Paradies im Alltag - Michael Cöllen - E-Book

Paradies im Alltag E-Book

Michael Cöllen

4,8
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Miteinander glücklich werden - jeden Tag Liebesbeziehung und Liebesglück zu gestalten ist die Lebensaufgabe. Sich um das Glück zu kümmern, damit es nicht verkümmert, ist die Herausforderung an die Liebenden. Paradies und Alltag – wie bewältigen Liebende diesen Widerspruch? Michael Cöllen vermittelt mit seinem "Lernmodell Liebe" auf der Basis von Paarsynthese Wege und Werkzeuge, die hohen Gefühle der Liebe auch im Alltag vertiefen und zukunftsfähig gestalten zu können. Er stellt Paarkonferenzen vor, die Paaren eine hilfreiche Struktur im Alltagsstress oder im Chaos der Gefühle geben und die für das Glücksempfinden sensibilisieren. Zahlreiche Rituale und Übungen der Liebe laden dazu ein, kreatives Potenzial zur Gestaltung von Glück zu entfalten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 280

Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Michael Cöllen

Paradies im Alltag

Paare gestalten das Glück ihrer Liebe

Impressum

Mit besonderem Dank an Ulla Holm

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: Vogelsang Design

Umschlagmotive: © viperagp – Fotolia.com/

© www.gunda-noelcke-fotografie.de

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Buch) 978-3-451-61258-9

ISBN (E-Book) 978-3-451-80217-1

Inhalt

Einleitung: Besinnung und Zentrierung

1. Kapitel: Zum Verstehen von Glück

Die Vielfalt von Glück

Liebesglück, Geschichte und Politik

Freiheit, Liebe und Glück

Inneres und Äußeres Glück

2. Kapitel: Zur Dynamik glücklicher Paare

Impressionen vom Glück zu zweit

Liebe macht uns glücklich – warum?

Exkursion zur Seele

Die Partner schmieden an ihrem Glück

Unterschiede leben – Ähnlichkeiten feiern – aus Unterschieden lernen

Partner im Glück fördern und fordern sich

Das Glück der Paare im Überblick

3. Kapitel: Zur Krisendynamik unglücklicher Paare

Impressionen vom Unglück der Paare

Die Glücksverhinderer

Narzissmus: Entstehung, Alltagsfolgen und Bearbeitung

4. Kapitel: Liebesglück gestalten – der Weg, die Werkzeuge und das Ziel

Die Parallelen von Betriebsklima und Beziehungsklima

Die Parallelen von Paardynamik und Therapiedynamik

Gestaltung einer selbst durchgeführten Paarkonferenz

Zur Vorbereitung für diesen Weg mit dem Partner

Erste Paarkonferenz: Paarbilanz am Beginn des Weges zum Glück

Zweite Paarkonferenz: Paargeschichte – Partner erkennen sich als verletzte Geschwister

Dritte Paarkonferenz: Paardialog um das Glück erfüllter Sehnsucht

Vierte Paarkonferenz: Sinnfindung und Spiritualität – dem Glück Chancen, Räume und Inhalte geben

5. Kapitel: Paradies im Alltag – das ABC der Liebe

Den Wandel der Liebe gestalten

A: Glück liegt in der Wiederholung: Die Kraft von Übungen und Ritualen der Liebe

B: Glück trotz und durch Streit: eine Streitkultur

Zum Verzeihen

Die Eckpunkte der Streitkultur und Streitregeln im Überblick

C: Glück durch Sinnlichkeit und Lust: eine erotische Kultur

Die Kunst der Stimulation

12 Glücksthesen für Paare

Literatur

Wegweiser: Anleitungen, Rituale und Übungen zum Glücklichwerden mit dem Partner

Stichwortverzeichnis

Einleitung: Besinnung und Zentrierung

Liebesbeziehung und Liebesglück sind Lebenswerk. Sich um das Glück zu kümmern, damit es nicht verkümmert, ist die Herausforderung an die Liebenden. Paradies und Alltag – wie bewältigen Liebende diesen Widerspruch?

Für viele Paare ist die Antwort deshalb brennend wichtig: Gibt es glückliche Paare – wenn ja, warum? Und kann dieses so ersehnte Glück auch im Alltag der Liebe bestehen?

Diesen Fragen will das vorliegende Buch nachgehen.

Kriterien für die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit vom Liebesglück des Paares sind gesucht. Seit es Liebe gibt, haben viele versucht, eine Antwort darauf zu finden. Lange waren es Philosophen, Dichter, Romanschreiber, Moraltheologen und vor allem die Liebenden selbst, die um eine Antwort gerungen haben. Seit 1950 etwa sind es in besonderer Weise die Frauenzeitschriften und Ratgeber-Bücher, die vielfältige Antworten zusammengetragen haben. Die Wissenschaften an den europäischen Universitäten haben sich lange schwergetan mit diesen Themen. Seit etwa 30 Jahren allerdings haben vor allem Psychologie und Soziologie, neuerdings auch die Naturwissenschaften wie die Neurophysiologie intensive Forschung dazu betrieben. Das ist von Bedeutung, denn menschliches Glück und besonders das Liebesglück brauchen diese Aufmerksamkeit. Inzwischen gibt es tatsächlich auch das »Unterrichtsfach Glück« in vielen Schulen (Fritz-Schubert 2011).

Alle Liebenden haben ein Recht auf Glück – aber nicht alle nehmen es in Anspruch. Die amerikanische Verfassung bekräftigt sogar das Recht auf Glück für jeden Menschen, in die brasilianische Verfassung soll es aufgenommen werden. Das Glück der Liebespaare ist aber nirgendwo verankert. Es gibt keine Institutionen, die darüber Recht sprechen oder Rechte zuteilen könnten. Wer aber schützt dann die Liebenden?

