The Rising of the Shield Hero – Light Novel 03 - Kugane Maruyama - E-Book

The Rising of the Shield Hero – Light Novel 03 E-Book

Kugane Maruyama

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Beschreibung

Noch immer begegnen die anderen Helden Naofumi mit Argwohn. Doch wie bereits zuvor werden sie zu Beginn der dritten Welle gemeinsam aufs Schlachtfeld teleportiert. Hier treffen sie auf einen Gegner, der ihnen an Stärke und Wissen weit überlegen ist. Naofumi hat keine andere Wahl: Er muss den »Schild des Jähzorns« einsetzen. Beim letzten Mal hat er allerdings die Kontrolle verloren und Raphtalia schwer verletzt. Wird ihn der Zorn erneut mitreißen?

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Inhaltsverzeichnis

Prolog
Kapitel 1:Filos Freundin
Kapitel 2:Die Früchte des Reisehandels
Kapitel 3:Engelsliebe
Kapitel 4:Die Freiwilligen
Kapitel 5:Ein direkter Befehl vom König
Kapitel 6:Willkommen
Kapitel 7:Der Rächer der Armen
Kapitel 8:Vor dem Sturm
Kapitel 9:Des Identitätsschwindels bezichtigt
Kapitel 10:Die dritte Welle
Kapitel 11:Grow-up
Kapitel 12:Die Eiserne Jungfrau
Kapitel 13:Der Bruch
Kapitel 14:Der Reiseantritt
Kapitel 15:Der Schildteufel
Kapitel 16:Steckbrieflich gesucht
Kapitel 17:Die Stärke der Prinzessin
Kapitel 18:Überredungskünste
Kapitel 19:Die Geschenke des Waffenhändlers
Kapitel 20:Der Schatten
Epilog:Mein Name
Extrakapitel:Ehe ich meiner besten Freundin begegnete

Prolog

»Uff, die Unannehmlichkeiten häufen sich echt. Hätten wir lieber Nein sagen sollen?«

Die Menschen aus dem östlichen Dorf waren mit einem Gesuch zu uns gekommen: »Bitte bekämpft die Monster.«

Zwar war es uns gelungen, den Kadaver des Zombiedrachen zu beseitigen, der die Berge kontaminiert hatte, doch nun stiegen offenbar nach und nach die verbliebenen Monster herab.

Wenn sie begriffen, dass ihnen in der Nähe des Dorfes Gefahr drohte, würden sie vielleicht umkehren. Zu diesem Zweck hatten wir die Aufgabe der Rausschmeißer auf uns genommen.

Ich hätte gern abgelehnt, aber sie hatten uns ebenfalls geholfen, etwa bei Raphtalias Heilung, daher hatte ich es ihnen schwer abschlagen können. Somit waren wir nun auf dem Weg in die Berge.

»Nicht zu ändern. Dann nehmen wir’s mal in Angriff, was?«

Mein Name ist Naofumi Iwatani. Ich bin ein Universitätsstudent aus dem gegenwärtigen Japan und außerdem ein Otaku. Ich bin zwanzig Jahre alt.

Eines Tages war mir in der Bücherei das Buch mit dem Titel Traktat der Waffen der vier Heiligen in die Hände gefallen. Beim Lesen hatte ich das Bewusstsein verloren, und als ich wieder erwachte, fand ich mich in einer fremden Welt wieder. Ich war als einer jener Helden, von denen in dem Buch die Rede gewesen war, dorthin beschworen worden.

Die Bewohner dieser Welt sahen sich einem Unglück gegenüber, den sogenannten »Wellen«. Bei diesem Phänomen klaffte ein Spalt zwischen den Dimensionen auf, und Monster strömten daraus hervor. Um dieser Katastrophe Herr zu werden, war heldenhafte Stärke vonnöten.

Ich war als Held des Schildes beschworen worden und musste mich nun eben jenen »Wellen« entgegenstellen.

Anfangs dachte ich, das wäre eine traumhafte Aufgabe, doch lästigerweise war es mir mit dem Schild, mit dem ich in dieser Welt erschienen war, unmöglich, jemanden zu verwunden. So hart ich auch damit zuschlug, für meine Gegner fühlte es sich lediglich so an, als würde sie eine Mücke stechen. Effektive Mittel für einen Angriff hatte ich nicht. Meine einzige Stärke lag in meiner hohen Verteidigungskraft. Anders gesagt: Außer abwehren konnte ich nichts.

Ich hatte Gefährtinnen auf meine Reisen mitgenommen. Und gerade waren wir mitten in einem Kampf.

»?!«

Plötzlich kam eine Monsterlibelle auf uns zugeschossen. Sie prallte jedoch mit einem lauten Knall von meinem Schild ab.

Dieser Schild konnte Materialien einsaugen, Monster wie Gegenstände. Auf diese Weise spielte ich bessere Versionen mit verschiedenen Fertigkeiten und Kräften frei und wurde somit allmählich stärker.

Klar, der Schild brachte Nachteile mit sich, aber er hatte mich auch schon zahllose Male gerettet. Zudem konnte ich mit ihm Arzneien herstellen und die Qualität zubereiteter Mahlzeiten verbessern … Praktisch war er schon.

Allerdings konnte ich ihn, so sehr ich es mir auch wünschte, niemals ablegen – er blieb stets in Kontakt mit meinem Arm. Das musste irgendeine Art von Fluch sein. Daher hatte ich keine andere Wahl, als auf meine Gefährtinnen zu bauen und ihnen den Angriff zu überlassen.

»Herr Naofumi, bist du in Ordnung?!«

Das Mädchen mit den Ohren und dem Schwanz eines Waschbären zerteilte eine riesige Giftfliege in der Mitte.

Ihr Name war Raphtalia. Sie war eine Subhumanoide der Spezies »Waschbär« und meine Sklavin. Ich hatte sie erworben, nachdem man mich aus dem Palast gejagt hatte, damit sie für mich Gegner besiegte. Damals hatte sie noch wie ein Mädchen von etwa zehn Jahren ausgesehen, aber es hatte sich bald gezeigt, dass Subhumanoide, wenn sie hochlevelten, auch körperlich rapide wuchsen. Daher wirkte sie mittlerweile wie eine etwa Siebzehnjährige.

