Party im Blitz - Elias Canetti - E-Book

Party im Blitz E-Book

Elias Canetti

3,9

Beschreibung

In seinen späten Lebensjahren erinnert sich Elias Canetti an die Jahrzehnte, die er in England verbrachte, als seine besten Jahre, in denen er, abgeschnitten von der deutschen Sprache, sein Hauptwerk "Masse und Macht" geschrieben und ein bewegtes Leben gefu?hrt hat. Erst postum wurde dieser Schatz gehoben: ein witzig und spitzig formulierter, funkelnder Text u?ber verwöhnte Adlige und bettelarme Emigranten, u?ber eitle Dichter und schöne Malerinnen, u?ber einen bigotten Pfarrer und einen lebensklugen Straßenkehrer.

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Über das Buch

In seinen späten Lebensjahren erinnert sich Elias Canetti der Jahrzehnte, die er in England verbrachte, seiner besten Jahre, in denen er, abgeschnitten von der deutschen Sprache, sein Hauptwerk Masse und Macht geschrieben und ein bewegtes Leben geführt hat. Erst postum wurde dieser Schatz gehoben: ein witzig und spitzig formulierter, funkelnder Text über verwöhnte Adlige und bettelarme Emigranten, über eitle Dichter und schöne Malerinnen, über einen bigotten Pfarrer und einen lebensklugen Straßenkehrer.

Hanser E-Book

Elias Canetti

Party im Blitz

Die englischen Jahre

Carl Hanser Verlag

ISBN 9783-446-25340-7

Text nach Erstausgabe: Aus dem Nachlass herausgegeben von Kristian Wachinger

© 2003, 2016 Elias Canetti Erben Zürich, Carl Hanser Verlag München

Umschlaggestaltung: S. Fischer Verlag / www.buerosued.de

Cover: Elias Canetti mit Freunden auf der Kloster-Insel bei Mochrum/Northumberland, 1951

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Erinnerungen aus England

Aus England

Niemand in England oder Die Stille der Verachtung

Amersham

»Durris«, Stubbs Wood, Chesham Bois

Der Straßenkehrer

Herbert Read

Untugend und Tugend englischer Parties

Hampstead: Versammlung der Dichter

Kathleen Raine

Aymer und seine Mutter

Besuch in Mochrum

Lord David Stewart

Mrs. Phillimore. Bertrand Russell

Arthur Waley

Diana Spearman

Enoch Powell

Veronica Wedgwood

Trostlosigkeit auf Parties

Franz Steiner

Downshire Hill

J. D. Bernal

Geoffrey Pike

Freddie Uhlman

Ce poids! Ce poids!

Henry Moore und Roland Penrose. Party im Blitz. Battle of Britain. Hampstead Heath

Hampstead Church Row. Der Friedhof.

Party bei Penrose. Die Feuerwehrmänner

»The Freemasons Arms«. Friedl

Friedls Großmut. Die Bluse. Henri Smith

Oskar Kokoschka

Iris Murdoch

Vaughan Williams

Aymer

England, eine Insel

Geschwindigkeit

Die Varianten des Hochmuts

Aus England

Ich bin in Verwirrung über England, es war ein ganzes Leben, eingefügt in ein Früher und Später und im Grunde ausreichend für alles.

Ich muß nach dem Chaos überlegen, was aus dieser scheinbaren Ordnung zu gewinnen ist. Ach, welche Ordnung. Man war nahe daran zu glauben: eine Ordnung für ewig. Kaum war der Krieg gewonnen, die Siegesfeier, das Feuer auf der Heath, begann der Zerfall. Eine Weile noch hielt man sich in der Ordnung des Krieges. Vieles war rationiert, man trug es diszipliniert. Murren ist in diesem Lande nie gefährlich – so schien es. Es muß einmal gefährlich gewesen sein, als die biblischen Streitigkeiten ausbrachen, in jenem fernen 17. Jahrhundert. An diese Zeit vermag ich noch immer nicht zu glauben. Es kommt mir wie eine sehr aufgeregte Geschichte vor, mit wunderbaren Berichten. Eine Sprache, die noch gar der Bibelübersetzung entstammt oder dem großen Drama. Wie dicht war England damals? Schottland war noch Schottland und Irland erst scheinbar erobert. Aber Engländer tummelten sich schon auf allen Meeren, plünderten Spanier, führten gegen Holländer Krieg, köpften ein Jahr nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ihren König. Wie hing das zusammen? Wurde dieser Krieg auf die Insel verlagert, kaum war er auf dem Festland endlich beschlossen?

Ich denke an die großen Dichter seit Shakespeare, die noch in dieses 17. Jahrhundert hinüberreichen: ein Ben Jonson, John Donne, Milton, Dryden, und an den jungen Swift. Welche Prosa in der ersten Hälfte! Burton, Sir Thomas Browne, John Aubrey, nie werde ich genug von ihnen gelesen haben. Bunyan, George Fox. Hobbes, dieser allein schon unermeßlich. Wie kümmerlich Deutschland damit verglichen! Spanien mehr. Frankreich genug, aber die größte Literatur von allen in diesem Jahrhundert ist die englische.