Nur die Partner selbst können ihr gemeinsames Liebesglück schützen. Das Paar selbst ist die einzige lebendige Institution, die die Werte der Liebe immer wieder neu sucht, aussteuert und überprüft – im Dialog miteinander, im Streit ebenso wie in der Hingabe. Damit dieser Dialog gelingen kann und ihr Glück nachhaltig und zukunftsfähig wird, benötigen die Partner allerdings neben der inneren Zwiesprache auch Impulse und Energiezufuhr von außen. Deshalb will dieses Buch über die Versöhnungs- und Friedensarbeit der Liebenden hinaus vor allem den alltäglichen Umgang mit dem Glück herausarbeiten. Das tägliche und trotzdem außergewöhnliche Suchen, Ringen und Finden von Glück im intimen Dialog steht im Zentrum.

Der Alltag bricht ein ins Paradies. Ist es dann überhaupt noch ein Paradies?

Doch Liebesglück ist kein frommer Wunsch.

Entscheidend ist die Glücksfähigkeit der einzelnen Partner im Zusammenspiel der Gegensätze von weiblich und männlich, von Sinnesrausch und Pflicht, von Freiheit und Verantwortung.

Eine Befragung des Bundesministeriums für Familie, die alle zehn Jahre durchgeführt wird, ergibt, dass 80 Prozent der Erwachsenen angeben, eine gute Beziehung sei das wichtigste im Leben und bedeute das große Glück. Erst auf den Plätzen zwei und drei folgen Gesundheit und Einkommen. Jährlich machen sich viele Paare auf den Weg, das Glück zu suchen – ihr Glück.

Nicht das große und allgemeine Glück wird hier angedacht. Der Fokus richtet sich auf das Glück zweier Liebender. Die Konzentration soll darauf gerichtet werden, das Liebesglück so zu gestalten, zu würdigen und achtsam wahrzunehmen, dass es auch im Alltag bestehen und damit zukunftsfähig bleiben kann.

Das Glück der Liebenden kann nicht eingeklagt werden, obwohl paradoxerweise die Streitenden viel Zeit und Kraft darauf verwenden, zu klagen und anzuklagen. Liebesglück kann nicht erkauft, nicht erstritten und nicht herbeigezwungen werden. Aber die Liebenden können sich dafür empfangsfähig und sendungsfähig machen. Vom Liebesleid zum Liebesglück ist es oft – entgegen aller Pessimisten – ein kleiner Schritt. Dem Liebesglück eine Chance geben heißt, dem Partner eine Chance geben.

Erstaunlich: In unserer aufgeklärten westlichen Welt sind die notwendigen Erkenntnisse, das Wissen und die Werkzeuge nicht nur zur Krisenbewältigung, sondern auch für das Liebesglück reichlich vorhanden. Sie sind im 21. Jahrhundert im Alltagsbewusstsein der Liebenden längst angekommen. Eine Erkenntnis daraus ist, dass die Kräfte und Energien der Liebenden sich nicht erschöpfen dürfen in der Bewältigung von Krisen und in der (Sisyphos-)Arbeit an Konfliktlösungen.

Die Fähigkeit zum Glück ist das Entscheidende. »Jeder Mensch hat das Recht auf Glück; er muss allerdings bereit sein, ein Leben lang etwas dafür zu tun«, erläutert der Dalai Lama (2012, S. 11).

Das Gleichnis vom Weg hilft:

Der Weg des Paares vom Glück zum Leid und erneut hin zum Glück muss natürlich immer wieder von Geröll, Gesteinsbrocken oder Steinschlag, manchmal auch von einem Erdrutsch befreit werden. Schwere Unwetter, Kälte oder auch Hitze brechen herein und beschweren manchmal den Weg. Solange aber das Ziel nicht aus den Augen verloren wird, lässt sich auch der Weg ertragen. Nietzsche sagt: »Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.«

Erstaunlich allerdings, dass viele Paare das Ziel nur diffus benennen, oft nicht einmal kennen. Zu Beginn der Paartherapie in einem Fragebogen nach ihren Lebenszielen befragt, suchen viele eher naiv nach Wohlbefinden, Zufriedenheit und Genuss. So schreibt ein Mann: »Familie gründen, Glücklichsein bis ins hohe Alter, finanziell abgesichert sein.« Seine Frau: »Gesundheit, Zufriedenheit, Urlaube und Tierliebe.« Manche schreiben auch »gutes Essen«. Die Einfachheit dieser Wünsche an das große Glück rührt mich an. Doch sie sind unglücklich und wollen Hilfe. Suchen sie nach dem falschen Glück?

Auf der Suche gerade auch nach dem Liebesglück gibt es viele Irrwege.

Sind die Liebenden nach dem Abklingen des ersten Liebesrausches überhaupt fähig, ihr eigentliches Glück zu erkennen? Oder jagen sie einem falschen Glück hinterher? Sind sie überhaupt fähig, Glück zu empfinden? Und welche Fähigkeiten braucht es, das Glück zu halten?

Liebesglück ist kein Fertigprodukt. Es wächst an den Widersprüchen der Liebe. Liebesglück ist ein lebenslanger Gestaltungsprozess. Die Lust am Gestalten, Formen, Produzieren und Kreativwerden gehört angenehmerweise zur menschlichen Grundausstattung. Noch eine zweite Kraft hilft entscheidend, das Liebesglück zu finden: die allen Menschen zutiefst innewohnende Sehnsucht. Menschliche Sehnsucht ist der wichtigste Wegweiser: Sehnsucht nach dem, was in mir und was in uns als Paar zur Entfaltung drängt. Sehnsucht auch danach, was in mir und uns beiden noch nicht abgeschlossen ist, seine reife Form noch nicht gefunden hat. Aristoteles hat für dieses uns innewohnende Streben den Begriff der Entelechie eingeführt als das Streben nach Entfaltung des in uns angelegten Potenzials. Dazu gehört die Sehnsucht nach Vereinigung mit einem geliebten Gegenüber.

Doch um die Sehnsucht irgendwann stillen zu können, bedarf sie der Eingrenzung und Begrenzung. Sie braucht ein Ufer, an dem sie ankommen und sich niederlassen kann. Liebesglück ist niemals grenzenlos. Das Paradies ist kein Schlaraffenland.