Sie hatte definitiv ein hübsches Gesicht, war aber eher der niedliche als der Modeltyp.

Sie war sehr gewissenhaft – oft kam es mir so vor, als grübelte sie darüber nach, was zu tun das Richtige sei.

Bevor ich in diese Welt gerufen worden war, hatte sie durch die erste Welle ihr Heimatdorf und ihre geliebten Eltern verloren. Daher kam wohl auch ihr Antrieb, gemeinsam mit einem Helden den Monstern entgegenzutreten.

»Das Abwehren überlasse ich dir, ja?«

»Alles klar!«

Ich war dankbar, dass Raphtalia ihr Vertrauen in mich setzte.

Ich hatte sie aufwachsen sehen, daher empfand ich so etwas wie väterliche Gefühle für sie. Das fühlte sich irgendwie komisch an, schließlich war ich selbst erst zwanzig, aber ich hatte sie erfolgreich großgezogen, und damit einher gingen eben auch derartige Empfindungen. Wahrscheinlich war das bei Raphtalia ähnlich. Zweifellos betrachtete auch sie mich als einen Elternteil – schließlich war sie die ganze Zeit über bei mir gewesen. Deswegen war ich bereit, mich auf sie zu verlassen.

In dem Moment tauchte vor mir plötzlich eine Silhouette auf.

»Bölk!«

Ein Filolial in seiner Vogelform trat den Giftbaum weg, der sich mir soeben genähert hatte.

Dieses Filolialweibchen war zwar ein Monster, aber es gehörte zu unserer Gruppe. Es hieß Filo und hing sehr an mir.

Filo besaß eine mysteriöse Kraft: Sie konnte sich in ein kleines Mädchen mit blondem Haar, blauen Augen und zwei Flügeln auf dem Rücken verwandeln.

In ihrer eigentlichen Gestalt war sie … nun, zwar schon ein Filolial, aber sie unterschied sich doch ein wenig von den gewöhnlichen Filolials – sie sah eher aus wie eine Kreuzung zwischen Strauß und Eule.

Wir gingen bis auf Weiteres davon aus, dass es sich bei ihr um eine Filolial-Königin handelte.

Sie war so stark, dass sie eine schwere Pferdekutsche ziehen konnte, war aber auch dementsprechend verfressen: Alles, was nicht niet- und nagelfest war, verschwand in ihrem Schnabel.

Niedlich sah sie aus, aber davon durfte man sich nicht täuschen lassen, sonst erlebte man eine böse Überraschung.

Vom Charakter her war sie … Arglos? Frei? »Einfach gestrickt« traf es wohl am besten. Sie machte stets ein zufriedenes Gesicht.

Das Ei, aus dem sie geschlüpft war, hatte ich bei dem Sklavenhändler gekauft, von dem ich auch Raphtalia hatte. Es war eine Art Monsterlotterie gewesen: Aus augenscheinlich nahezu identischen Eiern suchte man sich für 100 Silbermünzen eines aus. Und als schließlich die Schale entzweigebrochen war, hatte Filo ihr Köpfchen herausgestreckt.

Sie war mittlerweile zwei Wochen auf der Welt – was nicht so recht zu ihrem Erscheinungsbild passte.

Jedenfalls war ich ihr Ziehvater.

»Das dürfte es so ziemlich gewesen sein, oder, Herr Naofumi?«

»Ich wollte aber noch weiterkämpfen …«

Unsere Arbeit hatte recht rasch Wirkung gezeigt: Nach nur etwa einer Stunde flohen die Monster wieder zurück in die Berge.

»Geht’s dir gut, Raphtalia?«

Wegen eines Fluchs waren ihre Bewegungen schwerfällig. Es lag wohl daran, dass es ein mächtiger Fluch war.

Ich selbst hatte ihn ihr verpasst, als wir hier am Vortag gegen einen Zombiedrachen gekämpft hatten. Aber wenn man es genau nahm, war einer der anderen Helden, der wie ich in diese Welt gerufen worden waren, an der ganzen Sache schuld. Er hatte uns dieses Problem hinterlassen.

Während wir gegen den Zombiedrachen gekämpft hatten, war plötzlich der Schild des Jähzorns aus der »Curse Series« erwacht, und ich hatte seine Kraft eingesetzt. Das Feuer, das der Schild hervorbrachte, hatte allerdings meine liebe Gefährtin Raphtalia versengt

Der verfluchte Schild hatte von mir Besitz ergriffen. Um mich zu retten, hatte Raphtalia sich geopfert und dabei diese Wunden erlitten.

Ich, der ich mit meinem Schild nur verteidigen konnte, ging daher beim Kampf nach vorn und widmete mich vorrangig der Aufgabe, Raphtalia zu beschützen.

»So schlimm sind die Verletzungen nicht, Herr Naofumi.«

»Ach nein?«

»Hi hi … Aber ich freu mich ja schon ein bisschen, dass du dir solche Sorgen um mich machst.«

»Es tut mir wirklich leid.«

»Du hast versprochen, das nicht mehr zu sagen.«

Mach dir nichts draus, schien ihr Lächeln auszudrücken, aber dadurch fühlte ich mich nur umso schuldiger.

»Geht’s dir gut, große Schwester?«

»Ja, es ist alles in Ordnung. Stimmt’s, Herr Naofumi?«

»Hm, aber du darfst dich nicht überanstrengen.«

»Es … ist lieb, dass du dir Sorgen machst.«

Nun, ich war froh, dass sie nicht allzu schwer verwundet war.

»Na, dann ist unsere Arbeit hier wohl getan. Morgen fahren wir zusammen in die Schlossstadt.«

Wir waren auf dem Heimweg von unserer Monsterjagd. Die Berge hatten wir hinter uns gelassen und wir gingen gerade über das Flachland Richtung Dorf.

»Meister, da ist irgendwas …«

Wildes Filolial A aufgetaucht!

Wildes Filolial B aufgetaucht!

Wildes Filolial C aufgetaucht!

Bei den Filolials ist ein Mädchen mit blauem Haar aufgetaucht!

Was hat das Mädchen bei den wilden Filolials zu suchen?!

Ich musterte es eingehend … Konnte jedoch nichts Ungewöhnliches an ihm feststellen.