Sie ist auch im nächsten mehr als die aller andern. Im 19. Jahrhundert immer noch. Was ist ihr in diesem Jahrhundert geschehen! Ich hatte in England gelebt, als sein Geist zerfiel. Ich war Zeuge des Ruhmes eines Eliot. Wird man sich je genug dessen schämen? Ein Amerikaner bringt einen Franzosen mit aus Paris, der jung verschwand (Laforgue), träufelt seinen Lebensekel auf ihn, lebt wahrhaftig als Bankangestellter, während er alles Frühere taxiert, verringert, was immer mehr Atem hat als er, läßt sich von seinem verschwenderischen Landsmann, der die Größe und Spannung eines Verrückten hat, beschenken und rückt mit dem Ergebnis heraus: seiner Impotenz, die er dem ganzen Lande mitteilt, ergibt sich jeder Ordnung, die alt genug ist, sucht jeden Elan zu verhindern, ein Wüstling des Nichts, Ausläufer Hegels, Schänder Dantes (in welche Höllenregion würde ihn dieser sperren?), dünnlippig, kaltherzig, frühalt, Blakes unwürdig wie Goethes und jeder Lava, erkaltet bevor er heiß war, weder Katze noch Vogel noch Kröte, schon gar nicht Maulwurf, gottgehorsam, nach England gesandt (als wäre ich zurück nach Spanien), mit kritischen Spitzen statt Zähnen, von einer mannstollen Frau gequält – seine einzige Entschuldigung –, so sehr gequält, daß ihm die »Blendung« eingegangen wäre, wenn er sich an sie gewagt hätte, einen höflichen Tom in Bloomsbury, von der edlen Virginia erlaubt und eingeladen, allen, die ihn zu Recht gerügt haben, entronnen, und schließlich durch einen Preis ausgezeichnet, den nicht Virginia, nicht Pound, nicht Dylan, den niemand, der ihn verdient hätte – außer Yeats – bekam.

Von dem Ruhm dieser erbärmlichen Figur war ich Zeuge. Ich hörte von ihm zuerst – ich kannte nicht seinen Namen –, als ich – in der allerersten Zeit – in Hyde Park Gardens wohnte. Jasper Ridley, ein junger Mann, der Oxford hinter sich hatte und ganz wenige Monate vor Kriegsausbruch der Mann der Cressida Bonham-Carter wurde, nannte ihn freundlich belehrend als den Neuen, den eigentlichen Dichter und machte mir zur »Einführung« seine »Elizabethan Essays« zum Geschenk. Wenige Jahre später fiel er blutjung im Krieg und Cressida, seine Witwe blieb mit einem kleinen Sohn von ihm zurück. Diesem freundlichen, eifrigen, offenen, heiteren, schwachen Mann, dem ich das beste Andenken bewahre, verdanke ich den Namen der trockensten Figur des Jahrhunderts, von der ich später, zum Kriegsende, als er sich der Religion seiner Vorfahren zuwandte, um sie für die der Könige aufzugeben, mehr und mehr hörte, so viel, daß beinahe nichts anderes übrig blieb.

An dieser Figur hätte ich erkennen müssen, was mit England geschieht. Aber der Krieg kam dazwischen, in dem England der Welt als letztes sein Bestes gab, den ersten Widerstand gegen den Wahn, der alles zu verschlingen drohte. Man ist diesem Land für vieles dankbar, aus der wahren Geschichte der Menschheit läßt es sich so wenig auslassen wie Florenz und Venedig, Athen und Paris. Aber daß ich in dieser selben Zeit des Krieges das Glück seiner . . . . . empfing, machte mich unempfindlich für den Geruch der Entkräftung, der von Eliot ausging.

Ich kann nicht maßvoll sein, über England schon gar nicht. Sklavenhalter waren überall, aber wo außer in den Pflanzungen Englands kam es zu einer Unerbittlichkeit der Freiheit. Wo kam es zur Verweigerung, die schon bei den Quäkern begann. Wo kam es zu mehr als Begrifflichkeiten, nicht zu Hegel, aber auch nicht zu den erbarmungslosen Gefühlsüberschwemmungen Wagners und Nietzsches.

Das Schlimmste an England sind die Vertrocknungen, das Leben als gesteuerte Mumie. Es ist nicht, wie man meint, das Viktorianische (die Maske der Heuchelei läßt sich abreißen und es ist etwas dahinter), es ist die empfohlene Vertrocknung, die mit Maß und Gerechtigkeit beginnt und in Gefühlsimpotenz endet.

Um wahrhaftig zu sein, müßte man jede überflüssige Demütigung finden, die einem in England bereitet wurde, sie so mit Leben wieder erfüllen, daß sie als Pein besteht; und dann jede Zartheit, die einem Demütigung zu ersparen suchte: sie gegeneinanderhalten, abwägen und wieder zur Auflösung bringen, die sie in einem erfahren haben.