Deshalb nimmt dieses Buch auch eine Eingrenzung – genauer: Weitung – vor: Es geht nicht einzig um leidenschaftliches Gipfelstürmen und seliges Versinken im Taumel der Lust, sondern auch um die Realität des Glücks im Alltag. Dazu gehören herausragende Erfahrungen und Erlebnisse ebenso wie das kleine, manchmal unscheinbare und stille Glück. Und noch mehr: Zum Glück gehört als fester Bestandteil auch das Unglück. Mit dem Unglück richtig umzugehen kann Glück bedeuten.

Als Leser finden Sie in diesem Buch keine kurze Glücksformel. Keine Ratschläge, keine Lösungen und keine Versprechungen, das Glück zu finden – ohne an sich selbst oder mit dem Partner aktiv gestaltend daran mitzuwirken. Diesen steten Wandel miteinander bewusst zu gestalten, das ist der Weg. Das bedeutet Arbeit und Lust zugleich.

Beim Nachdenken und Schreiben dieses Buches spüre ich immer wieder meine eigene Angst, in das Banale des Glücks abzugleiten. Über die großen Krisen und Liebeskatastrophen einerseits und über die himmelstürmende Glücksseligkeit und die wogenden Gefühle andererseits zu schreiben scheint einfacher. Ich fürchte die Stille und Einfachheit des Glücks, für die große Worte eigentlich fehlen. Abgesehen von den herausragenden Gefühlsereignissen ist das Glück im Alltag der Liebenden in viele Unauffälligkeiten gekleidet, die zu beschreiben oft trivial klingt. Deshalb wird Glück oft erst registriert und als solches sehnsüchtig wahrgenommen, wenn es gerade durch Streit abhandenkommt.

Leichter scheint es uns Menschen, das Leid denn das Glück zu formulieren. So geschieht es in den täglichen Nachrichten und der gesamten Presse, so geht es auch vielen Paaren. Die amerikanische Psychologin Sonja Lyubomirsky (2011) erklärt diesen Umstand dadurch, dass wir Menschen zum Überleben schon immer mehr auf Gefahren, Unglücke und Drohungen achten mussten. In über 40 Jahren meiner paartherapeutischen Tätigkeit habe ich sehr viele Paare begleitet, die sich auf den Weg gemacht haben, ihr Glück zu suchen. Der Dramatik, Wucht und Vielfältigkeit, mit der die Streitenden wortreich ihr Unglück schildern, steht oft ein lähmendes Verstummen aus Scham und Unsicherheit und Angst gegenüber, wenn sie aufgefordert werden, ihr Glück zu schildern. Das spiegelte sich auch in den Befragungen für dieses Buch im Vergleich zu Befragungen über schmerzliche Partnerkrisen für frühere Bücher. Im Entstehen von Liebe und im Vergehen erschauern wir zutiefst. In höchster Weise werden wir tief ergriffen, gerüttelt und erschüttert. Aber was ist mit dem alltäglichen Dazwischen des kleinen Glücks?

Als Angehöriger der 68er-Generation war ich beteiligt am Umbruch von Wertvorstellungen und Glückserwartungen, an Rollenverschiebungen und Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter zueinander. Aber wie Liebesglück sich anfühlt, im Herzen Wärme verbreitet und in der Tiefe der Seele Beben und Erschauern auslöst – dafür fanden wir damals keine Sprache. Tatsächlich hat eine sexuelle Revolution stattgefunden, hat eine Emanzipation nicht nur der Frauen stattgefunden, eine Werterevolution – alles verbunden mit einer Entmachtung von kirchlichen und staatlichen Institutionen, die lange die moralischen Normen und damit auch das Liebesleben normativ vorgegeben hatten.

Das intime Glück der Liebespaare ist plötzlich in die Privatheit entlassen worden, innerhalb nur einer Generation, ohne dass es emotionale Orientierungshilfen und Wegweiser dafür gegeben hätte. Wir haben das zwar damals als Befreiung bejubelt, aber sind wir heute als Liebende glücklicher? Politik und Gesellschaft sind seither der Verantwortung entledigt – aber wer übernimmt jetzt diese Verantwortung für das Liebesglück?

Jeder Einzelne von uns?

Sind wir – bin ich reif dafür?

Wenn wir beobachten, wie kindlich und doch entsetzlich sich viele Partner streiten, vergleichbar mit zerstrittenen Geschwistern im Alter von 6 bis 12 Jahren, manchmal auch wie Pubertierende oder gar Spätpubertierende, dann können zumindest Zweifel aufkommen, ob die Beiden überhaupt etwas vom Glück verstehen oder begriffen haben. In der Praxis der Paartherapie stellen sich dann Fragen, ob die Zerstrittenen eigentlich erwachsen und damit reif sind für das Liebesglück? Oder ob sie überhaupt glücksfähig sind?

Sicher stimmt es, dass viele Wege zum Glück führen und jedes Paar den seinen finden muss. Auch jede Generation muss immer wieder neu diese Wege erkunden. Die Liebe lebt nicht von Traditionen. Und doch gibt es Erfahrungswerte, Erkenntnisse und Wissen um die Liebe, nicht nur aus den Jahrhunderten, sondern auch aus der Forschung von gestern und heute, die das Verstehen von Liebesglück greifbar machen. So zum Beispiel die Erkenntnisse aus der Psychoanalyse, dass Streit nicht nur die Folge einer momentanen seelischen Verfassung ist, sondern immer auch Wurzeln in der Kindheit hat. Die moderne Neurophysiologie ergänzt heute, dass trotz besserer Einsicht der Streit oft unverändert fortgesetzt wird aufgrund früh gebahnter neuronaler Verschaltungen im Gehirn. Zur Gewohnheit gewordene Reflexe ziehen sich wie Autobahnen durch den Organismus. Obwohl wir Besserung gelobt haben, werden wir rückfällig und fallen wieder und wieder in die breit ausgetretenen Streitmuster. Neue dagegen einzuüben verlangt viel Arbeit. Vereinfacht: Es sind oft gewohnheitsmäßige Muster von Streit und Gezänk und nicht objektive Gründe, die das Paradies der Liebenden in einen unentwirrbaren Irrgarten verwandeln, in ein Labyrinth aus Klagen, Gegenklagen und Anklagen. Dann wird aus dem Paradies die Hölle.