»He, was machst du hier draußen?«, fragte ich vorsichtshalber. »Stammst du aus dem Dorf?«

Aber noch ehe das Mädchen etwas sagen konnte, reagierten die Filolials, indem sie alle gleichzeitig ein lautes »Kwah?!« von sich gaben.

Als die Filolials Filo entdecken, sehen sie erschrocken aus!

Filolials A, B und C ergreifen rasch die Flucht!

»Ah …«

Das Mädchen streckte voller Bedauern die Hand nach den fliehenden Monstern aus.

Was hatte es mit der Kleinen auf sich? Hatte sie mit den Filolials gespielt?

Nun … Ich kannte ja Filo und konnte mir daher ungefähr vorstellen, wie die Sache abgelaufen war. Bestimmt hatte sie sie an sich gewöhnt, indem sie sie fütterte – so verfressen, wie die waren.

Ich musterte sie: Sie trug vornehme Kleidung. War sie womöglich eine Adlige oder die Tochter eines Händlers auf der Durchreise?

»Was ist denn nun los?«

Die Filolials hatten das Mädchen einfach zurückgelassen, also gehörten sie nicht ihr. Waren es Wildtiere gewesen?

Bei einer Begegnung sofort davonzulaufen, war ein typisches Verhalten seltener Monster, die viel Erfahrung und Geld einbrachten. Aber besiegte Filolials brachten nicht wirklich viele EXP ein, schließlich waren sie allerorts zu finden. Wahrscheinlich hatten sie sich beim Anblick einer Filolial-Königin erschrocken und waren reflexartig geflohen.

»Diese Vögel sehen irgendwie lecker aus. Das denk ich jedes Mal, wenn wir Menschen begegnen, die welche halten.«

»Die gehören zu deiner eigenen Rasse«, sagte ich zu Filo, die sich schon den Schnabel leckte.

Sah für sie denn wirklich alles nach Essen aus? So einfach wurde sie zur Kannibalin? Furchterregend!

»Wenn wir sofort losrennen, kriegen wir sie noch, Meister!«

»Lass es gut sein.«

Die kannte wirklich keine Hemmungen.

Bei EXP fiel mir ein, dass ich mir nach dem Kampf gegen den Zombiedrachen noch gar nicht unsere Level angesehen hatte.

Naofumi: Level 38
Raphtalia: Level 40 ★
Filo: Level 40 ★

Sternchen …?

»Sagt mal, hinter euren Leveln stehen Sternchen. Wisst ihr was darüber?«

Irgendwie bekam ich ein ungutes Gefühl.

»Also …«

»Ich weiß nicht.«

Hm … Da muss ich wohl in die Hilfe schauen.

Komisch. Irgendwo musste es doch eine Erklärung geben, aber ich konnte keine finden. Ich würde später noch einmal in Ruhe nachsehen.

Hm? Das Mädchen bei den wilden Filolials hatte uns bemerkt und sah zu uns herüber.

»Oh … Ein Filolial?«

»Hä? Meinst du mich?«

»Du kannst sprechen?«

Irgendwie hatten das Mädchen und Filo sofort einen Draht zueinander.

»Mhm.«

»Ich hab immer davon geträumt, mal mit einem Filolial zu sprechen!«, rief das Mädchen aufgeregt. »Lass uns noch ein bisschen plaudern!«

Sie schien etwa zehn Jahre alt zu sein. Ihr Haar war blau, von einem etwas dunkleren Ton … Marineblau vielleicht? Sie hatte es zu zwei Zöpfen gebunden und sah mich an, als wüsste sie genau, was sie wollte. Ihre Kleider wirkten teuer, es war offensichtlich, dass sie aus gutem Hause stammte.

»Was machen wir jetzt, Meister?«

Tja … Was nur? Mich beschlich das Gefühl, dass die dahergelaufene Adelstochter sich Filo eventuell unter den Nagel reißen wollte. Unbestreitbar bot sich hier jedoch eine Chance: Wenn ich mich mit ihrer blaublütigen Familie gut stellte, kamen vielleicht Erfolg versprechende Geschäftsgespräche zustande …

Beruflich war ich ja eher der Heilige mit dem Göttervogelwagen als der Schildheld. Schon mehrmals hatten Personen Interesse an Filo gezeigt, einem Monster, das ein Heiliger für seinen Handel nutzte.

Natürlich hatte ich nicht vor, sie zu verkaufen. So war ich aber schon oft mit Leuten ins Gespräch gekommen, denen ich dann am Ende meinen billigen Schmuck zu einem hohen Preis andrehen konnte.

Da ich nie verriet, dass ich der Held des Schildes war, begegneten mir die Menschen gemeinhin wohlwollend. Insofern war es sicher nicht verkehrt, mich ein bisschen beliebt zu machen.

Erstaunlich war es schon: Dieses Kind hatte mit einem Blick erkannt, dass Filo ein Filolial war.

»Sprechender Filolial, wie heißt du?«

»Filo.«

»Hallo, Filo! Ich heiße … Mel!«

»Hallo, Mel!«

»Hey, Filo, magst du das hier?«

Das Mädchen mit dem Namen Mel holte etwas Trockenfleisch aus ihrer Tasche und hielt es Filo hin.

Aha, sie wusste offenbar vom großen Appetit dieser Monster.

»Ui … Danke!«

Mit offensichtlichem Genuss kaute Filo auf dem Trockenfleisch herum.

»Hi hi hi.«

Mel schien sich darüber zu freuen, dass es Filo schmeckte. Sie streichelte ihr sanft das Gefieder.

Eins war klar: Sie mochte Filolials sehr gern. Und ich spürte, dass das Interesse bei ihr ein anderes war als bei den anderen – sie war nicht bloß scharf auf eine Rarität. Bestimmt wäre sie ihr eine gute Freundin. Filo sollte sich ruhig mal anstrengen und uns gute Kontakte sichern.

»Filo. Wir haben heute noch im Dorf zu tun. Mach du ruhig, worauf du Lust hast. Und hab viel Spaß!«

»Toll! Gehen wir?«

»Mhm!«

Filo lief mit Mel über die Wiese davon, um mit ihr zu spielen.

Wieder im Dorf angekommen, arbeiteten wir weiter hart daran, die Seuche auszumerzen.

Als wir dem Heiler unsere Hilfe anboten, bat er uns, ihm bei der Medizinherstellung zur Hand zu gehen.