Das Eine wie das Andere und beides ineinander wäre die Wahrheit.

Einzelnes, das wieder zu beleben wäre:

Mai 1945: das Ende des Krieges. Die Art der Siegesfeier. Die Feuer auf Hampstead Heath. Die Tanzenden in Downshire Hill. Staunen, Ekel, Entzücken.

Hetta und William Empson. Ihre Parties, die nie wie andere Parties waren, schon weil Empson nicht schwieg, ununterbrochen sprach, Klügstes und nie einen anderen hörte, der nicht dieselbe höchst kultivierte Sprache sprach. In allen Jahrzehnten, da ich Hetta und ihn kannte, ich wohnte in nächster Nähe von ihnen, hat dieser sehr gescheite Mann, einer der besten und eigenwilligsten Kenner der englischen Literatur, der sie in Japan und China unterrichtete und lange im Osten lebte, nicht einen Satz an mich gerichtet, der eine Antwort erfordert hätte. Bis zum heutigen Tage weiß ich nicht, ob er irgendeine Vorstellung von mir hatte. Als nicht lang nach dem Krieg eine Schule von Dichtern sich von ihm herzuleiten begann (als Reaktion gegen den Überschwang von Dylan Thomas), traf ich welche von ihnen auf seinen Parties, die »Auto-da-Fé« gut kannten, ernstnahmen und diskutierten. Er selbst hat nie ein Wort darüber zu mir verloren, er müßte es gelesen haben, er war ein Freund Arthur Waleys, der aus seiner Bewunderung dafür nie ein Hehl machte. Ich weiß nicht, ob er auch nur eine Ahnung davon hatte. Er verschlang Tag und Nacht Bücher, ein durch und durch geistiger und literarischer Mann, Literatur-Professor in Sheffield, für seine Bücher über literarische Dinge so berühmt wie für seine Gedichte. Ich hörte ihn oft sprechen, er hatte Witz und Schärfe, war äußerst rasch, unablenkbar, in Strömen von deutendem Wissen, persönlichster Meinung und exakter Gelehrsamkeit, vielleicht der flüssigste, inspirierteste, äußerst klare Sprecher, den ich unter Dichtern in England erlebt habe.

Je länger schon, da Thatcher nicht mehr am Ruder ist, so friedlicher und freundlicher wird meine Erinnerung aus England. Da fallen mir plötzlich Dinge ein, die ich dort mit Lust erlebt habe und Dinge, die mir an Menschen gefielen, die Rücksicht und Charakter hatten. Die eigentlich heftigen Abneigungen werden nicht geringer, mit jeder Erinnerung steigern sie sich, ich kann den Namen Eliot nicht unter den Bleistift bringen, ohne gegen ihn wieder losziehen zu müssen. Vielleicht war es die eine Einrichtung dieses Lebens, was mich am meisten an ihm irritierte, seine frühe Bereitschaft zum Leben in einer Bank, und später die selbstverständliche Leitung eines sehr angesehenen Verlags, die ihm Macht über Dichter gab. Zuletzt die Entscheidung, Altersdramen zu schreiben, durch deren Aufführung er Geld verdienen konnte, er hat daraus nie ein Hehl gemacht, daß dies sein Ziel war.

Nun habe ich nie persönlich mit ihm etwas zu tun gehabt. Ich kannte ihn nur ganz flüchtig. Wohl aber traf ich während einiger Jahre des öftern bei der Kathleen Raine seinen Wachhund John Hayward, der in Chelsea mit ihm zusammenwohnte und durch dessen Zimmer Eliot hindurchgehen mußte, um in sein eigenes zu gelangen. John Hayward war gelähmt und war an den Rollstuhl gefesselt, von selber konnte er sich nicht fortbewegen, immer mußte jemand seinen Wagen schieben. Sein Gesicht war entstellt durch eine enorme Unterlippe, deren rotes Fleisch nie zu verbergen war, das gab seinem Gesicht einen etwas tierischen Ausdruck, das aber im Gegensatz zu den voll ausgebildeten Sätzen stand, deren er sich zu jeder Zeit ohne Schwierigkeiten bediente. Er war ein gründlicher Kenner der englischen Literatur, insbesondere der Lyrik, es gab Anthologien von ihm, die als gut galten. Sein Leiden, die Lähmung begann, so weit ich mich entsinnen kann, schon in Cambridge, wo er früher lebte, er war noch ein junger Mann. Es ist ein Glücksfall für ihn, daß Eliot, als er nach Chelsea kam, mit ihm in eine Wohnung zusammenzog, er wurde dadurch eine begehrte Figur. Eliot ging nicht auf Parties, es war bekannt, daß er diese Art von Öffentlichkeit mied, wohl aber ließ sich John Hayward für das Leben gern einladen. Irgendeine junge Frau, meist in Chelsea, machte sich erbötig, ihn zu holen, seine Wohnung, wenn ich nicht irre, lag im zweiten Stock, er mußte mit seinem Wagen in den Lift geschoben und hinuntergefahren, aus dem Lift herausgeholt, auf die Straße gerollt und zum Ort der Party gefahren werden. Man tat das gerne, es war unter hübschen Mädchen ein bißchen Mode, in dieser hilfreichen Rolle öffentlich gesehen zu werden. Da er für sein Leben gern an Parties teilnahm und mit anziehenden Frauen sprach, hatte er einige Auswahl und konnte sogar manchmal besondere Wünsche äußern. In seinen Konversationen brachte er zu irgendeinem Zeitpunkt die Rede auf Eliot und ließ durchblicken, daß er Einladungen zum Tee bei diesem erwirken könne. Durch diese Aussicht, so unwahrscheinlich es auch erschien, daß sie zu Wirklichkeit werden könnte, gewann er jeden: Man respektierte ihn noch mehr als es seinen Verdiensten als Kritiker entsprach, man suchte ihn auf Parties auf, man mußte sich manchmal anstellen, um ihm seine Aufwartung zu machen, und er, wohl wissend, daß dieser Eifer der Aussicht auf Eliot entsprang, scheute sich nicht, ihn jedesmal wieder zu schüren.