Für das Glück der Liebenden lassen sich aber trotz der unüberschaubaren Vielfalt von Glücksfaktoren und der unberechenbaren Laune und möglichen Zufälligkeit auch Grundsätze, Regeln und Einsichten formulieren. Diese befähigen uns zumindest, im Umgang miteinander Glück differenzierter zu erkennen, zu empfinden, zu würdigen und zu achten, wobei wir auch das Unglück mit einbeziehen. Dazu braucht es ein Verstehen von Glück. Wer das Glück versteht, findet auch den Weg dahin. Er erträgt dann leichter die Gefahren, Konflikte und Beschwernisse auf dem Weg.

Dem Glück einen Namen geben

Um in der Vielfalt der Erscheinungsformen von Glück den richtigen Weg für jedes Paar zu finden, hilft es sehr, sich zu zentrieren. Besinnung und Zentrierung meint dann, die Aufmerksamkeit zu bündeln auf den Aspekt von Glück, den ein Paar jeweils als besonders wichtig erachtet. Diesen zu benennen, ihm also einen Namen zu geben, befähigt die Partner dazu, sich im Dialog darüber auseinanderzusetzen und abzuwägen, sich schließlich zu entscheiden. Die unendliche Zahl von Freiheitsgraden, die heute Kennzeichen moderner Liebe sind, eröffnet ansonsten eine oft überbordende Paardynamik. Zwischen »Zweierliebe und Freier Liebe« (Sarah Vollmer 1993) liegen ganze Welten voller Sehnsüchte mit vielen Paradiesen.

Jetzt klingt doch etwas von Philosophie an:

Bewusst oder unbewusst werden die Liebenden, um ihr Glück zu festigen, sich dafür entscheiden, was für ihr gemeinsames Leben Sinn macht.

Eine solche gemeinsame Sinn-Findung bewusst in Gang zu setzen und miteinander zu vertiefen, das unterscheidet das Verliebtsein vom Lieben. Dem Glück einen Namen geben, meint auch, der oft unbestimmten Sehnsucht ein festes Ziel setzen. Zum Liebesglück auf Dauer gehört dann auch eine Ethik, die hilft, das gemeinsame Leben in all seinen Widersprüchen zu ordnen. Das Glück der Liebenden braucht, um zukunftsfähig zu bleiben, auf Dauer eine solche Entscheidung. Es entsteht eine gemeinsame Entscheidung für das gemeinsame Glück – aber für welches Glück?

Beispiel:Gertrud und Hugo sind über 40, 25 Jahre zusammen, kinderlos. Er kommt als Selbstständiger mit einem kleinen Betrieb in eine berufliche Krise und fällt teilweise inDepression. Sie hat zwar Abitur gemacht, aber nie eine richtige Berufsausbildung abgeschlossen und arbeitet halbtags. Eigentlich waren sie, so berichten sie in der Therapie, immer ein gutes Paar und haben sich glücklich gefühlt. Die Krise bricht wie aus heiterem Himmel über sie herein. Bisher hat sie sich immer ganz auf ihrem Mann verlassen und sich ihm angepasst. Der aber verliert seine Arbeit und sucht in seiner Verzweiflung Halt. Er findet diesen schließlich bei einer Geliebten. Jetzt zerbricht das Glück des Paares. Auch das bis dahin tragfähige Fundament von gemeinsamer Gläubigkeit gab plötzlich keine Sicherheit mehr und drohte völlig zu zerbrechen. Als ob das Unglück nicht schon groß genug wäre, wird sie in dieser Zeit der extremen Anspannung schwer krebskrank. Aber es ist erstaunlich: Das Paar hält an seiner Liebe fest und beginnt, nach neuer innerer Orientierung, nach neuem Sinn zu suchen, unter anderem auch mithilfe einer Therapie. Sie haben diese Krise durchwandert, durchlitten und viele Prüfungen bestanden. Sie haben gemeinsam ihre Krankheit überwunden und er hat dank ihrer Solidarität neue Arbeit gefunden. Sie ist ganz kreativ geworden und hat sich eine eigene Tätigkeit aufgebaut. Sie leitet einen Arbeitskreis mit krebserkrankten Frauen und will studieren. Er arbeitet jetzt nicht mehr allein, sondern für andere Menschen. Sie sind jetzt wieder miteinander glücklich.

Fragen stellen sich: War das alles ein zufälliges Glück? Hatten sie das Glück des Tüchtigen? Haben sie ihr Glück geschmiedet?

Sie haben sich ein neues Paradies geschaffen, nachdem sie aus ihrem alten (Schein-)Paradies unter so fürchterlichen Umständen verstoßen worden sind. Sie leben auch heute wieder ihren Alltag. Aber sie tun es mit ganz anderen Gefühlen, sie sind ganz andere Menschen geworden. Sie haben den Sinn ihrer Liebe neu verstanden und neu gefunden. Sie haben ihrem Glück einen Namen gegeben, ein Ziel gesetzt, ihrem Leben neuen Sinn gegeben.

1. Kapitel: Zum Verstehen von Glück

Das Glück der Liebenden ist nicht in der Freiheit von Hindernissen und Enttäuschungen oder in der Abwesenheit von Unglück zu suchen. Selbst bei größten Schmerzen und Anstrengungen können wir Glück empfinden (Liedloff 2009). Liebesglück braucht als kleine Schwester die Fähigkeit zur Frustrationstoleranz, notfalls auch Umwege in Kauf zu nehmen, aber das Ziel trotz Beschwerden nicht aus den Augen zu verlieren.