Ich mischte die Zutaten, und schneller als gedacht waren wir mit der Arbeit fertig.

Ich hoffte, dass schon bald alle genesen sein würden und wieder Ruhe im Dorf einkehrte.

Immer wenn ich aus dem Fenster blickte, sah ich Filo mit den Dorfkindern spielen.

»Oh Heiliger … Bitte nehmt dies …«

Der Dorfvorsteher überreichte mir ein Säckchen.

»Es ist das Geld, um das Ihr gebeten habt. Bitte nehmt es an!«

Stimmt ja! Es war noch nicht herausgekommen, wer ich in Wahrheit war. Hier war ich nicht der verbrecherische Schildheld, sondern der Heilige mit dem göttlichen Vogel, der als Reisehändler Wunder wirkte.

»Okay …«

Ich nahm den Beutel entgegen und fing an, das Geld zu zählen … Dann tat ich etwa die Hälfte in einen anderen Beutel und gab ihn dem Dorfvorsteher.

»Wa…?«

»Es ist nicht allein mein Verdienst, sondern auch der eures Heilers. Gib ihm die Hälfte.«

»S... Sehr wohl ...«

Es wäre heikel gewesen, wenn wir den Heiler nicht gehabt hätten. Alleine wäre ich mit der Epidemie höchstwahrscheinlich überfordert gewesen. Insofern gebührte eigentlich ihm die Ehre.

»Also dann.«

Um Raphtalia zu heilen, wollte ich mit ihr zu einer großen Kirche, aber die Sonne ging bereits unter. Es war wohl besser, wenn wir noch eine Nacht blieben.

Als wir uns im Gasthaus des Dorfes ausruhten, stieß Filo fröhlich dazu.

»Ich hab eine neue Freundin gefunden!«

»Ach? Das ist aber schön. Das Mädchen, das wir auf dem Heimweg getroffen haben?«

Ich hatte geglaubt, das wäre längst beschlossene Sache gewesen. Und war diese Mel nicht eigentlich Filos erste Freundin? Raphtalia war ja eher so etwas wie eine Mutter … oder vielleicht eine große Schwester?

»Genau! Ach, und dieses Mädchen, ja? Sie sagt, sie reist an alle möglichen Orte, so wie ich.«

»Aha, sieh an … Die reisen durch die Gegend? Dafür war sie überraschend gut gekleidet.«

Vielleicht war sie das einzige Kind eines reichen Kaufmanns, und sie waren nur zufällig in der Nähe des von der Seuche geplagten Dorfes vorbeigekommen.

Filo schien bei Kindern gut anzukommen. Nun, sie war ja auch umgänglich.

Dass Filo Menschengestalt angenommen hatte, hatte das Mädchen offenbar einfach hingenommen. Überaus anpassungsfähig.

»Und sie hat mir alles Mögliche beigebracht, was ich noch nicht wusste. Was für Monster Filolials sind und so. Und was es so alles für Legenden gibt. Ganz viele!«

»Aha.«

Ich gab einfach nur bestätigende Laute von mir. Filo war keine gute Erzählerin – man verstand nur schwer, worauf sie überhaupt hinauswollte.

Ich wusste noch gut, wie ich sie über ihre Zauberei hatte ausfragen wollen, aber sie hatte nur irgendetwas von »ganz doll anstrengen« gefaselt.

»Und, weißt du, als sie mit den Filolials gespielt hat, da hat sie die anderen verloren, und jetzt weiß sie nicht, was sie machen soll …«

»Na, das ist doch schön …«

»Ähm … Herr Naofumi? Hast du überhaupt richtig zugehört?«

»Hm?«

Wenn ich ehrlich war, war ich abgedriftet. Aber ich bemühte mich trotzdem, mir das Gesagte ins Gedächtnis zu rufen. Dieses Mädchen, mit dem sich Filo angefreundet hatte … war von ihren Leuten getrennt worden? Das hörte sich aber gar nicht gut an. Ich wandte mich um und sah das Mädchen neben Filo stehen.

»Es tut mir leid, dass ich so spät am Abend störe, aber … Dürfte ich vielleicht für eine Weile bei Euch bleiben?«

»He, Moment, erzählt noch mal der Reihe nach. Ähm, Mel heißt du, oder? Was machst du überhaupt hier? Solltest du nicht lieber versuchen, deine Leute wiederzufinden?«

»Nun ja … Ich bin mit den Filolials mitgegangen, und nun weiß ich gar nicht mehr, wo ich eigentlich bin … Ich weiß, wo wir hinwollen, aber meinen Geleitschutz hab ich schon vor längerer Zeit verloren …«

»Geleitschutz? Heißt das, du bist eine Adlige? Oder eine Kaufmannstochter oder so?«

»Ähm …« Sie wandte den Blick ab. Dann nickte sie zaghaft.

»Ja, das habt Ihr richtig erkannt. Ich bin die Tochter von Adligen. Aber nennt mich bitte Mel. Ich habe gehört, dass Ihr als Besitzer der Kutsche, die Filo zieht … ein Heiliger seid? Und dass Ihr morgen in die Schlossstadt wollt. Könntet Ihr mich wohl bitte bis dorthin mitnehmen?«

Das Mädchen hatte seine Bitte ausgesprochen höflich vorgetragen.

Hm. Wenn ich sie wohlbehalten ablieferte, sprang vielleicht eine Belohnung dabei heraus. Sicher würden sich die Eltern freuen, ihre verschollene Tochter wiederzusehen.

Aber wenn ich, der Schildheld, sie zurückbrachte, würden die Adligen womöglich annehmen, ich hätte sie entführt, und dann hätte ich nur wieder Scherereien am Hals …

»Hmmm …«

»Meister, tu’s auch für mich. Mel ist doch in Schwierigkeiten!«

»Das könnte aber auch für uns Gefahr bedeuten.«

»Herr Naofumi, auch ich schließe mich der Bitte an. Ein so kleines Mädchen, das sich verlaufen hat, können wir doch nicht einfach zurücklassen.«

»Ich wäre auch sehr dankbar. Könntet Ihr mich bitte mitnehmen?«

Selbst Raphtalia und Filo baten mich schon darum. Und vielleicht bekäme ich sogar Geld? Im schlimmsten Fall würden wir fliehen, wir hatten ja unsere flinke Filo …

»Ich will aber eine Belohnung. Und Filo wird sie entgegennehmen. Einverstanden?«

»Ja! Ich werde meinen Vater fragen. Bitte!«

Ach, meinetwegen …

Wenn diese Adeligen in der Schlossstadt ein Haus besaßen, mussten sie von ziemlich hohem Stand sein. So ein Kind einfach aus den Augen zu lassen, während es mit wilden Filolials spielte … Ihre Aufpasser mussten ziemliche Versager sein. Was würden wir tun, wenn wir ihretwegen in Schwierigkeiten gerieten?