Es ist zwischen den ersten Jahren bis in den Krieg hinein zu unterscheiden, der Zeit danach in Amersham und dann noch der späteren längsten Zeit in Hampstead. Die Perioden sind wirklich auseinanderzuhalten.

In der ersten warst du ein verlorener Emigrant, froh gerettet zu sein, prekär durch den Krieg, zu dem du nichts beigetragen hast, obwohl dir bewußt war, daß er auch gegen dich und alle die Deinen geführt wurde. Die Angriffe auf London im Krieg waren der Höhepunkt dieser Zeit. Ein gewisser Mut – unbekümmert um die persönliche Gefahr – gab mir das Selbstgefühl wieder. Du mußtest dich nicht dazu hergeben, selbst zu töten. Aber du warst auch nicht feig in den Nächten, als vieles in London brannte.

Diese Periode begann im Januar 1939 und dauerte im Krieg bis zum Herbst 1941, bis wir nach Amersham zogen, also beinah drei Jahre. Deine relative Absonderung von Emigranten, erste englische Freunde, intensive Freundschaft mit Franz Steiner und Kae Hursthouse. Durch Steiner als Anthropologen und Kae Hursthouse als Neuseeländerin kam etwas von der Weite des englischen Weltreiches in mein Leben, sehr wichtig war die Rolle, die das Student Movement House dabei spielte: Gower Street. Vorher: 1939 Hyde Park Gardens bei Huntingtons. Hyde Park Corner. Erste literarische Gesellschaft, die ich in England erlebte, eine Party, die nicht wie die späteren englischen Parties war. L. H. Myers, der dich fragte, ob du Kafka gekannt hattest. Philip Toynbee, der dich dasselbe fragte. Gespräche über die Nazis, es war die Zeit zwischen München und Prag. Der Krieg war in der Luft, Mrs. Huntington, eine hohe, schöne Frau, die mit dem amerikanischen Verleger von Putnams verheiratet war: der Lift im Hause, ich war im obersten Stock, im Zimmer der Tochter Alfreda einquartiert, als eigentlichen Umgang hatte ich die Gouvernante, eine Schweizerin, die mich schon in Paris begutachtet hatte, die Schar junger Mädchen in Paris, eine schöner als die andere. Ohne daran zu denken, war ich wieder in der Yalta, aber unter lauter Engländerinnen. Ein Haus Pinkie Esher. – Alfreda behandelte mich mit besonderer Herzlichkeit, ich weiß nicht, in welchem Zimmer sie nach ihrer Rückkehr aus Paris wohnte. Sie kam mir auf die Straße nachgerannt, als ich – wie sie dachte – ins British Museum fuhr. Ein idealistisches, reizendes Mädchen, das wohltun wollte, in ihrem Zimmer war ein Bild von Van Gogh. – Ich ging aber nicht in den Reading Room des British Museum lesen, sondern in die Warburg Library. Ernst Gombrich, der da arbeitete, führte mich ein. Auf Empfehlung seiner Mutter war ich zu Huntingtons gekommen. Von der Warburg Library durfte ich auch Bücher mitnehmen, die ich brauchte.