Bewusst oder unbewusst, ausgesprochen oder unausgesprochen ist Liebesglück mit einer hohen Erwartung verbunden, mit einer besonderen Erwartung, die sonst nirgendwo auf der Welt an jemanden gerichtet wird.

Liebende suchen nach einem Glück, das Körper, Geist und Seele umspannt. Gesucht ist ein Dreiklang, der die Liebenden in gegenseitiger Resonanz verbindet. Diese drei Dimensionen menschlichen Seins wirken dann wie Klangkörper, die fein aufeinander abgestimmt sind.

Damit wird Liebe zum Brennpunkt von Welterleben.

Alles, was menschliche Existenz ausmacht, tritt hier in Erscheinung. Individuelle, gesellschaftliche und existenzielle Bedürfnisse mischen sich, kollidieren und explodieren oft im Zentrum der kleinsten sozialen Einheit, die es gibt – im Paar. Das ist auch der Grund dafür, dass das Liebesglück der Paare nicht nur im kleinen privaten Bereich und nicht auf Dauer isoliert von seiner Umwelt definiert werden kann.

Die Vielfalt von Glück

Da sich so viele menschliche Phänomene im Paar bündeln, wird allerdings der Begriff von Liebe und Liebesglück dementsprechend inflationär gebraucht, infrage gestellt oder gar gemieden – und bleibt doch einzigartig. So schreibt Hermann Hesse: »Unter den Wörtern gibt es bevorzugte und gemiedene, es gibt alltägliche, die man tausendmal verwendet, ohne eine Abnutzung zu fürchten, und andere, festliche, die man, so sehr man sie lieben möge, nur mit Bedacht und Schonung, mit der dem Festlichen zukommenden Seltenheit und Auserwähltheit sagt und schreibt. Zu ihnen gehört für mich das Wort Glück.« (1970, S.10f)

Tatsächlich sind die Worte Liebe und Glück mit Vorsicht, mit Andacht und Ehrfurcht zu gebrauchen. Und besonders dann, wenn sie verbunden werden zu einem Begriff – zu Liebesglück. Auch in der Wiederholung soll die Ehrfurcht bleiben.

Zunächst ist zu klären, wie wir umgehen können mit der geradezu babylonischen Sprachverwirrung um das einfache Wort Glück. Das führt schon zwischen zwei Liebenden häufig zu vielen Auseinandersetzungen. Es kann nicht verwundern, wenn eigentlich die ganze Welt sich uneins ist über das richtige Glücksverstehen. Selbst das Wissen von hundert Glücksforschern aus aller Welt, zusammengetragen in dem Buch Glück – The World Book of Happiness (Bormans 2012), führt zu keiner wirklichen Einigkeit über dieses doch weltumspannende Phänomen.

Exkurs: Ergebnisse aus der Forschung zum Phänomen menschlichen Glücks

Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Glück kommen hauptsächlich aus den Gebieten der Positiven Psychologie, der Emotionsforschung und der Gesundheitspsychologie.

Eine übergreifende Definition, die alle Aspekte erfasst, gibt es nicht.

Eine einfache Definition lautet: Glück ist definiert als stark positive Emotion verbunden mit dauerhafter und intensiver Zufriedenheit. Eine Unterscheidung wird zum Beispiel getroffen zwischen lebensgeschichtlich erworbenem Glück und aktuellem Glückserleben.

Aktuelles Glückserleben wird getragen von: Begeisterungsfähigkeit, Vitalpräsenz/Achtsamkeit, positivem Denken, Selbstwertgefühl/Selbstwirksamkeit, Extraversion/sozialer Aufgeschlossenheit, Flexibilität, Sinnfindung.

Lebensgeschichtlich erworbenes Glück wird getragen von: Innerlichkeit und Spiritualität, positiver Grundeinstelllung, konkreten Glückserfahrungen, Lebenszufriedenheit, Bewusstsein erreichter Ziele, Freiheit/Autonomie, Frustrationstoleranz/Integration von Widersprüchen, Selbstdisziplin/Selbstwirksamkeit, sozialem Engagement und Verantwortung.

Sehr verschiedene Autoren aus sehr verschiedenen Epochen kommen immerhin zu ähnlichen Ergebnissen:

Aristoteles (384–322 v.Chr.) benennt als Glücksfaktoren (Lebens-)Lust, Verantwortungsbewusstsein in Freiheit (Tugend) und die Suche nach Sinn (forschende Philosophie). Epikur (341–271 v.Chr.) benennt die Abwesenheit von körperlichem Schmerz und seelischen Beschwerden einerseits und Tugend als Einsicht für ein lustvolles Leben.

Thomas von Aquin (1225–1274) führt an, dass Trägheit traurig macht.

Nach Sigmund Freud (1856–1939) ist ein Mensch gesund, wenn er Arbeitsfähigkeit, Genussfähigkeit und Liebesfähigkeit besitzt. Aber zum Glück wird es erst dann, wenn es ihm gelingt, darüber hinaus Harmonie zwischen den eigenen inneren Instanzen von Es, Ich und Über-Ich herzustellen. Das erfordert, die eigenen Triebbedürfnisse mit den moralischen und sachlichen Zwängen so erwachsen auszusteuern, dass keine unlösbaren Konflikte entstehen. Mit anderen Worten also, zu lernen, mit sich selbst und der Umwelt im Einklang zu leben.

Für Victor Frankl (1905–1997) steht der Mensch als sinnbestimmtes Wesen und dessen Einsicht in Sinnhaftigkeit im Vordergrund von Glückserleben.

Nach Stefan Klein liegt die Glücksformel (2013) in einem ganzen Glückssystem aus Gehirn, Begehren, Genuss, Lust, Liebe, Leidenschaft und Selbstüberwindung der eigenen Schattenseiten.

Gunther Schmidt (Vortrag CD Auditorium 2011) erklärt, dass es nicht die Außenbedingungen seien, die das Glück ausmachen, sondern vor allem drei Faktoren: Selbstwirksamkeit, soziale Beziehungen (Sexualität) und Sinnzusammenhang.