»Wenn du irgendwas Komisches anstellst, ist unsere Abmachung vom Tisch.«

»Natürlich. Danke, oh Heiliger!«

Somit würde uns also Filos Freundin Mel in die Schlossstadt begleiten.

Wir stiegen in die Kutsche, bereit zur Abfahrt. Filo ging in Position.

»Vielen Dank für alles! Kommt mal wieder vorbei.«

»Bis dann.«

Die Dorfbewohner waren alle gekommen, um sich von uns zu verabschieden.

Würden sie mürrische Gesichter machen, wenn sie später herausfanden, wer ich wirklich war? Das rief zwiespältige Gefühle in mir hervor.

»Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt, Mel. Ich heiße Raphtalia. Es wird zwar nur für eine kurze Zeit sein, aber wir kommen bestimmt gut miteinander aus.«

»Ja. Es freut mich sehr, Raphtalia.«

Ich wollte nur so schnell wie möglich das Weihwasser beschaffen, damit sich Raphtalias körperliche Verfassung besserte.

»Mel. Für uns hat Raphtalias Genesung Vorrang.«

»Was ist denn mit ihr?«, fragte Mel.

»Wir haben in den Bergen in der Nähe gegen ein böses Monster gekämpft, und dabei hat sie einen Fluch abgekriegt.«

»Oh … verstehe …«

Ich verdiente Geld, indem ich Arzneien anfertigte und sie verkaufte. Doch im Augenblick ging es mir in erster Linie darum, den Fluch aufzuheben, der auf Raphtalia lastete. Eigentlich hatte ich von dem Geld beim Waffenhändler Ausrüstung kaufen wollen, damit wir für die nächste Welle gewappnet waren, aber Raphtalias Wohlergehen ging natürlich vor. Immerhin war ich es, der den Fluch verursacht hatte. Wir durften zwar nichts unversucht lassen, um uns das Kämpfen bei der nächsten Welle ein wenig zu erleichtern, aber über Waffen konnten wir uns immer noch Gedanken machen. Raphtalia war jetzt krank, also war es das Vernünftigste, dass wir uns so schnell wie möglich darumkümmerten.

»Wir brauchen starkes Weihwasser, das in einer großen Kirche hergestellt wird.«

»Der Fluch ist so stark, dass Ihr dafür extra in eine Stadtkirche müsst?«

»Ja.«

Diesen Rat hatte mir der Heiler aus dem Dorf gegeben. Und meine Wahl war auf Melromarc gefallen – denn dort stand die größte Kirche.

»Filo, bring uns schnell in die Schlossstadt!«

»Wird gemacht!«

»Ah!«, entfuhr es Mel, als Filo plötzlich das Tempo anzog.

Ach ja, den meisten Menschen wurde ja schlecht, wenn Filo sie durch ihre Fahrweise derart durchschüttelte. Ob das Mädchen das aushielt?

»Ha ha ha ha ha ha, Filo! Du bist aber schnell!«

»He he he … Ich kann noch schneller!«

Jupp … Die kommt zurecht.

»Nicht so übermütig! Das ist gefährlich!«, mahnte Raphtalia, aber Filo schien es nicht gehört zu haben.

Mit Mel in der Kutsche rannte sie nur noch wilder als sonst. Und Raphtalia sah aus, als würde ihr wieder übel werden …

»Herr Naofumi, ich glaub, ich leg mich kurz hin …«

»Mach nur.«

Das war ja schnell gegangen …

»Uff, die Unannehmlichkeiten häufen sich echt«, murmelte ich abermals. »Hätten wir lieber Nein sagen sollen?«

Dass ich mich zur Monsterjagd hatte überreden lassen, hatte zu dieser Begegnung geführt. Ich empfand ein gewisses Bedauern.

Kapitel 1: Filos Freundin

Wir saßen am prasselnden Lagerfeuer, da wir beschlossen hatten, heute unter freiem Himmel zu übernachten. Am nächsten Tag würden wir die Schlossstadt erreichen.

»Ha ha ha ha ha ha, Filo!«

»Warte! Ich hab dich!«

»Oh nein, erwischt!«

Statt zu schlafen, rannten Filo in ihrer Menschenform und Mel überdreht herum.

Es war lustig, zusammen mit Freunden zu essen und zu übernachten. Mir war das alles vertraut, ich hatte an genug Klassenfahrten und Ausflügen aufs Land oder ans Meer teilgenommen. Aber … Es war schon erstaunlich, wie prächtig sie sich verstanden.

Bei Filo war das klar, schließlich hatte sie noch nie irgendwelche Freunde im eigentlichen Sinn gehabt. Aber bei Mel hätte ich erwartet, dass sie die Sache aufgrund ihrer adligen Herkunft eher wie bei einem Haustier und einem Frauchen angehen würde. Stattdessen hatten sie einander auf Anhieb ins Herz geschlossen. Offenbar kümmerte es Mel nicht, dass Filo ein Monster war. Hatte sie nicht sogar in der Kutsche von Filos Artgenossen, den Filolials, geschwärmt? Sie hatte erzählt, dass sie viel herumreiste. Wahrscheinlich hatte sie schon oft in einer Kutsche gesessen, die ein Filolial gezogen hatte und die Monster auf diese Weise liebgewonnen.

»Reicht’s langsam mal mit dem Krach?«

»Na gut!«

»Lass sie doch, Herr Naofumi! Jetzt, wo Filo eine so liebe Freundin gefunden hat.«

»Na ja, stimmt auch wieder.«

Mannomann. Filo allein war ja schon laut, aber in der Kombi mit einem anderen Mädchen war das noch mal ein anderes Kaliber.