Unangenehm war Mr. Huntington gleich als ich in seinem Haus erschien. Er fragte mich, ob ich in Wien in einer Wohnung oder in einem Haus gewohnt hatte. Er war überrascht zu hören, daß meine Frau auch in England war, ich sagte ihm, daß sie bei ihrem Bruder in Surrey wohne. Er fragte mich, was ihr Bruder sei, ich sagte: »He is a small business man.« Das konnte man kaum von Bucky sagen, aber ich spürte den Snobismus Mr. Huntingtons und schämte mich, die Wahrheit zu sagen. Bucky, der mit einer Engländerin aus Manchester verheiratet war, war ein unschuldiger, herzensguter, ungeachteter Mann, eine Chaplin-Figur eigentlich, der schon allerhand versucht hatte, um sich, seine Frau, seinen kleinen Sohn zu erhalten. In Manchester hatte er einen Friseurladen gehabt. Seit Jahren hatte er ein kleineres Süßwarengeschäft in Lightwater bei Bagshot, Surrey. Ich war zu feig, das zu erklären. Mr. Huntington hätte es auch nicht gern gehört, ich sagte: »He is a small business man«, oder sagte ich »a very small business man« und ich weiß nicht mehr, ob ich seinen Namen »Calderon« nannte.

Die Gouvernante, Miss Hübler, war immer streng, wie sie es mit ihren Mädchen, die sie zu jungen Damen machen wollte, gewohnt war. Der große Augenblick im Leben dieser schönen Geschöpfe war ihre Einführung bei Hof. Alfreda stand das in diesem Jahre bevor, und wenn ich in der Nursery neben meinem Zimmer mit Miss Hübler sprach, war davon ausführlich die Rede. Es war meine erste Einführung in hohe englische Sitten. Die andere, viel aufregendere, spielte sich in wenigen Minuten Entfernung im Hyde Park Corner ab, wohin ich Abend für Abend ging.

England ist mir entrückt. Seit fünf Jahren war ich nicht mehr dort. Es beginnt mir wieder zur Insel zu werden, eine Insel im Stile mehr der Erinnerungen, schon setzt die Verklärung ein, schon träume ich von einem Besuch dort, als wäre es ein Ort der frühen Jugend. Ich war dreiundachtzig, als ich zuletzt dort war. Vieles begreift man nicht in der Gestalt, in der es erscheint. Womit hat es sich verwoben?

Was war ihm so gemäß, daß es sich dort eingenistet hat, wo man es am wenigsten vermutet? Parteiische Gefühle, von Zeitungen genährt, sind am abträglichsten. Sie waren immer Gemeinplätze und sie bleiben es. Aber es gibt anderes, das von Parteinahme nie berührt war und lange sozusagen unerwähnt blieb. Wenn davon etwas auftaucht, soll man es auf der Stelle fassen, es geht rasch auf und verwelkt noch rascher.

Ich habe damit begonnen, von William Empson zu erzählen, dem ich immer fremd blieb, weil es eine Freundin seiner Frau war, die mich ins Haus brachte. Die Empsons hatten ein großes, geräumiges Haus in Haverstock Hill, das meiste davon war vermietet. Hetta, die von einer Burenfamilie in Südafrika kam, war eine unerschütterliche Kommunistin. Sie war eine sehr schöne Frau und holte zweierlei Leute ins Haus. Die einen waren Intellektuelle jeder Herkunft und Farbe, denen sie sich durch ihre Gesinnung verpflichtet fühlte. Alle Wohnungen des Hauses, mit Ausnahme der eigenen, überließ sie ihnen. Ihre Liebhaber, deren es im Laufe der Jahre nicht wenige gab, holte sie manchmal auch in die eigene Wohnung. Empson schien nicht das Geringste dagegen zu haben. Er hatte einen scharfen, immer aktiven, auf vielerlei übergreifenden literarischen Geist, an den Metaphysical Poets des frühen 17. Jahrhunderts geschult, aber auch in einer Cambridger Schule von Sprachsoziologen (I. A. Richards). Sein Geist war immer von derartigen Prozessen eingenommen, alles übrige überließ er Hetta. Man hatte den Eindruck, daß jeder sein eigenes Leben führte, ohne dem anderen im Weg zu sein, mit Respekt vor allem, was ihn ausmachte, auch wenn es dem eigenen geradewegs entgegengesetzt sei. Empson selbst wirkte, als bedeute ihm Sexuelles nichts, man wunderte sich ein wenig, daß es aus dieser Beziehung zwei Knaben gab, die mitten im Wirrwarr der Liebesbeziehungen ihrer Mutter aufwuchsen, ohne davon beschwert zu sein.

Bei den Gesellschaften, die sie gaben, die sehr freizügig waren, erschienen Freunde von beiden, oder Freunde von Freunden, die diese mitnehmen durften. Es ging dadurch wirklich bunt und ohne Eitelkeiten zu. Ein sehr berühmter Dichter mochte zwei Stunden lang dagewesen sein und mit Empson aufregende Gespräche geführt haben, ohne daß man es merkte, ja ohne daß man davon wußte. Es wurde kein Aufhebens um seine Person gemacht. Weder wurde er auf »europäische« Weise herumgezerrt und allen vorgestellt noch schuf man eine geheimnisvolle Aura der Seltenheit, des Hochmuts um ihn. Er war da wie jeder andere und wenn er Empson interessierte, hatte er diesem viel zu sagen. Wenn er Empson nicht interessierte, verließ er die Gesellschaft so unauffällig, wie er gekommen war und man erfuhr meist gar nicht, daß er dagewesen war.

