenn das nicht machbar ist, erledigen wir einen kurzen, simplen Auftrag, um uns sozusagen vorzustellen. Am besten versuchen wir, in sieben Tagen wieder abzureisen. Irgendwelche Vorschläge oder sonst was?«

Narberal, die aufgehört hatte zu trinken, um ihm zuzuhören, schüttelte den Kopf.

 

 

 

2

 

 

 

Die kaiserliche Hauptstadt war die Verkörperung der Macht des Imperiums. Es gab viele atemberaubende Sehenswürdigkeiten, doch eine Tatsache erstaunte so gut wie jeden Besucher: Beinahe jede Straße war mit Ziegeln oder Steinen gepflastert.

Keine der umliegenden Nationen – nicht einmal der Gottesstaat, obwohl er fortschrittlicher als die meisten anderen war – verfügte auch nur annähernd über vergleichbare Straßen. Diese Qualität fand sich nicht in jeder Stadt des Imperiums, dennoch war der Anblick der Metropole ausreichend, um besuchenden Diplomaten das Potenzial des Imperiums vor Augen zu führen.

Die Hauptstraße war besonders prächtig. Als einer der größten Verkehrswege der kaiserlichen Hauptstadt war sie direkt mit der Landstraße verbunden. Wie auf herkömmlichen Straßen bewegten sich Gespanne und Pferde in der Mitte, während Passanten am Rand gingen.

Den größten Unterschied zu anderen Ortschaften bildeten die diversen Sicherheitsvorkehrungen. Der Gehweg war durch einen Handlauf von der Straße getrennt. Ein Bordstein und die daraus resultierende Erhöhung stellte ein weiteres Sicherheitsmerkmal für Passanten dar. Zusätzlich säumten Lampen, die nachts magisches Licht spendeten, den Straßenrand, hinzu kamen die vielen patrouillierenden Ritter.

Auf dieser Straße, der sichersten im ganzen Imperium, ging ein dämlich grinsender Mann, der zufrieden vor sich hin summte. Er war etwa einen Meter siebzig groß. Was sein Alter anging, so ließ er sich vermutlich auf nahezu zwanzig schätzen. Blondes Haar, blaue Augen, eine gesunde Bräune – ein Mann mit Gesichtszügen, die man überall im Imperium fand.

Er war nicht gut aussehend, vielmehr durchschnittlich, und wäre in einer Menschenmenge nicht aufgefallen. Und doch strahlte er etwas Ansprechendes aus. Möglicherweise lag es an dem fröhlichen Lächeln oder der Selbstsicherheit, die er an den Tag legte.

Bei jedem Schritt, mit jedem Schwingen der Arme, erklang das klirrende Schaben von Metall unter seiner edlen, makellosen Kleidung. Ein aufmerksamer Beobachter hätte daraus schlussfolgern können, dass er ein Kettenhemd trug.

Zu beiden Seiten der Hüfte trug er je ein Schwert – der Länge nach Kurzschwerter. Über die gesamte Grifflänge verlief ein Handschutz. Die Scheiden waren nicht verziert, wirkten allerdings auch nicht billig. Weiter hinten am Gürtel hing eine stumpfe Waffe, ein Streitkolben. Zusätzlich führte er noch einen Panzerstecher mit sich, ein langes einschneidiges Messer, das dazu diente, im Nahkampf die Rüstung des Gegners zu durchstechen.

In dieser Welt war es normal, eine oder zwei Waffen mit sich zu führen, es gab jedoch nicht viele, die drei verschiedene Angriffsweisen – stoßen, schneiden und zertrümmern – beherrschten.

Jemand mit ein wenig Ahnung hätte ihn daher für einen Abenteurer gehalten. Jemand mit etwas mehr Ahnung hätte allerdings das Fehlen der Marke bemerkt, die Abenteurer für gewöhnlich um den Hals trugen, und ihn als »Mietklinge« erkannt.

Mietklingen … ausgestoßene Abenteurer.

Die Gilde nahm Aufträge entgegen, begutachtete sie, bevor man sie Abenteurern von passendem Rang zuwies. Anders ausgedrückt, die Gilde sorgte dafür, dass keine unangemessenen Missionen ausgegeben wurden. Fragwürdige Aufträge – solche, bei denen die Sicherheit von Zivilisten gefährdet wurde oder die ein Verbrechen darstellten – wurden von vornherein abgelehnt und manchmal setzte man den Antragsteller auf die schwarze Liste. Beispielsweise tat die Gilde alles, um Anträge auszusortieren, bei denen es darum ging, Pflanzen für die Herstellung von Rauschgift zu beschaffen.

Ebenso wurden solche abgelehnt, die das Gleichgewicht eines Ökosystems stören könnten. Man würde nie Abenteurer losschicken, um vorsorglich ein Monster zu töten, das an der Spitze der Nahrungskette eines Waldes stand. Der Tod dieser Kreatur könnte die Balance zerstören, was wiederum dazu führen könnte, dass andere Monster außerhalb des Waldes auftauchten. So etwas wollte die Gilde vermeiden. Selbstverständlich war es etwas vollkommen anderes, wenn besagtes Monster den Wald verließ und über menschliche Siedlungen herfiel.

Anders ausgedrückt, Abenteurer waren gewissermaßen eine Art Gesetzeshüter. Allerdings gab es immer jemanden, der sich nicht an solche noblen Ideale halten wollte. Manche hatten es einfach nur auf Geld abgesehen und waren bereit, für entsprechende Bezahlung jeden Auftrag anzunehmen. Anderen machte es schlichtweg Spaß, Monster zu töten.