»Komm, Mel, ich zeig dir meine Schätze!«

»Au ja!«

Filo holte den Beutel, den sie immer so sorgsam in der Kutsche verwahrte.

Was da wohl drin war? Ach, was scherte mich das? Filos Schätze: Das war doch sicher nur irgendwelcher Trödel … Oder hatte sie sich etwa irgendwas von meinen Sachen unter den Nagel gerissen? Dann müsste ich es konfiszieren …

»Meister, willst du auch gucken?«

»Äh … Klar.«

Filo winkte mich zu sich. Ich ging hin und warf einen Blick in das Säckchen.

Hm, ein Stück eines zerbrochenen Schwertes. Ein Edelstein, den ich weggeworfen hatte, nachdem ich eine meiner Schmuckanfertigungen vergeigt hatte. Eine leere Flasche. So etwas wie Glasperlen.

»Funkeln die nicht schön?«

»Ja, sehr sogar.«

Ganz kurz huschte ein merkwürdiger Ausdruck über Mels Gesicht. Tja, bestimmt, weil es bloß Müll war.

Filos Begeisterung für funkelnde Sachen stammte wohl daher, dass sie ein Vogel war. Ich hatte schon von Elstern gehört, die Glitzerkram stibitzten und einen Riesenlärm verursachten. Das war vielleicht etwas ganz Ähnliches.

Hm?

»Was ist das?«

Inmitten des Krimskrams entdeckte ich etwas Seltsames. Ich fischte es aus dem Beutel.

Ein braunes … dickes Haarknäuel? Es sah aus wie ein Ball und war eigenartig weich … Es steckten aber auch härtere Stücke in der Masse. Zudem glaubte ich, einen eigenartigen Geruch wahrzunehmen.

Mir schwante Böses.

»Und das da … Das ist aus meinem Schnabel gekommen.«

Aus … ihrem Schnabel.

Wie ein Haarknäul bei einer Katze. Oder Kotze beim Menschen. Filo war jedoch ein Vogel. Und das Erbrochene von Vögeln nannte man Gewölle.

Das bedeutete, diese harten kleinen Stücke waren Monsterknochen oder die Überreste von Filos Federn.

»Igitt!«

Was fiel ihr bloß ein? Jetzt hatte ich das auch noch angefasst!

Ich warf den Speiballen weg.

»He, das ist mein Schatz!«

»Das ist kein Schatz! Das sind Ausscheidungen! Wenn du noch mal so was in deinen Beutel steckst, schmeiß ich das ganze Zeug weg!«

»Menno …«

Mel sagte nichts, blickte nur zwischen uns beiden hin und her.

Nach diesem Gespräch machte ich Abendessen. Heute gab es das Fleisch der Monster, die uns begegnet waren. Ich verarbeitete es einfach zu Fleischspießen.

»Meister kann gut kochen!«

»Ja, er ist wirklich ein geschickter Koch, das sagen alle. Probiere doch auch mal, Mel!«

Mel nahm den Spieß, den Raphtalia ihr hinhielt, gehorsam entgegen und fing an zu essen.

»Das ist doch nur am Spieß gegrillt. Und schmeckt so lecker? Wie kann das sein?!«

Unbekümmert nahm sich Mel von allem etwas. Ich hatte fest damit gerechnet, dass sie so ein »Barbarenessen« nicht anrühren würde, aber diese Sorge war wohl unbegründet gewesen.

Lag es vielleicht daran, dass sie auf ihren Reisen bereits Derartiges erlebt hatte?

Das waren nur meine vorgefassten Meinungen gewesen. Offenbar besaß sie kein ängstliches Wesen.

Schließlich hatten wir aufgegessen, und es blieb eigentlich nur noch, schlafen zu gehen, doch dafür war es noch ein bisschen zu früh. Kurzum: Ich hatte tatsächlich mal ein wenig Freizeit.

Mittlerweile machte es mir kaum noch etwas aus, im Freien zu übernachten. Aber zuerst wollte ich noch etwas in meinen Grimoires lesen und ein paar einfache Zaubersprüche lernen.

Nach einer Weile waren Filo und Mel still. Wahrscheinlich waren sie erschöpft und endlich eingeschlafen.

Ich ließ Raphtalia als Erste von uns beiden ihr Nickerchen machen. Filo und Mel Wache halten zu lassen, war mir zu heikel, da würde ich keine Ruhe finden.

»Hm …«

Es gab viele Arten von Anfängerzaubern. In dieser Ausgabe fand ich Sprüche wie First Guard oder First Heal.

Die meisten konnte ich noch nicht anwenden, sie waren wohl für fortgeschrittene Anfänger. Daher las ich erst mal etwas überMagie, mit der sich die Angriffskraft oder Geschwindigkeit steigern ließ. Es gab so viel, was ich schnell lernen wollte, aber die schwierige Grammatik und die ganzen Begriffe erschwerten das Studium erheblich.

Ich warf mehr Holz ins Feuer, und so ging die Zeit dahin.

»Mhm …«

Raphtalia wachte auf und rieb sich verschlafen die Augen.

»Hab ich dich geweckt?«

»Nein … Soll ich dich ablösen?«

»Wenn du magst …«

»Gern.«

Ich war gerade an einer passenden Stelle für eine Pause angekommen, Daher wollte ich ihr Angebot annehmen und mich etwas hinlegen.

»Herr Naofumi …«

»Was?«

»Filo und Mel …«

Raphtalia bemühte sich, nicht zu zittern, während sie mit einem Finger in Filos Richtung deutete, die ihre Monsterform angenommen hatte und still dasaß. Neben ihr lagen Mels Kleider. Filo saß allein dort und schlief friedlich.

»Ähm …«

Wo war Mel?

Ich ging um Filo herum, um zu sehen, ob sie an ihren Rücken angelehnt halbnackt schlief, aber auch dort war sie nicht. Da lagen aber ihre Schuhe … Doch wo war sie selbst?

»Sie wird doch wohl nicht …«

Filo mochte ja ein Vielfraß sein, aber …

»Herr Naofumi, seit du den Räubern damit gedroht hast, dass Filo ein menschenfressendes Monster sei …«

»Nein, nein, nein! Das kann nicht sein!«

»Aber … Wir reden hier von Filo.«

»Uh …«

Denkbar war es schon. Hatte sie etwa gedacht, ein Freund sei jemand, den man jederzeit auffuttern konnte?