In meiner Erinnerung sind diese die einzigen größeren Hampsteader Gesellschaften, die um ihrer selber willen bestanden und nicht zur Bestätigung gültiger Ränge oder des möglichen Aufstiegs dienten. Es war nie langweilig, man kam immer mit jemandem ins Gespräch, der interessante Erfahrungen oder auch wirkliche Eigenart hatte. Man durfte sich aber nichts draus machen, daß man selbst vielleicht niemand war, das war in England während Jahrzehnten mein Fall und hat sich auch in den spätesten Jahren nur oberflächlich geändert. Ich hatte das Wohlwollen Hettas, die mit Friedl eng befreundet war, sie mochte Menschen und war überaus tolerant.

Ihre politische Gesinnung, die auf Erfahrungen ihrer Jugend unter strikt religiösen Buren und deren schwarzen Untertanen zurückzuführen war, war durch nichts zu erschüttern, aber sie hat sie auch nie als Mensch verengt. Außer diesem Wohlwollen hatte ich in diesem Haus lange niemand. Viele Emigranten kamen, bekannte, unbekannte, kriecherische, stolze, ich war einer von ihnen, die besonderen Nuancen unter ihnen interessierten den Hausherrn nicht, dessen Leidenschaft englische Dichtung und Literatur war. Ihre Fremdheit beschäftigte ihn nicht, er war mit einer größeren, einer echten Fremde beschäftigt, in der er Jahre gelebt und gelehrt hatte: Japan, China. Vielleicht hat er etwas Chinesisch gelernt – ich kann es nicht recht glauben. Seine Haare, die etwas schütter waren, trug er auf Art eines chinesischen Weisen. Ich glaube aber, daß er auch während seiner chinesischen, politisch überaus aufregenden Zeit, in Wirklichkeit ganz der war, als den ich ihn auch in England kannte, geprägt von Rhythmen, Vokabular und geistiger Heftigkeit früher englischer Lyrik.

Ich war also diesem Mann gegenüber zu vollkommener Ohnmacht verurteilt. Es wäre diesem Mann gar nicht eingefallen, mit mir über chinesische Massen zu sprechen. Es hätte mich brennend interessiert, aber was hätte er hierüber sagen sollen? Es wäre ihm wie Geschwätz erschienen, das er um alle Welt nicht leiden konnte.

Ich ging also gern, aber in Beschämung zu Empson. Man wurde eingeladen, aber für Empson war man niemand. Es gab da viele, die niemand waren, aber es gab auch viele andere, so war weder das eine noch das andere eine Auszeichnung.

Niemand in England oder Die Stille der Verachtung

Man kann es als Einübung in die Kunst der Gesellschaft bezeichnen. Man kommt zusammen auf engem Raum, ganz nahe, aber ohne sich zu berühren. Es sieht aus wie Gedränge, ist aber keines. Freiheit besteht in der Entfernung vom anderen, auch wenn sie auf ein Haar zusammenschrumpft. Man bewegt sich geschickt an anderen vorbei, die einen auf allen Seiten bedrängen, ohne einen zu streifen. Man bleibt von allem unberührt und rein. Es wäre ein Mangel an Lebensart, sich durch Berührung, auch die geringste, beflecken zu lassen. Wer selber nicht schlängeln mag, ein aufrechter Mann, versteht es die andern um ihn schlängeln zu lassen. In der Zurückhaltung, einer Art von Enthaltsamkeit, die auch aktiv sein kann, bewährt sich die Gestalt des Menschen. Sie ist vollendet, wenn sie nichts von sich erkennen läßt. Wer so bekannt ist, daß jeder ihn von nah oder fern erkennt, gehört eigentlich nicht auf eine Party, es sei denn, er sei ein solcher Meister der Verstellung, daß ihm vollkommenes Verschwinden gelingt.

Ideal wäre der Fall, daß sehr viele Menschen zusammenkommen, unter denen nicht wenige sind, die man kennen möchte, die sich aber ihrerseits nie zu erkennen geben. Das Rätsel darf nicht schrumpfen, sonst sackt die Party wie ein zerlöcherter Ballon in sich zusammen. Sobald sich zu viele der Anwesenden kennen, verändert sich der Aggregatzustand, aus Enthaltsamkeit wird Freundlichkeit, die nicht viel bedeutet. Die Spannung des Nicht-Kennens lockt mehr, besonders wenn man weiß, wie wichtig es wäre, den oder jenen zu kennen. Der Drang nach höherer Gesellschaft ist immer wach, er ist getragen von der Verehrung der höchsten, doch wird er gebändigt von der Schwierigkeit in ihre Nähe zu gelangen, und selbst dort, wo das geglückt ist, von der Schwierigkeit einer Berührung. Diese erlernt man nur dicht unter anderen.