Für Hilarion Petzold (1993) baut menschliches Glück letztlich auf den Säulen menschlicher Identität auf: Körper, Netzwerk, Arbeit, Wertewelt, Mitwelt.

Von Mihaly Csikszentmihalyi (2001) erfahren wir, dass das »Geheimnis des Glücks« im Flow-System beziehungsweise in der Fähigkeit zum Flow-Erleben liegt. Vereinfacht meint das die lustvolle Konzentration, gerichtet auf höchste Anstrengung für ein Ziel in einer bestimmten Zeit wie Sport, Klettern, Wandern.

Sonja Lyubomirsky (2014) konstatiert aufgrund ihrer Untersuchungen einen genetisch kodierten Glückspunkt. Ähnlich wie Kollegen der Neurophysiologie definiert sie Glück damit auch als neuronales Muster. Das bewirkt im Übrigen, dass wir uns an Glück gewöhnen und es dann als solches nicht mehr wahrnehmen (Hedonistische Adaption). Tendenziell achten Menschen mehr auf Unglück aus Gründen der Vorbeugung von Gefahren. Einzelbedingungen wie Ehe, Kinder, Karriere und Wohlstand stehen dabei im Vordergrund und werden überbewertet. Familie, Freundeskreis, Hobby und Entdeckungsreisen machen langfristig zufrieden und helfen, Unglück zu überstehen. Widersprüchlich dabei ist, dass Menschen zu ihrem Glück nach Besitz streben, sich dabei aber oft verausgaben, zum Beispiel für den Hauskauf. Mieter sind in der Regel glücklicher, so die Untersuchung. Das größte Unglück ist für Menschen, keine Beziehung zu haben und keine Möglichkeit zur Kommunikation. Der sexuelle Trieb als Glücksfaktor unterliegt der genetischen Adaption, deshalb lässt das Begehren nach.

Ruut Veenhofen hat in dem Buch Glück – The World Book of Happiness mit über 100 Glücksforschern (Bormans 2012) das derzeitige Wissen über Glück zusammengetragen. Danach ist Glück das Hauptziel der modernen Gesellschaft. Gleichzeitig wächst die moralische Forderung, dass immer mehr Menschen am größeren Glück teilhaben sollen. Glück wird damit zur politischen Agenda. Glück meint übergreifend Wohlbefinden, Lebensqualität und subjektive Wertschätzung des Lebens. Die Messungen zum Glück wurden durchgeführt anhand von Befragungen zur Zufriedenheit mit dem Leben als Ganzem. Die Antworten wurden auf einer Skala von 0 bis 10 eingeordnet. Der Welt-Durchschnitt des Glücksquotienten liegt demnach bei 7,2 Punkten. Von insgesamt 148 befragten Nationen liegen fünf Länder bei acht Punkten und mehr, darunter Costa Rica und die Schweiz. 26 Länder liegen bei 7 bis 8 Punkten, darunter so gegensätzliche wie Honduras, Mexiko, Nicaragua, aber auch Deutschland (7,1), Belgien, Panama, Österreich und Zypern. Als« Glücksfaktoren« wurden herausgefiltert: die Qualität der Gesellschaft verbunden mit Wohlfahrt, sozialer Gleichheit, politischer Freiheit, kultureller Vielfalt und moralischer Ordnung. Als Zweites entscheidet die soziale Position verbunden mit Besitz, politischem Einfluss und familiären Bindungen. Als Drittes sind entscheidend die individuellen Fähigkeiten verbunden mit körperlicher Fitness, seelischer Stärke, sozialen und geistigen Fähigkeiten.

Zusammengefasst gelten als Hauptfaktoren für Glück:

Gesundheit, Bildung, Wohlstand, Sicherheit, soziale Einbettung, Freiheit und Genussfähigkeit.

Im gleichen Buch kommt Christopher Peterson allerdings zu einer wichtigen Differenzierung: Danach hängt Glück nicht allein in besonderer Weise am Wohlstand, sondern vielmehr daran, dass dieser Wohlstand mit anderen geteilt wird. Seine radikale These deshalb: »Glück kann man kaufen – wenn man sein Geld für andere ausgibt« (S. 18).

Michael Cöllen nennt als Fundament für das Glück der Partner die fünf Dialogsäulen, die das Paar tragen: Körper, Gefühl, Sprache, Sinnfindung und Zeit im intensiven Austausch (1997/2013).

John Gottman (2004) begründet aus seinen Untersuchungen, dass diejenigen Paare glücklich bleiben und zukunftsfähig sind, die sich an die 5:1-Formel halten: Für eine Kritik muss fünf Mal Lob ausgesprochen werden, um das seelische Befinden positiv auszugleichen.

Vor allem ein Ergebnis, allerdings das einzige, besticht in der klaren Aussage fast aller Forscher, dass Glück nämlich zu lernen, zu üben oder zu trainieren sei (Focus 51/12, Zeit-Magazin 33/2013). Dieses Ergebnis stimmt wiederum mit der Erkenntnis vieler Philosophen, Denker und Weltanschauungen von der Antike bis heute überein.

Die Übersicht zeigt aber auch deutlich: Je nach eigener Überzeugung treten ganz unterschiedliche Ergebnisse in den Vordergrund. Das verwundert nicht, denn zum Beispiel die spirituellen Erkenntnisse aus der buddhistischen Lehre zum Glück sind mit den Ergebnissen der experimentellen oder der medizinischen Glücksforschung im Westen kaum zu vergleichen. Einrichtungen wie das Institut für europäische Glücksforschung in Wien oder das Institut für Glücksforschung in München setzen ganz andere Akzente als zum Beispiel die vom Dalai Lama einberufene Konferenz über das Glück (Ricard 2007).

Bei unseren Überlegungen für das spezielle Glück von Paaren nutzen wir die oben beschriebenen Ergebnisse.