»Raphtalia, wollen wir lieber die Beweise vernichten und so tun, als hätten wir nichts gesehen?«

»W… Was sagst du denn da?!«

»Was denn sonst? Sollen wir vielleicht ein Geständnis ablegen, dass Filo einen Menschen gefressen hat? Zu allem Überfluss auch noch eine Adelstochter?!«

Dafür wollte ich höchst ungerne zur Verantwortung gezogen werden. Aber … mir war natürlich bewusst, dass ich schuld war: Ich hätte sie nie aus den Augen lassen dürfen!

Was machte dieser fette Vogel nur immer für hirnverbrannte Sachen!

»Hmpf?«

Filos Kopf war mit einem Ruck auf ihre Brust gesackt, und nun wurde sie wach.

»Was ist? Warum guckt ihr so komisch?«

»Filo, wo ist Mel?«

»Mel? Aber die schläft doch in meinem Gefieder!«

»Was? Und wo ist sie dann bitte jetzt?«

Schließlich hatte ich gerade erst überall nachgesehen.

»Mel, wach auf!«

Filo sträubte ihr Rückengefieder.

»Mhm?«

Das Gefieder teilte sich auf eigentümliche Weise und dann tauchte tatsächlich Mels Kopf daraus auf.

»Wa…?!«

Aber Filos Gefieder konnte doch nicht genug Volumen haben, um in seinem Inneren ein ganzes Mädchen zu verstecken! Und doch streckte in ebendiesem Moment Mel an einer höchst merkwürdigen Stelle ihren Kopf heraus.

»Was hast du denn, Filo?«

»Meister hat gefragt, wo du bist, darum hab ich dich geweckt.«

»Wo? Na, auf Filos Rücken … Da ist es so schön warm.«

»Und warum hast du dich ausgezogen?«

»Mir war heiß.«

Puh … Erschreckt mich doch nicht so!

»Und wie hast du das gemacht, dich so tief da drin zu verstecken?«

»Wisst Ihr denn nicht, wie wunderbar flauschig und dick Filos Gefieder ist? Steckt doch mal die Hand rein!«

»O… Okay.«

Das war immerhin die Gelegenheit, sich Filos Monsterkörper mal genauer anzusehen.

Mel winkte mich zu sich und ich streckte die Hand aus.

»Ah … Ich komm aber ganz schön tief!«

Mein Arm steckte schon bis zur Schulter in den Federn, da stieß ich endlich auf etwas, das sich wie Haut anfühlte. Filos Körpertemperatur war tatsächlich hoch. Ja, wenn Mel so tief darin eingekuschelt schlief, war sie von außen womöglich nicht mehr zu sehen.

»Wie ist ihr Körper wohl geformt?«

»Das frage ich mich auch …«

»Wollen wir ihr mal alle Federn ausrupfen und nachgucken? Vielleicht lässt sich mit den Federn sogar ein bisschen was verdienen.«

»Das will ich nicht!«

»Oh Heiliger! Du darfst Filo doch keine Gewalt antun!«

»Das war doch nur ein Scherz!«

Hmmm … Soeben hatten wir wohl einen weiteren kurzen Blick auf Filos eigenartige Natur erhascht.

Kapitel 2: Die Früchte des Reisehandels

Am nächsten Morgen, mit dem Öffnen des Tors, fuhren wir in die Schlossstadt ein.

Die Kutsche würde uns beim Ablaufen der Stadt nur stören, wir würden sie irgendwo lassen müssen. Am besten stellten wir sie beim Waffenhändler ab. Er hatte mir schon so oft Gefälligkeiten erwiesen, wie es sonst in dieser Welt nur selten vorkam. Als man mir jene Sache angehängt hatte und die Menschen angefangen hatten, schlecht über mich zu reden, da hatte er mir zu fairen Preisen Waffen verkauft. Auf diesen Mann konnte man sich verlassen.

»He, du, ich brauch mal wieder Waffen und Rüstung.«

Wir hatten uns eine Weile nicht gesehen.

Der Waffenhändler legte die Hand zwischen die Augenbrauen und dachte angestrengt nach. »Jungchen, du kannst hier doch nicht jedes Mal, wenn es dir gerade in den Kram passt, aufkreuzen!«

»Im Handel passieren doch immer wieder unerwartete Dinge.«

»Stimmt auch wieder. Na gut, wie schaut es denn mit deinem Budget aus?«

»Gute Frage.«

Ich knallte ihm unsere Einnahmen der letzten dreieinhalb Wochen auf den Tresen.

Es waren drei große, schwere Geldbeutel.

»Das sind Silbermünzen, ich weiß aber nicht, wie viele.«

»Junge, zähl das gefälligst selbst!«

»Ha ha ha! Das sind jedenfalls die Früchte des Reisehandels.«

»Also wirklich … Du verblüffst mich immer wieder. Das macht dir wohl Spaß.«

»Du kannst einem schon leidtun.«

»Na, dann wollen wir mal schauen, wie viel du hast.«

»An die Arbeit!«

Der Waffenhändler, Raphtalia und ich fingen an, die Münzen in den Beuteln zu zählen.

»Sag mal, junges Fräulein, hast du dich verletzt? Du bewegst dich so steif.«

»Ja, ich wurde vor Kurzem bei einem Monsterangriff von einem mächtigen Fluch befallen.«

Ich hörte unwillkürlich auf zu zählen und warf Raphtalia einen verstohlenen Blick zu.

»Ach, ein Fluch? Das ist ja lästig. Bist du denn in Behandlung?«

»Ja, wir wollen später noch zur Kirche und Weihwasser kaufen.«

»Verstehe.«

Hatte sie ihn erfolgreich getäuscht? Ach nein … Er hatte ja gar keinen Grund anzunehmen, dass es mein Fluch gewesen sein könnte.

Es war zwar ein Haufen Münzen, aber darunter befanden sich auch viele aus Kupfer. Als wir alles umgerechnet hatten, war es weniger, als ich erwartet hatte.