Es wirkt wie wohltuende Bescheidenheit, wenn sehr angesehene Menschen sich unter andere mischen und es fertig bringen, sich durch so wenig hervorzutun, daß sie durch nichts erkannt werden. Sie tragen keine Masken, aber sie stellen sich auch nie vor. Man kann ein Gespräch mit jemand führen, ohne eine Ahnung davon zu haben, was er ist. Er kann sich zurückziehen, ohne das Gefühl einer Verpflichtung. Es ist nichts versprochen worden, nichts verhandelt, es war ein unschuldiges Belauern, das jeden Gedanken einer . . . . . verheimlicht. Der Eine darf nicht ahnen, wie sehr er verachtet wurde, der Andere darf nicht merken lassen, welche Macht er hätte, wenn es nicht hier wäre.

Die Macht ist selbstverständlich geworden, doch sie hat sich verteilt und . . . . . ihre Schranken durch Verborgenheit mitten unter anderen. Sie stillt nicht, wenn sie auf ihresgleichen fußt und erkannt wird. Sie bleibt – sozusagen aus Rücksicht – verborgen, um viel weniger Mächtige nicht zu erschrecken. Die Buchstaben, die Menschen hinter ihren Namen als Zeichen der Anerkanntheit tragen, sind abge-legt und werden im Gespräch erst allmählich sichtbar. Oft bleibt der, mit dem Worte gewechselt wurden, ratlos zurück, »baffled«, wie ein guter englischer Ausdruck lautet, und fragt sich immer wieder: »Wer war das? Wer kann das gewesen sein?«

Auf die Proportionen achten. Aymer, Gavin, ihre Mutter stehen bei mir noch zu sehr im Vordergrund. Wahrscheinlich wegen der Reisen, die ich mit Aymer unternommen habe und die zu wesentlichen Bestandteilen des Lebens geworden sind. Ich will mehr an andere denken und sie hervorholen.