Die Verwirrung beginnt schon damit, dass darunter ganz verschiedene Erscheinungsformen verstanden werden: So sprechen wir vom großen Glück, aber auch vom kleinen Glück, vom stillen Glück, vom schnellen Glück, sprechen vom zerbrechlichen Glück und vom vergänglichen, vom unfassbaren Glück, vom verbotenen Glück, vom heimlichen Glück, von unerwartetem Glück, vom tiefen Glück, vom verlorenen Glück, vom unverhofften Glück und vom unglaublichen Glück, aber auch vom erarbeiteten Glück. Und wir sprechen auch vom Glück im Unglück.

Glück mag auch bedeuten, mitten in einem Krieg oder in einer Katastrophe zusammen gerettet zu werden. Ebenso ist es Glück, gemeinsam mit der Liebsten eine blaue Stunde zu erleben oder gemeinsam den erregenden Höhepunkt zu erleben, der Körper und Seele miteinander verschmelzen lässt. Ein anderes Liebesglück mag sein, sein Enkelkind beim Gestilltwerden zu erleben, mit dir eine Hummel mitten in der Sonnenblume auf dem Balkon zu beobachten, nach harter Arbeit den gemeinsamen Erfolg zu genießen, in Frieden mit sich selbst und dir zu sein, die eigene und deine Kraft zu spüren, Dankbarkeit zu fühlen füreinander …

Hier tauchen viele Fragen auf: Ist kleines Glück wie das Betrachten einer einzelnen Kirschblüte nur Kitsch? Oder die gemeinsame Teestunde banal? Zählt großes Glück mehr als kleines Glück? Kann auch ein ganzes Volk glücklich sein? Sind Kinder glücklicher als Erwachsene? Können wir auch glücklich sterben?

Schon immer streben wir Menschen, damals wie heute, nach Glück. Das wird deutlich in Zitaten, die aus der Antike stammen und heute noch verwendet werden. Deutlich wird darin, wie unterschiedlich, gegensätzlich und widersprüchlich Glück verstanden wurde und noch wird. Eine feste Definition dafür gibt es bis heute nicht. Aber diese Zitate sind ein guter Spiegel für das menschliche Begehren, Glück verstehen zu wollen:

»Jeder ist seines Glückes Schmied«, ist wohl das bekannteste davon und wird Appius Claudius (von 340–273 v.Chr.) vor Christus zugeschrieben (fabrum esse suae quemque fortunae). Das ließe sich dann natürlich auch umdrehen in: »Jeder ist der Schmied seines Unglücks.« Noch älter ist das Zitat »Das Glück gehört dem Tüchtigen« (fortes fortuna adjuvat) und stammt von Simonides von Keos (556–467 v.Chr.) und wurde gerne von Graf Moltke zitiert. »Jeder soll nach seiner Façon selig werden« – und nicht »sein Glück mit Füßen treten«, stammt von Friedrich dem Großen (1712– 1786). »Dem Glück nicht trauen« oder »Glück und Glas, wie leicht bricht das« – alle diese Weisheiten waren frühere Ratgeber im Umgang mit dem Glück. Leo Tolstoi (1828– 1910) differenziert (Tagebücher 1892): »Das Leben kann kein anderes Ziel haben als das Glück, Freude. Nur dieses Ziel – Freude – ist des Lebens völlig würdig.« Der Dalai Lama erklärt, dass er annehme, der Zweck unserer Existenz sei, glücklich zu sein. Beide setzen sie damit natürlich einen ganz besonderen Akzent, indem sie dem Glück einen Zweck beziehungsweise Sinn und Ziel unterlegen.

Auch wenn diese Zitate den Eindruck erwecken, dass jeder auf der Welt weiß, wie Glück überall und immer als Begriff zu verstehen ist, gibt es doch große und oft extreme Widersprüche in dem, was Menschen mit Glück meinen. Besonders Partner können sich darüber völlig zerstreiten.

Glück wandelt sich mit dem Zeitgeist

Erschwerend kommt hinzu, dass wir Menschen in jeder Altersstufe einen anderen Fokus von Glück haben. Das Glück der 20-Jährigen kann nicht gleichgesetzt werden mit dem der 60-Jährigen. Leider ist es oft ein Missverstehen, dass die 70-Jährigen meinen, sie müssten den 30-Jährigen sagen, was denn das richtige Glück sei. Das Verstehen von Glück wandelt sich sogar mit den Zeiten, sogar mit der Mode. Das ist menschlich.

Für das Glück gibt es keine Zauberformel.

Sind die Liebenden dann wirklich frei und Herr ihrer selbst, um ihr (Liebes-)Glück zu bestimmen?

Die Freiheit, sein Glück selbst zu bestimmen, ist – historisch betrachtet – relativ neu. In der westlichen Kultur wurden dafür unendliche Kriege geführt, viel menschliches Blut vergossen und Revolutionen angeführt. Das Liebesglück von Homosexuellen unterliegt heute noch vielerorts staatlicher Restriktion im Vergleich zur heterosexuellen Lebensgestaltung. In anderen Kontinenten und Kulturen fließt deshalb heute noch Blut.

Der vorherrschende Zeitgeist der jeweiligen Gesellschaft und Kultur bestimmt sehr stark das jeweilige Glücksstreben und auch das intime Liebeserleben der Partner.