»Das ist Geld im Wert von 50 Goldmünzen! Da hast du aber ordentlich was verdient, Jungchen.«

»Ich denk schon, dass ich Geschäftssinn hab.«

Ja, ich bildete mir sogar etwas auf mein kaufmännisches Talent ein, obwohl es mir nicht sonderlich gefiel, am Unglück anderer zu verdienen.

»Und dann hätten wir da noch so Zeugs: Ausrüstung, die wir Räubern abgenommen haben und so.«

Ich rief Filo, die bisher im Laden hin- und hergehuscht war und sich die Ware angeguckt hatte. Sie sollte die Sachen aus unserer ramponierten Kutsche holen, die hinter dem Laden geparkt war.

»Soll ich danach Mel heimbringen?«

»Ja, sei aber am Nachmittag zurück. Und vergiss nicht, dir die Belohnung geben zu lassen.«

»Jaaa!«

»Danke für alles, Heiliger! Unser Dank ist Euch gewiss. Also dann, lebt wohl!«

Nachdem Filo die Sachen reingebracht hatte, ging sie ihre Freundin zu Hause abliefern.

Nun, wir hatten Mel ja nur bis in die Schlossstadt mitgenommen, tiefer ging unsere Verbindung nicht. Daher würde es eigentlich auch keine Probleme geben dürfen, selbst wenn Filo frech sein sollte. Wir kannten Mel zwar erst seit einem Tag, aber ich hatte mir schon einen ganz guten Eindruck von ihrem Charakter verschaffen können.

Sie war sehr anständig: Selbst wenn ihre Eltern Streit suchen würden, würde sicher nichts passieren. Vorsichtshalber hatte ich Filo aber gesagt, sie solle sofort weglaufen, wenn es irgendwelche Probleme gäbe.

»Das willst du also alles in Zahlung geben?«

Ich wandte meinen Blick wieder dem Waffenhändler zu, und wir setzten unser Geschäftsgespräch fort.

Es ging um die Waffen und Rüstungsteile, die ich den Räubern abgenommen hatte, nachdem sie uns überfallen hatten.

»Du bist ja ganz schön umtriebig, Jungchen.«

»Und wie viel gibst du mir für den ganzen Kram?«

»Tja … Es läuft wohl auf eine Waffe und eine Rüstung für das Fräulein und eine Rüstung für dich hinaus, würde ich sagen.«

Er verschränkte die Arme und dachte nach.

»Ich freue mich, dass du mir so die Treue hältst, aber vielleicht solltest du dir auch mal andere Geschäfte ansehen?«

»Wie meinst du das?«

»Nun, die anderen Helden lassen sich hier in letzter Zeit gar nicht mehr blicken. Ich hab mich gefragt, ob’s vielleicht irgendwo ein besseres Geschäft gibt. «

»Hm …«

Das war schon denkbar. Die Jungs hatten ihr Spielwissen, daher kannten sie höchstwahrscheinlich einen Laden, in dem es vielseitigere oder leistungsfähigere Ausrüstung gab.

Der Waffenhändler hatte das beste Angebot in der Schlossstadt … Also vielleicht in einem anderen Reich?

»Wüsstest du denn zufällig, wo?«

»Wenn du bereit bist, dafür auch in Nachbarreiche zu reisen, kann’s schon sein, dass du dort was Besseres findest.«

»Ehe ich mir so ein Luftschloss baue, geb ich mich lieber mit dir zufrieden.«

»Jungchen … Na schön! Dann will ich mich mal anstrengen, deinen Erwartungen gerecht zu werden!«

»Im schlimmsten Fall kannst du uns ja auch die Waffen und Rüstungen maßanfertigen. Soweit ich das beurteilen kann … bist du gut darin, oder?

»Sicher! Immerhin war ich, als ich jung war, im Osten und habe bei einem Meister das Handwerk erlernt.«

»Siehste. Ich vertrau darauf, dass du an alles denkst, Effizienz und so.«

»Verstanden, Jungchen. Ich werde mir die größte Mühe geben.«

Der Waffenhändler lehnte sich über den Tresen und betrachtete die Waren seines eigenen Geschäfts.

»Hm, ja … Für das Fräulein wäre als Waffe so was wie ein Schwert aus hochwertigem magischem Silber angemessen. Da ist natürlich die blutabweisende Beschichtung inbegriffen.«

Wir einigten uns auf 10 Goldmünzen. Natürlich waren die Sachen, die er mir abnahm, bereits damit verrechnet.

Waffen mit einer blutabweisenden Beschichtung wurden praktischerweise so bearbeitet, dass kein Blut an ihnen haften blieb. Sonst rostete die Waffe und wurde stumpf – insofern handelte es sich dabei wirklich um eine hochwertige Verarbeitung.

»Als Nächstes wäre wohl eine Rüstung aus magischem Silber geeignet: Die erhöht die Magieabwehr.«

»Wie funktioniert das?«

»Durch die spezielle Fertigung wird dem Träger Magie abgezogen und auf die Verteidigungskraft draufgeschlagen.«

»Verstehe.«

Ich würde vielleicht nicht jeden Angriff ausreichend abfangen können. Im Hinblick darauf wollte ich bevorzugt Raphtalia gut ausrüsten, damit sie nicht verletzt wurde.

Der Händler schob Geld im Wert von weiteren 10 Goldmünzen beiseite. Das wurde ja ganz schön teuer.

Andererseits …

»Sag mal, kannst du für mehr Geld noch bessere Rüstung bieten?«

»Junge, was ist mit den Behandlungskosten für das Mädchen? Und du brauchst auch eine entsprechende Rüstung, sonst kriegt ihr auch wieder Schwierigkeiten.«

»Ach so?«

»Und im Moment hab ich sowieso nichts Besseres auf Lager.«

»Hm, verstehe.«

Offenbar führte er auch hochwertige Sachen. Dann war es ja gut.

»Alles, was darüber hinausgeht, wäre dann Maßanfertigung. Das würde dann auch ein bisschen dauern.«

»Klar, du musst es ja erst mal herstellen.«

»Im Moment … bin ich mit Materialien zwar ganz gut eingedeckt, aber dafür reicht’s dann doch nicht. Vor allem die Erze nicht.«

»Ich dachte, du könntest vielleicht was mit der Haut des toten Drachen anfangen …«

»Das ist sowieso die Frage: Was stellen wir mit dir an?«

»Wie meinst du das?«