Alles, was mit Veronica Wedgwood zusammenhängt, habe ich noch kaum angeschnitten. Es widerstrebt mir, das wahrhaftige Bild von ihr zu geben, wie ich es in mir trage. Einmal war sie die erste Engländerin, die sich mit Begeisterung und Überzeugung für die »Blendung« eingesetzt hat. Sie hat Zeit und Arbeit in die Übersetzung gesteckt. Sie war auch von Friedl sehr eingenommen, besonders von unserer Beziehung: die Schülerin, die ihren Lehrer liebt und sich mit Leidenschaft von ihm formen läßt. Friedl hat sie später durch ihr Leben, durch eine zeitweilige Abhängigkeit von ihr enttäuscht. Die vielfache Ablehnung der »Blendung«, die wirklich sehr relativ war – sie hat Menschen schon damals viel bedeutet –, schließlich der Anspruch von »Masse und Macht«, das endlich erschien, das sie durch einen höchst positiven Aufsatz zu fördern versuchte, aber nie wirklich las, meine schreckliche Enttäuschung, als ich darauf kam, daß sie es gar nicht kannte, daß es sie zum Lesen nicht gereizt hatte, nachdem sie im Laufe der Jahre so viel darüber gehört hatte, schließlich – und das war das letzte – ihre Begeisterung über die Thatcher, mit der sie als Historikerin herausrückte – sie sah in ihrer Regierung eine neue elizabethanische Ära –, das alles zusammen macht es mir beinahe unmöglich, wahrhaftig und ausführlich über sie zu sprechen. Es wäre so viel zu sagen, das sie mir anvertraut hat, ich bringe es nicht über mich, ich höre ihre warme, werbende Stimme, ich sehe ihren Vater auf Leith Hill vor mir, den ich auf den ersten Blick mochte, ihre hochmütige Mutter, die ihre Tochter nicht mochte, weil sie sich keine Tochter wünschte, und ein Leblang ein Albdruck für Veronica war. Über diese Dinge, die sie eigentlich ausgemacht haben, kann ich nicht sprechen, von ihrem Schreiben halte ich wenig, sie war unoriginell und hatte über nichts eigene Gedanken. Aber sie schrieb gern und fleißig immerzu, las Quellen, Briefe, Dokumente, Tagebücher, wirklich unersättlich war ihre Neugier, aber nicht unersättlich genug und vor allem: sie paßte ihre Gedanken irgendwelchen herrschenden Gedankenströmungen an, sei es historisch-politischer, sei es psychologischer Art. Da ich Historiker – nämlich die unserer Zeit – sehr selten achte, kommt es mir nicht zu, etwas über sie zu sagen, das sich mehr zu einem Urteil über ihr Werk summieren könnte. Ich kann nur persönliche Züge von ihr verzeichnen, Augenblicke im Garten von Downshire Hill, wenn wir das letzte Kapitel der Übersetzung besprachen und Friedl vom Fenster des ersten Stocks im Hause auf uns in den Garten heruntersah und dann den Tee für uns bereitete. Veronica war es, die mit großer Zähigkeit die Herausgabe der »Blendung« bei Jonathan Cape forderte. Es war im Anfang gar nicht die Rede davon, daß sie sie übersetzen würde. Ich hatte an Isherwood gedacht, weil ich sein Berlin-Buch mochte. Nur sehr zaghaft kam Veronica mit der Idee, das Buch – mit meiner Hilfe – selbst zu übersetzen und ich willigte ein, mit dem Vorbehalt, daß das Buch nicht während des Krieges erscheinen dürfe. Ich war der Überzeugung, daß ich während dieses Krieges nichts publizieren dürfe. Die Aufgabe meines Lebens war »Masse und Macht«. Bevor ich damit zu Ende war, durfte nichts von mir an die Augen der Öffentlichkeit gelangen. Heute würde ich das als eine asketische Haltung bezeichnen, eine Art von Schuldigkeit denen gegenüber, die in diesen Krieg gegen oder mit ihrem Willen hineingerissen wurden. Gegen das zunehmend rasende Tempo, in dem alles geschah, suchte ich die Ruhe dieser Untersuchung, es war kein Augenblick . . . . . , was ich in diesen Jahren unternahm, es war eine durch nichts zu erschütternde Überzeugung, daß ich den Dingen auf den Grund gehen müsse. Es waren furchtbare Erkenntnisse, die sich aufdrängten, umso furchtbarer, als sie nie eilige waren. Sie hatten Zeit, sich auszubreiten und zu befestigen. Für diese Absicht hatte Veronica in den ersten Jahren der Unternehmung Verständnis. Wir sprachen oft über englische Geschichte, das 17. Jahrhundert in England war ihr eigentliches Gebiet. Sie wußte davon viel und erzählte mir davon, es regte mich an, selbst mehr darüber zu lesen. Wenn ich ihr Massenvorgänge, die in diesem Jahrhundert sehr reich waren, zu erklären versuchte, war sie aufmerksam, rasch und beinah vehement in der Aufnahme. Ihre Aufnahmefähigkeit, ihre Art von Aufmerksamkeit war ihre eigentliche Kraft. Sie stand sehr im Widerspruch zur hartnäckigen Zurückhaltung vieler Engländer. Sie führte sich auf keltische Vorfahren zurück, sie selbst war dunkel und im Äußeren so unenglisch wie nur möglich. Ihr Vater hatte das Gesicht eines keltischen Zauberers, ein Hexenmeister, »wizard«, pflegte ich Veronica zu sagen. Er stand an der Spitze einer der großen englischen Eisenbahngesellschaften, sein eigentliches Interesse galt der Geschichte, in seiner Bibliothek fand Veronica so ungefähr alles, was sich auf die Französische Revolution bezog. Er war mit Joseph Conrad befreundet, der oft zu Besuch kam, Veronica entsann sich seiner aus der Zeit ihrer Jugend und hatte viel über ihn zu erzählen, was sie von ihrem Vater wußte. Ihr Onkel war Josiah Wedgwood, ein Liberaler alten Schlages, der sich im Parlament für alles einsetzte, was einer Fürsprache wert war, er war wie einer jener Männer, die für die Geschichte Englands im 19. Jahrhundert nicht weniger wichtig und wirklich waren als ihre Gegner, die Erbauer des Empire.

Ich mochte Veronica wirklich. Ich verließ mich auf sie. Sie war die Wärme, die ich unter den geistigen Menschen Englands, soweit ich sie kannte, vermißte. Sie fesselte mich auch durch die weitere Familie, der sie entstammte: die Darwins, die Wedgwoods, Macaulay, Trevelyan, Francis Galton und auch Leslie Stephen, der Vater Virginia Woolfs, sie alle waren miteinander verwandt, es fiel schwer, in der Geistesgeschichte der Menschheit eine vergleichbare Sippe zu finden.

Verewigung des Hochmuts: er wird von denen übernommen, die kein Anrecht auf ihn haben. Ihr Leben wird zu einer Anstrengung: Einlösung des Hochmuts.

Veronica war von ihm frei, vielleicht weil ihre Mutter, die ihn zu Recht zu haben glaubte, sie beinahe mit Haß verfolgte. Kathleen Raine bestand in Wahrheit nur aus diesem Drang.

Kathleen Raine war insofern Dichterin, als sie das Personal zu ihrem Höhendrang fand: die beiden Sonnenknaben auf einer Brücke neben ihrer Mutter.

Es ist leicht, über die Höhenzwänger zu spotten, wenn man selbst seine eigene Höhe zu haben glaubt, die man nie in Zweifel gestellt hat.

Das bescheidene Auftreten der »höchsten« Engländer. Dinner bei Diana Spearman. Die juristische Geläufigkeit, Höflichkeit, aber Ungenauigkeit (wenn es auf einen nicht ankam) des Maxwell-Fyfe. Ein merkwürdiges Exemplar englischer Höchst-Erziehung hatte ich in Francis Graham-Harrison.

Francis