Unsere aktuelle Begriffskultur als Spiegel dieses Zeitgeistes wie zum Beispiel Gewinnoptimierung, Selbstoptimierung (Retzer 2010), Globalisierung, Beschleunigungs- und Steigerungsgesellschaft (Rosa 2011), narzisstische Gesellschaft (Altmeyer 2000, Maaz 2012), Mobilität, Gewinngarantie – sie macht deutlich, dass es kaum noch Nischen für Liebesglück gibt. Es wird versucht, das Gemeinwohl heute durch Anleitung zur Maximalentfaltung der Privatnutzung herzustellen, meint Stefan Klein (Vortrag CD Auditorium 2011). Um es dennoch zu erhaschen, verhilft die moderne Medizin durch Gehirn-Doping und Testosteronspritzen zur Stärkung männlicher Aggression für maximale Durchsetzung. Wirtschaftsunternehmen unterwerfen zur Gewinnmaximierung das menschliche Sein dem digitalen Takt, Arbeitskraft wird zum menschlichen Kapital, der moderne Sklavenhandel mit Frauen und Kindern stellt alle Verbrechen dieser Art aus früheren Zeiten in den Schatten. Der gesteigerte Missbrauch im Kapitalismus führt zu einer immer größeren Asozialisierung mit immer mehr Armen und wenigen Reichen. So kritisiert ein Banker die eigene Branche für »… Selbstbedienungsmentalität und Starkultur. In manchen Großbanken regierten Managementfürsten. Vorstände verdienten das 110-fache eines einfachen Angestellten« (Hamburger Abendblatt 15.1.14). In der Folge greift immer mehr Zukunftsangst um sich, die Sorge um die Existenzsicherung beherrscht mehr und mehr nicht nur Einzelne, Paare und Familien, sondern Kommunen und Städte, ganze Nationen. Sind wir dann noch frei?

Die Soziologin Eva Illouz zeigt mit bestechender Klarheit die gesellschaftlichen und privaten Konsequenzen auf und spricht deshalb von einer sehr »ernüchterten Befürwortung der Moderne«. An einem von vielen Beispielen wie der Internet-Partnerwahl verdeutlicht sie, wie die unbegrenzte Zahl von möglichen Partnern zu immer höheren Anforderungen an diese führt. Immer mehr Vergleiche werden gezogen, die Anforderungen werden immer größer, der Druck durch Konkurrenz und Wettbewerb für einen selbst immer intensiver. »Durch eine solche Konsumkultur wird das Begehren zum Zentrum der Subjektivität« (2012, S. 83).

Es wird immer mehr verlangt und immer mehr erwartet. Das erzeugt letztlich Angst und blockiert die Liebe. Andererseits verwertet die kapitalistische Gesellschaft die Gefühle der Liebe, benutzt sie und missbraucht sie zur Gewinnmaximierung. Zum Beispiel sind Vater und Sohn auf einem Plakat zu sehen, die andächtig die Hände gefaltet haben und sich voreinander verbeugen, um damit Werbung zu machen für die größte deutsche Bank. »Drei Dinge, die ich an dir liebe« – mit diesem Satz auf der Vorderseite eines Posters wirbt eine andere Bank für ihre eigenen Vorzüge auf der Rückseite.

Das ist öffentlicher Missbrauch emotionaler Grundwerte.

Niemand schreitet dagegen ein. In der Folge schämen Frauen und Männer sich immer mehr, mit solchen Worten und Gesten ihre intime Zuneigung auszudrücken.

So kommt Illouz zur Feststellung, dass »Emotionalität, Liebe und Romantik merklich erkaltet sind. Leidenschaftliche Liebhaber und romantisch schwärmende Liebesbriefe werden eher belächelt.« Andererseits ist die »Liebe unverzichtbarer für die Bestimmung unseres Selbstwertes als jemals zuvor. Liebe ist mehr als ein kulturelles Ideal, sie ist eine soziale Grundlage des Selbst, und doch sind die kulturellen Ressourcen, die sie zu einer Grundlage des Selbst machen, aufgebraucht. Gerade aus diesem Grund sind wir wieder, und zwar mehr denn je, auf Ethik in den sexuellen und emotionalen Verhältnissen angewiesen« (2012, S. 441). »Unsere Gesellschaft braucht diese sinnstiftende Strukturierung durch die Liebe«, sagen auch die Soziologen Burkart & Hahn (1998, S. 36).

Tatsächlich aber zeigt sich in der Praxis der Paartherapie immer deutlicher, dass die ausufernden Streitigkeiten zwischen Partnern zunehmend den Charakter von Konkurrenz-Streit annehmen. Gestritten wird darum, wer zu viel oder zu wenig bekommt, wer mehr oder weniger intensiv liebt, wer mehr gibt oder nimmt, wer mehr recht hat, wer der Bessere sei.

Es scheint dringend notwendig, dass wir lernen, in dieser modernen Welt die Sinnlichkeit zu bewahren. Sinnliche Erotik soll wieder zur Kunst werden und nicht zur Pornografie umgemünzt werden. Statt der gigantischen Flut von Filmen mit eskalierender Gewalt, Brutalität und menschlicher Schlachterei sollten eher mehr Filme voller Sinnlichkeit und Erotik gezeigt werden. Alle Liebende, gerade auch unsere Kinder brauchen sensible Hinführung zum intimen Dialog, vielmehr als in nackte und grausame Gewalt. Seltsam, dass bei diesem Thema immer gleich von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch gesprochen wird und damit die erotische Welt insgesamt geächtet wird. Die Kunst der sinnlichen Nacktheit geht verloren durch ihre kommerzielle Nutzung in der Werbung, ähnlich wie romantische Szenen von Paaren und Familien zum Verkauf von Versicherungen, Autos und Kapitalanlagen genutzt werden. Das ist Pornografie.

Alles-Haben oder Glücklichsein

Hand in Hand mit dieser kapitalistischen Fehlentwicklung geht die auffällige Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu einer narzisstischen Ausprägung als Kennzeichen für unseren Zeitgeist. Die Entsinnlichung zwischen den Menschen führt auch zu einem Sinnverlust. »Sinn ist mehr als Glück, aber die Menschen von heute entbehren des Sinnes«, kommentiert der Philosoph Wilhelm Schmid (2007, S. 45). Das Ich verliert die Resonanz mit dem Du. Die Ich-Beziehung allein bietet aber keinen Ersatz für die Einbettung in die Wir-Beziehung. Eine Ich-AG kann allein nicht existieren. Der narzisstische Zeitgeist führt die Paare zusehends in eine narzisstische Paarkrise. Eine unstillbare Sehnsucht greift um sich. Der Hunger des Kapitals frisst auch das Liebesglück der Paare.

Aber es gibt dabei eine paradoxe Tragik: Das Unglück der Paare ist in unserer westlichen Gesellschaft nur zum Teil